CDU/CSU
Ein (volks-)wirtschaftsfeindliches Programm
makronom.de, vom 12. Februr 2025, JAN PRIEWE, Deutschland,
Die Unionsparteien mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz an der Spitze versuchen im Wahlkampf, sich als Hort der Wirtschaftskompetenz zu gerieren. In ihrem Programm bieten sie aber das glatte Gegenteil davon. Eine Analyse von Jan Priewe.
Bild: conceptphoto.info via Flickr (CC BY 2.0) CDU Wahlplakat mit "Merz"
Friedrich Merz wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Deutschlands nächster Bundeskanzler und die Union die tonangebende Kraft in der neuen Regierung werden. Welche Wirtschaftspolitik dabei verfolgt werden soll, haben CDU und CSU in ihrem Wahlprogramm ausgeführt.
In diesem Beitrag analysiere ich, welche Folgen das Programm im Fall einer Umsetzung hätte. Werden die Hauptprobleme der deutschen Wirtschaft, eine hartnäckige Rezession, strukturelle Schwächen der technologischen Wettbewerbsfähigkeit, Infrastrukturdefizite, die Verbesserung der schiefen Einkommensverteilung und die Klimaziele, wirklich adressiert und vermindert?
Wunderwaffe Steuersenkungen
Das Programm wird von drei Mantras geleitet: Steuersenkungen, Bürokratieabbau und mehr „Freiräume für die Wirtschaft“.
Dabei geht die Union von der Prämisse aus, Deutschland sei ein „Hochsteuerland für Unternehmen“ – was so aber nicht uneingeschränkt stimmt. Zwar rangiert Deutschland laut OECD-Berechnungen beim nominalen durchschnittlichen Unternehmenssteuersatz mit etwa 30% auf dem Platz 28 von 141 Ländern. Das ist vergleichbar mit Japan und höher als die USA und die großen Nachbarländer Frankreich und Italien. Auch bei der effektiven Unternehmensbesteuerung (Steuerlast in Bezug zum Bruttoertrag vor Steuern), liegt Deutschland mit durchschnittlich 25% auf Rang 23 von 141 Ländern, ebenfalls höher als die USA, Frankreich und Italien, aber deutlich niedriger ist als Japan auf Rang 12. Auch der Bezug auf effektive Steuersätze garantiert jedoch nicht saubere internationale Vergleiche, die alle Steuerschlupflöcher, Bemessungsunterschiede etc. erfassen. Schaut man hingegen auf das Aufkommen an Unternehmenssteuern als Anteil am gesamten Steueraufkommen, dann liegt Deutschland auf dem viertniedrigsten Niveau von 116 Ländern. Aus dieser, vor allem für den Staat wichtigen Sicht, ist Deutschland ein Niedrigsteuerland.
Bei der Einkommensteuer ist der internationale Vergleich noch etwas schwieriger. Nimmt man eine Familien mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern, beträgt der Steuersatz nur 9,7% und liegt auf Rang 20 von 32 OECD-Ländern (2022). Nimmt man die Steuerbelastung dieser Durchschnittsfamilien insgesamt, landet Deutschland mit 29% des Bruttoeinkommens auf Rang 3 unter 32 Ländern. Aber diese Zahlen sind ohnehin nur wenig aussagekräftig – denn sie verschweigen, was die Steuerzahler für ihre Steuern an öffentlichen Gütern und Transfers erhalten. In Deutschland bekommen beispielsweise die privaten Haushalte unentgeltliche Sachleistungen („transfers in kind“) wie subventionierte Kita-Gebühren oder ÖPNV-Leistungen in Höhe von 8.800 Dollar. Zum Vergleich: In den USA sind es nur 2.876 Dollar (kaufkraftbereinigt, Zahlen für 2021 laut AMECO-Datenbank).
Zudem muss man fragen, ob die Steuerlast der Wirtschaft wirklich die „Wettbewerbsfähigkeit“ des Standorts Deutschland gefährdet. Für Standortentscheidungen von Unternehmen sind in den meisten Fällen die Steuern ein nachrangiges Thema, viel wichtiger sind die Erschließung von Absatzmärkten, Lohnstückkosten (Lieferketten), Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, Infrastruktur und Wechselkurse. Auch sind die Renditen des Unternehmenssektors (oder ihr Eigenkapital) im Durchschnitt nicht das Problem, abgesehen von rezessionsbedingten Einbußen in den letzten Jahren. Im Dezember 2024 schrieb die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht, dass die Rentabilität der deutschen nicht-finanziellen Unternehmen gut war, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation. Seit 1991 stiegen die Unternehmensgewinne im Trend 1991-2024 schneller als in den USA (vgl. Trading Economics). Für die strukturellen Probleme, pars pro toto die Autoindustrie, die IT-Industrie (Digitalisierung) und der Wohnungsbau, sind ganz andere Probleme maßgebend.
Das CDU-Programm beruht also auf einer schwammigen bis fehlerhaften Diagnose, die dazu führt, dass der Unternehmenssteuersatz und die Einkommenssteuern als Wunderwaffe fungieren. Konkret sollen die Unternehmenssteuern (Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer) um fünf Prozentpunkte von 30 auf 25% gesenkt werden. Die Progression im Einkommensteuertarif soll flacher werden, der Spitzensteuersatz von 42% soll erst bei 80.000 Jahreseinkommen (Single) statt derzeit bei € 68.481 erreicht werden. Der Restsoli, der vor allem Hochverdiener ab 85.000 Bruttojahreseinkommen sowie als Zuschlag zur Körperschaftssteuer die Unternehmen mit insgesamt 11 Milliarden Euro belastet, soll entfallen. Im Steuertarif soll der Grundfreibetrag etwas erhöht werden, wodurch das zu versteuernde Einkommen für alle Steuerzahler sinkt. Die kalte Progression im Fall von Inflation soll abgeschafft, Freibeträge für die Grunderwerbssteuer sowie die Erbschaftssteuer sollen erhöht werden.
Die Reaktivierung der Vermögenssteuer bleibt tabu. Typisch für die Prioritätensetzung der Unionsparteien ist auch die Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie auf das Niveau der Grundnahrungsmittel, also auf 7% – ein Wahlgeschenk für die Mittelschichten, die sich Ausgehen ohnehin leisten können. Die Sozialversicherungsbeiträge sollen von derzeit 42,3% auf 40% sinken.
Das Bürgergeld soll ersetzt werden durch eine neue „Grundbedarfssicherung“, deren Kontur unklar ist, abgesehen davon, dass sie niedriger ausfallen soll. Überhaupt findet man in dem Programm wenig bis nichts über die unteren Einkommensschichten, die hohe Armutsgefährdungsquote von 15% der Bevölkerung und die fast 20% der Rentner am Rande der Armutsgefährdung oder die 2,2 Millionen Kinder, die in armutsgefährdeten Haushalten leben.
Hinzu kommt Bürokratieabbau – ein irreführender Leitbegriff. Über ärgerliche staatliche Bürokratie wird seit jeher geklagt, häufig zu Recht. Aber das Wort vermischt Deregulierung mit echten Bürokratieproblemen. Gemeint ist im CDU-Programm Deregulierung auf breiter Front – vom Arbeitsvertrag, bei dem die Pflicht zur Schriftform weitgehend abgeschafft werden soll, über den Kampf gegen das Lieferkettengesetz bis zur Steuervereinfachung, die schon 2003 das Alleinstellungsmerkmal des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz war (wenngleich er sich inzwischen vom „Bierdeckel“ distanziert hat).
Verteilungswirkungen und Fiskaleffekte
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat in einer verdienstvollen Untersuchung die fiskalischen Folgen sowie die Verteilungswirkungen der Parteiprogramme ermittelt, ähnlich Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Demnach kosten die Unionsvorschläge für diverse Steuerentlastungen und an einigen Stellen für Mehrausgaben unter dem Strich 47 Milliarden Euro. Das entspräche 1,1% des BIP oder 5% der gesamten Steuereinnahmen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet mit insgesamt 89 Milliarden Steuerausfällen, wobei allein die Kosten der Einkommensteuerreform 35 Milliarden Euro ausmachen. Stefan Bach vom DIW taxiert die Steuerausfälle beim CDU/CSU Programm zusammen genommen auf 99 Milliarden.
Wie wollen die Unionsparteien das alles finanzieren – und gleichzeitig an der Schuldenbremse festhalten? Keine Antwort, nicht einmal eine Zeile dazu auf 68 Seiten. Die Frage wird schlicht übergegangen. Immerhin gibt es einen kleinen versteckten Hinweis:
„Volle Konzentration auf die Kernaufgaben. Das Geld ist knapp, umso mehr gilt: Jeder Euro muss effizient eingesetzt werden. Wir stehen für eine solide Haushaltspolitik. Unmittelbar zu Beginn der neuen Wahlperiode machen wir einen ehrlichen Kassensturz und hinterfragen alle Ausgaben, insbesondere die Subventionen.“ (S. 75)
Gerade die Partei, die nicht müde wird, die Solidität ihrer Finanzpolitik zu betonen, weigert sich also, über eine Gegenfinanzierung nachzudenken. In der Kurzfassung des Programms betteln die Autoren geradezu um Vertrauen in neue Strukturen, die „schneller, effizienter, digital, schlanker“ werden sollen. Bei der Union regiert also das Prinzip Hoffnung: Man glaubt eben daran, dass die Unternehmen auf niedrigere Steuern reagieren und die reichen und superreichen Haushalte im obersten Dezil mehr investieren werden. Die Nettorenditen würden also nicht nur den Sektkorkenumsatz beflügeln.
Dafür gibt es aber wenig empirische Anhaltspunkt. Wenn es an konsumtiver Nachfrage im Inland mangelt, große Investitionsrisiken angesichts von Deglobalisierung, technologischem Rückstand und klimapolitischen Rahmenbedingungen existieren, dann gilt die berühmt-berüchtigte Laffer-Kurve aus der Ära Reagan und Thatcher noch weniger als damals. Arthur B. Laffer, ein kaum bekannter US-Ökonom, hatte einst auf eine Serviette eines Restaurants eine Kurve gemalt, die einen Zusammenhang zwischen Steuersatz und Steueraufkommen darstellt: Wird ein sehr hoher Steuersatz auf ein niedrigeres Niveau gesenkt, könne das Steueraufkommen eventuell steigen, weil das Wachstum irgendwie angekurbelt wird. Das war eine rein angebotstheoretische These, die vielleicht neoklassisch untermauerbar wäre, wenn man auch andere Parameter berücksichtigen würde. Doch empirisch ist sie bis heute unbewiesen. Manch altbackener Keynesianer würde Laffer vielleicht indirekt unterstützen, wenn er oder sie auf temporär steigende Staatsverschuldung verweisen würde – Steuersenkungen auf Pump, siehe Reagan 1982 oder Trump 2016ff.
Und wer würde davon profitieren? Folgt man den Berechnungen des ZEW, dann kommt nahezu die Hälfte der angekündigten Steuerentlastungen dem obersten Einkommensdezil zu (also den reichsten 10% der Haushalte). 92% der Entlastungen von 47 Milliarden Euro landen bei den fünf Dezilen oberhalb des mittleren Einkommens (Median). Im obersten Dezil beträgt die Sparquote gut 23% des verfügbaren Einkommens (bei den obersten 1% liegt sie noch wesentlich höher), gesamtwirtschaftlich derzeit etwa 11%. Die Entlastung fördert also das Sparen der Reichen, sprich den Kauf von boomenden US-Aktien, Gold und Bitcoins, Anlagen in Hedgefonds wie Blackrock, vielleicht auch den Kauf von Aktien von DAX-Unternehmen, die überwiegend US-orientiert sind.
Man muss es leider so klar sagen: Gerade die Partei, die mit ihrem Kanzlerkandidaten Merz an der Spitze versucht, sich als Hort der „Wirtschaftskompetenz“ zu gerieren, bietet in ihrem Programm ziemlich das glatte Gegenteil davon – jedenfalls dann, wenn man „die Wirtschaft“ nicht als die obersten paar Perzentile der Einkommens- und Vermögensverteilung versteht, sondern auf die gesamte Volkswirtschaft bezieht.
Denn volkswirtschaftlich wäre es deutlich klüger, was die angeblich so „wirtschaftsfeindliche“ Linkspartei (und in moderaterer Form auch Grüne und SPD) in ihrem Programm fordern: nämlich die obersten Dezile mit starker Progression bei der Einkommensteuer und vor allem durch eine Vermögensteuer zu „quälen“ und die Einnahmen vorwiegend den beiden untersten Dezilen zukommen zu lassen. Denn letztere würden solche Begünstigungen vermutlich zu 100% konsumieren. Schließlich sind ihre Sparquoten negativ, sie geben also mehr aus als sie einnehmen. Das würde kurzfristig die Binnenkonjunktur richtig anheizen und zugleich der (wahrheitswidrigen) Unionsbehauptung „Wir entlasten vor allem Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen“ (!) echte Substanz verleihen, in Verbindung mit der Forderung nach einer Lockerung der Schuldenbremse, die öffentliche Investitionen kreditfinanzieren würde.
Es geht mir hier nicht darum, das in weiten Teilen realitätsferne, aber gerade deshalb visionäre „Linken“-Programm zu propagieren. Was aber deutlich wird: Die Linkspartei hat immerhin eine ökonomische Logik, die Unionsparteien gar keine. Die Kritik am CDU/CSU-Programm trifft noch in viel größerem Maße auf die Programme von FDP und AfD zu. Die FDP fordert laut ZEW-Berechnungen massive Steuerentlastung für die oberen Einkommensschichten in Höhe von insgesamt 116 Milliarden Euro, die AfD von 97 Milliarden, ebenfalls ohne Gegenfinanzierungsvorschläge – das ist Klientelpolitik in Reinkultur.
Infrastruktur vergessen, Klima- und Energiepolitik unklar
Die Suche nach weiteren zentralen wirtschaftspolitischen Maßnahmen macht das Unionsprogramm leider nicht besser. Der gewaltige und inzwischen unbestrittene Bedarf an öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur, der vom arbeitgebernahen IW und dem gewerkschaftsnahen IMK auf 600 Milliarden Euro über zehn Jahre geschätzt wird, wird nicht einmal erwähnt. Gleiches gilt für die Finanzierung höherer Verteidigungsausgaben. SPD, Grüne und Linke wollen für die öffentlichen Investitionen die Reform der Schuldenbremse nutzen. Würde eine strukturelle Verschuldung von 1,5% des BIP für den Gesamtstaat erlaubt (statt derzeit 0,35%), könnte man im Einklang mit den EU-Fiskalregeln den größten Teil der öffentlichen Investitionen stemmen. Möglicherweise spekuliert man bei der Union, in Koalitionsverhandlungen den Partnern hier grünes Licht zu geben, dafür aber einen hohen Preis an anderer Stelle zu verlangen.
Das Unionsprogramm kritisiert die zu hohen Energiepreise für deutsche Unternehmen, die deren internationale Wettbewerbsfähigkeit belasten würden. Vorgeschlagen wird die Abschaffung der Stromsteuer, die allerdings bei privaten Haushalten nur 2 Cent/kWh ausmachen, aber in Summe 3 Milliarden Euro kosten und 5% des Strompreises betreffen. Gewichtiger ist die geforderte Abschaffung der Netzentgelte, die in diesem Jahr etwa 20-25% des Strompreises ausmachen (10 Cent/KWh).
Finanziert werden soll dies mit Erträgen aus dem Verkauf von CO2-Emissionslizenzen, die dann nicht anderweitig verwendet werden können, etwa für ein Klimageld an Haushalte. Das Programm bekennt sich immerhin zu den Pariser Klimazielen und zur Dekarbonisierung. Es will die Beschränkung der Emissionsmengen durch den europäischen Emissionshandel (ETS), die zu höheren Energiepreisen führen, als alleiniges Instrument der Klimapolitik benutzen, d.h. auf fokussierte Subventionen, Industriepolitik oder das Heizungsgesetz verzichten. „Technologieoffenheit“ ist das Leitbild, das auch den Verbrennermotor, Wasserstofftechnologie und CCS (Carbon Capture Systems) einbezieht. Mehr Angebot auf dem Strommarkt soll die Preise senken, gleichzeitig sollen aber die CO2-Preise steigen und die Förderung von Solar- und Windenergie auslaufen. Wie soll da „Energie bezahlbar machen“ funktionieren? Vermutlich sind Ausnahmen für die Industrie beim CO2-Preis angedacht, aber höhere Preise für Haushaltsstrom ohne Klimageld oder mit Mini-Klimageld vorgesehen.
Diverse Untersuchungen haben nachgewiesen, dass eine Klimapolitik, die ihre Ziele allein über CO2-Preise erreichen will, sehr hohe Energieabgaben benötigt, solange in der Übergangsphase noch fossile Energie genutzt wird. Die Union spricht sich auch für das geplante ETS II für Energie in Wohngebäuden aus, während das für Verkehr geplante ETS gar nicht erwähnt wird. Es würde vermutlich das Aus für den Verbrenner bedeuten. Insgesamt ist das Energiekapitel des Programms unklar und lässt entscheidende Fragen offen.
Lieblingssektoren und Stiefkinder
Auch wenn die Union fokussierte Technologie- und Industriepolitik oder spezielle sektorbezogene Politik aus ordnungspolitischen Gründen ablehnt, macht sie an einigen Stellen Ausnahmen: Forschung für Kernenergie der 4. und 5. Generation soll gefördert und die Reaktivierung der bestehenden Kernkraftwerke geprüft, die Erforschung der Kernfusion und der Raumfahrt wieder zum Leben erweckt werden. Eine „High Tech Agenda“ wird erwähnt, aber im Unklaren gelassen.
Konkreter wird es bei der Landwirtschaft, der ein ganzes Kapitel gewidmet wird, und die tatsächlich für Klima und Umwelt von großer Bedeutung ist. Es orientiert sich allerdings mehr an den Landwirten als an Klima und Umwelt. Die Reform der Agrardieselvergütung soll wieder vollständig rückgängig gemacht werden. Das Gesetz über den Einsatz von Düngemitteln soll entschlackt, der Düngemitteleinsatz also erleichtert werden.
Mit Blick auf die Wohnungskrise hat die Union immerhin erkannt, dass bezahlbares Bauen und Wohnen die neue Soziale Frage unserer Zeit sei. Mehr als wohlklingende Allgemeinplätze haben CDU und CSU aber nicht zu bieten. Die viel diskutierte Mietpreisbremse wird nicht erwähnt. Bauen soll vereinfacht und gefördert werden, mit Sonderabschreibungen, Entschlackung des Baurechts, mit mehr „einfachem“ Bauen, mit hohen Freibeträgen bei der Grunderwerbssteuer für den Erwerb von Wohneigentum sowie mit mehr Ausweisung von Bauflächen. Energetische Sanierung soll bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer absetzbar sein, nicht aber wie im Heizungsgesetz bei der Einkommensteuer. In Ballungszentren soll Geschosswohnungsbau gefördert werden. Mieterschutz soll beibehalten werden, auch was Mietpreise betrifft. Ein Programm zur Reaktivierung des Sozialen Wohnungsbaus findet man hier nicht.
Auch bei der Rentenpolitik findet man mehr Bekenntnisse zum Status Quo als Neuerungen. Keine Erhöhung des Renteneintrittsalters, keine Rentenkürzungen, Beitragsstabilität, aber eine „Aktivrente“, mit der Rentner und Rentnerinnen bis zu 2.000 Euro steuerfrei dazuverdienen dürfen. Neu ist lediglich die „Frühstarterrente“: Der Staat soll für 6- bis 18-Jährige monatlich 10 Euro zum Sparen für eine zukünftige Zusatzrente einzahlen. Das ergäbe (optimistisch gerechnet) maximal 2.000 Euro nach 12 Jahren, und inflationsbereinigt wesentlich weniger. Eine Festschreibung des Rentenniveaus nach 45 Beitragsjahren auf mindestens 48% des letzten Einkommens findet man hier nicht, aber auch nicht die Forderung nach einer Aktienrente.
Fazit
Das Wahlprogramm der Unionsparteien gibt den Wählern einige Rätsel auf. In zentralen Fragen der modernen Lebenswelt – Wohnungsnot, Zukunft der Renten, Technologiepolitik, Familienpolitik – bleibt es blass und stark am Status Quo orientiert. Es offenbart eine erschreckende Konzeptionslosigkeit, mit der sich die Merz-CDU in die Tradition Angela Merkels steht, die innovative Ideen in der Regel von anderen Parteien übernahm. Zentrale Fragen – Infrastrukturpolitik, konjunkturelle Notmaßnahmen, Armut – klammert die Union einfach aus.
Das mag im Medien-Wahlkampf sogar funktionieren, wie beispielsweise das TV-Duell zwischen Merz und Kanzler Olaf Scholz zeigte. Die Migration nahm etwa ein Drittel der Diskussionszeit ein, während zentrale Themen wie Klimapolitik, Wohnungsnot, Armut ausgeklammert wurden. Die im Duell angeführten Kosten der von der Union geplanten Steuerentlastungen (die Moderation nannte 100 Milliarden) wurden von Merz weder bestätigt noch dementiert – als hätte er nicht gerechnet. Nachgehakt wurde nicht. Merz‘ Antwort auf die Finanzierung war „Wachstum“, sodass es aussah, als würde Scholz Wachstum ablehnen oder ausklammern. Der Punkt, dass das erhoffte Wachstum genau durch die Steuerreform kommen soll, wurde gar nicht thematisiert.
Allerdings hat Scholz Merz‘ Wachstumserwartung zurecht als illusionär kritisiert. Keiner hat an dieser Stelle nachgefragt, auch nicht die Moderatorinnen – und das bei einer Kernfrage des Programms. Die Frage, wie die Infrastrukturinvestitionen finanziert werden sollen, hat Merz ebenso nicht beantwortet. Er hat den Eindruck erweckt, dass die Steuerreformen und alles andere sich selbst finanzieren, wenn „Bürokratieabbau“ hinzukommt. Das ist mehr als irreführend und ökonomisch unhaltbar. Immerhin hat Merz angedeutet, dass man über die Schuldenbremse „mittelfristig“ reden könne.
Die Konzentration auf eine Senkung der Unternehmenssteuer wird weder der gegenwärtigen konjunkturellen noch der strukturellen Krise gerecht. Die Klimapolitik ist voller offensichtlicher Widersprüche. Wirklich durchgerechnet ist nichts. Es sieht nach einem schnell hingeschriebenen Text aus, der mit Phrasen und Slogans aufgefüllt wird. Es ist aber auch kein radikal neoliberales Programm, von Lohnsenkung oder großer Deregulierung am Arbeitsmarkt ist ebenso wenig die Rede wie von großen Privatisierungsprojekten – abgesehen von der geplanten Bahnreform 2.0 mit Trennung von Schiene und Bahnbetrieb, wobei letzterer indirekt über Konzessionen privatisiert werden soll.
Wirklich neu ist neben der Steuerreform nur die Migrationspolitik – wobei sich die Union hier stark am AfD-Programm orientiert. Zwar ist die Wortwahl anders, aber die wesentlichen Punkte sind deckungsgleich. Der Kern ist die nahezu-Abschaffung des Asylrechts, die Beschränkung der Asylgewährung auf sehr kleine Zahlen nahe null, den Bau von Asylzentren an den Grenzen und an Flughäfen, die massenhafte Rückführung von Flüchtlingen in Länder ohne Prüfung der Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention, eine Verlagerung des Asylverfahrens und der anerkannten Asylbewerber mehrheitlich in (noch nicht) ausgewählte Drittländer.
Dieser Teil des Programms erschwert eine Koalitionsbildung ohne AfD massiv. SPD und Grünen, möglicherweise kompromissfähig bis zum Verlust der Wiedererkennbarkeit, sei angeraten, nur zusammen und in gegenseitiger Solidarität in eine Koalition mit der Union zu gehen. Und den deutschen Wählern sei geraten, noch einmal darüber nachzudenken, ob sie die gegenwärtigen Herausforderungen wirklich unter der Führung einer solch programmatisch schwachen Partei angehen wollen.
Zum Autor:
Jan Priewe ist Professor i.R. für Volkswirtschaftslehre an der HTW Berlin.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.