Wie man die Linke in den Krieg lockt … – oder: „Antiimperialismus“ und „Decolonize Russia!“
nachdenkseiten.de, 31. Januar 2025 um 10:00 Ein Artikel von Leo Ensel
Der Stellvertreterkrieg in der Ukraine führt auch im Westen zu höchst merkwürdigen Verwerfungen. Nicht wenige stramme Linke (oder sich als solche Definierende) plädieren plötzlich, in trauter Einheit mit konservativen Scharfmachern, für den Einsatz westlicher Waffensysteme gegen Ziele in Russland – inclusive Taurus-Marschflugkörpern! Sie dazu zu bringen, ist viel leichter, als man denkt: Man muss sie nur richtig ködern. Von Leo Ensel.
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„Die Linke“, wenn man das mal so unstatthaft verallgemeinern darf, war in ihrer Gesamtheit nie pazifistisch. Im Gegenteil: Dezidiert pazifistische Positionen wurden nicht selten mit Hohn und Spott übergossen. Aber es gab zu allen Zeiten immer wieder große Persönlichkeiten, die zumindest gegen bestimmte Kriege unmissverständlich und wortgewaltig Position bezogen – und diesen Antikriegseinsatz oft bitterst bezahlen mussten. „Antimilitarismus“ nannte man das.
Antimilitarismus
Zu Recht erinnern wir uns jedes Jahr Mitte Januar an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die Persönlichkeiten der deutschen Linken, die einem in diesem Zusammenhang als Erste einfallen.
Rosa Luxemburg, der es am Vorabend des Ersten Weltkriegs, 1912, zusammen mit dem französischen Sozialisten Jean Jaurès in Paris gelang, die europäischen Arbeiterparteien im Falle eines Krieges auf einen Generalstreik zu verpflichten (der dann aber, als es ernst wurde, doch nicht stattfand); die im Herbst 1913 auf einer Antikriegsdemonstration in Frankfurt am Main die Hunderttausende Menschen zählende Menge zu Kriegsdienst- und Befehlsverweigerung aufrief: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: ‚Nein, das tun wir nicht!‘“ und dafür zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt wurde; die einen Nervenzusammenbruch erlitt, als die SPD am 4. August 1914 zusammen mit den anderen Reichstagsfraktionen einstimmig für die Aufnahme eines milliardenschweren Sondervermögens zur Kriegsfinanzierung stimmte und kurzfristig sogar an Selbstmord dachte; die zwischen 1915 und 1918 insgesamt drei Jahre und vier Monate in verschiedenen Gefängnissen interniert war und am 15. Januar 1919 von Freikorpssoldaten heimtückisch ermordet und in den Landwehrkanal geworfen wurde.
Karl Liebknecht, der bereits 1907 eine Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ verfasste und dafür noch im selben Jahr wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu anderthalb Jahren Festungshaft verurteilt wurde; der noch im Juli 1914 in Belgien und Frankreich auf Antikriegsveranstaltungen sprach und am 2. Dezember 1914 als einziger Reichstagsabgeordneter den Mut hatte, gegen die Bewilligung eines weiteren Sondervermögens zur Kriegsfinanzierung zu stimmen; der am 1. Mai 1916 als Führer einer Antikriegsdemonstration auf dem Potsdamer Platz das Wort mit den Sätzen „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“ ergriff und daraufhin erneut wegen Hochverrats angeklagt und zu vier Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt wurde, von denen er knapp zwei Jahre absaß; und der am selben Tag wie Rosa Luxemburg von Freikorpssoldaten ermordet wurde.
Das Trojanische Pferd
Noch einmal: Auch wenn man bisweilen situativ antimilitaristisch Position bezog, pazifistisch war „die Linke“ nie. Wie ja überhaupt die Anwendung von Gewalt nie grundsätzlich abgelehnt wurde. Subkutan schwangen immer Ideen vom ‚gerechten Krieg‘ und ‚gerechter Gewalt‘ mit – jedenfalls solange beides entweder revolutionär, antiimperialistisch oder antikolonialistisch war!
Und genau hier liegt die linke Achillesferse. Hier ist der Punkt, wo am leichtesten ein Trojanisches Pferd in den Diskurs eingeschleust werden kann, mit dem, stellt man es geschickt an, manche Linke (oder solche, die sich dafür halten) bis in einen Dritten Weltkrieg hineingelockt werden können. Im Falle der Ukraine geht das so:
Schafft man es, bestimmten Menschen, die sich für links halten, die These anzudrehen, die Ukraine befände sich in einem „antiimperialistischen Abwehrkampf“ oder, noch weitergehend, Russland müsse unbedingt „dekolonisiert“ werden, dann hat man diese Leute höchst elegant auf Linie gebracht. Plötzlich finden die sich nämlich besten Gewissens nicht nur in unmittelbarer Nähe zu smart-woken Lifestyle-„Linken“ wie Baerbock, Habeck und Hofreiter, sondern gleich in einer Frontlinie mit den ungeschminkten Scharfmachern Strack-Zimmermann, Kiesewetter, Wadephul und Friedrich Merz wieder. Hätten sie genug Mumm in den Knochen, könnten sie gleich als Interbrigadisten Seit an Seit mit ultranationalistischen ukrainischen Paramilitärs fröhlich in den Kampf ziehen.
Eine atemberaubende „Einheitsfront“, indeed!
„Antiimperialismus“ …
Für die meisten reicht es allerdings vorerst, entsprechendes Gerät in die Ukraine zu schicken oder vom sicheren Hafen aus vollmundig entsprechende Erklärungen in die Welt hinauszutönen. Wie die Spitzenkandidatin der Partei „Die Linke“ für das Europaparlament Carola Rackete, die im September vergangenen Jahres dort zusammen mit Abgeordneten linker Parteien aus Finnland, Schweden und Dänemark für eine Resolution stimmte, in der die Mitgliedsstaaten der EU aufgefordert wurden, „Beschränkungen des Einsatzes westlicher Waffen gegen legitime militärische Ziele im Hoheitsgebiet Russlands unverzüglich aufzuheben“. Einige der „The Left“-Fraktion stimmten sogar ausdrücklich für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. (Maßnahmen, denen sich ausgerechnet Ex-US-Präsident Joe Biden mit der Begründung, er wolle eine direkte militärische Konfrontation zwischen den USA und Russland unbedingt vermeiden, lange Zeit verweigert hatte!) In einem Interview mit der italienischen Zeitung La Stampa begründete die ehemalige Kapitänin von Sea-Watch das so:
„Links zu sein bedeutet, an der Seite der Unterdrückten zu sein, sei es in Palästina, Kurdistan oder der Ukraine. Wenn wir uns darüber einig sind, wer Recht und wer Unrecht hat, können wir nur in diese Richtung handeln. Ich war immer kritisch gegenüber der NATO, aber in diesem Fall ist die Situation ganz klar: Es war Russland, das nach Georgien zum zweiten Mal in die Ukraine einmarschiert ist. Putin erkennt die Souveränität der Ukraine nicht an und will sie zerstören. Es gibt ein eindeutig unterdrücktes Volk und es ist unsere Pflicht, ihm bei der Verteidigung zu helfen. Es ist keine Frage von Ost oder West, von Russland oder der NATO. Es ist eine Frage des Imperialismus. Wir müssen den Schwächeren helfen, sich gegen die Missbräuche der Stärkeren zu verteidigen, und Russland ist eindeutig stärker als die Ukraine. Aus diesem Grund muss die EU weiterhin Waffen an Kiew liefern und zulassen, dass es auf russischem Territorium angreift.“
Wer so schnell weiß, wer hier gut und wer böse ist, wer geradezu reflexartig auf der richtigen, nein: gerechten Seite sich wähnt und entsprechend handelt, hat es natürlich nicht nötig, sich um eine intensive Analyse der Vorgeschichte dieses Krieges und seiner Ursachen zu kümmern. Dass sie mit ihrem Engagement für die „Unterdrückten“ uns alle im Worst Case in einen Krieg mit Russland hineinziehen würde, nimmt die Kämpferin gegen das Unrecht – Putins Drohung mit der Atombombe ist für sie nur „ein Bluff“ – billigend in Kauf!
Mit einem Wort: Wer gegen den Imperialismus kämpft, also Antiimperialistin ist, darf zur Not auch den ganz großen Krieg in Europa, ja am Ende noch den Weltkrieg riskieren – ein wahrlich halsbrecherisches Manöver, dem (und da ist Frau Rackete durchaus konsequent) der Vater der linken Imperialismustheorie, ein gewisser Wladimir Iljitsch Uljanov, seinen Segen sicher nicht verweigert hätte.
… und „Decolonize Russia!“
Noch bunter treiben es manche – sie verstehen sich ebenfalls als Linke –, die bei dieser Gelegenheit gleich die gesamte Russische Föderation filetieren, pardon: entkolonialisieren wollen.
Die Idee ist nicht ganz neu, und ihre Vertreter stehen spätestens seit dem 24. Februar 2022 wieder aktionsbereit in den Startlöchern. Schon Dick Cheney, von 1989 bis 1993 Verteidigungsminister unter George H. W. Bush, wollte Anfang der Neunzigerjahre „nicht nur die Auflösung der Sowjetunion, sondern auch Russlands selbst, damit es nie wieder eine Bedrohung für den Rest der Welt darstellen kann“. Was damals verpasst wurde – „das russische Imperium zu zerschlagen“ –, soll nun endlich nachgeholt werden. Ende Mai 2022 schrieb der US-amerikanische Autor Casey Michel in der angesehenen Zeitschrift The Atlantik:
„Der Westen muss das 1991 begonnene Projekt zu Ende führen. Er muss versuchen, Russland vollständig zu entkolonialisieren. Sobald die Ukraine Russlands Versuch einer erneuten Kolonisierung abwehrt, muss der Westen die vollständige Freiheit der russischen imperialen Untertanen unterstützen.“
Und es blieb nicht bei pompösen Forderungen. Ein im Mai 2022 gegründetes „Free Nations of Postrussia Forum“ – es tagte unter anderem am 31. Januar 2023 im Europäischen Parlament in Brüssel – listet ganze 41 Regionen der Russischen Föderation auf, die es in selbstständige Staaten zu verwandeln gilt! Unter anderem finden sich dort, bereits mit den passenden Nationalflaggen, eine Schwarzerde-Republik (prospektive Hauptstadt: Woronesch), eine Wolga-Republik (Samara), die Vereinigten Staaten von Sibirien (Novosibirsk) und eine Pazifische Föderation (Chabarowsk). (By the way: Nationalistische Ukrainer haben sich für den verbleibenden russischen Reststaat auch schon einen neuen Namen ausgedacht: „Moskowien“!)
In Westeuropa sprangen nicht nur Hardliner wie die EU-Außenbeauftrage und Kommissionsvizepräsidentin Kaja Kallas auf den Dekolonisierungszug, auch einige Linke stürzten sich auf den Braten, allen voran die taz und die Heinrich-Böll-Stiftung, die im November 2023 prompt ein „11. Europäisches Geschichtsforum: Dekolonisiert Euch!“ veranstaltete. Kurz: Europäische Linke und stramm neokonservative Kreise der „Einzigen Weltmacht“ wittern in trauter Einheit dekolonialistische Morgenluft! (Auf die Idee, unter diesem Motto auch noch die westliche Hegemonialmacht selbst zu zerlegen, kommt man bezeichnenderweise nicht …)
Die Folgen, falls die Büchse der Pandora tatsächlich geöffnet würde? Die blutigen Kriege Anfang der Neunzigerjahre im postsowjetischen Raum – Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Moldawien – und im zerfallenen Jugoslawien lassen grüßen!
Aber damit nicht genug: Die Nukleardoktrin der Russischen Föderation sieht seit dem Jahr 2020 für den Fall einer Existenzbedrohung des Staates nichts weniger als einen möglichen Einsatz von Atomwaffen vor. Vielleicht sollte man das mit einkalkulieren, bevor man atemberaubende Dekolonialisierungsforderungen forsch in die Welt hinausposaunt. Auch für sich als antiimperialistisch und/oder dekolonialistisch gerierende Linke gilt der klassische Satz aus einem berühmten Buch:
„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!“
Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge.
Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=128046
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Weiteres:
Linke in den Krieg locken …
Frieden ist erst nach dem Ende des Kapitalismus?
uhudla.at, vom 3. Februar 2025 max AKTUELL, Artikelarchiv, LDFL, WeltanschauungFrieden & Abrüstung, Friedensbewegung, Imperialismus, International, Krieg & Frieden, LDFL-Forum & Diskussion, Leo Ensel, Martin Leo, NachDenkSeiten

LDFL Forum & Diskussion ■ Anmerkungen zu Trojanischen Pferden – Leo Ensels Theorie über „linke“ Freude am NATO-Krieg.
Von Martin Leo
„Der Stellvertreterkrieg in der Ukraine führt auch im Westen zu höchst merkwürdigen Verwerfungen. Nicht wenige stramme Linke plädieren in trauter Einheit mit konservativen Scharfmachern, für den Einsatz westlicher Waffensysteme gegen Ziele in Russland – inclusive Taurus-Marschflugkörpern! Sie dazu zu bringen, ist viel leichter, als man denkt: Man muss sie nur richtig ködern” , schreibt Leo Ensel auf der bundesdeutschen Internetzplattform „Nachdenk-Seiten“.
Der Konfliktforscher Leo Ensel wirft in einem unter anderen auf den „Nachdenk-Seiten“ am 31. 1. 25 erschienenen Beitrag („Wie man die Linke in den Krieg lockt … – oder: ‚Antiimperialismus‘ und ‚Decolonize Russia!‘“) die interessante Frage auf, wie es denn eigentlich sein könne, dass „stramme Linke“ oder, wie Ensel einräumt, sich bloß als „solche Definierende“ mit Konservativen in Deutschland zu den Scharfmachern des Ukraine-Kriegs gehören könnten. Um diese Frage seriös zu beantworten oder wenigstens einen entsprechenden Versuch zu wagen, müsste man allerdings viel tiefer graben, als Ensel es hier tut.
Leo Ensels Argumentation in seinem Artikel ist etwas umständlich und erschließt sich nicht sofort
Möglicherweise liegt das daran, dass Ensel die von ihm verwendeten Begriffe nicht weiter definiert. Das beginnt mit der Zuschreibung jener, die er, wie weit gefasst oder „unstatthaft verallgemeinernd“ (Ensel) auch immer, irgendwie zu den „Linken“ zählt. Im weiteren Fortgang erweist sich diese Methode des „alles in einen Topf Werfens“ jedoch als die wesentliche Voraussetzung, die dem Autor ermöglicht, zu seinen seltsamen Schlussfolgerungen zu gelangen.
Wenn Ensel feststellt, dass „die Linke“ insgesamt „nie pazifistisch“ gewesen sei, dann ist dies vermutlich als Vorwurf an „die Linke“ zu verstehen, denn sie habe solche Positionen „mit Hohn und Spott“ übergossen. Klingt hier schon durch, dass „die Linke“ oder zumindest weite Teile von ihr eigentlich kriegsaffin seien, so muss er, dieser Logik folgend, um so mehr jene großen „Persönlichkeiten“ loben, die „zumindest gegen bestimmte Kriege unmissverständlich und wortgewaltig Position bezogen“: „Das“ nenne man dann „Antimilitarismus“.
Ensel grüßt den Gesslerhut. Er schreibt, „wir“ erinnerten uns jährlich „zu Recht“ an Rosa und Karl
Es ist schön, wenn auch Herrn Ensel „in diesem Zusammenhang“ Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg einfallen. Aber noch schöner und für seine Fragestellung erhellender wäre es gewesen, wenn er sich mit uns daran erinnert hätte, dass für beide Persönlichkeiten ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Antikapitalismus und Antimilitarismus bestand. Nur wenn man diese Tatsache unterschlägt, kann man auf Ensels Idee kommen, die heutigen Kriegsversteher unter ehemaligen deutschen Linken könnten in der Tradition ausgerechnet von Liebknecht und Luxemburg stehen.
Diese neoliberale „Linke“, um die es sich heute tatsächlich handelt, ist und war ganz überwiegend mit völlig anderen Ideen verwurzelt als ausgerechnet mit jenen von Liebknecht und Luxemburg. Wäre Antikapitalismus der Ausgangspunkt ihrer Überzeugungen gewesen, wären ihre Antworten nicht nur, aber auch auf den Ukrainekrieg ganz anders ausgefallen.
Tatsächlich finden wir im Milieu „linker“ NATO-Versteher kaum Leute, deren politische Vergangenheit oder Gegenwart sie als Kenner und Vertreter der antiimperialistischen Bewegung etwa im Lenin’schen Sinne ausweist. Dafür finden wir sicher sehr viel mehr ehemalige Pazifisten oder „sich als solche Definierende“… (wofür aufrechte Pazifisten nichts können) und auch Leute, die einst gern mit den Maoisten in den Krieg gegen die Sowjetunion gezogen wären.
Leo Ensel kann sich seine Verbeugung vor Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sparen…
…wenn er im gleichen Atemzug anklingen lässt, diese hätten nur „situativ antimilitaristisch Position“ bezogen. Das kann eben nur behaupten, wer Pazifismus und Antimilitarismus begrifflich nicht voneinander abgrenzt. Der „situative“ Antimilitarismus ist permanenter Zustand und ergibt sich aus der sozialistischen Kapitalismuskritik. „Situativ“ ist eher der Pazifismus, den man situationsbedingt leicht über Bord wirft, eventuell zusammen mit jedwedem Antikapitalismus, wenn man ihn denn überhaupt je vertrat.
Das „Trojanische Pferd“ für das Einschleusen von Kriegsbegeisterung in „die Linke“ ist eben keinesfalls „der Antiimperialismus“, wie Ensel konstruiert, nachdem er Begriffe und Personen von Baerbock bis Lenin wild durcheinander gewirbelt hat. Es macht zwar einigen Sinn, die EU-Abgeordnete der „Die Linke” Carola Rackete, als Befürworterin von deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine in einem Atemzug mit Imperialisten wie Dick Cheney und antirussischen „Entkolonialisierungs“fantasien zu nennen. Völlig absurd und lächerlich wird Ensels Argumentation aber, wenn er meint, Racketes gegen Russland gerichteten „Antiimperialismus“ auch noch den Segen ausgerechnet Lenins geben zu dürfen, des „Vaters der linken Imperialismustheorie“.
In den Politik- und Sozialwissenschaften rächt es sich, wenn nicht wie in den exakten Wissenschaften wenigstens ansatzweise der Versuch unternommen wird, Begriffe zu definieren oder unterschiedliche Inhalte gleicher Begriffe zu deuten.
Schlimmstenfalls muss man sich vorwerfen lassen, falsche Narrative zu propagieren.
Kann es denn also sein, dass Leo Ensel wirklich glaubt, in Frau Carola Rackete eine Anhängerin Lenins vor sich zu haben…? Eine, die weiß, dass die Ursache imperialistischer Aggressivität das Streben von Monopolen nach Expansion, nach neuen Rohstoffquellen, nach neuen Absatzmärkten und Kapitalanlagemöglichkeiten ist? Wäre das bei Frau Rackete und all den anderen „linken“ Nato-Verstehern der Fall, dann müssten wir um den Frieden weniger fürchten. Sie wüssten auch diesen Krieg anders zu interpretieren. So aber verdient Racketes Imperialismusvorwurf nicht den Segen Lenins, sondern den von Scholz, der Russland im September 2022 in der UNO „blanken Imperialismus“ vorwarf und damit angebliches Expansionsstreben meinte.
Die „linken“ NATO-Freunde haben eine andere ideologische Vorgeschichte als es Ensel meint
Es würde lohnen, sie tatsächlich zu erforschen. Ihre Ursprünge liegen noch vor den europäischen Ereignissen von 1989 ff., die nicht zu einem irgendwie besseren Sozialismus, sondern letztlich zur weiteren Marginalisierung sozialistischer und besonders leninistischer Einflüsse in Europa führten und die NATO-Kriege in Jugoslawien und der Ukraine erst ermöglichten.
Welchen praktischen Sinn hat die falsche Fährte, auf die uns Ensel führt? Geht es überhaupt um die Frage nach den Ursprüngen angeblich linker Freude am NATO-Krieg? Oder lautet die eigentliche Botschaft mit Blick zum Beispiel auf die Friedensbewegung:
Gebt Acht auf die linken Antiimperialisten! Es sind gar keine echten Kriegsgegner wie die Pazifisten! Sie sind nur „situativ“ dabei! Nun, das stimmt. Der „Pazifismus“ von Antikapitalisten und Freunden von Liebknecht, Luxemburg und Lenin beginnt „situativ“ erst nach dem Ende des Kapitalismus. Solange sind sie Antimilitaristen und es gilt, frei nach Lenin, dass sie „die Kriege unter den Völkern stets als barbarische und bestialische Sache verurteilen“.
Martin Leo, Jahrgang 1955 ist Politwissenschaftler, Diplom-Politologe und Autor. Er lebt in Lagos, Portugal. Er ist Aktivist und Mitgründer der Linken Deutschsprachigen Freunde Lagos LDFL.
Nachdenk-Seiten: ‚Antiimperialismus‘ und ‚Decolonize Russia!‘
Info: https://uhudla.at/2025/02/03/wie-man-die-linke-in-den-krieg-lockt
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.