05.05.2021

"Die Pharmaindustrie ist schlimmer als die Mafia"

sueddeutsche.de, vom 6. Februar 2015, 10:11 Uhr, Kritik an Arzneimittelherstellern

Medikamente sollen uns ein langes, gesundes Leben bescheren. Doch die Pharmaindustrie bringt mehr Menschen um als die Mafia, sagt der dänische Mediziner Peter C. Gøtzsche - und fordert für die Branche eine Revolution.  Von Markus C. Schulte von Drach


Zitat:  Wer wünscht sich nicht ein langes, gesundes Leben? Die Pharmaindustrie entwickelt, testet und vertreibt die Mittel, die das gewährleisten sollen. Doch der Mediziner Peter C. Gøtzsche hält das gegenwärtige System für gescheitert. Der Däne hat selbst für Arzneimittelhersteller gearbeitet, dann die Seiten gewechselt und leitet heute das Nordic Cochrane Center in Kopenhagen. In seinem Buch "Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität" übt er heftige Kritik an der Branche.


SZ.de: Kürzlich ist aufgeflogen, dass eine Firma in Indien Daten gefälscht hat, um Studien für internationale Pharmakonzerne besser aussehen zu lassen. Sie behaupten, dass auch die Pharmaindustrie selbst Studien manipuliert. Aber Sie machen der Branche weitere schwere Vorwürfe. Sie sprechen sogar von organisierter Kriminalität und Mafia.


Peter C. Gøtzsche: Ja, der weltweit größte Medikamentenhersteller Pfizer zum Beispiel hat in den USA 2009 nach einem Prozess wegen der illegalen Vermarktung von Arzneimitteln 2,3 Milliarden Dollar gezahlt. Das Unternehmen GlaxoSmithKline war 2011 sogar bereit, drei Milliarden Dollar zu zahlen, um einen Prozess wegen Arzneimittelbetrugs zu beenden. Bei Abbot waren es immerhin 1,5 Milliarden, Eli Lilly zahlte 1,4 Milliarden, Johnson & Johnson 1,1 Milliarden. Bei den anderen großen Unternehmen waren es Summen im zwei- und dreistelligen Millionenbereich. Immer ging es um Betrug und Irreführung, Bestechung oder Vermarktung nicht zugelassener Mittel.

Diese Straftaten erfüllen die Kriterien für das organisierte Verbrechen, deshalb kann man von Mafia reden. In einem Prozess gegen Pfizer haben die Geschworenen 2010 ausdrücklich festgestellt, dass die Firma über einen Zeitraum von zehn Jahren gegen das sogenannte Rico-Gesetz gegen organisierte Kriminalität verstoßen hat.


SZ.de: Was ist mit der Firma Roche? Die fehlt in Ihrer Aufzählung.


Peter C. Gøtzsche: Dieses Unternehmen (Roche) hat 2009 den USA und europäischen Ländern für mehrere Milliarden Euro und Dollar das Grippemittel Tamiflu verkauft. Sie wollten sich mit diesen Vorräten gegen eine Grippe-Epidemie wappnen. Allerdings hatte Roche nur einen Teil der Studien zur Wirksamkeit veröffentlicht. Aufgrund des öffentlichen Druckes haben sie die Daten inzwischen zugänglich gemacht. Demnach nutzt das Mittel noch weniger als befürchtet, kann aber in einigen Fällen schwere Nebenwirkungen auslösen. Meiner Meinung nach hat die Firma so den größten Diebstahl aller Zeiten begangen.


SZ.de: Sind das nicht Verstöße einzelner schwarzer Schafe in einigen Unternehmen? Und was ist mit kleineren Firmen?


Peter C. Gøtzsche: Ich habe bei meinen Recherchen nicht alle kleinen Firmen berücksichtigt, sondern die wichtigsten Unternehmen. Es arbeiten außerdem natürlich viele anständige Leute in der Pharmaindustrie. Es gibt sogar Kritiker innerhalb der Unternehmen. Aber das sind nicht die, die bestimmen, wo es langgeht. Mir geht es darum, dass das ganze System mit seiner Art, wie Medikamente produziert, vermarktet und überwacht werden, gescheitert ist.


SZ.de: Sie werfen den Unternehmen vor, dass sie Mittel auf den Markt gedrückt haben, obwohl sie schädlich und für viele Patienten sogar tödlich waren.


Peter C. Gøtzsche: Dafür gibt es etliche Beispiele. Die Pharmaunternehmen sind deshalb sogar schlimmer als die Mafia. Sie bringen viel mehr Menschen um.


SZ.de: Können Sie Beispiele nennen?


Peter C. Gøtzsche: Etwa Schmerzmittel wie Vioxx, von denen bekannt war, dass sie ein Herzinfarktrisiko darstellen und zum Tod führen können. Vioxx kam ohne ausreichende klinische Dokumentation auf den Markt, weshalb Merck vor Gericht stand und 2011 immerhin 950 Millionen Dollar zahlen musste.

Bevor es vom Markt genommen wurde, wurde das Mittel bei Rückenschmerzen eingesetzt, bei Tennisarm, bei allen möglichen Leiden. Vielen Patienten wäre es aber schon mit Paracetamol oder auch ganz ohne Medikamente wieder gutgegangen - und jetzt sind sie tot. Das ist eine Tragödie.


SZ.de: Wissenschaftler der Food and Drug Administration (FDA), also der US-Zulassungsbehörde, haben geschätzt, in den USA könnte Vioxx bis zu 56 000 Patienten getötet haben . . .


Peter C. Gøtzsche: Mit dem Mittel wurden mehr als 80 Millionen Menschen in mehr als 80 Ländern behandelt. Meinen Schätzungen zufolge sind es deshalb etwa 120 000 Todesopfer weltweit gewesen. Und Celebrex von Pfizer, das mit Vioxx vergleichbar ist, wurde dem Unternehmen zufolge bis 2004 weltweit 50 Millionen Menschen verabreicht. Es dürfte bis zu diesem Jahr also etwa 75 000 Patienten getötet haben. Das Mittel wird für einige Krankheiten noch immer verschrieben. Obwohl Pfizer Millionen Dollar zahlen musste, weil sie Studienergebnisse zur Sicherheit des Mittels falsch dargestellt hatten.


Andere Beispiele für Mittel, die so auf den Markt gedrückt wurden, sind Schlankheitspillen wie Redux und Pondimin, das Epilepsie-Medikament Neurontin, das Antibiotikum Ketek oder das Diabetesmittel Avandia.


SZ.de: In Ihrem Buch weisen Sie auch auf besondere Probleme mit Psychopharmaka hin.


Peter C. Gøtzsche: Ich schätze, dass allein das Antipsychotikum Zyprexa (Anm. d. Red.: Mittel zur Behandlung schizophrener Psychosen) von Eli Lilly etwa 200 000 der 20 Millionen Patienten, die das Mittel weltweit genommen haben, umgebracht hat. Denn Studien an Alzheimer-Patienten haben gezeigt, dass es unter hundert Patienten, die mit solchen atypischen Antipsychotika behandelt werden, zu einem zusätzlichen Todesfall kommt. Es handelte sich in den Studien zwar um ältere Patienten, die Untersuchungen dauerten aber meist auch nur zehn bis zwölf Wochen. Im realen Leben werden Patienten meist jahrelang behandelt. Außerdem wurde Zyprexa häufig Älteren verordnet, obwohl es etwa für Demenz, Alzheimer und Depressionen gar nicht zugelassen war. Deshalb musste das Unternehmen 1,4 Milliarden Dollar wegen illegaler Vertriebsmethoden bezahlen. Der Umsatz mit Zyprex lag zwischen 1996 und 2009 allerdings bei 39 Milliarden Dollar.

Peter C. Gøtzsche

Peter C. Gøtzsche ist Facharzt für innere Medizin. Er leitet d. Nordic Cochrane Centre in Kopenhagen (Foto: Privat)


Auch eine weitere Gruppe Psychopharmaka, die Antidepressiva, ist gefährlich. Ältere Patienten verkraften diese Mittel schlecht. Und es ist bekannt, dass Mittel wie Seroxat (Paxil) von GlaxoSmithKline unter Kindern und Jugendlichen das Suizidrisiko erhöht haben. Außerdem behaupteten die Autoren der wichtigsten Studie zu Seroxat bei schweren Depressionen bei Jugendlichen, das Mittel sei wirksam und sicher. Aber die Ergebnisse belegten das gar nicht, wie eine Überprüfung der Daten gezeigt hat.


Die Firma hat es dann auch noch als Medikament für Kinder angepriesen, obwohl es dafür gar nicht zugelassen war. Das war einer der Gründe dafür, weshalb sie drei Milliarden Dollar zahlen musste.


SZ.de: Es gibt Wissenschaftler, die heute wieder sagen, die Suizidgefahr für Kinder und Jugendliche würde nicht erhöht.


Peter C. Gøtzsche: Die FDA und andere Zulassungsbehörden weltweit haben sie offenbar nicht überzeugt, die warnen noch immer davor. Auch der letzte Review der Cochrane Collaboration zu diesen Mitteln bestätigt, dass es Hinweise auf ein erhöhtes Selbsttötungsrisiko gibt. Über neuere Studien wird diskutiert. Aber für mich gibt es keinen Zweifel, dass das Risiko erhöht ist.


SZ.de: Versagende Kontrollen

Sie sagen, Medikamente seien in Europa und den USA die dritthäufigste Todesursache nach Herzkrankheiten und Krebs. Das geht aus den Daten etwa des deutschen Statistischen Bundesamtes allerdings nicht hervor.


Peter C. Gøtzsche: Es gibt etliche Studien, die auf verschiedenen Wegen zu diesem Ergebnis kommen, dass es die dritthäufigste Todesursache ist. Für die USA zum Beispiel wird geschätzt, dass jährlich 100 000 Menschen aufgrund von korrekt eingenommenen Medikamenten sterben. Dazu kommen aber noch medizinische Irrtümer: versehentliche Überdosen oder die Mittel sind allein oder in Kombination mit anderen Arzneien für die Patienten gar nicht geeignet.


SZ.de: Aber wir verdanken auch Medikamenten unsere gute Gesundheit und hohe Lebenserwartung.


Peter C. Gøtzsche: Natürlich gibt es Mittel, die mehr Nutzen als Schaden bieten. Medikamente haben zum Beispiel zu großen Erfolgen im Kampf gegen Infektionen, Herzkrankheiten, einigen Krebsarten und Diabetes vom Typ 1 geführt. Das ist bekannt. Aber im Verhältnis zu der Menge der Mittel, die verschrieben werden, profitieren nur wenige Menschen tatsächlich davon. Weil Kranken viel zu häufig Arzneien verschrieben werden. Weil die Firmen sogar wollen, dass auch gesunde Menschen ihre Mittel nehmen.


SZ.de: Wie viele der Medikamente, die auf dem Markt sind, brauchen wir Ihrer Meinung nach tatsächlich?


Peter C. Gøtzsche: Ich gehe davon aus, dass wir uns 95 Prozent des Geldes sparen können, das wir für Arzneien ausgeben, ohne dass Patienten Schaden nehmen. Tatsächlich würden mehr Menschen ein längeres und glücklicheres Leben führen können.


SZ.de: Wenn das stimmen sollte, wieso reagieren Ärzte, Patientenorganisationen und Gesundheitspolitiker nicht viel heftiger darauf?


Peter C. Gøtzsche: Ein Grund ist sicher, dass die Pharmaindustrie extrem mächtig und finanziell unglaublich gut ausgestattet ist. Sie nimmt auf allen Ebenen Einfluss. Zum Beispiel auf Ärzte, die dafür belohnt werden, bestimmte Mittel zu verschreiben - selbst wenn diese teurer als vergleichbare Medikamente sind. Viele Ärzte denken offenbar, sie könnten Geld oder Vergünstigungen von der Industrie akzeptieren und zugleich als Anwälte ihrer Patienten auftreten. Das können sie nicht.


Außerdem, das belegen ja die Gerichtsverhandlungen eindringlich, verbreiten die Unternehmen immer wieder Geschichten darüber, wie wundervoll ihre Mittel angeblich wirken, und verschweigen zugleich, wie gefährlich sie sind. Die Menschen neigen dazu, ihnen zu glauben.


SZ.de: Was ist mit den Zulassungsbehörden? Die sollen sicherstellen, dass nur nützliche Mittel auf den Markt kommen.


Peter C. Gøtzsche: Die machen einen ziemlich schlechten Job. Das ist vor allem von der Food and Drug Administration (FDA) in den USA bekannt. In dieser Behörde gibt es eine Menge Interessenkonflikte und Korruption. Im Zweifel entscheidet die Behörde deshalb eher zugunsten der Pharmaindustrie für Medikamente als zugunsten der Patienten dagegen. FDA-Wissenschaftler müssen immer wieder gegen ihre eigenen Vorgesetzten und die Beratungsgremien ankämpfen, wenn sie Kritik an Mitteln und dem Umgang damit üben.


Darüber haben sich Experten der Behörde selbst immer wieder beschwert - sogar in einem Brief an das Wahlkampfteam von Barack Obama. Wegen ihrer Kritik hat die FDA sogar die privaten E-Mails von Wissenschaftlern, die sich an Kongress-Mitglieder, Anwälte oder Journalisten gewandt haben, überwacht.


Ronald Kavanagh, ein FDA-Whistleblower, hat über seine Arbeit bei der Behörde berichtet, dass die Wissenschaftler manchmal geradezu angewiesen wurden, die Behauptungen der Pharmaunternehmen zu akzeptieren, ohne die Daten zu prüfen. Über die anderen Behörden wissen wir nicht so viel. Aber sie müssten viel kritischer sein. Die Regulierung von Medikamenten ist ja offensichtlich nicht effektiv.


SZ.de: Noch einmal zu den klinischen Studien: Sie behaupten, die Studien der Pharmabranche taugen lediglich als Werbung für die Medikamente.


Peter C. Gøtzsche: Studien, die von den Unternehmen finanziert werden, haben häufiger Ergebnisse, die für diese vorteilhaft ausfallen. Das ist belegt. Der Industrie zu erlauben, ihre eigenen Medikamente zu testen, ist so, als dürfte ich in einem Prozess mein eigener Richter sein. Und Wissenschaftler, die an dem Design einer Studie zu viel Kritik üben, werden das nächste Mal nicht mehr gefragt. Das wissen die Betroffenen. Schon deshalb kommen sie den Wünschen der Industrie viel zu weit entgegen. Unerwünschte Ergebnisse werden außerdem gerne verschwiegen, während erwünschte veröffentlicht werden.


Die Studien sollten deshalb nie von der Pharmaindustrie, sondern immer von unabhängigen Wissenschaftlern vorgenommen werden.


SZ.de: Wissen die Fachjournale, in denen die Studien veröffentlicht werden, nicht, was gespielt wird? Müssten sie die Veröffentlichung von solchen Tests nicht verweigern?


Peter C. Gøtzsche: Die Journale sind auch Teil des Problems. Sie leiden unter erheblichen Interessenkonflikten. Die renommiertesten Fachmagazine verdienen zum Beispiel eine Menge Geld mit dem Verkauf von Sonderdrucken an Firmen, mit denen diese dann werben. Deshalb stehen die Journale unter Druck, Manuskripte der Pharmaindustrie zu akzeptieren. So kommt es, dass auch Studien mit falschen oder irreführenden Aussagen veröffentlicht werden. Dafür gibt es etliche Beispiele. Richard Smith, ein früherer Herausgeber des British Medical Journal, hat selbst einen ganzen Artikel veröffentlicht unter dem Titel: "Medizinische Fachzeitschriften sind ein verlängerter Arm der Marketingabteilungen der Pharmafirmen".


Vor einigen Jahren hat ein Insider aus der Industrie dem Journal selbst gesteckt, es sei schwieriger, dort einen wohlwollenden Artikel zu veröffentlichen als in anderen Zeitungen. Aber wenn es gelänge, sei das für das Unternehmen 200 Millionen Pfund wert. Es gibt bei vielen Fachzeitungen aber inzwischen Bestrebungen, hier etwas zu ändern.


SZ.de: Was müsste sich Ihrer Meinung sonst noch konkret ändern?


Peter C. Gøtzsche: Wir brauchen eine Revolution im Gesundheitswesen: Unabhängige Medika-     menten-Tests, für die die Industrie weiterhin zahlen könnte. Sonst sollte sie absolut nichts damit zu tun haben. Alle Studiendaten müssen offengelegt werden - auch negative Ergebnisse. Als Ärzte müssen wir beginnen, Nein zu sagen zum Geld und zu anderen Gefälligkeiten der Pharmaindustrie.


Außerdem sollte Werbung für Medikamente - auch innerhalb von Fachkreisen - verboten werden, genau wie bei Tabakprodukten. In beiden Fällen gibt es ein Gesundheits- und Todesrisiko. Und wenn ein Medikament gut ist, können wir sicher sein, dass Ärzte es einsetzen.


Die Links in diesem Text weisen auf eine kleine Auswahl aus einer großen Anzahl von Quellen, mit denen Gøtzsche seine Kritik in seinem Buch begründet:

Peter C. Gøtzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität - Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert. riva Verlag München, 2014. 512 Seiten, ISBN 978-3-86883-438-3, 24,99 €


Anmerkung der Redaktion: Bei der erwähnten Firma Merck handelt es sich um das US-Unternehmen (MSD), nicht um die deutsche Firma Merck KGaA.


Lesen Sie mehr zum Thema Deutschlands Justizminister will jetzt Bestechung im Gesundheitswesen ahnden. / Pharmaindustrie


Info: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/kritik-an-arzneimittelherstellern-die-pharmaindustrie-ist-schlimmer-als-die-mafia-1.2267631-0#seite-2   



Weiteres:


Coronavirus: Impfen, bis niemand mehr will

sueddeutsche.de, vom 3. Mai 2021, 10:43 Uhr, Coronavirus

Noch gibt es mehr Impfwillige als Impfstoff. Doch das wird sich bald ändern. Warum das Ziel Herdenimmunität vielleicht nie erreicht wird und warum das dennoch kein Grund zur Panik ist.  Von Markus Hametner, Christina Kunkel und Sören Müller-Hansen


Zitat: In Deutschland könnten schon viel früher alle Erwachsenen eine Corona-Impfung erhalten, als es von der Bundesregierung angekündigt worden war. Laut aktuellen Modellierungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), die die SZ ausgewertet hat, wären bei einer Impfbereitschaft von 80 Prozent schon Mitte Juni alle Impfberechtigten zumindest mit einer Dosis versorgt. Würde sich wirklich jeder impfen lassen, wäre es spätestens Ende Juli so weit. Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn hatten zuletzt immer von einem "Impfangebot bis Ende des Sommers" gesprochen.   (ab hier Bezahlschranke) 


Info: https://www.sueddeutsche.de/wissen/corona-impfung-deutschland-herdenimmunitaet-1.5281344?reduced=true Gesundheit Digital

04.05.2021

Die Querdenker und die Linke. Und was ist mit den Gewerkschaften?

nachdenkseiten.de, 04. Mai 2021 um 12:30, von Wolf Wetzel | Verantwortlicher: Redaktion

Seit der Corona-Krise ist nicht nur die Linke weitgehend abgetaucht. Auch die Gewerkschaft, also der Deutsche Gewerkschaftsbund/DGB übt sich vor allem in Schweigen. Medial ist ganz viel von Querdenkern die Rede und von all denen, die sich dagegenstellen. Auffallend still ist es jedoch um die Gewerkschaften. Gibt es sie noch? Sind sie nicht der Rede wert?

Zitat: Ganz nüchtern muss man festhalten, dass der DGB eine zentrale Rolle im Pandemiegeschehen spielt. Der DGB deckt – rein beruflich – das größte Feld des Pandemiegeschehens ab, das Berufsleben. Natürlich hat er auf die Opfer der Pandemie hingewiesen, die „Held*innen an der Front“ gelobt und auch ein bisschen Geld gefordert. Aber hat sich der DGB ausdrücklich und klar zu den Corona-Maßnahmen geäußert?


Hat er etwas dazu gesagt, dass seine Mitglieder nach der Arbeit nicht mehr ins Café, ins Kino dürfen, weil selbst bei Einhaltung der AHA-Regeln ein Infektionsrisiko nicht auszuschließen ist? Hat der DGB etwas dazu gesagt, dass seine Mitglieder nach der Arbeit auf keiner Parkbank sitzen dürfen, weil diese sich in einer Verweilverbotszone befindet?


Hat der DGB seinen Mitgliedern erklärt, wie bekloppt man sein muss, all das hinzunehmen, und gleichzeitig alles dafür tut, dass seine Mitglieder acht Stunden und mehr in geschlossenen Räumen, mit ganz vielen Kollegen einem Infektionsrisiko ausgesetzt sind, das deutlich höher ist als im Privatbereich?


Man muss wissen: Was im Privatbereich gilt, was es dort an Einschränkungen, Sanktionen und Verboten gibt, gilt nicht für den Produktionsbereich, schon gar nicht für die Schlüsselindustrien, wo man bekanntlich nicht im Home-Office Autos montieren, Maschinen bauen und Computer herstellen kann. Denn der Unternehmerverband hat ausdrücklich davor gewarnt, dieselben Maßstäbe an Corona-Maßnahmen in Groß-Unternehmen anzulegen. Und diese Warnung wurde ganz schnell verstanden. Bis heute gibt es keine einzige Verordnung wie im Privatbereich. Alles was im Privatbereich sanktioniert ist, ist im Produktionsbereich im Flow. Alle medizinischen Erkenntnisse, die für den Privatbereich gelten, sind im Produktionsbereich Schall und Rauch.


Man darf nicht in ein Café, das sich an alle AHA-Regeln hält. Aber man darf arbeiten gehen, wo es keine Verordnungen gibt, keine Sanktionen, wo alle Schutzmaßnahmen im Belieben der Unternehmen liegen! Dass Groß-Unternehmen keine Skrupel haben, ihre Extra-Legalität zu behaupten und zu verteidigen, ist nicht furchtbar neu.


Hand in Hand … mit den Bossen

Aber was machen die (Einzel-)Gewerkschaften? Wehren sie sich dagegen, dass die Arbeitnehmer im 8-Stunden-Tag alle dem ausgesetzt sind und zur „Belohnung“ abends zuhause bleiben dürfen? Schützen die Gewerkschaften ihre Mitglieder vor dieser Schizophrenie? Drohen sie wie der Arbeitgeberverband?


Und wie verhalten sich die Gewerkschaften zur verabschiedeten Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes, in dem u.a. eine Ausgangssperre ab 22 Uhr festgeschrieben wurde, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 liegt? Warum äußert sich der DGB nicht zu dem Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung (GaeF) vom 19. Februar 2021, das sehr eindeutig festhält, dass die Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen sehr groß ist („Die Übertragung der SARS-CoV-2 Viren findet fast ausnahmslos in Innenräumen statt.“), hingegen im Freien sehr gering?


Warum sagen die Gewerkschaften nichts zu dem Irrsinn, dass man die Einschränkungen im Freizeitbereich verschärfen will, obgleich genau diese Maßnahmen auf das Pandemiegeschehen wenig Einfluss haben, weil sie den kleinsten Bereich des Infektionsgeschehens abdecken? Wir wissen es, nicht erst seit der Corona-Pandemie: Die Gewerkschaften sind eher Co-Piloten der Standort- und Unternehmenslogik, als dass sie sich dagegenstellen.


Jetzt kann man das der Schwäche zuschreiben, der fehlenden Kampfbereitschaft der Belegschaft. Kann man. Aber man darf dabei nicht verschweigen, dass fast alle Einzelgewerkschaften diese Ohnmacht miterzeugen und gar stärken. Sie stellen sich sogar vor die Unternehmen und verteidigen deren Corona-Leugner-Politik. Als man es nicht mehr ganz verschweigen konnte, dass Corona auch vor Fabriken und Großraumbüros nicht Halt macht, kam ganz wachsweicher Druck auf, auch die Unternehmen in die Corona-Maßnahmen einzubeziehen. Wer kam dem laut um sich schlagenden Unternehmerverband zu Hilfe? Ja, erraten: Die Gewerkschaften.


Als so ganz langsam dämmerte, dass zur Eindämmung des Infektionsgeschehens nicht nur Maßnahmen im Privatbereich notwendig sind, sondern eben überall dort, wo die meisten Menschen die meiste Zeit zusammen verbringen, eben bei der Lohnarbeit, wagte man einen kurzen Blick hinter die verschlossenen Fabriktore. Sogar ein CDU-Mann wie Thorsten Frei, Unionsfraktionsvize im Bundestag, wagte das fast Unsagbare:


Wir sollten uns die Frage stellen, ob letztlich nicht ein kompletter Lockdown von zwei bis drei Wochen besser ist als eine endlose Hängepartie“, sagte er dem Magazin Der Spiegel.

Nun fing die Hütte aber zu brennen an. Raten Sie einmal, wer ganz schnell die Feuerwehr spielte und mit Löschschaum so gar nicht sparte?


„Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält es zwar ebenfalls für nötig, dass ‚alle nicht erforderlichen Kontakte eingeschränkt werden‘. DGB-Chef Reiner Hoffmann ist aber derzeit gegen Betriebsschließungen in großem Stil: ‚Um die ohnehin angespannte Wirtschaft nicht weiter zu belasten und die Beschäftigung der Menschen zu sichern, sollten Betriebe unter Wahrung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes geöffnet bleiben‘, sagte er ‚nd – Die Woche‘. Nach seiner Einschätzung ‚haben die letzten zehn Monate gezeigt, dass Betriebe – von der Fleischindustrie abgesehen – keine Infektionstreiber sind‘.


Auch IG-Bau-Chef Robert Feiger zeigt ‚Verständnis dafür, dass die Politik das Wirtschaftsleben so weit wie möglich am Laufen halten will, um einen erneuten Einbruch zu verhindern. Ein solcher würde am Ende auch Arbeitsplätze kosten‘. (…)


Die mächtige IG Metall stellt sich ebenfalls gegen einen harten Lockdown: ‚In den mitbestimmten Betrieben haben unsere Betriebsräte Hygienekonzepte durchgesetzt, die Beschäftigte wirksam schützen. Daher halten wir großflächige Betriebsschließungen derzeit nicht für zielführend‘, sagte ein Sprecher. (Das andere Risiko, Neues Deutschland vom 16.01.2021)


Zu dieser Form der „Mitbestimmung“ äußerte sich Hans-Christian Lange, Vorsitzender der Band- und Leiharbeitergewerkschaft Social Peace, ganz anders:

Die Stimmung dort wird immer gereizter, denn viele arbeiten auf engem Raum unter ständig steigendem Druck und fühlen sich nicht genug geschützt vor dem Virus. Nicht nur bei den Leiharbeitern in der Fleischindustrie steigen die Infektionszahlen dramatisch angesichts der dort miesen Arbeits- und Wohnbedingungen. Von den großen Gewerkschaften war zu den Missständen im Metallbereich nicht viel zu hören.“ (Strittiges Signal der IG Metall zum 1. Mai, NDS vom 1. Mai 2021)

Jetzt knallt es in der IG-Metall, die Sektkorken ganz oben und die Wut ganz unten: Bernd Osterloh, der wichtigste IG-Metall-Boss im VW-Konzern, wechselt auf einen Vorstandsposten der LKW-Tochter von VW, Traton. Dort wird er dem Personalvorstand angehören und die anstehenden Kündigungen exekutieren. Die einen werfen ihm nun Verrat vor. Andere werden bitter feststellen, dass er gar nicht so richtig die Seite gewechselt hat. Denn auch als Angehöriger des IG-Metall-Establishments vertrat er vor allem Konzerninteressen und das mit einem Gehalt von „bisher zeitweise ungeheure 750.000 € im Jahr“ (s.o.). Auch das ist nicht neu, sondern hat Kontinuität in der IG-Metall. Sein Vorgänger, der VW-Betriebsratsvorsitzende Klaus Volkert, hat das ganz offen und schnörkellos so formuliert:

„Ich und die anderen (…) Wir haben die Aufgaben von Managern übernommen.“ (s.o.)

Doppeltes Spiel

Es kommt noch etwas dazu: Die Gewerkschaft deckt nicht nur die „Corona-Leugner-Strategie“ der Unternehmen. Sie kann sich auch ganz schnell umziehen, um auf der „anderen“ Seite mutig mit aufzulaufen, um dann lautstark gegen die „Corona-Leugner“ auf der Straße zu demonstrieren.


So auch an dem Tag, als Querdenker in Stuttgart demonstrieren wollten und eine „Querfront“ aus Stadtregierung, Gerichten und „Stuttgart gegen Rechts“ dafür sorgte, dass diese Demonstration verboten wurde.


Der DGB zeigte sich an diesem Tag mutig und zeigte Kante … gegen die Querdenker … für die Spurgeraden. Das Gewerkschaftshaus war reichlich „geschmückt“ mit Transparenten, die mal so richtig zeigten, was in einer kämpferischen Gewerkschaft steckt. Man hatte ja reichlich Reserven angelegt, die man nun in die „Schlacht“ werfen konnte. Auf der Web-Seite von „Stuttgart gegen Rechts“ kann man es sehen:


Corona existiert. Die Krise lösen wir gemeinsam. Aber niemals mit Nazis.“

Das klingt wie der „Wachturm“! Ach ja, Gott, pardon, Corona existiert. Was Sie nicht sagen! Also doch!? Okay, wenn das so ist und nun gewerkschaftseigenes Wissen ist, dann stellt sich nur noch die Frage: Existiert Corona auch in den Betrieben? Gelten dann dort andere Regeln als außerhalb? Kann uns das einmal ein schlauer Gewerkschaftsfunktionär erklären?


Und gleich darauf folgt der Knaller: Die Krise lösen wir gemeinsam. Ach ja? Echt? Wie war das in der letzten Krise 2008ff, in der Finanzkrise? Hat da nicht Ähnliches auf den Transparenten gestanden, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen, dass diese Parole den Kampf bestimmt, um so etwas auch durchzusetzen? Keine Frage, man kann so einen Kampf verlieren, aber man muss ihn erst einmal beginnen, oder?


Die Krise lösen wir gemeinsam. Ja doch, wenn man sich ein bisschen umdreht und die Parole von hinten anschaut … könnte etwas dran sein: Bis heute haben alle Gewerkschaften gekämpft, zusammen mit den Unternehmen, dass Corona in den Betrieben so gut wie nicht existiert, dass die Unternehmen von ‚unnötigen/weiteren Belastungen‘ befreit sind, damit die Gewinne explodieren, und zwar gewaltig, auch im Jahr 2020: „Der Volkswagen-Konzern hat das schwierige Geschäftsjahr 2020 mit einem Milliarden-Gewinn abgeschlossen: Rund 8,8 Milliarden Euro bleiben nach Steuern in der Kasse.“ (ndr.de vom 16.3.2021)


„Mit einer Umsatzrendite von 14,6 Prozent dürfte Porsche der am besten verdienende Serien-Fahrzeughersteller der Welt sein. Die Mitarbeiter, die vor einem Jahr in ihrer Kurzarbeitsphase mit der freudigen Nachricht überrascht wurden, dass sie fürs Vorjahr eine Prämie von 10.000 Euro erhalten (was entsprechende Diskussionen in Politik und Gesellschaft entfacht hatte), bekommen nach der überraschenden Aufholjagd im Corona-Jahr wieder einen hohen Bonus. Pro Mitarbeiter würden bis zu 7850 Euro bezahlt, kündigte Porsche-Vorstandschef Oliver Blume in der Präsentation an, ohne ins Detail zu gehen.“ (faz.net vom 19.3.2021)


Wenn man an einem Ende ganz stark quetscht …

Mit der Pandemie haben wir wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die Gesundheit oberste Priorität in unserem Land hat und dass dieses sehr edle Ziel massive und einschneidende Einschränkungen rechtfertigt. Das ist das Narrativ, vor dem wir alle, fast alle, in Knie gehen, und das alle anderen zu Ketzern und Egoisten macht, die sich diesem Kanon widersetzen. Und da es ja um unser aller Wohl geht, tun wir es alle zusammen, in Solidarität, egal, wie groß die Unterschiede waren und sind. So ist die Erzählung, die landauf, landab verbreitet wird – selbst wenn sie mehr Kratzer bekommt.


Es gibt kaum einen besseren Ort als die Großbetriebe, wo man zeigen kann, dass die ganzen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie um ein großes ‚schwarzes Loch‘ herum erlassen werden. Denn all das Gerede von Solidarität und Zusammenstehen hört an den großen Fabriktoren auf. Die Produktion läuft seit Langem auf Hochtouren und nichts darf sie aufhalten, selbst Verordnungen zum Schutz vor der Pandemie nicht.


Das wissen selbstverständlich auch Virologen. Dass das wissenschaftlicher Irrsinn ist, wissen sie auch. Wie vereinbaren sie das dennoch mit ihrem Berufsethos? Wie gelingt, auf Gefahren aufmerksam zu machen (im Privatbereich) und die allergrößten Gefahren in der Arbeitswelt zu verschweigen und in Kauf zu nehmen?


Man sollte diesen Spagat an einem sehr guten Beispiel erklären, an einem Mann, der sicherlich in seinem Fach ausgezeichnete Kenntnisse aufweisen kann. Dazu gehört ganz sicher der Virologe Christian Drosten, Professor, Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektor an der Charité in Berlin, der ganz lange das Corona-Gesicht der Bundesregierung war. Auch wenn er auf den Bundespressekonferenzen nicht mehr zu hören ist, ist er nach wie vor öffentlich aktiv, zum Beispiel in Podcasts, wo er zur aktuellen Situation Stellung nimmt.


Wie schlägt man ein Ei auf, ohne die Schale kaputt zu machen?

Christian Drosten ist viel zu klug, um dieses „schwarze Loch“ Arbeitsleben zu leugnen. Wie gelingt es ihm also, etwas zu sagen, ohne es (wirklich) zu sagen? Hören wir Herrn Drosten genau zu. Es lohnt sich. Mit Blick auf die beschlossene „Bundesnotbremse“ führt er aus:

Wir haben da im Moment über all die Verhandlungen mit verschiedenen Interessengruppen gegenüber der Politik in Deutschland eine etwas schief verteilte Situation. Wir wissen alle, das Arbeitsleben ist relativ wenig eingeschränkt. Das Freizeitleben ist stark eingeschränkt. Das ist die Gewichtung, die wir in Deutschland gesamtgesellschaftlich so gewählt oder erreicht haben. Natürlich ist das, was jetzt als Bundesnotbremse bezeichnet wird, dann noch mal eine stärkere Verschärfung in den Bereichen gerade außerhalb dieses Wirtschaftslebens, wenn es eben um Ausgangssperren geht. (…). Das sind so Gebiete, in denen eigentlich schon Reduktionen gemacht worden sind und wo man jetzt noch mal die Reduktionen verstärkt. Man hätte das natürlich auch anders wählen können. Man hätte auch in anderen Gebieten des Erwerbslebens, der Wirtschaft stärkere Reduktion machen können. (…) Wenn man solche Maßnahmen gleichmäßig in allen Bereichen verteilt, dann haben Sie auch eine stärkere Gesamtwirkung, als wenn man nur an einem Ende ganz stark quetscht und am anderen Ende alles noch so lässt wie vorher.“

Und abschließend redet er mehr wie ein Berater, als ein Virologe:

Na ja, also man kann das mehr in den Blick nehmen. Man kann an diesen Stellen auch Maßnahmen der Kontaktreduktion verhängen. Aber das hätte natürlich Auswirkungen auf bestimmte Wirtschaftszweige. Da geht es um Lieferketten und Produktion und so weiter. Das sind eben Bereiche der Wirtschaft, die man nicht von zu Hause vom Homeoffice machen kann. Da schlägt natürlich auch durch, dass die Personen, die in diesen Wirtschaftszweigen arbeiten, sozial nicht so gut dastehen und natürlich auch in Stadtteilen wohnen, wo vielleicht der Wohnraum günstiger ist und so weiter. Alle diese Dinge bedingen sich natürlich. Die kann man so beschreiben. Sollte man aber nicht als Wissenschaftler tun, sondern vielleicht eher aus anderen Kompartimenten der Gesellschaft. Kann man auch kritisieren und anprangern. Und man kann Änderungen fordern. Aber ich glaube, im Moment ist es vor allem wichtig, dass man sich klarmacht, wie es ist.“

Der Kampf gegen die Pandemie, der Kampf gegen die völlig untragbaren und unhaltbaren Einschränkungen im Privatbereich, die immer absurdere Ausmaße annehmen müssen, um einen Handlungsbedarf zu demonstrieren, den man an zentraler Stelle ganz generell aussetzt, muss die Konfrontation mit den Gewerkschaften einschließen. Sie sind ihren Mitgliedern verpflichtet, also alles zu tun, damit auch ihre Gesundheit nicht gefährdet wird, ganz egal, was die Wertschöpfungskette dazu sagt.


Was tun?

Das Virus geht nicht nachts spazieren, sondern tagsüber arbeiten. Ausgangssperre für das Kapital.“ (Antifa United, Frankfurt)

Fast jeder Gewerkschaftsfunktionär hat auf den 1.-Mai-Kundgebungen ein Hohelied auf die Pflegekräfte gesungen und vielleicht sogar eine Lohnerhöhung angemahnt. Das erinnert an den jährlich stattfindenden Karnevalszug, der Bonbons in die Menge wirft. Die Gewerkschaft weiß doch ganz genau, nicht erst seit der Corona-Krise, dass man sich vernünftige Forderungen an die Backe schmieren kann, wenn man nicht den Druck so stark erhöht, dass etwas in diese Richtung geschieht!


Warum initiiert sie nicht Demonstrationen vor all den privaten und staatlichen Verwaltungsstellen, die für diese miesen Arbeitsbedingungen und eine ebenso miese Entlohnung verantwortlich sind? Dazu könnten all jene dazukommen und sich tatkräftig beteiligen, die sich solidarisch mit den „Held*innen“ seit einem Jahr erklären. Dann wäre Solidarität kein Wort auf Löschpapier, sondern etwas Erlebbares, wofür man sich auch ein wenig einsetzen muss.


Wie wäre es, wenn (auch) die Gewerkschaft nicht nur die Einsparungen im Gesundheitssektor anprangert, sondern die 20 Krankenhäuser und Kliniken, die alleine im letzten Jahr „nach Plan“ geschlossen wurden, zu einem Kristallisationspunkt des Protestes macht? Man könnte einmal mehr deutlich machen, dass der (Gesundheits-)Notstand ein gemachter, ein gewollter, ein scharf kalkulierter ist und wenig mit dem Pandemiegeschehen zu tun hat.


Und was wäre das für ehrlicher Schritt, wenn man in allen (Groß-)Unternehmen außerordentliche Betriebsversammlungen einberuft, um mit den Arbeitern darüber zu diskutieren, wie man mit der Angst vor Corona in der Arbeitswelt umgeht? Man sollte dazu unbedingt „Regierungs-Experten“ einladen, die den Versammelten erklären, warum ein Acht-Stunden-Tag in der Fabrik ungefährlich ist, aber ein Besuch in einem Café (mit allen AHA-Regeln) zu deren Schutz verboten wird?


Dazu würde auch die Einladung von Kritikern der Corona-Maßnahmen gehören, die auch zur Rolle der Ökonomie einer Pandemie Stellung nehmen würden. Das wäre doch einmal ein Anfang, der für allerlei Überraschungen gut sein wird!


Quellen:

Das andere Risiko, Neues Deutschland vom 16. 1.2021

Offener Brief Aerosolwissenschaftler vom 11. April 2021: http://docs.dpaq.de/17532-offener_brief_aerosolwissenschaftler.pdf

mdr.de/mdr-thueringen/offener-brief-aerosolforscher-100.html

Strittiges Signal der IG Metall zum 1. Mai, Bernd Osterloh, NDS vom 1. Mai 2021: nachdenkseiten.de/?p=72052

Coronavirus Update, Folge 86, Korrina Henning (Wissenschaftsredakteurin/NDR Info) und Christian Drosten (Virologe/Charite Berlin), S.19/20: ndr.de/nachrichten/info/86-Coronavirus-Update-Das-Beispiel-Indien,podcastcoronavirus308.html#Bundesnotbremse

Kreative Buchführung. Intensivbetten kommen und gehen – wie es in die Bilanz passt, Ralf Wurzbacher: nachdenkseiten.de/?p=72019

Bündnis warnt vor mehr als 30 Klinikschließungen: aerzteblatt.de/nachrichten/122735/Buendnis-warnt-vor-mehr-als-30-Klinikschliessungen


Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=72130

04.05.2021

Nichts ist, wie es scheint…     Über Verschwörungsideologien

politischebildung.de, Veranstaltungsrückblick vom 29. April 2021, bildungswerk ver.di


Zitat: Die Reihe Algorithmen, Demokratie und wir von der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildung und dem Bildungswerk ver.d in Niedersachsen ist erfolgreich gestartet!


In der ersten Veranstaltung am 28.04. ging es unter dem Titel „Nichts ist, wie es scheint… - Über Verschwörungsideologien“ um Verschwörungserzählungen, die seit Beginn der Corona-Pandemie stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.


  • Was macht eine Verschwörungsideologie aus und wieso sind sie gerade jetzt aktuell?
  • Welche gesellschaftlichen Gefahren gehen von ihnen aus?
  • Welche bekannten Stereotype nutzen sie?


Moderiert wurde die Veranstaltung von Alexander Gilly (ver.di Jugend Niedersachsen-Bremen). Inputs lieferten Katharina Nocun (Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin und Autorin des Buchs „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ (gemeinsam mit Pia Lamberty) und Lisa Geffken (Projektleitung der "Fachstelle für Politische Bildung und Entschwörung“ der Amadeu Antonio Stiftung).


Katharina Nocun betonte den Zusammenhang von erlebtem Kontrollverlust und Zunahme von Verschwörungsideologien. Diese suggerieren in solchen Situationen Halt und Kontrolle.

Das Buch "Fake Facts" kann unter www.luebee.de probegelesen und bestellt werden.
Hier finden sich auch viele weitere Infos zu dem Thema, sowie kurze Inferviews mit Katharina Nocun und Pia Lamberty.



Lisa Geffken bot 10 Tipps zum Umgang mit Menschen, die an Verschwörungsideologien glauben:

  1. Sofort wiedersprechen      (Anm.: gemeinsam auf Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist besser)
  2. Verbündete suchen
  3. Beziehung aufrecht erhalten
  4. Empathisch bleiben
  5. Freundlichkeit
  6. Intensität berücksichtigen
  7. Fokus behalten
  8. Strukturelle Betrachtungsweise stärken
  9. Fragen stellen
  10. Geduld und Gelassenheit


Verschwörungsanhänger*innen halten sich für gesellschaftskritisch. Lisa betont den Unterschied zwischen Gesellschaftskritik, die fragt „Was hat uns in diese Misere gebracht und wie kommen wir gemeinsam hier raus?“ und Verschwörungsanhänger*innen, die fragen „Wer ist schuld an meiner Ohnmacht?“



  • Einen Artikel zum Thema "Menschen mit Verschwörungsglauben sollten wir ernst nehmen" gibt es unter www.belltower.de


Kommentar: Wenn wir fragen und sagen was wir anders und besser machen wollen, erfordert das auch die Beschreibung des Problem-Ist-Zustandes. Hierbei Mitverursacher und Mitprofiteure zu benennen ist redlich. Unglaubwürdig gewordene, die Teil der Problemlösung sein wollen, verdienen sie zumindest unsere Skepsis. Das gilt auch für Organisationen die weiterhin gesellschaftspolitische Wirklichkeiten, z. B. über Stereotype und das Framing, manipulativ zu tabuisieren suchen.    Thomas Bauer 

04.05.2021

Der Aufstieg der Mundtotmacher – geredet wird viel, aber haben wir wirklich noch eine Debattenkultur?

nzz.ch, vom 19.04.2021, 05.30 Uhr, Gastkommentar Peter Strasser  (61 Kommentare)

Demokratie braucht den Austausch engagierter Bürger. Das Internet aber, welches das Eldorado freier Meinungsäusserung für alle versprach, erweist sich als Kakofonie. Und schlimmer: In der Debatte grassieren Besserwisserei und Aggression. Recht hat, wer dominiert.


Zitat: Solange in Parlamenten um Kompromisse gerungen und auf der Basis mehrstimmiger Volksentscheide regiert wird, haben wir, äusserlich gesehen, eine intakte Debattenkultur. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob mittlerweile nicht ein Spiel der Kräfte reüssiert, welches die Debatte bloss noch als Mittel zum Zweck benützt – statt zur friedlichen, faktenbasierten Gemeinwohlsuche. Diskurse dienen der Irreführung des Gegners rund um «alternative facts»; oder sie verstärken die kampfburgartige Befestigung eigener «Identitäten».


Die Schaumschlägereien von Verschwörungstheoretikern und Soziopathen werden begierig aufgenommen. Sogar traditionsreiche Parteien mögen nicht mehr beiseitestehen, wie aus Anlass der Präsidentschaft von Donald Trump und seiner Grand Old Party deutlich wurde. Zugleich sehen sich die westlichen Demokratien mit einer illiberalen Herausforderung neuen Stils konfrontiert. Nicht nur die rechten Identitären verwenden den Meinungsmarkt zur Desorientierung, um gewalttätige Energien zu befördern.


Alles nur «soziale Konstrukte»

Auch im linken Spektrum der Gesellschaft rumort es. Ausgehend von universitären Kaderschmieden der linken Identitätspolitik, wird herrisch das «Recht» eingefordert, sich selbst eine sexuelle oder ethnische Identität zuzuschreiben. Debatten darüber, wie der Rechtsstaat mit dieser Herausforderung bürokratisch jemals zu Rande kommen sollte, werden erst gar nicht geführt. Identitätspolitikerinnen und -politiker argumentieren, das Geschlecht und, ja, auch die Hautfarbe seien in ihren Effekten «soziale Konstrukte».

Auch eine unentwegte «Beschallung» mit Alternativstandpunkten macht wahrheitstaub und begründungsmüde.

Selbst begründete Zweifel gelten als indiskutabel, weil – so der Befund – nichts weiter als der wehleidige Einspruch derangierter weisser heterosexueller Männer. Mahnenden Parteigranden wird der Austritt nahegelegt. Doch der politische Sprengstoff, welcher im Wechselspiel mit den rechtsextremen Identitären liegt, könnte in Zukunft in einer antiliberalen Stimmung hochgehen; das Ethos der Toleranz im freien Westen würde dann zusehends ins Eck gedrängt und durch gezielte Shitstorms eingeschüchtert.


Das wäre dann das Ende einer Debattenkultur, zu deren Grundwerten die angstfreie Konfrontation und Prüfung von Argumenten auf gleicher Augenhöhe gehört. In seinem auch heute noch überaus lesenswerten Traktat «On Liberty» («Über die Freiheit») aus dem Jahre 1859 nannte der Philosoph und Ökonom John Stuart Mill durchschlagende Gründe, warum wir, um unsere eigene Meinung ernsthaft zu prüfen, die Meinungen anderer berücksichtigen sollten, statt sie zum Schweigen zu bringen.


Die zum Schweigen gebrachte Meinung sei möglicherweise wahr, so Mill; verneinen wir diese Möglichkeit, massen wir uns an, unfehlbar zu sein. Auch eine Meinung, die in Teilen irrig ist, enthält oft ein gerüttelt Mass an Wahrheit, welches uns helfen könnte, die eigenen Schwächen zu erkennen. Setzen wir unsere eigene Position absolut, wird sie zusehends zu einem Vorurteil, «mit wenig Sinn für ihre verstandesmässige Begründung»; sie wird zu einem fühllosen Dogma, keine «von Herzen gefühlte Überzeugung».


Mill schrieb gegen den Dogmatismus des Staates und der Kirche, die vor brutalen Gewaltmitteln nicht zurückschreckten, um «ketzerische» Ansichten zu unterdrücken. Heute leben wir in einer Welt, wo weder Körperstrafen noch Einkerkerung über die Vertretbarkeit einer politischen oder religiösen Position bestimmen. Ja, man könnte der Ansicht sein, dass wir im Zeitalter der sozialen Netzwerke an einem Überschuss an Meinungsvielfalt laborieren.


Und damit hätte man nicht gänzlich unrecht. Denn nicht nur die Unterdrückung kontroverser Ansichten schadet dem Wahrheitsstreben, der Lebendigkeit des persönlichen Standpunkts und letztlich dem Gefühl für die Bedeutung dessen, woran man glaubt. Auch eine ununterbrochene «Beschallung» mit Alternativstandpunkten macht wahrheitstaub, begründungsmüde und fördert die Einigelung ins Gehäuse des Eigenen.


Recht hat, wer ignoriert

Doch abgesehen vom Flohzirkus der herumhüpfenden Meinungen sollte es allen Demokraten ein Anliegen sein, die Millsche Liberalität nicht dem ideologischen Eifer zu opfern. Freilich, dazu bedarf es eines sozialen Charakters, der historische Bildung und einen pragmatischen Blick für das Machbare mit Zivilcourage und einem gemeinwohlorientierten Reformwillen verbindet. Das ist keine selbstverständliche Haltung. Sie ist – angesichts unterschiedlicher Lebenswelten – eine schwer errungene Einsicht, die ohne angstfreie Debattenkultur unter Gleichgestellten nicht möglich scheint.


Diese Kultur nun wird von einer Gemengelage «progressiver» Stimmen beargwöhnt und diffamiert: Ist sie nicht nur ein Mittel zur Befestigung überkommener Herrschaftsstrukturen? Und so formiert sich die Krise des heutigen Westens: Seine Utopie eines pluralen Miteinanders durch gewaltlose Findung von Kompromissen weicht zusehends der Methode, welche das Hysterische, Besserwisserische und Pöbelhafte in den Rang eines Wahrheitskriteriums erhebt. Recht hat, wer alles ignoriert oder niederschreit, was ihm nicht nach dem Munde redet. Haben wir die Schwelle zur Diktatur der Mundtotmacher schon überschritten?


Peter Strasser ist Universitätsprofessor i. R. Er lehrt an der Karl-Franzens-Universität Graz Philosophie. Zuletzt ist erschienen: Die Sprengkraft des Humanismus. Ein Beitrag zur Politik der Seele. Karl-Alber-Verlag, 2020.


Info:  https://www.nzz.ch/meinung/ist-das-noch-debatte-der-aufstieg-der-mundtotmacher-ld.1607910 

04.05.2021

Passauer Neue Presse – 1. Mai 2021 - Ischinger: „Die Welt ist in großer Gefahr“

Passauer Neue Presse, 1. Mai 2021 - Zitat E-Mail von Doris Pumphrey vom 3.5.2021


Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz über EU, China, USA und Russland – **„EU muss Sprache der Macht lernen“


Zitat: Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, fordert in der Außenpolitik der  Europäischen Union ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips. Der Schlüssel zu einer größeren Handlungsfähigkeit liege „in der Einführung der Mehrheitsentscheidung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik“, sagte er unserer Zeitung.


/Herr Ischinger, Sie überblicken die Weltlage seit Jahrzehnten wie wenige andere: Wie beurteilen Sie gegenwärtig die Gefahren für den Frieden im Vergleich zu anderen Nachkriegszeiten?


/Wolfgang Ischinger*:* 2018 habe ich ein Buch unter dem Titel „Welt in Gefahr“ veröffentlicht. Diese Einschätzung der aktuellen Weltlage bleibt weiter bestehen – heute würde ich leider sogar sagen „Welt in großer Gefahr“. Und damit bin ich nicht allein: Laut einer Umfrage der Münchner

Sicherheitskonferenz im letzten Jahr sind 75 Prozent der befragten deutschen Bevölkerung der Meinung, dass es in den nächsten Jahren mehr Krisen und Konflikte geben wird. Das Ganze wird nun noch durch die Pandemie verschärft – zum einen, weil sie Krisen und Konflikte

verstärkt, zum anderen, weil sie ein gravierendes Handicap für erfolgreiche Krisendiplomatie schafft: Telefonate und Videokonferenzen können persönliche Vieraugengespräche nicht ersetzen.


/Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Herausforderungen, die größten Bedrohungen für eine friedliche internationale Zusammenarbeit?


/Ischinger: Die Bedrohungen für eine friedliche internationale Zusammenarbeit sind vielfältig. Dazu gehören die wachsende Großmachtkonfrontation, die Schwächung der liberalen internationalen Ordnung und des Völkerrechts, der Klimawandel und neue Sicherheitsrisiken, die die rasanten technologischen Entwicklungen mit sich bringen, wie Hacking und Desinformation. Außerdem sehen wir, dass demokratische Systeme immer mehr unter Druck stehen, sowohl von innen als auch von außen. Der Vertrauensverlust – zwischen Staaten und innerhalb dieser – spielt hierbei eine große Rolle. Zusätzlich ist die Corona-Pandemie Katalysator für viele beunruhigende Trends und sorgt für eine wachsende Ungleichheit in der Welt, wie wir in einem MSC-Report vom letzten Herbst deutlich zeigen. Zum Beispiel sind laut Weltbank 2020 rund 120 Millionen Menschen als Folge der Pandemie zusätzlich in extreme Armut gekommen.


/Bleiben wir bei der EU. Wenn Le Pen demnächst gegen Macron gewinnen sollte, ist es dann vorbei mit der EU, wie wir sie kennen?


/Ischinger: So wie wir sie kennen und wollen – ja. Frankreich und Deutschland waren und sind zentraler Antriebsmotor der Europäischen Union. Die europäische Integration wäre in dieser Form ohne Frankreich nicht denkbar gewesen. Außerdem bringt Präsident Macron eine ganze

Anzahl an wichtigen europapolitischen Initiativen ein und präsentiert große Entwürfe für die Zukunft der Union. Auch wenn nicht alle immer unbedingt Zustimmung in Deutschland und anderen EU-Mitgliedsländern finden, treibt das die Debatte in der EU an und bringt uns vorwärts.

Dieser wichtige Partner und Motor darf nicht fehlen! Allerdings besteht die Kunst der Außenpolitik darin, mit dem zu arbeiten, was man hat – daher bin ich sicher, dass die EU auch eine solche Krise überstehen würde.


/Glauben Sie, dass die EU jemals in der Lage ist, auf Augenhöhe mit den USA und China zu kommen? Also: Eine Macht unter Mächten werden kann?


/Ischinger: Im Bereich der Wirtschaft und des Handels wird die EU bereits als Großmacht anerkannt. Dies liegt entscheidend daran, dass die Union als starker Wirtschaftsblock hier geschlossen für etwa 450 Millionen Menschen sprechen kann. Doch in der Außen- und Sicherheitspolitik wird sie nicht als glaubwürdiger Akteur wahrgenommen – hier muss sie sich besser aufstellen. Dazu muss die EU die Sprache der Macht lernen und ihre „Weltpolitikfähigkeit“ beweisen. Wir können als EU auf Augenhöhe mit den USA und China kommen, aber nur wenn wir mit einer

Europäischen Stimme sprechen und dieser Gehör verschaffen. *„Schlüssel ist Einführung der Mehrheitsentscheidung“


/Was sind die vorrangigen Aufgaben der EU innen und außen, um ihr Potenzial besser entfalten zu können?


/Ischinger: Hierfür ist es nötig, sowohl die Institutionen als auch die Fähigkeiten der EU zu stärken. Der Schlüssel zu einer größeren Handlungsfähigkeit der EU nach außen liegt aus meiner Sicht in der Einführung der Mehrheitsentscheidung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Momentan nutzen einige Mitgliedsstaaten gezielt ihr Veto aus und blockieren damit jegliche Möglichkeit zu handeln. Ein Veto kostet nichts – das ist der Fehler. Wenn jedes Veto einen politischen Preis erforderte, sähe die Lage anders aus. Man könnte zum Beispiel beschließen, dass jedes Veto sofort zur Behandlung auf der nächsthöheren Ebene führt. Ein Ministerveto würde also sofort zu einer Befassung des Europäischen Rats führen. Im Übrigen könnte Deutschland hier vorangehen, indem es freiwillig auf das eigene Veto verzichtet. Das wäre ein starkes Signal deutscher Bereitschaft, die EU so aufzustellen, dass sie auf die volatile Weltlage und ihre vielen Herausforderungen mit der nötigen Entschiedenheit und Schnelligkeit reagieren kann.


/Glauben Sie, dass sich die EU und das Putin-Regime absehbar wieder besser vertragen werden? Wer muss dazu was leisten?


/Ischinger: Mit Desinformationskampagnen in demokratischen Wahlkämpfen, aktuellen Entwicklungen in der Ukraine und dem Fall Nawalny ist ein neuer Tiefpunkt der Beziehungen zwischen Russland und der EU erreicht. Wir stehen vor dem Dilemma, dass eine tragfähige Sicherheitsarchitektur Europas nur gemeinsam mit Russland zu gestalten ist, viele europäische Länder aber gleichzeitig Schutz vor Russland brauchen. Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Es wird dauern, bis sich die Beziehungen verbessern. Zwangsmaßnahmen wie Sanktionen sind notwendig, um die russische Kalkulation zu ändern. Es ist aber unabdingbar, dass diese auch immer mit einem Gesprächsangebot verbunden sind. Dabei bleibt bestehen, dass eine Wiederannäherung nur mit klaren Prinzipien passieren kann: es braucht auf russischer Seite Bereitschaft zur Deeskalation und Verhaltensänderung. Es ist also an Russland, durch sein Verhalten dazu beizutragen, die Lage zu verbessern. *„Tempo der Biden-Regierung beeindruckt mich“


/US-Präsident Biden macht bisher eine gute Arbeit, oder?


/Ischinger: Ja, das tut er. Obwohl ich erwartet hatte, dass das Biden-Harris-Team bestens vorbereitet ist, bin ich doch sehr von der Geschwindigkeit beeindruckt, mit der die neue Regierung vorangeht. Seit Tag eins seiner Präsidentschaft setzt Biden wichtige innen- und außenpolitische Signale. Mit Blick auf die Außenpolitik sind hier zum Beispiel der Wiedereintritt in das Pariser Klimaabkommen und in die Weltgesundheitsorganisation zu nennen, aber auch die Verlängerung des Rüstungskontrollvertrags New START ist von großer Bedeutung.


/Was erwarten Sie von Biden für das Verhältnis USA-EU?


/Ischinger: Bei der virtuellen Sondertagung der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar hat Präsident Biden ein klares Statement abgegeben: Amerika ist zurück. Er hat deutlich gezeigt, dass die transatlantische Partnerschaft wieder weit oben auf der außenpolitischen Agenda der USA steht. Mit Biden gibt es eine Wiederannäherung der Partner, aber gegenseitiges Vertrauen ist nicht von heute auf morgen wieder aufgebaut. Damit die transatlantischen Beziehungen wiederaufblühen, ist es extrem wichtig, dass nun auch die EU konkrete Gestaltungsvorschläge und Kompromissangebote macht. Hier ist besonders Deutschland gefragt, zum Beispiel im Bereich  der Lastenteilung innerhalb der Nato und bei Nord Stream 2. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass die Biden-Präsidentschaft auch für das Verhältnis zwischen EU und

USA ein Erfolg wird.


/Auf was müssen sich die Chinesen bei Biden einstellen? Wann wird China die USA als Weltmacht Nr. 1 ablösen?


/Ischinger: Das ob und wie hängt ganz entscheidend davon ab, wie sich die USA als Großmacht in der Zukunft aufstellen. Neben der wirtschaftlichen und militärischen Stärke verfügen die Vereinigten Staaten über eine starke Soft Power und ein einmaliges Netz an Allianzen und Partnerschaften. Genau diese Aspekte wird Biden stärken. Auch seine Administration hat bereits signalisiert, dass sie keinen Kuschelkurs gegenüber China fahren werden. Anders als sein Vorgänger ist Biden aber bereit dazu, in den Bereichen zu kooperieren, in denen es in dem unmittelbaren Interesse der USA liegt, wie zum Beispiel in der Klimapolitik. Auch Biden wird darauf zielen, Abhängigkeiten in strategisch wichtigen Bereichen zu reduzieren, dabei aber weniger auf komplette „Entkopplung“, sondern vor allem auf die Stärkung der eigenen Wirtschaft und der internationalen Handelsordnung setzen. Indem die EU und die USA sich gemeinsam stark aufstellen und im Falle von aggressivem Verhalten Chinas im Bereich der Außen-, Wirtschafts- und Menschenrechtspolitik mit gemeinsamen Gegenmaßnahmen reagieren, kann die Position gegenüber China nachhaltig gestärkt werden.  *China-Politik: „EU sollte eng mit den USA koordinieren“


/Was erhoffen Sie sich von einem Gipfel Biden- Putin?


/Ischinger: Ich denke, wir sollten unsere Hoffnungen nicht zu hoch hängen. Es bleibt aber ein wichtiges Signal, dass trotz zahlreicher Differenzen die Kommunikation nicht abbricht. Denn nur durch Dialog können neue Lösungsansätze und mögliche Kompromisse entwickelt werden.

Es bleibt klar, dass in den großen internationalen Fragen mit Russland zusammengearbeitet werden muss. Wir sehen das zum Beispiel in der Rüstungskontrolle, beim Thema Iran oder dem Syrien-Konflikt – ohne Russland kommen wir nicht weiter.


/Wie soll Deutschland sich im Konflikt USA/China verhalten? Hat Deutschland wegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit überhaupt eine Chance, sich wegen der Menschenrechtsverletzungen Peking-kritisch zu verhalten?


/Ischinger: China ist ein wichtiger wirtschaftlicher Partner für Deutschland – daran besteht kein Zweifel. Um möglichen wirtschaftlichen Druck abzumildern, ist es daher umso wichtiger, dass sich die EU zusammentut und eine gemeinsame, kohärente China-Politik entwickelt. Diese muss neben Wirtschaft und Handel auch Themen wie Technologie, Sicherheit und Menschenrechte umfassen. Außerdem sollte sich die EU mit Blick auf China eng mit den USA koordinieren. Dabei wird eine klare Stellungnahme zu den Menschenrechtsverletzungen von großer Bedeutung sein. Diese kann dann auch Wirkung zeigen, wenn die transatlantischen Partner mit einer Stimme sprechen.

04.05.2021

Abzug aus Afghanistan
Die NATO beendet ihren 20-jährigen Krieg am Hindukusch und lässt ihr Einsatzgebiet in katastrophalem Zustand zurück.

german-foreign-policy. com, 4. Mai 2021

BERLIN/KABUL (Eigener Bericht) - Begleitet von neuen Schutzmaßnahmen und von ernsten transatlantischen Differenzen hat der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan begonnen. Der erste große Militäreinsatz der Bundeswehr außerhalb Europas ist komplett gescheitert: War die Entsendung der deutschen Soldaten Ende 2001 noch von hehren Ankündigungen begleitet worden ("Frieden", "Menschenrechte"), so kehren sie nun aus einem desaströs verelendeten, von Gewalt geprägten und im Bürgerkrieg versinkenden Land heim. Zum Schutz ihres Abzuges musste eigens noch ein Mörserzug an den Hindukusch geflogen werden. Zuvor hatte die Biden-Administration ihre Verbündeten mit einem neuen Alleingang bei der Entscheidung über die Beendigung des Einsatzes düpiert. Seit dem vergangenen Wochenende gilt die Zusage der Taliban nicht mehr, dem Westen - erstmals in der Geschichte des Landes - freies Geleit einzuräumen; auch ihre Zusage, die westlichen Militärbasen vor Angriffen anderer afghanischer Milizen zu schützen, ist abgelaufen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt: "Wir verlassen Afghanistan mit Stolz."


Transatlantische Verstimmungen

Dem Abzugsbeginn waren erhebliche transatlantische Verstimmungen vorausgegangen. Hatte der damalige US-Präsident Donald Trump die verbündeten westlichen Mächte vor den Kopf gestoßen, als er nach dem Abschluss eines Abkommens zwischen den USA und den Taliban am 29. Februar 2020 immer wieder Truppen im Alleingang reduzierte, so hatten speziell die Staaten Westeuropas nach dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden auf einen Kurswechsel in Washington gehofft. Biden hatte den Abzug dann tatsächlich zunächst gestoppt und angekündigt, ihn einer sorgfältigen "Revision" unterziehen zu wollen. Das war als Einwilligung in die Forderungen der meisten anderen NATO-Staaten verstanden worden, den Taliban vor dem endgültigen Abzug noch so viele Zugeständnisse wie möglich abzuverlangen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg etwa hatte nach Bidens "Revisions"-Ankündigung immer wieder betont, das Kriegsbündnis werde seine militärische Präsenz am Hindukusch nur beenden, sofern die Taliban Bedingungen erfüllten. Auch Außenminister Heiko Maas äußerte im März, man sei sich "in der Sache einig, nämlich dass wir einen 'condition-based' Abzug wollen". Die europäischen NATO-Staaten schienen sich damit durchgesetzt zu haben.[1]


Verbündete düpiert

Von Bedingungen hat die Biden-Administration jedoch Mitte April in einem neuen Kurswechsel Abstand genommen - dies ganz wie die Trump-Regierung, ohne die verbündeten Staaten vorab auch nur zu konsultieren. Das hat nicht nur zu weiteren Verstimmungen in Deutschland, anderen EU-Staaten und der NATO geführt, sondern auch die Bundeswehr in Nöte gestürzt: Sie hatte für ihren Abzug ursprünglich - "lehrbuchmäßig", wie es heißt [2] - drei Monate veranschlagt, muss nun jedoch um einiges schneller vorgehen, weil die Vereinigten Staaten ihren eigenen Abzug schon am 4. Juli, ihrem "Unabhängigkeitstag", abschließen wollen. Nicht klar ist, ob es der Bundeswehr gelingt, bis dahin all ihr Material aus Afghanistan abzutransportieren. Ursache ist, dass womöglich zu wenig Transportflugzeuge zur Verfügung stehen. Die einst verfügbare Option, Militärmaterial auf dem Schienenweg über russisches Territorium aus dem Land zu bringen, steht heute wegen der Eskalation des Machtkampfs gegen Russland nicht mehr zur Verfügung. Sollte die Zeit für den Abtransport nicht ausreichen, müssen Teile des Materials möglicherweise vor Ort zerstört werden, um es nicht den Taliban oder auch anderen feindlichen Milizen in die Hände fallen zu lassen.[3]


Berlins "große Ordnungsidee"

Mit dem Abzug endet ein Einsatz, der vor fast 20 Jahren mit hehren Ankündigungen und mit einer höchst bemerkenswerten Selbstgewissheit gestartet wurde. Es müsse beim Neuaufbau nach dem militärischen Sieg über die Taliban darum gehen, "den tragischen Konflikt in Afghanistan zu beenden und die nationale Aussöhnung, einen dauerhaften Frieden, Stabilität und die Achtung der Menschenrechte im Lande zu fördern", hieß es Petersberger Abkommen vom 5. Dezember 2001. Das Abkommen, das Afghanistans Übergang zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild regeln sollte, war auf einer von der Bundesregierung organisierten Konferenz auf dem Petersberg nahe Bonn geschlossen worden; Berlin hatte entsprechend von Beginn an eine führende deutsche Rolle bei Afghanistans bevorstehendem Wiederaufbau im Visier. Es bestehe "jetzt die große Chance, diesen Krieg beziehungsweise Bürgerkrieg dauerhaft zu beenden" - ja, "zum inneren Frieden und zur Stabilisierung der gesamten Region" beizutragen, erklärte Außenminister Josef Fischer.[4] Fischer versuche als erster deutscher Außenminister, "zur Befriedung des Krisenbogens zwischen Palästina und Kaschmir ... in einer Hauptrolle beizutragen", hieß es damals in einem Kommentar; als "Mittler mit der großen Ordnungsidee" agiere er "unter keinem geringeren Gesichtspunkt als dem einer 'Weltordnung'", die "nun zu schaffen" sei.[5]


In Containern

Knapp 20 Jahre später sind die hochfliegenden Pläne komplett gescheitert. Afghanistan befindet sich, was die Lage der Bevölkerung, die Gewalt und die politischen Perspektiven angeht, in einem katastrophalen Zustand (german-foreign-policy.com berichtete [6]), der auch die deutsche Präsenz am Hindukusch prägt. So wird die Arbeit des deutschen Generalkonsulats in Masar-i-Sharif seit einem Anschlag im Jahr 2016 nur noch innerhalb des nahe der Stadt eingerichteten deutschen Militärlagers weitergeführt; nach dem Abzug der deutschen Soldaten wird sie eingestellt. Auch die deutsche Botschaft in Kabul wurde schon vor Jahren, 2017, bei einem Anschlag zerstört; seither arbeiten "der deutsche Botschafter und sein politischer Stab", heißt es in einem Bericht, "in Containern auf dem Gelände der stark gesicherten amerikanischen Botschaft".[7] Als vergangene Woche Außenminister Maas nach Afghanistan reiste, um mit der dortigen Regierung über den bevorstehenden Abzug zu sprechen, wurde er mit einem explizit gegen Raketenbeschuss gesicherten Transportflugzeug A400M nach Kabul sowie vom dortigen Flughafen mit einem US-Hubschrauber zu den hochgesicherten Regierungsgebäuden geflogen. Die afghanische Hauptstadt mit gepanzerten Fahrzeugen zu durchqueren gilt schon lange als viel zu gefährlich.[8]


Der "Taliban-Schutzring"

Entsprechend sieht sich die Bundeswehr genötigt, ihren Abzug mit besonderen Schutzmaßnahmen abzusichern, und hat dazu nun eigens einen Mörserzug nach Afghanistan entsandt. Das US-Abkommen mit den Taliban vom 29. Februar 2020 sah den 30. April als endgültiges Abzugsdatum für die westlichen Truppen vor; es herrscht die Befürchtung, die Taliban könnten nun zu Attacken auch auf deutsche Soldaten und das Militärlager in Mazar-i-Sharif übergehen. Dass es seit der Unterzeichnung des US-Abkommens mit den Taliban nicht mehr zu gravierenden Angriffen auf westliche Militärlager kam, liegt laut Berichten an einem geheimen Anhang zu der Vereinbarung: Demnach haben die Taliban nicht nur zugesichert, keine westlichen Truppen mehr zu bekämpfen, sondern nur noch einheimische Ziele; sie haben auch zugesagt, westliche Militärlager vor Überfällen anderer Milizen zu schützen, so etwa des afghanischen Ablegers des IS: Von einem "Taliban-Schutzring" ist die Rede.[9] Auch diese Zusicherung ist allerdings seit dem Wochenende hinfällig. Stattdessen haben die Taliban, wie berichtet wird, begonnen, die westlichen Stützpunkte locker einzukreisen. Ob sie noch vor dem Abzug angreifen oder nur danach die geräumten Militärbasen übernehmen wollen, ist nicht klar.


"Alle Aufträge erfüllt"

Während weithin Konsens über das Scheitern des 20-jährigen NATO-Krieges am Hindukusch herrscht, findet die deutsche Verteidigungsministerin lobende Worte. "Wir verlassen Afghanistan mit Stolz", erklärt Annegret Kramp-Karrenbauer: "Wir haben alle Aufträge erfüllt, die uns vom Parlament gegeben wurden."[10]

 

[1], [2] Thomas Gutschker, Christian Meier, Majid Sattar: Augen zu und raus. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2021.

[3] Früherer Afghanistan-Abzug? Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.04.2021.

[4] Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Joschka Fischer, zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386, 1383 und 1378 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vor dem Deutschen Bundestag am 22. Dezember 2001 in Berlin.

[5] Der Mittler mit der großen Ordnungsidee. Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.10.2001.

[6] S. dazu Bilanz von 18 Jahren.

[7] Helene Bubrowski, Peter Carstens, Johannes Leithäuser: Schnell raus nach Jahrzehnten? Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.04.2021.

[8] Deutschland hofft weiter auf Einfluss. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.04.2021.

[9] Die Nato zieht ab, die Taliban greifen an. Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.05.2021.

[10] Bundeswehr plant Beendigung des Einsatzes Resolute Support in Afghanistan. bmvg.de 22.04.2021.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8588   

03.05.2021

Klimaschutz: Die Befreiung der Freiheit

zeit.de, Ein Kommentar von ,  vom 30. April 2021, 12:39 Uhr  (835 Kommentare)

In Karlsruhe wurde das höchste Gut der Gesellschaft neu definiert: die Freiheit. Ökologisch blinder Liberalismus, nur aufs eigene Wohl bedacht, ist gegen das Grundgesetz.


Zitat: Dann hat die ökologische Revolution also begonnen, das musste ja irgendwann passieren. Aber dass der revolutionäre Funke ausgerechnet von jenen schnöden Flachdachbauten in Karlsruhe ausgeht, in denen das Bundesverfassungsgericht sitzt, das überrascht dann doch ein wenig.


Worin besteht diese Revolution? Gewiss nicht darin, dass die Richterinnen und Richter ein Urteil zum Klimaschutz gefällt haben, in dem sie die Bundesregierung dazu verpflichten, bei ihrem kümmerlichen Klimapaket nachzubessern. Nein, gestern in Karlsruhe ist etwas ganz anderes passiert – da wurde der höchste Wert, den diese Gesellschaft hat, neu definiert: die Freiheit.

"Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen." Ja, so klingt das, wenn Juristinnen Revolution machen. Man muss das übersetzen und ausdeuten. Gemeint ist Folgendes: Wenn in der Gegenwart zu wenige CO2-Emissionen eingespart werden, dann müssen die Künftigen, also die Jüngeren, überproportional viele Reduktionslasten tragen, was ihre Freiheiten einschränkt und dem Grundgesetz widerspricht. Noch kürzer: Folgenblinder Freiheitsgebrauch heute reduziert Freiheiten von morgen.


Mehr zum Thema:

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Darin liegt zunächst einmal etwas zutiefst Trauriges, auch das soll hier nicht verschwiegen werden. Denn als der Klimaschutzartikel, auf den sich das Gericht hier beruft, 1994 ins Grundgesetz geschrieben wurde, da dachte man noch gemeinhin, die Klimakrise läge in ferner Zukunft, man dachte an zukünftige Generationen, also an Menschen, die noch nicht geboren waren. Heute, knapp dreißig Jahre später, ist die Klimakrise da und die Hauptbetroffenen sind keine Ungeborenen, sondern junge Erwachsene, sie sind kein stummer Vorwurf aus der Zukunft, sondern klagen lautstark und selbstbewusst vor dem Bundesverfassungsgericht. Und weil sich die Klimakrise so verschärft hat, weil die Maßnahmen, um sie zu lindern, so dringend geworden sind, können, ja müssen nun messbare Werte gegeneinander abgewogen werden. In der Lesart der Richterinnen: Es gibt noch ein klar begrenztes CO2-Budget, und das muss zwischen den Generationen fair verteilt werden. Man kann das nachrechnen und das Gericht wird es tun, so lautet die klare Drohung an die Regierung.


Was das Gericht nicht gesagt hat: Die Jüngeren werden doppelt um ihre Freiheit betrogen. Denn sie müssen, wenn es in etwa so weitergeht wie bisher, nicht nur mehr und drastischere Reduktionslasten schultern, um die Klimakrise zu begrenzen, sondern auch die immer schlimmeren Folgen der Klimakrise selbst bewältigen. Eines darf man dabei schließlich nicht vergessen: Wenn es doch gelingen sollte, die Erwärmung bei 1,5 Grad zu begrenzen, so bedeutet das gleichwohl nicht die Abwendung der Klimakrise, sondern lediglich die leidliche Lebbarkeit dieser Krise. Auch 1,5 Grad ist Klimakrise. Die Jüngeren werden nach 2030 schon auch eine Wahl haben, aber oft nur noch zwischen Szylla und Charybdis.


Auch wenn Karlsruhe das alles nicht vollständig ausbuchstabiert, im Kern haben sie dort die Revolution des Freiheitsbegriffs vollzogen, ihn vom 20. ins 21. Jahrhundert gehoben. Freiheit ist nun nicht mehr nur etwas, das man lebt und gegen den Staat geltend machen kann, Freiheit ist nun auch etwas, das man materiell und physisch verbrauchen kann. Und nicht darf.


Um es konkret zu machen: Über das eigene CO2-Budget hinaus zu leben, sei es durch unterlassenen Ausbau regenerativer Energien oder durch einen unverantwortbar in die Länge gezogenen Kohleausstieg, durch rücksichtslose Ernährung oder durch überflüssiges Autofahren, schadet nicht nur irgendeiner anonymen Umwelt, sondern raubt den Jüngeren Freiheiten, Optionen, Wahlmöglichkeiten, Fehlertoleranz.


Zu wenig Klimaschutz ist illiberal

Mit dieser Lesart und dieser Rechtsprechung stellt das Gericht eine bestimmte Ausfassung von Freiheit außerhalb des Grundgesetzes. Nämlich jene, die den gegenwärtigen und gewohnten Gebrauch von Freiheit für sakrosankt erklärt und all diejenigen, die diesen um der Zukünftigen Willen begrenzen wollen, als Freiheitsfeinde denunziert. Weil sie künftige Freiheit gegen heutige in Anschlag gebracht haben, würde unterstellt, sie seien an Freiheit gar nicht interessiert. Nun kehrt sich das um: Nicht Klimaschutz gefährdet die Freiheit – zu wenig Klimaschutz ist illiberal. Selbstverständlich wird dieser ökologisch blinde Liberalismus das auch nach dem Urteil weiter so treiben, es wird auch künftig über unterstellte Gesinnung statt über reale Emissionen geredet – es würde einem sonst auch was fehlen –, nur widerspricht es nun eben dem Geist des Grundgesetzes.


Im Grunde stellt dieses Urteil eine Modernisierung und zugleich Befreiung der Freiheit dar. Denn die hatte sich in Teilen verirrt und verrannt. Zu sehr wurde sich an den Verbrauch von Natur und an das Emittieren gekettet, der Fallout dieser Art von Freiheit war der Zwang – immer mehr, kumulativ, zuweilen exponentiell, oft irreversibel. Man hat Freiheit mit Gewohnheit verwechselt, Gewohnheit mit Anspruch und Anspruch mit Recht. So verkam unter der Hand die universelle Freiheit zu einer Art fossilem Feudalismus: Sonderemissionsrechte wurden de facto in Anspruch genommen, vergeben durch das Geburtsdatum, ein Zerstörungsprivileg der Älteren auf Kosten der Jüngeren.


Nun kann sich die Freiheit befreien von ihrer Bindung an den exzessiven Naturverbrauch und von ihrer Ausbeutung anderer und Späterer, sie wird sich, soweit möglich, entmaterialisieren, dekarbonisieren und, nicht zuletzt, von ihrem schlechten Gewissen befreien, das oft als schiere Aggression gegen die Überbringerinnen der schlechten ökologischen Nachrichten ausgelebt wurde.


Eigentlich ist das alles nichts Neues, weil ja immer klar war, dass die eigene Freiheit da endet, wo die Freiheit des anderen beginnt. Dieses Prinzip wird halt nur in einer anderen geschichtlichen Situation neu gewendet. In einer ökologisch begrenzten Welt endet meine Freiheit auch bei der Atemluft und dem Trinkwasser des anderen, bei seinem Anspruch auf gleich gesunde und gleich freiheitsermöglichende, gewissermaßen liberale Lebensgrundlagen. Freiheit heißt künftig eben auch, den anderen nicht die Folgen der eigenen Lebensweise aufzudrängen.


Die philosophischen Weiterungen dieser Neudefinition von Freiheit sind noch nicht absehbar, die politischen schon eher. Das Gericht hat das Pariser Abkommen, einschließlich eines 1,5-bis-2-Grad-Pfades für verfassungsrechtlich verbindlich erklärt. Im Wahlkampf müssen nun alle Parteien ihren Weg zu diesem Ziel sehr genau beschreiben. Armin Laschet beispielsweise hat kürzlich in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Anspielung auf Markus Söders ökologische Vorstöße gesagt, man solle den Grünen so wenig hinterherlaufen wie der AfD. Wohlan, nun kann er zeigen, wie genau er dem Grundgesetz hinterherzulaufen gedenkt, wie er die Freiheit unserer Kinder garantieren möchte.


Gestern war – halleluja – ein richtig guter Tag für die Freiheit.


Info:  https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-04/karlsruhe-bundesverfassungsgericht-klimaschutz-urteil-grundgesetz-freiheit/komplettansicht   


Kommentar: Bei aller Richtigkeit dem Klimaschutz den erforderlichen Verfassungsrang einzuräumen, birgt die damit verbundene Entscheidungsvollmacht für die Politik der Regierenden auch die Gefahr, dass jetzt leichter Freiheiitsrechte der Gesellschaft einzuschränken sind, wenn es opportun erscheint.  In Fortsetzung der Grundgesetzeinschränkungen  die gegenwärtig noch als pandemiebedingt gelten, werden diese ab nun auch mit dem Umweltschutz begründbar sein, auf dem Weg hin zu einem Great Reset.   Thomas Bauer

03.05.2021

KRiStA  -  Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte

                                                                        Über uns

Wer sind wir? Wir sind ein Netzwerk von Richtern und Staatsanwälten*, die das politische Handeln und das Handeln der Gesetzes- und Verordnungsgeber in der Corona-Krise aus rechtsstaatlicher Sicht mit großer Sorge beobachten. Wir setzen uns ein für das Grundgesetz und die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dabei vertreten wir unsere private Meinung. Wir sind politisch neutral und grenzen uns ausdrücklich ab von jedweder extremen Strömung.


Was sind unsere Ziele?  Wir wollen ein Signal für die Bevölkerung setzen, dass die Entwicklungen seit März 2020 auch von uns Praktikern mit ausgewiesener juristischer Expertise mit großer Sorge verfolgt und verfassungsrechtlich für zumindest sehr bedenklich gehalten werden.

Wir fordern eine faktenbasierte, offene, pluralistische und sachliche Diskussion juristischer Fragestellungen der Corona-Krise.

Das Netzwerk tritt besonders ein für Rechtsstaatlichkeit und für die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Längerfristig, über die Corona-Krise hinaus, wollen wir gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und der Politik Lösungen für bedeutsame Probleme der Justiz entwickeln. Zentral hierbei ist die Forderung der wirklichen Unabhängigkeit der Justiz im Rahmen der Gewaltenteilung.


Hinweis: Keine Rechtsberatung durch das Netzwerk Auf Grund der vielen – verständlichen – Anfragen möchten wir auf Folgendes hinweisen: Unsere Aufgabe sehen wir zu einem erheblichen Teil darin, zu den aktuellen Sach- und Rechtsfragen fundierte Stellungnahmen in grundlegender Form für die Allgemeinheit zu erarbeiten und auf unserer Website zu veröffentlichen. Diese Arbeit wird demnächst sichtbarer werden. Rechtsberatung hingegen darf das Netzwerk nicht vornehmen. Wir bitten Sie daher, sich bei konkreten Rechtsfragen an eine Rechtsanwaltskanzlei zu wenden. Wegen der Vielzahl können wir auch nicht auf diese Anfragen persönlich antworten. Wir bitten um Verständnis.


Info: https://netzwerkkrista.de



Weiter:   



Apr 27 2021


Aufsatz: Corona-Maßnahmen vor dem Familiengericht – eine ungewöhnliche Entwicklung


Die Maßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2 sind nun bereits seit über einem Jahr allgegenwärtig und machen auch vor den Kindschaftssachen nicht halt. In der Regel lassen sich die zugrunde liegenden Fragen mit dem altbekannten familienrechtlichen Instrumentarium gut bewältigen, insbesondere sachlich und am Kindeswohl orientiert. Umso erstaunlicher sind die aktuellen Vorgänge rund um zwei familiengerichtliche Entscheidungen[1], …


Apr 26 2021

Justiz mit offenem Visier


Zur Frage von Masken in der Gerichtsverhandlung Von Dr. Manfred Kölsch und Oliver Nölken Zur Bekämpfung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und seiner zwischenzeitlich aufgetretenen Varianten ist das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen (MNB) oder sogar von medizinischen Masken in fast allen Lebensbereichen zur Pflicht erklärt worden. Die einschlägigen Vorschriften in den Corona-Verordnungen der Länder gelten grundsätzlich auch …


Apr 12 2021

Eine Stellungnahme zur geplanten Änderung des Infektionsschutzgesetzes


„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ (Art. 20 Abs. 1 GG) Dem Netzwerk KRiStA wurde dieser Tage eine „Formulierungshilfe der Bundesregierung für die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD“ zum dort vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes zugeleitet. Da sich der Entwurf und dessen Inhalt mit den in der Tagespresse …


Apr 11 2021

Pressemitteilung #2/21: Gericht ordnet Rückkehr zur Normalität an Schulen an – Netzwerk KRiStA begrüßt „Paukenschlag von Weimar“


Das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA) begrüßt die Entscheidung des Amtsgerichts Weimar zur Rückkehr zur Normalität an Schulen. Mit Beschluss vom 08.04.2021 (Aktenzeichen: 9 F 148/21) hatte das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung Lehrern, Schulleitungen und weiteren Vorgesetzten einer Regelschule und einer Grundschule untersagt, die Schüler zum Tragen von Masken, zum Einhalten von …


Apr 10 2021

WIR SAGEN DANKESCHÖN!


Die Gründung des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte wird begeistert aufgenommen. Uns erreichen viele Zuschriften. Die Menschen zeigen sich erleichtert, dass nun auch aus Kreisen der Justiz deutlich wird, dass die Corona-Eindämmungsmaßnahmen zumindest in erheblichen Teilen für verfassungsrechtlich unzulässig gehalten werden. Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich für die zahlreichen wohlgesonnenen Botschaften bedanken! Ein …


Mrz 19 2021

Landtag Brandenburg: Untersuchungsausschuss zur „Untersuchung der Krisenpolitik der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und der Erkrankung COVID-19“ (UA 7/1)


Der Landtag hat am 23. September 2020 auf Antrag von 23 Abgeordneten (Drucksache 7/1991) gemäß Artikel 72 Absatz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg in Verbindung mit § 2 Absatz 1 sowie § 3 Absatz 4 des Untersuchungsausschussgesetzes einen Untersuchungsausschuss zur „Untersuchung der Krisenpolitik der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und der Erkrankung COVID-19“ (UA 7/1) …


Mrz 17 2021

Great Barrington Declaration vom 4. Oktober 2020


Die Great Barrington Declaration (Great Barrington Erklärung) ist ein Dokument, das verfasst wurde von Professor Dr. Martin Kulldorff (Harvard University), Professor für Medizin, Biostatistiker und Epidemiologe, Professor Dr. Sunetra Gupta (Oxford University), Epidemiologe mit Expertise in Impfstoffentwicklung und mathematischer Modellierung von Infektionskrankheiten und Professor Dr. Jay Bhattacharya (Stanford University Medical School), Physiker, Epidemiologe und Gesundheitsökonom, …


Mrz 17 2021

Oliver Nölken im Interview mit Ingo Hoppe


Oliver Nölken, Sprecher der Netzwerk KRiStA zu Gast bei Ingo Hoppe im rbb. Das vollständige Interview mit Oliver Nölken finden Sie hier:


Mrz 12 2021

Interview in der WELT vom 12. März 2021

Dr. Pieter Schleiter, Vorstandsmitglied von KRiStA, im Interview vom 12. März 2021 mit Andreas Rosenfelder, Ressortleiter Feuilleton der WELT, über die Verfassungswidrigkeit des Regierungshandelns und über unser Netzwerk


Mrz 11 2021

Den Rechtsstaat verteidigen – Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte gegründet


In einer Online-Gründungsversammlung haben sich Richter und Staatsanwälte aus dem gesamten Bundesgebiet zum Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA) zusammengeschlossen. Die Initiative entstand aus einem seit Mitte Januar bestehenden gleichnamigen Diskussionsforum im Internet. Das Netzwerk setzt sich kritisch mit den seit fast einem Jahr bestehenden Maßnahmen und Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auseinander. Es tritt …


Feb 16 2021

Interview: Andreas Dorfmann im Gespräch mit Dr. Pieter Schleiter zur Verfassungsbeschwerde bezüglich der Corona-Maßnahmen.


Die Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern werden seit rund einem Jahr mit einer pandemischen Lage begründet. Zur Eindämmung von Sars-CoV-2 gibt es viele Verordnungen, die laut einer wachsenden Anzahl von Gegnern, gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Der Brandenburger Jurist Dr. Pieter Schleiter, der als Richter am Landgericht Berlin arbeitet, hat deshalb beim Bundesverfassungsgericht …


Jan 14 2021

Podcast Carlos A. Gebauer, Burkhard Müller-Ullrich und Dr. Pieter Schleiter

Dr. Pieter Schleiter, Richter am Landgericht Berlin, erörtert seine beim Bundesverfassungsgericht erhobene Beschwerde gegen diverse Corona-Verordnungen und Maßnahmen im Gespräch mit dem Düsseldorfer Rechtsanwalt und Publizisten Carlos A. Gebauer und Burkhard Müller-Ullrich. Zum anhören klicken sie hier.


Jan 01 2021

Bundestagsdrucksache vom 3. Januar 2013: Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“

Eine pandemische Lage, wie die Welt sie durch das Sars-CoV-2-Virus gegenwärtig erlebt, stand dem RKI, der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag bereits im Jahr 2013 als durchaus mögliches Szenario vor Augen. Bereits am 3. Januar 2013, etwa sieben Jahre vor der gegenwärtigen Pandemie, unterrichtete die Bundesregierung den Deutschen Bundestag in dem umfassenden und detaillierten 88-seitigen …


Dez 31 2020

Verfassungsbeschwerde Dr. Pieter Schleiter


Die Verfassungsbeschwerde finden Sie hier zum DOWNLOAD. Sieben wichtige Aussagen der Verfassungsbeschwerde: 1.               Die Corona-Verordnungen der Bundesländer – hier Berlin und Brandenburg – verstoßen gegen den Parlamentsvorbehalt, wie diverse Gutachten von Professoren öffentlich-rechtlicher Lehrstühle belegen. Selbst ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 2. April 2020 kommt zu diesem Ergebnis, auch wenn es gegenüber …


Info:  https://netzwerkkrista.de/news



Kommentar:  Möge sich das von vorgesetzten Stellen in diesen Tagen diskret angemahnte "Mäßigungsgebot " auf Richter und Staatsanwälte, nicht einschränkend auf deren Urteilskraft auswirken.      Thomas Bauer

03.05.2021

Positionen der "Initiative 1bis19"

”Der Sinn von Politik ist Freiheit“

Hannah Arendt, Freiheit und Politik

Wer wir sind

1bis19 ist eine finanziell unabhängige und überparteiliche Initiative zur Förderung der demokratischen Kultur und öffentlichen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland. Unsere Mitglieder sind in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft tätig und bilden politisch-weltanschaulich die gesamte Breite des demokratischen Spektrums ab. Uns verbinden die Leidenschaft und der gemeinsame Einsatz für die politische Freiheit, für Grundrechte, demokratische Vielfalt und Rechtsstaatlichkeit.


Wir engagieren uns für einen erneuerten Konsens der demokratischen Kräfte in unserem Land: Auseinandersetzungen müssen in Achtung konträrer Meinungen und Weltanschauungen geführt werden. Sie sind mit Erziehungs- oder moralischen Überlegenheitsansprüchen gegenüber Andersdenkenden nicht vereinbar. Die Anerkennung gegensätzlicher Meinungen bildet den Kern der Demokratie.


Was uns bewegt

Wir sind der Überzeugung, dass die in den ersten 19 Artikeln des Grundgesetzes festgehaltenen Grund- und Freiheitsrechte zu jedem Zeitpunkt größtmögliche Geltung haben müssen. Das gesundheitliche Schutzbedürfnis darf in einer demokratischen Gesellschaft nicht alle anderen Werte überragen. Neben den Freiheiten der Einzelnen wird durch einseitiges Sicherheitsdenken auch das institutionelle Gefüge des Staates und die politische Freiheit aller aufs Spiel gesetzt. Der Wertewandel in unserer Gesellschaft zugunsten der Sicherheit hat schon vor vielen Jahren begonnen. Das Corona-Geschehen hat jedoch besonders deutlich gemacht, wie leicht die Grundfesten einer Demokratie ins Wanken geraten, wenn über ihre politischen und ethischen Voraussetzungen keine Klarheit mehr besteht.


Die Einschränkung von Grundrechten bedarf der Legitimation
Grundrechtseinschränkungen und Notstandsmaßnahmen schienen zu Beginn der Corona-Pandemie vielleicht angemessen und somit nachvollziehbar. Inzwischen dauern sie teilweise seit Monaten an, ohne dass die Regierung einen Plan für die Wiederherstellung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Handlungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger vorgelegt oder die Parlamente des Bundes und der Länder einen solchen eingefordert hätten. „Lockerungen“ erfolgen selten ohne Androhung der Verschärfung bei steigenden Infektionszahlen. Das übt ein Verhalten ein, bei dem der Gebrauch von Freiheitsrechten in erster Linie als Gesundheitsrisiko wahrgenommen wird und daher zunehmend als begründungspflichtig erscheint. Der Staat hat jedoch Freiheitsrechte nicht gönnerhaft zu gewähren, er hat ihren Bestand zu gewährleisten. Grundrechtseinschränkungen müssen die Ultima Ratio des Regierungshandelns bleiben. Die Begründungspflicht für Einschränkungen liegt beim Staat. Die Verfügbarkeit milderer Mittel muss laufend und immer wieder neu überprüft werden.


Die Gesetzesgrundlage der Maßnahmen ist problematisch
Mit den Änderungen des Infektionsschutzgesetzes vom März 2020 hat der Bundestag de facto eine Art „graues“ Notstandsgesetz geschaffen. Es ermächtigt das Bundesgesundheitsministerium auch für die Zukunft dazu, im Fall einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ weitgehend per Verordnung zu regieren und dabei verfassungsmäßig geltende Rechte sowie Bundes- und Landesgesetze ohne Kontrolle durch andere Instanzen einzuschränken. Es gefährdet damit die Normenhierarchie der Bundesrepublik.


Die Gewaltenteilung muss gewahrt bleiben
Die Volksvertreterinnen und Volksvertreter in den Parlamenten sind nicht der Regierung, sondern allein ihrem Gewissen verpflichtet. Sie haben die Aufgabe, die Vereinbarkeit von Regierungsmaßnahmen mit dem Grundgesetz zu prüfen und eine eigene Einschätzung als Gesetzgeber zu treffen. Einschränkungen von Grundrechten auf dem Verordnungsweg erfordern eine zeitnahe Überprüfung durch die Parlamente. Eine systematische parlamentarische Aufarbeitung des Corona-Geschehens darf daher nicht länger hinausgezögert werden. Sie allein kann für den Umgang mit künftigen Krisenfällen verlässliche politische Leitlinien liefern.


Gravierende Gesetzesänderungen bedürfen der demokratischen Debatte
Der Rückzug der Legislative von ihrer Aufsichts- und Lenkungsfunktion fand nicht die gebotene öffentliche Aufmerksamkeit. Stattdessen werden in der öffentlichen Diskussion viele an den Pranger gestellt, die das Regierungshandeln hinterfragen oder die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen bezweifeln.


Die Medien müssen ausgewogen informieren und berichten
Eine ausgewogene Berichterstattung durch die öffentlich-rechtlichen Medien ist unerlässlich für den Erhalt der Demokratie. Statt investigativ zu recherchieren und der Vielfalt der kritischen Stimmen Raum zu geben, sind die Leitmedien dem Corona-Narrativ der Regierung anfangs weitgehend gefolgt. Sie haben damit ihre Aufgabe der unabhängigen Berichterstattung im Sinne einer vierten Säule der Demokratie nicht erfüllt.


Einseitigkeit schadet dem wissenschaftlichen Erkenntnisprozess
Dem Robert Koch-Institut, einer weisungsgebundenen Behörde des Gesundheitsministeriums, wurde die Deutungshoheit über das gesamte Krankheitsgeschehen und seine gesellschaftlichen Auswirkungen übertragen. Die sachlich gebotene Einbeziehung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wurde auf Epidemiologie und Virologie beschränkt. Abweichende wissenschaftliche Meinungen und medizinische Einschätzungen werden kaum gehört. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess, der mühselig und langwierig ist, wird durch vermeintlich objektive Wahrheiten ersetzt, die auf einer selektiven Datengrundlage und einseitigen methodischen Präferenzen beruhen. Insofern stellt das Geschehen der vergangenen Monate auch eine Krise der Wissenschaft selbst dar.


Politik muss mehr sein als bloßes Krisenmanagement
Gesundheitsschutz ist unerlässlich und im Krisenfall muss schnell reagiert werden. Eine Sofortreaktion rechtfertigt aber nicht die dauerhafte Einschränkung von Freiheitsrechten und die Isolierung ganzer Bevölkerungsgruppen, schon gar nicht gegen den Willen der „Geschützten“ (beispielsweise in Altersheimen oder Flüchtlingsunterkünften). Es bedarf einer politischen und gesamtgesellschaftlichen Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und der damit verbundenen Abwägung zwischen Rechtsgütern. Ein Gemeinwesen, das den Gesundheitsminister für den Krisenfall zum faktischen Regierungschef macht und die Überwachung des engsten Privatbereichs der Bürger als angemessen betrachtet, schafft politische Strukturen, die jederzeit missbraucht werden können.


Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Grundlagen unserer Demokratie und eine offene Diskussion über ihre Zukunftsperspektiven.


Was wir tun

  • Wir setzen uns für die parlamentarische und außerparlamentarische Aufarbeitung des Corona-Geschehens ein.
  • Wir sammeln, prüfen und teilen Informationen zur rechtlichen, medizinischen, politischen und philosophischen Diagnostik des Zeitgeschehens.
  • Wir veranstalten Salons zur Förderung demokratischer Diskussionskultur.
  • Wir organisieren und unterstützen Veranstaltungen zur politischen Bildung.
  • Durch künstlerische Aktionen machen wir auf unsere Anliegen aufmerksam.
  • Wir ermöglichen den bundesweiten Austausch zu Sachthemen.
  • In Regionalgruppen fördern wir die basisdemokratische Begegnung der Bürgerinnen und Bürger.
  • Wir erstellen Analysen zu einzelnen Aspekten der politischen und rechtlichen Lage der Demokratie.


Info: https://initiative.1bis19.de/positionen         

02.05.2021

Leserbrief am 2.5.21 zum HAZ-Artikel „Klatsche aus Karlsruhe für deutsche Klimapolitik“ vom 30.4.21

Wollen und Können

Es grünt so grün - diese Melodie hören wir tagaus - tagein spätestens seit dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015.


Regierungen, Parteien und Unternehmen überbieten sich mit ihren Klimazielen und wie aus dem Zauberkasten heraus soll schon 2035 und spätestens 2050 die Klimaneutralität hergestellt sein. Mit einem unerschüttlichen Markt- und Staatsvertrauen, mit marktorientierten Instru-menten und mit neuen klimafreundlichen Technologien soll das Wunder vollbracht und das Klimaziel von 1,5 Grad erreicht werden.


Wie können die Unternehmen aber massenhaft klimaneutral werden, obwohl die Autos immer mehr und größer werden? Wie kann die Klimaneutralität realisiert werden, obwohl die Wirtschaft wächst und wächst und dadurch immer mehr Treibhausgase ausgestoßen werden?
Die Antwort lautet: Es sind nur leere Versprechungen. Oder wie einige Ökonomen es formulieren: Es ist ein Ökobluff.


Auch der neue Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur deutschen Klimapolitik wird daran nichts ändern. Trotz großer Worte und gut gefüllter Werkzeugkästen lassen sich in unserem kapitalistischen System die Treibhausgase nicht auf das erforderliche Niveau senken. Obwohl der Klimaschutz für die Menschen und für die Unternehmen zur Überlebensfrage wird, treibt unsere profitorientierte Wirtschaftsweise die Klimaerwärmung und mit ihr die enormen Klimakatastrophen ständig voran.


Wir leben in einer Wirtschaft, in dem die Unternehmen konkurrenzfähig sein und für ihren Markterhalt den Profit, das ökonomische Wachstum und die Verwüstung der natürlichen Umwelt vorantreiben müssen. Jedes Unternehmen, das von diesen Regeln abweicht, geht seinem Untergang entgegen. Der gnadenlose Konkurrenzkampf auf den Märkten, sich aus-breitende Monokulturen, die enorme Artenvernichtung, das hohe Wachstum der Weltwirt-schaft und die zunehmende Abholzung der Tropenwälder sind nur einige Beispiele.


Da mit den marktwirtschaftlichen Instrumenten, mit staatlichen Ge- und Verboten und der CO2-neutralen Technologie die Kosten nach oben getrieben werden, haben in der Regel klimafreundlich produzierende Unternehmen auf den Märkten keine Chance.


Die Profitproduktion treibt, abgesehen von Krisen, Pandemien und Katastrophen, das wirt-schaftliche Wachstum und mit ihm die Klimaerwärmung voran. Was nutzen Effizienzver-besserungen, wenn dadurch der Verbrauch gesteigert und so erneut der CO2-Ausstoß erhöht wird (sogenannter Rebound-Effekt). Auch klimafreundliches Konsumverhalten ist keine Lö-sung, weil das Konsumentenverhalten mit dem Angebot und der Werbung durch die Unter-nehmen gesteuert und dadurch doch wieder das Klima geschädigt wird. Staatsgläubige setzen auf die Heilkräfte des Staates. Doch auch dies ist nicht die Rettung, weil der Staat mit der Kapitalismuskorrektur heillos überfordert ist und stark von den Unterneh-men und deren Lobbyismus beeinflusst wird. So sind die vom Staat vorgegebenen Jahres-emissionsmengen und Reduktionsmaßgaben, die die Einhaltung der Klimaziele realisieren sollen, löchrig wie ein Schweizer Käse und können jederzeit durch Ausgleichsmaßnahmen und Verlagerungen umgangen werden.


Mit systemkonformen Methoden ist daher der Klimawandel unmöglich zu bekämpfen. Die vorhandene Markt-, Staats- und Technikgläubigkeit ist keine Lösung. Die weitgehend wirkungslose, symbolische "Klimaneutralisierung" dient nur dazu, von der erforderlichen Systemveränderung abzulenken und weiterhin rücksichtslos die Treibhausgasemissionen voranzutreiben. Eine tiefgreifende Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft ist not-wendig. Eine "grüne Korrektur" der bestehenden Ordnung reicht nicht aus. Wenn wir die Klimakrise erfolgreich bekämpfen wollen, geht kein Weg an einer Abschaffung unserer kapitalistischen Wirtschaftsweise vorbei. Erforderlich ist der Aufbau einer bedürfnisorien-tierten, ökologischen und solidarischen Gesellschaft, in der die Klimaneutralität nicht nur gewollt, sondern auch realisierbar ist. Ein kapitalistisches System, das die Klimakrise selbst verursacht, verdient nicht zu überleben.


Alfred Müller Hildesheim

Info:  www.alfmueller.wordpress.com

02.05.2021

Die Tyrannei der Kleinlichkeit

rubikon.news, vom 01. Mai 2021, 15:59 Uhr, von Roland Rottenfußer

Spießertum, Tugendterror und eine neue Lust am Verbieten lassen die Freiräume der Bürgerinnen und Bürger immer weiter schrumpfen.


Zitat: Gesetz ist Gesetz? Okay, vielleicht geht es wirklich nicht ohne bestimmte Regeln, mit denen destruktives Fehlverhalten Einzelner verhindert werden soll. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Den Bürgern bleibt normalerweise ein ziemlich komfortabler Freiraum. In jüngster Zeit ist allerdings zunehmend Schluss mit lustig. In immer mehr Lebensbereichen werden Menschen von „ihrem Staat“, von Unternehmen und Serviceanbietern, aber auch von ganz normalen Mitbürgern gegängelt und eingeengt. Das Spektrum möglichen Verhaltens, das erlaubt ist, ohne sich einer Ermahnung oder Sanktionsdrohung auszusetzen, schrumpft rapide. Corona hat die Drangsalierungsdichte im öffentlichen Raum nochmals dramatisch erhöht. Und wo die Obrigkeit ausnahmsweise keine Vorschriften und Verbote setzt, versuchen uns Tugendwächter anderer Art in die von ihnen gewünschte Richtung zu steuern. Durch Ranken, Liken und Disliken sieht sich der Bürger andauerndem Bewertungsterror und aufdringlicher Verhaltensmanipulation ausgesetzt. Direkt oder indirekt folgt die Welt dem „chinesischen Weg“ eines Social Credit Systems. Intendiert ist die Abschaffung jeder Art von Fehlverhalten — in der Praxis bedeutet dies den Tod jeder Freiheit.


Der Ranking-Berater ist nicht ganz zufrieden mit seiner Klientin:

„Die meisten Ihrer Interaktionen begrenzen sich auf Ihren inneren Kreis. Und das sind hauptsächlich — entschuldigen Sie mich — Menschen aus unteren Schichten. Das gleiche gilt für den äußeren Kreis. Abgesehen von gegenseitigen 5-Sterne-Bewertungen aus dem Dienstleistungsbereich ist da nicht viel.“


Zu wenig Likes von zu minderwertigem Menschenmaterial — so kann das für Lacie nicht weitergehen. Schließlich will die adrette Vorstadt-Bewohnerin ganz nach oben auf der Scala der gesellschaftlich angesehenen Personen. Doch der Berater weiß Abhilfe:

„Also in Bezug auf Qualität könnten Sie ein wenig Hilfe gebrauchen. Idealerweise heißt das: gute Bewertungen von besseren Menschen — hohe Vierer. Wenn Sie hoch angesehene Leute beeindrucken, steigt Ihre Kurve, und das ist dann Ihr Boost.“


In der Folge „Abgestürzt“ der Netflix-Serie „Black Mirror“ erschaffen Dystopie-Genie Charlie Brooker und sein Regisseur Joe Wright eine faszinierende Zukunftswelt — so nah an Tendenzen der Gegenwart, dass es weh tut. Das hervorstechende Merkmal der dort gezeigten Parallelwelt ist: Jeder bewertet jeden — andauernd. Nach jeder Begegnung mit einem Mitmenschen bewerte ich diesen mit dem Smartphone auf einer Skala zwischen einem und fünf Punkten, woraufhin ich das Gerät wie einen Revolver auf ihn richte und „Enter“ drücke. Und natürlich bewertet er oder sie auch mich. Das Ranking-System errechnet daraus einen Durchschnittswert zwischen 1 und 5. War ich freundlich genug? Hilfsbereit? Wirkte ich sympathisch? Oder habe ich mein Gegenüber durch eine missmutige Ausstrahlung oder durch Nörgeln verstört?


Das Perfide an diesem System: Mithilfe eines Augenimplantats kann jedes Mitglied dieser dystopischen Gesellschaft das aktuelle „Ranking“ jedes seiner Mitmenschen sofort erkennen. Um den Kopf des anderen erscheinen dann ein Kreis und eine Zahl: 4,2 bei relativ beliebten Zeitgenossen oder auch nur 3,1 bei Versagern.

Dieses Verfahren führt notwendigerweise zu einem hohen Konformitätsdruck und dem andauernden krampfhaften Versuch, sich „beliebt zu machen“.

Lacie, grandios verkörpert von Bryce Dallas Howard, ist stets „scheißfreundlich“ und trägt auf ihrem Gesicht ein künstliches Lächeln spazieren. Häufig kichert sie hysterisch und Beifall heischend. Nachdem sie von ihrer Schulfreundin Naomi, einer „hohen Vier“, zu deren High Society-Hochzeit eingeladen wurde, hofft sie auf gute Bewertungen von guten Leuten und somit darauf, upgescaled zu werden. Dies würde es ihr auch ermöglichen, in eine exklusive Wohnanlage für „hohe Vierer“ umzuziehen.


Die Ranking-Apartheid

In der in „Abgestürzt“ gezeigten Zukunftswelt geht es nämlich nicht nur um Beliebtheit um ihrer selbst willen. Überall in der Freizeit, aber auch im beruflichen Leben öffnen sich für hoch Gerankte Türen, die für die niedrig Eingestuften verschlossen bleiben. Ist jemand extrem tief gestürzt, kann er nicht einmal mehr die Tür zu seinem Arbeitsplatz öffnen. Er hat faktisch seinen Job verloren. Auch wendet sich der Kollegen- und Freundeskreis konsequent von solchen Losern ab. Sie fühlen sich quasi von dem Aasgeruch abgestoßen, den der gesellschaftlich Gestorbene ausströmt.


Schlecht Gerankte bekommen nur Autos einer niedrigen Klasse zugeteilt, die sie dann an der Elektroauto-Tankstelle nicht aufladen können. Sie dürfen nicht mehr fliegen und haben zu „besseren“ Partys und Wohnanlagen keinen Zutritt mehr. So geschieht es auch Lacie, der auf dem Weg zur Hochzeit ihrer Freundin ein paar Missgeschicke passieren. Da ihr niedriges Ranking auch auf dem Handy ihrer Schulfreundin angezeigt wird, lädt diese sie kurzerhand aus …

Obwohl wir „derartige Zustände“ im Land derzeit nicht haben, geht die Folge extrem an die Nieren. Denn sie zeigt eine innere Wahrheit über die Gesellschaft, wie sie zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung 2016 erkennbar war. Gerade auf Internetplattformen wird jede unserer Lebensregungen andauernd gerankt oder mit einem Like- beziehungsweise Dislike-Symbol gewertet. Gleichzeitig zeigt sich ein manisches Bedürfnis fast aller Menschen, „dazuzugehören“, indem sie alles öffentlich machen und sich so einer kollektiven Bewertung aussetzen.


Wie Lacie, die mit ihrem Smartphone einen Cappuccino mit abgebissenem Keks fotografiert und online stellt. Versuchen wir, auf amazon oder ebay etwas zu verkaufen, verfolgt uns unser „Ruf“ in Form einer durchschnittlichen Punktzahl, die uns verschiedene Käufer mit ihrem Ranking verpasst haben. Gilt jemand als „unzuverlässig“, ist es schwer für ihn, wieder aus dem Ranking-Tief herauszukommen.


Besondere Aktualität erhält die Black-Mirror-Folge aber durch das Corona-Geschehen. Der Einstieg in die Hygiene-Apartheid ist mittlerweile vollzogen. Wer nicht die Wünsche der Regierung und der von ihr manipulierten Privatunternehmen erfüllt, muss damit rechnen, dass er in vielen Lebensbereichen vor verschlossenen Türen steht wie die bedauerliche Black-Mirror-Protagonistin Lacie. Schon jetzt geht es los: Frisch Getestete können in einem Gartencenter Blumen kaufen, Nicht-Getestete müssen — wie Hunde — draußen bleiben. Egal, ob man das Testen einfach vergessen hat, keine Lust auf den Terror hat oder aus grundsätzlichen Erwägungen dagegen ist, dass mit der Testquote auch die Anzahl falsch positiver Inzidenzen steigt — faktisch ergibt dies eine Zweiteilung der Bevölkerung in Privilegierte und Unterprivilegierte.


Betreten für Ungeimpfte verboten

Schlimmer wird dies werden, wenn „jeder ein Impfangebot erhalten“ hat — wie Politiker mit leuchtenden Augen visionieren. Noch billigt man Ungeimpften gnädig zu, sie könnten ja nichts dafür, es gebe Versorgungsschwierigkeiten, die durch die Politik zu verantworten seien. Noch herrscht weitgehend Gleichheit in der Art, dass alle Menschen gleichermaßen schlecht behandelt werden und dass allen fast alles verboten ist — etwa das Betreten eines Parks oder einer Uferpromenade ohne Maske.

Im Herbst aber wird es gemäß der Herrschaftslogik für „Verweigerer“ keine Entschuldigung mehr geben, und die Apartheids-Gesellschaft wird zu ihrer vollen Entfaltung kommen.

Niedrig Gerankte werden nicht in Flugzeuge einsteigen und viele Länder der Erde nicht mehr bereisen können. Sie werden vielleicht Kinos, Theater, Konzertsäle und öffentliche Gebäude nicht mehr betreten dürfen und keine Geschäfte — außer zum Lebensmittelkauf. Probleme, wie sie die Serienheldin Lacie hatte — nicht zu eine Schickeria-Party zu dürfen oder nicht in eine Luxus-Wohnanlage einziehen zu können —, werden den Ranking-Underdogs jener nah bevorstehenden Epoche wie Luxusprobleme erscheinen. Die werden froh sein, wenn man sie noch mit einer Kaffeefiltertüte vor der Nase Brot und Butter kaufen lässt.


Eine fast noch wichtigere „Vorhersage“, die in der Black-Mirror-Folge „Abgestürzt“ getroffen wird, ist aber jene über das Verhalten der Masse der Menschen. In der Serie wie in der aktuellen Corona-Wirklichkeit zeigt sich vor allem eines: ausgeprägter Konformismus. Der Wahn, bei möglichst vielen anzukommen, bekannt zu sein, gemocht zu werden. Eine schon jämmerliche Scheu davor, allein zu sein, sich von seinen Mitmenschen zu unterscheiden oder von ihnen missbilligt zu werden — also völlige Kritikunverträglichkeit. „Ich gefalle, also bin ich.“


Weiter zeigt sich die uneingeschränkte Bereitschaft der meisten Menschen, sich an der Ausgrenzung von Personen zu beteiligt, die von der Mehrheit missbilligt werden. Was völlig fehlt, ist Kritik an den vom „System“ vorgegebenen Bewertungskriterien. Nicht angezweifelt wird auch das Prinzip der abgestuften Vergabe von Privilegien. Die Menschen in der Serie wie auch in der Corona-Realität bekämpfen nicht den durch moderne technische Tools ermöglichten Gleich-schaltungs- und Verhaltenssteuerungsdruck, sondern jene Menschen, die ihm nicht gewachsen sind. Menschen, die durch das System als Ranking-Unterschicht gebrandmarkt und aus der Herde der „Anständigen“ ausgestoßen werden.


In beiden Fällen spürt niemand eine Spur Mitgefühl mit Unterprivilegierten — übrigens auch nicht die meisten eher „links“ denkenden Menschen —, keine Solidarität, keine Aufwallung von Rebellion gegen die Institutionen, die sich anmaßen, uns andauernd zu bewerten und zu sanktionieren.


Die Herrschaft der Pedanten

Psychodynamisch steckt hinter diesem Umerziehungsfuror zunächst die Nicht-Akzeptanz der Entscheidungen und Verhaltensweisen anderer. Diese Feststellung scheint banal. Ich halte es aber wichtig, festzuhalten, dass das Phänomen „Überwachen und Strafen“, wie es Michel Foucault in seinem grandiosen Buch nannte, zunächst mit der Psychopathologie des Überwachenden und Strafenden zusammenhängt. Niemand ist mit allem einverstanden, was seine Mitmenschen sich erlauben. Man möchte zum Beispiel nicht körperlich verletzt werden oder hat es nicht gern, wenn ein Besucher im Wohnzimmer die Hose herunterlässt und auf den Teppich pinkelt.

Entscheidend ist jedoch, wie groß das Toleranzspektrum des Einzelnen ist. Kommen zwei ziemlich tolerante Menschen zusammen, herrscht allgemein eine lockere Atmosphäre, in der man sich wohlfühlen kann. Zwei Intolerante mit jeweils völlig verschiedenen Vorstellungen werden es keine fünf Minuten zusammen in einem Raum aushalten. Häufig treffen wir aber auf das Phänomen einer fortgesetzten Tyrannei der Intoleranten über die Toleranten. Bei ersteren kann man auch von einer rigiden oder zwanghaften Charakterstruktur sprechen.


Ein anderes Wort dafür ist Pedanterie. Der Psychiater und Philosoph Rudolf Allers definierte sie so: „Pedanterie ist nichts anderes als der Wille, Kleinigkeiten der Umwelt das Gesetz der eigenen Person aufzuerlegen.“ Der Pedant besitzt nicht die Großzügigkeit, nicht die Weitherzigkeit und mentale Stabilität, um die geringste Abweichung von seinen Idealvorstellungen zu dulden. Anstatt aber an sich und seinen Defiziten zu arbeiten, wird er meist versuchen, alle Nicht-Pedanten so zu „erziehen“, dass sie mit ihrem Verhalten innerhalb der von ihm geschaffenen engen Umzäunung bleiben. In Anlehnung an Gerhard Polt könnte man die Welthaltung des Pedanten auch so umschreiben: „Wenn ich ihnen nicht ganz genau sage, was sie tun sollen, benehmen sie sich am Ende noch so, wie sie selber wollen.“

Erlangt ein Pedant eine starke Position innerhalb einer Familie, nennt man ihn Haustyrann. Gelingt es einer solchen Person, bewaffnete Banden um sich zu scharen, die Menschen wegen eines Verhaltens, das dem Pedanten nicht gefällt, verfolgen und bestrafen, so nennt man das Ganze „Staat“.

Sicherlich erscheint diese Theorie vom Wesen des Staates vielen zu einfach und einseitig. Wenn man sich aber heutige Verbotsorgien anschaut, so gewinnt man tatsächlich den Eindruck, dass sich da der Kleingeist mithilfe geschickt entworfener Narrative und eines gut organisierten Machtapparats selbst ins Grandiose übersteigert. Eine persönliche Zwangsstörung, die von den Mitgliedern einer einflussreichen gesellschaftlichen Gruppe geteilt wird, verwandelt sich in verschärften Zwang gegenüber Millionen von Unterworfenen.


Angela Merkel: Spießer an die Macht!

Angela Merkel, die zumindest vor Corona den Ruf einer eher gemütlichen, gemäßigten Regentin genoss, zeigte schon in einem Video, das ursprünglich aus dem Jahr 2006 stammte, ihr wahres Gesicht: ein Spießertum, das in Verbindung mit Macht ein gefährliches Amalgam bildete. Der Film, der während einer Rede aufgenommen wurde, zeigt eine von giftiger Aggressivität erfüllte Merkel, die einen sehr weit gehenden Überwachungsstaat fordert. Ohne die CDU/CSU, so Merkel, hätten „wir“ noch heute keine Videokameras in U-Bahnen und auf öffentlichen Plätzen.


Über solche Entscheidungen, sagt sie ganz anti-demokratisch, dürfe nicht diskutiert werden, es müsste einfach getan werden. Manche Politiker, sagt sie, hielten es für „nicht so schlimm“, wenn jemand Graffiti sprüht, andere anrempelt oder in der dritten Reihe parkt. Mit großem „Ich aber sage euch“-Pathos verkündet die Kanzlerin: „Keine Toleranz“ selbst gegenüber kleinen Vergehen. Die Rede gleicht einer pauschalen Volksbeschimpfung, so als wären wir alle ein ungezogener Sauhaufen und sie, die Kanzlerin, zum Ausmisten des Stalls bestimmt.

Es zeigt sich die giftige Aversion einer machtgewohnten „Elite“ gegen die autonome, manchmal Formen sprengende Kraft des Lebens.

Die maßlose Übertreibung, die Kleinlichkeit und Spießigkeit, die daraus spricht, „keine Toleranz“ ausgerechnet gegen Falschparker zu verkünden, ist höchst bedenklich — gerade wenn man an die Angela Merkel im Spätherbst ihrer Regentschaft denkt. Implizit wird in ihrer Rede vorausgesetzt, dass es eine zentrale Aufgabe der Bürger sei, „ihre“ Regierung durch Wohlverhalten gnädig zu stimmen — anstatt dass umgekehrt die Politiker zusehen müssten, wie sie Übereinstimmung mit den Bürgern herstellen.


Wenn die Führer eines Landes offen die Toleranz bekämpfen; wenn hinzukommt, dass Volk, Medien und „intellektuelle Elite“ dies unwidersprochen hinnehmen, dann, so fürchte ich, bereiten sie damit verschärften Formen der autoritären Herrschaft den Boden. Sie könnten dann ebenso verkünden: „Null Güte“, „Null Großzügigkeit“ oder gleich: „Null Freiheit“, und es wäre zu befürchten, dass die Öffentlichkeit diese Beschimpfung ihrer wichtigsten Grundwerte klaglos hinnimmt. In den USA — oder im Auftrag der US-Regierung — wurden bald nach der Zero-Tolerance-Kampagne, die 1994 in New York vom damaligen Bürgermeister Rudy Giuliani ausgerufen wurde, Kriege vom Zaun gebrochen, Menschen ohne Gerichtsverhandlung eingesperrt und gefoltert, polizeistaatliche Strukturen gestärkt und dem Präsidenten umfangreiche Notstandsrechte zugestanden. Zufall?


China — Bevölkerungsdressur in Aktion

Zu Recht wurde die Black-Mirror-Folge „Abgestürzt“ häufig als künstlerisches Echo auf das chinesischen „Social Credit“-Systems interpretiert. Ich will dieses deshalb, angelehnt an Kai Strittmaters China-Buch „Die Neuerfindung der Diktatur“ kurz beschreiben, um einige Dinge klar zu machen, die auch für den aktuellen Corona-Totalitarismus fast überall auf der Welt relevant sind. China wurde gerade in der „alternativen Presse“ lange Zeit mit journalistischen Samthandschuhen angefasst.


Unter dem Aspekt der friedlichen Verständigung ist diese Haltung sinnvoll, denn westliche Politiker und Medien, haben das Land — neben Russland — massiv zum Feindbild aufgebaut, auch um es als potenten globalen Rivalen der USA und Europas zu diskreditieren. Unabhängiger Journalismus muss versuchen, China gerecht zu werden. „Gerecht“ heißt aber nicht in jedem Fall unkritisch, denn in punkto technikgestützte Überwachung und Verhaltenssteuerung ist China global trauriger Spitzenreiter und zeigt uns eine mögliche, dystopische Zukunft der Menschheit auf.

Aya Velasquez und auch Daniele Ganser — beide selbst auf der Abschussliste der Mainstream-Meinungshüter und keine USA-Freunde — haben sich kritisch zu China geäußert. Warum? In einer Zeit, in der auch NATO-Staaten den Methoden der Bevölkerungsdressur nacheifern, die in China installiert sind, wirkt es wenig glaubwürdig, das Riesenland im Osten als moralisch blütenweiße Alternative zur NATO darzustellen. Aus libertärer Sicht komme ich immer häufiger zu der Schlussfolgerung:

Macht schlägt sich, Macht verträgt sich. Herrschaftseliten in aller Welt und zu allen Zeiten ähneln sich in ihrer grundsätzlichen Mentalität. Und es geht immer gegen uns, die Bürgerinnen und Bürger.

In den Schriften des Fürsten von Shang, die die Regierungspolitik des ersten chinesischen Kaisers prägten, heißt es: „Gut regierte Staaten setzen deshalb alles dran, das Volk zu schwächen. (…) Ein schwaches Volk hält sich an Gesetze, ein zügelloses wird übertrieben eigensinnig.“ Es sei deshalb erste Aufgabe des Herrschers, „das eigene Volk zu bezwingen“, bevor er sich äußeren Feinden zuwenden könne. Weiter: „Die Wurzel der Bezwingung des Volkes ist es, das Volk so zu kontrollieren wie der Metallschmied das Metall kontrolliert und der Töpfer den Ton.“ Im Gegensatz zu heutigen Politikeräußerungen ist dieser „chinesische Machiavelli“ in seinem über 2000 Jahre alten Text wenigstens ehrlich.


Rongcheng — das Überwachungs-Pilotprojekt

„Unser Ziel ist es, das Verhältnis der Leute zu normieren. Wenn alle sich der Norm gemäß verhalten, ist die Gesellschaft automatisch stabil und harmonisch.“ So sagte es ein Beamter des ostchinesischen Städtchens Rongcheng, wo das bisher fortgeschrittenste Experiment eines „sozialen Bonitätssystems“ läuft.


Rongcheng ist mit einem dichten Netz von Überwachungskameras ausgestattet, die mit Gesichtserkennungs-Software arbeiten. Der Einzelne ist bei Verstößen also offline ebenso gut identifizierbar wie online. Jeder Bürger erhält anfangs 1000 Punkte als „Vertrauensvorschuss“ zugeteilt. Darauf aufbauend gibt es je nach Wohlverhalten Zusatzpunkte oder Abzüge. Ab 1050 Punkten gilt man als „Vorbild an Ehrlichkeit“. Unter 849 greift eine „Warnstufe“. Wer unter 599 Punkte gefallen ist, wird als „unehrlich“ eingestuft und wird zum „Objekt signifikanter Überwachung“.


Das „System der sozialen Verantwortung“ wie es offiziell heißt, kombiniert moralische Erziehung mit Überwachung. Laut Direktor Huang, einem der ausführenden Beamten in Rongcheng, überfuhren die Einwohner früher laufend rote Ampeln. Strafen bezahlten sie schulterzuckend. „Das wagt jetzt keiner mehr. Weil sie in ihrer Bewertung abrutschen würden“, sagt Huang. Das Ampelbeispiel erinnert an einen besonders drastischen Fall von „philosophisch“ verbrämtem Staatsautoritarismus. Richard David Precht sagte im Dezember 2020 in einem Interview:

„Persönlich können Sie denken, die Ampel ist sinnlos. Das können Sie auch Ihrer Frau oder Ihren Freunden sagen. Sie müssen sich aber an die Regeln halten und es ist erschreckend, dass wir ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung haben, die das immer noch nicht verstanden haben.“

Precht forderte also Gehorsam um seiner selbst willen — ohne sich über Kontext und Berechtigung einer Vorschrift Gedanken zu machen.


Parteisekretär Dong Jiangang, so geht es aus Kai Strittmaters Buch „Die Neuerfindung der Diktatur“ hervor, ist Verwaltungsbeamter des „Viertels Morgenröte“ in Rongcheng. Er äußerte gegenüber dem Autor: „Früher kannten die Leute keine Grenzen. (…) Jetzt ist die Moral zurückgekehrt. (…) Wir errichten eine ehrliche Nachbarschaft.“


Vor Dong Jiangangs Büro steht eine große Schautafel. „Hier listen wir die Vertrauensbrecher auf.“ Zu den Vergehen, die dort an den öffentlichen Pranger gestellt werden, gehören: einen Hundehaufen hinterlassen oder im Winter Wasser vor die Tür kippen. Positiv vermerkt werden: Schnee schaufeln oder seinen Keller zum Singen von Revolutionsliedern zur Verfügung stellen. „Wenn du viele Minuspunkte hast“, sagte der Parteisekretär, „dann tuscheln jetzt die anderen über dich: Guck mal, der da, das ist ein B. Oder ein C. Das packt dich bei der Ehre. Manchmal reicht es schon, wenn wir die Leute warnen: Du, wir stufen dich runter. Dann erschrecken sie.“


Eine Schwiegersohn-Schufa sorgt für Moral

Dong zufolge erkundigen sich viele Eltern vor der Hochzeit ihres Kindes nach dem Punktestand eines potenziellen Schwiegersohns. Eine Karikatur in einer chinesischen Zeitung zeigt einen jungen Mann, der seiner Angebeteten einen Blumenstrauß überreichen will. Die lehnt ab. „Du zahlst nie deine Schulden zurück. Ich habe dein Foto auf dieser großen Videowand des Straßenkomitees gesehen. Mit dir werde ich mich nie verabreden.“ Die Überschrift warnt: „Mach dir nicht dein ganzes Leben kaputt mit deinen Vertrauensbrüchen.“ Wenn man etwas Schlechtes tut, „Dann darfst du irgendwann in kein Flugzeug mehr steigen und in keinen Schnellzug. Und ich stelle dich nicht ein.“


Es ist wichtig, ein paar dieser Details zu kennen, um sich ein Bild vom „chinesischen System“ zu machen. Nun zur Philosophie dieser Methode der Verhaltenssteuerung. In einem Plan des Staatsrats zur Einrichtung eines Systems der sozialen Vertrauenswürdigkeit heißt es: „Die Vertrauenswürdigen sollen frei unter dem Himmel umherschweifen können, den Vertrauensbrechern aber soll kein einziger Schritt möglich sein.“ Statt „Staatsrat“ könnte hier auch stehen: „Deutsche Ministerpräsidentenkonferenz“. Professor Zhang Zhang von der Peking-Universität erklärt auf Befragung von Kai Strittmatter:

„Es gibt gute Menschen, und es gibt schlechte Menschen. Nun stell dir eine Welt vor, in der die Guten belohnt und die Schlechten bestraft werden.“


Der Professor vergleicht das chinesische System mit der deutschen Schufa — nur größer, allumfassend.

„Natürlich ist Ihr Umgang mit Geld wichtig. Also ob Sie Ihre Schulden pünktlich bezahlen. (…) Wie Sie aber Ihre Eltern behandeln und Ihren Ehepartner, all Ihr soziales Handeln, ob und wie Sie moralische Regeln einhalten, verrät uns das nicht auch Entscheidendes über Ihre Vertrauenswürdigkeit?“


Kai Strittmatter berichtet auch von einer App mit dem Titel „Ehrliches Shanghai“, die pro Bürger über 5.000 Einzeldaten enthält. Demgemäß wird man als „gut“ oder „schlecht“ eingestuft. Als gut gilt zum Beispiel Blut spenden, als schlecht Schwarzfahren. „Gute“ können beispielsweis in der öffentlichen Bibliothek Bücher ohne Kaution ausleihen.


„In diesem System sind wir alle — Individuen, Firmen, Organisationen — nichts anderes als wandelnde Sets von Daten. Und der Regierung fällt es zu, alles diese pausenlos strömenden Daten abzuschöpfen und auszuwerten, um sodann unser Verhalten als Bürger, als Wirtschaft und als Gesellschaft mit Anreizen und mit Strafen in ihrem Sinne zu steuern“, schreibt Strittmatter. Überhaupt ist dies der Hauptunterschied zwischen dem realen System in China und dem fiktiven, das wir in einer Folge aus „Black Mirror“ bewundern durften: Es beurteilt nicht „jeder jeden“ — es ist hauptsächlich eine Instanz, die nach ihrem Gusto Noten vergibt: der Staat.


Allerdings wird auch im „Reich der Mitte“ Verhaltenskontrolle teilweise privatisiert — wie in Deutschland, wo Geschäftsinhaber in Massen als Hygiene-Hüter rekrutiert wurden. Ein Beispiel für ein privates Social Credit-System in China ist Sesame Credit, Teil der „Alipay-App, die den Markt beim bargeldlosen Bezahlen anführt“. In diesem System bekommt jeder Nutzer zwischen 350 und 950 Punkten zugeteilt. Kriterien sind neben einer „Fähigkeit, Schulden zurückzuzahlen“ auch „Verhaltensvorlieben und persönliche Netzwerke“. Dazu sagt Li Yingyun, technischer Direktor des Projekts:

„Jemand, der zehn Stunden am Tag Videospiele spielt, würde wohl als unproduktive Person eingestuft. Wer hingegen oft Windeln einkauft, würde wahrscheinlich erkannt als Elternteil mit größerem Sinn für Verantwortung.“


Das Kaufverhalten online wie offline wird also unmittelbar an die „Zentrale“ gemeldet und dort ausgewertet. „Außerdem beeinflusst der Punktestand deiner Freunde deine Sesame-Bewertung.“ Für Strittmatter ist klar, was das bedeutet: „Halt dich fern von Freunden mit schlechter Bewertung.“ Beim Partnervermittlungs-Portal „Baihe“ werben Suchende mit ihrem hohen Punktestand für sich. Wie schwierig es für Punkte-Underdogs sein muss, an eine Heirat, Partnerschaft oder auch „nur“ Sex heranzukommen, kann man sich denken.


                                          Ein großer Kindergarten für Erwachsene

Es ist nun deutlich geworden, was die verschiedenen, immer engmaschiger werdenden Methoden der Verhaltenssteuerung für eine Gesellschaft bedeuten:


Der aufdringliche Staat Der Staat rückt sich selbst übermäßig in den Vordergrund. Ein Spruch aus dem chinesischen Weisheitsbuch Tao Te King, der auch auf einem Flugblatt der Widerstandsbewegung „Die Weiße Rose“ zitiert wurde, sagt: „Der, des Verwaltung aufdringlich ist, des Volk ist gebrochen.“ Als Bürger wird man andauernd dazu angehalten, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Staatsorgane einen finden. Damit verkehrt sich ein gesundes Verhältnis zwischen Staat und Bürger in sein Gegenteil. Regierung und Verwaltung sind es, die bangen sollten, ob wir mit ihnen zufrieden sind.


Feedback-Terror überall Es ist unmöglich geworden, sich andauerndem ungefragt gegebenem Feedback zu entziehen. Man beachte dazu auch die mittlerweile üblichen elektronischen Smileys oder Sadeys am Ortseingang, die die Menschen auf Regelübertretungen beziehungsweise Regelkonformität bei der Geschwindigkeit aufmerksam machen. An jeder Ecke ruft uns gleichsam jemand zu: „Was du tust, gefällt mir/gefällt mir nicht.“ Dadurch wird, selbst wo noch keine Strafe droht, ein permanenter Stress des Gefallen-Wollens beziehungsweise Gefallen-Müssens erzeugt.


Durch Mikro-Erziehungsmaßnahmen wird unser Verhalten andauernd in eine bestimmte Richtung gedrückt oder gezogen. Der Mensch agiert zunehmend fremdbestimmt statt selbstbestimmt, was sein Vertrauen in die eigene Urteilskraft auf Dauer schwächt. Zum Beispiel auch bei der Abwägung, welche Geschwindigkeit einer gegebenen Verkehrssituation angemessen ist.


Eine holzschnittartige Weltsicht Es wird suggeriert, dass menschliches Verhalten klar in gut/böse, nützlich/schädlich unterscheidbar wäre. Ein bipolares, holzschnittartiges Weltbild setzt sich durch. Geleugnet wird dabei, dass es Situationen gibt, in denen ein Verhalten in der einen Hinsicht gut, in der anderen Hinsicht schlecht sein kann. Beispiel: Man fährt bei ungefährlicher Verkehrslage etwas schneller, um jemanden ins Krankenhaus zu bringen.


Die „No-Excuses“-Kultur Entgegen den psychologischen Erkenntnissen, die es im modernen Rechtswesen ja gibt — „Verminderte Schuldfähigkeit“ — werden die Umstände, unter denen es zu einem „Vergehen“ kam, nicht beleuchtet. Beachte auch in der Black Mirror-Folge „Abgestürzt“: Lacie behandelt einige Umstehende am Flugplatz unfreundlich, weil ihr Flug gecancelt wurde. Sie ist nervös, weil sie diesen Flug unbedingt erreichen muss. Schuld ist zunächst das Versagen der Fluggesellschaft. Dennoch lässt der wegen des „Krawalls“ herbeigerufene Polizist keine Ausrede gelten. Er stuft Lacys Punktekonto massiv herunter.


Ein „Universum von Strafbarkeiten“ Die Anzahl der Verhaltensweisen, für die Menschen zurechtgewiesen werden, erhöht sich erheblich, da jetzt nicht mehr nur Gesetzesverstöße im engeren Sinn geahndet werden, sondern auch „Moral“ und allgemeine gesellschaftliche Konsensfähigkeit. Die herkömmliche Strafverfolgung gleicht einem weitmaschigen Netz. Vereinfacht gesagt: Wer niemanden ermordet, misshandelt, vergewaltigt, bestiehlt, betrügt oder beleidigt, hat gut Chancen, unbehelligt durchs Leben zu kommen.


Nicht so bei „Social Credit“-Systemen. In einem solchen muss man auch bei „Delikten“ Nachteile befürchten, die sonst nicht Gegenstand staatlicher Sanktionierung sind: unhöfliches und missmutiges Verhalten, verspätetes Bezahlen einer Rechnung, sich nicht ausreichend um seine Eltern kümmern… Man wird „in einem Universum von Strafbarkeiten heimisch“, so Michel Foucault. Eine Kultur der Kleinlichkeit etabliert sich. Es gibt fast nichts mehr, was zu unbedeutend wäre, um zum Gegenstand der Bewertung und Zurechtweisung werden könnte.


Nötigung zur Mittäterschaft Eine weit größere Anzahl von Privatpersonen als bisher erhält Hilfspolizistenfunktion, um dem staatlichen Wertesystem Geltung zu verschaffen. Man wird zunehmend nicht mehr durch die Staatsorgane selbst bestraft, sondern durch das Kollektiv der regeltreuen Mitbürger, die sich bereitwillig an der gesellschaftlichen Ächtung der „Vertrauensbrecher“ beteiligen.


Der Staat erspart sich so eine Menge Arbeit. Er treibt Menschen in eine Komplizenschaft, die vielen von ihnen sicher gar nicht angenehm ist. Beispiel: Angestellte eines Gartencenters müssen Nicht-Getestete an der Tür abweisen. Er integriert eine Vielzahl von Menschen in Täterstrukturen seines Zwangssystems und macht damit Rebellion zumindest bei diesem Personenkreis unwahrscheinlich. Denn die Betreffenden müssten ja quasi gegen sich selbst rebellieren. In Familien, Freundes- und Kollegenkreisen kommt es zu Konflikten, die es in einem großzügigen, weniger auf Bewertung, Kontrolle und Sanktion fixierten System gar nicht gegeben hätte.


Der gebrochene Bürger Das Selbstbild der Menschen verdunkelt sich, weil man sich weitaus öfter als „vorher“ als ein Regelbrecher, Verfolgter, Sanktionierter und Verachteter erlebt. Durch die zahllosen Mikro-Zurechtweisungen gelangt der Staatsbürger zumindest unbewusst zu der Überzeugung, er sei ein höchst defizitäres Wesen. Ist sein Selbstvertrauen auf diese Weise gebrochen, wird er mit größerer Wahrscheinlichkeit seiner weiteren Entrechtung und Erniedrigung zustimmen.


Politischer Kollateralnutzen Schließlich ist typisch für Social Credit-Systeme, dass sich unter die Vorgaben für korrektes Alltagsverhalten auch solche mischen, die politische Betätigung und politische Meinungsäußerungen betreffen. Die chinesische Regierung wirbt mit sauberen Straßen, die frei von Müll und Graffiti sind. Quasi nebenbei zieht sie dabei aber Leitplanken für erlaubtes Denken ein. Nicht nur werden parteikritische Äußerungen — zum Beispiel im Internet — mit Punktabzug bestraft, dies kann Chinesen auch passieren, wenn sie einem bei der Partei unerwünschten religiösen Glauben anhängen. Dazu Kai Strittmatter:

„Wer aber warum Vertrauen verwirkt, auch das entscheidet am Ende die Partei. Wenn einer sich in Rongcheng, dem Zukunftslabor der Partei an der Ostküste, digital ‚illegalen religiösen Aktivitäten widmet — das Schlagwort gilt vor allem der verbotenen und hart verfolgten Falun-Gong-Bewegung —, dann bekommt er 100 Punkte Abzug.“


Als unehrlicher Vertrauensbrecher gilt, wer „negatives Online-Verhalten“ zeigt und Kommentare schreibt, die „einen schädlichen Einfluss auf die Gesellschaft“ haben.


Für die aktuelle Corona-Situation in Deutschland scheint dieser letzte Punkt zwar nicht zuzutreffen, denn — danke für die Gnade, lieber Vater Staat! — man „darf“ ja jede Kritik öffentlich äußern. Sofern man eine Plattform findet, wo man nicht gleich rauszensiert wird. Aber auch in Deutschland vermischen sich Vorschriften und Verbote mit moralischen Maximalforderungen und diese wiederum mit Fragen der politischen Haltung.


An einem Beispiel: Man darf zwar denken und sogar sagen, dass man gegen eine Maskenpflicht ist, man kann diese Weltanschauung in seinem konkreten Verhalten aber nicht unsanktioniert zum Ausdruck bringen.

Man darf „Impfskepsis“ zum Ausdruck bringen, es könnte aber eine Situation eintreten, in der es für die meisten opportun erscheint, lieber gebrochen und vergiftet weiterzuleben als völlig entrechtet in einer Konformitätshölle, in der die Nachbarn, die Kollegen, die eigenen Familienmitglieder mithelfen, das Feuer zu schüren.

Und selbst, wenn mancher die derzeitige Situation als „nicht so schlimm“ empfinden mag — nicht erst der letzte Stein in der Mauer, der uns den Blick auf den blauen Himmel endgültig verdeckt, stellt eine Gefahr dar. Schon der erste, mit dem der Bau der Mauer begonnen hat, war ein Verbrechen, dem mit aller Entschlossenheit hätte Einhalt geboten werden müssen.


In der Serie „Star Trek: The Next Generation, Folge „Das Standgericht“, wird die Besatzung der Enterprise von einer diktatorischen Funktionärin, Admiral Satie, terrorisiert. In einem inszenierten Verhör sagt Captain Picard:

„Mit dem ersten Glied ist die Kette geschmiedet. Wenn die erste Rede zensiert, der erste Gedanke verboten, die erste Freiheit verweigert wird, sind wir alle unwiderruflich gefesselt. (…) Wenn die Freiheit irgendeines Menschen zum ersten Mal beschnitten wird, ist das ein Schaden für alle.“


Nachdem die vorübergehende Diktatur auf dem Raumschiff abgeschüttelt werden konnte, sagt Picard zu seinem Mitstreiter Worf:

„Wir glauben, so fortschrittlich zu sein. Folterungen von Ketzern, Hexenverbrennungen halten wir für Geschichte. Und dann, bevor man sich versieht, droht alles wieder von vorn anzufangen. (…) Schurken, die ihre Schnurrbärte zwirbeln, sind leicht zu erkennen. Die aber, die sich in gute Taten kleiden, sind hervorragend getarnt. (…) Sie (Admiral Satie) oder jemand wie sie wird immer da sein und auf den richtigen Moment warten, um an die Macht zu gelangen und Furcht zu verbreiten im Namen der Rechtschaffenheit. Wachsamkeit, Mr. Worf, das ist der Preis, den wir kontinuierlich zahlen müssen.“


Info: https://www.rubikon.news/artikel/die-tyrannei-der-kleinlichkeit

02.05.2021

Pressemitteilung: 3. Mai Prozess geg. Aachener Friedenspreisträgerin Marion Küpker wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Am 3. Mai beginnt um 10:25 Uhr der Prozess (9:30 Uhr Mahnwache) gegen Marion Küpker im Amtsgericht Cochem/Mosel (Raum 100) in der Ravenestr. 39.


Hintergrund: AktivistInnen der Gruppe /Stopp Ramstein/ blockierten am 28. Juni 2019 drei Tore des Atomwaffen-Stützpunktes Büchel (Rheinland Pfalz). Dort wurde Frau Küpker erstmalig Polizeigewalt angetan, während sie gleichzeitig im September für die bundesweite Kampagne /Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt/ (und damit für ihre Arbeit gegen die Atomwaffen vor Ort in Büchel) den renomierten Aachener Friedenspreis bekam.


Zitat: Frau Küpker begleitet, dokumentiert und informiert seit vielen Jahren am Fliegerhorst Büchel die verschiedenen Protest-Aktionen für die Anti-Atomwaffen Kampagne. Die Kampagne ist Teil des aus über 70 Organisationen und Gruppen bestehenden Trägerkreises /Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!/, der als Teil des ICAN- Netzwerkes 2017 den Friedensnobelpreis erhielt.


Zum Vorwurf des “Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte” sagt Marion Küpker: /“Es ist unglaublich, wie hier von einem Einsatzleiter der Cochemer Polizei, der unseren Trägerkreis und

mich bereits seit fast 25 Jahren aus etlichen Koordinationsgeprächen (mit Bundeswehr, Kreisverwaltung, Polizei und Friedensbewegung) kennt, hier diesen Machtmissbrauch begeht. Die Proteste in Büchel sind ausdrücklich gewaltfrei und richten sich auch nicht gegen die Polizei, sondern gegen die dortige Stationierung der Atomwaffen. Da unsere Proteste die letzten Jahre sehr zugenommen haben, wird immer mehr mit unlauteren polizeilich, wie auch behördlichen Repressionen versucht, uns vor Ort wegzukriegen. Die anstehende Stationierung mit gänzlich neuen Atomwaffen soll in Ruhe durchgeführt werden könn


Konkret heißt das: Der Atomwaffen-Standort soll bis zum Jahr 2026 für die neuen US Atombomben für 259 Mill. Euro umgebaut werden. Mit dem neuen militärischen Sicherheitszaun wurde bereits begonnen. Die Baumaßnahmen beinhalten den Ausbau der Startbahn, die Modernisierung der Atomwaffen-Infrastruktur, sowie die Erneuerung der Atombomben-Spezialbehälter in den Flugzeug-Hangars. Auch stehen neue US- Trägerkampfjets für 12 Mrd. Euro an.


Am 1. April 2021 reichte auch Marion Küpker gegen diese illegale Atomwaffen-Stationierung eine Verfassungsbeschwerde ein, die mittlerweile die 14. Verfassungsbeschwerde ist. Bisher hat sich

das Bundesverfassungsgericht geweigert, auch nur eine der Beschwerden anzunehmen, u.a. mit der Begründung, dass kein öffentliches Interesse bestehe.


Demgegenüber zeigen die Umfragen das Gegenteil: die Mehrheit unserer Bevölkerung will den Abzug der Atomwaffen und wünscht ein atomwaffenfreies Deutschland.**Inzwischen appellieren mehr als 115 Städte, vier Bundesländer und mehr als 700 Landtags-, Bundestags- und Europa-Abgeordnete an unsere Bundesregierung, den Verbotsvertrag zu unterzeichnen. Dieser Vertrag würde Deutschland in absehbarer Zeit atomwaffenfrei machen. Am 22. Januar 2021 wurde das Inkrafttreten des internationalen Atomwaffen-Verbotsvertrages gefeiert, der nur für dieunterzeichnenden Staaten gilt. D.h. der Vertrag gilt für 138 Staaten, gegenüber 57 Staaten (darunter die BRD), die sich noch weigern!


Info: Für ein Interview steht Ihnen Marion Küpker zur Verfügung: Mobil: 0172 771 32 66

www.atomwaffenfrei.de

http://www.atomwaffenfrei.de

http://www.buechel-atombombenfrei.de

Marion Küpker ist Sprecherin der Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt, Friedensreferentin beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes und ist in der DFG-VK  die internationale Koordinatorin für die Abschaffung von Atomwaffen


Kommentar:  Wie gut, dass ein Rechtsanwalt rät, Marion Küpker und alle weiteren Betroffenen sollten bei dem für Büchel zuständigen Amtsgericht - und ergänzend den Amtsgerichten ihres Wohnsitzes - Strafanträge wegen Behinderung einer grundrechte-geschützten Tätigkeit einreichen.    Thomas Bauer

01.05.2021

EudraVigilance - Human medicines: regulatory information

wikipedia.org, Diese Seite wurde zuletzt am 24. Juni 2020 um 19:35 Uhr bearbeitet.

EudraVigilance (European Union Drug Regulating Authorities Pharmacovigilance) ist ein Informationsnetzwerk und Managementsystem, das als zentraler Dienst von der europäischen Arzneimittelagentur betrieben wird mit dem Ziel einer sicheren Arzneimittelanwendung im europäischen Wirtschaftsraum.


EudraVigilance dient insbesondere

  • der elektronischen Übermittlung von Berichten über Nebenwirkungen vor und nach der Zulassung eines Arzneimittels (auch von Verdachtsfällen) und deren systematischer Sammlung in einer gemeinsamen europäischen Datenbank
  • der Bereitstellung dieser Informationen in unterschiedlichem Umfang für verschiedene Nutzergruppen (Behörden, Öffentlichkeit, Pharmazeutische Industrie)[1]
  • der Erkennung von Arzneimittelrisiken


1 Komponenten


EudraVigilance umfasst mehrere Komponenten.

  • Das EudraVigilance Database Management System (EVDBMS) ist das Kernstück der europäischen Pharmakovigilanz-Datenbank. Es ermöglicht die standardisierte, elektronische und automatisierte Datenübermittlung von sicherheitsrelevanten Informationen und besteht aus zwei Modulen:
  1. Das „Modul Klinische Prüfung“ (EudraVigilance Clinical Trial Module, EVCTM) ist konzipiert zur Erfassung von Meldungen über Verdachtsfälle von unerwarteten, schwerwiegenden Nebenwirkungen (Suspected Unexpected Serious Adverse Reactions, SUSARs) im Rahmen klinischer Studien
  2. Das „Modul Postmarketing“ (EudraVigilance Post-Authorisation Module, EVPM) dient der Erfassung von Meldungen (Individual Case Safety Reports, ICSRs) aus nicht-interventionellen Studien und Spontanmeldungen
  • Das Extended EudraVigilance Medicinal Product Dictionary (XEVMPD) ist eine neue, erweiterte Variante des zum Juli 2011 geschlossen Arzneimittelverzeichnisses EudraVigilance Medicinal Product Dictionary (EVMPD). Es wird für alle in den Ländern des europäischen Wirtschaftsraums zugelassenen Arzneimittel von den jeweiligen Zulassungsinhabern mit produktbezogenen Informationen gespeist. Dazu gehören etwa Angaben zum Produktnamen, zum Zulassungsinhaber und dessen Pharmakovigilanzsystem, zu Art und dem Status der Zulassung, zur pharmazeutischen Formulierung und Stärke, zur Art der Anwendung und zu den Anwendungsgebieten, sowie zu den Wirk- und Hilfsstoffen. Für jeden Wirkstoff soll außerdem ein detaillierter substanzbezogener Datensatz mit administrativen und technischen Angaben angelegt werden. Das EU-Arzneimittelverzeichnis ist erforderlich im Zusammenhang mit der Zuordnung und Verarbeitung der in die EudraVigilance-Datenbank gemeldeten Nebenwirkungsfälle und soll bis zum 2. Juli 2012 fertig angelegt sein.
  • Ein Verzeichnis für Prüfarzneimittel ist das EudraVigilance Investigational Medicinal Product Dictionary (EVIMPD).
  • Das EudraVigilance Data Analysis System (EVDAS) unterstützt die Früherkennung (Detektion) von Arzneimittelrisiken aus der Datensammlung.
  • Eine Plattform zur Veröffentlichung der Daten für die Allgemeinheit.[2]



Siehe auch



Weblinks


  • EudraVigilance, Informationen der europäischen Arzneimittelagentur zur EudraVigilance
  • adrreports.eu EudraVigilance-Daten für die Öffentlichkeit


Einzelnachweise


1 Access to EudraVigilance data | European Medicines Agency. Abgerufen am 17. Januar 2019


2 European database of suspected adverse drug reaction reports. Abgerufen am 17. Jan. 2019



Info: https://de.wikipedia.org/wiki/EudraVigilance

 


Weiter:  



EudraVigilance - Human medicines: regulatory information


ema.europa.eu, First published: 04/03/2019  / Last updated: 10/02/2020

Zitat: This section of the website provides information on the regulation of medicines for human use in the European Union (EU). It particularly concerns the centralised procedure, where the European Medicines Agency (EMA) plays a key role.


The navigation menu contains three main sections corresponding to the key medicinal product lifecycle stages:


Regulatory information on herbal products is in a separate section, as these products are regulated differently in Europe.


For further information on EU legislation and procedures for the regulation of human medicines, see volumes 1-4 and 9-10 of the rules governing medicinal products in the EU.


Topics A-Z

Some regulatory topics span the product lifecyle. The entry pages on these topics provide an overview of the topic and direct users to relevant content in the product lifecycle sections.


From lab to patient: journey of a medicine


Interactive timeline - Lab to patients thumbnail

Follow the journey of a medicine for human use assessed by EMA in this interactive timeline. It explains all stages from initial research to patient access, including how EMA supports medicine development, assesses the benefits and risks and monitors the safety of medicines.

From laboratory to patient: the journey of a centrally authorised medicine (PDF/1.75 MB)


Info: https://www.ema.europa.eu/en/human-medicines-regulatory-information

30.04.2021

Systemfrage: Vom “Event 201” zu “Cyber Polygon” – Die WEF-Simulation einer kommenden “Cyber-Pandemie”

konjunktion.info, Veröffentlicht vom 15. März 2021 · 2.821 Aufrufe

Zitat: Event 201 gilt vielen als Blaupause für die aktuelle P(l)andemie. Nur wenige dürften allerdings wissen, dass es ähnliche “vorausschauende Übungen” auch für den Bereich der “Cyber-/Security und IT-Welt” gibt. Johnny Vedmore und Whitney Webb haben sich in ihrem nachfolgend ins Deutsche übersetzen Artikel From “Event 201” to “Cyber Polygon”: The WEF’s Simulation of a Coming “Cyber Pandemic” mit einer dieser “Übungen” befasst: Cyber Polygon.


Interessant ist aus meiner Sicht dabei insbesondere das Russland Teil dieser Übungsreihe ist und die russische Sberbank im Jahr 2020 sogar Ausrichter der jährlichen Übung war. Für mich ein Hinweis, dass China und Russland als Gegenpart zum Westen nur ihre Rolle im Vielfach von mir geschilderten falschen Ost-West-Paradigma spielen. Aber lesen Sie bitte selbst und besuchen Sie bitte auch die Website der beiden Autoren Unlimited Hangout.


BI.ZONE-CEO Dmitry Samartsev präsentiert auf der ersten Cyber-Polygon-Sitzung auf dem Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums, Januar 2020. Quelle: BI.ZONEBI.ZONE-CEO Dmitry Samartsev präsentiert auf der ersten Cyber-Polygon-Sitzung auf dem Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums, Januar 2020. Quelle: BI.ZONE


Letztes Jahr hat sich das Weltwirtschaftsforum mit der russischen Regierung und globalen Banken zusammengetan, um eine hochkarätige Cyberattacken-Simulation durchzuführen, die auf die Finanzindustrie abzielte – ein tatsächliches Ereignis, das den Weg für einen “Reset” der Weltwirtschaft ebnen würde. Die Simulation mit dem Namen Cyber Polygon war möglicherweise mehr als eine typische Planungsübung und weist Ähnlichkeiten mit der vom WEF gesponserten Pandemie-Simulation Event 201 auf, die kurz vor der COVID-19-Krise stattfand.


Am Mittwoch kündigte das Weltwirtschaftsforum (WEF) zusammen mit der russischen Sberbank und ihrer Cybersecurity-Tochter BI.ZONE an, dass im kommenden Juli eine neue globale Cyberangriffssimulation stattfinden wird, um die Teilnehmer in der Entwicklung sicherer Ökosysteme” zu unterweisen, indem ein Cyberangriff auf die Lieferkette simuliert wird, ähnlich dem jüngsten SolarWinds-Hack, der die “Cyber-Resilienz” der Übungsteilnehmer bewerten soll. Auf der neu aktualisierten Veranstaltungswebsite warnt die Simulation mit dem Namen Cyber Polygon 2021 unheilvoll davor, dass angesichts der Digitalisierungstrends, die vor allem durch die COVID-19-Krise vorangetrieben wurden, “ein einziges verwundbares Glied ausreicht, um das gesamte System zum Einsturz zu bringen, genau wie ein Dominoeffekt”, und fügt hinzu, dass “ein sicherer Ansatz für die digitale Entwicklung heute die Zukunft der Menschheit für die nächsten Jahrzehnte bestimmen wird”.


Die Übung findet einige Monate statt, nachdem das WEF, die “internationale Organisation für öffentlich-private Zusammenarbeit”, die die reichste Elite der Welt zu ihren Mitgliedern zählt, offiziell ihre Bewegung für einen Great Reset angekündigt hat, der den koordinierten Übergang zu einer globalen Wirtschaft der Vierten industriellen Revolution beinhalten würde, in der menschliche Arbeitskräfte zunehmend irrelevant werden. Diese Revolution, deren größter Befürworter WEF-Gründer Klaus Schwab ist, stellte die WEF-Mitglieder und -Organisationen bisher vor ein großes Problem: Was wird mit den Massen von Menschen geschehen, die durch die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt arbeitslos werden?


Neue Wirtschaftssysteme, die digital basieren und entweder mit Zentralbanken zusammenarbeiten oder von diesen geleitet werden, sind ein wichtiger Teil des Great Reset des WEF, und solche Systeme wären Teil der Antwort auf die Kontrolle der Massen der kürzlich arbeitslos gewordenen Menschen. Wie andere bemerkt haben, würden diese digitalen Monopole, nicht nur was Finanzdienstleistungen anbelangt, denen, die sie kontrollieren, erlauben, einer Person das Geld und den Zugang zu Dienstleistungen “abzuschalten”, wenn diese Person bestimmte Gesetze, Vorgaben und Vorschriften nicht einhält.


Das WEF hat solche Systeme aktiv gefördert und geschaffen und nennt sein bevorzugtes Modell neuerdings Stakeholder-Kapitalismus. Obwohl es als eine “inklusivere” Form des Kapitalismus beworben wird, würde der Stakeholder-Kapitalismus im Wesentlichen den öffentlichen und den privaten Sektor verschmelzen und ein System schaffen, das Mussolinis korporatistischem Stil des Faschismus viel ähnlicher ist als alles andere.


Doch um dieses neue und radikal andere System einzuführen, muss das aktuelle korrupte System irgendwie in seiner Gesamtheit zusammenbrechen, und sein Ersatz muss den Massen erfolgreich als irgendwie besser als sein jetziger Vorgänger präsentiert werden. Wenn die mächtigsten Menschen der Welt, wie z.B. die Mitglieder des WEF, radikale Veränderungen vornehmen wollen, tauchen bequemerweise Krisen auf – sei es ein Krieg, eine Seuche oder ein wirtschaftlicher Zusammenbruch – die einen “Reset” des Systems ermöglichen, der häufig von einem massiven Transfer von Reichtum nach oben begleitet wird.


In den letzten Jahrzehnten sind solchen Ereignissen oft Simulationen vorausgegangen, die sich häufen, bevor genau das Ereignis eintritt, das sie “verhindern” sollten. Jüngste Beispiele sind die US-Wahl 2020 und COVID-19. Eines dieser Ereignisse, Event 201, wurde im Oktober 2019 vom Weltwirtschaftsforum mitveranstaltet und simulierte eine neuartige Coronavirus-Pandemie, die sich weltweit ausbreitet und große Störungen in der Weltwirtschaft verursacht – nur wenige Wochen bevor der erste Fall von COVID-19 auftrat. Cyber Polygon 2021 ist nur die jüngste derartige Simulation, die vom Weltwirtschaftsforum mitfinanziert wird. Die aktuelle Agenda des Forums und seine bisherige Erfolgsbilanz bei der Durchführung prophetischer Simulationen verlangen, dass die Übung Cyber Polygon genau unter die Lupe genommen wird.


Obwohl Cyber Polygon 2021 noch Monate entfernt ist, ging Cyber Polygon 2020 voraus, eine ähnliche, vom WEF gesponserte Simulation, die im vergangenen Juli stattfand und in der Redner vor einer kommenden tödlichen “Pandemie” von Cyberangriffen warnten, die hauptsächlich zwei Wirtschaftssektoren, das Gesundheitswesen und das Finanzwesen, betreffen würden. Cyber Polygon 2020 wurde offiziell als “internationales Online-Training zur Erhöhung der globalen Cyber-Resilienz” beschrieben und involvierte viele der weltweit größten Tech-Unternehmen und internationalen Behörden, von IBM bis INTERPOL. Es gab auch viele überraschende Teilnehmer bei der Veranstaltung, von denen einige traditionell als Gegner westlicher imperialer Interessen angesehen werden. Zum Beispiel war die Person, die ausgewählt wurde, um das Cyber Polygon Event zu eröffnen, der Premierminister der Russischen Föderation, Mikhail Mishustin, und der Hauptveranstalter, BI.ZONE, ist eine Tochtergesellschaft der von der russischen Regierung kontrollierten Sberbank. Dies deutet darauf hin, dass das überstrapazierte “russische Hacker”-Narrativ möglicherweise zu einem Ende kommt oder bald durch einen anderen Buhmann ausgetauscht wird, der angesichts der aktuellen politischen Realitäten besser geeignet ist.


Neben Mishustin nahmen auch WEF-Exekutivdirektor Klaus Schwab und der ehemalige britische Premierminister Tony Blair an der Veranstaltung Cyber Polygon 2020 teil, die jährlich wiederholt werden soll und viele Ähnlichkeiten mit Event 201 von 2019 aufweist. Anstatt sich auf eine mögliche medizinische Pandemie vorzubereiten, konzentrierte sich Cyber Polygon 2020 auf die Vorbereitung auf eine “Cyberpandemie”, von der Mainstream-Medien wie der New Yorker behaupten, sie sei “bereits im Gange”. In Anbetracht der jüngsten Simulationen des WEF scheinen mächtige Milliardärsunternehmer und Banker bereit zu sein, sowohl physische als auch digitale Pandemien zu nutzen, um unsere Gesellschaften nach ihrem eigenen Entwurf und zu ihrem eigenen Vorteil zu reformieren.


Die Architekten von Cyber Polygon

Nach Angaben der russischen Cybersecurity-Firma BI.ZONE nahmen 120 Organisationen aus 29 Ländern an den beiden Szenarien teil, die bei Cyber Polygon 2020 simuliert wurden, wobei angeblich bis zu fünf Millionen Menschen in über 57 Ländern den Livestream verfolgt haben. Wie viele Veranstaltungen im Jahr 2020 wurden auch die Cyber Polygon-Simulationen aufgrund der COVID-19-Beschränkungen online durchgeführt. Zusammen mit dem World Economic Forum leitet BI.ZONE, eine Tochtergesellschaft der Sberbank, das Cyber Polygon Projekt. Der größte Anteilseigner der Sberbank ist seit letztem Jahr die russische Regierung, weshalb sie von englischsprachigen Medien oft als staatlich kontrollierte Bank bezeichnet wird.


Die Veranstaltung 2020 wurde mit einer Ansprache des russischen Premierministers Mischustin eröffnet, der schon vor seinem Eintritt in die Politik westliche Tech-Unternehmen umworben hat. 1989 schloss Mischustin sein Studium an der Moskauer Staatlichen Technologischen Universität (allgemein bekannt als Stankin) mit einem Abschluss in Systemtechnik ab. In den 1990er Jahren arbeitete er beim International Computer Club (ICC), einer gemeinnützigen Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, “westliche fortschrittliche Informationstechnologien” nach Russland zu holen. Zwischen 1996 und 1998 war Mishustin Vorstandsvorsitzender des ICC, das Unternehmen wurde jedoch 2016 aufgelöst. Zwischen 2010 und 2020 arbeitete er als Leiter des Föderalen Steuerdienstes der Russischen Föderation. Obwohl er nie zuvor politische Ambitionen gezeigt hatte, wurde er am 16. Januar 2020 durch einen Erlass von Präsident Putin zum Premierminister der Russischen Föderation ernannt.


Während Mischustins Begrüßungsrede auf dem Cyber Polygon 2020 des WEF warnte der russische Premierminister vor der Notwendigkeit, eine öffentliche Politik zu schaffen, um “die digitale Sicherheit kritischer Aktivitäten zu stärken, ohne die Vorteile der digitalen Transformation in kritischen Sektoren zu untergraben, die die Nutzung und Offenheit digitaler Technologie unnötig einschränken würde.” Die Aussage legt nahe, dass “unnötige Einschränkungen” mit der Zeit als notwendig angesehen werden könnten.


Mischustin erklärt weiter, dass Russlands wirtschaftlicher Aufschwung nach COVID-19 auf der “zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft und der Regierung” basieren wird und fügt hinzu, dass “wir die Anzahl der verfügbaren digitalen öffentlichen Dienstleistungen drastisch erhöhen und grundlegend neue Unterstützungsmaßnahmen für digitale Unternehmen einführen werden.” Er erklärte auch, dass “Russland ein gemeinsames nationales System zur Identifizierung und Verhinderung von Cyberangriffen entwickelt hat, in das die Informationssysteme der Regierungsbehörden eingebunden sind.” Er sprach vor dem Cyber Polygon-Publikum auch darüber, dass die internationale Gemeinschaft zusammenkommen muss, um eine “globale Cyberbetrugs-Pandemie” zu verhindern.


Die Sberbank, das größte russische Bankinstitut und ehemaliger sowjetischer Spareinlagenmonopolist, das ursprünglich von Nikolaus I. gegründet wurde, war neben dem Weltwirtschaftsforum offizieller Gastgeber der Cyber Polygon 2020 Veranstaltung. Wie der Economist im Januar 2021 berichtete, hat der russische Bankenriese damit begonnen, sein Geschäft neu zu gestalten, um zu einem Giganten der Verbrauchertechnologie zu werden. Die Sberbank hat rund 2 Milliarden Dollar für Technologie und Akquisitionen ausgegeben, darunter die Übernahme des Internet-Medienkonzerns Rambler, den sie 2020 vollständig übernommen hat. Erst am 30. Dezember 2020 erwarb die Sberbank Doma.ai, das sich selbst als “eine bequeme Immobilienverwaltungsplattform” beschreibt. Am 15. Juni 2020 kaufte die Sberbank 2GIS, ein Karten-, Navigations- und Branchenverzeichnis mit über 42 Millionen monatlich aktiven Nutzern. Zu den zweiundzwanzig Investitionen der Sberbank, elf davon als Hauptinvestor, gehören einige der meistgenutzten Dienste in Russland, und es ist ihre klare Absicht, ein digitaler One-Stop-Shop für alle Dienstleistungen zu werden. Die Bank wurde auch Eigentümerin eines der größten Rechenzentren in Europa, als das Rechenzentrum South Port im November 2011 eröffnet wurde und die bestehenden sechsunddreißig regionalen Rechenzentren ersetzte. Die Sberbank wird im März dieses Jahres als erste Bank der Welt ihre eigene Kryptowährung Sbercoin und ein digitales Finanz-“Ökosystem” einführen. Sie kündigte den kommenden Sbercoin, einen “stablecoin”, der an den russischen Rubel gebunden ist, nur wenige Wochen nach der Cyber Polygon 2020 Übung, an.


Die Allianz der Sberbank mit dem WEF und der prominente Auftritt bei Cyber Polygon 2020 wurde bei der Veranstaltung während der Begrüßungsrede von Klaus Schwab unterstrichen. Schwab bedankte sich besonders bei Herman Gref, Mitglied des Kuratoriums des Weltwirtschaftsforums und Vorstandsvorsitzender der Sberbank, und sprach eine eindringliche Warnung aus:

Wir alle kennen das Schreckensszenario eines umfassenden Cyberangriffs, der die Stromversorgung, das Transportwesen, die Krankenhausversorgung, unsere gesamte Gesellschaft zum Erliegen bringen würde, aber wir schenken ihm noch zu wenig Beachtung. Die COVID-19-Krise wäre in dieser Hinsicht als eine kleine Störung im Vergleich zu einem großen Cyberangriff zu sehen. Wir müssen uns in einer solchen Situation fragen, wie wir so etwas zulassen konnten, obwohl wir alle Informationen über die Möglichkeit und Schwere eines Risikoangriffs hatten. Cyberkriminalität und globale Zusammenarbeit sollten ganz oben auf der globalen Agenda stehen.

Ähnliche Warnungen waren bei einer Simulation des Jahres 2019 zu hören, die ebenfalls vom Weltwirtschaftsforum mitgesponsert wurde, Event 201. Event 201, das nur wenige Monate vor der COVID-19-Krise eine globale Pandemie simulierte, warnte in seiner offiziellen Dokumentation vorausschauend: “Die nächste schwere Pandemie wird nicht nur schwere Krankheiten und Verluste an Menschenleben verursachen, sondern könnte auch große kaskadenartige wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen auslösen, die stark zu den globalen Auswirkungen und dem Leid beitragen könnten.” Im Gegensatz zu ähnlichen Simulationen, die in der Vergangenheit durchgeführt wurden, setzte sich Event 201 für einen “Public-Private-Partnership”-Ansatz zur Bekämpfung von Pandemien ein, mit dem Fokus auf der Einbindung “des privaten Sektors in die Epidemie- und Ausbruchsvorbereitung auf nationaler oder regionaler Ebene”. Das WEF ist unter anderem ein großer Befürworter der Verschmelzung von öffentlichem und privatem Sektor auf globaler Ebene und bezeichnet sich selbst als “internationale Organisation für privat-öffentliche Zusammenarbeit”. Es ist daher nicht überraschend, dass ihre neueste Katastrophensimulation, die sich auf Cyberattacken konzentriert, genau diese Agenda fördert.


Die Redner bei Cyber Polygon 2020

Neben Schwab und Mishustin nahmen zwanzig weitere Referenten an Cyber Polygon 2020 teil, darunter einige große Namen aus der politischen Führungsriege. Zunächst diskutierte Herman Gref mit dem ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair, der sich seit Jahrzehnten für digitale Identitätssysteme einsetzt. Blair sagte dem Vorstandsvorsitzenden der Sberbank ohne Umschweife, dass biometrische digitale Identitätssysteme “zwangsläufig” die Werkzeuge sein werden, die die meisten Regierungen einsetzen werden, um mit zukünftigen Pandemien umzugehen. Blair, der mit Gref über die Coronavirus-Pandemie diskutierte, sprach sich für die härtesten Abriegelungsmaßnahmen aus und sagte, die einzige Alternative zu biometrischen digitalen Identitäten sei es, “die Wirtschaft abzuriegeln”.


Als nächstes diskutierte Sebastian Tolstoy, Ericssons Generaldirektor für Osteuropa, Zentralasien und Russland und derzeitiger Vorsitzender der Tolstoy Family Foundation in Schweden, mit Alexey Kornya. Kornya ist Präsident, CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung von Mobile TeleSystems. Zuvor arbeitete er für PricewaterhouseCoopers und AIG-Brunswick Capital Management bei North-West Telecom. Tolstoy und Kornya präsentierten auf der Cyber Polygon 2020 ein Segment mit dem Titel “Building a Secure Interconnected World: What Is the Role of the Telecom Sector? [Aufbau einer sicheren, vernetzten Welt: Was ist die Rolle des Telekommunikationssektors?]”, in dem sie die Bedeutung der digitalen Kommunikation und Konnektivität für unsere moderne Lebensweise diskutierten.


Im nächsten Segment sprach Nik Gowing, BBC World News-Moderator zwischen 1996 und 2014 und Gründer und Direktor von Thinking the Unthinkable, mit Vladimir Pozner, Journalist und Rundfunksprecher, über das Thema “Fake News” in einem Gespräch, das in seinen Argumenten und seinem Ansatz tatsächlich etwas erfrischender war.


Stéphane Duguin, der Vorstandsvorsitzende des CyberPeace Institute, einer in Genf ansässigen Firma, die sich selbst als “Bürger, die Frieden und Gerechtigkeit im Cyberspace suchen” beschreibt, hielt anschließend einen Vortrag vor den Millionen von Zuschauern, die die Simulation verfolgten. Das CyberPeace Institute, das unter anderem von Microsoft, Facebook, Mastercard und der Hewlett Foundation finanziert wird, behauptet, seinen Kunden dabei zu helfen, “die digitale Widerstandsfähigkeit und die Fähigkeit zu erhöhen, auf Cyberangriffe zu reagieren und sich von ihnen zu erholen”. Die Hauptunterstützer des CyberPeace Institute gehören auch zu den Top-Unterstützern der Global Cyber Alliance, die den öffentlichen Sektor der USA, Großbritanniens und Frankreichs mit multinationalen Unternehmen und geheimdienstlichen Cybersecurity-Firmen vereint und “einen koordinierten Ansatz und eine nicht-traditionelle Zusammenarbeit” anwendet, um “Cyber-Risiken zu reduzieren.”

Cyber1 - Bildquelle: Cyber Polygon 2020Cyber1 – Bildquelle: Cyber Polygon 2020


Duguin, der auch im Beirat des Global Forum on Cyber Expertise sitzt, hat kürzlich die Initiative Cyber4Healthcare ins Leben gerufen, einen “kostenlosen” Cybersecurity-Service für Gesundheitsdienstleister im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie. Die Cyber4Healthcare-Initiative umfasst als Hauptpartner BI.ZONE sowie Microsoft und die Global Cyber Alliance. Dies ist ein weiterer verdächtiger, mit Microsoft verbundener, kostenloser Cybersicherheitsdienst, der derzeit Gesundheitsdienstleistern auf der ganzen Welt angeboten und von ihnen zur Zusammenarbeit eingeladen wird – und das zu einer Zeit, in der die Warnungen vor einem kommenden Cyberangriff auf die Gesundheitssysteme weltweit immer stärker werden.


Dhanya Thakkar, Senior Vice President AMEA bei Trend Micro, der sich selbst online als Top ASEAN LinkedIn “Cybersecurity Influencer” bezeichnet, und Wendi Whitmore, Vice President IBM X-Force Threat Intelligence, diskutierten als nächstes das Thema “Know Your Enemy: How Is the Crisis Changing the Cyberthreat Landscape? [Kenne deinen Feind: Wie verändert die Krise die Landschaft der Cyberbedrohungen?]” Die Anwesenheit von IBM ist aufgrund der langjährigen Beziehung des Unternehmens zur CIA bemerkenswert, die bis in den frühen Kalten Krieg zurückreicht. Das Unternehmen ist so fest [im Netzwerk der CIA] verwurzelt, dass die CIA kürzlich ihren Chief Information Officer direkt von IBM Federal rekrutierte. Bevor er zu IBM kam, war Whitmore in leitenden Positionen bei den kalifornischen Cybersicherheitsunternehmen CrowdStrike und Mandiant tätig, wobei letzteres von FireEye in einem Aktien- und Bargeld-Deal im Wert von über 1 Milliarde Dollar übernommen wurde. Whitmore war für den Bereich “Professional Services” verantwortlich. Bemerkenswert ist, dass sowohl CrowdStrike als auch Mandiant/FireEye die wichtigsten Organisationen sind, die die Untersuchung des jüngsten SolarWinds-Hacks leiten, den der US-Geheimdienst einem “russischen Hacker” zuschreibt, ohne Beweise zu liefern. Whitmore begann ihre Karriere als Spezialagentin, die beim Air Force Office of Special Investigations Untersuchungen zu Computerkriminalität durchführte.


Jacqueline Kernot, die australische “Partnerin für Cybersicherheit” bei Ernst and Young, und Hector Rodriguez, Senior Vice President und Regional Risk Officer bei Visa, diskutierten anschließend, wie man sich auf Cyberattacken vorbereiten kann. Kernot arbeitete über fünfundzwanzig Jahre lang als Militäroffizier für das Australian Intelligence Corps und verbrachte zwei Jahre bei IBMs Defence|Space|Intelligence für Tivoli Software in Großbritannien mit “internationaler Verantwortung innerhalb des britischen Verteidigungsministeriums, der Defence Primes und der NATO.” Ernst and Young und Visa sind neben anderen WEF-verbundenen Unternehmen wie Salesforce im exklusiven Council for Inclusive Capitalism (Rat für inklusiven Kapitalismus des Vatikans) gut vertreten. Der Rat, wie auch das WEF, fordert den Umbau des Wirtschaftssystems, um “nachhaltiger”, “inklusiver” und “dynamischer” zu werden, indem “die Macht des privaten Sektors genutzt wird.”


Troels Ørting Jørgensen, Vorsitzender des Beirats des Zentrums für Cybersicherheit des Weltwirtschaftsforums, und Jürgen Stock, der dänische Generalsekretär von INTERPOL, sprachen ebenfalls gemeinsam bei Cyber Polygon über die Veränderungen der globalen Cyberkriminalität im Laufe des vergangenen Jahres. Einige Monate nach seinem Auftritt bei Cyber Polygon gab die dänische Finanzaufsichtsbehörde in einer offiziellen Erklärung bekannt, dass “Troels Ørting das Wirtschaftsministerium darüber informiert hat, dass er aus dem Vorstand der dänischen Finanzaufsichtsbehörde ausscheidet.” Unter Berufung auf ungenannte Quellen berichtete der dänische Finanznachrichtendienst FinansWatch, dass Ørting in der Zeit zwischen 2015 und 2018, als er als Sicherheitschef bei der Barclays Bank angestellt war, eine Schlüsselfigur bei der Jagd nach einem Whistleblower gewesen sei, der dieselben kriminellen Aktivitäten aufgedeckt hatte, gegen die Ørting bei Cyber Polygon gewettert hatte.

Cyber2 - Bildquelle: Cyber Polygon 2020Cyber2 – Bildquelle: Cyber Polygon 2020


Der Mann, der neben Ørting sprach, Jürgen Stock, ist ein ehemaliger deutscher Polizeibeamter, Kriminologe und Rechtsanwalt. Er wurde 2019 für eine zweite Amtszeit als Generalsekretär von INTERPOL gewählt, eine Amtszeit, die normalerweise fünf Jahre dauert. Craig Jones, der Direktor für Cyberkriminalität bei INTERPOL, nahm ebenfalls an der Diskussion bei Cyber Polygon 2020 teil. Der Neuseeländer war siebenundzwanzig Jahre lang in der Strafverfolgung tätig und gilt als Experte für Ermittlungen im Bereich Cyberkriminalität. Zuvor hatte er mehrere leitende Positionen in der britischen Strafverfolgung inne, zuletzt bei der National Crime Agency.


Petr Gorodov und John Crain wurden auf der Cyber Polygon 2020 Veranstaltung kurz interviewt. Gorodov ist Leiter der Generaldirektion für internationale Beziehungen und Rechtshilfe der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation und sitzt auch in der Kommission für die Kontrolle der Akten von INTERPOL. Er ist Mitglied der Requests Chamber von INTERPOL, die Anträge auf Datenzugang sowie Anträge auf Korrektur und/oder Löschung von Daten, die im INTERPOL-Informationssystem verarbeitet werden, prüft und darüber entscheidet. John Crain ist Chief Security, Stability and Resiliency Officer bei ICANN, der gemeinnützigen Gesellschaft für Internetsicherheit. Er ist derzeit für die Verwaltung des L-Root-Servers verantwortlich, einem der dreizehn Root-Server des Internets, was seine Teilnahme an der Simulation besonders bemerkenswert macht. Bei Cyber Polygon 2020 warb er für eine “langfristige Lösung der Zusammenarbeit in der Cybersicherheits-Community”.


Das letzte Wort bei Cyber Polygon 2020 hatte Stanislav Kuznetsov, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Sberbank. Er ist auch Vorstandsmitglied der Sberbank-Wohltätigkeitsstiftung Contribution to the Future, einem Projekt, das russische Schüler von der siebten bis zur elften Klasse für KI (Künstliche Intelligenz), maschinelles Lernen und Datenanalyse begeistern und ihnen helfen soll, Mathematik- und Programmierkenntnisse zu entwickeln. Kuznetsov studierte am Juristischen Institut des Innenministeriums der Russischen Föderation.


Das Hauptereignis: Betreten Sie das Polygon

Bei der Simulationskomponente von Cyber Polygon 2020 nahmen 120 Teams aus neunundzwanzig Ländern an der technischen Cybersecurity-Simulation teil. Während der Online-Veranstaltung “übten die Teilnehmer die Aktionen des Reaktionsteams bei einem gezielten Angriff, der darauf abzielte, vertrauliche Daten zu stehlen und damit den Ruf des Unternehmens zu schädigen.” Zwei Teams, das Rote und das Blaue, traten in den Simulationen gegeneinander an, wobei das Rote Team, bestehend aus den Trainingsorganisatoren von BI.ZONE, Cyberangriffe simulierte und die Mitglieder des Blauen Teams versuchten, ihre Segmente der Trainingsinfrastruktur zu schützen. Die eigentliche Simulation bestand aus zwei Szenarien, in denen die verschiedenen Untergruppen der Teams Punkte sammeln konnten.


Im ersten Szenario, genannt Defence, übten die Cyber Polygon Teilnehmer die Abwehr eines aktiven APT (Advanced Persistent Threat) Cyberangriffs. Als Ziel des Szenarios wurde angegeben, “Fähigkeiten zur Abwehr von gezielten Cyberangriffen auf ein geschäftskritisches System zu entwickeln”. Die virtuelle Infrastruktur des fiktiven Unternehmens umfasste einen Dienst, der vertrauliche Kundendaten verarbeitet. Dieser Dienst wurde zum Gegenstand des Interesses einer APT-Gruppe, die plante, vertrauliche Benutzerdaten zu stehlen und sie im “Darknet” weiterzuverkaufen, um daraus finanziellen Nutzen zu ziehen und den Ruf des Unternehmens zu schädigen. Die APT-Gruppe untersuchte das Zielsystem im Vorfeld und entdeckte mehrere kritische Sicherheitslücken. Im Szenario plant die Cyber-“Gang” einen Angriff am Tag der Übung. Die beteiligten Teilnehmer wurden nach ihrer Fähigkeit beurteilt, den Angriff so schnell wie möglich zu verhindern, die Menge der gestohlenen Informationen zu minimieren und die Verfügbarkeit der Dienste aufrechtzuerhalten. Die Teilnehmer des blauen Teams konnten beliebige Anwendungen und Tools zum Schutz der Infrastruktur einsetzen und durften auch Systemschwachstellen durch Verbesserung des Service-Codes beheben.


Im zweiten Szenario, genannt Response, mussten die Teams den Vorfall mit “klassischen Forensik- und Threat-Hunting-Techniken” untersuchen. Anhand der gesammelten Informationen mussten die Teilnehmer ein Dossier zusammenstellen, das den Strafverfolgungsbehörden bei der Suche nach den Verbrechern helfen sollte. Das zweite Szenario hatte zum Ziel, Fähigkeiten in der Untersuchung von Vorfällen zu entwickeln, wobei das Szenario verwendet wurde, in dem Cyberkriminelle durch einen erfolgreichen Phishing-Angriff Zugang zu einem privilegierten Konto erhielten.


Als das BI.ZONE-Team die Ergebnisse der Simulation veröffentlichte, vermieden sie es absichtlich, die echten Namen der Organisationen zu nennen, um “keinen Wettbewerb zwischen den Teilnehmern auszulösen und ihre Ergebnisse vertraulich zu halten”. Allerdings konnten die Teams später ihre Ergebnisse mit den anderen vergleichen, indem sie ein einfaches Scoreboard verwendeten, und die Gastgeber konnten die entscheidenden Daten analysieren, die verschiedene organisatorische Schwächen jedes der teilnehmenden Teams/Institutionen aufzeigten.

Im Abschlussbericht heißt es, die Ergebnisse zeigten, dass “Banken und Unternehmen aus der IT-Branche die höchste Resilienz zeigten. Das Fachwissen zur Sicherheitsbewertung ist in diesen Sektoren recht gut entwickelt, wobei klassische Forensik und Threat Hunting weit verbreitet sind.” Laienhaft ausgedrückt, schienen die Teams aus Banken und der IT-Industrie besser auf die Untersuchung und Jagd nach Bedrohungen vorbereitet zu sein als die meisten anderen Branchen. Allerdings erwiesen sich alle beteiligten Teams als weniger gut, wenn es um die erste Abwehr eines Cyberangriffs ging. Der BI.ZONE-Bericht stellt fest: “27% der Teams hatten Schwierigkeiten, Punkte für das erste Szenario zu sammeln, was uns zu dem Schluss kommen lässt, dass einige der Teammitglieder keine oder nur unzureichende Kenntnisse in der Sicherheitsbewertung und dem Schutz von Webanwendungen haben.” Zum Thema “Threat Hunting” heißt es im Bericht weiter: “21 % der Teams konnten in der zweiten Runde des zweiten Szenarios keinen einzigen Punkt erzielen. Dies wurde darauf zurückgeführt, dass ‘Threat Hunting’ ein relativ neuer Ansatz ist und die Mehrheit der Organisationen keine Erfahrung mit der Anwendung dieser Techniken in der Praxis hat.”


Die Cyber Polygon 2020-Veranstaltung hat die Schwäche der von Menschen geführten Abwehrmaßnahmen und der Widerstandsfähigkeit in Bezug auf Cyberdefense offenbart. Dieses Ergebnis ist praktisch für Hightech-Cybersecurity-Unternehmen wie BI.ZONE, die die Überlegenheit von KI-gesteuerten Cybersecurity-Produkten im Vergleich zu “ineffizienten” menschlichen Mitarbeitern hervorheben wollen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die von BI.ZONE durch das Cyberdefense-Training gewonnenen Erkenntnisse über globale institutionelle Schwachstellen eine nützliche Information für die Muttergesellschaft Sberbank und damit für den größten Aktionär der Sberbank, die russische Regierung, sein könnten.


Kommt Russland damit aus dem politischen Abseits heraus?

Obwohl die Behörden der Russischen Föderation daran gewöhnt sind, sowohl politisch als auch physisch im Abseits zu stehen, scheint es eine Änderung in der üblichen Reihenfolge der Nationen zu geben. Die Einbeziehung Russlands in eine so wichtige globale Cybersicherheitsinitiative ist etwas überraschend, vor allem nachdem Russland seit mehreren Jahren der Sündenbock für jeden Cyberangriff auf eine westliche Macht ist, zuletzt beim SolarWinds-Hack in den USA. Dennoch gab es im Westen keinen Aufschrei über Cyber Polygon 2020, bei dem ein Unternehmen, das sich mehrheitlich im Besitz der russischen Regierung befindet, durch die Ausrichtung der Übung direktes Wissen über die Schwachstellen der Cyberabwehr von großen globalen Institutionen, Banken und Unternehmen erlangen konnte.


Das völlige Fehlen des Narrativs “russischer Hacker” bei Cyber Polygon sowie die führende Rolle Russlands bei der Veranstaltung lassen darauf schließen, dass entweder eine geopolitische Verschiebung stattgefunden hat oder dass das von den Geheimdiensten in den USA und Europa verbreitete Narrativ “russischer Hacker” hauptsächlich für die breite Öffentlichkeit und nicht für die bei Cyber Polygon anwesenden Eliten und politischen Entscheidungsträger gedacht ist.

Eine andere Möglichkeit, dass Russland nicht mehr als der ewige Feind des Cyberspace behandelt wird, ist, dass es sowohl mit dem offiziellen Coronavirus-Narrativ als auch mit der angeblich bevorstehenden Cyberpandemie voll und ganz einverstanden ist. Cyber Polygon 2020 schien zum Teil eine russische Charmeoffensive zu sein, die von der Machtelite begrüßt wurde. Tony Blair, der einst Oberst Gaddafi im Namen der internationalen Gemeinschaft die Hand zur falschen Versöhnung reichte, war in den Jahren seit seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Amt oft an diesen Übungen der internationalen Diplomatie im Namen der Eliten beteiligt. Seine Beteiligung an der Übung könnte dazu gedacht gewesen sein, die Unterstützung unter den westlichen WEF-verbündeten Regierungen für eine noch größere Einbeziehung Russlands in den Great Reset zu stärken. Ein Teil davon ist auf die WEF-geführten Bemühungen zurückzuführen, BRICS-Nationen wie China und Russland in den Schoß des Great Reset zu bringen, weil dies für den Erfolg ihrer Agenda auf globaler Ebene wesentlich ist. Nun ist Russland Vorreiter dieses neuen Modells eines angeblich nationalen Finanzsystems, das das WEF durch die Schaffung eines digitalen Monopols der Sberbank nicht nur für Finanzdienstleistungen, sondern für alle Dienstleistungen innerhalb der Russischen Föderation unterstützt.


Cyber Polygon 2020 war sowohl eine Werbung für pro-russische Beziehungen als auch eine Werbetour für Klaus Schwab und den Great Reset des Weltwirtschaftsforums. Einige der Personen, die an der Cyber Polygon-Veranstaltung teilnahmen und sie unterstützten, sind auf den höchsten Ebenen der Cyber-Intelligenz tätig; einige mögen sogar inoffizielle Vertreter ihres nationalen staatlichen Geheimdienstapparates gewesen sein. Die Entscheidungen mehrerer nationaler Regierungen, sich direkt an dem vom WEF geleiteten Great Reset zu beteiligen, ist keine “Verschwörungstheorie”. Zum Beispiel schickte die neue Biden-Regierung ihren Klimabeauftragten John Kerry zum WEF-Jahrestreffen im letzten Monat, wo Kerry das Engagement der USA für die Great Reset-Agenda und die damit verbundene Vierte industrielle Revolution unterstrich, die darauf abzielt, die meisten Jobs, die derzeit von Menschen ausgeführt werden, zu automatisieren. Mit den Regierungen von Russland, China, den USA, Großbritannien, Israel, Kanada und Indien an Bord dieser transnationalen Agenda, wird es zutiefst beunruhigend, dass hochrangige Beamten sowohl aus dem öffentlichen als auch dem privaten Sektor dem WEF beigetreten sind, um eine Krisensimulation durchzuführen, die eindeutig die Great Reset-Agenda begünstigen würde.


Wie bereits erwähnt, hat das WEF eine Simulation einer Coronavirus-Pandemie nur wenige Monate vor dem tatsächlichen Ereignis mitgesponsert. Kurz nachdem die COVID-19-Krise im März letzten Jahres ernsthaft begann, bemerkte Schwab, dass die Pandemiekrise genau das war, was benötigt wurde, um den Great Reset zu starten, da sie als bequemer Katalysator diente, um mit dem Neustart der Wirtschaft, der Regierungsführung und der sozialen Gesellschaft im globalen Maßstab zu beginnen. Sollten die bei Cyber Polygon simulierten destabilisierenden Ereignisse tatsächlich eintreten, wird dies vom WEF wahrscheinlich ähnlich begrüßt werden, da ein kritisches Versagen des aktuellen globalen Finanzsystems die Einführung neuer öffentlich-privater “digitaler Ökosystem”-Monopole ermöglichen würde, wie sie in Russland von der Sberbank aufgebaut werden.


Das Bestreben der Sberbank, den Zugang zu allen privaten und öffentlichen Dienstleistungen zu digitalisieren und zu monopolisieren, mag für einige wegen seiner scheinbaren Bequemlichkeit attraktiv sein. Es wird jedoch auch sinnbildlich für das sein, was wir von Schwabs Great Reset erwarten können – Monopole aus verschmolzenen Unternehmen des öffentlichen und privaten Sektors, getarnt unter dem Begriff “Stakeholder-Kapitalismus”. Was die breite Öffentlichkeit noch nicht weiß, ist, dass sie selbst nicht zu diesen “Stakeholdern” gehören wird, da der Great Reset von den Bankern und der reichen Elite für die Banker und die reiche Elite entworfen wurde.


Was die Cyber-Polygon 2020-Übung betrifft, so wird uns die kommende Cyberpandemie prophetisch vor Augen geführt, genau wie die Pandemie-Übung vor dem Auftreten der tatsächlichen Krankheit. Solche prophetischen Warnungen kommen aber nicht nur vom WEF. Zum Beispiel warnte der Leiter des israelischen Nationalen Cyber-Direktorats, Yigal Unna, letztes Jahr, dass ein “Cyber-Winter” von Cyber-Angriffen “kommt und zwar schneller, als selbst ich vermutet habe”. Im Cyber-Direktorat arbeitet Unna eng mit israelischen Geheimdiensten zusammen, darunter die berüchtigte Einheit 8200, die auf eine lange Geschichte elektronischer Spionage gegen die USA und andere Länder zurückblicken kann und für mehrere verheerende Hacks verantwortlich war, darunter der Stuxnet-Virus, der das iranische Atomprogramm beschädigte. Der israelische Geheimdienst wird aufgrund der Stärke des israelischen Hi-Tech-Sektors zu den größten Nutznießern des Great Reset gehören [Anmerkung www.konjunktion.info: Ist hier ggf. eine Begründung zu erkennen, warum Israel trotz besserem Wissens die Impfagenda derart vorantreibt?]. Im vergangenen Monat folgte die Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate dem Beispiel von Cyber Polygon und führte in Zusammenarbeit mit dem privaten Finanzsektor der Emirate ihre allererste Cyberangriffssimulation durch. Die Unternehmensmedien ihrerseits begannen dieses Jahr mit der Behauptung, dass Cyberattacken die nächste Krise für Banken auslösen könnten und am 1. Februar, dass die nächste Cyberattacke bereits im Gange ist.


Einige werden sagen, dass eine “Cyberpandemie” eine unvermeidliche Folge der sich schnell entwickelnden Hightech-Welt ist, in der wir leben, aber es ist dennoch fair, darauf hinzuweisen, dass 2021 das Jahr ist, das viele für die finanzielle Zerstörung großer Institutionen vorausgesagt haben, die zu neuen Wirtschaftssystemen führen wird, die sich am Great Reset orientieren. Der unvermeidliche Zusammenbruch des globalen Bankensystems, der aus der seit Jahrzehnten grassierenden Korruption und dem Betrug resultiert, wird wahrscheinlich durch einen kontrollierten Zusammenbruch erfolgen, der es reichen Bankern und Eliten, wie denen, die an Cyber Polygon beteiligt waren, erlauben würde, der Verantwortung für ihre wirtschaftliche Ausplünderung und kriminellen Aktivitäten zu entgehen.


Dies gilt insbesondere für den Cyber Polygon-Teilnehmer Deutsche Bank, dessen unvermeidlicher Zusammenbruch aufgrund der extremen Korruption, des Betrugs und des massiven Engagements in Derivaten der Bank seit Jahren offen diskutiert wird. Ende 2019, Monate vor Beginn der COVID-19-Krise, warnte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, dass die Zentralbanken nicht mehr über Instrumente verfügen, um auf die nächste “Wirtschaftskrise” angemessen reagieren zu können. Es ist sicherlich bezeichnend, dass völlig neue Bankensysteme, wie das bald startende digitale Geldmonopol der Sberbank, gerade zu dem Zeitpunkt entwickelt wurden, als öffentlich anerkannt wurde, dass die traditionellen Mittel der Zentralbanken, auf wirtschaftliche Katastrophen zu reagieren, nicht mehr tragfähig waren.


Ein massiver Cyberangriff, wie er bei Cyber Polygon 2020 simuliert wurde, würde es ermöglichen, gesichtslose Hacker für den wirtschaftlichen Zusammenbruch verantwortlich zu machen und so die wirklichen Finanzkriminellen von der Verantwortung zu entbinden. Darüber hinaus kann aufgrund der schwierigen Natur der Untersuchung von Hacks und der Fähigkeit von Geheimdiensten, andere Nationalstaaten für Hacks zu beschuldigen, die sie in Wirklichkeit selbst begangen haben, also irgendein Sündenbock der Wahl angeklagt werden, ob nun eine inländische Terrorgruppe oder ein Land, das nicht mit dem WEF verbündet ist (zumindest im Moment), wie der Iran oder Nordkorea. Zwischen den gut platzierten Warnungen, Simulationen und dem klaren Nutzen für die globale Elite, die auf einen Great Reset aus ist, scheint Cyber Polygon 2020 nicht nur seinem öffentlich erklärten Zweck gedient zu haben, sondern auch seinen eigenen Hintergedanken.


(Teil-)Übersetzung des Artikels From “Event 201” to “Cyber Polygon”: The WEF’s Simulation of a Coming “Cyber Pandemic” von Johnny Vedmore und Whitney Webb; Website: Unlimited Hangout


siehe auch:


Ein Artikel bildet zwangsweise die Meinung eines Einzelnen ab. In Zeiten der Propaganda und Gegenpropaganda ist es daher umso wichtiger sich mit allen Informationen kritisch auseinander zu setzen. Dies gilt auch für die hier aufbereiteten Artikel, die nach besten Wissen und Gewissen verfasst sind. Um die Nachvollziehbarkeit der Informationen zu gewährleisten, werden alle Quellen, die in den Artikeln verwendet werden, am Ende aufgeführt. Es ist jeder eingeladen diese zu besuchen und sich ein eigenes Bild mit anderen Schlussfolgerungen zu machen


Info: https://www.konjunktion.info/2021/03/systemfrage-vom-event-201-zu-cyber-polygon-die-wef-simulation-einer-kommenden-cyber-pandemie     

30.04.2021

. . zum 1. Mai . .

esistallesda.de, Freitag / 30. April 2021


Tröste dich, die Stunden eilen,

und was all dich drücken mag,

Auch das Schlimmste kann nicht weilen,

und es kommt ein andrer Tag.


In dem ew'gen Kommen, Schwinden,

wie der Schmerz liegt auch das Glück,

Und auch heitre Bilder finden

ihren Weg zu dir zurück.


Harre, hoffe. Nicht vergebens

zählest du der Stunden Schlag:

Wechsel ist das Los des Lebens,

und es kommt ein andrer Tag.


Theodor Fontane


Link: https://www.esistallesda.de/2020/12/06/die-systematische-zerstoerung-der-menschlichen-psyche-biedermanns-diagramm-des-zwangs



Weiteres: 



esistallesda.de,  Marion Selzer | vom 5. Dezember 2020 | Verstandeshorizont |

Die systematische Zerstörung der menschlichen Psyche – Biedermanns Diagramm des Zwangs


1. Isolation

Isolation bedeutet, einem Menschen jede soziale Unterstützung durch Mitmenschen zu entziehen, um so die Fähigkeit, Widerstand zu leisten, zu durchbrechen. Dazu unterbindet man den direkten Kontakt zu anderen Menschen. In Isolation lebt man alleine oder mit sehr wenigen anderen Menschen zusammen, ohne Kontakt zur Außenwelt. Die strengste Form ist Einzelhaft.

Isolation zwingt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst. Wie man aus der Psychologie weißt, führt ständiges Grübeln über sich selbst dazu, dass man sich selbst Schuld zuweist. Das fördert Unterwerfung und Gehorsamkeit.


Nur so ein Gedanke: Ist Social Distancing eventuell bereits eine Stufe davon?


2. Monopolisierung der Wahrnehmung

Unser Verstand reagiert auf Wiederholungen. Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden, bis sie der menschliche Verstand als wahr akzeptiert. Medien haben hier eine gewaltige Macht. Wer die Medien kontrolliert, bestimmt, welche Informationen den Menschen zur Verfügung gestellt werden.


Solange diese unabhängig und neutral sind und Meinungsfreiheit herrscht, ist alles in Ordnung. Problematisch wird es, wenn nur noch eine Meinung, die Mainstream-Meinung akzeptiert und geduldet und jede davon abweichende Meinung diffamiert oder der Zugang dazu blockiert wird.


Hm, erleben wir das nicht gerade?


3. Induzierte Erschöpfung und Entkräftung

Erschöpfung schwächt die geistige und körperliche Widerstandsfähigkeit. Indem Ängste geschürt, Umstände geschaffen werden von ständiger Unsicherheit z. B. durch den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes und Hoffnungslosigkeit im Sinne der Zerstörung jeder Vorstellung darauf, dass das Leben jemals wieder Spaß machen könnte, wird einem jegliches Gefühl von Sicherheit und Stabilität genommen.


So geraten die Menschen zunächst in einen emotionalen Zustand von Dauerstress, was sich dann auch auf den Körper auswirkt.


Wenn dann auch gleichzeitig all das verboten wird, was Spaß macht und entspannt, es immer mehr Einschränkungen für den Besuch von Bars, Restaurants, Kinos, Konzerten, Theater, Fitnessstudios usw. gibt, fördert das die körperliche und emotionale Erschöpfung und Entkräftung.

Der menschliche Geist ist sehr anpassungsfähig. Selbst an die widrigsten Umstände kann der Mensch sich gewöhnen, wenn sie lange genug bestehen. Durch das ständige Ändern von Regeln wird diese Anpassungsfähigkeit blockiert und ein Zustand von Verwirrung aufrechterhalten, was sich ebenfalls erschöpfend und entkräftend auswirkt.


Passiert all das nicht gerade?


4. Androhen von negativen Folgen, Strafen und Gewalt bei Nichteinhaltung von Regeln

Bedrohungen schaffen Angst und Verzweiflung. Der einzelne Mensch hat keine Entscheidungsmacht mehr, sondern wird dominiert von jemand anderem oder einer Gruppe von Menschen. Es werden Regeln von außen bestimmt, am besten so sinnlos wie möglich und bei Nichteinhaltung mit negativen Konsequenzen gedroht.


Hm, erleben wir es gerade, dass immer mehr widersinnige Regeln angeordnet werden und bei Nicht-Einhaltung Strafen drohen?


5. Gelegentliche Zugeständnisse

Weil wir uns im Frühjahr angestrengt haben, durften wir es im Sommer ein wenig freier haben. Wenn wir uns jetzt alle zusammen brav an die vorgegebenen Maßnahmen halten, dann besteht die Hoffnung, dass wir an Weihnachten ein wenig mehr soziale Kontakte zulassen können. Oder, wenn die Impfung erst mal da ist und genügend Menschen sich haben impfen lassen, können wir zurück zum alten Normal.


Könnte es sich dabei, um gelegentliche Zugeständnisse handeln?


6. Demütigung und Erniedrigung

Indem harte Strafen auf unsinnige Maßnahmen angedroht werden und diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, diffamiert, beleidigt oder mit harten Strafen belegt werden, verliert der Mensch immer mehr den Mut zu Widerstand.

Letztendlich bleibt nichts anderes mehr übrig als folgsam zu sein, sich zu unterwerfen und Gehorsamkeit zu üben. Jeder Widerstand wird gebrochen.

Die Missachtung bzw. Bedrohung der Privatsphäre unterstützt die Demütigung und Erniedrigung.


Wurde nicht gerade der Schutz der Wohnung aufgehoben?


7. Das Opfer vom Täter abhängig machen

Um die Gehorsamkeit und Unterwerfung der Opfer zu schüren, muss man sie abhängig von sich machen. Je abhängiger das Opfer vom Täter, je höriger wird es ihm.


Je mehr die Wirtschaft und die materiellen Lebensgrundlagen zerstört werden, desto mehr werden die Bürger abhängig von den Zuwendungen des Staates.


Aber der Staat ist ja kein Täter und wir Bürger auch keine Opfer, oder vielleicht doch …?


Link: https://www.esistallesda.de/2020/12/06/die-systematische-zerstoerung-der-menschlichen-psyche-biedermanns-diagramm-des-zwangs

30.04.2021

"Zu träge, zu konservativ, zu zögerlich    "Deutschland und Europa fallen bei der Innovationsfähigkeit gegenüber den USA und Ostasien zurück. Innovation gilt für künftige Wirtschaftserfolge als zentral.

german-foreign-policy.com, 30. April 2021
BERLIN (Eigener Bericht) - Wirtschaftsexperten warnen vor stetigen Verlusten deutscher bzw. europäischer Unternehmen auf dem strategisch wichtigen Feld der Innovationsfähigkeit. Wie eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group (BSC) zeigt, fallen deutsche bzw. europäische Konzerne auf einer Rangliste der innovativsten Unternehmen weltweit gegenüber der Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten und aus Ostasien zurück. Auch Auswertungen der Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt oder der World Intellectual Property Organization (WIPO) belegen, dass der Westen bei der Innovation nicht mehr vorne liegt: Die WIPO führt China mittlerweile auf Platz eins; über die Hälfte aller Patentanmeldungen bei ihr kamen alleine aus China, Japan und Südkorea. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt, "noch" habe "Europa" "in hochinnovativen Industriesektoren" eine "international führende Position"; es falle jedoch "immer mehr zurück". Dies müsse sich ändern: Innovation sei - wohl mehr denn je - ein "Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas".


Zitat: Immer weniger innovativ

Die zunehmenden Positionsverluste deutscher bzw. europäischer Unternehmen in Sachen Innovation lassen sich an einer kürzlich publizierten Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BSC) ablesen. In dieser ist die Zahl europäischer Konzerne unter den 50 innovativsten Unternehmen weltweit von 15 im Jahr 2019 auf elf im Jahr 2020 gefallen. Auch die Zahl deutscher Konzerne unter den Top 50 ist von sechs auf fünf gesunken; lediglich Siemens und Bosch konnten ihre Stellung verbessern (von Platz 21 auf elf bzw. von Platz 33 auf 30), während alle anderen weit abrutschten (SAP von Platz 27 auf 40, Adidas von Platz 28 auf 34, Bayer von Platz 38 auf 50) oder ganz aus der Rangliste verschwanden (Volkswagen sowie der deutsch-französische Airbus-Konzern).[1] Dominiert wird die Aufzählung der innovativsten Unternehmen deutlich von den Vereinigten Staaten, die mit 27 Konzernen vertreten sind; Asien verzeichnet mit insgesamt zwölf bereits mehr als Europa, darunter fünf aus China (u.a. Huawei, Alibaba), vier aus Japan (u.a. Toyota, Mitsubishi), drei aus Südkorea (u.a. Samsung, Hyundai). Angeführt wird die Liste von den großen US-IT-Konzernen - Apple, Alphabet (Google), Amazon, Microsoft.


Europa fällt zurück

Experten weisen darauf hin, dass in den kommenden Jahren wohl mit weiteren Positionsverlusten europäischer Unternehmen zu rechnen ist. Das liegt, wie ein BCG-Mitarbeiter erläutert, zum einen daran, dass Europa vor allem auf den "Wachstumssektoren" und bei "besonders innovativen Technologien" wie "Gentechnik, neue Generationen in der Telekommunikation, Quantencomputer und Künstliche Intelligenz zurück[fällt]"; "relative Stärken" gebe es in der Luxusgüterbranche, bei Körperpflegeprodukten, in der Biopharmaindustrie und der Agrartechnik, aber eben nicht in den bedeutendsten High-Tech-Branchen.[2] Zum anderen hat eine BCG-Umfrage unter rund 1.600 Innovationsmanagern in zehn starken Industriestaaten gezeigt, dass in Deutschland "vor allem in der Breite" erkennbar "Aufholbedarf beim Thema Innovation" besteht. Demnach tragen in der Bundesrepublik derzeit lediglich 30 Prozent aller Unternehmen der "strategische[n] Priorität von Innovation auch tatsächlich durch entsprechende Investitionen" Rechnung; weltweit liegt, so heißt es, der Durchschnitt bei 49 Prozent. Während 48 Prozent aller europäischen Unternehmen ihre Innovationsausgaben erhöhen wollen, sind es in den Vereinigten Staaten 69, in China 79 Prozent.


Ostasien steigt auf

Dass Europa zurückfällt und Asien in hohem Tempo an die Weltspitze drängt, zeigt sich schon seit geraumer Zeit in den Patentstatistiken. Beim Europäischen Patentamt in München etwa, quasi dem Heimatpatentamt europäischer Unternehmen, wurden im vergangenen Jahr insgesamt 180.250 Patentanmeldungen eingereicht. Davon kamen zwar noch die meisten aus den USA (44.293); es folgten Deutschland (25.954), Japan (21.841), China (13.432), Frankreich (10.554) und Südkorea (9.106).[3] Allerdings ging die Zahl der Anmeldungen aus den USA sowie aus Deutschland zurück (minus 4,1 bzw. 3,0), während diejenige aus China sowie aus Südkorea rasant zunahm (plus 9,9 bzw. 9,2 Prozent). Europa insgesamt verzeichnete ein Minus von 1,3 Prozent. Unter den einzelnen Patentanmeldern lag beim Europäischen Patentamt Samsung (Südkorea) mit 3.276 Anmeldungen vorn - vor Huawei (China) mit 3.113 sowie LG (Südkorea) mit 2.909 Anmeldungen. Auf Platz vier fand sich mit Qualcomm (1.711 Anmeldungen) ein US-Unternehmen. Erst auf den Plätzen fünf bis sieben folgten europäische Konzerne - Ericsson (Schweden, 1.634 Anmeldungen), Siemens (Deutschland, 1.625 Anmeldungen) und Bosch (Deutschland, 1.597 Anmeldungen).


Nur noch Platz fünf

Noch deutlicher treten die Verschiebungen in den Statistiken der Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO), einer Teilorganisation der Vereinten Nationen, hervor. Die WIPO verzeichnete im Jahr 2020 laut vorläufigen Angaben rund 275.900 Patentanmeldungen, knapp vier Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bei den Staaten, aus denen die Anmeldungen eingingen, lag zum zweiten Mal in Folge China vorn - mit 68.720, ungefähr einem Viertel aller Anmeldungen insgesamt. Auf Platz zwei, weiter abgeschlagen als noch 2019, lagen - mit 59.230 Anmeldungen - die USA, gefolgt von Japan (50.520) und Südkorea (20.060). Die Bundesrepublik befand sich erstmals nur auf Platz fünf (18,643). Die drei ostasiatischen Länder unter den Top 5 standen für mehr als die Hälfte aller Patentanmeldungen weltweit. Die deutlichen Verschiebungen in Richtung Asien spiegeln sich auch in der WIPO-Statistik der Firmen mit den meisten Patentanmeldungen wider: Darauf liegt Huawei vor Samsung, Mitsubishi, LG und Qualcomm (USA); als erste deutsche Konzerne finden sich Bosch auf Platz 13, Siemens auf Platz 18 und BASF auf Platz 47. Unter den Top 10-Patentanmeldern bei den Hochschulen finden sich fünf Universitäten aus China, vier aus Japan und eine aus den USA.


"Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit"

Ökonomen schreiben der Innovationsfähigkeit eine zentrale Rolle in der globalen Konkurrenz zu. "Forschung und Innovation sind zentrale Faktoren für Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze", heißt es in einem Grundsatzpapier des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), das im November 2019 publiziert wurde.[4] "Noch" habe Europa "eine international führende Position in hochinnovativen Industriesektoren wie der pharmazeutischen, chemischen, mechanischen und der Elektroindustrie sowie in Luft- und Raumfahrt". Doch falle die EU aktuell "in verschiedenen Bereichen immer mehr zurück". Ein Ausdruck der schwindenden Fähigkeit zur Innovation sei, dass es in der Union - Stand: Ende 2019 - lediglich 26 "Einhörner" gebe, 59 hingegen in China, 109 in den USA. Mit "Einhörnern" sind hochinnovative Startup-Unternehmen mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar gemeint. "Die deutsche Industrie", heißt es weiter in dem Grundsatzpapier des BDI, "ist davon überzeugt, dass Forschung und Innovation die Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas sind." Es gelte deshalb, die Innovationsfähigkeit entschlossen zu fördern.


Skeptische Beobachter

Knapp eineinhalb Jahre nach der Veröffentlichung des Papiers geben sich Beobachter skeptisch, ob die Sicherung der Innovationsfähigkeit in der EU gelingt. Neue Untersuchungen wie diejenigen der Boston Consulting Group bestätigten einmal mehr: "Unternehmen aus Europa, damit auch aus Deutschland, hinken im Vergleich zu den Vereinigten Staaten und zu China hinterher", hieß es etwa kürzlich in einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Trotz seiner Marktgröße mit so viel Potenzial" sei "Europa zu träge, zu konservativ, zu reguliert, zu zögerlich - vor allem, wenn es um neue Technologien geht".[5]

 

[1] Overcoming the Innovation Readiness Gap. Most Innovative Companies 2021. Boston Consulting Group, April 2021.

[2] Europas Unternehmen fallen innovativ zurück. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2021.

[3] Erfindungen im Gesundheitswesen sind wesentlicher Treiber bei europäischen Patentanmeldungen 2020. epo.org 16.03.2021.

[4] Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): Forschung und Innovation in Europa. Kernforderungen für die EU-Legislaturperiode 2019-2024. Berlin, 19.11.2019.

[5] Rüdiger Köhn: Nachteil Europa. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2021.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8585  

29.04.2021

Demkratieplattform        
Allesdichtmachen und die Methoden der medialen Panikmache

cashkurs.com, 29.04.2021, Autor: Cashkurs-Redaktion

"Das Online-Portal des Nachrichtensenders n-tv, der zur RTL-Gruppe gehört, hat ein gutes Angebot an Grafiken und Tabellen zur Corona Epidemie, bei dem ich mich gern informiere. Deshalb lässt sich an dem, was der Sender textlich aus diesen Informationen macht, sehr schön die Methodik der Panikmache und Meinungsmanipulation zeigen." schreibt Dr. Norbert Häring.


Zitat: Wohl nicht zufällig hat sich n-tv.de geradezu überschlagen mit gehässigen Kommentaren und negativen Berichten zur Schauspieleraktion #allesdichtmachen. Tagelang war es das wichtigste Thema auf dem Portal. Der Hauptvorwurf der Schauspielerinnen und Schauspieler, die Verhältnismäßigkeit sei in der Corona-Politik und Berichterstattung auf der Strecke geblieben, wurde dutzendfach zu widerlegen oder davon abzulenken versucht und ihr persönlicher Charakter massiv angegriffen. Positiv ist anzumerken, dass es in der Flut der wütend-negativen Berichte und Kommentare auch ein faires Interview mit dem Regisseur der #allesdichtmachen-Aktion Dietrich Brüggemann auf n-tv.de gab.


Ich schaue regelmäßig auf n-tv.de in die “Epidemielage in Deutschland: Alle Daten, alle Fakten zum Coronavirus“. Im Fließtext zwischen den Grafiken und Tabellen liest man dort am Mittwoch 28.04. in der Zusammenfassung:

Die dritte Corona-Welle in Deutschland ist noch nicht gebrochen. Nach dem höchsten Wochenzuwachs 2021 registrieren die Länderbehörden auch zum Wochenstart sehr hohe Werte. In der Altersgruppe bis 14 Jahre steigt die 7-Tage-Inzidenz weiterhin an.”

Und weiter:

Im Kampf gegen die Pandemie bleibt Deutschland in einer der schwersten Phasen. Um die mittlerweile seit mehr als zwei Monaten laufenden dritte Ansteckungswelle zu brechen und einzudämmen, traten am vergangenen Samstag bundesweit einheitlichen Pandemie-Regeln in Kraft. (…) Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Einführung der “Bundes-Notbremse” als alternativlos verteidigt. (…) Erst am vergangenen Donnerstag war mit mehr als 28.000 neu gemeldeten Fällen der höchste Tageszuwachs seit Jahresbeginn verzeichnet worden. Auch fast alle anderen wichtigen Indikatoren wie der Anteil der gefährlicheren Coronavirus-Varianten, die Entwicklung der Positivenquote bei den PCR-Tests, die Zahl der Covid-Intensivpatienten und die Entwicklung der 7-Tage-Inzidenz in den verschiedenen Altersgruppen weisen unverändert in die falsche Richtung. In der aktuellen Wochenauswertung des Robert-Koch-Instituts wurde in der Altersgruppe 0 bis 14 Jahre erneut der stärkste Anstieg der 7-Tage-Inzidenz verzeichnet, der Wert stieg von 173 auf 198. Höher liegt er nur in der Altersgruppe 15 bis 34 mit 230.”

Wenn jemand statt Panikmache eine gegenteilige Agenda hätte, würde er schreiben: “Die starke Ausweitung der Testungen zeigt Erfolg. Es werden sehr viele Menschen entdeckt, die mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen sind und das gar nicht gemerkt haben. Dadurch steigt die Positivenquote bei den PCR-Test und die Anzahl der positiv Getesteten. Dass dies nicht mit einer Verschlechterung der Gesundheitslage einhergeht, zeigt sich daran, dass die wöchentliche Anzahl der Todesfälle an oder mit Covid stabil bei etwas über 200 bleibt. Das ist nur ein Viertel des Wertes zum Hochpunkt während der zweiten Welle zum Jahreswechsel. Angesichts der Tatsache, dass die zweite Welle der Inzidenzen schon seit zwei Monaten rollt, ist nicht zu erwarten, dass die sehr niedrigen Todesraten der positiv Getesteten nur an Zeitverzögerung zwischen Test und Sterbefällen liegt. Der Erfolg der Teststrategie zeigt sich auch daran, dass der starke Anstieg der Test-Inzidenzen fast nur bei den Kindern und jungen Leuten stattfinden, die zu einem sehr viel geringeren Prozentsatz Symptome und schwere Verläufe haben als die Älteren.’

Das wäre natürlich etwas einseitig. Aber der n-tv-Bericht lässt durch nichts erahnen, dass es diese Seite auch gibt. Es geht weiter mit:

Die aktuellen Daten belegen den Ernst der Lage: Wie aus den von ntv.de ausgewerteten Angaben der Landesbehörden hervorgeht, ist die Gesamtzahl der in Deutschland seit Beginn der Pandemie erfassten Coronavirus-Fälle bis Dienstagabend auf insgesamt 3.318.844 laborbestätigte Ansteckungen gestiegen. Damit hat sich die Gesamtzahl der bestätigten Infektionen in Deutschland um 14.699 Fälle erhöht. Im 7-Tage-Schnitt kommen derzeit pro Tag rund 20.800 neu erkannte Ansteckungen hinzu. Die Fallzahlen bleiben damit auf zu hohem Niveau.
In der zurückliegenden Kalenderwoche 16 hatten die Bundesländer insgesamt 145.720 neue Coronavirus-Fälle gemeldet. Das war der stärkste Wochenzuwachs dieses Jahres, der höchste Wert seit Ende Dezember (KW 52/2020: 149.798 Fälle) und der vierthöchste im Verlauf der Pandemie. (…)  Die dritte Welle entfaltet weiter ihre Wucht. Bedenklich daran: Die Kennzahlen der Kliniken, also Neuaufnahmen und Intensivbettenbelegung, folgen den Infektionsmeldungen in der Regel mit zwei bis drei Wochen Verzögerung. Das heißt: Selbst eine sofortige Trendwende würde im deutschen Gesundheitssystem frühestens in der zweiten Maiwoche für spürbare Erleichterung sorgen.”

Rekorde über Rekorde – bei den Test-Inzidenzen. Die Neuaufnahmen der Kliniken wären tatsächlich ein interessante Statistik, wenn man sie erführe. Aber sie sind wohl nicht hoch genug, so wie die Todesfälle, die sehr weitgehend aus der Berichterstattung der großen Medien verschwunden sind. Und tatsächlich. In Grafik 9 des täglichen RKI-Situationsberichts vom 27.4. zu den Krankenhauseinweisungen sehen wir, dass die – ziemlich flache – dritte Welle dort bereits vorüber zu sein scheint und die Hospitalisierungen wieder auf das Niveau von Anfang März gefallen sind.


Nun kommt n-tv doch noch zu den Todesfällen, und zwar so:

Es steht zu befürchten, dass die im März und im April stark gestiegenen Fallzahlen mittelfristig auch auf die Sterbestatistik durchschlagen werden. Experten gehen davon aus, dass der Zeitverzug zwischen Fallzahlanstieg, Wachstum der Intensivfälle und schließlich der Totenzahlen diesmal größer ausfallen könnte, da derzeit deutlich mehr jüngere Personen erkranken und sich der Krankheitsverlauf und die durchschnittliche Aufenthaltsdauer auf den Intensivstationen dadurch verlängert.”

Man erfährt die niedrige Anzahl der Todesfälle relativ zum Tsunami der positiv Getesteten erst einmal nur indirekt, in negativer Einkleidung in die Sorge, dass sie bald steigen könnte. Wobei zwei Monate eine sehr lange Verzögerung wären. Das RKI sprach bisher von 11 bis 18 Tagen zwischen Symptombeginn und Tod. Erst einmal ist es ja eine gute Nachricht, dass die Corona-Patienten jünger geworden sind und die jüngeren sehr viel seltener sterben. Aber es wird ausschließlich in sorgenvollem Ton vorgetragen. Aber das Niveau der Todesfälle kommt auch noch, und zwar so:

Das Niveau der gemeldeten Todesfälle bleibt weiter hoch. An diesem Dienstag registrierten die Behörden der Bundesländer in der Summe 281 neu gemeldete Verstorbene (Vortag: 149). Ohne die Korrektur aus Sachsen-Anhalt um -27 wäre wie am vergangenen Dienstag die 300er Schwelle überschritten worden. Mit dem aktuellen Tageszuwachs sind hierzulande seit Pandemie-Beginn nach amtlicher Zählung insgesamt 82.052 Menschen im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion gestorben. Die düstere Wegmarke von 80.000 Covid-19-Toten war am vergangenen Montag überschritten worden. Fast 65.600 dieser Todesfälle wurden erst nach dem 1. Dezember 2020 registriert. In den vergangenen fünf Monaten hat sich die Gesamtzahl der Todesfälle fast vervierfacht.”

Hier erreicht der Bericht ein perfides Ausmaß der Meinungsmanipulation und Desinformation, das hier offenkundig gezielt und absichtsvoll stattfindet. Weil die Todesfälle in der “dritten Welle” für Panikmache viel zu niedrig sind, werden sie unauffällig mit der zweiten Welle zusammengeworfen, in der sie sehr hoch waren, viermal so hoch wie derzeit. Es geht ebenso perfide weiter:

Auch mit Blick auf die Entwicklung der Wochendaten offenbart sich der Aufwärtstrend der Todesfallzahlen: Die Zahl der neu gemeldeten Todesfälle stieg in der aktuellen Woche (KW 16/2021) um 1662 an. In der Vorwoche bis 18. April 2021 waren noch 1542 weitere Tote im Zusammenhang mit dem Coronavirus registriert worden. Zugleich bedeutet der aktuelle Wochenzuwachs den höchsten Wert seit Anfang März (KW 9/2021: 1860 Todesfälle).”

Mit anderen Worten. Die Todesfallzahlen liegen immer noch 15 Prozent niedriger als Anfang März, kurz bevor die dritte Welle bei den Testinzidenzen losging. Statt das zu berichten, wird in atemlosen Ton auf einen kleinen Anstieg im Wochenvergleich hingewiesen und ein Rekord konstruiert.


Und hier noch zur Abrundung, was das RKI in seinem Tagesbericht zu Covid von Dienstag 27.4. schreibt, der regelmäßig (nur!) Dienstags etwas mehr zu den Todesfällen enthält als den Tageswert. Erst auf Seite 12 sieht man eine Grafik der wöchentlichen Sterbefälle an und mit Covid, die einen fortgesetzten Rückgang zeigt und keine dritte Welle, abgesehen von einem wohl meldebedingten Anstieg nach zwei besonders niedrigen Osterwochen. Und was hat das RKI dazu zu sagen, dass die Todesfälle hartnäckig sinken, trotz der so gefährlichen und schlimmen dritten Welle?:

Ab Meldewoche 37/2020 war ein deutlicher Anstieg der Zahl der Todesfälle zu beobachten, seit MW 52/2020 gehen die wöchentlich gemeldeten Todesfälle deutlich zurück. Von allen Todesfällen waren 71.795 (88 %) Personen 70 Jahre und älter, der Altersmedian lag bei 84 Jahren (s. dazu auch Tabelle 6). Im Unterschied dazu beträgt der Anteil der über 70-Jährigen an der Gesamtzahl der übermittelten COVID-19-Fälle nur 14 %. Bislang sind dem RKI 14 validierte COVID-19-Todesfälle bei unter 20-Jährigen übermittelt worden. Diese Kinder und Jugendlichen waren zwischen 0 und 19 Jahre alt, bei 11 mit Angaben hierzu sind Vorerkrankungen bekannt.“

Der entscheidende Satz wird zwischen trockenen, abkürzungs- und klammergespickten Details versteckt.


Man beachte: Dem RKI sind 14, in Worten vierzehn, Todesfälle von Menschen unter 20 Jahren mit Covid-Bezug bekannt. Das sollte man eigentlich in Zusammenhang mit der Tatsache bringen, dass die dritte Inzidenzwelle zu einem beträchtlichen Teil auf der stark ausgeweiteten Testung dieser Altersgruppe beruht. Es bedeutet, dass die Todesfallrate der “infizierten” jungen Menschen mikroskopisch ist. Das macht das RKI natürlich nicht, denn dann würde sich die Frage aufdrängen, ob das wirklich ein Grund sein kann, einer ganzen Generation junger Menschen ihre Bildungschancen und ihre Jugend zu versauen. (Schon klar: Jeder Tote ist einer zu viel. Aber: mit einem Verbot von Motorrädern würde man mit einem Bruchteil an Eingriffsintensität in die Lebensführung ein Hundertfaches an Leid junger Menschen verhindern. Nur als ein Beispiel in Sachen Verhältnismäßigkeit.) So ist es denn auch sicher kein Zufall, dass nichts zu den Sterbefällen in der “Zusammenfassung der aktuellen Lage” auf der ersten Seite auftaucht, obwohl das der eine Bericht der Woche ist, der etwas mehr als den Tageswert dazu beinhaltet.


Dazu passend eine aktuelle Meldung des Magazins multipolar: “Das Berliner Verwaltungsgericht hat unserer Klage gegen das Robert Koch-Institut (RKI) in Teilen stattgegeben. Die Gesundheitsminister Jens Spahn unterstehende Behörde wurde vom Gericht aufgefordert, die Namen der leitenden Mitglieder des Krisenstabes zu nennen, der über die Risikobewertung im Rahmen der Corona-Krise entscheidet. Unklar bleibt weiterhin, ob die Entscheidung des RKI, im März 2020 die Risikobewertung für ganz Deutschland auf „hoch“ zu ändern – und damit den ersten Lockdown zu ermöglichen –, auf wissenschaftlichen Fakten oder auf politischem Druck basierte. Mehr …


Info: https://www.cashkurs.com/demokratieplattform/beitrag/allesdichtmachen-und-die-methoden-der-medialen-panikmache




Weiter:

  


Gerichtsbeschluss nach Multipolar-Klage: RKI muss Krisenstab offenlegen


multipolar-magazin.de, PAUL SCHREYER, 26. April 2021, 4 Kommentare

Das Berliner Verwaltungsgericht hat unserer Klage gegen das Robert Koch-Institut (RKI) in Teilen stattgegeben. Die Gesundheitsminister Jens Spahn unterstehende Behörde wurde vom Gericht aufgefordert, die Namen der leitenden Mitglieder des Krisenstabes zu nennen, der über die Risikobewertung im Rahmen der Corona-Krise entscheidet. Unklar bleibt weiterhin, ob die Entscheidung des RKI, im März 2020 die Risikobewertung für ganz Deutschland auf „hoch“ zu ändern – und damit den ersten Lockdown zu ermöglichen –, auf wissenschaftlichen Fakten oder auf politischem Druck basierte. Das Gericht stützte das Auskunftsersuchen von Multipolar hier nicht. Wir haben deshalb Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.


Hinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast verfügbar.

Zur Vorgeschichte und Einordnung: Nachdem mehrere Oberverwaltungsgerichte im vergangenen Jahr Anträge von Bürgern zur Aufhebung oder Änderung der Corona-Maßnahmen mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Risikobewertung des RKI abgewiesen hatten, und das RKI auf seiner Webseite erklärte, dass diese Risikobewertung durch einen Krisenstab der Behörde formuliert werde, fragte Multipolar im Juli 2020 bei der RKI-Pressestelle nach, welche Personen zu diesem Krisenstab gehörten, wann die Treffen erfolgten und ob Sitzungsprotokolle existierten. Das RKI antwortete darauf lediglich knapp, es gebe „Notizen“, deren Veröffentlichung aber „nicht vorgesehen“ sei. Zur Zusammensetzung des Krisenstabes schwieg die Behörde. Daher klagten wir im November 2020 auf Offenlegung dieser Informationen.


Im März dieses Jahres erging nun ein Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts (Aktenzeichen: VG 27 L 335/20), in dem vom RKI verlangt wird, die Termine der Sitzungen des Krisenstabes zu nennen, sowie dessen Mitglieder, soweit sie als leitende Mitarbeiter auf dem öffentlich einsehbaren Organigramm der Behörde eingetragen sind. Für die Mitarbeiter unterhalb der Leitungsebene sei der Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte vorrangig, sie müssten daher nicht öffentlich genannt werden, so das Gericht. Das RKI hat mehr als 1.000 Mitarbeiter, etwa 80 davon – die Abteilungs- und Fachgebietsleiter – sind im Organigramm vermerkt. Von diesen teilte uns das RKI, dem Gerichtsbeschluss folgend, inzwischen die 25 leitenden Mitglieder des Krisenstabes mit, sowie die Daten der Sitzungen.


Krisenstab früher einberufen, als bislang bekannt

Der Krisenstab wurde demnach bereits am 6. Januar 2020 einberufen – zu einem Zeitpunkt, als in der öffentlichen Kommunikation des RKI, und auch der Bundesregierung insgesamt, noch keine Rede vom Coronavirus war. Die erste öffentliche Stellungnahme des RKI dazu, noch als „für die Fachöffentlichkeit“ gekennzeichnet, erschien am 17. Januar, die erste Meldung zu einer Lagebesprechung (mit Jens Spahn) am 3. Februar 2020 (hier mit Foto). Zu diesem Zeitpunkt hatte der RKI-Krisenstab aber laut der Multipolar zugegangenen Terminliste bereits 12 Beratungen hinter sich, so nach der Einberufung am 6. Januar auch am 8., 14. und 16. Januar – sowie anschließend fast täglich.


Der Krisenstab ist dabei offenbar kein festes Gremium, sondern lediglich ein Pool von Mitarbeitern, von denen jeweils verschiedene an den einzelnen Sitzungen teilnahmen. So schrieb das RKI in einer Stellungnahme an das Gericht: „An jeder Sitzung des Krisenstabes haben verschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (…) teilgenommen, da die Teilnahme sich nach den jeweiligen zu besprechenden Tagesordnungspunkten bestimmt hat.“ Nähere Informationen zu den konkreten Teilnehmern der einzelnen Sitzungen liegen bislang nicht vor, auch deshalb nun die Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht, da der vorliegende Gerichtsbeschluss unser Auskunftsersuchen hier unserer Ansicht nach falsch interpretiert hat, indem dort unterstellt wird, wir würden nicht die spezifischen Teilnehmer der verschiedenen Sitzungen erfragt haben, sondern nur eine Mitgliederliste des Krisenstabes allgemein.


25 Namen von Verantwortlichen

Multipolar veröffentlicht die 25 Teilnehmer des Krisenstabes in einer Grafik (die fraglichen Namen der Mitglieder sind dort dunkel hinterlegt), basierend auf dem offiziellen Organigramm, so dass auch die Funktionen der Verantwortlichen in der Behörde sichtbar werden.


Von allen Unterbereichen des RKI am stärksten im Krisenstab vertreten ist die Abteilung für Infektionsepidemiologie unter Leitung von Dr. Osamah Hamouda. Die entscheidende fachliche Zuständigkeit und somit größte Verantwortung für die Risikobewertung tragen, so darf man vermuten, neben Hamouda wohl die beiden ihm unterstellten Fachgebietsleiter Dr. Ute Rexroth (Fachgebiet 38: Infektionsepidemiologisches Krisenmanagement, Ausbruchsuntersuchungen und Trainingsprogramme) und Prof. Dr. Walter Haas (Fachgebiet 36: Respiratorisch übertragbare Erkrankungen) sowie der Leiter der am RKI angesiedelten IBBS (Informationsstelle des Bundes für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene), Dr. Christian Herzog und der Leiter von Projektgruppe 4 (Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten), Prof. Dr. Dirk Brockmann.


Die entscheidende Frage allerdings bleibt offen: Aufgrund welcher Fakten haben diese Personen, mit den Behördenleitern Prof. Dr. Lothar Wieler und seinem Stellvertreter Prof. Dr. Lars Schaade an der Spitze, am Dienstag, dem 17. März 2020 entschieden, die Risikobewertung mit Blick auf das Coronavirus in Deutschland von „mäßig“ auf „hoch“ anzuheben?


Diese Entscheidung, gefällt sechs Tage, nachdem die WHO eine Pandemie ausgerufen hatte, ermöglichte es der Bundesregierung überhaupt erst, am folgenden Sonntag, dem 22. März, den ersten Lockdown auszurufen. Bei einer amtlich beurkundeten lediglich „mäßigen“ Gefahr wäre das kaum denkbar gewesen. Der RKI-Krisenstab hat der Regierung somit erst den Freifahrtschein für einen Lockdown ausgestellt – mit allen bekannten Folgen. Da sich sämtliche amtlichen Stellen und Gerichte seither auf diese Risikobewertung berufen, ist vollständige Transparenz in dieser Frage dringend erforderlich.


Politischer Druck statt wissenschaftlicher Fakten?

Das RKI ist allerdings bis heute nicht in der Lage, konkrete Kennziffern zu nennen, die die Änderung der Risikobewertung begründet haben sollen. Zwar erklärte die Behörde bereits im Juli 2020:

„Für die verwendeten Begriffe 'gering', 'mäßig', 'hoch' oder 'sehr hoch' liegen keine quantitativen Werte für Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schadensausmaß zugrunde. Allerdings werden die für die Schwerebeurteilung (= Schadensausmaß) genutzten drei Kriterien bzw. Indikatoren (Übertragbarkeit, Schwereprofil und Ressourcenbelastung) mit jeweils messbaren Größen beurteilt.“

Doch die erwähnten „messbaren Größen“, deren Veränderungen zur Entscheidung am 17. März 2020 geführt haben sollen, werden bis heute nicht offengelegt. Dadurch entsteht der Eindruck von Willkür bei der Entscheidungsfindung. Eine naheliegende Erklärung könnte lauten, dass die Spitze des RKI ihre Entscheidung unter politischem Druck fällte und eben nicht der Expertise der eigenen Fachleute, wie Osamah Hamouda, Ute Rexroth, Walter Haas, Christian Herzog oder Dirk Brockmann folgend. Diese erhoben – so die Annahme denn zutrifft – jedoch auch keinen Widerspruch gegen eine solche politische Instrumentalisierung; zumindest ist davon nichts bekannt.


Sollte diese – im Kontext der mit Verweis auf die RKI-Einschätzung bislang zahlreich ergangenen Gerichtsurteile sehr brisante – Vermutung unzutreffend sein, dann müsste das RKI die Fakten nennen können und damit Transparenz herstellen. Inakzeptabel erscheint es in jedem Fall, die Risikobewertung der Behörde ohne eine vorliegende transparente Faktengrundlage für ein wissenschaftlich fundiertes Urteil zu halten – so wie es bis heute viele Gerichte und Behörden tun. Den Wissenschaftlern des RKI schließlich sollte bei all dem klar sein, dass sie moralisch (und vielleicht auch rechtlich) haftbar sind für das, was in ihrem Namen seither gerechtfertigt wird.


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Info: https://multipolar-magazin.de/artikel/rki-krisenstab-offenlegen 

29.04.2021

Schade, dass Russland nicht vom Westen erobert wurde – die Wiederauferstehung des Joschka Fischer

snanews.de, 9:29 28.04.2021


Ist die Zeit von Joschka Fischer zurück? Außenpolitisch ein Falke, könnte der einstige Außenminister nun wieder an Bedeutung als Stichwortgeber der Grünen gewinnen. Vor allem in Themen, bei denen die Partei derzeit keine klare Position einnimmt. Ein Kommentar.


Nicht nur bei der Abstimmung über die Corona-Notbremse hat sich die Grünen-Kanzlerkandida-tin Annalena Baerbock im Bundestag enthalten. In etwa 17 Fällen hat sie während der laufenden Legislaturperiode weder mit Ja noch mit Nein gestimmt, darunter bei der Änderung des BND-Gesetzes, der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem griechischen Lager Moria und beim weiteren Bundeswehreinsatz in Afghanistan, der nun nach US-Vorbild beendet wird. Außen- bzw. sicherheitspolitische Defizite bei den regierungsfreudigen Grünen sind schon längst kein Geheimnis mehr. Lücken im Kopf lassen auch viele Optionen offen, Berater werden da aushelfen.


Hier dürfte sich Joschka Fischer wie berufen fühlen. Der mittlerweile 73-Jährige hat offenbar den Anspruch, die neue grüne Machtpolitik mitzugestalten, und sorgt mit merkwürdigen Botschaften für Aufsehen. Im engen Austausch mit der FDP übrigens, wenn es um den Umgang mit dem „Putin-Regime“ geht.


Fischer und Lambsdorff wollen Russland richtig „weh tun“

Als FDP-Hardliner Alexander Graf Lambsdorff an diesem Mittwoch sein Buch „Wenn Elefanten kämpfen“ zu Deutschlands Rolle in den Kalten Kriegen des 21. Jahrhunderts vorstellt, spricht Fischer an seiner Seite. In einem Doppelinterview für den „Spiegel“ unter dem Titel „Wir müssen Russland dort treffen, wo es wirklich wehtut“ stellt Fischer wohl schon die Weichen für eine derartige Machtpolitik der Grünen.


So spricht Fischer Russland ab, sich aufgrund der historischen Erfahrung und Angriffen aus dem Westen von der Nato eingekreist zu sehen. „Dieses Riesenland“ sei ja nicht von der Nato angegriffen worden, argumentiert Fischer. Das Gegenargument des Journalisten, Russland wurde doch von Deutschland und Frankreich angegriffen, weiß Fischer zu kontern. Es sei zwar vom Westen angegriffen worden, so Fischer, aber von ihm doch „nie erobert“ worden. Als täte es ihm fast leid, dass es nicht anders passiert war.


Geht es Fischer um die Verteidigung der europäischen Werte, gibt es an Scheinheiligkeit ebenfalls kaum etwas zu überbieten. „Wenn jemand ganz offensichtlich mit militärischer Aggression spielt, kann man nicht business as usual machen“, sagt Fischer und meint damit explizit Russland, statt sich in alle Richtungen umzusehen. Noch mehr: Er wirft der Bundesrepublik quasi vor, zu russlandfreundlich zu sein.

„Deutschland ist das Haupthindernis für eine einheitliche europäische Antwort an Russland.“

Schuld daran seien die Union und die SPD, „das Duett“.


„Den Grünen ging leider nicht nur der Pazifismus verloren...“

Ob ein Berater wie Fischer die Umkehr der Grünen vom Pazifismus vollenden könnte? Fischers Namensvetter, der Außenwirtschaftsexperte und Senior Fellow am Welttrends Institut in Potsdam, Dr. Siegfried Fischer, sieht ebenfalls Prämissen dafür. „Der langwirkende Russenhass von Marieluise Beck (ehemalige Sprecherin der Grünen-Fraktion für Osteuropapolitik - Anm. d. Red.) und anderen Irrlichtern wird nun ergänzt durch die beschämend unrealistische Weltsicht des Ex-Pazifisten und späteren Ex-Realo Joschka Fischer und bildet eine durchaus ernst zu nehmende Komponente neuer grüner Machtpolitik“, kommentiert Dr. Siegfried Fischer gegenüber SNA. „Den Grünen ging leider nicht nur der Pazifismus verloren.“


So findet er es auch interessant, dass die wirtschafts- und innenpolitische Distanz zur FDP durch eine neue außen- und sicherheitspolitische Nähe relativiert werde.

„Nur für den Fall, dass die Grünen die FDP in eine Koalition einbinden müssten, falls es für Schwarz-Grün nicht reicht. Fischer und Lambsdorff tanzen schon einmal das pas de deux vor“, meint Fischer weiter.

Er befürchte ebenfalls, dass „dem Corona-geschädigten deutschen Wählervolk“ dieses Thema weitgehend egal sei, weil es inzwischen außenpolitisch ausreichend antirussisch weichgespült worden sei und vor allem „mit gutem grünen Gewissen“ seine Freizeit- und Spaßgesellschaft bei gesichertem Einkommen wiederhaben wolle.


Wo Werte auf persönliches Machtstreben stoßen

Abgesehen von Russland zeigt sich Joschka Fischer jedoch längst entscheidungsfreudig, was die internationale Rolle Deutschlands angeht. Die Deutschen müssten mit dem Abzug der USA aus den Konfliktregionen endlich ihren instinktiven Pazifismus hinterfragen, schrieb er am 1. Mai vor gut einem Jahr in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“. In einem ZDF-Interview bekräftigt er die Idee, dass Berlin keine den USA untergeordnete Rolle mehr spielen, sondern „die nötigen Leistungen auch in unangenehmen Themen“ bringen müsste, auf Augenhöhe mit den USA halt. Die Interpretation dieser „neuen“ Rolle wird jedoch dem Zuschauer überlassen.


Was Dr. Siegfried Fischer an der Stelle beunruhige, kommentiert er weiter, sei die Frage, warum diese „Gallionsfiguren“ nicht in der Lage seien, sowohl Russland als auch die USA geschweige denn China nüchtern und in Bezug auf die strategischen deutschen Interessen zu analysieren.

„Ich unterstelle ihnen nicht, dass sie uns wider besseren Wissens manipulieren wollen. Nein, sie wissen es nicht besser, denn dem stehen ihre proamerikanische Indoktrination, ihr pseudoreligiöser westlicher Wertehimmel und ihr persönliches Macht- und Einflussstreben entgegen.“

Dieser Widerspruch spiegelt sich wohl in der Karriere Joschka Fischers als Außenminister wieder. Zuerst setzte er in seiner Partei durch, dass sich Deutschland an einer rechtlich höchst umstrittenen Offensivoperation der Nato ohne UN-Mandat in Jugoslawien beteiligte. Später sagte Fischer dann aber doch Nein zum Irakkrieg der USA.


* Die Meinung des Autors muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen


Info: https://snanews.de/20210428/russland-westen-joschka-fischer-1895248.html      

29.04.2021

Global Britain und die EU (II)    EU erhöht trotz des Post-Brexit Handels- abkommens den Druck auf Großbritannien. Regierungsberater sehen gemeinsame Außen- und Militärpolitik in Gefahr.

german-foreign-policy.com, 29. April 2021

BERLIN/LONDON (Eigener Bericht) - Heftige Attacken deutscher Politiker und Medien gegen Großbritannien begleiten die Ratifizierung des Handels- und Kooperationsabkommens der EU mit dem Vereinigten Königreich. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht mit Strafmaßnahmen, sollte London das Abkommen nicht penibel einhalten; in Brüssel sind Strafzölle im Gespräch. Deutsche Leitmedien schüren das überkommene Ressentiment vom "hinterlistigen" Großbritannien ("perfides Albion"). Berliner Regierungsberater warnen, die schwer "belasteten" Beziehungen setzten der dringend erwünschten außen- und militärpolitischen Kooperation der EU mit dem Vereinigten Königreich "Grenzen"; es gelte daher, "in bi- und minilateralen Formaten", zum Beispiel im Rahmen der "E3" (Deutschland, Frankreich, Großbritannien), "Vertrauen" aufzubauen, um "die Basis für eine langfristige institutionalisierte Kooperation" zu legen. Dabei wachsen die Spannungen in den Auseinandersetzungen um die Zusammenarbeit auf dem Finanzsektor weiter und drohen die Gräben zwischen beiden Seiten zu vertiefen.


Zitat: Fristverlängerungen

Klar verspätet hat das Europaparlament am Dienstag dem Handels- und Kooperationsabkommen mit Großbritannien zugestimmt, das den Rahmen für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nach dessen Austritt aus der Union absteckt. Für die Verabschiedung des Vertrags sprachen sich 660 von 697 Abgeordneten aus; er kann nun am 1. Mai in Kraft treten. Ursprünglich war die Ratifizierung des Abkommens bis spätestens Ende Februar vorgesehen. Weil sich das Europaparlament dazu aber nicht in der Lage sah - eine Übersetzung des Vertrags in sämtliche EU-Amtssprachen und seine sorgfältige juristische Prüfung seien bis dahin nicht zu bewältigen, hieß es -, musste Brüssel um eine Verlängerung der Frist bis Ende April bitten; London gewährte dies umstandslos. Im Gegenzug hat die EU die Bitte des Vereinigten Königreichs kühl zurückgewiesen, auch die Frist bis zur Einführung bestimmter Nordirland betreffender Regelungen zu verlängern; die britische Regierung hält das für unumgänglich, um ernste Probleme bei der Versorgung des Landesteils mit Lebensmitteln auszuräumen. Von Brüssel abgewiesen, hat London die Frist kürzlich eigenmächtig verlängert, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und größere Unruhen in Nordirland zu verhindern.


"Perfides Albion"

Die EU nimmt dies nun zum Anlass, politisch und juristisch gegen Großbritannien vorzugehen. Bereits Mitte März hat Brüssel dazu ein Vertragsverletzungsverfahren gegen London angestrengt. Dies ist an sich nichts Außergewöhnliches: Mitte vergangenen Jahres etwa waren insgesamt 81 Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland anhängig (german-foreign-policy.com berichtete [1]), ohne dass das zu größeren Konsequenzen für die Bundesrepublik geführt hätte. Beim Aufbau von Druck auf das Vereinigte Königreich legt die EU nun freilich nach: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht, weitere "Instrumente" einzusetzen, "wenn es notwendig ist"; am Dienstag war beispielsweise von einer etwaigen Verhängung von Strafzöllen gegen London die Rede.[2] Parallel zu den eskalierenden Drohungen heizten deutsche Politiker und Medien die negative Stimmung gegenüber Großbritannien weiter an. Nicola Beer (FDP), Vizepräsidentin des Europaparlaments, warf der britischen Regierung vor, mit "aufgeblasenen Backen" zu operieren, während der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange ohne nähere Begründung behauptete, London könne der EU "unseriöse Finanzdienstleistungen" aufnötigen. "Die Europäer", hieß es etwa im "Handelsblatt", hätten es mit einem "hinterlistig agierenden Nachbarn" zu tun.[3]


Schwierige Kooperation

Während Politik und Medien Ressentiments schüren, warnen Berliner Regierungsberater, "die belasteten ... Beziehungen" zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich setzten der außen- und militärpolitischen Kooperation "Grenzen".[4] Wie eine aktuelle Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) festhält, hatte die Union dem Vereinigten Königreich bereits bei den Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwar eine außen- und militärpolitische Zusammenarbeit angeboten. Allerdings habe sie London dabei lediglich in Aussicht gestellt, sich "als Unterstützer ohne Mitspracherecht an EU-Entscheidungen zu beteiligen", was freilich für Großbritannien keine akzeptable Option gewesen sei. Die jüngsten Spannungen verschlechterten die Aussichten weiter, zumal das Vereinigte Königreich nun unzweideutig auf Absprachen mit einzelnen EU-Mitgliedern, vor allem mit Frankreich und Deutschland, anstatt einer Abstimmung mit der Union als ganzer setze. Aus Sicht deutscher Strategen sind die Differenzen schädlich: Eigentlich setzt Berlin darauf, in der Außen- und Militärpolitik eine möglichst enge Kooperation der EU mit London zu erreichen, um dessen diplomatische und insbesondere auch militärische Potenziale für eigene Ziele nutzen zu können (german-foreign-policy.com berichtete [5]).


"Gift im System"

Um darauf hinzuarbeiten, plädiert die SWP dafür, zunächst "in bi- und minilateralen Formaten" außen- und militärpolitisch mit Großbritannien zu kooperieren, insbesondere im Rahmen der "E3", eines lockeren Zusammenschlusses der Bundesrepublik mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich, der sich aus Sicht der beteiligten Staaten zum Beispiel in den Atomverhandlungen mit Iran bewährt hat.[6] Eine erfolgreiche Zusammenarbeit in Kleinstformaten könne "funktionierende Arbeitszusammenhänge wiederherstellen, Vertrauen aufbauen und positive Ergebnisse zeitigen - und somit die Basis für eine langfristige institutionalisierte Kooperation legen". Für eine "Normalisierung und Institutionalisierung" der Beziehungen zwischen Brüssel und London sei freilich nicht bloß "eine veränderte politische Position" des Vereinigten Königreichs unverzichtbar, konstatiert die SWP, sondern auch "eine größere Offenheit der EU". Davon ist die Union mit dem Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien und mit den jüngsten Strafzolldrohungen noch weit entfernt: "Die Drohungen der EU", hieß es gestern in einem Kommentar, seien "nicht die Musik, die man sich für einen Neuanfang wünscht"; es sei "Gift im System".[7]


Die Zukunft der Londoner City

Dabei dauern die Auseinandersetzungen auf einem Sektor an, der im Post-Brexit-Handels- und Kooperationsabkommen ausgespart worden ist: auf dem Finanzsektor. Zwar haben sich die EU und Großbritannien Ende März auf ein Memorandum of Understanding geeinigt, das die Grundzüge für die künftige Zusammenarbeit bei Finanzdienstleistungen absteckt. Allerdings stehen die zentralen "Äquivalenzentscheidungen" noch aus: Durch sie würde die EU die Gleichwertigkeit der britischen Finanzmarktregulierung mit ihrer eigenen erklären - und damit die Voraussetzung für den Zugang britischer Finanzdienstleister zu den Märkten der Union schaffen. In den meisten Teilbranchen verweigert Brüssel bislang die "Äquivalenz", um Druck auszuüben und London eine Unterordnung unter EU-Finanzregularien abzunötigen. In der City verstärkt dies nun allerdings den Widerstand; dort nehmen die Bestrebungen zu, nicht mehr auf eine "Äquivalenz" mit der stagnierenden EU, sondern vor allem auf Zukunftssektoren wie die Fintech-Branche [8] und den Zugang zu Märkten außerhalb der Union [9] zu setzen, die zum Teil erheblich schneller wachsen. Gelingt dies, dann vertiefen sich die trennenden Gräben zwischen den britischen Inseln und dem europäischen Kontinent bald noch mehr.

 

Mehr zum Thema: Global Britain und die EU.

 

[1] S. dazu Deutsche Sonderwege.

[2], [3] Christoph Herwartz: Handelsvertrag der EU mit Großbritannien kommt: Kein harter Brexit, aber großer Ärger. handelsblatt.com 27.04.2021.

[4] Claudia Major, Nicolai von Ondarza: Die EU und Global Britain: So nah, so fern. SWP-Aktuell Nr. 35. April 2021.

[5] S. dazu Das europäische Militärdreieck und Die Zukunft der Kriegführung.

[6] Claudia Major, Nicolai von Ondarza: Die EU und Global Britain: So nah, so fern. SWP-Aktuell Nr. 35. April 2021.

[7] Klaus-Dieter Frankenberger: Trauer und Drohungen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.04.2021.

[8] Philip Plickert: Die City sucht den Fintech-Ausweg. faz.net 11.04.2021.

[9] Simon Foy: EU 'needs London' and will sign post-Brexit City Deal, PwC predicts. telegraph.co.uk 25.04.2021.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8583 

28.04.2021

Der Kriegs-Wahlkampf der Grünen

linkezeitung.de, 28.4.2021, Der Kriegs-Wahlkampf der Grünen, Von Ulrich Rippert

Wenn die herrschende Klasse in Deutschland eine Kriegs- und Aufrüstungsoffensive vorbereitet, dürfen die Grünen nicht fehlen. So war es 1998, als der grüne Außenminister Joschka Fischer mit der Teilnahme der Bundeswehr am Krieg gegen Serbien den ersten deutschen Kriegseinsatz organisierte, und so ist es heute wieder.


Zitat: Während die Bundesregierung die Militärausgaben drastisch erhöht, die Nato unter dem Namen „Defender Europe 2021“ eines der größten Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges direkt an der russischen Grenze organisiert, die Polizei hochgerüstet wird, um den Widerstand gegen die Corona-Durchseuchungspolitik und soziale Angriffe zu unterdrücken, organisieren die Grünen einen Wahlkampf, in dem sie die Kriegspolitik vorantreiben.


Seit Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin ernannt wurde, nimmt die Kriegshetze der Grünen regelrecht hysterische Formen an. Es gibt kaum ein abstoßenderes Schauspiel als eine Talkshow oder ein Interview mit Baerbock, in dem die 40-Jährige von ihrer Kindheit auf dem Bauernhof, ihrer frühen Teilnahme mit den Eltern an Menschenketten gegen das Wettrüsten oder ihren beiden Töchtern erzählt, um dann mit einem Lächeln auf den Lippen zu verkünden, dass es dringend notwendig sei, der russischen Aggression Einhalt zu gebieten, die Ukraine militärisch stärker zu unterstützen und sie in die Nato und die EU aufzunehmen. Man fragt sich unwillkürlich: Ist sie verrückt? Hat sie jemals überlegt, was das bedeutet?


Die Aufnahme der Ukraine in die Nato käme einer Kriegserklärung gegen Russland gleich und würde in Moskau Alarm auslösen. Sie würde die Gefahr eines bewaffneten Konflikts mit der zweitgrößten Atommacht der Welt heraufbeschwören, der in Europa Millionen Tote fordern und die ganze Menschheit auslöschen könnte.


Es ist diese Mischung aus abgehobener Selbstgefälligkeit, Ignoranz und Aggressivität, die die Grünen für die herrschende Klasse so wertvoll macht, um ihre imperialistischen Ziele und Interessen durchzusetzen. Deshalb werden die Grünen gegenwärtig in allen Medien gehypet. Baerbock und ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck eilen von einem Interview zum nächsten.


Am Sonntag war es wieder soweit: Groß aufgemachtes Baerbock-Interview in der /Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung/ (FAS) und abends Gast bei Anne Will. Die /FAS/ fasst das Gespräch mit Baerbock mit den Worten zusammen:

„Grüne Kanzlerkandidatin plädiert für die Zusammenarbeit mit Amerika, die Eindämmung Chinas und eine härtere Haltung gegenüber Russland.“


Auf die erste Frage, wie sie als Kanzlerin „auf die Erpressung der Ukraine durch Russland“ reagieren und ob sie die Bitte Kiews nach Lieferung von Flugabwehrkanonen unterstützen würde, auch wenn Moskau nun den Truppenaufmarsch wieder reduziere, erwiderte Baerbock:

„Die Bedrohung der Ukraine durch Russland ist dennoch weiterhin groß.“


Das Allerwichtigste sei es jetzt, die Umsetzung des Minsker Abkommens sicherzustellen. Der uneingeschränkte Zugang der OSZE-Beobachtermission „zu allen Teilen des russisch besetzten Gebiets“ müsse mit der notwendigen Konsequenz durchgesetzt werden. Dazu seien auch „dringend mehr Mittel für die Luftaufklärung“ nötig.


Auf die Frage, ob sie ein militärisches Eingreifen der Bundeswehr in irgendeiner Region der Welt auch befürworten würde, wenn ein Mitglied des UN-Sicherheitsrat sein Veto einlegt, antwortete Baerbock, dass die Wahl zwischen militärischem „Handeln und Nichthandeln manchmal eine

Entscheidung zwischen Pest und Cholera“ sei. Sie fügte hinzu: „Es gibt Momente, in denen militärisches Agieren Schlimmstes verhindern kann.“


Schon in früheren Interviews hatte sich die grüne Kanzlerkandidatin für eine bessere personelle und materielle Ausstattung der Bundeswehr eingesetzt. In einem Gespräch <https://www.wsws.org/de/articles/2020/12/02/grue-d02.html> mit der /Süddeutschen Zeitung/ unter der Überschrift „Baerbock will die Bundeswehr stärken“ plädierte sie für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, den Aufbau einer gut ausgerüsteten europäischen Armee und eine deutsch-europäische Militärpolitik zur besseren Vorbereitung von Kriegseinsätzen.


Auch jetzt betonte sie wieder in der /FAS/: „Deutschland und Europa müssen sich mehr um ihre eigene Sicherheit kümmern. Aber strategisch auf der Höhe der Zeit.“ Deswegen halte sie „ein europäisches Cyberabwehrzentrum für einen wichtigen Beitrag zur Lastenteilung, den wir Europäer erbringen können“.


Das pauschale Zwei-Prozent-Ziel sei dagegen nicht hilfreich und schaffe nicht mehr Sicherheit. Denn es richte sich ja am Bruttoinlandsprodukt aus, was angesichts des gegenwärtigen pandemiebestimmten Wirtschaftsrückgangs in ganz falsche Richtung führe. „Nach dieser Logik müsste dann ja unsere Ausgabenplanung heruntergefahren werden.“ Das sei doch absurd, erklärte Baerbock.


Die /FAS/-Frage, ob die Forderung im grünen Grundsatzprogramm nach „EU-Einheiten“ mit gemeinsamer Kommandostruktur der Entwurf einer europäischen Armee sei, bejahte Baerbock: „Das sind Schritte in diese Richtung. Aus meiner Sicht müssen wir unsere Fähigkeiten als Europäer stärker bündeln. Die Militärausgaben Europas sind drei- bis viermal so hoch wie die Russlands, unsere Fähigkeiten aber sind begrenzt, weil wir vieles doppeln. Das ist nicht effizient.“ Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion müsse dringend weiterentwickelt und ausgebaut werden.


Auch die Frage, ob die Ukraine und Georgien, die seit Jahren darauf drängen, in die Nato aufgenommen werden sollten, beantwortete Baerbock positiv. Der Druck auf Russland, damit das Minsker Abkommen eingehalten werde, und die Stabilisierung hätten unmittelbar Priorität, aber:

„Souveräne Staaten entscheiden über ihre Bündnisse selbst. Dazu zählt auch die Perspektive einer Ukraine in der EU und in der Nato.“


Baerbock beschwerte sich, dass die Sanktionen gegen Russland durch das Festhalten der deutschen Regierung an der Gaspipeline Nord Stream 2 „permanent konterkariert“ werde. „Ich hätte schon längst Nord Stream 2 die politische Unterstützung entzogen.“


Auch der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer trat in einem /Spiegel/-Interview für den endgültigen Stopp des Baus der Pipeline und eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ein. Das „Säbelrasseln“ aus Moskau dürfe nicht länger hingenommen werden, forderte er.


Die Behauptung der Grünen und der Medien, Russland sei eine aggressive und expansive Macht, ist eine groteske Verdrehung der Tatsachen. Am 22. Juni ist es 80 Jahre her, seit die Deutsche Wehrmacht die Sowjetunion überfiel und in einem geplanten „Vernichtungskrieg“ 25 Millionen Zivilisten und Soldaten umbrachte. In Russland sind diese Gräuel in lebendiger Erinnerung. Seit der Auflösung der Sowjetunion vor 30 Jahren rückt die Nato immer dichter an die Grenze Russlands vor. Fast alle osteuropäischen Staaten, die einst mit der Sowjetunion verbündet waren,

sowie die ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken sind Mitglied des westlichen Militärbündnisses geworden.


Auch die Krise in der Ukraine wurde von den Westmächten gezielt provoziert. Washington und Berlin organisierten Anfang 2014 in Kiew in enger Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften einen Putsch gegen den pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und ersetzten ihn durch den pro-westlichen Oligarchen Poroschenko. Die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen spielte dabei eine führende Rolle. Seither versinkt das Land immer tiefer in Bürgerkrieg und Korruption. Die Lage der Bevölkerung hat sich drastisch verschlechtert.


Die Unterstützung des Putsches in der Ukraine war Bestandteil einer gezielten Kampagne für eine aggressivere Außen- und Großmachtpolitik. Deutschland sei „zu groß und wirtschaftlich zu stark, als dass wir die Weltpolitik nur von der Seitenlinie kommentieren könnten“, hatte der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt.


Die Grünen hatten sich im Jahr zuvor an der Ausarbeitung des SWP-Papiers „Neue Macht, neue Verantwortung“ beteiligt, das als Blaupause für die Rückkehr des deutschen Militarismus

<https://www.wsws.org/de/articles/2014/05/08/mili-m08.html> diente. Nunsehen sie ihre vorrangige Aufgabe darin, diese Kriegspolitik gegen die enorme Opposition in der Bevölkerung durchzusetzen.


Die Interviews mit Baerbock und Fischer machen vor allem eines klar: eine Bundesregierung unter Beteiligung der Grünen – sei es im Bündnis mit CDU/CSU, SPD, FDP oder Linkspartei – würde die Politik des Militarismus, der inneren Aufrüstung und des Sozialabbaus verschärfen.

https://www.wsws.org/de/articles/2021/04/28/baer-a28.html 


Info: https://linkezeitung.de/2021/04/28/der-kriegs-wahlkampf-der-gruenen

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