fr.de, vom 26.12.2021, 15:45, GASTBEITRAGDeutschland muss in der EU gegen Atomenergie und gegen Frankreichs nukleares Waffenprogramm vorgehen. Der Gastbeitrag von Angelika Claußen.
Zitat: Beim ersten Staatsbesuch von Kanzler Olaf Scholz in Paris lagen viele europapolitische Themen auf dem Tisch. Zum Jahreswechsel übernimmt Frankreich die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union (EU) und nächstes Jahr stehen französische Wahlen an. Für Emmanuel Macron ist es damit entscheidend, französische Interessen auf EU-Ebene und gegenüber Deutschland unmissverständlich zu vertreten.
In den vergangenen Jahren hat sich Macron zusehends deutlicher als Verfechter der Atomkraft positioniert. Geschichtlich gesehen ist Frankreichs unabhängige Entwicklung der Atomtechnologie für Atomwaffen und Energieerzeugung eine wichtige Quelle nationalen Stolzes.
Seit den 1990er Jahren ist der Atom-Trend jedoch rückläufig, eine Folge der Atomkatastrophe von Tschernobyl. Jährliche Berichte von Mycle Schneider zeigen, dass Atomenergie weltweit, auch in Frankreich im Niedergang ist. Dennoch wirbt das Land unermüdlich für Investitionen in die Atomenergie.
Auf EU-Ebene soll die Technologie nach dem Willen Frankreichs als nachhaltig eingestuft werden – bis Ende des Jahres möchte die EU-Kommission darüber entscheiden. Die EU-Taxonomie soll als zentrales Finanzwerkzeug Investitionen in bestimmte Energiezweige als nachhaltig einstufen und fördern.
Welche Interessen für Frankreich hinter der Atomenergie stehen, zeigt ein Zitat aus der Rede von Emmanuel Macron bei seinem Besuch in der Atomschmiede Le Creusot 2020: „Ohne zivile Atomenergie gibt es keine militärische Nutzung der Technologie – und ohne die militärische Nutzung gibt es auch keine zivile Atomenergie.“
Im Klartext heißt das: Ohne speziell ausgebildete Ingenieurinnen und Ingenieure sowie eine Atomwirtschaft, die auf dem neuesten Stand der Technik ist, kann Frankreich sein Atomwaffenarsenal nicht weiter ausbauen und modernisieren. Ein Beispiel ist die Forschung an SMR-Reaktoren – kleine Atomreaktoren die vor allem dem Antrieb von U-Booten dienen, die mit Atomraketen bestückt sind. Durch eine zivil-nukleare Infrastruktur lassen sich diese geplanten, neuen atombetriebenen U-Boote und Flugzeugträger weitaus kostengünstiger herstellen.
Die USA und Großbritannien haben längst begonnen, in die SMR-Technologie zu investieren. Nachdem der Export von französischen U-Booten nach Australien geplatzt ist, will Präsident Macron nun nachziehen, deshalb kündigte er die Investition in „Minireaktoren“ an.
Info: https://www.fr.de/meinung/mehr-sicherheitohne-kernenergie-91201441.html
Weiteres:
Europa mit Atomkraft dekarbonisieren?
Im Kern gespalten
klimareporter.de, vom 01. Januar 2022, von Joachim Wille
Während Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, wollen Länder wie Frankreich und die Niederlande neue Reaktoren bauen. Das sorgt für Streit über den Weg zur Klimaneutralität in der EU. Dabei liegen aber nicht alle Karten auf dem Tisch.
Teurer, später, anfälliger: Frankreichs Superreaktor in Flamanville ist immer noch nicht fertig. Nun tritt Präsident Macron die Flucht nach vorn an – während Deutschland abschaltet. (Foto:
EDF)
Für die Anti-Atom-Bewegung ist es ein Festtag. Noch vor dem Jahreswechsel wurde die Hälfte der sechs hierzulande noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke stillgelegt. Die Reaktoren Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C produzierten ihre letzten Kilowattstunden.
"Wofür sich Hunderttausende über Jahrzehnte eingesetzt haben, wird an drei AKW-Standorten Wirklichkeit", sagte Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation "Ausgestrahlt". Jetzt endlich zahle sich der lange Atem der Aktiven aus.
Tatsächlich kommt der deutsche Atomausstieg damit in die Endphase. Demnächst laufen nur noch drei der einstmals 19 Leistungsreaktoren, nämlich Lingen, Neckarwestheim 2 sowie Isar 2, und diese müssen bis Ende 2022 ebenfalls abgeschaltet werden. So steht es im Atomgesetz, das 2011 nach der Fukushima-Katastrophe vom Bundestag mit einer breiten Mehrheit auf Ausstieg gepolt wurde.
Die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte, nachdem in Japan die Reaktoren des AKW Fukushima Daiichi explodiert waren, rasant den Kurs gewechselt. "Das war's", habe sie angesichts der verheerenden TV-Bilder durchgehender Reaktoren gesagt, wird kolportiert.
Folge: Der von ihrer schwarz-gelben Koalition erst im Jahr vorher rückgängig gemachte rot-grüne Atomausstieg wurde praktisch erneut bestätigt – mit sukzessiver Abschaltung der Reaktoren binnen elf Jahren. Anno 2010 lieferte die Kernspaltung noch 22 Prozent des hierzulande verbrauchten Stroms, 2022 werden es fünf bis sechs Prozent sein, 2023 null.
Nun, da es mit dem AKW-Ausstieg in Europas größter Volkswirtschaft tatsächlich ernst wird, nimmt in der EU die Debatte über die richtige Ausrichtung der Energiepolitik erneut Fahrt auf. Der Stromsektor muss in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten klimaneutral umgebaut werden. Braucht es dazu die Kernspaltung – ja oder nein?
Westliche und östliche Nachbarn pro Atomkraft
Während hierzulande die Stromkonzerne RWE, Eon und EnBW die Kernkraft abwickeln und sowohl Laufzeitverlängerungen als auch einen Neubau von Reaktoren ablehnen, bereiten andere Länder eine Renaissance der Technologie vor.
Vor allem die Atommacht Frankreich ist – neben dem Ex-EU-Mitglied Großbritannien – hier aktiv. Finnland und osteuropäische Staaten wie Polen, Ungarn und Tschechien stützen seit Längerem diesen Kurs.
Jüngst sind neue AKW-Befürworter im Westen hinzugekommen, und zwar ausgerechnet Nachbarländer des Aussteigers Deutschland. Die Niederlande wollen zwei neue Reaktoren bauen und die Laufzeit des zurzeit einzigen Reaktors in Borssele verlängern. Belgien wiederum erklärte, am beschlossenen Ausstieg bis 2025 zwar festzuhalten, aber 100 Millionen Euro in die Entwicklung neuer Reaktortechnologen zu stecken.
Damit stehen sich in Europa zunehmend zwei Energie-Philosophien gegenüber, die dasselbe Ziel – Energieversorgung ohne Treibhausgase – mit unterschiedlichen Mitteln erreichen wollen. Derzeit betreiben noch 14 der 27 EU-Länder Atommeiler. Länder wie Deutschland, Österreich oder Spanien setzen für die Zukunft voll auf erneuerbare Energien, Stromspeicher und flexible Stromsysteme, während andere Staaten nicht auf die Kernkraft verzichten wollen.
Speerspitze der Atomfreunde ist Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron die Atomenergie als "Glücksfall" für sein Land bezeichnet. Die EU-Kernländer Deutschland und Frankreich stehen damit für zwei konträre Wege in die Energiezukunft.
Frankreich hat mit Abstand den höchsten Atomstrom-Anteil weltweit. Seine 56 Reaktoren produzieren bis zu 70 Prozent des Strombedarfs im Land. Damit ist die Versorgung insgesamt klimafreundlicher als in Deutschland, wo zwar bereits rund 45 Prozent Ökostrom im Netz sind, aber Kohle und Erdgas immer noch einen ebenso großen Anteil haben; zuletzt ist die Bedeutung der "Fossilen" sogar wieder gestiegen.
Macron setzt jetzt auf neue AKW statt Energiewende
Macron, der bei seinem Amtsantritt noch Sympathien für die deutsche Energiewende hatte, ist inzwischen voll auf Atomkurs gegangen. Er kündigte im November an, Frankreich werde sechs neue Reaktoren bauen, um die Stromversorgung zu sichern und im Land CO2-Neutralität bis 2050 zu erreichen.
Außerdem will Paris eine Milliarde Euro in die Entwicklung von in Serie zu produzierenden "Mini-Reaktoren" stecken, wie sie auch in Belgien diskutiert werden. Diese "Small Modular Reactors" (SRM) gelten als vierte AKW-Generation, sind bisher freilich weltweit kaum über das Konzept-Stadium hinausgekommen.
Ob Macrons SRM-Plan das ändern wird, halten Experten für fraglich. Das Programm ist mit der einen Milliarde nicht sehr üppig ausgestattet.
Welcher der beiden Energiepfade volkswirtschaftlich günstiger ist, ist umstritten – einmal abgesehen von der grundlegenden Frage, ob eine Gesellschaft bereit ist, die Supergau-Gefahr der herkömmlichen AKW-Technik und die Atommüll-Entsorgungsprobleme zu akzeptieren.
Macron stützt sich auf eine Studie des französischen Netzbetreibers RTE vom Oktober. Darin heißt es, ein reines Ökostrom-System mit Wind-, Solar- und Wasserkraft komme deutlich teurer als ein gemischtes System aus Atomkraft und Erneuerbaren.
Andere Fachleute sehen solche Berechnungen kritisch. Sie verweisen auf die förmlich explodierten Kosten, die die aktuellen AKW-Bauprojekte in Frankreich, Finnland und Großbritannien verzeichnen, sowie die langen Bauzeiten für die neuen Reaktoren.
Der Reaktor im finnischen Olkiluoto, errichtet vom französischen Unternehmen Framatome, ist hier das abschreckendste Beispiel. Das AKW vom offenbar fehleranfälligen Typ EPR kostete am Ende rund neun Milliarden statt ursprünglich kalkulierter drei Milliarden Euro, bei einer um 13 Jahre verspäteten Fertigstellung. Die Stromproduktion soll nun Anfang 2022 beginnen.
Unter militärischen Aspekten sind Kosten zweitrangig
Generell gilt: Während die Kosten der Atomkraft in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich gestiegen sind, fielen die von Wind- und Solarenergie rasant.
"Atomenergie ist enorm teuer, erneuerbare Energien sind so viel billiger", sagt zum Beispiel die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Professorin schätzt, dass Deutschland heute schon bei 80 Prozent Ökostrom liegen könnte, wenn die Merkel-Regierungen den Ausbau vor allem nach 2010 nicht bewusst abgebremst hätten.
Doch im Fall Frankreich geht es nicht nur um einen reinen Kostenvergleich der beiden Systeme. Dort – und genauso in Großbritannien oder den USA – spielt auch die Verknüpfung des zivilen mit dem militärischen Nuklearsektor eine Rolle. Die Kernkraft-Nutzung ist nötig, um die Atomwaffen-Programme durchführen zu können.
Frankreich und die USA erklärten das sogar öffentlich, sagt der britische Professor für Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik Andrew Stirling. Er zitiert Berichte aus den USA. Sie zeigen laut Stirling, der an der Universität Sussex forscht: "Selbst wenn die Kernenergie doppelt so teuer wäre, wäre es für sie dennoch sinnvoll, Reaktoren zu bauen. Denn die helfen, das militärische Engagement aufrechtzuerhalten."
Aber auch Macron selbst machte vor einem Jahr beim Besuch des Rüstungs- und Atomindustriestandorts Le Creusot unumwunden klar: "Ohne zivile Kernkraft keine militärische Kernkraft und ohne militärische Kernkraft keine zivile Kernkraft." Das gelte sowohl für die Forschung als auch für die Produktion.
Die vor allem von Frankreich forcierte Debatte innerhalb der EU darüber, ob die Atomkraft im Rahmen der sogenannten Taxonomie als nachhaltig einzustufen ist oder nicht, erscheint damit in einem anderen Licht.
Herausforderung für neue Bundesregierung
In Deutschland jedenfalls gibt es derzeit keine ernsthafte Debatte, den Atomausstieg zu revidieren oder gar neue AKW zu bauen. Bei zwei der drei Parteien der Ampel-Regierung, SPD und Grünen, gehört der Atomausstieg seit Jahrzehnten zur politischen DNA.
Und auch die FDP lehnt eine Revision ab. "Das wäre 2021 weder rentabel noch realistisch", meint Parteichef Christian Lindner. Es gebe weder Betreiber noch Standorte, und es sei unsinnig, einen beendeten gesellschaftlichen Großkonflikt neu zu eröffnen.
Die Herausforderung, ohne Atomkraft CO2-frei zu werden, ist freilich immens.
Bundeswirtschafts- und -umweltministerium betonten jetzt, die Stromversorgung werde auch nach dem Aus für die drei AKW zum Jahreswechsel zuverlässig bleiben. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) räumte allerdings ein, die im Klimaschutzgesetz formulierten CO2-Ziele würden in den nächsten zwei Jahren wohl verfehlt.
Es gebe einen "drastischen Rückstand" aufzuholen, sagte Habeck. "Durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und die Beschleunigung des Netzausbaus werden wir zeigen, dass dies in Deutschland möglich ist."
Redaktioneller Hinweis: Energieexpertin Claudia Kemfert ist Herausgeberratsmitglied von Klimareporter°.
Ergänzung am 2. Januar: EU-Kommission taxiert Gas und Atom als grün
Info: https://www.klimareporter.de/europaische-union/im-kern-gespalten
Weiteres:
Umstrittene Vorlage aus Brüssel
EU-Kommission taxiert Gas und Atom als grün
klimareporter.de, vom 02. Januar 2022, von Jörg Staude
Der Streit um die Regeln für die EU-Taxonomie geht in die finale Runde. Ein Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission verleiht Investitionen in Erdgas und Atomkraft das Siegel der Nachhaltigkeit. Umweltvertreter kritisieren das scharf, auch Bundesminister lehnen den Vorschlag ab.
Zitat: Das neue Jahr beginnt, wie das alte endete: Die Staaten der Europäischen Union streiten darum, wie das Klimaziel der EU zu erfüllen ist. Zunächst geht es um eine CO2-Reduktion um 55 Prozent bis 2030.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die sogenannten Taxonomieregeln. Sie sollen Geldgebern und Investoren Sicherheit geben, ob ihre Energieprojekte von der EU als nachhaltig und also besonders förderwürdig eingestuft werden. Es geht um Milliarden-Fördertöpfe.
Das grüne Siegel will die EU-Kommission nun offenbar endgültig auch neuen Atomkraft- und Erdgas-Vorhaben verleihen. Das zeigt ein jetzt bekannt gewordener und Klimareporter° vorliegender Verordnungsentwurf. Danach sollen bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Atomkraftwerke als grün gelabelt werden. Für neue Erdgas-Infrastruktur soll dies zunächst bis 2030 gelten.
Der Vorschlag der Kommission bestimmt in dem Zusammenhang Kriterien, wann welche gasförmigen Brennstoffe eingesetzt werden können und wie viel CO2 dabei ausgestoßen werden darf. So sollen ab Anfang 2026 mindestens 30 Prozent und ab 2030 mindestens 55 Prozent erneuerbare oder "CO2-arme" Gase eingesetzt werden.
Das CO2 darf dabei auch mit der umstrittenen CCS-Technologie unterirdisch abgespeichert werden. Staaten, die diese "Lex Erdgas" in Anspruch nehmen, sollen sich zugleich international bindend verpflichten, aus der energetischen Nutzung der Kohle auszusteigen.
Deutsch-französischer Kuhhandel?
Umweltschützer und Grüne kritisieren den Entwurf scharf. Der jetzt bekannt gewordene Vorschlag zerstöre die Glaubwürdigkeit des europäischen Nachhaltigkeitssiegels für Finanzinvestitionen, warnte der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss.
"Atomkraft und Gas in die EU-Taxonomie aufzunehmen ist wie ein Ei aus Käfighaltung als bio zu stempeln", sagte Bloss. Es sei absurd, Kernkraft und Erdgas auf eine Stufe mit Sonnen- und Windenergie zu stellen.
Bloss weiter: "Statt Gelder in Investitionen in die Solar- und Windbranche zu leiten, können damit nun alte und extrem kostspielige Geschäftsmodelle unter falschen Deckmantel weitergeführt werden."
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erklärte, der jetzige Vorschlag der Kommission bedeute umweltschädliche Investitionen unter einem grünen Deckmantel. Nach Ansicht der DUH und weiterer Umweltorganisationen hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz in Brüssel für die Aufnahme von Erdgas in die Taxonomie eingesetzt und dafür im Gegenzug den französischen Wunsch nach Aufnahme der Atomkraft unterstützt.
Mit seiner Zustimmung riskiere Scholz auch die klimapolitische Reputation der Bundesregierung, sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit breche der SPD-Politiker sein vielfach plakatiertes Wahlversprechen, als "Klimakanzler" anzutreten.
Österreich droht mit Klage
Während aus dem Bundeskanzleramt bisher keine Reaktion auf den Taxonomie-Entwurf bekannt ist, wird dieser von den grünen Kabinettsmitgliedern Robert Habeck und Steffi Lemke besonders im Punkt Atomkraft abgelehnt.
"Ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, ist bei dieser Hochrisikotechnologie falsch", wird Wirtschafts- und Klimaminister Habeck in den Medien zitiert. Seinen Worten nach will die Bundesregierung zunächst die Auswirkungen des Kommissionsentwurfs bewerten.
Auch Umweltministerin Lemke hält es laut Berichten für "absolut falsch", Atomkraft in die EU-Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten aufzunehmen.
Der jetzt vorliegende Entwurf muss zwar noch durch das EU-Gesetzgebungsverfahren, substanzielle Änderungen wie ein Ausschluss von Atomkraft und Erdgas werden aber nicht mehr erwartet.
Um den Vorschlag gänzlich zu Fall zu bringen, wäre eine Mehrheit von 20 der 27 EU-Staaten erforderlich. Im EU-Parlament wäre eine absolute Mehrheit unter den Abgeordneten notwendig.
Zumindest in Österreich stößt die Vorlage auf entschiedeneren Widerstand. Die EU-Kommission habe in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einen Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht, sagte die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler laut Berichten in Wien.
Sie drohte mit einer Klage, sollten die beiden Energiequellen in die Taxonomie für grüne Investitionen aufgenommen werden. Für Österreich sei klar: "Weder Atomkraft noch das Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren."
Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Strahlend grün
Info: https://www.klimareporter.de/europaische-union/eu-kommission-taxiert-gas-und-atom-als-gruen
weiteres:
Strahlend grün
Atomkraft und Erdgas bekommen ein Öko-Label. Wie absurd ist das denn?
klimareporter.de, 02. Januar 2022, ein Kommentar von Joachim Wille
Fukushima ist zehn Jahre her – Atomkraftwerke sind weder sicherer noch billiger geworden. (Foto: Slightly Different/Pixabay)
Atomkraftwerke sind öko, grün, nachhaltig. Sie sollen von der EU dieses 1a-Label bekommen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Strahlengefahr? Atommüll, der eine Million Jahre sicher endgelagert werden muss? Riesige Umweltschäden durch den Uranerz-Bergbau? Das alles scheint die EU-Kommission nicht zu interessieren. Sie stellt die Reaktoren ebenso wie neue Erdgaskraftwerke in ihrem "Taxonomie"-Vorschlag auf eine Ebene mit Solar- und Windkraftanlagen.
Investoren sollen ihr Geld in die Atomkonzerne stecken können, weil sie damit ja etwas für das Ziel der Klimaneutralität tun – und das auch noch guten Gewissens. Absurder gehts kaum.
Die Entscheidung war und ist umstritten. Die EU-Kommission hat sie erst verschoben und ihren Vorschlag nun just am Neujahrstag veröffentlicht, vielleicht in der Hoffnung, eine vom Silvesterfeiern noch etwas umnebelte Öffentlichkeit werde nicht richtig mitkriegen, was da läuft.
Tatsächlich ging es gar nicht um eine objektive Bewertung klimafreundlicher Energiealternativen, sondern um Industrie- und Machtpolitik.
Vor allem Frankreich machte gewaltig Druck auf die Kommission, die Atomtechnik grün anzustreichen – jenes Land, das die Energiewende weitgehend verschlafen hat, bei Strom zu 70 Prozent vom Atom abhängig ist und dessen Präsident öffentlich einräumte, die zivile Kernkraft sei für Frankreich nötig, um Atommacht bleiben zu können.
Deine Atomkraft, mein Erdgas
Die Kommission hat dem Druck nachgegeben. Es ist ein Deal, der es scheinbar allen recht macht. Denn auch Deutschland als zweites EU-Kernland bekommt, was es will: das Öko-Label für Erdgas-Kraftwerke, die laut Ampel-Koalition als Übergangstechnik gebraucht werden, bis genügend Solar- und Windparks sowie Stromspeicher und -Netze da sind.
Immerhin macht Brüssel hier ambitionierte Vorgaben, die die Energiewende zumindest nicht verbauen. Die Anlagen müssen Wasserstoff-tauglich sein, und es gelten Anforderungen, sie bereits ab 2026 mit CO2-armen Gasen zu betreiben.
Die Taxonomie wird so durchkommen. Das vorauszusagen ist keine Hellseherei. Es bräuchte 20 EU-Länder oder mehr, um sie zu Fall bringen. Das ist nicht in Sicht, und nicht einmal das Atomaussteiger-Land Deutschland wird groß Front dagegen machen, dem pflichtschuldigen Protest der Grünen-Minister:innen Habeck und Lemke zum Trotz.
Ein Trost ist nur, dass die Atomkraft nach allem, was man weiß, trotz des grünen Etiketts künftig nur eine Nebenrolle spielen wird. Sie ist, verglichen mit den Alternativen, einfach zu teuer. Und die meisten Investoren können rechnen.
Info: https://www.klimareporter.de/europaische-union/strahlend-gruen