aus e-mail von Doris Pumphrey, 20. Februar 2025, 17:02 Uhr
Berliner Zeitung 13.2.2025
<https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/ostdeutscher-oscar-preistraeger-noch-nie-gefragt-ob-ich-in-der-berlinale-jury-sitzen-moechte-li.2295044?id=1e87f1811765403bb45d476418290d85>
*Ost-Berliner Oscar-Gewinner:
Noch nie gefragt, ob ich in der Berlinale-Jury sitzen möchte
*Anja Reich
Der Regisseur und Oscar-Preisträger Jochen Alexander Freydank
<https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/tv-medien/tv-wendehammer-zdf-herzogpark-rtl-frauen-power-gegen-penis-tower-li.225826>
fordert eine Ostquote für die Film- und Medienbranche. Er gehört zu den
Initiatoren eines Offenen Briefes
<https://quote-ost.de/forderung-nach-einer-quote-fuer-ostdeutsche-in-entscheidungspositionen-in-der-film-und-fernsehbranche/>,
in dem kritisiert wird, dass der Anteil Ostdeutscher in
Entscheidungspositionen in der Medienbranche bei nur circa sieben
Prozent liege. Das weitgehende Fehlen „ostdeutsch geprägter
Erzählperspektiven in fiktionalen Formaten“ führe zu einer verzerrten
und oft stigmatisierenden Darstellung ostdeutscher Lebensrealitäten.
Den Brief haben rund 100 Regisseure, Produzenten, Drehbuchautoren,
Filmprofessoren, Schauspieler unterschrieben, darunter Fritzi
Haberlandt, Milan Peschel und Thorsten Merten. Wir haben am Telefon mit
Jochen Alexander Freydank über seine Initiative gesprochen.
*Jochen Freydank: „In der gesamten Hierarchie meist nur Westdeutsche“
*/Herr Freydank, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Netzwerk für
Ostdeutsche zu gründen und eine Ostquote zu fordern?/
Wir wollen etwas zum Positiven verändern. Ich bin wirklich oft
erschrocken darüber, wie mit ostdeutschen Themen umgegangen wird. Wenn
ich in Drehbüchern lese, dass eine Figur, „ostdeutsch“ spricht, bekomme
ich schlechte Laune.
/Was heißt denn „ostdeutsch“ sprechen? Es gibt ja einige Dialekte im Osten?/
Eben. Wenn ich ein Drehbuch schreiben würde, in dem steht, jemand
spricht westdeutsch, würde mich garantiert jemand fragen, ob ich jetzt
bayerisch oder platt meine. Aber wenn ein westdeutscher Autor schreibt,
jemand spricht ostdeutsch, fällt das keinem auf. Weil in der gesamten
Hierarchie meist nur Westdeutsche sitzen und nicht merken, was das für
ein Unsinn ist.
/Ostdeutsch soll Sächsisch sein, oder was?/
Ja, das ist wohl damit gemeint. Eine Kollegin hat gerade auf Rügen
gedreht, und da haben sie auch jemanden gesucht, der Sächsisch kann.
/Auf Rügen?/
Ja. Das ist nur eine Kleinigkeit. Es geht ja bis zur
Fußballberichterstattung. Wenn ein Spieler von Union, der früher mal bei
Hertha war, eine gelbe Karte beim Spiel gegen Real Madrid bekommt,
bezeichnet ihn der Reporter im RBB als „Ex-Berliner“. Ein Spieler, der
früher mal in Charlottenburg gespielt hat und jetzt in Köpenick spielt,
ist kein Berliner mehr! Das sind kleine Beispiele, aber am Ende zeigt es
das große Bild, und das finde ich gefährlich und traurig.
/Sie drehen viele Fernsehfilme. Wie ist es da am Set? Wissen die
Kollegen, dass Sie Oscar-Preisträger sind?/
Ja, die Kollegen, mit denen ich drehe, wissen das. Das ist da nicht
wichtig. Aber als ich den Bayerischen Fernsehpreis bekommen habe, hat
Uwe Ochsenknecht, der die Laudatio gehalten hat, es zwar dreimal betont,
aber in der Pressemitteilung hat nur ein Preisträger gefehlt, das war
der Ossi.
/Also Sie. Woran liegt das?/
Das System, in dem wir leben, heißt, ob man es mag oder nicht,
Kapitalismus. Und was Ostdeutsche definitiv nicht haben, ist Kapital.
Ich rede nicht von Geld, sondern von dem großen Kapital Vernetzung. Wenn
die Chefs im Filmgeschäft aus anderen Teilen des Landes kommen, werden
sie Leute einstellen, die sie kennen. Das ist eben so. Aber damit sind
leider Ostdeutsche, die diese Netzwerke nicht haben, mit ihren Themen
sehr oft nicht dabei.
*Claudia Roth und die Ostquote: Zwei Anfragen, keine Antwort
*/Wenn Sie einen ostdeutschen Stoff anbieten, was sagt man Ihnen dann?/
Dann hört man immer: Geh doch zum MDR. Nur dort gibt es derzeit einen
Intendanten aus dem Osten. Auch bei den Streamern, Verleihern, bei den
Festivals: kaum Ostdeutsche.
/Sie schreiben auf Ihrer Website, es gebe eine Franken-, aber keine
Ostquote. Ernsthaft?/
Oft gibt es das Argument, man könnte so schlecht sagen, was ostdeutsch
sei. Dabei gibt es viele Definitionen, wenn man nur wollen würde. Eine
Frankenquote wird nicht so direkt durchgesetzt, aber es wird zum
Beispiel in der CSU darauf geachtet, dass Franken in Bayern halbwegs
paritätisch vertreten sind, die Franken wurden ja schon vor 200 Jahren
mit Bayern „vereinigt“.
/Sie haben Anfragen an Sender, Politiker und Fördergremien geschickt und
gefragt, wie es mit der Ostquote aussieht. Wie waren die Reaktionen?/
Beim ZDF wurde immerhin Interesse gezeigt. Die ARD teilte von ganz oben
mit, sie könnten aus Datenschutzgründen nicht sagen, wie hoch der Anteil
Ostdeutscher sei. Die Streamer haben gar nicht geantwortet, obwohl die
ja sehr harte Diversitätskriterien haben. Nur wenige Kultusministerien
haben reagiert.
/Und Claudia Roth?/
Keine Antwort. Auf zwei Anfragen nicht.
/Was haben Schauspieler und Regisseure aus dem Osten gesagt, als Sie
gefragt haben, ob sie den Offenen Brief unterschreiben?/
Wir haben sehr viele positive Reaktionen bekommen auf eine sehr negative
Situation, in der wir sind. Aber es gab auch welche, die gesagt haben,
sie sind gegen Quoten oder sie wollen nicht in die Ossi-Richtung
gedrängt werden. Einer fürchtete, das Thema könnte von der AfD gekapert
werden, was nicht passieren kann. Die AfD-Spitze ist ja fast komplett
aus dem Westen. Die können nicht für eine Ostquote sein. Torsten Schulz,
einer unserer Mitinitiatoren, hat mir erzählt, dass es Anfang der 90er
eine größere Neugierde auf den Osten und auch mehr Autoren aus dem Osten
gab. Heute heißt es stattdessen: Wir sind doch eh alle eins. Sind wir
auch, aber die Geschichten, die erzählt werden, sind eben westdeutsch
dominiert. Und es wäre schön, wenn es bei den ostdeutschen Geschichten
nicht immer nur um Stasi oder Doping geht.
/Ist der Zeitpunkt Zufall, dass Sie gerade jetzt, zum Beginn der
Berlinale, mit Ihrem Brief an die Öffentlichkeit gehen?/
Wir haben es schon vor einiger Zeit versucht, haben große überregionale
Zeitungen mit Sitz im Westen darauf angesprochen. Aber die haben nichts
veröffentlicht. Jetzt machen wir es noch mal. Mit einem sehr, sehr
großen Verteiler. Die Berliner Zeitung ist die Einzige, die sich bisher
zurückgemeldet hat.
/Gibt es Ostdeutsche in der Berlinale-Jury?/
Nicht dass ich wüsste. Da würde eine Findungskommission bestimmt helfen.
/Wurden Sie selbst schon mal gefragt, ob Sie Jury-Mitglied sein möchten?/
Nein.
/Würden Sie es machen?/
Ich reiße mich nicht drum. Ich habe gut zu tun. Aber es ist schon ein
bisschen absurd, dass ich zum Beispiel nach China, Amerika oder England
eingeladen wurde, um an Filmhochschulen zu sprechen. Aus Deutschland
kein Anruf. Da geht’s wohl um Vernetzung. Aber ich drehe ja viel und
meist schöne Sachen. Das soll auch so bleiben.
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*Jochen Alexander Freydank wurde 1967 in Ost-Berlin geboren. Nachdem er
fünfmal an Filmhochschulen abgelehnt wurde, produzierte er seine ersten
Filme selbst. Sein Film „Spielzeugland“ hat 30 internationale Preise
gewonnen, darunter den Oscar für den Besten Kurzfilm. Er schreibt und
dreht vor allem Fernsehfilme und Serien und ist Mitglied der Academy of
Motion Picture Arts and Sciences.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.