01.08.2021

Zur Erinnerung: Wer steckt hinter Greta Thunberg?

de.rt.com, vom 24 Sep. 2019 15:37 Uhr

Greta Thunberg ist eine der umstrittensten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der letzten zwölf Monate. Wir wagten einen Blick hinter die Kulissen und fanden heraus, wer den Hype um die junge Frau zu nutzen versucht.


Info: Video  https://de.rt.com/programme/der-fehlende-part/92639-wer-steckt-hinter-greta-thunberg Dauer 5:54 Min.


Bildnachweise:

Quelle 1: YouTube // ProductiehuisEU

Quelle 2: YouTube // World Economic Forum

Quelle 3: YouTube // The Daily Show with Trevor Noah

Quelle 4: YouTube // Obama Foundation

Quelle 5: YouTube // Nyhetsmorgon

Quelle 6: YouTube // Eurovision Song Contest

Quelle 7: YouTube // UPFSI

Quelle 8: YouTube // We Don't Have Time

Quelle 9: Instagram // gretathunberg

Quelle 10: YouTube // Spooks – Deine Hörbücher und Hörspiele

Quelle 11: YouTube // renovaab

Quelle 12: YouTube // Gustav Stenbeck

Quelle 13: YouTube // Climate Reality

Quelle 14: YouTube // Deutsche Gesellschaft CLUB OF ROME

Quelle 15: YouTube // Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft

Quelle 16: YouTube // Global Philanthropy Group

Quelle 17: Reuters Pictures

Quelle 18: YouTube // Harvard University

Quelle 19: hollywood central park

Quelle 20: YouTube // Paul Gilbert

Quelle 21: YouTube // Aramco

Quelle 22: YouTube // Bloomberg Markets and Finance

Quelle 23: YouTube // The American Petroleum Institute

31.07.2021

Willkür statt Aufklärung: Vorwurf sexueller Nötigung und "Täterschutz"-Framing für Grundrechte

heise.de, vom 24. Juli 2021  


Wenn linke Kampagnenlenker Inquisition spielen: Der Fall "Deutsche Wohnen & Co enteignen"

Eigentlich könnte sich die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" entspannt eine kleine Sommerpause gönnen. Für ihr Volksbegehren, mit dem der Berliner Senat aufgefordert wird, ein Gesetz zu erlassen, das die Vergesellschaftung aller privaten Wohnungskonzerne mit Beständen von mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin regelt, gaben weit mehr als die benötigten 177.000 stimmberechtigten Berliner ihre Unterschrift. Am 26. September wird parallel zu den Bundestags- und Abgeordnetenhauswahlen in einem Volksentscheid darüber abgestimmt, die Erfolgschancen stehen gut.


Doch von entspannter Pause kann keine Rede sein, denn innerhalb der Kampagne brennt es lichterloh. Es geht um den Vorwurf der sexuellen Nötigung, den eine Aktivistin gegen Michael P., den in der Öffentlichkeit bekanntesten Kampagnensprecher erhebt. Der Vorfall soll sich am 21. Juni auf einer öffentlichen (!) Versammlung am Rosa-Luxemburg-Platz zugetragen haben, bei der Vertreter der Partei Die Linke mehr als 30.000 Unterschriften an die Kampagne übergaben.


Zeugen gibt es nicht

Wenig später erhielt der Ko-Kreis der Kampagne, eine Art Leitungsgremium, einen schriftlichen, sehr detailreichen Bericht des angeblichen Opfers. Angeblich hat sie auch Anzeige bei der Polizei erstattet, was aber derzeit nicht verifizierbar ist. Zeugen für den behaupteten Übergriff gibt es nicht, vielmehr gibt es Aussagen von Veranstaltungsteilnehmern, die massive Zweifel an der Schilderung nahelegen.


Der Beschuldigte wies die Vorwürfe kategorisch zurück und bezeichnet sie als "frei erfunden". Sein Vorschlag, den behaupteten Vorfall in einem neutral moderierten Gespräch mit dem Ko-Kreis und der besagten Aktivistin zu erörtern, wurde ignoriert beziehungsweise brüsk abgelehnt. Vielmehr beschloss der Ko-Kreis nach eigener Darstellung, der Schilderung des angeblichen Opfers uneingeschränkt und ohne weitere Nachfragen zu glauben. Der Beschuldigte wurde ultimativ aufgefordert, sich sofort aus der Kampagne zurückzuziehen, dies in einer Erklärung mit einem "Burnout" zu begründen und darüber hinaus absolutes Stillschweigen zu bewahren.


Ferner vielmehr wurden ihm alle Zugänge zu den internen und externen Kommunikationskanä-len der Kampagne gesperrt. Der Ko-Kreis beschloss inzwischen auch, ohne weitere Rücksprache das bisherige Büroteam der Kampagne, das diese Vorgehensweise nicht akzeptieren wollte, aufzulösen und auch die bisherigen Räumlichkeiten zu kündigen. Zu diesem Büroteam gehört auch die Geschäftspartnerin von P., er selbst hat dort seinen Arbeitsplatz.


Auf Druck einiger Kampagnen-Aktivisten soll es nunmehr zwar ein Mediationsverfahren unter Hinzuziehung externer Berater geben. An dem Dogma, dem angeblichen Opfer die uneingeschränkte Deutungshoheit eines nicht verifizierbaren Ereignisses zuzugestehen, wird aber nicht gerüttelt. Grundlage dieser Position ist das sogenannte Definitionsmachtkonzept, das in Teilen der autonomen und radikalfeministischen Linken zum konstitutiven Selbstverständnis gehört.


Das gilt auch für die "Interventionistische Linke" (IL), eine kleine, straff organisierte Gruppe, die in der Kampagne viele Schlüsselpositionen besetzt hat und deren Vertreter unverhohlen einfordern, dass ihr Definitionsmachtkonzept für die ganze Kampagne gilt.


Im Ko-Kreis hoffte man bis vor Kurzem, die Angelegenheit unter der Decke halten zu können. Das konnte natürlich nicht funktionieren, mittlerweile ist die Geschichte auch zur Basis durchgesickert, angereichert mit diversen wilden Gerüchten und Spekulationen über mögliche "Drahtzieher". Auf halböffentlichen, digitalen "Aktivenplenen" und in diversen Chats wurden Zweifel und Kritik an der Vorgehensweise des Ko-Kreises rüde abgebügelt und als "Täterschutz" diffamiert. Doch die Affäre ist nicht mehr zu stoppen. Der Beschuldigte lässt sich anwaltlich vertreten, vom angeblichen Opfer wird eine strafbewehrte Unterlassungserklärung verlangt, ferner Anzeige wegen Verleumdung gestellt und Schadensersatz eingefordert.


Nach langem Schweigen hat sich jetzt auch Michael P. am Montag in einer halböffentlichen Erklärung zu den Vorgängen geäußert. Darin beschreibt er den zeitlichen Ablauf und das ihm mitgeteilte Konzept des Ko-Kreises:

Der "Täter" schweigt und verschwindet, mit x-beliebigen Ausreden, das Opfer schweigt und die Kampagne geht wie gewohnt weiter. (...)

Ich habe mich an den Ko-Kreis gewandt und meinen Rückzug aus der Kampagne erklärt, in der Annahme, dass sich in kürzester Zeit eine Klärung ergeben wird. Stattdessen wurde ich am 1.7. von einem weiteren Beauftragten des Ko-Kreises aufgefordert, mich "bis zum Abend" aus allen Telegram-Gruppen und Mailinglisten zu entfernen, wenn nicht, würden sie das machen. Bis heute bin ich weder vom Ko-Kreis angehört worden noch hatte ich sonst wie Gelegenheit, Stellung zu beziehen.(...)

Ich betrachte mich weiterhin als Teil der Kampagne und hoffe, dass alle beteiligten Seiten zu einer einvernehmlichen Klärung beitragen, und zwar nicht nur zu meiner persönlichen Rehabilitation, sondern auch um weiteren Schaden des Ansehens der Kampagne abzuwenden.

(Michael P.)

Dagegen beharrten Vertreter des Ko-Kreises auf dem Plenum am Dienstag darauf, dass P. nicht mehr zur Kampagne gehöre.

Auf die Kampagne kommen schwere Zeiten zu. Ihr durch monatelange Arbeit mit dem unermüdlichen Einsatz von weit mehr als 1.000 ehrenamtlichen Helfern beim Plakatieren und Sammeln von Unterschriften erworbenes Renommee dürfte erheblich Schaden nehmen, der durchaus mögliche Erfolg beim Volksentscheid ist gefährdet. Helfen könnten wohl nur noch eine schnelle, schonungslose und vor allem transparente Aufarbeitung der Affäre und entsprechende Konsequenzen.


"Wir handeln nicht rechtsstaatlich, sondern moralisch"

Es wirkt absurd, dass ausgerechnet eine Initiative, die sich bei ihrer Enteignungsforderung explizit auf das Grundgesetz (Art. 15) beruft, rechtsstaatliche Prinzipien, wie etwa die Unschuldsvermutung und das Recht auf Anhörung für jeden Beschuldigten, in Bezug auf eigene interne Belange für irrelevant erklärt. (Zitat aus einem Chat: "Wir handeln nicht rechtsstaatlich, sondern moralisch"). Denn es geht um weit mehr als nur die Kampagne. Der Fall ist exemplarisch für eine fast schon eliminatorische Geisteshaltung in einigen linken und selbsternannt radikalfeministischen Kreisen.


Wenn wüste, unsubstantiierte Anschuldigungen in bestimmten Fällen - etwa bei behaupteten Sexualdelikten oder auch mutmaßlich rassistischen Diskriminierungen - per se zur unhinterfragbaren, gültigen Wahrheit erklärt werden, ist das ein riesiges Einfallstor für Denunziationen und Intrigen aller Art und ein nicht tolerierbarer Rückfall in vordemokratische Denk- und Handlungsweisen. Das muss schleunigst thematisiert werden, nicht nur in der Kampagne. Und ob die Mitglieder des Leitungsgremiums nach diesem gigantischen Rohrkrepierer noch tragbar sind, sollten sich die Aktiven der Kampagne sehr genau überlegen, ihrer Ziele und ihrer Selbstachtung  wegen.Kommentare lesen (207 Beiträge)

Info: https://www.heise.de/tp/features/Willkuer-statt-Aufklaerung-Vorwurf-sexueller-Noetigung-und-Taeterschutz-Framing-fuer-Grundrechte-6146805.html  


Kommentar: Die Verlagerung der Aufmerksamkeit weg vom rot-rot-grünen Senat und seiner Verpflichtung im demokratischen Sinne zu entscheiden, hin zur Definitionsmacht  von Teilen der autonomen und radikalfeministischen Linken, kommt den Gegnern der ganzen Initiative sicher zur rechten Zeit.    Thomas Bauer

31.07.2021

Peking nennt USA "größten Zerstörer des Friedens" – nach erneuter Provokation mit Kriegsschiff

de.rt.com, vom 30 Juli 2021 22:17 Uhr

Nach einem Einsatz eines US-Kriegsschiffes im zwischen mehreren Anrainerstaaten umstrittenen Südchinesischen Meer kritisierte ein chinesischer Armeesprecher die Aktion scharf. Es ist in diesem Jahr bereits das siebte Mal, dass die US-Marine in dem Gebiet aktiv ist.


Zitat: Ein Kriegsschiff der Vereinigten Staaten hat die Straße von Taiwan im Südchinesischen Meer durchquert. Es war die siebte derartige Fahrt eines US-amerikanischen Kriegsschiffs in diesem Jahr. Peking reagierte scharf auf das Manöver und warf Washington vor, das Militär der Volksrepublik zu provozieren.


Die US-Marine teilte mit, dass der Lenkwaffenzerstörer USS Benfold der Arleigh-Burke-Klasse am Mittwoch durch die Meerenge in Richtung Norden gefahren sei. Das Manöver wurde am Donnerstag vom taiwanesischen Verteidigungsministerium bestätigt. Laut lokalen Medienberichten setzte das Militär gemeinsame Nachrichten-, Überwachungs- und Aufklärungsinstrumente ein, um Bewegungen auf See und in der Luft um Taiwan zu überwachen.


Die Präsenz des Zerstörers im Südchinesischen Meer stehe nicht im Widerspruch zu internationalen Gesetzen, hieß es in dem Bericht. Es sei das siebte derartige Manöver US-amerikanischer Kriegsschiffe in dem Gebiet seit dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden in diesem Jahr.


Das jüngste Manöver wurde von Peking scharf kritisiert. Ein Sprecher des regionalen Kommandos der chinesischen Volksbefreiungsarmee, Oberst Shi Yi, erklärte am Donnerstag, Washington sei "der größte Verursacher von Sicherheitsrisiken in der Straße von Taiwan". Unter Hinweis auf die Häufigkeit der Manöver der US-Marine in dem Gebiet bezeichnete er die USA als den "größten Zerstörer von Frieden und Stabilität" in der Region, wie chinesische Medien schrieben.


Die chinesischen Truppen in der Region seien bereit, auf alle Drohungen und Provokationen zu reagieren. Die chinesische Marine habe die Bewegungen des US-Zerstörers überwacht. China sei entschlossen und fähig, seine nationale Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen, mahnte Shi Yi.


Während das potenziell ressourcenreiche Gebiet von mehreren südostasiatischen Staaten beansprucht wird, ist das US-Militär unter dem Vorwand, die Stabilität in der Region zu wahren, in dem Gebiet präsent. Anfang dieses Monats erklärte US-Außenminister Antony Blinken, sein Land werde sich gemeinsam mit anderen Ländern der angeblichen chinesischen "Nötigung" entgegenstellen. Peking kritisierte wiederholt die Intervention der USA. Das chinesische Außenministerium erklärte kürzlich, es sei äußerst "unverantwortlich", dass Washington sich in die Streitigkeiten anderer Länder einmische.


Mehr zum Thema 

– Chinas Verteidigungsminister: "Keine Konzessionen bezüglich unserer Kerninteressen"

-  Klarer Feind, schwammige Strategie: US-Verteidigungsminister Austin besucht Südostasien

Info: https://de.rt.com/asien/121553-peking-nennt-usa-grossten-zerstorer

30.07.2021

Berliner Polizei verbietet zwölf Corona-Demos am Wochenende – das ist die Liste

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de, 29.07.2021 18:31, Polizeimeldung v. 29.07.2021, Nr. 1659

Die Berliner Polizei hat zwölf Corona-Demos verboten, die am Wochenende in der Hauptstadt stattfinden sollten.


Zitat: Die Polizei Berlin musste nach Bewertung aller Umstände und Erkenntnisse, nach den umfassenden Erfahrungen mit diesen Protestbewegungen und in Abwägung sämtlicher Interessen, insbesondere auch dem hohen Gut der Versammlungsfreiheit, mehrere, für das kommende Wochenende angezeigte Versammlungen verbieten.


Die Verbote betreffen Versammlungen 


  • deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer regelmäßig gesetzliche Regelungen, hier konkret zum Schutz vor Infektionen, damit zum Schutz des Grundrechtes auf Leben und körperliche Unversehrtheit, zum Schutze aller – der Gemeinschaft – nicht akzeptieren 


  • deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer Vielzahl von Versammlungen wiederholt unter Beweis gestellt haben, dass regelmäßig und nahezu ausnahmslos aufgrund der fehlenden Akzeptanz diese Infektionsschutzregeln nicht eingehalten werden 


  • bei denen der grundrechtlich gesicherten und durch die Polizei Berlin geschützten Meinungsäußerung regelmäßig durch Verstöße gegen die Infektionsschutzregelungen, insbesondere durch das Verweigern des Tragens einer Munde-Nase-Bedeckung, Nachdruck verliehen werden soll – dies förmlich Markenzeichen und erklärtes Ziel ist 


  • deren Verantwortliche – zumindest in Teilen – kaum oder gar nicht willens oder in der Lage sind, bei entsprechenden Verstößen ihre Verantwortung wahrzunehmen und regulierend gegenzusteuern


Diese Punkte unterscheiden die nun verbotenen Versammlungen in erheblichem Maße und ganz deutlich von allen sonstigen Versammlungen mit einer hohen Anzahl an Teilnehmenden, wie z. B. dem CSD am 24. Juli 2021. Auch wenn es bei den sonstigen Versammlungen zu Verstößen kommen kann, werden die gesetzlichen Regelungen jedoch weit überwiegend befolgt.


Zum jetzigen Zeitpunkt hat die Polizei Berlin folgende Versammlungen, die für das kommende Wochenende angezeigt wurden, verboten:


1. „Das Jahr der Freiheit! und des Friedens – Das Leben nach der Pandemie“ (1. August 2021)

2. „Die Wiedererlangung unserer Grundrechte“ (31. Juli 2021)

3. „Wir für die Abschaffung der GEZ“ (31. Juli 2021)

4. „Berlin-Club-Demo- Demonstrations-Umzug für die vollständige Öffnung von Kultur, Clubs und Veranstaltungen aller Art“ (31. Juli 2021)

5. „Freischaffende Künstler für künstlerische Freiheit“ (31. Juli 2021)

6. „Musikalische Versammlung für Freiheit und Demokratie“ (31. Juli 2021)

7. „Friede, Freiheit, Wahrheit“ (1. August 2021)

8. „Unser Weg zum friedlichen Wohlstand für alle“ (1. August 2021)

9. „Mahnwache für das Grundgesetz“ (1. August 2021)

10. „Deutschland hat die Wahl“ (1. August 2021)

11. „Heimat und Weltfrieden“ (31. Juli 2021)

12. „Wir brauchen kompetente, ehrliche, anständige, zuverlässige, gemeinwohlorientierte und von den etablierten Parteien unabhängige Abgeordnete im Deutschen Bundestag“ (1. August 2021).


Info: https://www.dw.com/de/covid-malaria-und-co-die-wichtige-rolle-von-mrna-impfstoffen/a-58660446 

30.07.2021

Auf der Jagd nach Spitzenposten      Bundesentwicklungsminister Gerd Müller wird Generaldirektor der UN-Organisation UNIDO. Berlin hält internationale Spitzenposten vor allem in der EU und in Finanzinstitutionen.

german-foreign-policy.com, 30. Juli 2021

BERLIN(Eigener Bericht) - Im Einflusskampf um Spitzenposten internationaler Organisationen verzeichnet die Bundesrepublik einen weiteren Erfolg und wird Bundesentwicklungsminister Gerd Müller als Generaldirektor der UN-Organisation UNIDO nach Wien entsenden können. Mit der UNIDO, die die Industrialisierung von Entwicklungsländern fördert, kooperiert Müller schon jetzt: Sie unterstützt die Erschließung "grüner" Märkte im globalen Süden durch deutsche Unternehmen. Berlin ist es zuletzt gelungen, weitere internationale Spitzenposten zu erkämpfen, darunter den Vorsitz der OSZE; die Organisation, die nicht zuletzt in der Ukraine tätig ist, wird von der deutschen Spitzendiplomatin Helga Schmid geführt. Besondere Erfolge im Kampf um leitende Positionen erzielt die Bundesregierung regelmäßig in der EU; ihre Schwerpunkte liegen neben der Kommission und dem Europaparlament auf den zahlreichen europäischen Finanzinstitutionen. Gegenwärtig sucht Berlin an der Spitze der Finanzmarktaufsicht ESMA eine deutsche Kandidatin zu installieren - und gerät in Konflikt mit Italien, dessen Kandidat über eine Mehrheit verfügt.


Schwerpunkt EU

Einen klaren Schwerpunkt bei den deutschen Bemühungen um Einflussnahme auf internationale Institutionen bilden die EU und weitere europäische Einrichtungen. Zwar sind Deutsche unter den mehr als 30.000 Beamten der EU-Kommission vom Anteil her nicht herausragend vertreten. Das liegt allerdings daran, dass das Interesse unter den potenziellen deutschen Kandidaten recht gering ist: Im vergangenen Jahrzehnt kamen lediglich 6,2 Prozent der Teilnehmer am Auswahlverfahren der Kommission aus der Bundesrepublik. Der deutsche Anteil unter denjenigen, die das Verfahren bestanden, lag dann allerdings bereits bei 10,4 Prozent, was die Bundesregierung auf die vom Auswärtigen Amt angebotenen Vorbereitungsseminare zurückführt.[1] Auf den Spitzenposten, wo der politische Einfluss des Entsendestaates große Bedeutung für die Postenvergabe besitzt, sind jedoch überproportional viele Deutsche zu finden. Neben Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gilt Sabine Weyand als die vielleicht einflussreichste von ihnen; sie leitet seit 2019 die mächtige Generaldirektion Handel und war als Vize von Michel Barnier führend mit den Brexit-Verhandlungen befasst. In den 27 Kabinetten der Kommission sind vier Kabinettschefs sowie fünf stellvertretende Kabinettschefs Deutsche; die Bundesregierung beurteilt die "deutsche Präsenz in den Kabinetten" als "außergewöhnlich gut".


Schwerpunkt Finanzinstitutionen

Über starken Einfluss verfügt Deutschland auch in der Verwaltung des Europaparlaments, in der wichtige Weichen gestellt und folgenreiche Vorarbeiten geleistet werden. An ihrer Spitze steht mit Generalsekretär Klaus Welle seit 2009 ein Deutscher; auch sein Stellvertreter Markus Winkler kommt aus der Bundesrepublik. Dasselbe gilt für 14 der insgesamt 50 Direktoren in der Parlamentsverwaltung. Im Kabinett des Parlamentspräsidenten - zur Zeit ist dies der italienische Sozialdemokrat David Sassoli - arbeiten ebenfalls drei Deutsche; der CSU-Abgeordnete Manfred Weber will im September über eine Kandidatur als Sassolis Nachfolger entscheiden. Neben mehreren bedeutenden Leitungsposten bei EU-Auslandsdelegationen, so etwa in Moskau, Ankara und Tokio, besetzen Deutsche zudem vor allem Führungsämter in Europas Finanzinstitutionen. Bereits seit 2012 wirkt Werner Hoyer als Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB); genauso lange arbeitet Klaus Regling als Leiter des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Als Vorsitzende des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) ist Elke König mit einer potenziellen Abwicklung von Banken befasst. In der Europäischen Zentralbank (EZB) wiederum sind 178 von 549 Leitungspositionen in deutscher Hand - 32,4 Prozent, deutlich mehr als der deutsche Kapitalanteil von 21,4 Prozent.


Deutschland gegen Italien

Aktuell ist die Bundesregierung bemüht, einer Deutschen die Führungsposition bei der EU-Finanzmarktaufsicht ESMA (European Securities and Markets Authority) in Paris zu sichern. Der Posten ist seit dem Ausscheiden des bisherigen Vorsitzenden, des Niederländers Steven Maijoor, Ende März vakant und wird zur Zeit kommissarisch geführt. Als Nachfolgerin ist die Deutsche Verena Ross im Gespräch, die nach ihrem Studium längere Zeit für britische Aufsichtsbehörden gearbeitet hatte und im Mai ihre zehnjährige Tätigkeit als ESMA-Exekutivdirektorin regulär beendet hat.[2] Neben ihr bewirbt sich der Italiener Carmine Di Noia, der gegenwärtig bei der italienischen Börsenaufsicht Consob beschäftigt ist und dem ESMA-Ausschuss für Marktanalyse vorsitzt. Bei der ESMA heißt es, es müsse dringend eine Entscheidung über die Postenvergabe gefällt werden: Wichtige Weichenstellungen für die Erholung der Wirtschaft nach der Covid-19-Pandemie stünden bevor; zudem gebe es wegen der Krisenfolgen erhebliche Marktrisiken. Die italienische Regierung setzt sich energisch für Di Noia ein und erklärt, er habe eine Mehrheit von 17 der 27 EU-Staaten hinter sich.[3] Die Bundesregierung kämpft dennoch energisch für Ross: Würde sie zur ESMA-Vorsitzenden ernannt, wäre dies ein weiterer Punkt im Rahmen der Durchsetzung der Berliner Finanzpolitik in der EU (german-foreign-policy.com berichtete [4]).


Feldoperation in der Ukraine

Stark vertreten ist die Bundesrepublik aktuell an der Spitze und in wichtigen Teilbereichen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Im Dezember wurde Helga Schmid zur OSZE-Generalsekretärin ernannt. Das hinterlässt zwar aus deutscher Sicht eine Lücke im Europäischen Auswärtigen Dienst, wo Schmid zuletzt als Generalsekretärin tätig war; die einstige Büroleiterin von Außenminister Joseph Fischer war für die EU unter anderem führend mit der Unterstützung der Majdan-Proteste in der Ukraine und mit den Verhandlungen über das Nuklearabkommen mit Iran befasst gewesen.[5] An der Spitze der OSZE hat Schmid jetzt freilich erneut mit der Ukraine zu tun: Die Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine (SMM) ist, wie die Bundesregierung konstatiert, "mit Abstand die größte Feldoperation der OSZE". Da Deutschland der Bundesregierung zufolge "an der SMM ein besonderes Interesse" hat, hat Berlin durchgesetzt, dass einer der beiden stellvertretenden Missionsleiter sowie - zumindest bis Ende 2020 - der "ebenfalls wichtige" Director of Administration and Finance der SMM aus der Bundesrepublik kommen bzw. kamen. "Die SMM", teilt die Regierung mit, wird zudem "personell maßgeblich durch Sekundierungen über das ZIF unterstützt". Das ZIF (Zentrum für Internationale Friedenseinsätze) mit Sitz in Berlin organisiert deutsches Personal für internationale Einsätze aller Art.


Markterschließung in Entwicklungsländern

Als jüngster Erfolg der Bundesrepublik bei der Jagd nach internationalen Spitzenposten kann die Nominierung von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zum künftigen Generaldirektor der UN-Organisation für industrielle Entwicklung UNIDO (United Nations Industrial Development Organization) gelten. Müller wurde am 12. Juli vom UNIDO-Lenkungsgremium in aller Form benannt; seine offizielle Bestellung durch die UNIDO-Vollversammlung wird Ende November erwartet.[6] Sie ist zum einen deshalb bemerkenswert, weil Müller den Chinesen Li Yong an der UNIDO-Spitze ablösen wird; der gewachsene Einfluss Chinas in der UNO und in ihren Unterorganisationen ist den westlichen Staaten seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge.[7] Zum anderen sucht die Bundesregierung schon seit Jahren aus einer engeren Zusammenarbeit mit der UNIDO Nutzen zu ziehen. Am 29. November 2019 etwa vereinbarten das von Müller geführte Bundesentwicklungsministerium und die UNIDO einen Ausbau ihrer "Partnerschaft". Zur Begründung hieß es unter anderem, das 2017 vom Entwicklungsministerium und der UNIDO in Bonn gegründete Investitions- und Technologieförderungsbüro (UNIDO ITPO) habe sich als Schnittstelle zur Erschließung "grüner" Märkte in Entwicklungsländern durch deutsche Firmen bewährt; seine Arbeit solle fortgesetzt werden.[8] Ab Ende dieses Jahres wird sich Gerd Müller darum nicht mehr in Berlin, sondern am UNIDO-Sitz in Wien bemühen können.

 

[1] Quelle hier und im Folgenden: Siebter Bericht der Bundesregierung zur deutschen Personalpräsenz in internationalen Organisationen. Berichtszeitraum 2019 und 2020.

[2] Andreas Kröner: Zähe Chefsuche: Europäische Finanzmarktaufsicht Esma funkt SOS. handelsblatt.com 06.07.2021.

[3] Gerhard Bläske: Deutsch-italienischer Konflikt um Chefposten. boersen-zeitung.de 15.07.2021.

[4] S. dazu Streit um die Geldpolitik.

[5] S. dazu Deutsch-Europa.

[6] Minister Müller als neuer Generaldirektor der UNIDO vorgeschlagen. bmz.de 12.07.2021.

[7] Yaroslav Trofimov, Drew Hinshaw, Kate O'Keeffe: How China Is Taking Over International Organizations, One Vote at a Time. wsj.com 29.09.2020.

[8] Deutschland und UNIDO festigen Partnerschaft durch strategische Gespräche. unric.org 29.11.2019.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8673

29.07.2021

Manöver in Ostasien (II)    Die Fregatte Bayern bricht am Montag nach Ostasien auf. Dort weiten die westlichen Mächte ihre Kriegsübungen rasant aus. US-Militärs warnen vor baldigem Krieg.

german-foreign-policy, 29. Juli 2021 

BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) - Mit der Entsendung der Fregatte Bayern nach Ostasien am kommenden Montag beteiligt sich die Bundesrepublik an einer rasanten Ausweitung westlicher Kriegsübungen im direkten Umfeld Chinas. Während die Fregatte Bayern im Herbst Operationen zur Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea durchführen sowie anschließend die Heimfahrt durch das Südchinesische Meer antreten wird, ist eine Flugzeugträgerkampfgruppe um den neuen britischen Flugzeugträger HMS Elizabeth schon gestern nach gemeinsamen Übungen etwa mit Kriegsschiffen aus Indien und Singapur in das Südchinesische Meer eingefahren. Die französischen Streitkräfte haben - nach Marinemanövern im Golf von Bengalen Anfang April - in diesem Monat gemeinsame Luftkampfübungen mit US-Jets in Hawaii abgehalten; dazu hatten sie eigens mehrere Rafale-Kampfflugzeuge in das Überseegebiet Französisch-Polynesien mitten im Südpazifik verlegt. Die US-Luftwaffe wiederum hält aktuell ein Manöver ab, das Experten als realistische Probe für einen Krieg gegen China unter heutigen Voraussetzungen einstufen. Hochrangige US-Militärs halten einen baldigen Krieg für denkbar.


Zitat: Die Fahrt der Fregatte Bayern

Die Fregatte Bayern wird am kommenden Montag zu einer mehr als ein halbes Jahr währenden Fahrt nach Ostasien aufbrechen. Auf ihrem Weg dorthin wird sie zunächst an der NATO-Operation Sea Guardian im Mittelmeer und anschließend an der EU-Operation Atalanta am Horn von Afrika teilnehmen. Nach der folgenden Durchquerung des Indischen Ozeans ist die Weiterfahrt durch die Straße von Malakka geplant; vorgesehen war außerdem das Anlegen in Häfen des Verbündeten Australien.[1] Formeller Höhepunkt soll die Beteiligung an der Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea sein, in deren Rahmen die Fregatte Bayern laut Angaben der Bundesregierung "zum maritimen Lagebild" beitragen soll: "durch Beobachten und Melden verdächtiger Aktivitäten sowie durch Verbindungsaufnahme mit verdächtigen Schiffen".[2] Auf ihrer Rückreise wird die Fregatte das Südchinesische Meer durchqueren. Auf die schärfsten Varianten der Provokation - die Durchquerung der Taiwanstraße sowie das Eindringen in Zwölfmeilenzonen rings um Inseln, die von China beansprucht werden - wird das Kriegsschiff verzichten.[3] Dem Vernehmen nach ist die Bundesregierung bemüht, einen Zwischenstopp in einem chinesischen Hafen auszuhandeln; allerdings ist unklar, ob Beijing diese vermeintliche Deeskalationsgeste akzeptiert.


Dauerhaft in Asien präsent

Während die Fregatte Bayern aufbricht, operieren die Streitkräfte anderer westlicher Mächte im Südchinesischen Meer und im Pazifik mit steigender Intensität. Am gestrigen Mittwoch fuhr etwa die Flugzeugträgerkampfgruppe um den neuen britischen Flugzeugträger HMS Elizabeth in das Südchinesische Meer ein. Die Kampfgruppe, an der auch Kriegsschiffe aus den Niederlanden und aus den USA sowie US-Kampfjets vom Typ F-35 beteiligt sind, hatte zuvor Übungen mit den Streitkräften Malaysias, Thailands und Indiens sowie zuletzt mit der Marine Singapurs abgehalten, nachdem sie zwischenzeitlich mit diversen Covid-19-Fällen und technischen Pannen zu kämpfen hatte und deshalb nur teilweise einsatzbereit war.[4] Für die kommenden Tage und Wochen sind weitere gemeinsame Übungen mit Kriegsschiffen aus Drittstaaten geplant. Die Kampfgruppe wird dabei ihre Fahrt durch das Südchinesische Meer bis in die Philippinensee fortsetzen und dann gemeinsam mit den japanischen Streitkräften trainieren, bevor sie die Heimreise antritt.[5] Ende August wird London außerdem zwei Patrouillenboote nach Asien entsenden. Wie der britische Verteidigungsminister Ben Wallace mitteilt, soll die britische Marine dort in Zukunft dauerhaft mit zwei Kriegsschiffen präsent sein.[6]


Komplexe Kampfoperationen

Auch die französischen Streitkräfte weiten ihre Aktivitäten in Asien aus. Hatten sie etwa Anfang April im Golf von Bengalen ein gemeinsames Marinemanöver ("Le Pérouse") mit den Streitkräften der "Quad"-Staaten (USA, Japan, Australien, Indien) durchgeführt (german-foreign-policy.com berichtete [7]), so ging vor gut drei Wochen die Kriegsübung "Heifara-Wakea" inmitten des Pazifik zu Ende. Dabei wurden zunächst drei Rafale-Kampfjets, ein Tankflugzeug A330 MRTT und zwei Transportflugzeuge A400M aus Frankreich nach Tahiti verlegt - mit einem einzigen Zwischenstopp auf der US Air Base Travis bei San Francisco. Tahiti ist die Hauptinsel des Überseegebiets Französisch-Polynesien im Südpazifik. Dort unterhalten die französischen Streitkräfte eine ihrer zwei pazifischen Militärbasen; die zweite befindet sich auf Neukaledonien im Südwestpazifik. Die französischen Piloten, die während des Manövers zwei Einsatzflüge am Tag absolvierten, schlossen die Übung mit einem gemeinsamen Training mit US-amerikanischen F-22-Tarnkappenjets ab, die von einer Basis auf Hawaii nördlich von Französisch-Polynesien abhoben. Das Manöver sei ein voller Erfolg gewesen, urteilte anschließend der Kommandeur der französischen Luft- und Weltraumstreitkräfte, General Philipp Lavigne: Man habe bewiesen, dass man im hochumstrittenen Pazifik gemeinsam mit Verbündeten komplexe Kampfoperationen absolvieren könne.[8]


"Operation Pacific Iron"

Die US-Streitkräfte wiederum haben soeben mehr als zwei Dutzend Tarnkappenjäger des Modells F-22 ("Raptor"), zehn Jagdbomber vom Typ Boeing F-15E sowie zwei Transportflugzeuge C-130J ("Hercules") zu dem Manöver "Operation Pacific Iron" in den Westpazifik verlegt. Im Kriegsfalle würden die F-22 gleich zu Beginn der Kampfhandlungen eingesetzt, um die feindliche Luftabwehr auszuschalten; Experten weisen darauf hin, dass üblicherweise höchstens zwölf Stück gleichzeitig an Übungen teilnehmen [9] - ein Beleg dafür, dass "Pacific Iron" eine herausragende Bedeutung besitzt. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die Flugzeuge nicht von den großen US-Basen in Japan und Südkorea sowie auf Guam starten, sondern von kleineren Air Fields auf Guam und auf der ebenfalls zum Marianen-Archipel zählenden Insel Tinian.[10] Damit trägt die US Air Force der Tatsache Rechnung, dass die chinesischen Streitkräfte nicht zuletzt dank ihrer starken Raketenstreitkräfte in der Lage sind, feindliche Startbahnen innerhalb kürzester Zeit umfassend zu zerstören; um nicht an Kampfkraft einzubüßen, probt die US-Luftwaffe nun die Verlegung ihrer F-22 auf diverse kleinere Flugplätze. Sie übe "präzise die Einsätze, die sie im Falle einer größeren Krise oder eines Krieges durchführen" werde, wird der frühere australische Luftwaffenoffizier und heutige Experte des Griffith Asia Institute Peter Layton zitiert.[11]


Krieg schon 2024?

Die Verdichtung der westlichen Manöver und ihre zunehmende Fokussierung auf Kampfeinsätze, die unter aktuellen Voraussetzungen höchst realistisch sind, begleiten Prognosen hochrangiger US-Militärs, denen zufolge ein baldiger Krieg der Vereinigten Staaten gegen China wahrscheinlich ist. So ließ sich kürzlich Admiral a.D. James G. Stavridis, Ex-Oberbefehlshaber der NATO, mit der Einschätzung zitieren, "unsere Technologie, unser Netzwerk von Verbündeten und Stützpunkten in der Region" sei den chinesischen Kapazitäten überlegen - "noch".[12] Allerdings werde die Volksrepublik "gegen Ende des Jahrzehnts, wenn nicht sogar früher, ... in der Lage sein", die USA zumindest "im Südchinesischen Meer ... herauszufordern". Stavridis hat kürzlich einen Roman publiziert, in dem er einen fiktiven Krieg zwischen den USA und China 2034 beginnen lässt.[13] Mittlerweile urteilt er: "Wir haben vielleicht nicht mehr bis 2034 Zeit, uns auf die Schlacht vorzubereiten - sie könnte viel früher kommen." Einige seiner Militärkollegen verträten bereits die Meinung, es gehe "nicht um 2034"; der große Krieg könne früher eintreten - womöglich schon "2024 oder 2026".[14]

 

Mehr zum Thema: Der große Krieg

unsere Rezension: "Ami go home!" 

sowie unsere Video-Kolumne: Krieg gegen China.

 

[1] S. dazu Die neue deutsche Kanonenbootpolitik (II).

[2] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Michael Brandt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/30092. Berlin, 21.05.2021.

[3] S. dazu Die neue deutsche Kanonenbootpolitik (III).

[4] HMS Queen Elizabeth And Carrier Strike Group Pass Through Singapore Strait. forces.net 26.07.2021.

[5] UK Carrier Strike Group conducts exercise with Republic of Singapore Navy. gov.uk 27.07.2021.

[6] Britain to Permanently Deploy 2 Warships in Asian Waters. voanews.com 20.07.2021.

[7] S. dazu Manöver in Ostasien.

[8] Murielle Delaporte: Inside The 'Laboratory Of Premieres' For French Air Power. breakingdefense.com 12.07.2021.

[9] Gerd Portugall: US-Luftwaffe zeigt ihre "Muskeln" im Westpazifik. behorden-spiegel.de 16.07.2021.

[10] Brad Lendon: US Air Force to send dozens of F-22 fighter jets to the Pacific amid tensions with China. edition.cnn.com 26.07.2021.

[11] Matthias Koch: Der Adler erschreckt den Drachen. rnd.de 27.07.2021.

[12] James Stavridis: It's not too soon to prepare for a sea war in Asia. politico.com 13.05.2021.

[13] S. dazu Rezension: "2034".

[14] S. dazu Der große Krieg.

Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8672
28.07.2021

COVID, Malaria und Co: Die wichtige Rolle von mRNA-Impfstoffen

dw.com, vom 27.07.2021, Autor Fabian Schmidt

Schon lange forscht die Medizin an Messenger-RNA. Doch erst mit den COVID-19-Impfstoffen hat die Technologie den Durchbruch geschafft. Fragen und Antworten zu Impfungen, die unsere Welt der Medizin umkrempeln könnten.


Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Malaria kam in den letzten Jahrzehnten eher schlecht als recht voran. Es gibt zwar seit einigen Jahren den Impfstoff RTS,S, der etwa ein Drittel der Infektionen verhindern kann, und seit diesem Jahr sogar noch einen wahrscheinlich besseren Impfstoff namens R21/Matrix-M, der eine Wirksamkeit von 75 Prozent erreicht. Aber vielleicht ist ja noch mehr drin?


Das denkt sich jedenfalls BioNTech-Gründer Ogur Sahin. Und so hat er am 26. Juli in Frankfurt bekanntgegeben, dass seine Firma nun auch eine Malaria-Impfung entwickeln will. Ab Ende nächsten Jahres könnte sie in die klinische Forschung gehen.


Der anvisierte Impfstoff gründet auf dem Prinzip der Messenger-RNA (mRNA). Die Hersteller BioNTech/Pfizer und Moderna haben seit diesem Jahr erstmals großflächig und erfolgreich solche mRNA-Impfungen gegen COVID-19 zum Einsatz gebracht. Doch wo kommt die mRNA-Technologie ursprünglich her und wie weit ist sie fortgeschritten? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie funktioniert mRNA?

Die Aufgabe der RNA (Ribonukleinsäure) in unserem Körper besteht darin, Informationen aus unserem Erbgut, der DNA, dafür zu verwenden, um Eiweiße zu produzieren. Das tut sie in den Eiweißfabriken der Zellen, den Ribosomen. Dort findet die Biosynthese von Proteinen statt.


Das macht sich die Medizin zunutze: Bei Impfungen liefert künstlich hergestellte mRNA den Ribosomen die Bauanleitung für Antigene von Erregern, die man bekämpfen will – etwa für das Spike-Protein des Coronavirus.


Die Ribosomen produzieren diese Antigene und fordern damit eine Immunantwort des Körpers heraus. Die richtet sich dann gegen alle Eindringlinge, die die bestimmte Oberflächeneigenschaft des Proteins haben – zum Beispiel gegen eben dieses Spike-Protein. 


Bei einer Krebs-Impfung identifizieren die Forschenden, welche Proteine typisch für die Oberfläche bestimmter Krebszellen sind und entwickeln dazu eine passende mRNA, in der Hoffnung, dass das Immunsystem dann die Krebszellen angreift. Ähnlich wollen die Forschenden auch bei Impfungen gegen Bakterien oder Plasmodien (bei Malaria) vorgehen.

Was unterscheidet mRNA von anderen Impfstoffen?

Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass die bisherigen Lebend- oder Totimpfstoffe das Antigen, auf das das Immunsystem reagieren soll, mitbringen. mRNA-Impfstoffe hingegen lassen es erst in den Zellen produzieren.


Das erleichtert die Herstellung von Impfstoffen und deren Anpassung auf andere Erreger, weil dabei nur bestimmte Impfstoff-Plattformen – also erprobte Verfahren – durch eine veränderte spezifische mRNA neu angepasst werden müssen.

Wie neu ist die Idee der Messenger-RNA?

Die Idee ist gar nicht so neu. Schon 1961 hatten die Biologen Sydney Brenner, Francois Jakob und Matthew Meselson herausgefunden, dass Ribonukleinsäure (RNA) in der Lage ist, Erbinformationen zu transportieren, die zur Biosynthese von Proteinen zum Beispiel in Zellen dienen können. Gelungen ist das aber erst dem Virologen Robert Malone im Jahr 1989.


Die ersten Versuche mit Impfungen führten verschiedene Forschergruppen in den Jahren 1993 bis 1994 mit Mäusen durch. So zum Beispiel eine Impfung gegen das Semikli-Wald-Virus, das 1942 erstmals in Uganda isoliert wurde, und das vor allem Nagetiere befällt. 


Die ersten klinischen Versuche mit mRNA-Impfstoffen am Menschen fanden 2002 und 2003 statt. Sie konzentrierten sich vor allem auf die Bekämpfung von Krebszellen. Auch in den Folgejahren konzentrierte sich die mRNA-Forschung vor allem auf die Krebsbekämpfung. 

Wogegen werden mRNA-Imfpstoffe derzeit in Stellung gebracht?

Es gibt eine ganze Reihe von Krankheitserregern, die bereits im Fokus der Forschung stehen. Dazu gehören viele Viren, wie HIV, Tollwut, Zika, Chikungunya, die Grippe und Dengue. Hier ist die Hoffnung groß, schnell zu guten Ergebnissen zu kommen, zumal die Erfolge bei dem Kampf gegen COVID-19 gezeigt haben, dass mRNA-Impfstoffe bei Viren Wirkung zeigen. 


Der Kampf gegen Krebs gehört indes zu den ältesten und am weitesten fortgeschrittenen Feldern der mRNA-Forschung. Gerade erst im Juni hat BioNTech eine Phase 2 Studie im Kampf gegen fortgeschrittenen Hautkrebs begonnen.


Natürlich lassen sich die Erfahrungen von Corona nicht einfach auf Krebszellen übertragen. Diese sind sehr viel größer als Viren. Die Reaktion des Immunsystems sieht ganz anders aus.

Ein ähnlich großes Fragezeichen bleibt bei der Forschung an einer Malaria-Impfung bestehen. Hier sind die Erreger Einzeller. Und sie haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie schwer zu bekämpfen sind.


Wahrscheinlich liegt hier der Schlüssel zum Erfolg bei Krebs und Malaria darin, Proteine zu identifizieren, die zentral für das Funktionieren des jeweiligen Erregers sind, und trotzdem eine sehr starke Immunreaktion des Körpers hervorrufen. Das körpereigene Immunsystem muss schließlich in beiden Fällen die krankmachenden Zellen abtöten, ohne den gesunden Zellen oder dem Organismus des Menschen dabei zu schaden. 

Wird die mRNA-Technologie die Medizin revolutionieren?

Das zu prognostizieren ist noch zu früh. Klar ist: Mediziner haben große Hoffnungen in die mRNA-Technologie. Falls es gelingt, wirksamere Grippeschutzimpfungen zu entwickeln, wäre schon viel gewonnen.


Und sollte es tatsächlich gelingen, durch mRNA-Impfungen das Immunsystem so zu mobilisieren, dass es gezielt pathologische Zellen angreift und zerstört, wäre es ein Riesendurchbruch. Dann könnte die Technologie noch in ganz anderen Medizinbereichen Fuß fassen, die bisher gar nicht im Fokus stehen.


Eine Revolution in der Medizin könnte alleine schon dadurch zustande kommen, dass Impfungen – im Gegensatz zu medikamentösen Behandlungen – ein wachsender Stellenwert zukommt. Impfungen sind für Patienten und Gesundheitssysteme um ein vielfaches kostengünstiger.


Info: https://www.dw.com/de/covid-malaria-und-co-die-wichtige-rolle-von-mrna-impfstoffen/a-58660446


Kommentar: Arbeiten Ethikrat und Ethikkommission zuverlässig oder lässt sich der Missbrauch dieser Wissenschaft, die uns scheinbar so viele neue Möglichkeiten zum Wohle der Menschheit zu schaffen verspricht, gar nicht mehr kontrollieren?     Thomas Bauer   



28.07.2021

Rezension: The Bridge    Thane Gustafson schildert die Geschichte der Erdgasbeziehungen zwischen Deutschland bzw. der EU und Russland von den 1960er Jahren bis  heute. 

german-foreign-policy.com, 28. Juli 2021

Zitat: "Dass normale ökonomische Bindungen normale politische Beziehungen fördern": Das ist, so formuliert es Thane Gustafson, Experte für die russische Energiewirtschaft an der traditionsreichen Washingtoner Georgetown University, ein Gedanke gewesen, der das bundesdeutsch-sowjetische, später dann das deutsch-russische Erdgasgeschäft stets begleitet hat. Das wirtschaftliche Interesse war - und ist - auf beiden Seiten in erheblichem Maß vorhanden: Moskau kontrolliert die größten Erdgasvorräte der Welt und ist auf die Erlöse aus seinem Export angewiesen; Deutschland hat erheblichen Energiebedarf. Das politische Interesse hingegen ist - und war - auf deutscher Seite nie völlig eindeutig, es ist stets - in schwankender Heftigkeit - umstritten gewesen. Die Entwicklung, die von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart reicht, kann man anhand von Gustafsons Werk "The Bridge" nachverfolgen, das weit ausholt und sehr kenntnisreich und detailliert die Geschichte der Erdgasbeziehungen zwischen Deutschland und Westeuropa auf der einen, der Sowjetunion und Russland auf der anderen Seite schildert - von den ersten gemeinsamen Projekten in den 1960er Jahren bis zum Streit um Nord Stream 2.+


In den 1960er Jahren war es die von Willy Brandt energisch vorangetriebene Neue Ostpolitik, die zum ökonomischen das politische Interesse an der energiewirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion hinzufügte: "Wandel durch Annäherung" hieß das Motto; der Realsozialismus sollte nicht mehr durch bloße Konfrontation, sondern durch ein parallel realisiertes gewisses Maß an Kooperation gewandelt, besser: transformiert werden. Eine tragende Säule war das Erdgas-Röhren-Geschäft von 1970, das den Verkauf bundesdeutscher Pipelinerohre an die Sowjetunion sowie die spätere Bezahlung durch sowjetisches Pipelinegas vorsah; die Finanzen regelte dabei die Deutsche Bank. Damals schloss man Lieferverträge, die sich über zwei, manchmal gar über drei Jahrzehnte erstreckten; sie wurden - die praktischen Vorbereitungen begleitend - in langwieriger, penibler Detailarbeit auf beiden Seiten von Karrierebeamten ausgearbeitet, die - so schildert es Gustafson - sich im Lauf der Zeit "kennen und schätzen lernten": als Mitglieder eines exklusiven "Gasclubs", der stabile, tragfähige Netzwerke über die staatlichen Grenzen hinweg bildete. Erdgashandel, schreibt Gustafson, ist nicht einfach ein Geschäft, er ist ein Geschäft von Beziehungen.

 

Auch als solches ist der deutsch-sowjetische, später der deutsch-russische Erdgashandel immer wieder von den Vereinigten Staaten torpediert worden. US-Präsident Ronald Reagan etwa untersagte, den Druck auf Moskau damals systematisch verschärfend, am 29. Dezember 1981 die Lieferung jeglicher Ausrüstung an die sowjetische Erdgasindustrie, forderte von den Staaten Westeuropas, sich dem Embargo anzuschließen, und als diese sich weigerten, verhängte er am 18. Juni 1982 extraterritoriale Sanktionen: Sämtliche Erdgas-Ausrüstungsprodukte, die US-Bauteile enthielten, durften nicht mehr an den Systemgegner veräußert werden - ein gezielter Schlag gegen die damals in Gang befindliche Ausweitung des Erdgas-Röhren-Geschäfts. Das gab richtig Zoff; einige westeuropäische Unternehmen - darunter AEG - wurden von den US-Sanktionen schwer getroffen, gaben aber, unterstützt von ihren Regierungen, nicht nach, und am 13. November 1982 hob Washington seine Sanktionen auf. Die Bundesrepublik hatte bewiesen, dass sie im Fall der Fälle, wenn es um wichtige Interessen ging, durchaus in der Lage war, sich gegen die USA durchzusetzen. Und, das erwähnt Gustafson auch: Moskau war aus Schaden klug geworden; es hatte in die Entwicklung von Kompressoren investiert und kaufte nun weniger davon im Westen.

 

Ausführlich beschreibt "The Bridge" die durchaus widersprüchlichen Entwicklungen, die in den 1990er Jahren einsetzten. Einerseits bot der Fall der Systemschranken Anlass, das Erdgasgeschäft noch mehr auszuweiten; vor allem deutsche Konzerne expandierten nach Russland, während die russische Gazprom sich bald insbesondere in Deutschland festzusetzen suchte: Als größter Erdgasverbraucher auf dem Kontinent und zugleich als Lieferdrehscheibe sei die Bundesrepublik "das Zentrum der europäischen Erdgasindustrie", konstatiert Gustafson - eine Rolle, die freilich nur "seine zentrale wirtschaftliche Bedeutung in Europa" widerspiegele. Während aber die Kooperation einerseits enger wurde, lockerte sie sich an anderer Stelle: Im Zuge der allgemeinen Deregulierung gewannen im Erdgashandel Spotmärkte gegenüber langfristigen Verträgen an Bedeutung; die Umorientierung auf Flüssiggas verlieh dem Gasgeschäft noch größere Flexibilität - zu Lasten des Pipelinehandels. Und zu alledem kamen im vergangenen Jahrzehnt die immer stärker eskalierenden politischen Spannungen hinzu: Der politische Wille zur Kooperation, der in den 1960er Jahren dem ökonomischen Interesse an der Erdgaskooperation zum Durchbruch verhalf, schwindet mehr und mehr.

 

"Die Gefahr, die vor uns liegt", schreibt Gustafson, "besteht darin, dass die Gemeinschaft der Wirtschaftsinteressen, die die Erdgasbrücke [zwischen Russland und Westeuropa] aufrechterhält, durch die Eskalation der Spannungen, Sanktionen und Gegensanktionen, durch Stellvertreterkriege und Schlimmeres geschwächt wird". Sollte hingegen "das gemeinsame Wirtschaftsinteresse trotz der politischen Spaltungen die Oberhand gewinnen", könne "die Erdgasbrücke für eine weitere Generation und vielleicht noch länger eine stabilisierende Kraft zwischen Russland und Europa bilden". Eine konkrete Prognose wagt Gustafson nicht. Für's Erste scheint ein gewisser Ausbau der Kooperation gesichert zu sein, seit sich die Bundesrepublik - erneut - im Streit um eine deutsch-russische Erdgaspipeline gegen die Vereinigten Staaten durchgesetzt hat und Nord Stream 2 vermutlich ohne US-Sanktionen in Betrieb nehmen kann. Eine langfristige Garantie für friedliche Zusammenarbeit ist das allerdings nicht. Das zeigt die Geschichte: Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen waren nicht zuletzt in zentralen Branchen wirklich eng, als im Sommer 1914 das Berliner Expansionsinteresse in Richtung Osten die Überhand gewann. Das Ergebnis ist bekannt.

 

Thane Gustafson: The Bridge. Natural Gas in a Redivided Europe. Cambridge/London 2020. Harvard University Press.


Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8671
27.07.2021

Pläne für grüne Kernenergie: China will erstes "sauberes" kommerzielles Atomkraftwerk bauen

de.rt.com, 27 Juli 2021 10:10 Uhr

Chinesische Wissenschaftler haben Pläne enthüllt, das erste "saubere" kommerzielle Atomkraftwerk zu bauen, das statt mit Uran mit flüssigem Thorium und geschmolzenem Salz betrieben wird. Der erste Prototypreaktor soll im August fertiggestellt und im September getestet werden.


Die Technologie ist im Vergleich mit konventionellen Kernreaktoren umweltfreundlicher, deren Abfälle bis zu 10.000 Jahre lang hoch radioaktiv bleiben und Plutonium-239 enthalten, den Hauptbestandteil von Atomwaffen.


Herkömmlicher Atommüll muss in Bleibehältern untergebracht, in sicheren Anlagen isoliert und strengen Kontrollen unterzogen werden, um sicherzustellen, dass er nicht in die falschen Hände gerät. In Flüssigsalzreaktoren wird das Schlüsselelement in Fluoridsalz aufgelöst, und das ausgegebene Uran-233 wird im Reaktor durch andere Reaktionen verarbeitet. Andere Abfälle haben eine Halbwertszeit von 500 Jahren.


Thorium kann nicht für die Herstellung der Kernwaffen verwendet werden, was politische Vorteile für den Export der Technologie und für den Bau solcher Reaktoren im Ausland mit sich bringt. So kann die Entwicklung dieser Technologie zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit Chinas mit anderen Staaten beitragen. Chinesische Beamte sehen im Bau von Flüssigsalzreaktoren weiteres Potenzial für die Entwicklung des Projekts Neue Seidenstraße.


Außerdem benötigt das "saubere" Atomkraftwerk kein Wasser für die Abkühlung, sodass es auch in Wüsten, entfernt von Städten, gebaut werden kann. Demnach baut China den ersten kommerziellen Flüssigsalzreaktor in Wuwei, einer Wüstenstadt in der Provinz Gansu. Das Atomkraftwerk soll voraussichtlich im Jahr 2030 in Betrieb genommen werden.


China hatte die Pläne angekündigt, bis zum Jahr 2060 komplett klimaneutral zu werden und kein CO₂ mehr in die Atmosphäre zu emittieren. Außer der Atomenergie setzt Peking auf erneuerbare Energien wie Wind- und Sonnenenergie und auf den Bau von Wasserkraftwerken.


Mehr zum Thema Ausstieg aus Kohle, Gas und Atomkraft macht erneute Diskussion über Strommarkt nötig


Meinung 

Grün, bis das Licht ausgeht – die unterschätzten Gefahren der Energiewende


Info: https://de.rt.com/asien/121334-plaene-fuer-gruene-kernenergie-china-will-erstes-sauberes-atomkraftwerk-bauen


Kommentar:  Auch "nur" 500 Jahre lang strahlender Atommüll macht das Problem bzw. das Risiko nicht geringer, allein wenn man bedenkt, was Kriegsterror auslösen kann.  Thomas Bauer 

27.07.2021

Unsichtbare LagerVorurteil und trübe Quellen: Zum westlichen Vorwurf des Völkermords an den Uiguren

jungewelt.deAusg. vom 26.07.2021, S. 12 / Thema VOLKSREPUBLIK CHINA , Von Norman Paech 

Zitat: Spätestens seit 2018, als der UN-Ausschuss zur Beseitigung der Rassendiskriminierung den periodischen Bericht Chinas diskutierte und die Fraktion der Grünen einen Antrag im Bundestag unter dem Titel »Schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang beenden, aufklären und ahnden« einbrachte, hat die Diskussion über die menschenrechtliche Situation in Xinjiang die Öffentlichkeit erreicht. Es geht vor allem um die sogenannten Umerziehungslager, mit denen »wir uns nicht abfinden können«, wie Außenminister Heiko Maas bei seinem Antrittsbesuch in der Volksrepublik vom November 2018 sagte. In ihnen soll bis zu einer Million Uiguren interniert sein, sollen Folter, systematische Vergewaltigung, Sterilisation und Zwangsarbeit stattfinden.


Der Vorwurf aus dem Westen: Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Menschheit und Völkermord. US-Präsident Joseph Biden hat einen Last-Minute-Beschluss der Trump-Administration bekräftigt, dass China in Xinjiang Völkermord begangen habe und die Kosten dafür tragen werde. Mitglieder des kanadischen Parlaments erheben ebenfalls den Vorwurf des Völkermordes. Das Newline Institute for Strategy and Policy in Washington, D. C. hat im März dieses Jahres eine umfangreiche Studie zu den Vorwürfen, »The Uyghur Genocide: An Examination of China’s Breaches of the 1948 Genocide Convention«, vorgelegt. Adrian Zenz von der European School of Culture and Theology in Korntal spricht von »demographischem und kulturellem Genozid« sowie »Verbrechen gegen die Menschheit«.


In einer Presseerklärung vom 27. April 2021 hat der World Uyghur Congress (WUC) Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, den angeblichen Völkermord an den Uiguren zu verurteilen und zum Gegenstand ihrer anstehenden Gespräche mit der chinesischen Führung in Beijing zu machen. Auf der Homepage des Weltkongresses befindet sich auch der Vergleich der Lager in Xinjiang mit Konzentrationslagern, und dass »die Chinesen die Organe der Menschen auf dem Schwarzmarkt verkaufen – als halal für muslimische Länder«. So weit geht Human Rights Watch nicht, spricht aber von »andauernden schweren Menschenrechtsverletzungen und willkürlichen Bestrafungen«. Festzuhalten ist jedoch, dass keine der Erklärungen systematische Tötungen oder Massaker an den Uiguren behauptet. Dennoch erscheint es angesichts der Verbreitung und Einhelligkeit der Vorwürfe in den westlichen Medien wie eine Fehlmeldung, wenn die Organisation für Islamische Zusammenarbeit die Bedingungen, unter denen Muslime in China leben, begrüßt.


Gegenläufige Einschätzungen

Eine andere Position und differenzierte Einschätzung liefern einige andere Autoren und langjährige China-Kenner. Sie räumen zwar auch in Einzelfällen grobes Fehlverhalten und mögliche Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uiguren ein, sehen aber keine überzeugenden Indizien oder gar Beweise für systematische Vergewaltigungen, Sterilisation oder Folter. So bezweifelt etwa Uwe Behrens, seit 1990 in China als Unternehmer tätig, die allgemein kolportierten Angaben und stellt die Quellen in Frage, die nicht von der UNO, sondern aus den mit China im Handelskrieg stehenden USA kommen. Auch der WUC wird wesentlich vom National Endowment for Democracy (NED) aus den USA finanziert. Behrens verweist auf die wiederholten Anschläge und die Terrorgefahr durch uigurische Islamisten und erklärt die innenpolitische Situation in seinem Buch »Feindbild China« (2021): »Die chinesische Regierung sieht sich (…) seit einigen Jahren einer gefährlichen Situation insbesondere in Xinjiang gegenüber: soziale Konflikte im Innern, die noch immer nicht hinreichend gelöst werden konnten, und eine terroristische Bedrohung von außen. Dagegen sucht sie mit einer Doppelstrategie vorzugehen. Auf der einen Seite soll der Lebensstandard der uigurischen Bevölkerung durch ein umfassendes Investitionsprogramm erhöht werden, dazu gehört auch eine Intensivierung der Ausbildung durch Hebung des Bildungsniveaus, und der Zuzug der Han-Chinesen wird nicht mehr gefördert. Auf der anderen Seite werden die aktiven Antiterrormaßnahmen verstärkt.« In diesem Antiterrorkampf setzt China, so Behrens, »auf die Vernunft, auf die Aufklärung: Die Behörden versuchen die potentiell Anfälligen und Auffälligen zu bilden, sie setzen Wissen gegen eine religiöse Radikalisierung und einen politischen Extremismus. Die Führung hat die verheerenden Folgen des ›heiligen Krieges‹ in anderen Regionen vor Augen.«


Der Sinologe Thomas Heberer, Professor für chinesische Politik und Gesellschaft an der Universität Duisburg-Essen, widmet sich in seinen weitgespannten Studien zur chinesischen Gesellschaft und Politik auch den ethnischen Minoritäten und den Methoden und Inhalten ihrer Integration in die Volksrepublik. Er sieht darin vor allem ein Projekt der »Disziplinierung und Zivilisierung«, welches auf eine stärkere Inte­gration der verschiedenen Völker zielt. Heberer diskutiert den offensichtlich lebhaften Austausch zwischen chinesischen Wissenschaftlern und Politikern über die Ziele der Nationalitätenpolitik angesichts der Unruhen in Tibet (2008), Xinjiang (2009) und der Inneren Mongolei (2010), die vor allem in Xinjiang zu terroristischen Attacken von Islamisten geführt haben. Obwohl er eine gewisse Liberalisierung in der Reformpolitik der Regierung sieht, würden die Konflikte wachsen. Und er bezweifelt, ob die Strategie, mit der die Regierung den ethnischen Minderheiten Vorteile beim Zugang zu den Universitäten, Lockerungen in Sachen Geburtenkontrolle und Freiheiten im Gebrauch der eigenen Sprache und Schrift sowie in kulturellen Angeboten gewähre, ausreichen, die religiösen, ethnischen und kulturellen Unterschiede zum Verschwinden zu bringen. Zu sehr sei die Politik auf ökonomische Entwicklung und Modernisierung fixiert. Für die Vorwürfe schwerer Menschenrechtsverletzungen sieht Heberer keine ausreichenden Anzeichen, um sie in seinen Schriften zu erwähnen.


Demgegenüber geht die Sinologin Mechthild Leutner von der FU Berlin in ihrer schriftlichen Stellungnahmen für den Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe vom 18. November 2020 detailliert auf die Vorwürfe um die sogenannten Umerziehungs- bzw. Internierungslager in Xinjiang ein. Sie weist darauf hin, dass es sich bei diesen Lagern offensichtlich um genau das handelt, was die Chinesen als Erziehungs- und Ausbildungszentren bezeichnen, die es im ganzen Land gibt. Sie werden von den Kommunen und Fabriken eingerichtet und sind bis in jüngste Zeit von der Weltbank gefördert und evaluiert worden. Von diesen Zentren zu unterscheiden seien die als Teil der Terror- und Extremismusbekämpfung eingerichteten Zentren. Diese würden vorrangig der Deradikalisierung mit streng geregeltem Tagesablauf dienen und auch berufliche Weiterbildungsmaßnahmen durchführen. Sie seien im Dezember 2019 wieder aufgelöst worden. Davon allerdings seien die Haftanstalten und Arbeitslager zu unterscheiden, in denen gerichtlich Verurteilte ihre Strafe verbüßen und in denen auch Zwangsarbeit abgeleistet wird. Auch Umerziehungslager habe es in China gegeben, die aber schon 2013 abgeschafft worden seien. Die Regierung forciere nach wie vor auch in Xinjiang ihre Armutsbekämpfungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die mit ihren Regelungen zur Geburten- und Heiratskontrollen sowie Beschränkungen religiöser Aktivitäten auf den privaten Raum stark in die traditionell patriarchalisch geprägte Lebensweise eingriffen.

Auch Leutner bestätigt für Xinjiang ein großes Terror- und Sicherheitsproblem, das aus der Radikalisierung fundamentalistischer Strömungen im sunnitischen Islam in Verbindung mit separatistischen Konflikten für eine unabhängige Republik Ostturkestan entstanden ist. Die Autorin hat jedoch keine Indizien oder gar Beweise für schwere systematische Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung bei der Abwehr der Terroranschläge und der Resozialisierung der gefangengenommenen Terroristen in den Deeskalisierungszentren bis 2019 erkennen können.


Die chinesische Regierung hat alle gegen sie erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen und bei der Präsentation ihres kombinierten 14. bis 17. periodischen Berichts vor dem UN-Ausschuss zur Beseitigung der Rassendiskriminierung Stellung genommen. Sie verweist insbesondere auf ihre nachhaltigen Anstrengungen, den Entwicklungsrückstand der fünf autonomen Regionen, unter ihnen Xinjiang, und drei multiethnischen Provinzen gegenüber dem Osten Chinas zu überbrücken. Erst kürzlich konnte sie die erfolgreiche Überwindung extremer Armut in ganz China vermelden. Bei ihren Maßnahmen werde sie von den Prinzipien ethnischer Gleichheit und Solidarität geleitet. Insbesondere in Xinjiang habe es bei ihrem Kampf gegen terroristische Gewalt keine willkürlichen Verhaftungen, Folter oder Unterdrückung des religiösen Glaubens gegeben. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, bestätigte, dass UNO und China über einen Besuch von UN-Vertretern in China im Gespräch seien, allerdings nicht, um »sogenannte Untersuchungen mit einem vorgefassten Schuldspruch« durchzuführen.


Terrorpotential

Um die schweren Vorwürfe gegenüber China einordnen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die besonderen Sicherheitsprobleme in Xinjiang zu werfen. Seit den 1990er Jahren haben zahlreiche Anschläge und gewalttätige Unruhen auf zwei Probleme in der Provinz hingewiesen: die Radikalisierung fundamentalistischer Muslime und die Separationspläne uigurischer Nationalisten. Insbesondere unter dem Einfluss der islamischen Nachbarstaaten Afghanistan und Pakistan hat sich ein Gewaltpotential entwickelt, das von Taliban und Al-Qaida aufgefangen wurde. 2011 habe selbst der frühere US-Außenminister Henry Kissinger in seinem China-Buch »von möglichen Auswirkungen des islamistischen Terrorismus auf die Provinz Xinjiang gesprochen«, wie Wolfram Elsner, ehemaliger Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen, in seinem Buch »Das chinesische Jahrhundert« festhält. Die US-Regierung unter Donald Trump hat erst im November 2020 das East Turkistan Islamic Movement (ETIM) von der Terrorliste gestrichen, auf die sie von der Regierung George Bush jr. 2002 gesetzt worden war.


Terroranschläge mit Hunderten von Toten nicht nur in Xinjiang, sondern bis nach Beijing waren die Folge. Bekannt geworden sind die Bombenanschläge von 1992, 1993, 1997 und 1998 in Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang, mit zahlreichen Toten. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 25. November 2019 von mehr als 200 Terroranschlägen mit 162 Todesopfern zwischen 1990 und 2001. Die chinesischen Gegenmaßnahmen vermochten den Terror nur vorübergehend einzudämmen. Am 9. Juli 2009 machte ein blutiges Massaker in Urumqi deutlich, dass die separatistischen Kräfte offensichtlich nicht mit den herkömmlichen polizeilichen und militärischen Mitteln zu befrieden sind. Über tausend Uiguren hatten mit Messern und Stöcken Polizisten und Han-Chinesen angegriffen, Fahrzeuge, Geschäfte und Wohngebäude geplündert und in Brand gesetzt. 197 Menschen kamen dabei ums Leben, davon 134 Han-Chinesen.


Die bei der Universität von Maryland bei Washington geführte »Global Terrorism Database« verzeichnet für die Zeit danach verstärkt Attentate, die bis auf den Tiananmen-Platz in Beijing reichten, wo am 28. Oktober 2013 drei Uiguren mit einem SUV in eine Menschenmenge fuhren, zwei Passanten töteten und 38 verletzten.


Schon vorher waren 2011 und 2012 in Kashgar und Yenchen vor allem Han-Chinesen angegriffen und getötet oder verletzt worden. Einen blutigen Höhepunkt fand diese Serie am 1. März 2014, als uigurische Dschihadisten außerhalb Xinjiangs in der Provinzhauptstadt von Yunnan, Kunming, 31 Menschen abschlachteten und 141 verletzten.


Michael Clarke von der Australien National University in Canberra geht von mindestens zehn bewaffneten radikalislamischen Uigurengruppen aus. Nicht unberücksichtigt bleiben darf dabei aber die Verbindung uigurischer Dschihadisten zum Ausland. Sie beschränkt sich nicht nur auf die Ausbildung durch die Taliban, sondern besteht auch in gemeinsamen Kampfeinsätzen im Norden Afghanistans und an der Seite von IS- und Al-Qaida-Kämpfern in Syrien, Südostasien und Libyen. Derzeit sollen etwa 8.000 Uiguren noch in Idlib/Syrien gemeinsam mit der Fatah-Al-Scham-Front gegen die Regierung in Damaskus kämpfen.


Dieser unvollständige Überblick zeigt, dass sich die chinesischen Behörden über die Jahre mit einem erheblichen Terrorproblem vor allem in Xinjiang auseinanderzusetzen hatten und dabei auch polizeiliche und militärische Gewalt anwenden mussten. Die Rede von der »systematischen Internierung einer ganzen ethnoreligiösen Minderheit«, die ihrem Ausmaß nach »vermutlich die größte seit dem Holocaust« sei, wie der bereits erwähnte Adrian Zenz von der European School of Culture and Theology behauptet, ist ohne reale Grundlage und als Vergleich völlig deplaziert.


Minderheitenpolitik

Die Volksrepublik China umfasst 56 Nationalitäten. Neben der ethnischen Mehrheit der Han-Chinesen gibt es noch Minoritäten mit einem Bevölkerungsanteil von 8,5 Prozent. Die »autonomen Gebiete« der Minderheiten, zu denen auch Xinjiang gehört, bemessen fast zwei Drittel des gesamten Staatsterritoriums. Es sind vorwiegend Grenzgebiete mit außerordentlich reichen Ressourcen, aber erheblichem Entwicklungsrückstand gegenüber dem östlichen, an die Küste grenzenden Kerngebiet. Es ist jedoch nicht nur dieser Rückstand, der durch umfangreiche ökonomische und soziale Programme überwunden werden muss, sondern auch die historisch auf die imperiale Kaiserzeit zurückreichende vertikale Kluft zwischen den Han und den tributpflichtigen »unzivilisierten Barbaren«.


Ein Regierungsdokument von 2017, welches 2019 mit der Bezeichnung »China Cables« in den Westen gelangte, enthüllt, dass das Berufsbildungs- und Trainingsprogramm zur Umerziehung der Uiguren und der anderen muslimischen Minderheiten in Xinjiang eng verknüpft ist mit der Aufgabe der Disziplinierung, Zivilisierung und Umsiedlung in städtische Gebiete. Das kann man als rigorose Assimilierungspolitik bezeichnen, hat aber vor allem das Ziel, Armut zu bekämpfen und den Lebensstandard der überwiegend ländlichen Bevölkerung zu verbessern. Das Mittel dazu ist, die große Masse der ländlichen Arbeitslosen in produktive Arbeitskräfte für die Industrie zu verwandeln. So wurden in Xinjiang seit 2016 1,4 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Von 2014 bis 2019 stieg die Zahl der Beschäftigten um zwei Millionen. Dazu trugen der Kampf gegen den Analphabetismus durch bildungspolitische Maßnahmen wie die neunjährige Schulbildung, das Angebot einer dreijährigen kostenlosen Vorschulerziehung in Südxinjiang und die Einrichtung von Internaten bei.


In einem Papier der Regierung des Qapqal-Landkreises in Xinjiang wird als zentrale Idee die Erziehung zusätzlicher Arbeitskraft in besonderen Erziehungszentren genannt, um die Beschäftigungsrate zu erhöhen. »Eiserne Disziplin« solle durch ein »militärisches Management« in den Erziehungszentren gestärkt werden, wer das nicht wolle, müsse dazu gezwungen werden. Es ist gut vorstellbar, dass sich dagegen Widerstand formiert und das »militärische Management« hart durchgegriffen hat. Zudem werden Angehörige der Minderheiten aufgefordert, ihre Heimatorte zu verlassen, eine Berufsausbildung aufzunehmen und einen Job in den städtischen Küstengebieten zu ergreifen, um ihr Denken zu »transformieren« und zu disziplinieren.


Deutlich wird jedoch an dieser Politik, dass, in menschenrechtlichen Kategorien gemessen, sehr viel mehr Gewicht auf die ökonomischen und sozialen als auf die politischen und kulturellen Menschenrechte gelegt wird.


Auf diesem Weg der Akkulturation ist die Religion von großer Bedeutung. Die chinesische Politik geht von einer strikten Trennung von Religion und Politik aus. Die Ausübung der Religion ist ebenso wie der Gebrauch der eigenen Sprache verfassungsrechtlich garantiert. Die Ausübung wird allerdings auf den privaten Bereich beschränkt, zu dem auch die Moscheen gehören, und genießt keine institutionellen Garantien wie in der westlichen, vorwiegend christlich geprägten Welt. Das mag mit den negativen historischen Erfahrungen mit christlicher Mission im Dienste des westlichen Kolonialismus zu tun haben, folgt aber auch aus der prinzipiellen Religionsferne der Kommunistischen Partei.


Der Sinologe Heberer zitiert ein offizielles Dokument aus dem Jahr 2020, in dem es heißt, das Ausbildungsprogramm solle »rückwärts gewandtes Denken transformieren« und »den negativen Einfluss der Religion« beseitigen. Einige Maßnahmen jedoch wie die rigoros durchgesetzte Begrenzung der Geburtenzahlen haben nicht nur in Xinjiang, sondern in ganz China zu Protest und Widerstand geführt. Auch die Festsetzung des Mindestalters für eine Heirat bei Frauen auf 20, bei Männern auf 22 Jahre erfährt die muslimische Bevölkerung als einen schweren Eingriff in ihre traditionelle Lebensführung.


Fragwürdige Faktenlage

Gehen wir davon aus, dass es zuverlässige und überprüfbare Berichte über einzelne Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang gibt, so leiden jedoch alle Berichte über die sogenannten Umerziehungs- bzw. Internierungslager an einem Mangel an seriösem Daten- und Beweismaterial. Fotos und Satellitenaufnahmen von Gebäudekomplexen hinter hohen Mauern mussten wiederholt als falsche oder untaugliche Beweise zurückgezogen werden.

Die Organisation Amnesty International versah ihren Bericht mit der Überschrift »Im Land der unsichtbaren Lager«. Über jenes Land schrieb der Korrespondent der Taz, Felix Lee, dass er von Umerziehungslagern zwar nichts habe finden können, aber man wisse ja aus »Zeugenaussagen«, dass es »Gehirnwäsche und Folter« gebe.


Alle Zahlen von Internierten beruhen auf hochgerechneten Schätzungen, die zwar überall in den Medien kolportiert werden, deren Zuverlässigkeit aber nicht nachgewiesen ist und die juristisch nicht verwertbar sind. Sie stammen von dem Netzwerk Chinese Human Rights Defenders, das vom US National Empowerment Fund finanziell unterstützt wird. Seine Befragungen in einzelnen Dörfern können kaum als seröse Untersuchungen gewertet werden. Soweit sie auf den Aussagen von im Ausland lebenden Uiguren beruhen, handelt es sich um ungeprüfte Zweitinformationen mit ebenfalls mangelndem juristischen Wert. Das gleiche gilt für die kürzlich publizierte Studie des Newlines Institute for Strategy and Policy, das die Zahl der in angeblich 1.400 Einheiten internierten Uiguren mit bis zu zwei Millionen angibt. Solange diese Maximalzahlen, die ebenfalls aus Sekundärinformationen und Internetrecherchen stammen, nicht zuverlässig überprüft und bestätigt werden, sind sie juristisch kaum verwertbar.

Der Völkermord ist ein Absichtsdelikt. Es genügt nicht der einfache Vorsatz zur Verursachung schwerer Schäden an Mitgliedern einer Gruppe, es muss auch die Absicht nachgewiesen werden, die Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Diese überschießende Innentendenz der Tat kann offen deklariert und daher leicht nachgewiesen werden, sie kann sich aber auch erst aus der Analyse des Tatumfeldes und der Tatumstände ergeben. Selbst wenn man davon ausgehen könnte, dass die in den Vorwürfen genannten Zahlen und die menschenrechtswidrige Behandlung zutreffen, so lässt sich jedoch eine Absicht zur ganzen oder auch nur teilweisen Zerstörung der Gruppe der Uiguren nicht erkennen.


Man muss sich nicht auf die offiziellen Angaben der chinesischen Regierung über ihre Anstrengungen in Xinjiang verlassen, die Armut und den Entwicklungsrückstand zu überwinden, die sie regelmäßig veröffentlicht. Auch aus Berichten von Beobachtern, die sich über die Jahre häufig in der Region aufgehalten haben, geht hervor, dass in Xinjiang in den letzten Jahren erheblich investiert wurde und sich die materielle Lebensqualität der Bevölkerung deutlich verbessert hat. Trotz aller Eingriffe in das alltägliche Leben der Uiguren, die sie aus vielen Bindungen an eine traditionelle Lebensweise gerissen haben und viel Widerstand erzeugen mussten, lassen die ergriffenen Maßnahmen zur ökonomischen und sozialen Entwicklung keinen Rückschluss zu, dass sie in der Absicht erfolgt sind, die Gruppe der Uiguren als ethnische Minorität zu zerstören.


Weltweit polarisiert

Die Einschätzung der menschenrechtlichen Situation in Xinjiang ist nicht nur in Deutschland, sondern offensichtlich auch international polarisiert. Das beweist eine Initiative von 22 Staaten im Juli 2019, die China wegen seiner Politik in Xinjiang scharf verurteilten. Dem widersprachen kurze Zeit später 37 Staaten, denen sich bald weitere anschlossen, so dass schließlich 50 Staaten die Politik der Volksrepublik unterstützten. In dieser Situation ist es wichtig, eine sichere Basis für die schwersten straf- und völkerrechtlichen Vorwürfe zu suchen. Es empfiehlt sich deshalb eine kritische Untersuchung aller vorhandenen Quellen in China wie im Westen.

Dies sollte begleitet werden von einem offenen Dialog auf politischer und wissenschaftlicher Basis mit chinesischen Partnern, ohne dass er vorher mit Vorwürfen, Androhungen, Unterstellungen oder gar Sanktionen belastet wird. Die chinesische Führung hat Vertreterinnen und Vertretern der UNO und ihrer Mitgliedstaaten Gespräche und den Besuch Xinjiangs unter diesen Bedingungen angeboten. Das Angebot sollte angenommen werden. Es ist derzeit wohl die einzige Möglichkeit, Klarheit über die Realität in Xinjiang zu bekommen und Aufmerksamkeit für die eigenen Vorstellungen zu erhalten.


LESERBRIEFE


Ulf G. aus Hannover (27. Juli 2021 um 00:50 Uhr)
    Uwe Behrens nennt in seinem Buch »Feindbild China« (Seite 187) die Zahl von 50.000 Uiguren, die mit türkischen Pässen in den syrischen Bürgerkrieg gereist seien. Wenn davon noch 8.000 in Idlib anwesend sind, kann man die Zahl der Rückkehrer grob auf 40.000 schätzen. Diese Menschen zu resozialisieren, ist eine gewaltige Herausforderung, der China sich immerhin gestellt hat. Deutschland ist demgegenüber leider immer noch ohne Konzept und weigert sich jedenfalls standhaft, selbst die wenigen Dutzend deutschen Islamisten aus dem syrischen Lager Al-Hol zurückzunehmen. Das chinesische Konzept ist dabei durchaus überzeugend: vornehmlich Förderung von Wohlstand und Bildung sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Und selbst wenn »eiserne Disziplin« nur durch ein »militärisches Management« erreichbar sein sollte, so kann man das aus einem Land, in dem einst Wehrpflicht herrschte, kaum glaubwürdig verurteilen. Leider ist auch noch die deutsche Außenpolitik alles andere als deradikalisierend, wenn sie sich dem US-Diktat der Förderung von Armut, Not und Elend durch Bombenhagel und Wirtschaftssanktionen – etwa gegen Afghanistan, Irak bzw. Syrien – unterwirft. Not ist allein schon ein Faktor, der Menschen religiöser werden lässt. Und wenn der von der Not diktierte Bildungsmangel dann noch dafür sorgt, dass Religiosität oft nicht rational reflektiert wird, gleitet sie um so schneller in Extremismus ab. In Syrien kam noch hinzu, dass die vom Ausland finanzierten islamistischen Milizen oft die einzigen Arbeitgeber waren, die noch Lohn zahlen konnten. Es ist gut, dass man zumindest in China Verständnis für derartige Mechanismen hat und deshalb qualifiziert auf die islamistische Bedrohung reagieren kann. Der Erfolg gibt den Chinesen recht. Das Ausmaß des Terrors in China ist stark zurückgegangen. Es wäre schön, wenn man im Westen – statt China zu verurteilen – auch mal von China lernen würde, nämlich dass es bessere Rezepte gegen Extremismus gibt als Bomben.

                    _ __ _


Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (26. Juli 2021 um 15:02 Uhr)

Der Beitrag kommt zur rechten Zeit. Nachdem nun nach fast 20 Jahren Krieg die Taliban im Bündnis mit pakistanischen, arabischen und uigurischen »Gotteskriegern« dem Anschein nach die Weltmacht Nummer eins und ihre Verbündeten besiegt und zum Abzug aus Afghanistan gezwungen haben, verschärft sich das islamistische Problem wohl auch für den Westen der Volksrepublik China. Die alte Prinzipien- und Gewissenlosigkeit treibt den vereinigten Westen gerade jetzt an die Seite der Islamisten von Xinjiang. (Sehr gut und wichtig, dass Paech an die vielen terroristischen Anschläge meist gegen ahnungslose unbewaffnete Zivilisten des Han-Volkes auch außerhalb von Xinjiang erinnert.) Anders kann man es nicht sehen, wenn nun entstandene Wirtschaftsbeziehungen mit Totschlagsargumenten wie »Völkermord/Genozid« und »Zwangsarbeit« ruiniert werden sollen. Das betrifft nicht nur traditionelle Zweige wie die Textilindustrie von Xinjiang, sondern zum Beispiel auch die Siliziumkristallerzeugung für die globale Chip- und Photovoltaikpaneelherstellung an Standorten westlich von Urumqi. Es ist ein klarer Handelskrieg mit sehr zweifelhaften »Argumenten«. Man muss an die planmäßige Vernichtung der Herero, der Armenier, der Juden Europas bzw. der Batutsi in Ruanda erinnern, um zu begreifen, welche Ungeheuerlichkeit es ist, den Völkermordbegriff für Chinas Politik gegenüber den Uiguren in Xinjiang anzuwenden.


    Einige Bemerkungen sind jedoch meines Erachtens ergänzend erforderlich: Der Aufbau moderner Industrien und ganzer Industriestädte etwa im Norden Xinjiangs musste mit massivem Zuzug von Han-Chinesen erfolgen, da es lokal das erforderliche Arbeitskräftepotential einfach nicht gab - weder quantitativ noch qualitativ. Die industrielle Arbeitssprache konnte dann nur Mandarin sein, was die Einstellung von nicht vorbereiteten Uiguren, Kasachen, Kirgisen etc. aus Xinjiang fast unmöglich machte. Die besser bezahlten Tätigkeiten (»Jobs«) blieben ihnen fast durchgehend verwehrt. Sie in Sprachlehrgängen teilweise »kaserniert« auf eine Arbeit dort oder auch in den östlichen Provinzen, wo ja Arbeitskräfte fehlen, vorzubereiten, war ein insgesamt richtiger Ansatz, aber dass es dabei neue Probleme geben musste, auch wegen der Religiosität eines Teils der neuen Arbeiterinnen und Arbeiter, war zu erwarten. (Es ist nicht mehr einer Verachtung gegenüber »Barbarenvölkern« geschuldet, wenn Han-Chinesen, die großenteils Atheisten sind, konsterniert auf Leute blicken, die sich fünfmal täglich mit dem Kopf in Richtung Mekka auf den Boden werfen, um zu beten.)


Der Zuzug von Han-Chinesen, die in Xinjiang jetzt rund die Hälfte der Bevölkerung bilden, musste bei vielen Muslimen (dazu gehören auch die Hui oder muslimischen Chinesen) ein Gefühl der Entfremdung hervorrufen, das durch die islamistische Propaganda aus Südwestasien (Türkei, Saudi-Arabien, Katar usw.) noch geschürt wird. Andererseits kann China auf die Nutzung der natürlichen Ressourcen der autonomen Provinz nicht verzichten. Es kann nur den von Paech skizzierten Weg der Bildungsrevolution und der Schaffung von Arbeitsplätzen gehen, der schon in Tibet (mit weit geringerem Anteil von Han-Chinesen) oder auch in der Inneren Mongolei (mit allerdings inzwischen rund 85 Prozent Han-Bevölkerung) zu einer Befriedung der ethnischen Konflikte geführt hat.


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Info:
 https://www.jungewelt.de/artikel/407059.volksrepublik-china-unsichtbare-lager.html
26.07.2021

Streit um die Geldpolitik   Die Fortsetzung der expansiven Geldpolitik der EZB stößt in Deutschland auf Kritik. Hintergrund sind die wachsenden Ungleichgewichte in der Eurozone.

german-foreign-policy, 27. Juli 2021

BERLIN(Eigener Bericht) - Die jüngste Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), ihre expansive Geldpolitik fortzusetzen, stößt auf scharfe Kritik in Deutschland, zugleich aber auf klare Zustimmung vor allem in Südeuropa. Deutsche Ökonomen und Geldpolitiker äußern Unmut über die "ultralockere Geldpolitik" der EZB, die trotz eines Anstiegs der Verbraucherpreise fortgesetzt werde; von einer "Enteignung" deutscher Sparer ist die Rede. Zudem wird mit Blick darauf, dass der US-Notenbank Fed der Ausstieg aus der Nullzinspolitik bislang nicht gelingt, vor einer "Finanzdominanz" in der EU gewarnt. Demgegenüber verweist etwa der italienische Zentralbankchef Ignazio Visco darauf, in der Wirtschaft der Eurozone herrsche eine "erhebliche Flaute"; zusätzliche Risiken ergäben sich aus einer abermaligen Pandemiewelle. Eine Straffung der Geldpolitik sei daher nicht angesagt. Hintergrund der Differenzen sind die Ungleichgewichte in der Eurozone zwischen dem deutschen Zentrum und der südeuropäischen Peripherie, die sich in der Coronakrise weiter zugespitzt haben. Dessen ungeachtet beginnt Berlin erneut auf einen harten Sparkurs zu dringen.


Zitat: "Ultralockere Geldpolitik"

Leitmedien und politische Funktionsträger der Bundesrepublik äußerten teilweise harsche Kritik an der Fortsetzung der expansiven Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank (EZB), die auf der Ratssitzung vom 22. Juli beschlossen worden war. Ungeachtet der "angezogenen Teuerungsrate" halte die EZB an ihrer "ultralockeren Geldpolitik" fest, hieß es. An eine Leitzinswende sei "nicht zu denken", sie sei sogar in "weite Ferne gerückt"; der Leitzins der Notenbank bleibe weiterhin bei "historisch niedrigen 0,0 Prozent".[1] Zudem wird das EU-Aufkaufprogramm für Anleihen fortgesetzt, mit dem vor allem die Staatsschulden hoch verschuldeter Euroländer wie Italien, Spanien oder Frankreich erworben werden; damit wird der Finanzsphäre neue Liquidität zugeführt. Die zu Pandemiebeginn initiierte quantitative Lockerung, die faktisch einem Gelddruckprogramm gleichkommt, hat einen Umfang von 1,85 Billionen Euro und soll bis "mindestens Ende März 2022" fortgesetzt werden. Überdies solle das "Tempo der Wertpapierkäufe" im dritten Quartal 2021 noch erhöht werden, heißt es. Laut den neuen EZB-Richtlinien könne der expansive geldpolitische Kurs so lange fortgesetzt werden, bis die Inflationsrate "langfristig die Marke von zwei Prozent" überschreite. Die EU-Notenbank sehe keine Veranlassung, auf den aktuellen "Anstieg der Verbraucherpreise über die Zielmarke von zwei Prozent" zu reagieren.


Kritik deutscher Ökonomen und Geldpolitiker

Deutsche Ökonomen wie Friedrich Heinemann vom Mannheimer Forschungsinstitut ZEW (Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) sprachen in Reaktion auf den expansiven EZB-Kurs von einer selektiven Wahrnehmung der EU-Notenbanker. Diese sorgten sich um die "Risiken neuer Infektionswellen" im Rahmen der Pandemie, doch sie beachteten kaum die "unverkennbaren Signale einer beginnenden Überhitzung von Teilen der Wirtschaft", klagte Heinemann, der einen "fast schon dramatischen Anstieg der Produzentenpreise" in der Eurozone diagnostizierte. Es häuften sich die Signale, wonach die Inflationsbekämpfung in der Strategie der EZB "an Gewicht verloren" habe.[2] Zuvor war Mitte Juli von einem "rasanten Anstieg" der Großhandelspreise von mehr als zehn Prozent im Juni berichtet worden; dies stelle den höchsten Preissprung seit der Ölkrise vor rund 40 Jahren dar.[3] Allerdings sei der Preisanstieg zumindest teilweise dem "sehr niedrigen Preisniveau der Vorjahresmonate" geschuldet, als im Rahmen der Pandemie die Preise starke eingebrochen seien, hieß es weiter. Dessen ungeachtet üben auch deutsche Geldpolitiker öffentlich Kritik an der EZB. Bundesbankpräsident Jens Weidmann erklärte, bei der jüngsten Ratssitzung gegen die Anpassung des Zinsausblicks in der Eurozone gestimmt zu haben.[4] Ihm sei die "die potenziell zu lange Fortschreibung des Niedrigzinsumfelds zu weitgehend", erklärte Weidmann, der vor einem Inflationsschub warnte: "Meine Fachleute erwarten etwa für Deutschland zum Jahresende 2021 Raten, die in Richtung fünf Prozent gehen könnten".


"Enteignung" deutscher Sparer

In führenden konservativen Zeitungen wie der FAZ wurde die Zinsentscheidung der EZB als eine Annäherung an die US-Geldpolitik interpretiert - und harsch kritisiert.[5] Die EU-Notenbank folge der expansiven Politik der Federal Reserve (Fed), was nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Folgen zeitigen werde; die "seit langem dominierende Rolle der amerikanischen Geldpolitik" existiere offenbar immer noch. Dies könne aber niemand "gut finden", dem die "marktwirtschaftliche Ordnung wichtig" sei, hieß es warnend unter Verweis auf eine "Finanzdominanz" in den USA. Da die bisherigen Versuche der Fed, aus ihrer jahrelangen Nullzinspolitik auszusteigen, zu Finanzmarktturbulenzen führten und schnell eingestellt werden mussten, sieht die FAZ eine "wachsende Abhängigkeit der Geldpolitik" von den "Teilnehmern an den Finanzmärkten"; dies drohe nun auch der EU. Es herrsche gar eine "regelrechte Furcht der Geldpolitik vor unerwünschten Reaktionen an den Finanzmärkten". Andere Leitmedien warfen der EZB gar vor, die "schleichende Entwertung" deutscher Ersparnisse in Kauf zu nehmen.[6] Die "Strafzinsen" der Banken und die anziehende Inflation führten zur "Enteignung der Sparer", deren Vermögen in der gegenwärtigen Situation um bis zu "2,5 Prozent pro Jahr" schrumpfen könnten. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof habe die Auffassung geäußert, durch ihre lockere Geldpolitik überführe die EZB "Eigentum von privater in die öffentliche Hand". Schuld an dieser "Enteignung" seien die südlichen Eurostaaten, bei denen es aufgrund expansiver Geldpolitik zu konjunkturellen "Übertreibungen" gekommen sei - und die nun dauerhaft niedrige Zinsen bräuchten, um nicht in den Staatsbankrott zu schlittern.


Lagarde: Geldpolitik muss "sehr flexibel sein"

Gegenüber der vehementen Kritik aus der Bundesrepublik verteidigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde ihren Kurs mit der Notwendigkeit, mit "Beharrlichkeit" an dem eingeschlagenen monetären Kurs festzuhalten. Es sei "jetzt nicht die Zeit, um über eine Ausstiegsstrategie zu sprechen", warnte Lagarde; die Geldpolitik müsse "sehr flexibel sein" und dürfe nicht "die Erwartung wecken, dass der Ausstieg in den nächsten Wochen oder Monaten" erfolge.[7] Ähnlich argumentierte der Gouverneur der Banca d'Italia, Ignazio Visco, bereits Mitte Juli: Man müsse Schockwellen auf den Finanzmärkten vermeiden, die durch eine verfrühte Reduzierung der monetären Stimuli ausgelöst würden.[8] Die EZB müsse zeigen, dass sie entschlossen sei, die höheren Inflationsziele hinzunehmen. Dabei verwies der italienische Zentrabankchef auf eine "erhebliche Flaute" der Wirtschaft im Euroraum sowie auf das Risiko einer abermaligen Pandemiewelle. Er gehe "für einen längeren Zeitraum nicht davon aus, dass die Geldpolitik gestrafft" werde, betonte Visco.


"Große fiskalische Divergenz"

Die abermals zunehmenden politischen Auseinandersetzungen zwischen dem deutschen Zentrum und der südlichen Peripherie der Eurozone sind Ausdruck der krisenbedingt zunehmenden Ungleichgewichte und der ökonomischen Zentrifugalkräfte im EU-Währungsraum, wie die Ratingagentur Fitch in einer Einschätzung festhielt, die eine "große fiskalische Divergenz" im Euroraum konstatierte.[9] Die Pandemie habe die bestehenden Ungleichgewichte in der Eurozone noch verstärkt, da die öffentliche Verschuldung vor allem in ohnehin angeschlagenen Euroländern besonders stark angestiegen sei, die mit einem "extrem hohen" Schuldenniveau in Relation zu ihrem Bruttoinlandsprodukt (BIP) in die Krise getaumelt seien. Daraus ergebe sich ein Auseinanderdriften der Eurostaaten bei der öffentlichen Verschuldung, vor allem zwischen Deutschland und besonders hart getroffenen Ländern wie Italien, Spanien und Frankreich, wo Verschuldungsrekorde erreicht worden seien. Tatsächlich litten die genannten Krisenländer schon Ende 2020 unter einer enormen Schuldenlast, die in Frankreich 116 Prozent, in Spanien 120 Prozent und in Italien sogar 156 Prozent des BIP erreichte. Die Bundesrepublik hingegen wies nur eine Verschuldung von 69 Prozent des BIP auf.[10]


Laschets Rückkehr nach Maastricht

Aus dieser fiskalischen Divergenz, die durch die Pandemie zusätzlich verstärkt wurde, resultieren die unterschiedlichen Interessen des deutschen Zentrums und der südeuropäischen Peripherie bezüglich der Geldpolitik der EZB: Der Süden benötigt die EZB-Aufkaufprogramme, um trotz erdrückender Schuldenlast Konjunkturprogramme zu finanzieren und Wirtschaftswachstum zu generieren, während die auf den außereuropäischen Export geeichte Bundesrepublik vor allem die Geldwertstabilität im Auge hat; ihr Monetarismus hält den ökonomischen Abstand zum Süden aufrecht, der die Grundlage der politischen Hegemonie Berlins in der Eurozone bildet. Die in Berlin als "Gelddruckerei" verpönte expansive Geldpolitik der EZB dient als finanzpolitischer Rettungsanker für die Peripherie, während in Teilen der deutschen Polit-Elite die Tendenz zunimmt, wieder auf ein EU-Spardiktat zu setzen - ähnlich dem Kurs des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble während der Eurokrise. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat sich bereits für eine EU-weite Rückkehr zu den strengen haushaltspolitischen Vorgaben des Maastricht-Stabilitätspakts ausgesprochen und sich gegen eine "Schuldenunion" positioniert: Sobald die Krise vorbei sei, hatte er schon Mitte Juni gefordert, müsse "sowohl die deutsche als auch die europäische Politik zurückkommen zur Stabilitätspolitik, so wie sie in Maastricht vereinbart wurde".[11]

 

[1] Kein Ende der Nullzinspolitik in Sicht. tagesschau.de 22.07.2021.

[2] ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann zur EZB-Entscheidung. zew.de 22.07.2021.

[3] Großhandelspreise steigen rasant. tagesschau.de 12.07.2021.

[4] Bundesbank-Chef Weidmann stimmte gegen EZB-Beschlüsse. spiegel.de 24.07.2021.

[5] Vorbild Amerika. faz.net 22.07.2021.

[6] Die EZB nimmt die schleichende Entwertung der Ersparnisse in Kauf. welt.de 14.07.2021.

[7] Kein Ende der Nullzinspolitik in Sicht. tagesschau.de 22.07.2021.

[8] EZB-Ratsmitglied warnt vor vorschneller Reduktion des EZB-Stimulus. institutional-money.com 16.07.2021.

[9] Eurozone Fiscal Dashboard: The Great Fiscal Divergence. fitchratings.com 23.07.2021.

[10] Country List Government Debt to GDP | Europe. tradingeconomics.com.

[11] Laschet will keine EU-Schuldenunion und zurück zu Maastricht. de.finance.yahoo.com 18.06.2021.


Info: 
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8670
26.07.2021

Schlecht beraten: Thinktank der Bundesregierung rät zu Waffenlieferungen an die Ukraine

de.rt.com, 26 Juli 2021 10:30 Uhr, von Gert Ewen Ungar

In einem Beitrag der SWP wird der Bundesregierung geraten, der Ukraine Waffen zu liefern. Der mit Steuern finanzierte Thinktank rät zudem zur Konfrontation mit Russland. Die Argumentation ist haarsträubend und wurzelt in unbewiesenen Behauptungen.


Zitat: Anfang Juli veröffentlichte die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) einen Beitrag von Dumitru Minzarari und Susan Stewart. Die Autoren sprechen sich für Waffenlieferungen der Bundesrepublik an die Ukraine aus. Wichtig ist dabei der Erscheinungsort sowie die Argumentation.


Die SWP ist ein bereits in den 1960er-Jahren gegründeter Thinktank, der zu politischen Themen arbeitet. Die zentrale Aufgabe ist die Beratung der Bundesregierung und des Bundestages. Finanziert wird die SWP aus Steuermitteln und zusätzlich aus der Einwerbung von Drittmitteln für einzelne Forschungsprojekte. Die Stiftung beschreibt sich selbst als Ort des Austausches von Wissenschaft und Politik. "Ein Ort, an dem politische Entscheiderinnen und -entscheider [Fehler im Original] mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der SWP im vertraulichen Rahmen Fragen diskutieren und Ideen durchspielen können", ist auf der Website zu lesen.


Darüber hinaus beschreibt sich die SWP als unabhängig. Die Biografien der Referenten zeugen allerdings von einer tiefen Einbettung in westliche, transatlantische Organisationen und Strukturen. So mag sich die SWP für unabhängig halten, einseitig ist sie allemal.


Minzarari, einer der Autoren eines aktuellen Beitrags, der mit "The Logic of Defence Assistance to Ukraine A Strategic Assessment" (Die Logik der defensiven Unterstützung der Ukraine. Eine strategische Bewertung) überschrieben ist, hat in den USA internationale Beziehungen studiert. Für die OSZE hat er im Rahmen von Beobachtermissionen in der Ukraine und Kirgisistan gearbeitet und hatte zuletzt ein Forschungssemester am NATO Defense College in Rom absolviert.


Seine Co-Autorin Stewart spricht sich in ihren Beiträgen für die SWP immer wieder für eine "robustere Russlandpolitik" aus. Damit steht sie bei der SWP nicht allein, denn die Stiftung bleibt beim Thema Russland in der Rhetorik der Konfrontation stecken und verkürzt bei komplexen Themen, die eigentlich umfassende Analysen und eine feine Differenzierung benötigen, die Argumentation auf einseitige Schuldzuweisungen an Russland. Es ist offenkundig der Geist des neuen Kalten Krieges, der auf den Fluren der SWP weht und sich in den Beiträgen niederschlägt. Eine tatsächliche wissenschaftliche Ausgewogenheit sucht man vielfach vergebens.


Im aktuellen Beitrag zur Ukraine sprechen sich die beiden Autoren für die Lieferung sogenannter defensiver Waffen an das Land aus. Über die Problematik des Begriffs "defensive Waffe" soll es hier nicht gehen. Aber natürlich ist es so, dass eine Vielzahl der Waffen, die als defensiv gewertet werden, auch offensiv eingesetzt werden können. Der Begriff ist daher irreführend. Es geht einfach um Waffenlieferungen.


Im Beitrag wird die These vertreten, dass Waffenlieferungen der Deeskalierung eines Konfliktes dienen können. Konkret beziehen sich die Autoren dabei auf eine Analyse der RAND Corporation, eines Thinktanks, der die US-Armee berät. Dieser will einen Zusammenhang zwischen Waffenlieferungen in Krisengebiete und der Befriedung von Konflikten festgestellt haben. Dabei ist dieser Zusammenhang wenig evident. Beispiele, die zeigen, dass die Lieferung von Waffen in eine Krisenregion zu einem dauerhaften und stabilen Frieden geführt hat, wollen spontan auch nicht einfallen.


Was der Beitrag verschweigt, ist, dass selbst die russlandfreundlicher Umtriebe völlig unverdäch-tige RAND Corporation zu der Erkenntnis kam, dass Russland nicht den Konflikt mit NATO-Ländern sucht. Nun mag man einwenden, die Ukraine sei gar nicht in der NATO. Allerdings strebt die Ukraine die Aufnahme in das transatlantische Bündnis an, hat dieses Ziel sogar in die Verfassung aufgenommen. Zudem ist offenkundig, dass die NATO in der Ukraine massiv ihre Interessen verfolgt und das Land zu ihrem Einflussgebiet zählt. Einen direkten militärischen Überfall der Ukraine durch Russland würde die NATO zweifellos entsprechend beantworten.


Die dem Beitrag zugrunde liegende Annahme der Autoren ist dennoch, dass Russland militärisch aktiv in den Konflikt im Donbass involviert ist. Dort stünden russische Soldaten, entsandt und finanziert von Moskau, die aus dem Donbass heraus Krieg gegen die Ukraine führten und die "Separatisten" der Donezker und Lugansker Republiken militärisch unterstützten. Das ist allerdings falsch. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einer Meldung zum Sachstand vom Dezember 2019 zu dem Ergebnis, dass es keine ausreichenden Belge für eine aktive militärische Beteiligung Russlands gebe. Wörtlich heißt es da:

"Die Frage, ob pro-russische Separatisten in der Donbass-Region derzeit von Moskau aus kontrolliert und gesteuert werden, oder ob sich noch reguläre russische Truppen auf ukrainischem Territorium aufhalten, lässt sich ohne belastbares Faktenmaterial – insbesondere ohne entsprechende Geheimdienstinformationen – nicht zuverlässig beantworten."

Es handelt sich um einen Bürgerkrieg, nicht um einen internationalen militärischen Konflikt. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Krieg Russlands gegen die Ukraine.


Trotz dieser Tatsache spricht der Beitrag der beiden Autoren von "Russian attacks", russischen Angriffen, sowie von "war between Russia (…) and Ukraine", Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Genau für diese zugrunde liegende Behauptung gibt es keinerlei Beweise. Auf ihr aber baut die Argumentation des Beitrags auf. Er wirkt damit genauso verlogen wie Beiträge des deutschen Mainstreams, die die militärische Präsenz russischer Truppen im Donbass ebenfalls faktenfrei behaupten. Der deutsche Mainstream täuscht dabei seine Leser, die SWP mit ihrer dezidierten Beratungsfunktion täuscht politische Entscheider.


Aber noch an anderen Stellen ist die Argumentation nicht schlüssig. Der Beitrag drängt darauf, dass Deutschland aktiv Waffen an die Ukraine liefert, stellt aber gleichzeitig fest, dass andere Länder dies bereits seit geraumer Zeit tun, neben den USA, Großbritannien und Kanada auch Litauen. Die Frage, warum nun auch Deutschland mit Waffenlieferungen beginnen sollte, stellt sich hier unmittelbar. Die Ukraine wird umfassend mit Waffen versorgt. Der Machtwechsel in Washington zu Beginn des Jahres brachte für den Donbass zudem zwar eine Eskalation des Konflikts, aber keine Entscheidung. Mit dem Machtwechsel in Washington nahmen die Gefechte zu. Die aggressiven Handlungen der Ukraine waren offenbar mit der Biden-Administration abgestimmt. An der Situation insgesamt hat sich jedoch nichts geändert. Der Bürgerkrieg schwelt.


So bleibt letztlich noch das Argument, die Kosten für Russland in die Höhe zu treiben. Mit einer militärisch stärkeren Ukraine hätte Deutschland mehr Verhandlungsmacht und wäre in einer besseren Position, um Russland zu Kompromissen zu zwingen, argumentieren Stewart und Minzarari. Auch das wirkt vor dem Hintergrund naiv, dass Russland gar keine Konfliktpartei ist. Folgt man der Logik des Beitrags, ist es zudem wahrscheinlicher, dass eine Eskalationsspirale droht. 


Was der Beitrag, der sich komplett der Kriegslogik verschrieben hat, in diesem Zusammenhang völlig außer Acht lässt, sind wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Fragen. Die Ukraine ist inzwischen das ärmste Land Europas. Es hängt völlig am Tropf westlicher Institutionen wie dem IWF, ist abhängig von Krediten und Zuwendungen westlicher Geldgeber. Junge Menschen verlassen das Land in Scharen als Arbeitsmigranten in Richtung Polen einerseits, in Richtung Russland andererseits. Der Niedriglohnsektor im wirtschaftlich prosperierenden Polen steht Arbeitsmigranten aus der Ukraine offen. Die Ukraine blutet ökonomisch aus. Eine wirtschaftlich souveräne Ukraine wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Die Ukraine ist ein Proxy, ein Stellvertreter westlicher Staaten ohne eigene Autonomie in zentralen Fragen, denn die Ukraine sitzt in der Schuldenfalle. Zusätzliche Kredite für Waffen würden diese Abhängigkeit noch weiter vertiefen.


Als vollständig abhängiger Proxy dient die Ukraine der Eskalation des Verhältnisses westlicher Staaten zu Russland. Implizit macht genau dies der Beitrag des SWP deutlich, denn seine Vorschläge zielen nicht auf eine Befriedung des Konflikts, sondern auf eine Zementierung einer neuen Ost-West-Konfrontation. Die Ukraine wird machtpolitisch auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung instrumentalisiert.


Dabei liegt es nicht im Interesse Europas, Konflikte einzufrieren und neue Konfrontationslinien quer durch den europäischen Kontinent zu ziehen. Die beiden Autoren der SWP raten allerdings genau dazu.


So ist vor allem eines festzuhalten: Die Bundesregierung wird schlecht beraten. Die Vorschläge der SWP sind nicht geeignet, den Konflikt in der Ukraine zu befrieden und Europa zu einem Kontinent des Friedens zu machen. Die zugrunde liegenden Annahmen sind falsch. Die Argumentation folgt der Logik der Konfrontation und des Kalten Krieges. Ihr zu folgen brächte erhebliche Nachteile für die Ukraine, für Deutschland, die EU und Europa als Ganzes. Die Bundesregierung wäre daher gut beraten, sich neue Berater zu suchen.


Links aus dem Artikel


RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.


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Info: 
https://de.rt.com/meinung/121245-thinktank-der-bundesregierung-raet-zu-waffenlieferungen-an-die-ukraine

26.07.2021

Schwere Vorwürfe im Skandal um die "Pegasus"-Spionagesoftware werden gegen Indiens Regierung laut. Diese ist ein zentraler Kooperationspartner Berlins gegen China.


BERLIN/NEW DELHI (Eigener Bericht) - Schwere Vorwürfe im Kontext des aktuellen Skandals um die Spionagesoftware "Pegasus" werden gegen einen zentralen Kooperationspartner Berlins in Asien laut - gegen Indien. Demnach hat die Regierung in New Delhi nicht nur oppositionelle Aktivisten ausgespäht, sondern auch Oppositionsführer Rahul Gandhi vom einflussreichen Indian National Congress auf einer Liste hunderter auszuspionierender Personen geführt. Die "Pegasus"-Software, die sämtliche Daten von Mobiltelefonen absaugen und darüber hinaus Mikrophone und Kameras von Smartphones ohne Wissen des Besitzers einschalten kann, wurde zudem gegen Journalisten eingesetzt, die über mutmaßliche Korruption in Regierungskreisen recherchierten. Zu den Vorwürfen kommen zahlreiche weitere hinzu, die den massenhaften Bruch von Bürger- und Menschenrechten in Indien betreffen, darunter die Einrichtung von Internierungslagern, in denen unerwünschte Muslime inhaftiert werden. Indien ist für Berlin im Machtkampf gegen China ein bedeutender Kooperationspartner und wird zu PR-Zwecken als "Wertepartner" gepriesen.

Zitat: Der Oppositionsführer als Spionageziel

Unter den weltweit 50.000 Telefonnummern, die auf der Liste potenzieller Spionageziele für das "Pegasus"-Programm der israelischen NSO Group enthalten sind, finden sich übereinstimmenden Berichten zufolge Hunderte aus Indien. Betroffen sind neben pakistanischen Diplomaten und chinesischen Journalisten zum Beispiel Sikh-Aktivisten, die die jüngsten Bauernproteste unterstützen [1], sowie zahlreiche Unternehmer. Gelistet sind Telefonnummern des bekanntesten Oppositionsführers, Rahul Gandhi (Indian National Congress), sowie des Wahlstrategen Prashant Kishor; Kishor verhalf im April im Bundesstaat West Bengal einer Partei zu einem wichtigen Wahlerfolg, die in Opposition zur hindunationalistischen Partei BJP (Bharatiya Janata Party) von Premierminister Narendra Modi steht. Während sich nicht mehr nachweisen lässt, ob Gandhi nur gelistet oder auch tatsächlich mit Pegasus überwacht wurde, weil er sein Mobiltelefon aus Sicherheitsgründen regelmäßig wechselt, konnte bestätigt werden, dass Kishor exakt während der heißen Wahlkampfphase ausspioniert wurde.[2] Ebenfalls nachgewiesen ist das Ausspähen von Journalisten, die Korruptionsvorwürfe gegen Regierungsmitglieder, ihre Verwandten und Freunde unter die Lupe nahmen.[3] Auf der Pegasus-Liste finden sich nicht zuletzt engste Berater des im nordindischen Dharamsala ansässigen Dalai Lama.


"Amnesty International verbieten"

Der Einsatz von Spionagesoftware durch indische Behörden, der in dem Land laut Überzeugung von Kritikern prinzipiell illegal ist [4], ist im Kern - wenngleich nicht in den jetzt zutage tretenden Dimensionen - seit längerer Zeit bekannt. So konnte Amnesty International in Kooperation mit dem Citizen Lab aus Toronto bereits im vergangenen Jahr nachweisen, dass mindestens neun indische Menschenrechtler Opfer derartiger Onlineattacken waren; bei dreien ging es schon damals um den Einsatz von Pegasus.[5] Die Regierung in New Delhi weist trotzdem jegliche Beteiligung indischer Behörden an den Spionageangriffen kategorisch zurück. Innenminister Amit Shah, der als engster Verbündeter von Premierminister Modi gilt, beschuldigt "globale Organisationen", die "Indiens Fortschritt" verhindern wollten, die aktuellen Vorwürfe fabriziert zu haben. Der Chief Minister des Bundesstaates Assam, der BJP-Politiker Himanta Biswa Sarma, wirft Amnesty International wegen deren Beteiligung an der Aufdeckung des Ausspähskandals vor, in Indien "linken Terrorismus" befeuern zu wollen, und fordert das Verbot der Organisation.[6] Amnesty ist seit geraumer Zeit auf Veranlassung der BJP-Regierung heftigen Repressalien ausgesetzt und sah sich im vergangenen Jahr gezwungen, nach der Durchsuchung mehrerer ihrer Büros und der Sperrung ihrer Konten ihre Aktivitäten in Indien zu stoppen.


Weltmeister bei Internet-Shutdowns

Die Pegasus-Spionageattacken sind lediglich der jüngste in einer rasch zunehmenden Reihe von Fällen, in denen die hindunationalistische Regierung in New Delhi gravierend gegen Bürger- und Menschenrechte verstößt. So ist Indien unter Premierminister Modi das Land, das weltweit mit großem Abstand die meisten kompletten regionalen Internet-Shutdowns verhängt. Von den global 155 registrierten Shutdowns des Jahres 2020 wurden 109 in Indien verzeichnet; die Nummer zwei, der Jemen, brachte es auf sechs.[7] Dabei zeigt eine detaillierte Analyse, dass die Shutdowns in beinahe der Hälfte aller Fälle realisiert wurden, während Polizei oder Militär mit brutaler Gewalt gegen Proteste vorgingen; sie verliehen staatlichen Übergriffen "Unsichtbarkeit", erläuterte ein Experte bereits im vergangenen Jahr.[8] Als Rekord-Shutdown gilt derjenige in der Unruheprovinz Kashmir; dort wurde von August 2019 bis März 2020 für über 200 Tage das Internet faktisch komplett gesperrt. Anfang März 2020 wurden Übertragungen wieder erlaubt, allerdings nur auf bestimmten Mobiltelefonen und nur mit dem äußerst langsamen Netz 2G. Experten weisen zudem darauf hin, dass die Zahl der regionalen Internet-Shutdowns unter Modi dramatisch zugenommen hat: Lag sie bei dessen Amtsantritt im Jahr 2014 noch bei sechs, so hatte sie 2018 bereits 134 erreicht. Seitdem liegt sie konstant über 100.[9]


"Kultur der Straffreiheit"

Besonders zugenommen hat in Indien zuletzt die Gewalt gegen Muslime, die teils von staatlichen Stellen verübt, teils von den seit 2014 in New Delhi regierenden Hindunationalisten befeuert wird. Wie es kürzlich in einem von Amnesty International publizierten Bericht hieß, werden Muslime - "mit 14 Prozent Bevölkerungsanteil die größte Minderheit im Land" - mittlerweile regelmäßig "Opfer von Polizeigewalt und Hassverbrechen". Wer zum Beispiel Gebetskappe, Bart oder Niqab trage, müsse in Indien heute "fürchten, auf der Straße angegriffen zu werden" - eine Folge der Politik der hindunationalistischen Regierung, die "die strukturelle Diskriminierung" der indischen Muslime forciere und im Falle von Angriffen auf Muslime "eine Kultur der Straffreiheit" fördere.[10] Zuletzt griffen immer wieder Gruppen von BJP-Anhängern - meist straflos - die mehrheitlich von Muslimen getragenen Proteste gegen das neue indische Staatsbürgerschaftsgesetz an, das die Verleihung der Staatsbürgerschaft aus bestimmten Ländern von der Religion abhängig macht. Aus mehreren BJP-regierten Bundesstaaten wurde von massiver Polizeigewalt gegen die Proteste berichtet; von mindestens 30 Todesopfern ist die Rede.[11]


Internierungslager für Muslime

Im Kontext mit dem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz haben indische Behörden mittlerweile auch begonnen, Internierungslager einzurichten - vor allem im nordöstlichen Bundesstaat Assam. Dort werden bereits seit 2008 unerwünschte muslimische Einwanderer insbesondere aus Bangladesch inhaftiert; Beobachter sprechen von sechs Lagern in Assam, in denen mehr als 1.100, inzwischen womöglich sogar mehr als 3.000 Personen festgehalten werden.[12] Mittlerweile sind weitere Internierungslager im Bau. Hintergrund ist, dass Indiens Behörden derzeit daran gehen, indische Muslime, die ihre indische Staatszugehörigkeit nicht nachweisen können - dies ist speziell im Grenzgebiet zu Bangladesch aus historischen Gründen nicht selten der Fall -, zu "Ausländern" zu erklären. Auch ihnen droht die Inhaftierung. Erst vergangene Woche hieß es in Berichten aus der Region, der Bau von "Asiens größtem Internierungslager" in Goalpara (Assam) schreite rasch voran.[13] Insgesamt sollten mindestens zehn neue Internierungslager gebaut werden. Unklar ist, wieviele unerwünschte Muslime dort festgehalten werden sollen. Schon 2019 wiesen Beobachter darauf hin, dass allein in Assam bis zu zwei Millionen Menschen zu staatenlosen "Ausländern" erklärt werden könnten.[14] Ihr Aufenthalt in Indien wäre dann nicht mehr erwünscht.


Kooperationspartner gegen China

Für Deutschland sind die Vorwürfe alles andere als unerheblich, weil Indien als unverzichtbarer Kooperationspartner im großen Machtkampf gegen China gilt. Die indischen Eliten begreifen ihr Land traditionell als asiatischen Rivalen Chinas; die hindunationalistische Regierung unter Modi hat sich in jüngster Zeit stark an den Westen angenähert, um gemeinsam gegen die Volksrepublik vorzugehen. Das bezieht gemeinsame Kriegsübungen im "Quad"-Format (USA, Japan, Australien, Indien), teilweise im Schulterschluss mit Frankreich, ein.[15] Vor diesem Hintergrund ist auch Berlin seit Jahren bemüht, enger mit New Delhi zusammenzuarbeiten, und baut inzwischen nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die rüstungsindustrielle und die militärische Kooperation mit dem Land aus (german-foreign-policy.com berichtete [16]). Die Bundesregierung legitimiert dies gewöhnlich mit der Behauptung, Indien, "die größte Demokratie der Welt", teile mit den großen westlichen Mächten zentrale Werte und Normen und sei deshalb in der globalen Politik ein unverzichtbarer "Wertepartner" im Kampf gegen vorgeblich "böswillige" nichtwestliche Kräfte. Dieses PR-Zerrbild erhält nun mit dem jüngsten "Pegasus"-Skandal sowie mit den punktuell bekannt werdenden indischen Menschenrechtsverbrechen zunehmend lästige Kratzer.

 

[1] S. dazu "Ein Signal an China".

[2] Prashant Kishor Hacked by Pegasus, Mamata's Nephew Also Selected as Potential Snoop Target. thewire.in 19.07.2021.

[3] Michael Safi: Key Modi Rival Rahul Gandhi among potential Indian targets of NSO client. theguardian.com 19.07.2021.

[4] Siddharth Varadarajan: Pegasus Project: How Phones of Journalists, Ministers, Activists May Have Been Used to Spy On Them. thewire.in 18.07.2021.

[5] India: Human Rights Defenders Targeted by a Coordinated Spyware Operation. amnesty.org 15.06.2021.

[6] Hannah Ellis-Petersen: Ban Amnesty over Pegasus leak role, Indian politician urges. theguardian.com 21.07.2021.

[7] Over 100 Instances of Internet Shutdown in India in 2020, Says New Report. thewire.in 04.03.2021.

[8] Nehal Johri: India's internet shutdowns function like 'invisibility cloaks'. dw.com 13.11.2020.

[9] internetshutdowns.is.

[10] Neha Dixit: Der Kampf um Indien. amnesty.de 05.07.2021. S. auch "Ein Signal an China".

[11] "Shoot the Traitors". Discrimination Against Muslims under India's New Citizenship Policy. hrw.org 09.04.2020.

[12] Nazimuddin Siddique: Inside Assam's Detention Camps: How the Current Citizenship Crisis Disenfranchises Indians. epw.in 13.02.2020.

[13] Assam: Asia's Largest, World's Second Largest Detention Camp in Goalpara Well Underway. sentinelassam.com 19.07.2021.

[14] Murali Krishnan: India builds detention camps for Assam 'foreigners'. dw.com 19.09.2019.

[15] S. dazu Manöver in Ostasien.

[16] S. dazu Deutschland im Indo-Pazifik (III) und Chinas Gegenspieler (II).


Info: 
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8669
25.07.2021

Benachteiligung von Ungeimpften wäre verfassungswidrig

tagesspiegel.de, 25. Juli 2021, 18:34 Uhr, WOLFGANG KUBICKI

Impfen ist vernünftig, es schützt vor schweren Covid-19-Erkrankungen. Ein freier Staat muss trotzdem akzeptieren, dass Menschen das anders sehen. Ein Gastbeitrag. 


Zitat: In den über anderthalb Jahren Corona-Pandemie habe ich lernen müssen, dass viele politische Entscheidungen auf einer unsicheren Basis gefällt wurden. Der wissenschaftliche Fortschritt brachte immer wieder neue Erkenntnisse, sodass entsprechende Maßnahmen immer wieder neu austariert werden mussten. Angesichts der Größe der Problemlage war dieser stetige Anpassungsprozess kein Wunder. Eine Sache blieb allerdings über den gesamten Zeitraum stabil: Die Beliebigkeit der Argumentation der Bundesregierung bei der Begründung von Maßnahmen gegen Corona.


Ich möchte die Leserinnen und Leser nicht mit der wechselvollen Pandemie-Historie belästigen, deshalb greife ich nur das aktuell diskutierte Beispiel der Benachteiligung von Ungeimpften auf, das der Kanzleramtsminister Helge Braun jetzt aufs Tapet brachte. Noch im März erklärte er in einem Interview: „Diejenigen, die ihr Impfangebot nicht wahrnehmen, treffen ihre individuelle Entscheidung, dass sie das Erkrankungsrisiko akzeptieren. Danach können wir aber keine Grundrechtseinschränkung eines anderen mehr rechtfertigen.“ Diese zwei Sätze waren die zutreffende Beschreibung der verfassungsrechtlichen Lage – daran hat übrigens auch die neu aufgekommene Delta-Variante nichts verändert.


Der Staat unterbreitet ein großzügiges Angebot, wer dies nicht wahrnimmt, muss ab dem Zeitpunkt, an dem jeder dieses Angebot wahrnehmen konnte, selbst das Risiko tragen. Der Staat hat nicht die Aufgabe, den Menschen das individuelle Lebensrisiko abzunehmen. Diese Übergriffigkeit wäre verfassungswidrig, es widerspräche klar dem freiheitlichen Grundgedanken unseres Grundgesetzes. Freiheit ist nun einmal ohne Risiko nicht zu haben, so hart es für manche klingen mag.


Persönlich halte ich das Impfen für vernünftig, es verhindert recht zuverlässig, dass man schwer erkrankt oder durch das Virus gar zu Tode kommt. In einem freiheitlichen Gemeinwesen muss ich aber akzeptieren, dass Menschen dies anders sehen und eine andere Entscheidung treffen. Diesen Menschen muss der Staat ebenfalls zur Seite stehen und sie nicht aktiv ausgrenzen. Sie übernehmen selbst die Verantwortung für ihre Gesundheit – wie übrigens auch diejenigen, die sich impfen lassen.


Dass Helge Braun nun in einem Interview mit der „BamS“ erklärt, das Gegenteil seiner genannten Aussage aus dem März sei jetzt plötzlich verfassungskonform, ist nicht nur ziemlich plump, sondern erschreckend. Denn dies ist eine beliebige Argumentation aus dem Mund des engsten Kanzlerinnenvertrauten, die Recht nach politischen Opportunitätserwägungen auslegt.

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Abgesehen davon sagt Braun damit auch, dass der verfassungsrechtliche Normalzustand, in dem jeder Bürger die gleichen Rechte hat, auf unbestimmte Zeit dispensiert ist. Die Antwort auf die Frage: „Wann wird es enden?“ fürchtet die Bundesregierung wie der Teufel das Weihwasser. Stattdessen propagiert der Kanzleramtsminister die angstbesetzte Sichtweise von einem Ausnahmezustand, der die Rechtsstaatlichkeit und den Freiheitsgedanken ausschließlich dem Corona-Virus unterordnet.


Braun zeichnet Zerrbild des freiheitlichen Staates

Zudem zeichnet Braun mit einer solchen Drohung ein Zerrbild des freiheitlichen Staates: Der Staat teilt demnach Rechte zu. Mehr Rechte für diejenigen, die ein entsprechendes Wohlverhalten an den Tag legen, die „freiwillig“ das tun, was die Bundeskanzlerin für richtig hält – um es einmal etwas überspitzt zu formulieren. Weniger Rechte für die anderen, die damit stigmatisiert werden. Dass eine solche Vorgehensweise faktisch in eine Impfpflicht mündet, nimmt das Kanzleramt dabei übrigens gerne in Kauf – und dies, obwohl die Kanzlerin noch am 13. Juli treuherzig erklärte, eine Impfpflicht werde es nicht geben.


Ich hatte die Bundesregierung vor einigen Wochen gefragt, ab welcher Quote von Geimpften und Genesenen die rechtliche und ethische Legitimationsbasis für allgemeine Grundrechtseingriffe wegfällt. Die Antwort lautete: Die Grundrechtsbeschränkungen würden erst aufgehoben, sobald es die epidemiologische Lage zulässt. Die Bundesregierung scheint keine Eile zu haben, Grundrechtsbeschränkungen für alle Bürgerinnen und Bürger aufzuheben.


Noch vor wenigen Tagen erklärte die Bundeskanzlerin vor der Hauptstadtpresse, dass das eigentliche Ziel ihrer Corona-Politik sei, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Hiervon hat sich ihr Kanzleramtsminister jetzt verabschiedet. Braun machte deutlich, dass es jetzt darum geht, Grundrechte erster und zweiter Ordnung auszugeben. Dass die Bundesregierung damit die Axt an die Grundfesten unserer Verfassungsordnung legt und eine Spaltung der Gesellschaft heraufbeschwört, nimmt sie entweder nicht mehr wahr – oder sie nimmt es in Kauf. Beides kann uns nicht beruhigen.


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Info: https://www.tagesspiegel.de/politik/freiheit-ist-ohne-risiko-nicht-zu-haben-benachteiligung-von-ungeimpften-waere-verfassungswidrig/27452722.html

25.07.2021

Biotechnologe: „Ohne Gehirnchip wird man ein Mensch zweiter Klasse sein“ (Interview)

berliner-zeitung.de, 22.7.2021 - 12:01 Uhr,  Elena Matera

Per Gedanken E-Mails schreiben und das Gehirn mit dem Internet verbinden – in Zukunft wird der Mensch immer technologisierter, meint Forscher Markus Schmidt.


Zitat: Berlin - Ein gesunder Mensch könnte in Zukunft den Status haben, den heute ein behinderter Menschen hat, weil er keinen Gehirnchip trägt, meint der Wiener Biotechnologe Markus Schmidt. In dem internationalen Forschungsprojekt „Future Body“ beschäftigen sich neben Schmidt verschiedene Wissenschaftler mit den Auswirkungen der Neurotechnologie auf die Gesellschaft. Im Interview erzählt Schmidt, warum wir Menschen immer weiter mit der Technologie verschmelzen werden und wo die Chancen und Risiken der Neurotechnologie liegen.


Berliner Zeitung: Herr Schmidt, Sie beschäftigen sich mit der Zukunft des menschlichen Körpers. Werden wir in 100 Jahren auf das Jahr 2021 zurückblicken und uns fragen: Wie konnten wir nur so leben?


Markus Schmidt: Ich glaube schon. Wir können deutlich sehen, dass der technologische Fortschritt und die sozialen Veränderungen im Laufe der Jahre immer schneller geworden sind. Wir waren zwei Millionen Jahre lang Jäger und Sammler. Vor 10.000 Jahren kam dann die Landwirtschaft. Im 18. und 19. Jahrhundert fand die industrielle Revolution statt und in den 1970er-Jahren kam schon die Informationstechnologie. Und seitdem ist wieder viel passiert. Unser Leben, die technologischen Fortschritte werden in Zukunft immer weiter beschleunigt. Das heißt: In 100 Jahren wird 2021 weiter weg sein, als für uns heute das Jahr 1921.


In ihrem Forschungsprojekt „Future Body“ gehen Sie und Ihr Team vor allem auf die Neurotechnologie ein. Worum geht es da genau?


Wir kooperieren in dem Projekt mit zwei Partnern in Deutschland und einem in Kanada und betrachten die Neurotechnologie von verschiedenen Seiten: der philosophischen, der technischen, aber auch der künstlerischen. Die Neurotechnologie umfasst verschiedene Technologien und Prozesse, die unmittelbar mit unserem Nervensystem interagieren, etwa über Brain-Computer-Interfaces, also Gehirn-Computer-Schnittstellen. Dazu gehört etwa das „Internet of Living Things“, mit dem das Gehirn mit dem Netz verbunden werden soll oder Implantate im Körper, durch die man neue Sinne erhalten soll.


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Auch Elon Musk hat im vergangenen Jahr einen Gehirn-Chip vorgestellt, mit dem Gehirne mit Computern verbunden werden sollen.


Genau, mit Musks Gehirnchips werden auf einer sehr kleinen Fläche Tausend Elektroden ins Gehirn gesetzt. Diese Dichte von Elektroden im Gehirn war bisher unerreicht und lässt auf eine höhere „neurologische Auflösung“ hoffen.


Werden andere Neurotechnologien bereits heute verwendet?


Ja, ein gängiges nichtinvasives Verfahren ist zum Beispiel das Elektroenzephalogramm (EEG). Dabei wird eine Art Kappe mit eingenähten Elektroden auf den Kopf gesetzt, von denen über Kabel Signale zu einem Verstärker geführt werden. Es gibt eine Firma in Österreich, die diese Systeme speziell für Locked-in-Patienten herstellt, die zwar bei Bewusstsein sind, aber weder den Arm heben noch sprechen können. Mithilfe des EEG können sie per Gedanken Antworten wie Ja oder Nein geben. Es gibt aber auch schon Cochlea-Implantate für Gehörlose, die direkt mit dem Innenohr verbunden sind.


Also gibt es Neurotechnologie vor allem für therapeutische Zwecke?


In erster Linie ja, aber das ändert sich. Schon einige Technologien gehen bereits über die therapeutischen Anwendungen, für die sie eigentlich gedacht waren, hinaus, wie man zum Beispiel an dem Cochlea-Implantat für Gehörlose sehen kann.


Inwiefern?


Wir haben einen Mitarbeiter in unserem Forschungsprojekt, der ein solches Implantat im Kopf hat. Er hat 30 Jahre lang normal gehört, dann hat er sein Gehör verloren, war viele Jahre gehörlos, bis er dieses Implantat erhalten hat. Mittlerweile hat er zu 90 Prozent das Gehör eines gesunden Menschen. Wir haben uns in einem Lokal getroffen, in dem es sehr laut war. Ich habe ihn gefragt, ob ihn die vielen Hintergrundgeräusche beeinträchtigen. Und er meinte, dass er mich sehr gut hören kann, da sein Implantat auch eine Einstellung für laute Umgebungen und Bars hat. Das Mikrofon filtert dabei meine Stimme heraus, die anderen Geräusche werden nicht weitergeleitet. Er kann in einer lauten Umgebung also viel besser hören, als normale Menschen. Da können wir schon von Human Enhancement sprechen.


Das bedeutet?


Übersetzt heißt es: menschliche Verbesserung. Es gibt in unserer Gesellschaft einen generellen Trend zur Optimierung – das können wir klar erkennen. Im Moment geht es bei der Neurotechnologie zwar noch um Technologien für Kranke oder Menschen mit Behinderungen. Doch die Optimierung geht immer weiter und bald werden diese Technologien wohl auch gesunde Menschen nutzen.

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Kann man diese Entwicklung schon heute beobachten?


Ja, der Körper von gesunden Menschen wird bereits heute von einigen als mangelhaft wahrgenommen. Zwar könnte man ja auch Implantate entwickeln, die einen empathischer machen. Doch der Trend geht heute eher in die Richtung, dass man besser, leistungsfähiger werden möchte. Es gibt schon heute Möglichkeiten, die mentale Leistungsfähigkeit zu optimieren.


Können Sie da Beispiele nennen?


Seit einigen Jahren ist bekannt, dass der Darm mit unserer Stimmung zusammenhängt. Zum Beispiel ist die Zusammensetzung der Bakterien im Darm eines Depressiven anders als bei einem gesunden Menschen. Man könnte also die Stimmung optimieren, in dem man bestimmte Bakterien zu sich nimmt oder sogar Fäkaltransplantationen durchführt. Ein anderes aktuelles Beispiel: In den USA und England nehmen viele Studenten bestimmte Medikamente ein, um die Lernfähigkeit zu verbessern. Das bewegt sich allerdings an der Grenze des Legalen. Und Computerspieler setzen sich Hauben mit Elektroden auf, die einen schwachen Strom durch das Gehirn schicken, damit sie länger spielen und sich besser konzentrieren können.


Und ist das noch legal?


Die Lern-Medikamente sind für diesen Zweck nicht zugelassen, aber die Haube kann man legal im Online-Handel kaufen. Ob es tatsächlich funktioniert, ist eine andere Sache. Methoden an der Grenze der Legalität führen hingegen Neurohacker durch. Für unser Forschungsprojekt haben wir auch mehrere Interviews mit ihnen geführt.


Neurohacker?


Das sind Menschen, die sich Implantate setzen, die keinen therapeutischen Nutzen haben. Zum Beispiel hat sich ein Hacker ein Implantat eingesetzt, um zu spüren, wenn seismologische Messstationen irgendwo auf der Welt ein Erdbeben registrieren


Könnten Sie sich vorstellen, Ihren Körper wie die Neurohacker zu optimieren?


Nach den Interviews mit den Neurohackern war nichts dabei, was mich interessiert hätte. Das sind auch noch riskante Eingriffe, die Technologie ist nicht ausgereift. Am Ende hat man einen Elektronikfriedhof im Körper. Neurohacker sind Pioniere, genauso wie Biohacker, die mit synthetischer Biologie experimentieren. Beide Gruppen verwenden Produkte, die so noch nicht zugelassen oder ausgereift sind. Viele führen auch Selbstexperimente durch, vor allem in den USA. Ihre Begründung: „An meinem Körper kann ich machen, was ich will. Da kann mir keiner sagen, ob das ethisch in Ordnung oder problematisch ist.“

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Welche Entwicklung in der Neurotechnologie finden Sie problematisch?


Eine Methode, das Gehirn und dessen Entwicklung besser zu verstehen, verwendet im Labor hergestellte Minigehirne. Wenn man an solchen Dingen forscht, muss man sich fragen: Ab wann sind das fühlende Lebewesen? Wann sind Gehirne zur bewussten Wahrnehmung fähig? Und wann nicht? Da eine Grenze zu ziehen, finde ich nicht einfach. Man möchte einerseits keine Tierexperimente mehr durchführen. Aber dieses Minigehirn ist auch eine Art Tier – auf das Gehirn reduziert.


Würden Sie denn sagen, dass wir in Zukunft alle mehr mit der Technik verschmelzen werden?


In gewisser Weise sicherlich. Man muss bei diesem Trend natürlich nicht mitmachen, aber das wird immer schwieriger. Wenn man sich heute überlegt, wie es wäre ohne Telefon, Computer und Bankkonto zu leben, merkt man, wie sehr wir darauf angewiesen sind. Und so wird es auch in Zukunft sein. Ab einem gewissen Punkt ist es kaum machbar, nicht mitzumachen.


Also, wenn man als einziger Mensch dann kein Gehirnimplantat hat, könnte das ein Nachteil sein?


Auf jeden Fall. Ohne Gehirnchip wird man zum Menschen zweiter Klasse, obwohl man gesund ist. Wir fragen uns: Wird ein normaler Mensch in Zukunft den Status haben, den heute ein behinderter Menschen hat? Andererseits könnte es auch einen Selektionsvorteil für diejenigen geben, die keinen Gehirnchip haben. Vielleicht, weil sie dann nicht anfällig sind für Cyberangriffe. Man sieht es ja jetzt: In den USA gab es Hackerangriffe und in Schweden gingen anschließend die Supermarktkassen nicht mehr. Alles ist vernetzt. Die Technologisierung hat Vorteile, sie macht vieles effizienter. Aber die Gleichförmigkeit macht auch anfälliger für Attacken und Krisen, auch das muss man bedenken.


In vielen Science-Fiction-Filmen entwickeln Roboter ein Eigenleben. Könnte das auch bei Implantaten passieren?


Diese Filme konzentrieren sich auf Roboter, die immer humaner werden. Wir aber forschen zu Menschen, die quasi zum Roboter werden – zur Cyborgisierung des Menschen. Es kann natürlich sein, dass auch Implantate ein Eigenleben entwickeln. Wir veranstalten etwa das BIO·FICTION-Festival, das mit unserem Forschungsprojekt zusammenhängt. Dort verarbeiten Künstler und Filmproduzenten die Neurotechnologie in ihren Filmen. In einem der Filme („The Auxiliary“) reißt sich die Protagonistin ihr Implantat aus dem Körper, was das Ende beider nach sich zieht, weil sie so abhängig voneinander geworden sind. Es handelt sich um eine Symbiose zwischen dem Implantat und dem Menschen. Noch ist das reine Fiktion, aber es zeigt eine mögliche zukünftige Realität.

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Sollte man bei der Neurotechnologie-Forschung irgendwann eine Grenze ziehen?


Das ist eine philosophische Frage. Ein Beispiel: Irgendwann in der Vergangenheit ist die Musik entstanden. In einen hohlen Geierknochen hat ein Mensch Löcher gebohrt – so ist die erste Flöte entstanden. Plötzlich hatten wir Musikinstrumente, um Musik zu machen. Denken wir das in die Zukunft weiter. Was, wenn wir plötzlich Zugang zu anderen Wirklichkeitsräumen haben, die uns bisher völlig verschlossen waren? Wie geht es dann weiter? Welche qualitativ neuen Phänomene warten noch auf uns? Man muss aufpassen, dass man die Technologie nicht zu früh auf die Menschen loslässt und diese dann krank werden oder sich selbst zerstören. Aber warum sollten wir den Status quo einfach einfrieren? Es ist ein Abwägen, ein ständiges Neuverhandeln und Ausdiskutieren.


Also sollte man schon weiter an der Neurotechnologie forschen?


Auf jeden Fall. Gerade in den USA aber auch in Europa wird sehr viel geforscht, von Wissenschaftlern aber auch von Neurohackern, die Selbstexperimente durchführen. Das sind richtige Pioniere auf ihrem Gebiet, die zeigen, was gehen könnte. Es ist außerdem interessant, dass extreme Technologie-Fortschritte eher in den USA stattfinden, in denen es weniger Regulierung, mehr private Investitionen und einen geringeren Grad an gesellschaftlicher Solidarität gibt. Da muss man sich in Europa die Frage stellen, ob man dazu verdammt ist, immer die Innovationen anderer zu übernehmen, und gar nicht mehr selbst Akteur ist. Wenn man zu verantwortungsbewusst ist und zu sehr reguliert, werden die Erfindungen woanders gemacht und die Menschen gehen auch woanders hin, um diese Erfindungen machen zu können. Das ist ein Dilemma.


Warum?


Weil wir in Zukunft dann die Innovationen übernehmen müssen, um keinen Nachteil zu haben. In den kommenden Jahren wird sich einiges tun in der Neurotechnologie. Und Europa sollte aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren.


Sind Sie denn zuversichtlich, dass die Menschheit mit der Neurotechnologie in Zukunft verantwortungsbewusst umgehen wird?


Nein, das bin ich nicht. Es gibt zwar Bestrebungen hinsichtlich verantwortungsbewusster Forschung und Innovation, aber wir sind noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Wir betreten ständig Neuland und ich befürchte, wir werden da noch einige Desaster erleben müssen.


Das Gespräch führte Elena Matera.


Zur Person

Markus Schmidt ist Biotechnologe und Leiter des Forschungs- und Wissenschaftskommunikationsunternehmens Biofaction in Wien. In seinen Forschungsarbeiten beschäftigt er sich mit der synthetischen Biologie, der Neurotechnologie und mit deren gesellschaftlichen Auswirkungen. 2011 rief er das erste Mal das Wissenschaftsfilmfestival BIO·FICTION ins Leben, das Biologie, Technologie, Kunst und Film verbindet.


Info:
 https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/biotechnologe-ohne-gehirnchip-wird-man-ein-mensch-zweiter-klasse-sein-li.171279?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
25.07.2021

Die Wurzeln der Gewalt – Episode 3 – Iran 2001 bis 2021

pressenza.com, vom 24.07.21 - Amsterdam - Tony Robinson

Willkommen zum dritten Teil unserer Reihe von Interviews, in der wir auf den Nahen Ostens schauen und versuchen, besser zu verstehen, was dort vor sich geht. Aus Sicht des Westens ist es eine Region voller Gewalt und Gefahren. Im Jemen ist nach wie vor Krieg und es gibt einige andere Länder, die an der Schwelle zum Krieg zu stehen scheinen. Es gibt erhebliche Menschenrechtsverletzungen und es gibt gescheiterte Staaten. Anders betrachtet jedoch ist diese Region die Wiege der westlichen Zivilisation: Mesopotanien, Persien, Ägypten, Syrien, Palästina und Arabien sind Stätten von Mythen und Legenden. Große Mystiker, Mathematiker, Übersetzer und Geschichtenerzähler kommen von dort. Bedeutende Religionen haben dort ihre heiligsten Stätten. Die westliche Kunst, Musik, Wissenschaft und Nahrung unterliegen dem Einfluss dieser Region.


Zitat: In dieser Interviewreihe, die wir The Roots of Violence (Die Wurzeln der Gewalt) nennen, werden wir versuchen zu verstehen, wo die Ursachen der Gewalt liegen und wer dafür verantwortlich ist. Wir versuchen nicht, physische Gewalt zu rechtfertigen, doch sie entsteht nicht aus dem Nichts. Physische Gewalt ist die Explosion, die nach einer langen Phase ökonomischer und psychologischer Gewalt ausbricht.


In unserem dritten Interview sprechen wir mit Emad Kiyaei. Emad ist Iraner. Er ist Direktor der Middle East Treaty Organization, einer zivilgesellschaftlichen Kampagne, die durch innovative politische Lobbyarbeit und Bildungsprogramme versucht, alle Massenvernichtungswaffen aus dem Nahen Osten zu beseitigen. Er ist Co-Autor des Buches „Weapons of Mass Destruction: a New Approach to Nonproliferation“ (Massenvernichtungswaffen: Ein neuer Ansatz zu Nichtverbreitung) und studierte an der Princeton und Columbia Universität in den USA.


Pressenza: Willkommen zum dritten Teil unserer Interviewreihe „Die Wurzeln der Gewalt“. Diese Woche sind wir wieder mit Emad Kiyaei, Direktor der Middle East Treaty Organisation, auf der Suche nach den Wurzeln der Gewalt in der Nahostregion.


Die ersten beiden Teile unserer Serie führten uns in den Iran, als US-amerikanische und britische Geheimdienste 1952 den Sturz der iranischen Regierung organisierten, um ihren Marionettenkönig zu installieren, der 1979 selbst gestürzt wurde. Die amerikanisch-iranischen Beziehungen sind seitdem belastet, doch in den 90er Jahren wurde der Irak zum Hauptinteresse der USA. Schließlich, nach den Anschlägen vom 11. September 2001, die nichts mit dem Irak oder dem Iran zu tun hatten, zogen die USA in den Krieg gegen Afghanistan, um sich dann wieder Saddam Hussein zuzuwenden, was zu seinem Tod und einem Regierungswechsel führte.


Ironischerweise haben sowohl die US-Kriege im Irak als auch in Afghanistan zu Regierungen geführt, die dem Iran gegenüber viel wohlwollender sind als ihre Vorgänger. Die USA haben deren regionalen Einfluss effektiv ausgebaut, anstatt ihn zu untergraben.


Emad, willkommen zurück bei “ Wurzeln der Gewalt“, beginnen wir mit einer Frage, die dort anknüpft, wo wir das letzte Mal stehen geblieben sind, bei den Ereignissen im Jahr 2001. Die USA begannen den schrecklichen Krieg gegen den Terror, der, wie gesagt, die Regierungen im Irak und in Afghanistan stürzte. Präsident Bush schloss den Iran in eine angebliche „Achse des Bösen“ ein, zu der auch Nordkorea gehört, und es wurden Gerüchte über ein iranisches Atomprogramm laut.


Kannst Du uns also zunächst etwas über das iranische Atomprogramm erzählen? Warum hat es begonnen, was war der Gedanke dahinter, wie weit hat es sich entwickelt, und wie hat der Rest der Welt darauf reagiert?


Emad Kiyaei: Vielen Dank, Tony, dass ich wieder dabei sein darf. Wir beginnen also Anfang 2003. Wir sollten uns daran erinnern, dass zu diesem Zeitpunkt, wie Du bereits erwähnt hast, ein Krieg mit Beteiligung der USA in Afghanistan und im Irak zugange war. Und der Grund, warum Präsident Bush es geschafft hat, die USA in den Irak zu bringen, war in erster Linie eine große Lüge, aber dann wurde sie als Vorwand benutzt, um in den Krieg mit Saddam Hussein einzutreten, und das war wegen seiner „Massenvernichtungswaffen“ (MVW).


Hier sehen wir also, wie die Frage der Nichtverbreitung und der MVW in den Vordergrund rückt. Und als die Vereinigten Staaten, gegen die Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates, in den Krieg gegen den Irak eintraten, führte dies dazu, die Frage der MVW in einer anderen Angelegenheit zu stellen, in diesem Fall war es bezüglich des Irans. Anfang 2003 hören wir, dass es wieder Bedenken wegen des iranischen Atomprogramms gibt. Und zu diesem Zeitpunkt hat es der Iran geschafft, etwas ziemlich Bemerkenswertes zu tun. Er hat es geschafft, Uran anzureichern. Nun, die Anreicherung von Uran, erlaubt es dem Iran, in einen Club von Nationen einzutreten, in dem man die Technologie und das Know-How hat, Uranerz als natürlich vorkommendes Element zu nehmen und in der Lage zu sein es für Energiezwecke anzureichern, für andere Industrien und durch diese Entwicklung möglicherweise auch für eine militärische Dimension auf viel höheren Ebenen.


Es gelang den Iran, die Anreicherung von Uran zu betreiben und das System zu durchbrechen. Dies verursachte eine Menge Unruhe in der Weltöffentlichkeit und brachte das iranische Atomprogramm wieder einmal ins Rampenlicht. Zu diesem Zeitpunkt wurde dem Iran, wiederum im Rahmen seiner Rechte als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags, als Unterzeichner dieses Vertrags, und der IAEA (International Atomic Energy Agency) – der Atomaufsichtsbehörde der Vereinten Nationen – die Anreicherung erlaubt, aber es verursachte die Sorge vor Verbreitung. Die Vereinigten Staaten und andere Länder haben das Thema des iranischen Atomprogramms hochgespielt und es erreichte einen Siedepunkt, an dem die Atomaufsichtsbehörde der Vereinten Nationen die Akte des Irans vorlegte und sie in ihren Vorstand brachte. Und sie entschieden, dass der Iran gegen seine Vereinbarungen mit der internationalen Atomaufsichtsbehörde verstößt. Das ist das, was bekannt ist, ich werde nicht ins Detail gehen, aber es ging um eine möglicherweise militärische Dimension seines Atomprogramms. Das bedeutet im Grunde, dass es einige Technologien gibt, die der Iran verfolgt, die sowohl für zivile Zwecke genutzt werden können, aber auch, möglicherweise, in ein militarisiertes verdecktes Programm umgeleitet werden können. Und an diesem Punkt musste der Iran der internationalen Gemeinschaft beweisen, dass er keine Atomwaffen will und auch nicht danach strebt. Er begann im Jahr 2003 Verhandlungen mit den so genannten EU3: drei europäische Mächte, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Und diese Verhandlungen, eigentlich überraschend, worauf wir später noch eingehen werden, was das iranische Atomprogramm betrifft, aber bis 2005 hatten die europäischen Mächte und der Iran ein Abkommen getroffen, wonach das iranische Atomprogramm auf eine Handvoll Zentrifugen begrenzt wurde, die nuklearen Anlagen und Einrichtungen des Irans auf ein oder zwei Standorte verteilt wurden und alles unter Aufsicht und Überwachung stand. Aber ratet mal was. Sie brachten das nach Washington, die Europäer, und Präsident Bush, immer noch begeistert von seinem Krieg im Irak und dem Sturz von Saddam Hussein und begierig darauf, seine militärische Macht in der Region einzusetzen und den Krieg über Afghanistan und den Irak hinaus auszudehnen und den Iran fertig zu machen, war gegen diese diplomatische Annäherung und das Abkommen zwischen den Europäern und dem Iran. Und diese Vereinbarung, 2005, bekannt als das Pariser Abkommen, scheiterte.


Also, gib uns ein bisschen mehr Kontext zum iranischen Atomprogramm, denn damals im Jahr 2003 in der Region war der Iran nicht das einzige Land mit einem Atomprogramm. Wer experimentiert sonst noch mit Kernenergie, Atomkraft, und wie verhält sich das zu den internationalen Verträgen – dem Atomwaffensperrvertrag und der Beziehung zur Internationalen Atomenergiebehörde? Denn es gibt da etwas, das den Iran als Ausnahme von dem darstellt, was sonst in der Region vor sich geht.


Ich denke, es ist am besten, wenn wir uns schnell einen Überblick verschaffen. Im Nahen Osten, alle Länder im Nahen Osten, das sind 22 arabische Länder plus Iran und Israel. Also 24 Länder, um die wir uns Sorgen machen, wenn es um eine MVW-freie Zone im Nahen Osten geht. Also lasst es uns geographisch auf dieses Gebiet bringen. Von diesen 24 Ländern sind alle, mit Ausnahme Israels, Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags, der einer der wichtigsten Verträge ist, die auf globaler Ebene ausgehandelt wurden, der die Verbreitung und Ausbreitung von Atomwaffen in einem großen Abkommen einschränkt, der Regierungen und Ländern die friedliche Nutzung der Atomtechnologie ermöglicht, solange sie versprechen, keine Atomwaffen zu bauen. Und die Länder, die ursprünglich über Atomwaffen verfügten, haben versprochen, abzurüsten und ihre Waffen loszuwerden. Nun, das ist lange her, es war 1970, als dieser Vertrag in Kraft trat und von all diesen Ländern unterzeichnet wurde. Aber, im Nahen Osten, hat Israel ihn nicht unterschrieben. Und Israel fuhr fort, ein verdecktes Atomwaffenprogramm zu haben, das von westlichen Ländern gesteuert und unterstützt wurde, und die Vereinigten Staaten drückten dabei ein Auge zu. Und warum? Wieder geht es um die Frage: „Wer ist mein Freund, wer ist mein Verbündeter und wer ist mein Feind?


Im Fall des israelischen Atomwaffenprogramms wissen wir jetzt durch das Informationsfreiheitsgesetz, Whistleblower, Wissenschaftler und Satellitenbilder des fortgeschrittenen Atomwaffenprogramms, das Israel hat, von dem jeder weiß, dass es das am schlechtesten gehütete offene Geheimnis ist, und die Franzosen halfen beim Bau einer Plutonium-Wiederaufbereitungsanlage für die israelische Regierung, um Plutonium für eine Atomwaffe herstellen zu können. Denn, um es kurz zu machen, es gibt zwei wirklich schnelle Wege, Atomwaffen zu bauen. Der eine ist die Anreicherung von Uran auf hohem Niveau, und der andere ist Plutonium, das als Abfallprodukt bei der Verbrennung von Kernbrennstoff in einem Kraftwerk entsteht. Wenn man also diesen Abfall hat, dann ist in diesem Abfall Plutonium enthalten. Und wenn wir das Plutonium extrahieren, wenn wir es aus dem Abfall herausnehmen, ist es bereits waffenfähig. Man ist bereit. Die Israelis haben also diesen Weg eingeschlagen, um ihre Atomwaffen zu bauen, während im Falle des iranischen Atomprogramms, auch wenn es keine Atomwaffen hat, die Anreicherung vorangetrieben wurde. Das sind die beiden unterschiedlichen Wege. Nun, wenn es um Israels Atomwaffenprogramm geht, gibt es keine Inspektoren, es gibt keinen international verbindlichen Vertrag, an den sich die israelische Regierung halten muss. Es gibt keine Möglichkeit zu kontrollieren, was auf israelischem Boden geschieht. Wir haben keine Kameras, wir haben keine Inspektoren, wir wissen nicht, was in den Atomanlagen wie Dimona in der Negev-Wüste vor sich geht.


Was wir wissen, wiederum durch diese anderen Mittel, um Informationen zu bekommen, ist, dass Israel irgendwo zwischen 80 und 140 nukleare Sprengköpfe besitzt, die durch eine Plutoniumspur weiterentwickelt wurden und bereit und scharfgestellt sind. Und weil Israel über hochentwickelte, fortschrittliche konventionelle Waffen und Waffensysteme verfügt, ist es in der Lage, sowohl nukleare Sprengköpfe auf Kampfflugzeugen, in U-Booten und in ballistischen Raketen zu haben. Dies ist also der einzige Fall im Nahen Osten. Wenn es um den Iran geht, ist der Grund, warum das iranische Atomprogramm immer hochgehalten wird und man es immer wieder in den Nachrichten hört, der, dass der Iran in der Frage des Atomdossiers unter enormen internationalen Druck geraten ist und es ist diese spezielle Frage des Atomdossiers, die es den Weltmächten erlaubt hat, dem Staat Iran ihre eigene Politik und Zwangsmaßnahmen aufzuerlegen. Und der Iran muss beweisen, dass er unschuldig ist, dass sein Atomprogramm friedlich ist und, es ist wieder in der Feindseligkeit, dem Missverständnis und Misstrauen in der Beziehung zwischen dem Iran und der einzigen Supermacht auf dem Planeten, die die Vereinigten Staaten sind, wurzelt. Der Unterschied zwischen Israels Atomprogramm und dem iranischen Atomprogramm beruht in erster Linie auf der Tatsache, dass Israel ein Verbündeter der USA und der westlichen Mächte ist. Zweitens haben sie es zugelassen, dass das Programm in Richtung Bewaffnung fortschreitet, ohne jegliche Vergeltung, ohne jegliche Art von Sanktionen, ohne jegliche Form von Inspektionen und ohne jegliche Form von Druck, damit aufzuhören. Und Nummer drei, es ist wichtig zu bemerken, dass aufgrund Israels historischen Verbindungen zu Europa und der besonderen Beziehung Europas und der USA zu Israel, es dem Land erlaubt hat, diese Politik der Undurchsichtigkeit fortzusetzen, was bedeutet, dass sie weder bestätigen noch leugnen, Atomwaffen zu haben, obwohl jeder weiß, dass sie sie haben. Und sie sind darüber hinaus gegangen, was als die Begin-Doktrin bekannt ist, und haben andere nukleare oder fortgeschrittene Programme in der Region bombardiert, wie den Osirak-Reaktor im Irak und auch einen anderen Reaktor in Syrien. Die israelische Regierung hat also nicht nur nukleare Sprengköpfe und einen Atomenergiesektor aufgebaut, der sich internationalen Inspektionen und Kontrollen entzieht, sondern es hat sich bemüht, durch Sabotage, Attentate und Bombardierungen die Atomanlagen anderer Länder zu zerstören. Die jüngsten Anschuldigungen des Irans gegen Israel und die angeblichen Angriffe israelischer Agenten auf iranische Anlagen, wie die iranische Nuklearanlage in Natanz, die in den letzten Jahren mehrmals sabotiert wurde, lassen uns einen regelrechten Schattenkrieg in der Region sehen, was die Vorgänge an dieser Front angeht. Das spielt sich sowohl auf einer konventionellen Ebene ab, als auch leider im Zusammenhang mit Massenvernichtungswaffen oder der Möglichkeit, welche zu bauen.


Du hast erläutert, dass im Jahr 2005 die Europäer es geschafft haben, einen Deal mit dem Iran zu schließen, der Beschränkungen vorsieht, wie weit sie ihr Atomprogramm entwickeln würden. Und dennoch wurde der Iran-Atomdeal, der Joint Comprehensive Plan of Action, der JCPOA, bis, ich glaube, es war 2016, 2015 nicht unterzeichnet.


Ein Jahrzehnt später.


Was ist in diesen 10 Jahren passiert, warum konnte nicht früher ein Abkommen unterzeichnet werden?


Ok, ich werde das jetzt wirklich schnell durchgehen. Bitte unterbrich mich, wenn ich zu weit aushole. 2005 das Pariser Abkommen, geht nach Washington. Präsident Bush sagte, wir haben schon Saddam besiegt, wir haben die Taliban vertrieben, die Ayatollahs sind die nächsten. Also gab es keine Zustimmung von den Amerikanern und die Europäer sind zu den Iranern zurückgegangen und sagten, wir haben keinen Deal.


Der Abkommen ist gescheitert und mit ihm der reformorientierte Präsident Khatami, der viel politisches Kapital dafür eingesetzt hatte, dass das iranische Atomprogramm als Thema zur Seite geschoben wird. Und unglücklicherweise haben wir wegen dieses Versagens Wahlen im Iran. Anstatt dass eine andere reformistische, gemäßigte Regierung an die Macht kommt, haben wir Mahmoud Ahmadinejad, der zum Präsidenten des Irans gewählt wurde, mit dem Ruf und den Slogans, dass er den Iranern Würde bringt und diese Art von Druck, den die internationale Gemeinschaft auf den Iran ausübt, beenden würde. Und warum sollte der Iran überhaupt diese Inspektionen zulassen und diese Art von Zugeständnissen machen, wenn er keine Atomwaffen hat.


Khatami, der Reformist, ist also raus, und das Scheitern des Atomabkommens mit der Weltgemeinschaft, speziell den Europäern, wurde zum politischen Selbstmord für die Reformisten und gab den Konservativen im Iran, wie Ahmadinejad, Kanonenfutter und viel mehr Macht, wir haben einen neuen Präsidenten, und für die nächsten acht Jahre, gibt es eine andere Art von Politik im Iran.


Aber, Moment mal. Du hast eine Behauptung aufgestellt, die wirklich ziemlich ernst ist. Du hast gesagt, dass die Vereinigten Staaten es vorziehen würden, einen totalen Krieg gegen den Iran zu führen, einen Regimewechsel gegen die Herrscher in Teheran, anstatt zu verhandeln und ein Abkommen mit einem anderen Land zu haben, das sie wie Gleichgestellte behandelt. Möchtest du das wirklich sagen?

Was ich damit sagen will, ist, nein, nein, nein, lasst mich das klarstellen. Was ich damit sagen will, ist, dass, als das Atomabkommen zwischen den europäischen Mächten und dem Iran 2005 vereinbart wurde, dieses Stück Papier von Washington abgezeichnet werden musste. Nochmals, warum? Weil die Vereinigten Staaten einen enormen Einfluss auch auf ihre europäischen Partner haben. Die Europäer gingen also nach Washington und sagten: „Hört zu, wir haben uns mit den Iranern geeinigt, dass sie ihre nuklearen Einrichtungen und Aktivitäten einschränken werden, wir werden Inspektionen und Überwachung durchführen, und wenn man sich dieses Stück Vereinbarung anschaut, das nach Washington gebracht wurde, wird man feststellen, dass es später viele Ähnlichkeiten mit dem Interimsabkommen hatte, das unterzeichnet und schließlich umfassender wurde und als JCPOA bekannt ist.


Aber zu diesem Zeitpunkt hatten Präsident Bush und diejenigen um ihn herum, die Dick Cheneys, diejenigen, die pro-hawkish, Kriegstreiber in Washington waren, den Zusammenbruch der Taliban und Saddam Hussein gesehen. Und praktischerweise waren Hunderttausende von US-Militärpersonal und -ausrüstung um den Iran herum. Und wenn man sich die Rhetorik und die Aktionen der Vereinigten Staaten während der Bush-Präsidentschaft ansieht, wird man feststellen, dass sie den Iran im Fadenkreuz hatten. Sie hatten es irgendwie auf den Iran abgesehen, vielleicht würden sie nicht offen von einem Regimewechsel sprechen, aber wenn man sich ihre Handlungen und ihre Politik ansieht, dann wird deutlich, dass die Möglichkeit besteht, dass es einen weiteren Krieg im Nahen Osten geben wird, und dieser Krieg wäre der Iran gewesen. Und so gibt es hier eine Menge Veränderungen, die auftreten, weil es irgendwie so ist, dass die Präsidentschaft in Washington glaubte, dass es nicht die Zeit für Diplomatie war. Dass wir sagen: „Seht her, Saddam ist erledigt, wir haben es außerhalb der Vereinten Nationen getan, wir haben nach dem 11. September einen Freibrief zu tun, was wir wollen. Warum also nicht? Es besteht die Möglichkeit, dass wir in den Iran einmarschieren können.“


Es gab also keinen Willen zur Diplomatie in Washington. Es funktionierte nicht, als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit gegen den Einmarsch der USA in den Irak war und sie ihre eigene Koalition der Willigen schufen, die sie mit den Briten unter Tony Blair zusammenbrachten, um ebenfalls das Kool-Aid zu trinken und in den Irak einzumarschieren und einen verheerenden Krieg zu verursachen, der Tausende von Menschenleben kostete, auf dem Rücken einer großen Lüge, die wir heute kennen. Wenn man es also in den Kontext des Jahres 2005 setzt, dann ist das, bevor diese Instabilität des Irak und Afghanistans einen Punkt erreicht, an dem die USA darum kämpfen, sie überhaupt aufrecht zu halten. Aber diese schnellen, wütenden ersten Invasionswellen, die die Regime zum Einsturz brachten, gaben denjenigen in Washington, die für den Krieg und die Falken waren, Munition und den Präzedenzfall, dass es möglich ist, schnelle Siege über die Länder zu erringen, die wir als Feinde betrachten. Der Iran war also definitiv ein Ziel. Ich würde nicht sagen, dass es umgesetzt wurde, weil es nicht umgesetzt wurde, aber es wurde definitiv in Betracht gezogen.


Was ist dann passiert, mit dem Justizministerium – mit der internationalen Politik, die diesen Regimewechsel-Krieg von der Tagesordnung genommen hat?


Also, ich denke, es sind ein paar Dinge passiert. Also, die Europäer waren sehr erpicht darauf, ein neues diplomatisches Abkommen zu schließen, weil sie besorgt waren, dass die Amerikaner die Frage der MVW und die iranische Nuklearakte nutzen würden, um in einen weiteren Krieg einzutreten. Zweitens, als es ein Abkommen gab und die USA nein sagten, gab es auch einen schnellen Regierungswechsel im Iran, weil es kurz vor den Wahlen war. Und mit Ahmadinejad an der Macht, verursachte das eine völlig andere Realität, die auf nationaler Ebene innerhalb des Irans eingetreten ist.


Die iranische Politik veränderte sich und wurde aggressiver. Es war, als ob Bush aggressiv wäre und die iranischen Präsidenten sagten: „Ok, gut. Ihr wollt einen Krieg, wir wollen auch einen Krieg. Dann kommt schon und lasst uns den Einsatz erhöhen. Der Druck erreichte den Siedepunkt. Und die Präsidentschaft des Iraners Ahmadinedschad war geprägt von populistischen Parolen, davon, dass der Iran sich von der internationalen Zusammenarbeit entfernte und sein Atomprogramm ausbaute. Und dann geschah hier auch noch etwas auf regionaler Ebene. Sowohl Afghanistan als auch der Irak waren, aufgrund der Feindseligkeit zwischen dem Iran und den USA, die anfänglich eine Ebene der Zusammenarbeit war, die den USA half, wie wir in einer früheren Diskussion darüber sprachen, den Taliban und Saddam Hussein ein Ende zu bereiten, aufgrund der Form der Sprache und der Politik Washingtons und wiederum im Iran unter Ahmadinejad, das Blatt gewendet. Der Iran sagte: „Ok, wir können das nicht durch einen konstruktiven Dialog und Diplomatie erreichen, also werden wir es den Vereinigten Staaten extrem schwer machen, ihre Stellung und Präsenz im Irak und in Afghanistan aufrechtzuerhalten. Und es gab ein enormes Maß an iranischer Unterstützung für Milizen und andere Gruppen im Irak und in Afghanistan, um dann die Bedingungen zu schaffen, unter denen sich die Vereinigten Staaten in extremer Bedrängnis befanden. Was meine ich damit? Indirekte Unterstützung von Gruppen, die amerikanische Militäreinrichtungen und Personal angreifen würden, die im Inneren des Landes eine Menge Verwüstung anrichten würden, damit die Amerikaner überhaupt eine Stabilität haben könnten. Und die eigene Politik der Amerikaner nach dem Zusammenbruch von Saddam Hussein hat dies noch beschleunigt, denn die Vereinigten Staaten wussten auch nicht sehr gut, wie sie auf diesen beiden Kriegsschauplätzen, Afghanistan und Irak, operieren sollten, indem sie Tausende und Zehntausende von irakischen Soldaten und Militärangehörigen auflösten, die dann von verschiedenen Gruppierungen absorbiert wurden, die im Irak Unruhen auf dem Niveau eines Bürgerkriegs verursachten. Und hier verstrickten sich die Vereinigten Staaten in Afghanistan und im Irak in einem solchen Ausmaß, dass jegliche abenteuerlichen, expansionistischen Ideen einer Invasion oder eines Angriffs auf den Iran sehr schnell abfielen. Dies wurde zu einem unpopulären Krieg in den Vereinigten Staaten und die Regierung der Vereinigten Staaten befand sich in einer extrem negativen Position, als diese Leichensäcke in die Vereinigten Staaten zurückkamen.


Der Krieg begann also viel zu kosten, in Afghanistan und im Irak, und die iranische Präsidentschaft von Ahmadinedschad erhöht den Einsatz und bringt die Temperatur nach oben, und es gibt Unstimmigkeiten innerhalb der internationalen Arena. Und an diesem Punkt erkennen der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und andere Weltmächte, nachdem sie gesehen haben, dass Washington dieser europäischen Initiative mit den Iranern nicht zugestimmt hat, dass sie sich wirklich zusammentun müssen, oder die USA werden einfach denken, dass sie sich im Wilden Westen befinden und einfach tun, was sie wollen. Es gab also eine konzertierte, gemeinsame Anstrengung auf der globalen Bühne, um diese unkontrollierte Macht der Vereinigten Staaten zu zügeln. Und hier ist der Zeitpunkt, an dem das iranische Atomdossier und der Umgang damit zwischen 2005, der Präsidentschaft Ahmadinedschads, bis 2013, als er aus dem Amt scheidet, und der Wahl und Präsidentschaft Obamas eine neue Ära der internationalen Politik einleitet. Mit dem Amtsantritt Obamas sind die Jahre der Bush-Kriegshetzer und Falken in Washington vorbei, es gab eine Ablösung – zumindest auf dem Papier – von jemandem, der sich für internationale Zusammenarbeit, Multilateralismus und Diplomatie einsetzt. Das iranische Atomprogramm durchläuft also diese drei Phasen. Eine ist vor Ahmadinejad, dieses Abkommen mit den Europäern, das von den Amerikanern abgeschossen wurde. Von 2005 bis 2013 haben wir Ahmadinejad an der Macht, der das iranische Atomprogramm ausweitet und es extrem schwierig macht, mit der internationalen Gemeinschaft zu kooperieren. Sie haben die USA, die in diese Kriege verwickelt sind, sie müssen sich dann wieder auf der internationalen Bühne zeigen und vergessen, was sie in der Bush-Ära gemacht haben, mit der Wahl von Präsident Obama. Und hier ist von 2009 bis 2013 eine neue Seite, wo die USA wieder als kooperativ innerhalb der Vereinten Nationen und des Multilateralismus gesehen werden. Und dies fällt wiederum mit der Ausweitung des iranischen Atomprogramms und der Verhängung der umfassendsten Sanktionen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen den Iran zusammen, die durch die Bemühungen der Obama-Administration und der damaligen Außenministerin Hilary Clinton zustande kamen, eine globale Einheit zu schaffen.


Wenn sie in der Lage waren, eine der umfassendsten Koalitionen der Willigen zu schaffen, und zwar unter dem Deckmantel der Verhängung von Sanktionen und anderen Maßnahmen, ohne dass es zu einem Krieg mit dem Iran kommt. Hier haben wir also einen Stimmungswandel in Washington, einen Stimmungswandel in Teheran, und so prallen diese Welten aufeinander.


Hat also die Sanktionspolitik der USA, der Obama-Regierung, etwas Positives bewirkt? Hat das dem Iran geholfen oder ihn ermutigt, an den Verhandlungstisch zu kommen? Was brachte den Iran zurück an den Verhandlungstisch? Es gab offensichtlich einen Wechsel in der Führung, aber es gibt immer noch eine Menge Hardliner im Iran. Was geschah im Iran?


Tony, Sanktionen auf globaler, regionaler und nationaler Ebene schaden den Menschen und nicht ihren Regierungen. Sie fügen Schmerz zu, wirtschaftlichen Schmerz, sozialen Schmerz, und sie machen jeden Fortschritt an den sozioökonomischen und politischen Fronten zunichte. Und unglücklicherweise haben diese Jahre umfassender Sanktionen, die bis heute andauern, das iranische Volk nur zurückgehalten und unglücklicherweise die Bevölkerung um die Fahne geschart und die Zentralregierung und ihr eigenes Prisma, durch das sie die Welt sieht, gestärkt, und das ist eines, das gegen globale Mächte kämpft, die nicht wollen, dass es überlebt. Was wir also leider sehen, ist, dass diese Jahre der Sanktionen der Diplomatie nicht geholfen haben. Tatsächlich haben sie nicht nur die iranische Öffentlichkeit verletzt, sondern auch das iranische Atomprogramm erweitert. Im Jahr 2005 hatte der Iran etwas über 100 Zentrifugen am Laufen. Im Jahr 2013, als die Verhandlungen mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder aufgenommen wurden, hatte der Iran über 20.000 Zentrifugen in Betrieb. Und das ist der Grund, warum man eine Regierung, ein Land wie den Iran, nicht mit Sanktionen zwingen kann, seinen Arm zu verdrehen, damit er an den Verhandlungstisch kommt. Anstatt dass der Iran sein Atomprogramm einschränkt, weitet er es aus. Anstatt dass der Iran sozial offener wurde, hat er sich verschlossen. Anstatt dass der Iran noch fortschrittlicher wurde, wurde er noch konservativer. Es gab also eine Umkehrung, alle Ziele der Sanktionen wurden nicht erreicht, aber in Washington hat sich etwas geändert. Was geschah in Washington?


Präsident Obama wählte einen neuen Außenminister, und dieser Außenminister kam an die Macht, ersetzte Hilary Clinton, und wir haben ein neues Team in Washington, und es gibt eine Wahl im Iran, wo Ahmadinejad raus ist, und Präsident Rouhani, der jetzt der scheidende Präsident ist, kommt mit seinem Außenminister Javad Zarif an die Macht.


Wer ist der Außenminister in den Staaten?


John Kerry. Jetzt stehen die Sterne günstig. 2013, Ahmadinejad ist raus, die Sanktionen sind drin. Das iranische Atomprogramm hat sich ausgeweitet. Wir haben ein neues Team in Teheran, das darauf erpicht ist, wieder mit der internationalen Gemeinschaft in Kontakt zu treten. Und rate mal, was? Das Team, von dem ich spreche, Rouhani, Zarif und andere, die diese neue Regierung bilden, waren die gleichen, die 2005 das Abkommen mit den Europäern ausgehandelt haben. Sie wussten also genau, was an der Nuklearfront getan werden muss. Auf der anderen Seite in Washington wurde Hilary Clinton durch John Kerry ersetzt, und John Kerrys Verständnis von dem, was getan werden muss, führt zu einem Wechsel in Obamas Politik gegenüber dem Iran, wo Obama bis zu diesem Zeitpunkt das Mantra der Bush-Ära von der Null-Anreicherung im Iran beibehalten hatte. Und der Iran sagte: „Ihr könnt uns nicht erzählen, dass wir keine Anreicherung haben dürfen. Das ist nicht richtig.“ Und hier erreichten John Kerry und sein Team mit Obama einen Kompromiss, in dem sie die einfache Sprache von Null-Anreicherung zu begrenzter Anreicherung änderten.


Diese geringfügige Änderung der Sprache und das neue Team in Washington und Teheran öffneten die Tür für die Iraner, um 2013 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York in Verhandlungen einzutreten und ernsthaft einen diplomatischen, multilateralen Ansatz zur Lösung dieses Problems zu beginnen, nach einem Jahrzehnt. Nach einem Jahrzehnt des Hin und Her von Sanktionen, Attentaten, Sabotage und Beinahe-Zusammenstößen, die in einem totalen Krieg hätten enden können. Endlich gab es den politischen Willen der wichtigsten Hauptstädte, in die Diplomatie zu investieren, und hier liegt der Schlüssel. Ohne politischen Willen, ohne die Zeit, die Ressourcen und das Notwendige zu investieren – den Kompromiss, die Verhandlungen – werden diese Art von Mechanismen nicht funktionieren. Und hier, innerhalb von zwei kurzen Jahren, wenn man die ganze Sache betrachtet, scheinen zwei Jahre kurz. Innerhalb von zwei Jahren einigten sich der Iran und die Weltmächte, die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, die Vereinigten Staaten plus Deutschland und die Europäische Union, 2015 auf ein Atomabkommen, das als „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA) bekannt ist.


Was war also der JCPOA, worauf hat sich der Iran mit dem JCPOA geeinigt? Warum ist es gut, und warum sollte Trump daraus aussteigen?


Also gut, versuchen wir, die Sache ganz einfach zu halten. Es gibt 5 Dinge, die der Iran getan hat, und im Gegenzug 2 Dinge, die er bekommen hat. Ok. Stellt euch einen Korb mit Kompromissen vor. Vereinbarung. Der Iran stimmte zu, seinen Anreicherungsgrad auf niedrig angereichertes Uran zu begrenzen. Also, 3,5 oder 5%. Das erlaubt dem Iran also eine Anreicherung, aber auf einem niedrigen Niveau, das nicht in Richtung Waffenproduktion geht. Der Iran hat also seinen Anreicherungsgrad begrenzt. Zweitens: Er hat die Anzahl seiner Zentrifugen begrenzt. Denn wir erinnern uns: Der Iran hatte zu diesem Zeitpunkt 20.000, und der Iran hat zugestimmt, sie auf 5.000 zu reduzieren. Also dreht er eine viel geringere Anzahl von Zentrifugen. Nummer 3, der Iran stimmte zu, keine hochentwickelten neuen Generationen von Zentrifugen zu installieren, die schneller drehen und schneller anreichern können. Der Iran hat also seine Expansion von hochentwickelten Zentrifugen eingeschränkt. Nummer vier: Der Iran wurde, was seine Forschung und Entwicklung betreffen, auf eine kleine Anzahl von Standorten beschränkt, die ihm zur Verfügung stehen, um seine Forschung zu betreiben, und das alles innerhalb einer Anlage.


Und Nummer fünf: Der Iran hat zugestimmt, seinen Schwerwasserreaktor, der in der Zukunft eine Bedrohung für die Weiterverbreitung darstellt, durch eine Wiederaufbereitung umzubauen, die zu Plutonium führen könnte. Wir haben vorhin ein wenig darüber gesprochen, dass es eine Plutoniumspur zu Atomwaffen gibt. Der Iran hat also zugestimmt, den Schwerwasserreaktor in einen Leichtwasserreaktor umzuwandeln, wodurch die Notwendigkeit der Wiederaufbereitung vermieden wird und die Möglichkeit einer Plutoniumspur zu einem Nuklearsprengkopf ausgeschlossen werden kann.


Das sind die 5 Dinge, und nur damit ihr Bescheid wisst, es schließt auch die Tatsache mit ein, dass der Iran Vorräte an angereichertem Uran hatte, und das waren wirklich hohe Werte. Jenseits von 20, das nennt man hochangereichertes Uran. Der Iran stimmte zu, es zu begrenzen und auch zu verdünnen, so dass es zu niedrig angereichertem Uran wurde, und andere wurden aus dem Land exportiert. Nur damit ihr wisst, dass all dies die praktischen Dinge waren, die der Iran tun musste – einschränken, was er tut. Darüber hinaus stimmte der Iran auch den intrusivsten Inspektionen zu, die die IAEA im Land durchführen konnte, der Iran stimmte einer enormen Überwachung zu, und es wurden neue Technologien entwickelt, um sicherzustellen, dass das iranische Atomprogramm, vom Abbau bis zur Verbringung in diese Anlagen, rund um die Uhr unter der Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde steht. Der Iran machte also all diese Zugeständnisse, die über das hinausgingen, was er unter dem Abkommen des Atomwaffensperrvertrags hatte. Er hätte das nicht tun müssen. Der Iran ist also das einzige Land auf der Welt, das, während wir hier sprechen, dieses Maß an Zugeständnissen bei seinem Atomprogramm und dieses Maß an Inspektionen und Überwachung zugelassen hat. Es gibt kein anderes Land.


Warum hat das dann Donald Trump nicht so gut gefallen?


Darauf komme ich gleich zu sprechen. Denn der Iran hat dem nicht umsonst zugestimmt. Der Iran hat dem zugestimmt, um eine bestimmte wesentliche Änderung zu erreichen. Dass die Sanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aufgehoben werden. Und dass die Sanktionen der Europäischen Union und die Sanktionen der Vereinigten Staaten gegen das iranische Atomprogramm oder im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm aufgehoben werden, und dass das iranische Atomprogramm normalisiert wird. Und der Iran könnte seinen Markt, sein Volk und sein Land öffnen und wieder ein vollwertiges Mitglied der internationalen Gemeinschaft werden und wie ein normales Land agieren.


Gut, das war also eine Vereinbarung. 2015 haben sie dieses Abkommen geschlossen, und bis 2018, als Präsident Trump aus dem Abkommen ausstieg, funktionierte das Abkommen. Die Inspektoren waren da, das Überwachungssystem funktionierte, die IAEA-Berichte über das iranische Atomprogramm zeigten, dass der Iran genau das tut, was er versprochen hat, und wir können es verifizieren. Dann kommt Präsident Trump, er wird gewählt, und in seinen eigenen Slogans und im Wahlkampf sagte er: „Das war ein schlechtes Abkommen, das war ein schreckliches Abkommen“, dass die Vereinigten Staaten dem Iran Zugeständnisse gemacht haben, und „Wenn ich Präsident werde, werde ich es zerreißen“. Und als er Präsident wurde, hat er das leider getan.


Und warum? War es, weil das Atomabkommen mit dem Iran den Iran daran hinderte, Atomwaffen zu bauen? Hat das Abkommen dieses Ziel ermöglicht? Ja. Der Iran, das wissen wir, baute keine Atomwaffen. Warum also hat Trump, wenn es Bedenken wegen des iranischen Atomprogramms gibt, das Atomabkommen mit dem Iran zerrissen und ist aus ihm ausgestiegen? Die Antwort liegt in der Unterstützung seiner Administration durch den militärisch-industriellen Komplex in Washington, die dortigen Lobbygruppen und diejenigen, die Länder wie Israel, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate repräsentieren, die den iranischen Atomdeal wiederum als direkte Bedrohung ihrer regionalen und globalen Beziehungen und der Dynamik, die in der Region stattfindet, sahen. In erster Linie mit dem, was sie dachten, dass, wenn der Atomdeal weiter fortschreitet, er die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA normalisieren wird, und hier wird es auf Kosten ihres regionalen Einflusses gehen, und dessen, was sie als ihren wichtigsten Unterstützer der Sicherheit sehen, die Vereinigten Staaten, als Beschützer ihrer Interessen in der Region.


Also hier ändert sich die Dynamik. Präsident Trump zog aus dem Iran-Atomabkommen, vor allem aufgrund der Tatsache Nummer 1, es hatte ein Versprechen gemacht, ein Slogan Versprechen und er dachte, dass er einen besseren Deal haben könnte. Also wollte er alles demontieren, was Obama gemacht hatte, sei es das Pariser Klimaabkommen, bis hin zu anderen Abkommen, die Obama gemacht hatte, er wollte es einfach demontieren. Nummer 2: Er hatte eine Menge Druck von der Netanjahu-Regierung in Israel und anderen wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten erhalten, dass dieses Abkommen weder den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten noch ihren Verbündeten in der Region dient, weil es dem Iran einen Freifahrtschein in Bezug auf seine hegemoniale Macht und seine Ziele in der Region gibt, und so wurde es schließlich in erster Linie von der Tatsache angetrieben, dass es dieses Maß an Feindseligkeit und Misstrauen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran gibt, das leider verloren ist, wenn man es Außenstehenden überlässt, die USA zu navigieren und zu manövrieren, wie sie ihre Politik im Nahen Osten anwenden. Weil es keine direkten Beziehungen zwischen diesen beiden Hauptstädten, Teheran und Washington, gibt, wurde der iranische Atomdeal leider ein Opfer in dieser Präsidentschaft von Trump.


Sehr gut, ich denke, wir werden es dabei belassen. Wir haben heute eine Menge Themen behandelt, danke Emad. Es ist wirklich interessant zu sehen, wie alle Teile dieses Puzzles zusammenpassen und uns in die Situation bringen, in der wir uns heute befinden, wo die Mächte in Wien sind, während wir sprechen, und darüber reden, wie man den Iran-Atomdeal retten kann und wie man die Vereinigten Staaten wieder in Übereinstimmung mit ihm bringen kann, und den Iran zurück zur Erfüllung aller Verpflichtungen, denen er zugestimmt hat. Ich denke, das nächste Mal werden wir von dort aus weitermachen, und wir werden sehen, was sonst noch in der Region passiert, und vielleicht werden wir ein bisschen mehr über Israel sprechen.


Sehr gut, also danke Euch allen, danke, dass Ihr bei uns wart und dieser wirklich interessanten Reihe zugehört habt. Wir werden sie beim nächsten Mal fortsetzen.



Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Die Wurzeln der Gewalt – Episode 1 – Iran 1952 bis 2001Die Wurzeln der Gewalt – Episode 2 – Iran 1952 bis 2001


Info: https://www.pressenza.com/de/2021/07/die-wurzeln-der-gewalt-episode-3-iran-2001-bis-2021  


Kommentar: Wer Feindbilder für Länder benötigt und diese mit aufbauen will, wünscht bzw. erschafft sich dort bevorzugt populistische Präsidenten.    Thomas Bauer

23.07.2021

Austrittserklärung Bündnis 90/DIE GRÜNEN (Jürgen Grässlin, Juni 2000)

Freiburg, den 24. Juni 2000


An Bündnis 90/DIE GRÜNEN:
Kreisverbände Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen, Freiburg; Landes- und Bundesvorstand, Bundestagsfraktion, Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden, Friedensbewegung: DFG-VK, KADC, RIB u.a.; zur Kenntnis: Medien


Betreff:             Austrittserklärung
Anlass:             Bundesdelegiertenkonferenzen in Bielefeld und Münster


Liebe FreundInnen, sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Auf verschiedensten politischen Ebenen als Stadtrat, Kreisvorstand, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Frieden und Landesvorstand in Baden-Württemberg, Bundestagskandidat 1994 und 1998 - habe ich mich nach meinem Parteieintritt (1987) für eine Politik eingesetzt, die auf den grünen Grundsäulen der Gewaltfreiheit, Anti-Atompolitik, Emanzipation und Basisdemokratie fundiert.


Mit Eurer Zustimmung zum grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Kosovo-Kampfeinsatz, zu Frauen in kämpfenden Einheiten der Bundeswehr, zur aktuellen Aufstockung des »Verteidigungs« etats und vor allem zur Beschaffung neuer High-Tech-Waffen, zur massiven Aufstockung von Krisenreaktionskräften einer schlagkräftigen Interventionsarmee, zu weiteren Rüstungsexporten, zur Entschärfung der EU-Altautoverordnung, zur Bestandsgarantie der Atomindustrie für drei Jahrzehnte, zur Aushebelung der Basisdemokratie undundund... haben Bündnis 90/DIE GRÜNEN ihren Anspruch auf Glaubwürdigkeit verloren. Den Bruch mit dem Pazifismus habt Ihr spätestens mit dem Bundesparteitag in Bielefeld vollzogen, das Fass zum Überlaufen bringen Eure friedens- und energiepolitischen Beschlüsse auf der BDK in Münster.


Ich habe die Hoffnung aufgegeben, Bündnis 90/DIE GRÜNEN seien überhaupt Willens, zur Durchsetzung ihrer programmatischen Ziele den Konflikt mit der Rüstungs-, Automobil- und Atomindustrie zu wagen. Vieles spricht für eine realistische und pragmatische Regierungspolitik, nichts für das Biegen des Rückgrats bis zur Unkenntlichkeit. Schlimmer noch: Mit Euren Konsensgesprächen beugt Ihr Euch dem Diktat der Industrie, das Primat der Politik wird ausgehebelt.


Ich stehe auch weiterhin zu den Inhalten unseres Programms zur Bundestagswahl 1998. Als Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC), einer der Initiatoren der Abrüstungsinitiative FÜNF FÜR FRIEDEN und Vorstandsmitglied des Rüstungs-Informationsbüro Baden- Württemberg (RIB) will ich weiterhin mit Euch im Dialog bleiben.


Da, wo Ihr glaubt, vor der Macht der Großkonzerne kuschen zu müssen, werde ich Euch vehement kritisieren. Da, wo Ihr für eine glaubhafte Friedens-, Verkehrs- und Energiewende eintretet, werdet Ihr in mir einen aktiven Unterstützer finden.


Mit pazifistischen Grüßen

Jürgen Grässlin


Info:
  http://www.juergengraesslin.com/index.php?seite=austritt_gruene.htm



Weiteres zur Erinnerung:



Antrag an BDK von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN in Bielefeld, 13.5.1999


basisgruen.gruene-linke.de

"Den Weg für eine friedliche und langfristige Lösung des Kosovo-Konflikts eröffnen! Den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien sofort beenden! Humanitäre Hilfe für die Menschen im Kosovo ermöglichen! Schluß mit der brutalen Vertreibungspolitik der Belgrader Regierung! Die Umsetzung der neuen NATO-Strategie blockieren!"

Wir fordern die Bundesregierung, den Bundestag insbesondere die grünen Bundestagsabgeordneten und Regierungsmitglieder sowie die NATO auf, ihre Fehler zu korrigieren und sofort aus der Eskalationsspirale des Krieges auszusteigen. Deutschland bzw. die NATO muß den ersten Schritt tun.


Wir fordern im einzelnen
· die sofortige und einseitige Beendigung aller NATO-Luftangriffe und der damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen gegen die jugoslawische Bevölkerung sowie aller NATO-Planungen für den Bodenkrieg; das kann durch Aufkündigung der deutschen Beteiligung an den militärischen Aktionen und Planungen gefördert werden; darüber hinaus fordern wir die Bundesregierung und die NATO auf, das gebrochene Völkerrecht unmißverständlich wiederherzustellen und zu respektieren. Alle weiteren Maßnahmen, die auf die Beendigung der NATO-Luftangriffe folgen, bedürfen eines UN-Mandats.

· politische Verhandlungen über die sofortige Ermöglichung humanitärer Hilfe für die Menschen in Kosovo/a

· das Ermöglichen einer diplomatischen Initiative eines neutralen Vermittlers, unter Einbeziehung von UNO und OSZE. Ziel muß es sein, einen Interessenausgleich aller Beteiligten zu erreichen, der nicht den Keim eines neuen Revanchismus in sich trägt. Hierin müssen auch alle anti-nationalistischen Kräfte, die demokratischen Oppositionen Jugoslawiens und Kosovo/as einbezogen werden. Mit dem Friedens- und Versöhnungsprozeß muß eine großzügige Wirtschafts- und Wiederaufbauhilfe für die gesamte Region Südosteuropa einhergehen.

· die unbürokratische Aufnahme aller Kriegsflüchtlinge und Deserteure, die hier Schutz suchen wollen.

· eine angemessene zivile materielle Unterstützung der Staaten und Republiken, die mit der Versorgung der aufgenommenen Flüchtlinge überfordert sind, insbesondere Unterstützung für Albanien, Mazedonien und die angrenzenden Nachbarstaaten

· die Absicherung der humanitären Versorgung der Flüchtlinge im Kosovo sowie der politischen Vereinbarungen durch friedenserhaltende Einheiten der zuständigen internationalen Organisationen OSZE bzw. UNO auf Grundlage des Kapitel VI der UN-Charta. An solchen Einheiten sollten sich Deutschland und andere kriegführende Staaten nicht direkt beteiligen. Die Einheiten sollten vielmehr von neutralen Staaten unter Beteiligung Rußlands gestellt werden.

Wir fordern die Grüne Bundestagsfraktion, die grünen Regierungsmitglieder und die Bundespartei auf, die Umsetzung der neuen NATO-Strategie, die u.a. die Selbstmandatierung des Bündnisse ermöglicht und damit das Gewaltmonopol der UNO außer Kraft setzt, zu blockieren.

Wir fordern

· eine sofortige Beendigung der Vertreibungspolitik und der Menschenrechtsverletzungen von Seiten der jugoslawischen Regierung,

· einen sofortigen Waffenstillstand aller in Kosovo/a handelnden militärischen und paramilitärischen Einheiten der jugoslawische Regierung und der UCK.

Ziel muß eine vollständige Entmilitarisierung Kosovo/as sein. Wir ermutigen alle an den Vertreibungen beteiligten jugoslawischen Soldaten und Polizisten zu desertieren und fordern von den deutschen Behörden bedingungslose Aufnahme dieser Personen.

Der Bundesvorstand ist aufgefordert, nach der BDK für die notwendigen Schritte zur Umsetzung dieser Forderungen Sorge zu tragen und die Aktionen der außerparlamentarischen Anti-Kriegs-Bewegung aktiv und finanziell zu unterstützen.


Seit über zehn Jahren haben die gewählten Repräsentanten der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo versucht, mit Hilfe der internationalen Völkergemeinschaft die Wiederherstellung der Autonomie zu erreichen. Dabei ging es nicht um die auch von Deutschland auf dem Balkan beförderte Orientierung auf die ethnische Definition politischer Grenzen, sondern vor allem um die Garantie von Bürgerrechten.


Grüne Außenpolitiker, insbesondere G. Poppe und H. Lippelt, haben diese Bestrebungen jahrelang unter-stützt und mit allem Nachdruck gefordert, die politische Opposition in Serbien und Kosovo zu stärken, um durch Förderung der Demokratisierung bestehende Konflikte zu entschärfen und politische Wege zu Lösungen zu finden.


Die internationale Staatengemeinschaft ignorierte jedoch den Konflikt solange, bis die UCK, die auch für Zwangsrekrutierungen und andere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, so großen Einfluß gewonnen hatte, daß der Konflikt militärisch eskalierte. Im Friedensvertrag von Dayton wurde der Konflikt z.B. bewußt ausgespart. Während die gewaltfrei agierende politische Kraft um den gewählten Präsidenten Rugova jahrelang keine relevante politische Unterstützung erfuhr und entsprechend keine Erfolge vorweisen kann, traf Ende Juni'98 US-Vermittler Holbrooke mit UCK-Vertretern zusammen und setzte damit ein Zeichen für die Militarisierung internationaler Beziehungen. Die Botschaft lautet: Konflikte werden nur beachtet und bearbeitet, wenn sie militärisch, also gewaltsam angegangen werden.


Mit Beginn der NATO-Luftangriffe hat sich die Situation für die Menschen im Kosovo dramatisch verschlechtert. Neuer Haß wurde gesät, der Konflikt wurde weiter brutalisiert. Diejenigen, mit deren Menschenrechten die NATO ihre Militärschläge rechtfertigt, werden zu hunderttausenden rücksichtslos vertrieben, sind auf der Flucht. Die NATO-Bomben haben damit auch der menschenverachtenden Strategie des Milosevic-Regimes in die Hände gespielt. Dieses hat die Militärschläge nicht nur zur Abrechnung mit der UCK benutzt, sondern auch als Kulisse für Terror und systematische Vertreibung genutzt. Tod, Hun-ger, Krankheiten, Obdachlosigkeit, verstärkte Gewaltbereitschaft der serbischen Soldateska und Zwangsrekrutierungen auf beiden Seiten sind die weiteren von allen Seiten zu verantwortenden Folgen.


Der Abzug der OSZE-BeobachterInnen und die militärische Eskalation machen humanitäre Hilfe im Kosovo nahezu unmöglich.

Die NATO kann angesichts der von ihr mit zu verantworteten Situation und der damit verbundenen Flüchtlingsströme, die vorhersehbar waren, ausschließlich militärische Mittel einsetzen. Zu einer zivilen Konfliktregelung ist sie weder in der Lage, noch willens.

Seit einem Jahr haben sowohl Serbien als auch die NATO und die UCK die militärische Option als Drohpotential aufgebaut. Diese auch für die jeweilige Gegenpartei sichtbar werdende Festlegung auf den Einsatz von Militär hat eine friedliche Lösung scheitern lassen.

Das Scheitern einer diplomatischen und damit friedlichen Lösung in Rambouillet ist auch ein Ergebnis der ultimativen Forderung der westlichen Staaten, NATO-geführte militärische Kräfte zur Überwachung des Abkommens im Kosovo zu stationieren. Die Veröffentlichung des sogenannten "Appendix B", nach dem NATO-Truppen in ganz Jugoslawien unbegrenzte Bewegungsfreiheit garantiert werden sollten, hat dies deutlich vor Augen geführt.

Die Befriedung zwischen ethnisch verhetzten Bevölkerungsgruppen, Armee und bewaffneter Opposition ist eine mittelfristige Aufgabe, die nur durch Verhandlungen, wirtschaftlichem Druck bzw. der Gewährung von Vorteilen sowie der Förderung von Demokratisierung und Minderheitenschutz erreicht werden kann.


Die Entwicklung hat deutlich gemacht, wie absurd es war, mit militärischen Mitteln die Menschenrechtssituation im Kosovo verbessern zu wollen. Das beträchtliche ökonomische Potential der europäischen Länder muß nun dafür eingesetzt werden, langfristig zivile Lösungen zu befördern sowie die erbarmungs-würdige Situation der Flüchtlinge zu verbessern und die Folgen der kriegerischen Auseinandersetzung für die zivile Bevölkerung in der Region abzumildern.


Auch die Zahl der Opfer der Bombenangriffe unter der Zivilbevölkerung in Jugoslawien wächst täglich. Neben den militärischen werden zivile Ziele bombardiert, die für die Versorgung der jugoslawischen Bevölkerung notwendig sind. Das sind Menschenrechtsverletzungen, die die NATO direkt zu verantworten hat. Die Bomben, darunter uranhaltige panzerbrechende Munition, werden noch über Jahre hinaus schlimme soziale, politische und ökologische Folgen haben. Diejenigen politischen Kräfte in Serbien, die auf Frieden und Ausgleich setzen, wurden mit den Luftangriffen dramatisch geschwächt.


Die GRÜNE Verantwortung

Entgegen der Beschlußlage der Bündnisgrünen und den Bestimmungen des Koalitionsvertrages haben die Mehrheit der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die GRÜNEN und die grünen Regierungsmitglieder einem Angriffskrieg des Militärbündnisses NATO zugestimmt. Noch dramatischer ist es, daß der NATO-Angriff bzw. die Bundeswehr-Beteilung gegen das geltende Völkerrecht und die deutsche Verfassung verstoßen.

Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet die Teilnahme an dem Angriffskrieg eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte. Nie wieder sollte ein Krieg von Deutschland ausgehen. Eine der wesentlichen Lehren aus Nazideutschland wurde so ausgerechnet von einer rot-grünen Bundesregierung ad absurdum geführt. Und: Deutsches Militär sollte angesichts der von der deutschen Wehrmacht begangenen Greueltaten und Verbrechen gerade in Jugoslawien nichts mehr zu suchen haben. Daß die Koordinaten politischer Moral und Vernunft vollständig aus den Fugen geraten sind, macht auch die Rhetorik deutlich, mit der dieser Krieg gerechtfertigt wird. Die Vergleiche von brutalem Terror und Vertreibungspraxis des Milosevic-Regimes mit Hitlerdeutschland und dem Holocaust sind nicht nur falsch, sie sind unerträglich. Sie verharmlosen und relativieren das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte.

Wir kritisieren die Entscheidungen, die die GRÜNEN Regierungsmitglieder und die Mehrheit der GRÜNEN MdBs in den letzten Monaten in der Kosovo-Auseinandersetzung und bei der Verabschiedung der neuen NATO-Strategie mitgetragen haben und fordern sie auf, ihre Unterstützung der abenteuerlichen NATO-Politik zu beenden. Dies wäre ein Beitrag dazu, die Politik der deutschen Bundesregierung und der NATO zu ändern. Es hilft nicht weiter, wie seitens der NATO oder im Fischer-Plan, den ersten Schritt von der anderen Seite zu verlangen. Deutschland bzw. die NATO müssen den ersten Schritt machen, um aus der Gewaltspirale auszusteigen.

So würde eine Voraussetzung geschaffen, im Kosovo und in der gesamten Region zu einer friedlichen und den Menschenrechten verpflichteten Lösung zu kommen.


Neben der sofortigen Beendigung der NATO-Luftangriffe kommt es darauf an, durch den Einsatz nicht-militärischer Mittel, die auch kurzfristig Menschenleben retten können, eine umfassende politische und diplomatische Lösung für die Region zu erreichen. Dazu gehören:

1. Montenegro, Mazedonien und Albanien müssen großzügig unterstützt werden, um das unmittelbare Elend der Flüchtlinge abzumildern. Die EU-Länder müssen entsprechend der UN-Flüchtlingscharta die Bürgerkriegsflüchtlinge unbürokratisch aufnehmen (Afrikanische Länder können dafür als Beispiel gelten).

2. Eine Regionalkonferenz für Südosteuropa mit der Zielsetzung, die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatregionen sicherzustellen. In Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten sind konföderative Elemente zwischen und innerhalb der Balkanstaaten durchzusetzen. Dabei müssen die multi-ethnischen Gegebenheiten der Staaten respektiert und ein verifizierbarer Minderheitenschutz, abgesichert auch durch positive und negative Sanktionen, gewährleistet werden. An den langjährigen Versöhnungs- und Wiederaufbauprozeß müssen nicht nur staatliche Akteure, sondern auch Nicht-Regierungsorganisationen mitwirken. Dadurch sollen die anti-nationalistischen und pazifistischen Oppositionsgruppen gestärkt werden. Internationale GRÜNE Politik darf sich nicht auf die Regierungsebene beschränken.

3. Verhandlungen, die Durchführung aller Maßnahmen und die Erhaltung des Friedens muß durch nicht am Konflikt beteiligte, überstaatliche Institutionen wie OSZE und UN gewährleistet werden. Unabdingbar ist das Einschalten neutraler glaubwürdiger Vermittler, also Personen oder Institutionen. Vorhandene Kontakte zwischen Nicht-Regierungsorganisationen können den Verhandlungsprozeß befördern. Die NATO ist aufgrund ihrer Teilhabe am militärischen Konflikt dafür nicht geeignet. Auch die deutsche Bundesregierung scheidet solange als Konfliktvermittlerin aus, wie sie Kriegspartei ist. Es liegt nahe, politische Vereinbarungen durch friedenserhaltende Einheiten der zuständigen internationalen Organisationen OSZE bzw. UNO auf Grundlage des Kapitel VI der UN-Charta abzusichern. An solchen Einheiten sollten sich Deutschland und andere kriegführende Staaten nicht direkt beteiligen. Die Einheiten sollten vielmehr von neutralen Staaten unter Beteiligung Rußlands gestellt werden.

4. Die internationale Staatengemeinschaft muß umfassende Hilfe beim Wiederaufbau aller Balkanstaaten leisten, die weit über das hinausgeht, was bisher an Brosamen zugeteilt wurde. Dabei könnte die schwedische Regierung, die bereits im Februar 1999 eine entsprechende Konferenz ausgerichtet hat, die Koordination übernehmen. Auch um dem Ausbruch weiterer Konflikte in der Region vorzubeugen, muß jede Unterstützung mit einem politischen und wirtschaftlichen Integrationsangebot in Richtung EU verbunden werden.


Der NATO Grenzen setzen! OSZE und UNO stärken

Der Kosovo-Konflikt ist eng verknüpft mit der Formulierung der neuen NATO-Strategie, in der der Aktionsbereich der NATO ausgeweitet, die NATO-Selbstmandatierung für Militäreinsätze über das Völkerrecht und damit faktisch das Gewaltmonopol der UNO außer Kraft gesetzt wird. Statt dessen müßten die nicht-militärischen Instrumente der UNO gestärkt und ausgebaut werden.


Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien ist auch als Probelauf für die beabsichtigte Strategie zu verstehen. Wir fordern, daß die deutsche Regierung und der deutsche Bundestag der Umsetzung der neuen NATO-Strategie der Selbstmandatierung für Einsätze jeder Art entsprechend dem Koalitionsvertrag einen Riegel vorschiebt. Ohne das werden alle GRÜNEN Bemühungen zur Krisenprävention und zur zivilen Kon-fliktlösung gegenstandslos, die in den letzten Jahren zu tragfähigen Konzepten verdichtet wurden und sogar im Koalitionsvertrag enthalten sind.


UnterstützerInnen:
Andreas Bachmann (KV HH-Eimsbüttel), Michael-Werner Boelz (KV HH-Wandsbek), Klaus-Peter Berndt (KV HH-Altona), Stefan Bock (KV HH-Eimsbüttel), Susanne Böhmcker (KV HH-Altona), Andreas Bokowski ( KV HH-Wandsbek), Michael Braedt (KV Goslar), Walburga Brandenburg (KV HH-Wandsbek), Gerhard Brauer (KV HH-Wandsbek), Sonja Brauer (KV HH-Wandsbek), Anna Bruns (KV HH Altona), Uli Cremer (KV HH-Eimsbüttel), Cornelia Frieß (KV HH-Bergedorf), Mustafa Gökcen (KV HH-Nord), Horst Görner (KV HH-Wandsbek), Jörg Grasshoff (KV HH-Wandsbek), Antje Grasshoff (KV HH-Wandsbek), Karin Gritzuhn (KV HH-Nord), Ute Gröger (KV HH-Nord), Wolfgang Guhle (KV HH-Nord), Norbert Hackbusch (KV HH-Eimsbüttel), Rüdiger Heescher (KV Steinfurt), Ralf Henze (KV Rendsburg-Eckernförde), Werner Hesse (KV Lüchow-Dannenberg), Karsten Hinrichsen (KV Steinburg), Inge Jahnke (KV HH-Altona), Lutz Jobs (KV HH-Bergedorf), Dirk Jörke (KV HH-Nord), Karl-Heinz Karch (KV HH-Mitte), Marion Köllner (KV Gifhorn), Wiebke König (KV HH-Bergedorf), Julia Koppke (KV HH-Eimsbüttel), Jan Korte (KV Osnabrück-Land), Andrea Krieger (KV HH-Nord), Markus Krajewski (KV HH-Altona), Detlev Kröger (KV HH-Eimsbüttel), Solange
Lipprandt (KV HH-Eimsbüttel), Bernard Marciszewski (KV HH-Nord), Frank Mauritz (KV HH-Altona),Volker Mertes (KV HH-Eimsbüttel), Alexandro Moreira (KV HH-Altona), Rainer Neumann (KV HH-Nord), Wolfgang Neskovic (KV Lübeck), Astrid Nissen (KV HH-Nord), Jörn Rieken (KV HH-Nord), Herma Römer (KV HH-Eimsbüttel), ), Tina Rosenbusch (KV HH-Eimsbüttel), Wolfgang Schreiber (KV HH-Eimsbüttel), Markus Schöning (KV Lüchow-Dannenberg), Daniel Schulz (KV HH-Wandsbek), Thomas Sello (KV HH-Altona), Susanne Siems (KV HH Wandsbek), Heide Simon (KV HH-Nord), Volker Strantz (KV HH-Nord), Heike Sudmann (KV-HH-Nord), Heidi Tischmann (KV Hannover Land), Angelika Traversin (KV HH-Nord), Susanne Uhl (KV HH-Eimsbüttel), Eva Ulrich (KV Harburg-Land), Nana Vollmann (KV HH-Nord), Felicitas Weck (KV Hannover-Stadt), Florian Wellner (KV HH-Eimsbüttel), Bärbel Wilgermein (KV Lüchow-Dannenberg ), Andrea Wist (KV HH-Eimsbüttel), Maggie Wohlert (KV HH-Eimsbüttel), Wolfgang Ziegert (KV HH-Altona), Brigitte Ziehlke (KV HH-Wandsbek), Hartwig Zillmer (KV HH-Nord)


Info: https://basisgruen.gruene-linke.de/gruene/bund/bdk/bielefeld/nord-linke.htm




Diskussionsbeitrag von Martin Ottensmann nach dem Parteitag der Grünen in Bielefeld 1999


Die Grünen sind eine andere Partei geworden - Was Nun? 
Der Krieg im Kosov@ und die erste Regierungsbeteiligung auf der Bundesebene für Bündnis 90/Die Grünen sind historisch miteinander verwoben. Die Sonder-BDK in Bielefeld hat deutlich gemacht: Die Partei Bündnis 90/Die Grünen ist eine andere geworden. Die Partei, die aus den sozialen Bewegungen mit mehreren politischen Grundsäulen entstanden ist, hat eine neue Säule dazubekommen: das Machtbewußtsein. Dies ist ein Veränderungsprozeß, den Herr Joseph Fischer schon vor der Wahl angekündigt hat. Nun vollzieht er das, was er vorher gegenüber der Presse immer wieder angedeutet hat: er will den Grünen ein Ja zur NATO(-Politik) entlocken und den politischen Bruch mit dem Programm, zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik: daran macht er die Regierungsfähigkeit der Partei fest. Mit seiner Autorität als Medienfigur und mit seinen rhetorischen Fähigkeiten hat er 
dies nun geschafft. Den Delegierten in Bielefeld hat er vor den Kopf geknallt: es ist egal, was Ihr beschließt, ich mache als Minister so weiter; mit dem Appell "werft mir keine Knüppel zwischen die Beine" brachte er den Großteil der 
Delegierten hinter sich. Die Partei hat sich dadurch selbst zu einem Wahlverein für die Regierung degradiert. Da half auch nicht mehr der Versuch der AntragstellerInnen der Gruppe 3 (Roth, Ströbele, Buntenbach, Simmert, München) eine politische Schmerzgrenze zu definieren, bei dem die Pazifisten, Antimilitaristen bewußt von einer Schelte oder vor der Infragestellung der Regierungsbeteiligung Abstand genommen haben: mit der Einbeziehung der Leute, die am Anfang dieses "Experiment Luftangriff" noch mitgetragen hatten und nun den Stop forderten. Diese Linie war ein Signal in die Mitte der Partei, aber wir haben verloren. Dabei mitgeholfen haben sicher die autonomen "Indianerspiele", die ein bedrückendes Klima im Saal erzeugt haben und ein paar Unentschlossene auf die Seite von Herrn Fischer gebracht haben. Diese politische Entscheidung mußten wir hinnehmen und erkennen, daß dies für viele der Schlußstrich unter das linke Reformprojekt Grüne Partei war. Wer jetzt neu in die Partei eintritt, wird zu denen gehören, die an dem Machtzuwachs dieser Partei partizipieren wollen und nur sekundär programmatische Ziele verfolgen. Die Partei wird sich somit weiter "in die gesellschaftliche Mitte" bewegen, die Austritte am linken Rand werden von vielen begrüßt oder zumindest billigend in Kauf genommen. Dieser Veränderungsprozeß beschleunigt nur einen Prozeß. Der aus der ehemaligen Protest- und Konzeptpartei eine Partei macht, bei dem die oberen Köpfe entscheiden, wo es lang geht. Der Bielefelder Parteitag hat bewußt die Linie gewählt, die Herr Fischer gerade noch zulies, der Bundesvorstand lief somit an der kurzgehaltene Leine, wie ernst der Beschluss einer Waffenpause in der Bundestagsfraktion gesehen wird, sieht man wohl daran, daß sie diesen Antrag im Bundestag wohl erst nach dem Krieg stellen werden. Viele Personen haben nach dem 13.5.1999 schon ihren persönlichen Schlußstrich gezogen. Die politische Linke darf sich auf keinen Fall einem Selbstmordkommando folgend in das politische Nichts begeben. 

Deshalb stellt sich nun für viele die Frage WAS NUN?
Seit Bielefeld sind viele es leid, für die Grünen Bundespolitik in der Öffentlichkeit z uverkaufen; dies in einem Jahr, wo nicht nur die Europawahl, sondern auch einige Landtagswahlen in den neuen Bundesländern anstehen. Die komplette Spitze der Partei trägt die Verantwortung dafür, ob wir bei den jetzt anstehen Wahlen aus den Parlamenten fliegen oder die Partei sich in den neuen Bundesländern entgültig unter der 3%-Marke einordnet. "Wir machen keinen Wahlkampf für eine Partei, wo noch nicht klar ist, ob ich sie überhaupt wählen kann", dies ist der Tenor, der aus vielen Mündern kommt, wenn diese Freundinnen und Freunde nicht schon ausgetreten sind.

Als Linke gilt es nun die Politik neu gemeinsam zu definieren. 

Der Babelsberger Kreis hat sich auf der Bundesebene bisher immer als Forum für alle angesehen, die die Reformen in diesem Land voran bringen wollte. Dabei hat sich in den letzten Monaten die Anbindung der sogenannten Regierungslinken" als schwer erwiesen. Die Kommunikationstruktur Babelsberg ist in der letzten Zeit zu breit angelegt, und ist sehr auf Funktionärskreisen orientiert, die sehr NRW- und Berlinlastig sind. Über Jahre konnten mit diesem Zusammenhang Mehrheiten auf Bundesversammlungen organisiert werden, nach dem "Einkauf " von einigen in 
wichtige Ämter, ist für viele ein Bruch festzustellen. Die Aufstellungsversammlung zur Europawahl und Bielefeld haben deutlich gemacht: wir brauchen eine bessere Vernetzung mit einer standfesteren gemeinsamen Grundlage. Der Dialog zu den Regierungslinken braucht dabei nicht abbrechen, aber es gibt hier klare Interessenunterschiede. 

Aufgaben einer Linken Vernetzung:

· Sammelbecken für Ausgetretene und WeitermacherInnen 
· Definition der Zielgruppe über die Grünen hinaus: Rot-Grüne Linke 
· Politische Kernaussage: Unzufriedenheit über die Erfolge des rot-grünen Reformprojektes, dabei ist die Forderung nach der Beendigung der Koalition nur eine Variante, die zur Zeit aber nach dem Parteitag in Bielefeld erst einmal 
anders entscheiden ist. Auf der programmatischen Plattform des BT-Wahlprogramms von 1998 kann man eine Linke Reformpolitik weiterentwickeln. 

Zu den Schwerpunkten sollte gehören: 
der sozial-ökologische Umbau, die Renaissance der Grundrechte und eine neue Außen- und Friedenspolitik mit einer Öffnung Europas nach Osten. Um Linke in der Partei zu halten, müßten wir dort einen Freiraum haben, in dem wir politisch weiter agieren können. Deshalb ist es notwendig, Kreisverbände als Oppositions-KV oder regierungskritischer KV zu definieren und alle Frustrierten aufzurufen in diesen KV Mitglied zu werden. Dort können mit den Mitgiedsbeiträgen und Spenden linke Projekte gefördert werden. Diese KV`s vernetzen sich auf Landes- und Bundesebene und sind in der Lage, auch Linke Projekte in der Partei mitzufinazieren, dazu gehört auch der Aufbau eines redaktionell aufgearbeiteten Diskussionsforums im Internet (aufgebaut auf http://www.BasisGruen.de ) oder ein qualifizierter Email-/Fax-Verteiler. Dazu gehören aber auch Kongresse und politische Vernetzungstreffen, die es schaffen, das politische Spektrum zusammenzuhalten und einen Politikwechsel voranzubringen. Es wäre verheerend, wenn es der politische Zweck der Grünen als Partei gewesen sein soll, die sozialen Bewegungen in das System aufzusaugen und mundtot zu machen. Deshalb ist es wichtig, sich nicht mehr auf die innerparteiliche Strömungsbalance zu orientieren, sondern den Aufbau der sozialen Bewegung - als Triebfeder der politischen Veränderung - wieder aktiver zu betreiben. Der Vorwurf in eine JUSO-Ecke zu rutschen zieht nicht, weil unter uns sehr Viele mit großer politischer Erfahrung und starkem inhaltlichen Background sind. Mit einer Aufgabe die inhaltliche Arbeit - auch für langfristige Reformkonzepte - zu vertiefen und die NRO und sozialen Bewegungen zu stärken wird es beim dem Poker um die Besetzung von wichtigen Positionen ein wichtiges Wort mitreden, gute Persönlichkeiten haben wir dann genug.

Konfliktpunkt: Kommunalpolitik!
Ein wesentliches Standbein für aktive grüne Politik ist die Kommunalpolitik. In der öffentlichen Wahrnehmung spielt zwar die Bundespolitik die wichtigste Rolle, die meisten Aktiven sind jedoch auf der kommunalen Ebene eingebunden, dort gibt 
es die Möglichkeit eine gute Sachpolitik zu machen. Sollen wir dieses Projekt einfach so sterben lassen, indem wir die Flucht aus der Partei antreten? In NRW sind in diesem Jahr noch Kommunalwahlen, dort gibt es viel zu verlieren. Deshalb sollten wir jeweils vor Ort nach Auswegen suchen, um ein breiteres Spektrum an der Politik zu beteiligen als das, was hinter der Politik der Bundesregierung steht. Ein "Projekt München" war z.B. auch schon zu Kohlzeiten möglich. Bei zukünftigen Aufstellungsversammlungen sind offene Bündnis 90/Die Grünen-Listen eine einfache Möglichkeit auch Ausgetretene weiter einzubeziehen. Die weitergehende Möglichkeit ist wieder zu der "Grünen Liste X-Stadt" zu greifen. 
Bei der Außendarstellung im Wahlkampf haben schon jetzt die "Kommunalos" in NRW das Problem, daß sie sich gerne von der Kosov@-Politik distanzieren wollen. Eine einfache Idee ist in den Zeiten des Krieges, die Ablehnung der Bombenangriffe durch eine blaue Friedenstaube auf Flugblättern/Plakaten zu symbolisieren. Die z.T. in Berlin gewählte Methode Plakate von Herrn Fischer mit einer Zielscheibe zu entfremden ist kontraproduktiv. Um Antwort wird gebeten: 
Martin Ottensmann Helene-Weber-Allee 8, 80637 München 
Fax 089/155057, Email 
Martin.Ottensmann@t-online.de | Forum@BasisGruen.de


Info: https://basisgruen.gruene-linke.de/laender/bayern/Archiv19xx/OT-Gruene-sind-andere-Partei-geworden-1999.htm


Kommentar: Der Einsatz der NATO dauerte vom 24. März 1999 als Tag des ersten Luftangriffs bis zum 9. Juni 1999, dem Tag der Einigung bei den Militärverhandlungen. (aus Wikipedia)

s. auch:   Ex-Kanzler Schröder über den Bruch des Völkerrechts in Jugoslawien 1999 -- Kosovo Krieg Zeit Matinee. Video https://www.youtube.com/watch?v=ydLINQBOF1U Dauer 44 Sekunden


Der hier genannte "Antrag von BasisGrün" konnte die nachträgliche Billigung dieses Einsatzes durch die BDK von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, 13.5.1999 in Bielefeld, nicht verhindern. Obwohl er ohne einen Sicherheitsratsbeschluss erfolgte und eindeutig das Völkerrecht brach.   Th. Bauer

23.07.2021

Corona-Impfung: Eine Diskriminierung von Ungeimpften ist ethisch gerechtfertigt

zeit.de, 23. Juli 2021, 6:00 Uhr, Ein Gastbeitrag von  und 26 Kommentare

Corona-Impfung: Eine Diskriminierung von Ungeimpften ist ethisch gerechtfertigt

Um die Impfquote zu erhöhen, ist eine indirekte und sogar direkte Impflicht im Gespräch. Aus ethischer Sicht spricht wenig gegen beide Varianten.


Zitat: Eine Diskriminierung von Ungeimpften ist ethisch gerechtfertigt

Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschafts-ethik an der Universität St. Gallen. Martin Kolmar ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen.


Unsere Gesellschaft ist coronamüde. Erneute Einschränkungen der individuellen Freiheit bis hin zu einem möglichen Lockdown im Falle einer vierten Welle werden aller Voraussicht nach auf eine deutlich geringere Akzeptanz bei den Menschen stoßen. Nicht nur diejenigen, die die Gefahren des Virus nicht sehen, sondern auch Geimpfte werden sich damit schwertun, Verständnis für Einschritte in das private wie öffentliche Leben und mögliche Einschränkungen ihrer Grundrechte aufzubringen.


Es ist auch gut möglich, dass sich die Konflikte in unserer Gesellschaft bei einem nächsten Lockdown noch einmal verstärken, wenn nämlich Impfverweigerer für die entsprechenden Maßnahmen verantwortlich gemacht werden – eine Minderheit, die der Mehrheit ihre Freiheit nimmt, so oder ähnlich könnte es dann heißen. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als nachvollziehbar, dass man auf eine andere Strategie setzt, um der anhaltenden Pandemie Herr zu werden: die Erhöhung der Impfquote.


Für eine solche Strategie kann es keine idealen Lösungen, sondern lediglich bestmögliche Annäherungen im Spannungsfeld von Gesundheit, Freiheit und sozialem Frieden geben. Um die Diskussion einer Impfpflicht jedoch dürfte man gleichwohl nicht herumkommen.


Gibt es eine moralische Pflicht des Einzelnen?

Wir wollen eine Impfpflicht zunächst begrifflich als eine moralische Pflicht des Einzelnen verstehen, einer Impfung auch dann zuzustimmen, wenn sie oder er es aus persönlichen Gründen vorzöge, nicht geimpft zu werden. In einem zweiten Schritt muss man fragen, ob eine Impfpflicht auch gesellschaftlich oder staatlich durchgesetzt werden soll und kann.


In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in der Medizinethik ein weitgehender Konsens herausgebildet, anhand welcher Kriterien eine Rechtfertigung politischer Maßnahmen wie eine Impfpflicht erfolgen sollte. Dabei geht es primär um eine Rechtfertigung staatlichen Handelns, aber die Argumente lassen sich auch für die Frage anwenden, ob es eine moralische Pflicht des Einzelnen gibt. Der zentrale Zielkonflikt wird zwischen individueller Entscheidungsfreiheit auf der einen und dem Gemeinwohl auf der anderen Seite gesehen, denn die Entscheidung der einzelnen Person, sich impfen zu lassen oder nicht, hat Konsequenzen für Dritte. In der Ökonomik nennt man so etwas einen externen Effekt, und dieser treibt einen Keil zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl. Diese Perspektive wird auch von der Medizinethik geteilt, denn dieser Externe Effekt macht die Impfentscheidung erst zu einer ethischen Frage.


Eine Impfpflicht wird als angemessen angesehen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: Erstens schädigt sich die geimpfte Person nicht unverhältnismäßig selbst. Impfungen reduzieren zweitens nicht nur die Wahrscheinlichkeit, selbst zu erkranken, sondern auch substanziell die Ansteckung Dritter. Impfungen weisen drittens im Vergleich zu anderen Maßnahmen das beste Nutzen-Schaden-Verhältnis auf.


Die wissenschaftliche Evidenz zu diesen drei Bedingungen ist deutlich: Die zugelassenen Impfstoffe sind gegen die derzeitigen Virusvarianten hocheffektiv, die Nebenwirkungen sind — obwohl vorhanden — in der überwältigenden Zahl der Fälle tolerierbar, und die Impfstoffe reduzieren auch die Ansteckung Dritter signifikant.


Was folgt hieraus für den Einzelnen aus einer ethischen Sicht? Die Mehrzahl der gegenwärtig diskutierten Ethiken würde aus diesem Umstand eine moralische Impfpflicht ableiten, und der Konsens reicht von sogenannten konsequenzialistischen Ethiken wie dem Utilitarismus bis hin zu sogenannten deontologischen Ethiken wie derjenigen Immanuel Kants. Sehr unterschiedliche Begründungsmodelle einer ethischen Pflicht führen zum selben Ergebnis: Wenn nicht für den individuellen Fall gesundheitliche Risiken dagegensprechen, bedeutet moralisches Handeln, sich impfen zu lassen. Dies nicht zu tun, bedeutet, seiner moralischen Pflicht gegenüber der Gesellschaft nicht gerecht zu werden. Und dies aus eigenem Antrieb aus einem Gefühl der Verantwortung zu tun, schützt auch die eigene, persönliche Freiheit, weil dadurch staatliche Eingriffe (wie ein neuer Lockdown) unnötig werden.


Was der Staat nicht regeln muss, sollte er nicht regeln

Eine Impfung als moralische Pflicht zu charakterisieren, mag hart klingen, denn sie besagt ja umgekehrt, dass Impfverweigerer gegen diese verstoßen. Hierzu sind zwei Bemerkungen angebracht. Erstens sieht man an der möglicherweise unbequemen Schlussfolgerung, dass wir es als Gesellschaft ein Stück weit verlernt haben, Interessenkonflikte als moralische Fragen der Eigenverantwortung wahrzunehmen. Zweitens hat diese Schlussfolgerung nichts mit einer "Moralisierung" zu tun, wie es mitunter negativ konnotiert in der öffentlichen Diskussion heißt.

Es ist eine ethische Begründung einer Pflicht. Und Ethik als rationale Ableitung konkreter Pflichten aus allgemeinen Prinzipien ist das Gegenteil eines "Bauchgefühls", wenn es um moralische Fragen geht.


Es wäre naiv zu denken, dass sich viele Menschen allein von einer utilitaristischen, kantianischen oder wie auch immer gearteten ethischen Argumentation von einer Impfung überzeugen lassen werden. Daher wird in der Medizinethik nicht nur eine individuelle Pflicht, sondern auch die Rechtfertigung staatlicher Regulierungen ausführlich diskutiert. Diese leitet sich aus der individuellen moralischen Pflicht ab, geht aber weiter."Der einzige Zweck, zu dem Macht rechtmäßig über ein Mitglied einer zivilisierten Gemeinschaft gegen seinen Willen ausgeübt werden kann, ist, Schaden von anderen abzuwenden", formulierte der liberale Philosoph John Stuart Mill.


Ein breiterer Blick in die Praxis zeigt: Der Staat folgt dieser Sicht in vielen Bereichen, in denen "Schaden von anderen abzuwenden" ist, so zum Beispiel mit Geboten (Versicherungspflicht), Verboten (Tempolimit in Städten) und Anreizen (Subventionen von sauberen Antrieben). Eine staatliche Impfpflicht ist jedoch ein in der heutigen Zeit ziemlich einmaliger Vorgang, da unmittelbar in die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen eingegriffen würde. Daher muss dies in besonderem Masse rechtfertigbar sein. Aus diesem Grund treten weitere ethische Kriterien hinzu. 


Die Ultima Ratio

Nutzen und Schäden sollten fair verteilt sein, die Privatsphäre respektiert und Informationen nach bestem Wissen transparent bereitgestellt werden, insbesondere auch, um Ängste und Vorbehalte zu adressieren. Und, welche Maßnahmen auch immer ergriffen werden, sie sollten stets die Ultima Ratio in einem Gesamtpaket von Maßnahmen bleiben und dabei dem Prinzip der Subsidiarität folgen: Was der Staat nicht regeln muss, sollte er nicht regeln, sondern dem Einzelnen überlassen. Eine Steigerung der Impfquote zum Beispiel durch Maßnahmen wie Anreize oder Impfprivilegien sollten in einer liberalen Gesellschaftsordnung möglichst Vorrang haben.


Gehen wir einige Möglichkeiten durch und schauen, wie sie sich zur persönlichen Freiheit des Einzelnen verhalten. Einen ersten Ansatz konnten wir in den vergangenen Wochen beobachten:


Man lanciert Kampagnen und arbeitet mit harten Anreizen wie Impflotterien, Stipendien oder dem kostenlosen Besuchen von Freizeitparks. Neuere Vorschläge aus der Verhaltensökonomik bringen sogenannte nudges ins Spiel, wie die unaufgeforderte Versendung eines Impftermins, der abgesagt werden muss, wenn er nicht wahrgenommen wird. Ein Nichterscheinen beim Impftermin könnte zusätzlich mit einer Strafe belegt werden. Eine Kombination aus Sensibilisierungskampagnen und Anreizen kann ein erstes Handlungsfeld für die Erhöhung der Impfquote darstellen.


Eine zweite Option, um die Zahl geimpfter Personen zu erhöhen, wäre die indirekte Durchsetzung von Impfungen durch nicht staatliche Akteure, indem andernfalls eine Diskriminierung stattfindet. Arbeitgebende, seien es Unternehmen oder andere Organisationen, können unter bestimmten Bedingungen ihre Mitarbeitenden zu einer Impfung verpflichten. Dies ist für Mitarbeitende im Pflege- und Gesundheitswesen plausibel nachvollziehbar (Frankreich will dazu eine gesetzliche Pflicht anordnen), kann aber auch weitergedacht und beispielsweise auf Lehrpersonal an Schulen und Universitäten, den Einzelhandel, die Gastronomie und so weiter ausgedehnt werden. Arbeitgebende sind je nach Rechtssystem in Deutschland, Österreich und der Schweiz teilweise befugt, ihre nicht impfwilligen Mitarbeitenden in andere Abteilungen zu versetzen oder sogar Kündigungen auszusprechen.


In einer gewissen Analogie dazu wäre eine indirekte Durchsetzung von Impfungen im Konsumbereich denkbar, indem der Kauf von Produkten (im Einzelhandel) oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen (der Restaurantbesuch, die Theaterveranstaltung, Fußball im Stadion genießen) an ein Impfzertifikat gebunden wird. Derartige Regelungen zu treffen, steht Unternehmen im Rahmen einer Vertragsfreiheit durchaus frei, wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel.


Diskriminierungen für Ungeimpfte

Für indirekte Durchsetzungsszenarien bei Mitarbeitenden beziehungsweise bei Konsumierenden wären selbstverständlich Ausnahmeregelungen erforderlich, zum Beispiel für Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Es ist sicherlich aus praktischen Gründen empfehlenswert, negative Corona-Tests als Alternative zu einem Impfzertifikat zuzulassen. Hier entsteht gleichwohl eine Abwägung: Wichtig für die Erhöhung der Impfquote ist, dass diese Tests kostenpflichtig sind, damit die gewünschte Anreizwirkung für eine Impfung resultiert. Gleichzeitig wird damit die Testbereitschaft gesenkt. 


Bei all diesen Maßnahmen verbleibt die Impfentscheidung beim Einzelnen, auch wenn zunehmend Kosten einer Nichtimpfung entstehen. Hier greifen Sanktionsmechanismen über bewusste Diskriminierungen für Ungeimpfte, die aber aus einer ethischen Sicht gerechtfertigt sind, wie wir ausgeführt haben.


Letztlich bleibt als dritte Option eine staatliche und im Extremfall allgemeine Corona-Impfpflicht. Man darf sich dabei eine Impfpflicht nicht als einen durch Behörden angeordneten physischen Zwangsakt vorstellen. Es handelt sich um eine Impfpflicht, nicht um einen Impfzwang. Es könnte folglich eine gesetzliche Anordnung zur Corona-Impfung geben, deren Nichtbefolgung eine Ordnungswidrigkeit darstellte, die entsprechend gebüßt würde. So wird ein Verstoß gegen die Masern-Impfpflicht in Berlin mit bis zu 2.500 Euro geahndet; eine Maßnahme, die sich seit ihrer Einführung im letzten Jahr im Übrigen als wirkungsvoll erwiesen hat.


Es ist unwahrscheinlich, dass die Gesetzgebenden im deutschsprachigen Raum eine allgemeine Corona-Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung einführen werden. Wenn man das gesamte Spektrum der Möglichkeiten betrachtet, die zur Erhöhung der Impfquote beitragen, zählt jedoch auch eine staatliche Impfpflicht zum Repertoire von Handlungsoptionen. Sie sollte nicht vorschnell politisch zu den Akten gelegt werden. Denn im Fall der Fälle könnte sie sich als eine letzte Notwendigkeit erweisen. Aus einer ethischen Sicht ist eine staatliche Impfpflicht vertretbar. Zugleich sollten wir eine derartige Maßnahme dem Subsidiaritätsprinzip folgend und um des sozialen Friedens willen möglichst vermeiden. 


THEMA: Corona-Impfung


DAS BESTE AUS Z+:


Info: https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-07/corona-impfung-pflicht-ethik-massnahmen-grundrechte/komplettansicht


Kommentar: Der Zweck soll jetzt die Mittel heiligen und die Diskriminierungen rechtfertigen           - Gute Nacht Demokratie!     Thomas Bauer

23.07.2021

Kommentar des Botschafters der Russischen Föderation in Deutschland S.J. Netschajew für die Nachrichtenagentur TASS

russische-botschaft.ru, 22. Juli 2021

Wir sind äußerst erstaunt über den Inhalt und Ton der „Gemeinsamen Erklärung der USA und Deutschlands zur Unterstützung der Ukraine, der europäischen Energiesicherheit und unserer Klimaziele“, die am 21. Juli veröffentlicht wurde.


Das Dokument ist von anrüchigen Passagen über Russlands „Aggression und destruktive Aktivitäten“ erfüllt. Es wird gedroht, unser Land für die Nutzung von Energie als „Waffe“ zu bestrafen, indem neue Sanktionen verhängt und „andere Instrumente“ eingesetzt würden. Im Grunde genommen wird ein Ultimatum gestellt, den Transit von russischem Gas durch die Ukraine nach Auslaufen der geltenden Vereinbarungen im Jahr 2024 um bis zu zehn Jahre fortzusetzen. Dabei werden wir aufgefordert, entsprechende Verhandlungen so bald wie möglich aufzunehmen.


Ein derartiger Stil des internationalen Austauschs halten wir für inakzeptabel. Russland hat nie Energie als „Waffe“ oder ein Druckinstrument benutzt. Und unsere westlichen Kollegen, die auch unsere langjährigen Partner im Energiebereich sind, sind sich dessen gut bewusst. Sie kennen ebenfalls unsere Haltung zu Drohungen und durch westliche Länder aus beliebigen Gründen verhängte rechtswidrige Sanktionen.


Russland ist kein Land, dem Ultimaten gestellt werden können, für das man Entscheidungen trifft und dem man arrogant Verpflichtungen auferlegen kann. Wir sind im Stande, unsere Politik – darunter auch im Energiebereich – souverän ohne Einmischung von außen zu bestimmen und sich dabei auf eigene Interessen wie auch langjährige Erfahrungen der gegenseitig vorteilhaften Kooperation mit europäischen Partnern zu stützen.


Info:  https://russische-botschaft.ru/de/2021/07/22/kommentar-des-botschafters-der-russischen-foederation-in-deutschland-s-j-netschajew-fuer-die-nachrichtenagentur-tass
23.07.2021

Im militärischen Sperrgebiet                                                                                            Der Machtkampf zwischen der Türkei und der EU droht erneut zu eskalieren - diesmal im Rahmen des Zypernkonflikts.

german-foreign-policy.com, 23. Juli 2021

ANKARA/NIKOSIA/BRÜSSEL(Eigener Bericht) - Eine nächste Eskalationsrunde im Machtkampf zwischen der EU und der Türkei zeichnet sich im Rahmen des Zypernkonflikts ab. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat zu Wochenbeginn seine Forderung vom Herbst vergangenen Jahres bekräftigt, eine Zweistaatenlösung für die Mittelmeerinsel anzustreben. Damit untergräbt Ankara die bisherige, auch von den Vereinten Nationen vertretene Position, es müsse eine Vereinigung des EU-Mitglieds Republik Zypern mit der lediglich von der Türkei anerkannten Türkischen Republik Nordzypern angestrebt werden. Erdoğan und der nordzyprische "Präsident" Ersin Tatar verleihen der Forderung mit der Ankündigung Nachdruck, einen Teil des bisherigen militärischen Sperrgebiets Varosha für die nordzyprische Bevölkerung zu öffnen. Deutschland und die EU weisen den türkischen Vorstoß kategorisch zurück. Gleichzeitig teilt Erdoğan mit, schon bald wieder Forschungsschiffe zur Erkundung etwaiger Erdgaslagerstätten in Gewässer zu entsenden, die Zypern für sich beansprucht. Damit steht erneut Streit bevor.


Zitat: Der Zypernkonflikt

Der bis heute ungelöste Zypernkonflikt geht letztlich auf den Putsch vom 15. Juli 1974 zurück, mit dem sich zyprische Militärs - unterstützt und angeleitet von der griechischen Militärdiktatur - in Nikosia an die Macht zu bringen suchten. Ihr Ziel war es, den Anschluss Zyperns an Griechenland ("enosis") durchzusetzen. Der Putsch scheiterte. Die Türkei nahm ihn jedoch zum Anlass, am 20. Juli 1974 - sich auf ihre Rolle als Schutzmacht der türkischsprachigen Minderheit berufend - auf Zypern einzumarschieren und das nördliche Drittel der Insel zu besetzen. Eine von den Vereinten Nationen kontrollierte Pufferzone trennt beide Landesteile bis heute. Der Norden konstituierte sich 1983 als Türkische Republik Nordzypern, wird jedoch bis heute einzig von der Türkei als Staat anerkannt. Der Süden, die Republik Zypern, ist seit 2004 Mitglied der EU. Offizielles Ziel ist es eigentlich, die Vereinigung des Nordens und des Südens zu erreichen. Den letzten aussichtsreichen Vorstoß unternahm im Jahr 2004 UN-Generalsekretär Kofi Annan; er scheiterte jedoch: Während zwei Drittel der nordzyprischen Bevölkerung seinem Plan zustimmten, wiesen drei Viertel der Einwohner der Republik Zypern ihn zurück. Seitdem sind zwar zuweilen neue Gespräche aufgenommen worden; ein Erfolg war und ist aber nicht in Sicht.


"Zwei getrennte Staaten"

Im vergangenen Jahr hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan begonnen, in den Konflikt offen zu intervenieren. Im November 2020 besuchte er Nordzypern und forderte dort, auf das Ziel einer Vereinigung des Nordens mit dem Süden zu verzichten und stattdessen eine offizielle Zweistaatenlösung anzustreben: Es gebe "zwei Völker und zwei getrennte Staaten auf Zypern".[1] Erdoğan wurde dabei vom seit Oktober 2020 amtierenden "Präsidenten" der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern, Ersin Tatar, unterstützt. Erdoğan und Tatar halten seitdem an dem Ziel fest. Erdoğan hat dies bekräftigt, als er zu Wochenbeginn aus Anlass des 47. Jahrestages der türkischen Invasion Nordzypern besuchte. Verhandlungen zur Lösung des Zypern-Konflikts könnten künftig nur noch "zwischen zwei Staaten" geführt werden, erklärte er; dazu müsse die "Souveränität" Nordzyperns und seine "Gleichberechtigung" mit der Republik Zypern anerkannt werden.[2] Um seine Forderung zu untermauern, wies Erdoğan darauf hin, dass die bisherigen Gespräche seit fast 50 Jahren erfolglos geblieben und zuletzt, 2004, an der Ablehnung des Annan-Vorschlags durch die griechischen Zyprer gescheitert seien. Man könne nicht noch weitere 50 Jahre verhandeln, äußerte der türkische Präsident.


Varosha

Um den Druck zu erhöhen, nutzen Erdoğan und der nordzyprische "Präsident" Tatar einen bis vor kurzem weitgehend in Vergessenheit geratenen Stadtteil der Stadt Famagusta, Varosha. Famagusta (türkisch: Gazimağusa) gehört zu Nordzypern. Varosha war bis 1974 wegen seiner Badestrände prominent. 1974 flohen die rund 40.000 griechischsprachigen Zyprer, die in dem Stadtteil lebten, vor den türkischen Truppen. Seitdem ist das Viertel, das unmittelbar an die Pufferzone grenzt, unbewohnt und militärisches Sperrgebiet. Der Zustand ist in Resolutionen des UN-Sicherheitsrats bestätigt worden; ergänzend hieß es stets, den aus Varosha geflohenen griechischsprachigen Zyprern müsse ihr dortiges Eigentum zurückgegeben werden. Erdoğan und Tatar haben bereits im Herbst 2020 eine partielle Öffnung des Strandes durchgesetzt; Erdoğan hielt dort im November vergangenen Jahres eine Veranstaltung ab.[3] Bei seinem Besuch Anfang dieser Woche hat er Plänen seine Unterstützung zugesagt, einen kleinen Teil Varoshas zu öffnen; die Rede ist von nicht näher definierten "3,5 Prozent".[4] Der Außenstehenden eher nichtig erscheinende Schritt hat praktische Konsequenzen und kann daher, anders als die nur verbale Forderung nach Zweistaatlichkeit, von der EU nicht übergangen werden.


"Inakzeptabel"

Berlin und die EU haben umgehend reagiert. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts forderte, "die Kontrolle über den Ort" Varosha müsse der UN-Mission in Zypern (United Nations Peacekeeping Force in Cyprus, UNFICYP) übertragen werden; Erdoğans Vorgehen gefährde "die Fortschritte der letzten Monate in den EU-Türkei-Beziehungen".[5] EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, Brüssel werde eine Zweistaatenlösung "nie anerkennen".[6] Der Außenbeauftragte der Union, Josep Borrell, nannte den türkisch-nordzyprischen Vorstoß eine "inakzeptable einseitige Entscheidung". Auch Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian wies jeglichen Gedanken an eine Zweistaatenlösung zurück und sprach von einer "Provokation". US-Außenminister Antony Blinken schloss sich an und stellte in Aussicht, die USA würden gemeinsam "mit gleichgesinnten Partnern" die "besorgniserregende Situation an den UN-Sicherheitsrat" verweisen und "auf eine entschlossene Reaktion drängen".[7] Damit freilich stünde die von Erdoğan geforderte Zweistaatenlösung auf der Tagesordnung der internationalen Diplomatie.


Warnschüsse

Die aufgeladene Debatte entzündet sich zu einem Zeitpunkt, zu dem der Zypern-Konflikt ohnehin neue Wellen zu schlagen beginnt. Ende vergangener Woche kam es zu einem Zusammenstoß, als ein türkisches Patrouillenboot Warnschüsse auf ein Schiff der zyprischen Küstenwache abgab, das sich offenbar der Demarkationslinie zwischen der Republik Zypern und Nordzypern näherte. Die türkische Seite streitet die Warnschüsse ab.[8] Schon zu Monatsbeginn hatte Erdoğan mitgeteilt, wieder Forschungsschiffe zu Probebohrungen auch in Gewässer schicken zu wollen, die die Republik Zypern für sich beansprucht.[9] Entsprechende Schritte hatten im vergangenen Jahr zu teilweise schweren Konfrontationen geführt (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Freilich ist die türkische Regierung in der Lage, die Spannungen anzuheizen, weil die EU - vor allem auf deutschen Druck - an ihrem Flüchtlingspakt mit Ankara festhält und deshalb ihrerseits nicht ungehemmt eskalieren kann. Die seit Jahren unübersehbare Unfähigkeit Berlins und Brüssels, den türkischen Machtzuwächsen nicht nur im östlichen Mittelmeer, sondern etwa auch in Syrien, in Libyen oder im Südkaukasus etwas entgegenzusetzen, weist zudem auf die Schwächung Westeuropas im Rahmen des allgemeinen Abstiegs des Westens hin.

 

[1] Erdogan fordert dauerhafte Zwei-Staaten-Lösung für Zypern. dw.com 15.11.2020.

[2], [3] Erdogan fordert erneut Zwei-Staaten-Lösung für Zypern. n-tv.de 20.07.2021.

[4] EU, US reject Erdogan's plans for a two-state solution in Cyprus. euractiv.com 21.07.2021.

[5] Zypern-Konflikt wird Fall für den Sicherheitsrat. tagesschau.de 21.07.2021.

[6] EU, US reject Erdogan's plans for a two-state solution in Cyprus. euractiv.com 21.07.2021.

[7] Zypern-Konflikt wird Fall für den Sicherheitsrat. tagesschau.de 21.07.2021.

[8] Zypern: Türkisches Patrouillenboot feuert Warnschüsse ab. orf.at 16.07.2021.

[9] Gerd Höhler: Wieder droht Gas-Ärger im Mittelmeer: Erdogan kündigt neue Bohrungen an. rnd.de 05.07.2021.

[10] S. dazu Eskalation im Mittelmeer und Eskalation im Mittelmeer (II).

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