aus e-mail von Doris Pumphrey, 1. Mai 2023, 13:37 Uhr
_DEUTSCHE WIRTSCHAFTSNACHRICHTEN 1. Mai 2023
_*Amerikas Statthalter von Adenauer bis Merkel
*Seit Langem ist Deutschland ein treuer Verbündeter der USA. Wie kommt
es, dass sich gerade Deutschland so artig unterordnet? Und welcher
Kanzler hat Amerikas Interessen am besten bedient?
Moritz Enders im Gespräch mit dem Publizisten *Dr. Werner Rügemer*.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Jüngst hat der französische
Präsident Emmanuel Macron für die EU eine „strategische Autonomie“
verlangt, mit Blick auf die steigenden Spannungen zwischen den USA und
China. Die Entrüstung in den deutschen Medien war groß. Spiegel online
titelte, Baerbock müsse bei ihrem China-Besuch „die Scherben
zusammenkehren“. Wie kommt es, dass Deutschland ein so treuer Vasall der
USA bleiben will, während es in Frankreich – zumindest verbal –
Absetzbewegungen gibt?/
*Werner Rügemer: *Frankreich hat geopolitisch, im imperialen Sinne, im
Unterschied zu Deutschland, einige Merkmale von Souveränität: Eine
eigene Atombombe, 18 Übersee-Territorien im Atlantik, im Indischen
Ozean, im Pazifik und in der Antarktis sowie enge wirtschaftliche und
Währungsbeziehungen zu ehemaligen Kolonien in Afrika.
Frankreich gehört zu den Siegermächten des 2. Weltkriegs und zu den fünf
ständigen Mitgliedern des US-Sicherheitsrats. All diese Merkmale hat
Deutschland nicht. Und Deutschland ist der militärisch, geheimdienstlich
und wirtschaftlich am intensivsten von den USA durchdrungene Staat in
Europa.
Freilich: Angesichts der von den USA geführten NATO, des riesigen
US-Militärapparats, der führenden US-Rüstungsindustrie, des
US-Nuklearpotentials, der globalen Militärpräsenz der USA mit 850
Militärstützpunkten – da sind die Souveränitätsmerkmale Frankreichs eher
Nostalgie. Zudem: Auch im Frankreich Macrons dominieren US-Investoren
die meisten wichtigen Unternehmen und Banken, ähnlich wie in Deutschland.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Auch historisch gesehen standen erst
die BRD und dann das wiedervereinigte Deutschland nach dem 2. Weltkrieg
immer unverbrüchlich an der Seite der USA. Hätte es dazu eine
Alternative gegeben, etwa in Form eines – wie Österreich – neutralen
Deutschlands, das nicht geteilt worden wäre?/
*Werner Rügemer: *Die Bundesrepublik Deutschland stand nie „an der Seite
der USA“, sondern wurde auf Druck der USA 1949 überhaupt erst als
Separatstaat ganz neu gegründet und ist den USA bis heute untergeordnet.
Natürlich hätte es die genannte Alternative gegeben. Es gab – als
Konsequenz aus der Hitler-Herrschaft und dem tödlichen Weltkrieg – eine
breite Bewegung für ein neutrales, demokratisches Gesamtdeutschland, in
Deutschland selbst, und das wurde auch von der Siegermacht Sowjetunion
unterstützt.
Die USA hatten aber schon nach dem 1. Weltkrieg mit der Unterstützung
Mussolinis (Italien), dann Francos (Spanien), Salazars (Portugal),
Metaxas' (Griechenlands) und Pilsudskis (Polen) in Europa
antidemokratisch Fuß gefasst, gleichzeitig auch mit Investitionen und
Niederlassungen insbesondere in den reicheren Staaten Westeuropas wie
Deutschland, Frankreich, England, Belgien.
Schon 1938 entwickelten das State Department und der Council on Foreign
Relations zusammen mit Konzernen wie Ford, General Motors, ITT, IBM,
Standard Oil, General Electric, Coca Cola, Dow Chemical und Banken wie
J.P. Morgan, Dillon Read, Harriman das Konzept: Wir müssen unsere
gewachsene wirtschaftliche Präsenz in Europa auch militärisch absichern.
Dafür war dann nach dem 2. Weltkrieg die kapitalistische Bundesrepublik
ideal: Sie liegt in der Mitte (West)Europas und am nächsten zum
sowjetischen Einflussbereich. Sie ist der wirtschaftlich stärkste Staat.
Vor allem: Seine militärische, wirtschaftliche, staatliche und mediale
Elite ist besiegt worden - sie freut sich, wenn sie mehrheitlich
ungestraft davonkommt und weitermachen darf, selbst in untergeordneter
Stellung.
Und gerade weil 99 Prozent insbesondere der deutschen Kapitalisten und
Banker und ihres Führungspersonals nicht bestraft, nicht enteignet
wurden und auch weil arisiertes Unternehmenseigentum nicht zurückgegeben
werden musste – dieses größte antirussische, antikommunistische
Potential Europas war für die Siegermacht USA eine Art Gottesgeschenk:
Mit ihm konnte weiter gegen den Systemfeind Sowjetunion vorgerückt werden.
Dieses Potential wurde nach 1945 unter den westlichen Militärregierungen
der USA, Großbritanniens, Frankreichs in Westdeutschland
zusammengezogen. So wurde auf diesem Gebiet erstmal der antirussische
und antikommunistische Frontstaat BRD gegründet, als vorgeschobene neue
US-Bastion.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Viele betonen, dass dank des
Marshall-Plans zumindest der westliche Teil Deutschlands wirtschaftlich
wieder auf die Beine kam und der amerikanische Einfluss, zumal nach den
Nürnberger Prozessen, eine Demokratisierung des Landes ermöglichte.
Teilen Sie diese Einschätzung?/
*Werner Rügemer: *Nur zum sehr kleinen Teil. Der Marshall-Plan war ja
der Zwilling der NATO. George Marshall war im Krieg der oberste Militär
(Chief of Staff), danach gab er als Wirtschaftsminister dem
Marshall-Plan den Namen, danach war er US-Verteidigungsminister und
leitete die Gründung der NATO.
Der Marshall-Plan war an Bedingungen gebunden: Es durften keine
Kommunisten oder sonstige Antikapitalisten und Nationalbewusste in den
Regierungen beteiligt sein. So bekam Griechenland erst
Marshall-Plan-Gelder, als die USA in den Bürgerkrieg militärisch
eingriffen und die erfolgreiche antifaschistische Befreiungsbewegung
vernichtet hatten. Frankreich bekam erst Marshall-Plan-Gelder, als der
konservative nationalbewusste Charles de Gaulle aus der Regierung
entfernt war.
Der Marshall-Plan hatte als wichtigstes Ziel, die regulatorischen
Verhältnisse in den Empfängerstaaten nach US-Vorgaben zu
vereinheitlichen, um US-Investitionen zu fördern, den Markt für
US-Produkte zu öffnen, die Währungen an den US-Dollar zu binden sowie
der von den USA geführten Weltbank, verbunden mit dem Internationalen
Währungsfonds, Zugang in Europa zu verschaffen.
Die „Hilfen“ des Marshall-Plans galten vor allem den US-Konzernen, auch
als Kompensation für den 1945 beendeten, bisher größten Wirtschaftsboom
durch den 2. Weltkrieg.
Die USA koordinierten die Gründung neuer, christlich genannter Parteien
wie die CDU und in Italien die Democrazia Cristiana, die US-“freundlich“
waren. Nur in England durften Sozialdemokraten regieren, aber nicht lange.
Die USA leiteten also schon mit Beginn die direkt am kapitalistischen
Privateigentum orientierte politische Rechtsentwicklung in Europa ein.
Auch die Nürnberger Prozesse trugen nicht zur Demokratisierung
Deutschlands bei, auch nicht Europas. Nur das alleroberste politische
und militärische Nazi-Personal wurde abgeurteilt. 98 Prozent des
führenden Unternehmens-, Banken-, Medien-, Militär-, Geheimdienst-,
Verwaltungs-, Justiz- und Wissenschafts-Personals wurden nicht einmal
angeklagt. Von den unternehmerischen Mitgestaltern und Profiteuren des
Nationalsozialismus wurden nur die zwei bekanntesten angeklagt: Flick
und Krupp; sie wurden zu kurzen Gefängnisstrafen verurteilt und dann
schon kurz nach Gründung der BRD vorzeitig aus dem Gefängnis geholt. Sie
wurden nicht enteignet, auch durften sie alle Gewinne behalten –
einschließlich der Gewinne aus Arisierungen und Zwangsarbeit. So war das
Führungspersonal der BRD weitgehend dasselbe wie unter Hitler, wenn auch
parlamentarisch organisiert.
Die zahlreichen NS-Kollaborateure und NS-Profiteure in Frankreich,
Belgien, den Niederlanden, Schweden, Portugal, der Schweiz,
Skandinaviens und auch aus den USA wurden nie angeklagt, auch leitmedial
gar nicht benannt. Ex-Nazi-Aktivisten aus Osteuropa, etwa aus Kroatien,
Polen, Ungarn, dem Baltikum und der Ukraine bekamen in den USA ein
lukratives Exil, auch in eng mit den USA befreundeten Staaten wie Kanada
und Australien, zum Teil auch in der BRD.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Welche Rolle spielte Konrad Adenauer
in den Nachkriegsjahren? Wurde sein Aufstieg von den USA unterstützt?
Inwieweit kam seine Politik dann den Interessen der USA entgegen?/
*Werner Rügemer: *Adenauer hatte schon während der Weimarer Republik
Beziehungen in die USA entwickelt. Als Kölner Oberbürgermeister
beteiligte er sich intensiv am Dawes-Plan, den die USA 1924 als
Kreditprogramm für das Deutsche Reich eingerichtet hatten.
Die Kredite – in Form von Staatsanleihen, die Wall Street-Banken an
US-Anleger verkauften - gingen auch an Kommunen: Da griff Adenauer für
seine Renommierprojekte besonders intensiv zu. Es wurde wohl kaum etwas
zurückgezahlt - die Akten werden von der Stadtverwaltung Köln übrigens
bis heute geheim gehalten.
Unter anderen hatte der US-Geheimdienst OSS (Office of Strategic
Services) mit seiner Europa-Zentrale in der Schweiz die handelnden
Personen in Deutschland und in den besetzten wie neutralen Staaten
möglichst genau registriert, von links bis rechts. Es ging auch darum,
möglichst frühzeitig das für die Nachkriegszeit jeweils geeignete
Personal ausfindig zu machen.
Das OSS unter Allen Dulles hatte in Deutschland auch Kontakte zu allen
wichtigen Widerstandsgruppen, ebenfalls von ganz links bis ganz rechts.
Und da wusste der OSS: Adenauer hatte alle Anfragen, sich am Widerstand
gegen Hitler zu beteiligen, abgelehnt, von christlichen Gewerkschaftern,
konservativen Politikern und Offizieren genauso wie von Kommunisten und
Sozialdemokraten.
Deshalb war Adenauer, der sich nach 1945 als „Verfolgter des NS-Regimes“
inszenierte, der ideale Politiker für die US-Strategen: er hatte
Beziehungen zu US-Banken gehabt, hatte für die Kölner Filiale von Ford
1930 besonders günstige Bedingungen geschaffen, war auch während des
Nationalsozialismus im engen Kontakt geblieben mit einem führenden
Manager von General Electric.
Und Adenauer war nicht Mitglied der NSDAP gewesen, hatte aber erstens
vom NS-Staat bis 1945 eine hohe Pension bekommen und hatte zweitens
während des Nationalsozialismus zu großen deutschen Unternehmen seine
engen Beziehungen fortgeführt, die er während der Weimarer Republik
entwickelt hatte, als Mitglied in einem Dutzend Aufsichtsräten, etwa der
Deutschen Bank, der Lufthansa, der RWE. Adenauer war der transatlantisch
ideale Politikdarsteller für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung
des US-geführten Kapitalismus.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Um ihre Macht in Westeuropa zu
zementieren, unterstützten die USA zunächst konservativ-christliche
Parteien in verschiedenen Ländern. Der französische Präsident Charles de
Gaulle war ihnen suspekt – warum?/
*Werner Rügemer: *OSS-Chef Allen Dulles, der später auch Chef des
Nachfolgedienstes CIA war, koordinierte ab 1947 auch mithilfe der vorher
gesammelten personellen Kenntnisse die in Westeuropa neu gegründeten
„christlichen“ Parteien.
Adenauer als US-Wunschkandidat für den Vorsitz der CDU bekam von den
westlichen Militärregierungen bevorzugt Fahrzeuge und Visa gestellt.
Damit konnte er zwischen der britischen, US-amerikanischen und
französischen Besatzungszone zu Parteiversammlungen hin- und her fahren,
schneller als mögliche Konkurrenten.
General de Gaulle hatte vom Londoner Exil aus mit seiner Bewegung Freies
Frankreich (France Libre) als einziger führender Militär Widerstand
gegen die deutsche Besetzung Frankreichs geleistet, auch gegen die von
Hitler eingesetzte französische Kollaborationsregierung in Vichy unter
Marshall Pétain. Dabei hatte de Gaulle auch mit der linken Résistance
zusammengearbeitet.
Wegen seines guten Rufes in der französischen Bevölkerung ließen ihn die
US-Streitkräfte beim Einmarsch 1944 in Paris auf den Champs Elysées
mitmarschieren. Aber seiner provisorischen Regierung mit Einschluss von
wenigen Kommunisten versagten die USA die Anerkennung – erst als er aus
dem Amt gedrängt war, wurde eine US-hörige Regierung gebildet, mit
maßgeblicher Beteiligung des US-Bankers französischer Herkunft, Jean
Monnet – der in Fortsetzung seiner Mission dann zum „Vater Europas“ d.h.
der Europäischen Union aufrücken sollte und als solcher bis heute geehrt
wird. Souveräne Staaten in (zunächst West-)Europa – das verhinderten die
USA mit allen Mitteln.
Als de Gaulle später in einer Krise doch Staatspräsident wurde und die
französische Nation zur Souveränität führen wollte und übernational ein
„Europa der Vaterländer“ propagierte, wurde er von den USA bekämpft,
auch geheimdienstlich, und schließlich vertrieben.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */1989 fiel die Berliner Mauer, ein
Jahr später kam es dann zur Wiedervereinigung. Kanzler war seinerzeit
Helmut Kohl. Inwieweit bediente auch er US-amerikanische Interessen? Und
warum wurde gerade er im Zuge der CDU-Spendenaffäre Ziel einer „brutalst
möglichen Aufklärung“?/
*Werner Rügemer: *Kohl hatte das „Verdienst“, die Sozialdemokraten mit
ihren Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt abzulösen. Die SPD war
nicht US-kritisch, auch der „Entspannungskanzler“ Brandt hatte nie die
NATO, die zahlreichen US-Militärstützpunkte und die nur von den
US-Militärs kontrollierten US-Atombomben in Deutschland infrage
gestellt. Brandt hatte sich nie gegen US-Kriege gestellt, hatte den
US-Krieg gegen Vietnam unterstützt.
Schmidt war mit seiner Zustimmung zu den in Deutschland aufzustellenden
US-Mittelstrecken den USA noch viel weiter entgegengekommen. Aber die
SPD als Gesamtpartei galt insgesamt nicht 100prozentig als so
zuverlässig wie CDU, CSU und FDP.
Die Kohl-CDU und die von ihm geführte bundesdeutsche Regierung ließ, im
Unterschied zu SPD, intern etwa durch einzelne Gliederungen, keinerlei
Kritik an den Essentials aufkommen, weder an den USA noch am
Kapitalismus allgemein.
Die von der SPD geförderte Mitbestimmung, die Stärkung der Betriebsräte,
die Nähe zu den Gewerkschaften – auch das ging den damals verstärkt
eindringenden US-Konzernen wie UPS, McDonald's und Microsoft und der
American Chamber of Commerce in Germany (AmCham) mit ihren 2000
Mitgliedern viel zu weit.
Kohl sicherte im US-Interesse die deutsche Wiedervereinigung ab. In der
Treuhand-Anstalt waren die US-Berater wie McKinsey, Price Waterhouse
Coopers und J.P. Morgan führend beim Ausverkauf und der
De-Industrialisierung der Ex-DDR.
Aber wie es der führende Präsidenten-Berater in den USA, Zbigniew
Brzezinski 1997 öffentlich bekannt gab: Die von Kanzler Kohl als
Vorsitzendem und von Wolfgang Schäuble als Fraktionsvorsitzendem im
Bundestag geführte CDU repräsentiert ein Deutschland als
„geostrategisches Niemandsland“: Es versteht sich als neutrale
europäische Mittelmacht zwischen West und Ost.
Das aber entspricht nicht dem geostrategischen Interesse der USA: Die
„einzige Weltmacht“ braucht, so Brzezinski, für die dauerhafte
Absicherung dieser ihrer Stellung die Herrschaft über „ganz Eurasien“,
und zwar „von Lissabon bis Wladiwostok“.
Die USA hatten sich seit Adenauer nie daran gestört, dass die CDU von
den führenden Privatunternehmen dauerfinanziert wurde, legal wie
illegal, über Briefkastenfirmen in Liechtenstein und der Schweiz oder
mit Bargeld im Koffer wie bei den CDU-Schatzmeistern Walter Leisler Kiep
und Schäuble.
Kohl war der Repräsentant der alten, traditionellen deutschen
Kapitalistenklasse. Die war von den USA gestützt worden. Sie hatte das
wichtige Eigentum in der Ex-DDR bekommen. Aber für die neue Welle der
US-Expansion in Europa hatte sie ausgedient.
Zum Abschuss Kohls war dann die Affäre mit den von ihm verbissen geheim
gehaltenen Millionenspendern plötzlich ein „Skandal“. Ihm wurde mit der
„brutalst möglichen Aufkärung“ zu Leibe gerückt, auch mithilfe der
medialen US-Hauptlobby, der FAZ: Sie schaffte Platz für die Kritik aus
der Hand von „Kohls Mädchen“ Angela Merkel. Die junge aufstrebende
Politikerin aus der Ex-DDR war besonders geeignet und willig, weil sie
ihre Jugendsünde als FDJ-Sekretärin abbüßen wollte und musste.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Angela Merkel, „Kohls Mädchen“, trat
dann aus dem Schatten ihres politischen Ziehvaters und wurde zur „ewigen
Kanzlerin“. Zuvor hatte Gerhard Schröder das Amt des Kanzlers ausführen
dürfen. Welches sind die Verdienste Schröders aus US-amerikanischer
Sicht und warum musste er schließlich gehen? Und was hat Angela Merkel
getan, um die US-Interessen voranzutreiben?/
*Werner Rügemer: *Schröder hatte an den bewunderten Vorbildern William
Clinton in den USA und Anthony Blair in Großbritannien gelernt, wie auch
Sozialdemokraten die Modernisierung des Kapitalismus erfolgreich
vorantreiben können.
Zu seiner „Agenda 2010“ gehörten deshalb zwei verbundene Teile: Erstens
die „Entflechtung der Deutschland AG“, also die Einladung vor allem an
US-Investoren, Unternehmen in Deutschland günstig einzukaufen und
lukrativ zu verwerten – beim Ausverkauf der Ex-DDR waren ja vor allem
westdeutsche Banken und Unternehmen zum Zuge gekommen, zwar die
US-Berater, aber noch keine US-Investoren.
Schröder öffnete den US-Investoren nun auch Westdeutschland. Und als
zweiten Teil der Einladung an die US-Investoren schufen Schröders vier
Hartz-Gesetze den „größten Niedriglohnsektor Europas“.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Aber was war nun die besondere Rolle
der Dauerkanzlerin Merkel?/
*Werner Rügemer: *Der US-dienliche Bundeskanzler Schröder hatte zwei
Fehler gemacht: Er beteiligte Deutschland nicht direkt am US-Krieg unter
Präsident George W. Bush gegen den Irak. Dass er die US-Militärs über
ihre deutschen Stützpunkte aufmarschieren ließ, das machte seine
Abweichung nicht wett. Für die USA sind auch Millimeter-Abweichungen
strafbar.
Zweitens ließ sich Schröder mit dem Präsidenten der Russischen
Föderation ein. Der hieß Putin. Und der beendete den US-geführten
Ausverkauf Russlands, den sein Vorgänger Boris Jelzin mithilfe der
US-Regierung von William Clinton und mithilfe von US-Beratern wie
Geoffrey Sachs korruptiv gedeckt hatte.
Dagegen unterstützte die neue CDU-Vorsitzende Merkel begeistert den
US-Präsidenten George W. Bush, seinen Krieg gegen den Irak und gegen den
„internationalen Terrorismus“. Merkel ließ das US-Militär die neue
Kommandozentrale für Afrika AFRICOM in Deutschland einrichten – kein
afrikanischer und auch kein anderer NATO-Staat hatte AFRICOM haben wollen.
Bush-Nachfolger Barack Obama verlieh Merkel daher den höchsten
Verdienstorden für Ausländer, die Presidential Medal of Freedom – für
Merkels Beitrag zum „nationalen Interesse der USA“.
Dann unterstützte Merkel Obamas Aufforderung an die europäischen
NATO-Mitglieder, weiter aufzurüsten und auch die Ukraine, auch schon vor
jeder Mitgliedschaft in NATO und EU, in gemeinsame Militärmanöver, in
Handelsbeziehungen, westliche Subventionen und Investitionen einzubeziehen.
Dazu führte Merkel seit 2009 zusammen mit Brüssel die „Östliche
Partnerschaft“ mit sechs ehemaligen Sowjetrepubliken, darunter Georgien
und die Ukraine. Schließlich deckte sie mithilfe des zum Scheitern
geplanten Minsker Abkommens von 2015 die Aufrüstung der Ukraine durch
die USA und Großbritannien.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Inzwischen befindet sich Deutschland
in einer Phase massiver De-Industrialisierung und – nach den Worten von
Außenministerin Baerbock - „im Krieg mit Russland“. Liegt auch dies im –
auch geopolitischen – Interesse der USA? Sehen Sie hier einen
Zusammenhang mit der Sprengung der Nordstream-Pipeline?/
*Werner Rügemer: *Die De-Industrialisierung Deutschlands ist bereits
seit 30 Jahren im Gange. Sie begann mit den US-Beratern in der schon
erwähnten Treuhand-Anstalt. Die De-Industrialisierung betraf damit
zuerst Ost-Deutschland. Danach griff mit Schröders „Agenda 2010“ die
De-Industrialisierung auf West-Deutschland über - zunächst fielen
mehrere Dutzend US-Private Equity-Investoren über tausende der
lukrativen deutschen Mittelstandsfirmen her. Diese rabiaten Investoren
erhielten schnell die Bezeichnung „Heuschrecken“. Sie haben seit der
Jahrtausendwende bis heute etwa zehntausend gutgehende mittelständische
deutsche Unternehmen aufgekauft und im durchschnittlichen Zeitraum von
drei bis fünf Jahren „restrukturiert“, Löhne gestoppt, Teile verkauft
oder nach Osteuropa, China und Indien ausgelagert, Firmen-Immobilien
verkauft und teuer zurückgemietet, Betriebsräte rausgemobbt - und dann
entweder an die nächste „Heuschrecke“ weiterverkauft oder in einigen
Fällen an die Börse gebracht. Dabei wurden hunderttausende Arbeitsplätze
und industrielle Potentiale abgebaut.
Unter der Dauerkanzlerin Merkel kam, verstärkt mit der Finanzkrise ab
2008, dann schließlich die erste Liga der US-Investoren, die viel
größeren Kapitalorganisatoren wie BlackRock, Vanguard, State Street,
Masschusetts Financial, Fidelity, Wellington und so weiter. In den DAX-
und MDAX-Unternehmen wurden sie unter Merkel scheinbar unmerklich in
jeweils etwas anderer Zusammensetzung die führenden Aktionärsgruppen,
auch etwa im größten deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall und im
größten Wohnungskonzern Vonovia.
Die allermeisten Deutschen haben davon noch nie gehört, und im Bundestag
und in den Landtagen herrscht darüber Schweigen. Auch die Massenmedien
machen mit, während die Kapital-Postillen wie FAZ, Handelsblatt,
Süddeutsche und Welt sich um liebedienerische Interviews etwa mit dem
BlackRock-Chef Laurence Fink balgen.
Wenn diese globalen Großinvestoren, die natürlich in Frankreich,
Belgien, der Schweiz usw. ebenso verfahren wie in Deutschland, wegen der
Energieverteuerung in einigen europäischen Konzernen und Branchen vor
allem zukünftig weniger Gewinne machen werden, so machen sie in anderen
Bereichen viel höhere Gewinne, und etwa auch als führende Aktionäre in
der US-Fracking-, Rüstungs- und Ölindustrie.
Insofern haben sie wegen der Sprengung der Nordstream-Pipeline einige
Nachteile, aber ungleich mehr Vorteile. Und sie gieren ja mithilfe der
Ukraine auf „ganz Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“.
*Deutsche Wirtschaftsnachrichten: */Zurück zu Macron und seiner
„strategischen Autonomie“. Glauben Sie, dass Frankreich, Deutschland und
die übrigen Staaten der EU ohne eine solche wirtschaftlich und politisch
überleben können?/
*Werner Rügemer: *Wie schon der wohl bekannteste und lange Zeit
einflussreichste US-Globalstratege Henry Kissinger sagte: „Es kann
gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein. Aber Amerikas Freund zu sein,
ist verhängnisvoll.“
Die USA haben als „einzige Weltmacht“ den Anspruch, die Weltverhältnisse
allein zu regeln. Dafür wechseln die USA bekanntlich die jeweiligen
Freunde wie die Unterhosen. Je nach geostrategischer Situation ist ein
Staat ein Freund, im nächsten Moment oder ein paar Jahre später ist er
Feind oder auch Todfeind.
Das passierte bekanntlich der Sowjetunion – erst Verbündeter gegen die
Nazis, dann Todfeind. Die Volksrepublik China mit Kissinger, Brzezinski
und Nixon– erst Freund, dann mit Kissinger, Brezinski und Obama Todfeind.
So ging es etwa auch mit antikolonialen und anderen Befreiungsbewegungen
auf allen Kontinenten: Von den USA für Stellvertreterkriege unterstützt,
ausgerüstet, finanziert – und danach abserviert.
Solange die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem antirussischen
Potential und seiner zentralen Lage die erste wichtigste, besonders
geeignete Bastion gegen Russland war, wurde die BRD als Freund
behandelt, Wohlstand wurde gefördert. Diese Rolle ist nicht ganz vorbei,
aber nun fördern die USA besonders andere Staaten wie Polen: Das liegt
näher an Russland, beherbergt großes antirussisches und
Großmacht-Potential, wird mit neuen AKWs und US-Raketen aufgerüstet,
lässt niedrige Tätigkeiten von Millionen armer Arbeitsmigranten aus der
Ukraine verrichten (schon vor dem Krieg). So bauen die USA eine Ost-NATO
auf, vom Baltikum über Polen bis Kroatien am Mittelmeer.
So schädigen die USA auch in Europa bisherige Freunde. Die waren aber
ohnehin nur situationsbedingte „Freunde“. Die USA haben mit der EU
zunächst die „europäische Einheit“ befördert. Abgesehen davon, dass
unter dieser Decke die osteuropäischen Staaten volkswirtschaftlich und
demokratisch verarmt wurden – jetzt treiben die USA Spaltungen der EU
voran. Einige Freunde werden abgewertet, auch de-industrialisiert, noch
abhängiger gemacht. Andere Freunde werden aufgewertet – ihre
Führungseliten freuen sich, aber auch die Aufwertung ist nur situativ.
Und insgesamt: Die nach dem 2. Weltkrieg geltende US-Doktrin des
atomaren Erstschlags gegen die Sowjetunion – auch vom
BRD-Gründungskanzler und CDU-Vorsitzenden Adenauer mitgetragen – wurde
unter dem freundlich lächelnden US-Präsidenten Barack Obama erneuert.
Den Atomkrieg gegen Russland würden die USA in Europa ausfechten wollen.
Deshalb: Europa kann seine Souveränität im Sinne des Friedens, der
Demokratie, der volkswirtschaftlichen Entwicklung, des Wohlstands, der
industriellen wie technologischen Entwicklung, auch der Natur- und
Ressourcenverträglichkeit nur sichern, wenn dies in Kooperation mit den
Staaten, Regionen, Organisationen, Institutionen, Initiativen
intensiviert wird, national wie global, die solche gleichberechtigten
Kooperationen selbst auch wollen. Eine wachsende Mehrheit auf der
kleinen Erde will das, die Potentiale sind noch gar nicht ausgeschöpft.
Aber hier liegt die Zukunft der Menschheit.
/Info zur Person: Der Publizist //Dr. Werner Rügemer/
<https://werner-ruegemer.de/>/ist Autor unter anderem von „//Die
Kapitalisten des 21. Jahrhunderts/
</“" rel="noopener">https://shop.papyrossa.de/epages/26606d05-ee0e-4961-b7af-7c5ca222edb7.sf/de_DE/?ObjectID=16055330>/“,
„//Imperium EU - Arbeitsunrecht, Krise, neue Gegenwehr/
</“" rel="noopener">https://shop.papyrossa.de/epages/26606d05-ee0e-4961-b7af-7c5ca222edb7.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/26606d05-ee0e-4961-b7af-7c5ca222edb7/Products/726-6>/“
und „//Blackrock & Co enteignen/
<https://www.nomen-verlag.de/produkt/blackrock-co-enteignen/>/“./ /Zur
Zeit schreibt er eine Konrad Adenauer-Biographie./
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.