rubikon.news, vom 01. Mai 2021, 15:59 Uhr, von Roland Rottenfußer
Spießertum, Tugendterror und eine neue Lust am Verbieten lassen die Freiräume der Bürgerinnen und Bürger immer weiter schrumpfen.
Zitat: Gesetz ist Gesetz? Okay, vielleicht geht es wirklich nicht ohne bestimmte Regeln, mit denen destruktives Fehlverhalten Einzelner verhindert werden soll. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Den Bürgern bleibt normalerweise ein ziemlich komfortabler Freiraum. In jüngster Zeit ist allerdings zunehmend Schluss mit lustig. In immer mehr Lebensbereichen werden Menschen von „ihrem Staat“, von Unternehmen und Serviceanbietern, aber auch von ganz normalen Mitbürgern gegängelt und eingeengt. Das Spektrum möglichen Verhaltens, das erlaubt ist, ohne sich einer Ermahnung oder Sanktionsdrohung auszusetzen, schrumpft rapide. Corona hat die Drangsalierungsdichte im öffentlichen Raum nochmals dramatisch erhöht. Und wo die Obrigkeit ausnahmsweise keine Vorschriften und Verbote setzt, versuchen uns Tugendwächter anderer Art in die von ihnen gewünschte Richtung zu steuern. Durch Ranken, Liken und Disliken sieht sich der Bürger andauerndem Bewertungsterror und aufdringlicher Verhaltensmanipulation ausgesetzt. Direkt oder indirekt folgt die Welt dem „chinesischen Weg“ eines Social Credit Systems. Intendiert ist die Abschaffung jeder Art von Fehlverhalten — in der Praxis bedeutet dies den Tod jeder Freiheit.
Der Ranking-Berater ist nicht ganz zufrieden mit seiner Klientin:
„Die meisten Ihrer Interaktionen begrenzen sich auf Ihren inneren Kreis. Und das sind hauptsächlich — entschuldigen Sie mich — Menschen aus unteren Schichten. Das gleiche gilt für den äußeren Kreis. Abgesehen von gegenseitigen 5-Sterne-Bewertungen aus dem Dienstleistungsbereich ist da nicht viel.“
Zu wenig Likes von zu minderwertigem Menschenmaterial — so kann das für Lacie nicht weitergehen. Schließlich will die adrette Vorstadt-Bewohnerin ganz nach oben auf der Scala der gesellschaftlich angesehenen Personen. Doch der Berater weiß Abhilfe:
„Also in Bezug auf Qualität könnten Sie ein wenig Hilfe gebrauchen. Idealerweise heißt das: gute Bewertungen von besseren Menschen — hohe Vierer. Wenn Sie hoch angesehene Leute beeindrucken, steigt Ihre Kurve, und das ist dann Ihr Boost.“
In der Folge „Abgestürzt“ der Netflix-Serie „Black Mirror“ erschaffen Dystopie-Genie Charlie Brooker und sein Regisseur Joe Wright eine faszinierende Zukunftswelt — so nah an Tendenzen der Gegenwart, dass es weh tut. Das hervorstechende Merkmal der dort gezeigten Parallelwelt ist: Jeder bewertet jeden — andauernd. Nach jeder Begegnung mit einem Mitmenschen bewerte ich diesen mit dem Smartphone auf einer Skala zwischen einem und fünf Punkten, woraufhin ich das Gerät wie einen Revolver auf ihn richte und „Enter“ drücke. Und natürlich bewertet er oder sie auch mich. Das Ranking-System errechnet daraus einen Durchschnittswert zwischen 1 und 5. War ich freundlich genug? Hilfsbereit? Wirkte ich sympathisch? Oder habe ich mein Gegenüber durch eine missmutige Ausstrahlung oder durch Nörgeln verstört?
Das Perfide an diesem System: Mithilfe eines Augenimplantats kann jedes Mitglied dieser dystopischen Gesellschaft das aktuelle „Ranking“ jedes seiner Mitmenschen sofort erkennen. Um den Kopf des anderen erscheinen dann ein Kreis und eine Zahl: 4,2 bei relativ beliebten Zeitgenossen oder auch nur 3,1 bei Versagern.
Dieses Verfahren führt notwendigerweise zu einem hohen Konformitätsdruck und dem andauernden krampfhaften Versuch, sich „beliebt zu machen“.
Lacie, grandios verkörpert von Bryce Dallas Howard, ist stets „scheißfreundlich“ und trägt auf ihrem Gesicht ein künstliches Lächeln spazieren. Häufig kichert sie hysterisch und Beifall heischend. Nachdem sie von ihrer Schulfreundin Naomi, einer „hohen Vier“, zu deren High Society-Hochzeit eingeladen wurde, hofft sie auf gute Bewertungen von guten Leuten und somit darauf, upgescaled zu werden. Dies würde es ihr auch ermöglichen, in eine exklusive Wohnanlage für „hohe Vierer“ umzuziehen.
Die Ranking-ApartheidIn der in „Abgestürzt“ gezeigten Zukunftswelt geht es nämlich nicht nur um Beliebtheit um ihrer selbst willen. Überall in der Freizeit, aber auch im beruflichen Leben öffnen sich für hoch Gerankte Türen, die für die niedrig Eingestuften verschlossen bleiben. Ist jemand extrem tief gestürzt, kann er nicht einmal mehr die Tür zu seinem Arbeitsplatz öffnen. Er hat faktisch seinen Job verloren. Auch wendet sich der Kollegen- und Freundeskreis konsequent von solchen Losern ab. Sie fühlen sich quasi von dem Aasgeruch abgestoßen, den der gesellschaftlich Gestorbene ausströmt.
Schlecht Gerankte bekommen nur Autos einer niedrigen Klasse zugeteilt, die sie dann an der Elektroauto-Tankstelle nicht aufladen können. Sie dürfen nicht mehr fliegen und haben zu „besseren“ Partys und Wohnanlagen keinen Zutritt mehr. So geschieht es auch Lacie, der auf dem Weg zur Hochzeit ihrer Freundin ein paar Missgeschicke passieren. Da ihr niedriges Ranking auch auf dem Handy ihrer Schulfreundin angezeigt wird, lädt diese sie kurzerhand aus …
Obwohl wir „derartige Zustände“ im Land derzeit nicht haben, geht die Folge extrem an die Nieren. Denn sie zeigt eine innere Wahrheit über die Gesellschaft, wie sie zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung 2016 erkennbar war. Gerade auf Internetplattformen wird jede unserer Lebensregungen andauernd gerankt oder mit einem Like- beziehungsweise Dislike-Symbol gewertet. Gleichzeitig zeigt sich ein manisches Bedürfnis fast aller Menschen, „dazuzugehören“, indem sie alles öffentlich machen und sich so einer kollektiven Bewertung aussetzen.
Wie Lacie, die mit ihrem Smartphone einen Cappuccino mit abgebissenem Keks fotografiert und online stellt. Versuchen wir, auf amazon oder ebay etwas zu verkaufen, verfolgt uns unser „Ruf“ in Form einer durchschnittlichen Punktzahl, die uns verschiedene Käufer mit ihrem Ranking verpasst haben. Gilt jemand als „unzuverlässig“, ist es schwer für ihn, wieder aus dem Ranking-Tief herauszukommen.
Besondere Aktualität erhält die Black-Mirror-Folge aber durch das Corona-Geschehen. Der Einstieg in die Hygiene-Apartheid ist mittlerweile vollzogen. Wer nicht die Wünsche der Regierung und der von ihr manipulierten Privatunternehmen erfüllt, muss damit rechnen, dass er in vielen Lebensbereichen vor verschlossenen Türen steht wie die bedauerliche Black-Mirror-Protagonistin Lacie. Schon jetzt geht es los: Frisch Getestete können in einem Gartencenter Blumen kaufen, Nicht-Getestete müssen — wie Hunde — draußen bleiben. Egal, ob man das Testen einfach vergessen hat, keine Lust auf den Terror hat oder aus grundsätzlichen Erwägungen dagegen ist, dass mit der Testquote auch die Anzahl falsch positiver Inzidenzen steigt — faktisch ergibt dies eine Zweiteilung der Bevölkerung in Privilegierte und Unterprivilegierte.
Betreten für Ungeimpfte verbotenSchlimmer wird dies werden, wenn „jeder ein Impfangebot erhalten“ hat — wie Politiker mit leuchtenden Augen visionieren. Noch billigt man Ungeimpften gnädig zu, sie könnten ja nichts dafür, es gebe Versorgungsschwierigkeiten, die durch die Politik zu verantworten seien. Noch herrscht weitgehend Gleichheit in der Art, dass alle Menschen gleichermaßen schlecht behandelt werden und dass allen fast alles verboten ist — etwa das Betreten eines Parks oder einer Uferpromenade ohne Maske.
Im Herbst aber wird es gemäß der Herrschaftslogik für „Verweigerer“ keine Entschuldigung mehr geben, und die Apartheids-Gesellschaft wird zu ihrer vollen Entfaltung kommen.
Niedrig Gerankte werden nicht in Flugzeuge einsteigen und viele Länder der Erde nicht mehr bereisen können. Sie werden vielleicht Kinos, Theater, Konzertsäle und öffentliche Gebäude nicht mehr betreten dürfen und keine Geschäfte — außer zum Lebensmittelkauf. Probleme, wie sie die Serienheldin Lacie hatte — nicht zu eine Schickeria-Party zu dürfen oder nicht in eine Luxus-Wohnanlage einziehen zu können —, werden den Ranking-Underdogs jener nah bevorstehenden Epoche wie Luxusprobleme erscheinen. Die werden froh sein, wenn man sie noch mit einer Kaffeefiltertüte vor der Nase Brot und Butter kaufen lässt.
Eine fast noch wichtigere „Vorhersage“, die in der Black-Mirror-Folge „Abgestürzt“ getroffen wird, ist aber jene über das Verhalten der Masse der Menschen. In der Serie wie in der aktuellen Corona-Wirklichkeit zeigt sich vor allem eines: ausgeprägter Konformismus. Der Wahn, bei möglichst vielen anzukommen, bekannt zu sein, gemocht zu werden. Eine schon jämmerliche Scheu davor, allein zu sein, sich von seinen Mitmenschen zu unterscheiden oder von ihnen missbilligt zu werden — also völlige Kritikunverträglichkeit. „Ich gefalle, also bin ich.“
Weiter zeigt sich die uneingeschränkte Bereitschaft der meisten Menschen, sich an der Ausgrenzung von Personen zu beteiligt, die von der Mehrheit missbilligt werden. Was völlig fehlt, ist Kritik an den vom „System“ vorgegebenen Bewertungskriterien. Nicht angezweifelt wird auch das Prinzip der abgestuften Vergabe von Privilegien. Die Menschen in der Serie wie auch in der Corona-Realität bekämpfen nicht den durch moderne technische Tools ermöglichten Gleich-schaltungs- und Verhaltenssteuerungsdruck, sondern jene Menschen, die ihm nicht gewachsen sind. Menschen, die durch das System als Ranking-Unterschicht gebrandmarkt und aus der Herde der „Anständigen“ ausgestoßen werden.
In beiden Fällen spürt niemand eine Spur Mitgefühl mit Unterprivilegierten — übrigens auch nicht die meisten eher „links“ denkenden Menschen —, keine Solidarität, keine Aufwallung von Rebellion gegen die Institutionen, die sich anmaßen, uns andauernd zu bewerten und zu sanktionieren.
Die Herrschaft der PedantenPsychodynamisch steckt hinter diesem Umerziehungsfuror zunächst die Nicht-Akzeptanz der Entscheidungen und Verhaltensweisen anderer. Diese Feststellung scheint banal. Ich halte es aber wichtig, festzuhalten, dass das Phänomen „Überwachen und Strafen“, wie es Michel Foucault in seinem grandiosen Buch nannte, zunächst mit der Psychopathologie des Überwachenden und Strafenden zusammenhängt. Niemand ist mit allem einverstanden, was seine Mitmenschen sich erlauben. Man möchte zum Beispiel nicht körperlich verletzt werden oder hat es nicht gern, wenn ein Besucher im Wohnzimmer die Hose herunterlässt und auf den Teppich pinkelt.
Entscheidend ist jedoch, wie groß das Toleranzspektrum des Einzelnen ist. Kommen zwei ziemlich tolerante Menschen zusammen, herrscht allgemein eine lockere Atmosphäre, in der man sich wohlfühlen kann. Zwei Intolerante mit jeweils völlig verschiedenen Vorstellungen werden es keine fünf Minuten zusammen in einem Raum aushalten. Häufig treffen wir aber auf das Phänomen einer fortgesetzten Tyrannei der Intoleranten über die Toleranten. Bei ersteren kann man auch von einer rigiden oder zwanghaften Charakterstruktur sprechen.
Ein anderes Wort dafür ist Pedanterie. Der Psychiater und Philosoph Rudolf Allers definierte sie so: „Pedanterie ist nichts anderes als der Wille, Kleinigkeiten der Umwelt das Gesetz der eigenen Person aufzuerlegen.“ Der Pedant besitzt nicht die Großzügigkeit, nicht die Weitherzigkeit und mentale Stabilität, um die geringste Abweichung von seinen Idealvorstellungen zu dulden. Anstatt aber an sich und seinen Defiziten zu arbeiten, wird er meist versuchen, alle Nicht-Pedanten so zu „erziehen“, dass sie mit ihrem Verhalten innerhalb der von ihm geschaffenen engen Umzäunung bleiben. In Anlehnung an Gerhard Polt könnte man die Welthaltung des Pedanten auch so umschreiben: „Wenn ich ihnen nicht ganz genau sage, was sie tun sollen, benehmen sie sich am Ende noch so, wie sie selber wollen.“
Erlangt ein Pedant eine starke Position innerhalb einer Familie, nennt man ihn Haustyrann. Gelingt es einer solchen Person, bewaffnete Banden um sich zu scharen, die Menschen wegen eines Verhaltens, das dem Pedanten nicht gefällt, verfolgen und bestrafen, so nennt man das Ganze „Staat“.
Sicherlich erscheint diese Theorie vom Wesen des Staates vielen zu einfach und einseitig. Wenn man sich aber heutige Verbotsorgien anschaut, so gewinnt man tatsächlich den Eindruck, dass sich da der Kleingeist mithilfe geschickt entworfener Narrative und eines gut organisierten Machtapparats selbst ins Grandiose übersteigert. Eine persönliche Zwangsstörung, die von den Mitgliedern einer einflussreichen gesellschaftlichen Gruppe geteilt wird, verwandelt sich in verschärften Zwang gegenüber Millionen von Unterworfenen.
Angela Merkel: Spießer an die Macht!Angela Merkel, die zumindest vor Corona den Ruf einer eher gemütlichen, gemäßigten Regentin genoss, zeigte schon in einem Video, das ursprünglich aus dem Jahr 2006 stammte, ihr wahres Gesicht: ein Spießertum, das in Verbindung mit Macht ein gefährliches Amalgam bildete. Der Film, der während einer Rede aufgenommen wurde, zeigt eine von giftiger Aggressivität erfüllte Merkel, die einen sehr weit gehenden Überwachungsstaat fordert. Ohne die CDU/CSU, so Merkel, hätten „wir“ noch heute keine Videokameras in U-Bahnen und auf öffentlichen Plätzen.
Über solche Entscheidungen, sagt sie ganz anti-demokratisch, dürfe nicht diskutiert werden, es müsste einfach getan werden. Manche Politiker, sagt sie, hielten es für „nicht so schlimm“, wenn jemand Graffiti sprüht, andere anrempelt oder in der dritten Reihe parkt. Mit großem „Ich aber sage euch“-Pathos verkündet die Kanzlerin: „Keine Toleranz“ selbst gegenüber kleinen Vergehen. Die Rede gleicht einer pauschalen Volksbeschimpfung, so als wären wir alle ein ungezogener Sauhaufen und sie, die Kanzlerin, zum Ausmisten des Stalls bestimmt.
Es zeigt sich die giftige Aversion einer machtgewohnten „Elite“ gegen die autonome, manchmal Formen sprengende Kraft des Lebens.
Die maßlose Übertreibung, die Kleinlichkeit und Spießigkeit, die daraus spricht, „keine Toleranz“ ausgerechnet gegen Falschparker zu verkünden, ist höchst bedenklich — gerade wenn man an die Angela Merkel im Spätherbst ihrer Regentschaft denkt. Implizit wird in ihrer Rede vorausgesetzt, dass es eine zentrale Aufgabe der Bürger sei, „ihre“ Regierung durch Wohlverhalten gnädig zu stimmen — anstatt dass umgekehrt die Politiker zusehen müssten, wie sie Übereinstimmung mit den Bürgern herstellen.
Wenn die Führer eines Landes offen die Toleranz bekämpfen; wenn hinzukommt, dass Volk, Medien und „intellektuelle Elite“ dies unwidersprochen hinnehmen, dann, so fürchte ich, bereiten sie damit verschärften Formen der autoritären Herrschaft den Boden. Sie könnten dann ebenso verkünden: „Null Güte“, „Null Großzügigkeit“ oder gleich: „Null Freiheit“, und es wäre zu befürchten, dass die Öffentlichkeit diese Beschimpfung ihrer wichtigsten Grundwerte klaglos hinnimmt. In den USA — oder im Auftrag der US-Regierung — wurden bald nach der Zero-Tolerance-Kampagne, die 1994 in New York vom damaligen Bürgermeister Rudy Giuliani ausgerufen wurde, Kriege vom Zaun gebrochen, Menschen ohne Gerichtsverhandlung eingesperrt und gefoltert, polizeistaatliche Strukturen gestärkt und dem Präsidenten umfangreiche Notstandsrechte zugestanden. Zufall?
China — Bevölkerungsdressur in AktionZu Recht wurde die Black-Mirror-Folge „Abgestürzt“ häufig als künstlerisches Echo auf das chinesischen „Social Credit“-Systems interpretiert. Ich will dieses deshalb, angelehnt an Kai Strittmaters China-Buch „Die Neuerfindung der Diktatur“ kurz beschreiben, um einige Dinge klar zu machen, die auch für den aktuellen Corona-Totalitarismus fast überall auf der Welt relevant sind. China wurde gerade in der „alternativen Presse“ lange Zeit mit journalistischen Samthandschuhen angefasst.
Unter dem Aspekt der friedlichen Verständigung ist diese Haltung sinnvoll, denn westliche Politiker und Medien, haben das Land — neben Russland — massiv zum Feindbild aufgebaut, auch um es als potenten globalen Rivalen der USA und Europas zu diskreditieren. Unabhängiger Journalismus muss versuchen, China gerecht zu werden. „Gerecht“ heißt aber nicht in jedem Fall unkritisch, denn in punkto technikgestützte Überwachung und Verhaltenssteuerung ist China global trauriger Spitzenreiter und zeigt uns eine mögliche, dystopische Zukunft der Menschheit auf.
Aya Velasquez und auch Daniele Ganser — beide selbst auf der Abschussliste der Mainstream-Meinungshüter und keine USA-Freunde — haben sich kritisch zu China geäußert. Warum? In einer Zeit, in der auch NATO-Staaten den Methoden der Bevölkerungsdressur nacheifern, die in China installiert sind, wirkt es wenig glaubwürdig, das Riesenland im Osten als moralisch blütenweiße Alternative zur NATO darzustellen. Aus libertärer Sicht komme ich immer häufiger zu der Schlussfolgerung:
Macht schlägt sich, Macht verträgt sich. Herrschaftseliten in aller Welt und zu allen Zeiten ähneln sich in ihrer grundsätzlichen Mentalität. Und es geht immer gegen uns, die Bürgerinnen und Bürger.
In den Schriften des Fürsten von Shang, die die Regierungspolitik des ersten chinesischen Kaisers prägten, heißt es: „Gut regierte Staaten setzen deshalb alles dran, das Volk zu schwächen. (…) Ein schwaches Volk hält sich an Gesetze, ein zügelloses wird übertrieben eigensinnig.“ Es sei deshalb erste Aufgabe des Herrschers, „das eigene Volk zu bezwingen“, bevor er sich äußeren Feinden zuwenden könne. Weiter: „Die Wurzel der Bezwingung des Volkes ist es, das Volk so zu kontrollieren wie der Metallschmied das Metall kontrolliert und der Töpfer den Ton.“ Im Gegensatz zu heutigen Politikeräußerungen ist dieser „chinesische Machiavelli“ in seinem über 2000 Jahre alten Text wenigstens ehrlich.
Rongcheng — das Überwachungs-Pilotprojekt„Unser Ziel ist es, das Verhältnis der Leute zu normieren. Wenn alle sich der Norm gemäß verhalten, ist die Gesellschaft automatisch stabil und harmonisch.“ So sagte es ein Beamter des ostchinesischen Städtchens Rongcheng, wo das bisher fortgeschrittenste Experiment eines „sozialen Bonitätssystems“ läuft.
Rongcheng ist mit einem dichten Netz von Überwachungskameras ausgestattet, die mit Gesichtserkennungs-Software arbeiten. Der Einzelne ist bei Verstößen also offline ebenso gut identifizierbar wie online. Jeder Bürger erhält anfangs 1000 Punkte als „Vertrauensvorschuss“ zugeteilt. Darauf aufbauend gibt es je nach Wohlverhalten Zusatzpunkte oder Abzüge. Ab 1050 Punkten gilt man als „Vorbild an Ehrlichkeit“. Unter 849 greift eine „Warnstufe“. Wer unter 599 Punkte gefallen ist, wird als „unehrlich“ eingestuft und wird zum „Objekt signifikanter Überwachung“.
Das „System der sozialen Verantwortung“ wie es offiziell heißt, kombiniert moralische Erziehung mit Überwachung. Laut Direktor Huang, einem der ausführenden Beamten in Rongcheng, überfuhren die Einwohner früher laufend rote Ampeln. Strafen bezahlten sie schulterzuckend. „Das wagt jetzt keiner mehr. Weil sie in ihrer Bewertung abrutschen würden“, sagt Huang. Das Ampelbeispiel erinnert an einen besonders drastischen Fall von „philosophisch“ verbrämtem Staatsautoritarismus. Richard David Precht sagte im Dezember 2020 in einem Interview:
„Persönlich können Sie denken, die Ampel ist sinnlos. Das können Sie auch Ihrer Frau oder Ihren Freunden sagen. Sie müssen sich aber an die Regeln halten und es ist erschreckend, dass wir ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung haben, die das immer noch nicht verstanden haben.“
Precht forderte also Gehorsam um seiner selbst willen — ohne sich über Kontext und Berechtigung einer Vorschrift Gedanken zu machen.
Parteisekretär Dong Jiangang, so geht es aus Kai Strittmaters Buch „Die Neuerfindung der Diktatur“ hervor, ist Verwaltungsbeamter des „Viertels Morgenröte“ in Rongcheng. Er äußerte gegenüber dem Autor: „Früher kannten die Leute keine Grenzen. (…) Jetzt ist die Moral zurückgekehrt. (…) Wir errichten eine ehrliche Nachbarschaft.“
Vor Dong Jiangangs Büro steht eine große Schautafel. „Hier listen wir die Vertrauensbrecher auf.“ Zu den Vergehen, die dort an den öffentlichen Pranger gestellt werden, gehören: einen Hundehaufen hinterlassen oder im Winter Wasser vor die Tür kippen. Positiv vermerkt werden: Schnee schaufeln oder seinen Keller zum Singen von Revolutionsliedern zur Verfügung stellen. „Wenn du viele Minuspunkte hast“, sagte der Parteisekretär, „dann tuscheln jetzt die anderen über dich: Guck mal, der da, das ist ein B. Oder ein C. Das packt dich bei der Ehre. Manchmal reicht es schon, wenn wir die Leute warnen: Du, wir stufen dich runter. Dann erschrecken sie.“
Eine Schwiegersohn-Schufa sorgt für MoralDong zufolge erkundigen sich viele Eltern vor der Hochzeit ihres Kindes nach dem Punktestand eines potenziellen Schwiegersohns. Eine Karikatur in einer chinesischen Zeitung zeigt einen jungen Mann, der seiner Angebeteten einen Blumenstrauß überreichen will. Die lehnt ab. „Du zahlst nie deine Schulden zurück. Ich habe dein Foto auf dieser großen Videowand des Straßenkomitees gesehen. Mit dir werde ich mich nie verabreden.“ Die Überschrift warnt: „Mach dir nicht dein ganzes Leben kaputt mit deinen Vertrauensbrüchen.“ Wenn man etwas Schlechtes tut, „Dann darfst du irgendwann in kein Flugzeug mehr steigen und in keinen Schnellzug. Und ich stelle dich nicht ein.“
Es ist wichtig, ein paar dieser Details zu kennen, um sich ein Bild vom „chinesischen System“ zu machen. Nun zur Philosophie dieser Methode der Verhaltenssteuerung. In einem Plan des Staatsrats zur Einrichtung eines Systems der sozialen Vertrauenswürdigkeit heißt es: „Die Vertrauenswürdigen sollen frei unter dem Himmel umherschweifen können, den Vertrauensbrechern aber soll kein einziger Schritt möglich sein.“ Statt „Staatsrat“ könnte hier auch stehen: „Deutsche Ministerpräsidentenkonferenz“. Professor Zhang Zhang von der Peking-Universität erklärt auf Befragung von Kai Strittmatter:
„Es gibt gute Menschen, und es gibt schlechte Menschen. Nun stell dir eine Welt vor, in der die Guten belohnt und die Schlechten bestraft werden.“
Der Professor vergleicht das chinesische System mit der deutschen Schufa — nur größer, allumfassend.
„Natürlich ist Ihr Umgang mit Geld wichtig. Also ob Sie Ihre Schulden pünktlich bezahlen. (…) Wie Sie aber Ihre Eltern behandeln und Ihren Ehepartner, all Ihr soziales Handeln, ob und wie Sie moralische Regeln einhalten, verrät uns das nicht auch Entscheidendes über Ihre Vertrauenswürdigkeit?“
Kai Strittmatter berichtet auch von einer App mit dem Titel „Ehrliches Shanghai“, die pro Bürger über 5.000 Einzeldaten enthält. Demgemäß wird man als „gut“ oder „schlecht“ eingestuft. Als gut gilt zum Beispiel Blut spenden, als schlecht Schwarzfahren. „Gute“ können beispielsweis in der öffentlichen Bibliothek Bücher ohne Kaution ausleihen.
„In diesem System sind wir alle — Individuen, Firmen, Organisationen — nichts anderes als wandelnde Sets von Daten. Und der Regierung fällt es zu, alles diese pausenlos strömenden Daten abzuschöpfen und auszuwerten, um sodann unser Verhalten als Bürger, als Wirtschaft und als Gesellschaft mit Anreizen und mit Strafen in ihrem Sinne zu steuern“, schreibt Strittmatter. Überhaupt ist dies der Hauptunterschied zwischen dem realen System in China und dem fiktiven, das wir in einer Folge aus „Black Mirror“ bewundern durften: Es beurteilt nicht „jeder jeden“ — es ist hauptsächlich eine Instanz, die nach ihrem Gusto Noten vergibt: der Staat.
Allerdings wird auch im „Reich der Mitte“ Verhaltenskontrolle teilweise privatisiert — wie in Deutschland, wo Geschäftsinhaber in Massen als Hygiene-Hüter rekrutiert wurden. Ein Beispiel für ein privates Social Credit-System in China ist Sesame Credit, Teil der „Alipay-App, die den Markt beim bargeldlosen Bezahlen anführt“. In diesem System bekommt jeder Nutzer zwischen 350 und 950 Punkten zugeteilt. Kriterien sind neben einer „Fähigkeit, Schulden zurückzuzahlen“ auch „Verhaltensvorlieben und persönliche Netzwerke“. Dazu sagt Li Yingyun, technischer Direktor des Projekts:
„Jemand, der zehn Stunden am Tag Videospiele spielt, würde wohl als unproduktive Person eingestuft. Wer hingegen oft Windeln einkauft, würde wahrscheinlich erkannt als Elternteil mit größerem Sinn für Verantwortung.“
Das Kaufverhalten online wie offline wird also unmittelbar an die „Zentrale“ gemeldet und dort ausgewertet. „Außerdem beeinflusst der Punktestand deiner Freunde deine Sesame-Bewertung.“ Für Strittmatter ist klar, was das bedeutet: „Halt dich fern von Freunden mit schlechter Bewertung.“ Beim Partnervermittlungs-Portal „Baihe“ werben Suchende mit ihrem hohen Punktestand für sich. Wie schwierig es für Punkte-Underdogs sein muss, an eine Heirat, Partnerschaft oder auch „nur“ Sex heranzukommen, kann man sich denken.
Ein großer Kindergarten für ErwachseneEs ist nun deutlich geworden, was die verschiedenen, immer engmaschiger werdenden Methoden der Verhaltenssteuerung für eine Gesellschaft bedeuten:
Der aufdringliche Staat Der Staat rückt sich selbst übermäßig in den Vordergrund. Ein Spruch aus dem chinesischen Weisheitsbuch Tao Te King, der auch auf einem Flugblatt der Widerstandsbewegung „Die Weiße Rose“ zitiert wurde, sagt: „Der, des Verwaltung aufdringlich ist, des Volk ist gebrochen.“ Als Bürger wird man andauernd dazu angehalten, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Staatsorgane einen finden. Damit verkehrt sich ein gesundes Verhältnis zwischen Staat und Bürger in sein Gegenteil. Regierung und Verwaltung sind es, die bangen sollten, ob wir mit ihnen zufrieden sind.
Feedback-Terror überall Es ist unmöglich geworden, sich andauerndem ungefragt gegebenem Feedback zu entziehen. Man beachte dazu auch die mittlerweile üblichen elektronischen Smileys oder Sadeys am Ortseingang, die die Menschen auf Regelübertretungen beziehungsweise Regelkonformität bei der Geschwindigkeit aufmerksam machen. An jeder Ecke ruft uns gleichsam jemand zu: „Was du tust, gefällt mir/gefällt mir nicht.“ Dadurch wird, selbst wo noch keine Strafe droht, ein permanenter Stress des Gefallen-Wollens beziehungsweise Gefallen-Müssens erzeugt.
Durch Mikro-Erziehungsmaßnahmen wird unser Verhalten andauernd in eine bestimmte Richtung gedrückt oder gezogen. Der Mensch agiert zunehmend fremdbestimmt statt selbstbestimmt, was sein Vertrauen in die eigene Urteilskraft auf Dauer schwächt. Zum Beispiel auch bei der Abwägung, welche Geschwindigkeit einer gegebenen Verkehrssituation angemessen ist.
Eine holzschnittartige Weltsicht Es wird suggeriert, dass menschliches Verhalten klar in gut/böse, nützlich/schädlich unterscheidbar wäre. Ein bipolares, holzschnittartiges Weltbild setzt sich durch. Geleugnet wird dabei, dass es Situationen gibt, in denen ein Verhalten in der einen Hinsicht gut, in der anderen Hinsicht schlecht sein kann. Beispiel: Man fährt bei ungefährlicher Verkehrslage etwas schneller, um jemanden ins Krankenhaus zu bringen.
Die „No-Excuses“-Kultur Entgegen den psychologischen Erkenntnissen, die es im modernen Rechtswesen ja gibt — „Verminderte Schuldfähigkeit“ — werden die Umstände, unter denen es zu einem „Vergehen“ kam, nicht beleuchtet. Beachte auch in der Black Mirror-Folge „Abgestürzt“: Lacie behandelt einige Umstehende am Flugplatz unfreundlich, weil ihr Flug gecancelt wurde. Sie ist nervös, weil sie diesen Flug unbedingt erreichen muss. Schuld ist zunächst das Versagen der Fluggesellschaft. Dennoch lässt der wegen des „Krawalls“ herbeigerufene Polizist keine Ausrede gelten. Er stuft Lacys Punktekonto massiv herunter.
Ein „Universum von Strafbarkeiten“ Die Anzahl der Verhaltensweisen, für die Menschen zurechtgewiesen werden, erhöht sich erheblich, da jetzt nicht mehr nur Gesetzesverstöße im engeren Sinn geahndet werden, sondern auch „Moral“ und allgemeine gesellschaftliche Konsensfähigkeit. Die herkömmliche Strafverfolgung gleicht einem weitmaschigen Netz. Vereinfacht gesagt: Wer niemanden ermordet, misshandelt, vergewaltigt, bestiehlt, betrügt oder beleidigt, hat gut Chancen, unbehelligt durchs Leben zu kommen.
Nicht so bei „Social Credit“-Systemen. In einem solchen muss man auch bei „Delikten“ Nachteile befürchten, die sonst nicht Gegenstand staatlicher Sanktionierung sind: unhöfliches und missmutiges Verhalten, verspätetes Bezahlen einer Rechnung, sich nicht ausreichend um seine Eltern kümmern… Man wird „in einem Universum von Strafbarkeiten heimisch“, so Michel Foucault. Eine Kultur der Kleinlichkeit etabliert sich. Es gibt fast nichts mehr, was zu unbedeutend wäre, um zum Gegenstand der Bewertung und Zurechtweisung werden könnte.
Nötigung zur Mittäterschaft Eine weit größere Anzahl von Privatpersonen als bisher erhält Hilfspolizistenfunktion, um dem staatlichen Wertesystem Geltung zu verschaffen. Man wird zunehmend nicht mehr durch die Staatsorgane selbst bestraft, sondern durch das Kollektiv der regeltreuen Mitbürger, die sich bereitwillig an der gesellschaftlichen Ächtung der „Vertrauensbrecher“ beteiligen.
Der Staat erspart sich so eine Menge Arbeit. Er treibt Menschen in eine Komplizenschaft, die vielen von ihnen sicher gar nicht angenehm ist. Beispiel: Angestellte eines Gartencenters müssen Nicht-Getestete an der Tür abweisen. Er integriert eine Vielzahl von Menschen in Täterstrukturen seines Zwangssystems und macht damit Rebellion zumindest bei diesem Personenkreis unwahrscheinlich. Denn die Betreffenden müssten ja quasi gegen sich selbst rebellieren. In Familien, Freundes- und Kollegenkreisen kommt es zu Konflikten, die es in einem großzügigen, weniger auf Bewertung, Kontrolle und Sanktion fixierten System gar nicht gegeben hätte.
Der gebrochene Bürger Das Selbstbild der Menschen verdunkelt sich, weil man sich weitaus öfter als „vorher“ als ein Regelbrecher, Verfolgter, Sanktionierter und Verachteter erlebt. Durch die zahllosen Mikro-Zurechtweisungen gelangt der Staatsbürger zumindest unbewusst zu der Überzeugung, er sei ein höchst defizitäres Wesen. Ist sein Selbstvertrauen auf diese Weise gebrochen, wird er mit größerer Wahrscheinlichkeit seiner weiteren Entrechtung und Erniedrigung zustimmen.
Politischer Kollateralnutzen Schließlich ist typisch für Social Credit-Systeme, dass sich unter die Vorgaben für korrektes Alltagsverhalten auch solche mischen, die politische Betätigung und politische Meinungsäußerungen betreffen. Die chinesische Regierung wirbt mit sauberen Straßen, die frei von Müll und Graffiti sind. Quasi nebenbei zieht sie dabei aber Leitplanken für erlaubtes Denken ein. Nicht nur werden parteikritische Äußerungen — zum Beispiel im Internet — mit Punktabzug bestraft, dies kann Chinesen auch passieren, wenn sie einem bei der Partei unerwünschten religiösen Glauben anhängen. Dazu Kai Strittmatter:
„Wer aber warum Vertrauen verwirkt, auch das entscheidet am Ende die Partei. Wenn einer sich in Rongcheng, dem Zukunftslabor der Partei an der Ostküste, digital ‚illegalen religiösen Aktivitäten widmet — das Schlagwort gilt vor allem der verbotenen und hart verfolgten Falun-Gong-Bewegung —, dann bekommt er 100 Punkte Abzug.“
Als unehrlicher Vertrauensbrecher gilt, wer „negatives Online-Verhalten“ zeigt und Kommentare schreibt, die „einen schädlichen Einfluss auf die Gesellschaft“ haben.
Für die aktuelle Corona-Situation in Deutschland scheint dieser letzte Punkt zwar nicht zuzutreffen, denn — danke für die Gnade, lieber Vater Staat! — man „darf“ ja jede Kritik öffentlich äußern. Sofern man eine Plattform findet, wo man nicht gleich rauszensiert wird. Aber auch in Deutschland vermischen sich Vorschriften und Verbote mit moralischen Maximalforderungen und diese wiederum mit Fragen der politischen Haltung.
An einem Beispiel: Man darf zwar denken und sogar sagen, dass man gegen eine Maskenpflicht ist, man kann diese Weltanschauung in seinem konkreten Verhalten aber nicht unsanktioniert zum Ausdruck bringen.
Man darf „Impfskepsis“ zum Ausdruck bringen, es könnte aber eine Situation eintreten, in der es für die meisten opportun erscheint, lieber gebrochen und vergiftet weiterzuleben als völlig entrechtet in einer Konformitätshölle, in der die Nachbarn, die Kollegen, die eigenen Familienmitglieder mithelfen, das Feuer zu schüren.
Und selbst, wenn mancher die derzeitige Situation als „nicht so schlimm“ empfinden mag — nicht erst der letzte Stein in der Mauer, der uns den Blick auf den blauen Himmel endgültig verdeckt, stellt eine Gefahr dar. Schon der erste, mit dem der Bau der Mauer begonnen hat, war ein Verbrechen, dem mit aller Entschlossenheit hätte Einhalt geboten werden müssen.
In der Serie „Star Trek: The Next Generation, Folge „Das Standgericht“, wird die Besatzung der Enterprise von einer diktatorischen Funktionärin, Admiral Satie, terrorisiert. In einem inszenierten Verhör sagt Captain Picard:
„Mit dem ersten Glied ist die Kette geschmiedet. Wenn die erste Rede zensiert, der erste Gedanke verboten, die erste Freiheit verweigert wird, sind wir alle unwiderruflich gefesselt. (…) Wenn die Freiheit irgendeines Menschen zum ersten Mal beschnitten wird, ist das ein Schaden für alle.“
Nachdem die vorübergehende Diktatur auf dem Raumschiff abgeschüttelt werden konnte, sagt Picard zu seinem Mitstreiter Worf:
„Wir glauben, so fortschrittlich zu sein. Folterungen von Ketzern, Hexenverbrennungen halten wir für Geschichte. Und dann, bevor man sich versieht, droht alles wieder von vorn anzufangen. (…) Schurken, die ihre Schnurrbärte zwirbeln, sind leicht zu erkennen. Die aber, die sich in gute Taten kleiden, sind hervorragend getarnt. (…) Sie (Admiral Satie) oder jemand wie sie wird immer da sein und auf den richtigen Moment warten, um an die Macht zu gelangen und Furcht zu verbreiten im Namen der Rechtschaffenheit. Wachsamkeit, Mr. Worf, das ist der Preis, den wir kontinuierlich zahlen müssen.“
Info: https://www.rubikon.news/artikel/die-tyrannei-der-kleinlichkeit