Die Watchlist EUropa vom 18. November 2023– heute mit der Wochenchronik
Diese Woche könnte als Wendepunkt für die europäische Klima- und Finanzpolitik in die Geschichte eingehen. Auch die Außen- und Ukraine-Politik dürften die Folgen spüren.
Auslöser ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem die von der Bundesregierung geplante Umwidmung von 60 Mrd. Euro für den deutschen Klimafonds für rechtswidrig erklärt wurde.
Damit wackelt nicht nur die Klimapolitik, sondern auch die Schuldenbremse, auf die sich die Karlsruher Richter in ihrem Urteil bezogen. Die gesamte deutsche Finanzplanung steht auf der Kippe – womöglich sogar die „Ampel“-Koalition.
Das bekommt auch die EU zu spüren: Die Bundesregierung hat signalisiert, dass sie die von der EU-Kommission geplante Aufstockung des EU-Budgets nicht mittragen werde. Nur die Ukraine soll mehr Geld bekommen.
Von der Leyen muss umdisponieren
Die Aufstockung sollte beim nächsten EU-Gipfel beschlossen werden – genau wie der Start von Beirittsverhandlungen mit der Ukraine. Nun wackelt die EU-Agenda. Kommissionschefin von der Leyen muß umdisponieren…
Von der Leyens Plan, weitere 50 Mrd. Euro für Kiew locker zu machen, werde von mehreren Seiten kritisiert, heißt es in Brüssel. „Wir dürfen der Ukraine nicht erlauben, pleite zu gehen“, so ein Diplomat. „Aber es ist nicht leicht.“
Derweil wachsen auch in Brüssel die Zweifel am militärischen Erfolg der Ukraine. Offen sprechen möchte darüber zwar niemand. Doch kritische Kommentare von „FAZ“ bis „Wall Street Journal“ zeigen, wohin die Reise geht…
Was war noch? Israel führt seinen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen weiter – ohne Rücksicht auf die EU, die eine sofortige Pause gefordert hatte. Die europäische „Soft Power“ wirkt nicht mehr…
Und die EU-Kommission hat entschieden, das umstrittene Pestizid Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen. Die EU-Staaten konnten sich nicht einigen, Berlin und Paris brechen ihre Umwelt-Versprechen.
Der frühere EU-Klimakommissar F. Timmermans will Premier in den Niederlanden werden. Nun hat er an einer Klimademo in Amsterdam teilgenommen – gemeinsam mit G. Thunberg.
Die EU steckt wieder in der Krise. Doch diesmal ist alles anders. Die 27 sind vom Kurs abgekommen – sie wissen nicht mehr, wo sie stehen und wohin sie gehen. – Heute: das Ende der „Soft Power“.
Neue brisante Enthüllung zum Attentat auf die Nordstream-Pipelines: Nach einem Bericht der „Washington Post“ soll der ukrainische Generalstab in den Fall verwickelt sein.
„Grave violations committed by Israel against Palestinians in the aftermath of 7 October, particularly in Gaza, point to a genocide in the making, UN experts said today.“ und weiter: „The bombardment and siege of Gaza have reportedly killed over 11,000 people, injured more than 27,000 and displaced 1.6 million persons since 7 October 2023, while thousands are still under the rubble. Of those killed, about 41 per cent are children and 25 percent are women. On average, one child is killed and two are injured every 10 minutes during the war, turning Gaza into a “graveyard for children,” according to the UN Secretary-General.“
Wieviele tote Palästinenser erfüllen das Kriterium des „Rechtes auf Verteidigung?“ Wann ist genug, wann gesühnt? Was sagt die Bundesregierung dazu? Was die EU?
„Wir dürfen der Ukraine nicht erlauben, pleite zu gehen“, so ein Diplomat. „Aber es ist nicht leicht.“ Die Ukraine IST längst pleite. Jede Finanzspritze versickert im Boden, der überwiegend nicht mehr den Ukrainern gehört. Unter dem Vorwand, den armen, heldenhaften Ukrainern bei der „Demokratisierung“ zu helfen, werden überwiegend US-Konzerne gepampert. „Demokratisierung“ ist im Zusammenhang mit regimechanges lediglich der Deckname für die Übernahme von harten Werten wie Boden und Rohstoffen. Im Gegenzug gibts Waffen, die wie Konfetti nach Gebrauch wertlos sind und bunte Scheine, die im Zweifel von Tag zu Tag weniger wert sein werden. Zurückgezahlt werden müssen diese „Kredite“ aber in den nächsten 100 Jahren mit harten Werten. Merke: bei Geschäften mit den USA gibts es nur einen Gewinner. Und jetzt soll die EU für ihre europäischen „Freunde“, die rechten Helden der Ukraine die Kreditlasten übernehmen… Sind wir wirklich so „verstrahlt“?
Es gibt ein 22-seitiges öffentliches Papier, das im Text verlinkt ist und noch ein sehr viel längeres Dokument, das im Moment noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben ist. Aber demnach befürchtet die Biden-Administration, dass die Korruption das Ukraine-Projekt zum Kippen bringen könnte und europäische Länder sich zurückziehen werden. “Perceptions of high-level corruption” the confidential version of the document warns, could “undermine the Ukrainian public’s and foreign leaders’ confidence in the war-time government.”
Interessant ist der Teil über die englische Sprache. Die Ukraine, als zukünftiges EU-Land, soll englisch werden. Der Sprachunterricht soll massiv ausgebaut werden. „One way Washington believes that will happen is through the English language. The strategy indicates the United States is offering technical and other aid to Ukraine’s education ministry to improve the teaching of English and that it believes offering English lessons can help reintegrate Ukrainians freed from Russian occupation.“
Die Europäer werden gar nicht erst gefragt. Soviel zu Global Europe. Und sollte Russland jemals die Befürchtung gehabt haben, dass aus der Ukraine ein US-geführter Nato-Stützpunkt werden soll, so dürfte das mit diesem Papier bestätigt worden sein.
Zitat: Von der Leyens Plan, weitere 50 Mrd. Euro für Kiew locker zu machen, werde von mehreren Seiten kritisiert, heißt es in Brüssel. „Wir dürfen der Ukraine nicht erlauben, pleite zu gehen“, so ein Diplomat. „Aber es ist nicht leicht.“
„Wir dürfen der Ukraine nicht erlauben, pleite zu gehen“, so ein Diplomat. „Aber es ist nicht leicht.“
Gut gebrüllt, Löwe. Die Ukraine hatte bereits vor dem Krieg eine Auslandsverschuldung in Fremdwährung (USD) von nahezu 100 Prozent und stand immer mit einem Bein in der Staatspleite. Dass dieser Zustand sich nicht verbessert hat, ist offensichtlich.
Ein interessanter Artikel ist dazu aktuell auf Euraktiv zu lesen https://www.euractiv.de/section/gap-reform/news/bauernverband-warnt-vor-eu-beitritt-der-ukraine/ Die europäischen Bauern proben den Aufstand gegen den Ukraine-Beitritt, der wie im Artikel zu lesen ist, bereits 2030 stattfinden soll. Zum einen erfüllt der ukrainische Weizen nicht die europäischen Standards, wegen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln, zum anderen würde die EU mit billigem Weizen geflutet und europäische Bauern in die Pleite treiben. Nicht erwähnt wurde im Artikel, dass man den ukrainischen Weizen und Boden nach dem Krieg wohl erst auf Verstrahlung untersuchen sollte, nachdem dort Uranmunition eingesetzt wurde. Durch die Explosion dieser Munition verteilen sich die Nanopartikel überall. Das Ergebnis kann man an den Krebsraten im Kosovo und im Irak ablesen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Zum gegenwärtigen Zustand der russischen ÖkonomieInmitten einer historischen Neuorientierung
Xi Jinping und Wladimir Putin haben große Pläne für die Zukunft – ohne Bevormundung durch USA, EU und NATO. (Foto: Kremlin.ru)
Das Bemühen, Russland schlechtzuschreiben, ist weit verbreitet. Der republikanische Kriegsfalke John McCain brachte es auf die Formel: „Russland ist eine Tankstelle, die sich als Land maskiert hat.“ Die antirussische Obsession in Washington, Brüssel und Berlin ist so stark, dass man das Land, das in den westlichen Medien nur aus seinem Präsidenten besteht, erklärtermaßen „ruinieren“ will. Russland hat allerdings die mittlerweile zwölf Sanktionsrunden, den Raub von 300 Milliarden US-Dollar Auslandsguthaben sowie den Rauswurf aus dem SWIFT-System ebenso überstanden wie den provozierten Proxy-Krieg in der Ukraine. Jedenfalls sucht man den in den USA mittlerweile zum Straßenbild gehörenden offenen Horror der Elendsviertel, der Zeltstädte, des allgemeinen Verfalls in den russischen Citys bislang vergeblich. Russland hat die Herausforderungen des als „Great Power Competition“ verharmlosten koordinierten Generalangriffs nicht nur überstanden – es hat auch resolute Schritte zur Erweiterung und Diversifizierung seiner Ökonomie ergreifen können. Bisher alles, ohne zu den Zwangsmaßnahmen einer Kriegswirtschaft greifen zu müssen.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Russischen Föderation wird 2023 bei umgerechnet 1,86 Billionen Dollar liegen. Das Land liegt damit im globalen Ranking auf Platz 11. Berücksichtigt man die reale Kaufkraft des Rubel (PPP), so liegt Russland auf Platz 6, knapp hinter Deutschland.
Bis September dieses Jahres generierte Moskau Staatseinnahmen von fast 20 Billionen Rubel. Dem standen im selben Zeitraum Ausgaben von knapp 21,5 Billionen Rubel entgegen. Das Budgetdefizit dürfte weitgehend durch innerrussische Kreditaufnahme bestritten werden. Die Verschuldungsquote Russlands lag 2022 bei 17,2 Prozent und damit weit unterhalb der neoliberal ruinierten westlichen Staaten. 1998, am Ende der Jelzin-Ära, lag sie noch bei rund 140 Prozent. Russland war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, seine Schulden zu bedienen. Die Inflation stieg auf 84 Prozent. Der Rubel verlor innerhalb eines Monats zwei Drittel seines Werts. Das Land war 1998 de-facto pleite.
Der Generalangriff
Die innere Struktur und die schwerpunktmäßige Ausprägung sozialökonomischer Verhältnisse ist, grob gesprochen, eine Funktion der Geographie, der Ressourcen, der Bedrohungslage sowie des inneren und äußeren klassenbasierten Kräfteverhältnisses. Der von Boris Jelzin inszenierte Putsch zur Auflösung der Sowjetunion ermöglichte ein Jahrzehnt der ungehinderten Ausplünderung der UdSSR-Nachfolgestaaten durch die zu Raubtieroligarchen mutierten Teile der ehemals kommunistischen Funktionselite sowie durch das westliche Finanzkapital und seine ökonomischen „Experten“. Die naiven Hoffnungen auf eine „Friedensdividende“ hatten sich naturgemäß ebenso wenig erfüllt wie der Glaube an die Vertragstreue der NATO. Stattdessen kam die „Schocktherapie“ und das Vorrücken der NATO bis zur russischen Grenze. 2008 erklärte Washington ganz offen, die Ukraine in die NATO aufnehmen zu wollen, und kündigte sukzessive die wesentlichen strategischen Rüstungsbegrenzungsverträge. Das Erstschlagszenario der 1980er Jahre kehrte in neuer, verschärfter Form zurück. Die russische Führung musste auf die harte Tour lernen, dass der hybride Krieg Washingtons keine alleinige Frage der gesellschaftlichen Verfasstheit ist, sondern auch einem geostrategischen Kalkül entspringt. Ein souveränes Russland, sozialistisch oder nicht, stellt vor allem im Bündnis mit China eine existentielle Herausforderung für den globalen Dominanzanspruch der „einzigen Weltmacht“ dar. Diese gehört aus der Sicht der in Washington dominierenden Neokonservativen (Neocons) wenn nicht vernichtet, so doch zumindest auf ein unbedeutendes Niveau dezimiert.
Russland musste auf diese strategische Bedrohung reagieren, militärisch wie ökonomisch. Das erforderte eine entsprechende Ressourcenallokation sowie eine Neuausrichtung und Modernisierung der Streitkräfte. Dazu waren die kurzfristig verfügbaren Finanzquellen auszubauen und ihre Profitabilität zu steigern. 2014 organisierte Washington den „Maidan-Putsch“ und verhängte Sanktionen gegen Russland. Das Ziel hieß: Maidan auf dem Roten Platz, Regime Change und Aufspaltung Russlands. Auf Grund dieser Verschärfung musste Russland seine Wirtschaft schneller sanktionsfest machen und einen konsequenten Entdollarisierungsprozess einleiten. Trotz des Verlusts großer Devisenreserven kann diese Aufgabe zu einem großen Teil als bewältigt betrachtet werden.
Wladimir Putin konnte am 1. März 2018 auf wesentliche Neuentwicklungen strategischer und taktischer Waffensysteme hinweisen. Im Ukraine-Krieg waren die Fähigkeiten der russischen Rüstungsindustrie zu erkennen. Es zeigte sich, dass Russland militärisch mit dem Westen gleichauf ist, in einigen Bereichen sogar vorn liegt. Die Zuspitzung und die darauffolgende Niederlage des Westens in der Ukraine hat entscheidend zur geostrategischen Umorientierung der Länder des Globalen Südens, insbesondere der arabischen Welt, in Richtung BRICS beigetragen.
Sanktionssichere Ökonomie
Das entscheidende Standbein der russischen Ökonomie ist die Fossilenergie. Das Land verfügt über die weltweit größten Erdgasreserven, die zweitgrößten Kohlereserven und die sechstgrößten Erdölreserven. Vom 24. Februar 2022 bis Anfang November 2023 hat Russland umgerechnet 580 Milliarden Dollar durch Fossilenergie-Exporte generiert. Etwa ein Drittel kamen trotz Selbstboykott aus der EU. Die zurückgehenden europäischen Importe konnte Russland durch eine Steigerung der Exporte vor allem nach China und Indien mehr als kompensieren.
Eiin Mitarbeiter bei einer technischen Überprüfung der Anlagen eines Gasfelds in Irkutsk, Russland. (Foto: Xinhua)
Die Belt-and-Road-basierte Industrialisierung und infrastrukturelle Durchdringung Asiens und großer Teile des Globalen Südens erzeugt gewaltige Energiebedarfe, die in absehbarer Zeit kaum anders als durch einen hohen Anteil an Fossilenergie gedeckt werden können. Russland setzt auf diese Entwicklung und baut seine bestehende Energieinfrastruktur deutlich aus.
Daneben hat Russland eine führende Position bei der Förderung und Verarbeitung einer breiten Palette von Mineralien und Metallen: Vanadium, Molybdän, Kobalt, Nickel, Kupfer, Zink, Zinn, Uran, Magnesium, Aluminium, Eisenerz, Gips, um nur die wichtigsten zu nennen. Aber auch bei Edelmetallen wie Gold, Silber und Platin hält das Land Spitzenpositionen, ebenso wie bei der Förderung von Diamanten. Die vielfältigen Produkte des russischen Metallurgiekomplexes (Stahl- und Nichteisenprodukte) werden allerdings zu 90 Prozent für den heimischen Bedarf produziert.
Seit 2016 ist Russland zum größten Weizenexporteur aufgestiegen und hat auf einer kleineren Anbaufläche in etwa das landwirtschaftliche Produktionsvolumen der früheren Sowjetunion erreicht. Es gehört bei den 25 wichtigsten landwirtschaftlichen Produkten, zwar auf unterschiedlichen Positionen, aber zumindest zu den weltweit zwölf größten Produzenten.
Auch bei der zivilen Automobil- und Flugzeugproduktion haben die Sanktionen eine Restrukturierung notwendig gemacht. Teils in Eigenregie, teils in Kooperation mit vor allem chinesischen Unternehmen werden die von westlichen Produzenten verkauften Betriebe weitergeführt. Der russische Pkw-Markt ist in einer tiefgreifenden Umbruchphase: Chinesische Marken halten aktuell bei den Pkws schon einen Marktanteil von 49 Prozent. Auch die Flugzeugproduktion ist im Umbruch. So wird der Suchoi-Superjet 100, ein Nah- bis Mittelstreckenflieger, in verschiedenen Varianten produziert, ebenso wie die MC-21 von Irkut. Einen Durchbruch stellt die Iljuschin-Il-96-Familie dar, ein vierstrahliger Großraum-Langstreckenflieger aus komplett russischer Produktion mit einer Kapazität von 390 Passagieren und einer Reichweite bis zu 10.000 Kilometern. Auch hier gibt es Planungen zur Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen.
Ein Flaggschiff der engen russisch-chinesischen Kooperation könnte die wohl 250 Milliarden Dollar teure und 7.000 Kilometer lange neue Moskau-Peking-Eisenbahn werden, die gegenwärtig in der Planung ist. Mit der Hochgeschwindigkeitsverbindung soll die Fahrzeit auf etwa zwei Tage reduziert werden können. Teile des Projekts wie die 762 km lange Moskau-Kasan-Strecke sollen bis 2024 fertiggestellt werden.
Die Fähigkeiten des russischen militärisch-industriellen Komplexes (MIK) haben im Ukraine-Krieg das Potential der NATO deutlich in den Schatten gestellt. In allen wesentlichen Waffentypen und -gattungen waren die russischen Kräfte zahlenmäßig und häufig qualitativ überlegen. Der russische MIK beschäftigt rund 3 Millionen Menschen. Dazu kommen etwa 1,5 Millionen Angehörige der Streitkräfte. Die russischen Militärausgaben insgesamt beanspruchen mehr als 20 Prozent des Staatsbudgets. Dies dürfte die größte Herausforderung für die russische Ökonomie und Gesellschaft darstellen.
Die Kommandohöhen in Staat und Ökonomie
Die Sanktionen des Westens haben neben den Schwerpunkten Rüstung und Fossilenergie auch eine Diversifizierungsoffensive der russischen Ökonomie gestartet. De-Coupling und De-Dollarisierung sind zur Realität geworden. Die Rückkehr zum Rubel, gigantische Investitionen im dreistelligen Milliardenbereich sind ebenso erforderlich wie eine starke, zur ökonomischen und gesellschaftlichen Steuerung fähige Staatsmacht. Auch die – konservative – politische Führung Russlands musste lernen, dass die Herrschaft der Oligarchen, der neoliberale Ausverkauf und die globalisierte Herrschaft des angloamerikanischen Finanzkapitals insbesondere für Russland keine Option ist. Russlands Souveränität und sein Status als souveräne Großmacht kann in der „Great Power Competition“ nur bewahrt werden, wenn egoistische Profit- und Sonderinteressen keine bestimmende Rolle spielen.
Das Erbe der Jelzin-Raubtierjahre lastet schwer auf der russischen Ökonomie und auf dem Bemühen um Souveränität. Der Vermögens-Gini-Koeffizient von 0,88 macht die krassen Reichtumsunterschiede deutlich. (Gini 1 = einem gehört alles, 0 = allen gehört gleich viel).
Die Putin-Führung hatte 2003 im Machtkampf mit den politisch ambitionierten Oligarchen gesiegt. Michail Chodorkowski, sozusagen die Führungsfigur der hemmungslosen Selbstbereicherung, war hinter Gittern verschwunden. Allerdings waren die zusammengeraubten Vermögen zum großen Teil erhalten geblieben. In Russland hatte sich eine alles andere als widerspruchsfreie, gemischte Ökonomie mit dominanten bis einflussreichen Staatsanteilen in den strategisch wichtigen Sektoren wie Banken, Energie, Schiffbau, Eisenbahnen, Luftfahrt und Rüstung herausgebildet. In der gegenwärtigen geopolitischen Situation eines historischen Umbruchs und beim aktuellen Stand der komplexen internationalen Klassenkämpfe geht es darum, den entscheidenden Einfluss der Regierung auf die Entwicklung des Landes zu sichern und gleichzeitig die Fähigkeit zu einer schnellen, massiven, strategisch notwendigen Ressourcenallokation zu ermöglichen. Die gigantischen Investitionen für eine umfassende Modernisierung, Umstrukturierung und Diversifizierung der russischen Ökonomie dürften, wie in der NÖP der 1920er Jahre oder den „vier Modernisierungen“ Deng Xiaopings, wohl nur durch die Einbeziehung großer Privatinvestitionen zu bewältigen sein.
Zentral ist es, wie Lenin sagte, die Kommandohöhen in Staat und Ökonomie zu behaupten und nicht das Business jeder Pommesbude zu organisieren. Das gilt auch für die konservative Partei Putins. Während es bei der KPCh erklärtermaßen um den Aufbau eines nationalen Sozialismusmodells geht, steht für die Partei Putins der Erhalt und die Verteidigung der russischen Souveränität im Vordergrund. Interessanterweise führen beide Zielstellungen zu ähnlichen Ergebnissen. Das gilt, wie sich im Prozess der Herausbildung einer vom angloamerikanischen Block unabhängigen multipolaren Staatengemeinschaft gezeigt hat, nicht nur für Russland und China. Die große Erkenntnis heißt: Die Entwicklung von ökonomischer Prosperität wie nationaler Unabhängigkeit setzt die Überwindung der neoliberalen Selbstruinierungs- und Verarmungspolitik, der finanzkapitalistischen Globalisierung sowie den Aufbau einer schlagkräftigen Militärmacht voraus. Und genau das versucht das angloamerikanische Finanzkapital mit seinem ganzen Herrschaftsinstrumentarium, seiner Kriegsmaschine, dem US-Dollar, seiner Bewusstseinsindustrie und seinen Regime-Change-Agenturen mit allen Mitteln zu verhindern. In diesem historischen Kampf befinden wir uns gegenwärtig.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Zunehmende Verfolgung von Meinungsdelikten – Man weiß nicht mehr, was man sagen darf
Im Interview warnt der Kölner Strafverteidiger Dirk Sattelmaier vor der zunehmenden Verfolgung von angeblichen Meinungsdelikten. Die Bürger würden zunehmend eingeschüchtert, ihre Meinung zu äußern. Juristische Laien könnten nicht mehr verstehen, was verboten und was erlaubt sei.
Leere Worte? Artikel 5 des Grundgesetzes auf einer Tafel am Reichstag
Kürzlich kündigte die bayrische Generalstaatsanwaltschaft an, Nutzer des Slogans "From the River to the Sea, Palestine will be free!" (Vom Fluss bis zum Meer – Palästina wird frei sein!) ab sofort strafrechtlich zu verfolgen. Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft sei die "kontextlose Verwendung" des Slogans strafbar, da es sich hierbei um das Kennzeichen einer terroristischen Vereinigung handele.
Wie die Autorin auf einer propalästinensischen Großdemonstration am 28. Oktober in Rom selbst erleben konnte, schert sich die Obrigkeit in Italien zum Beispiel überhaupt nicht um diesen Slogan. Die Polizei stand in größeren Gruppen am Rande des Protestmarsches und hat bei den unüberhörbaren Ausrufen dieses Slogans gar nichts unternommen.
Nach Auffassung des Kölner Rechtsanwalts Dirk Sattelmaier geht es bei der Ankündigung der bayrischen Staatsanwaltschaft aber um mehr als nur um die Unterdrückung dieses Slogans. Er sieht ganz grundsätzlich Anzeichen für eine weitere Einschüchterung und Verunsicherung der Menschen hierzulande. Denn für juristische Laien würde immer unklarer, was man sagen dürfe und was nicht.
Was bedeutet die Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen nach dem deutschen Strafrecht?
Im Interview erklärte der Strafverteidiger am Mittwoch zunächst die Bedeutung des § 86a StGB "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen". Im Gesetzestext des § 86a StGB heißt es im Absatz 1, Satz 1:
"Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet." Zu den Kennzeichen gehören laut Absatz 2 des Gesetzes "Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen".
Gesetzestexte seien grundsätzlich allgemein gehalten, erläuterte Sattelmaier. Da stehe eben nicht drin, "Hakenkreuze" seien verboten oder, wie im aktuellen Fall, der Slogan "From the river to the sea …" sei verboten. Die Gerichte müssten also jeweils prüfen, ob es sich um ein Kennzeichen einer verfassungswidrigen und terroristischen Organisation im Sinne des abstrakt gehaltenen Tatbestandes des § 86a Abs. StGB – wie zum Beispiel im Falle dieser Parole – handele.
Was eine terroristische Organisation ist, müsse in Deutschland zuvor festgelegt werden. Die Hamas wurde nach einigem Hin und Her am 23. November 2021 von der EU in die Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. Infolgedessen gelte sie auch in Deutschland als Terrororganisation – in der Schweiz, wo derzeit eine Diskussion über ihre Einstufung geführt wird, gelte die Hamas aktuell nicht als Terrororganisation.
DeutschesGerichtsurteil: "From the River to the Sea …" ist kein Aufruf zu Gewalt und Zerstörung
Die rechtliche Einordnung des genannten propalästinensischen Slogans als Kennzeichen einer terroristischen Organisation habe zunächst einmal lediglich die bayrische Generalstaatsanwaltschaft getroffen. Grundsätzlich könne man nach dem § 86a Absatz 2 StGB auch Parolen als Kennzeichen einer terroristischen Organisation identifizieren, erläuterte Sattelmaier. Eine solche Parole müsse aber eindeutig einer bestimmten Organisation zuzuordnen sein. Das sei im Falle des Spruchs "From the River to the Sea" nicht ganz so eindeutig. Schließlich sei dieser Slogan schon vor der Gründung der Hamas genutzt worden. Geprägt worden sei er in den 1960er-Jahren von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Die PLO stehe aber nicht auf der Terrorliste der EU.
Auch ein deutsches Gericht habe sich erst kürzlich zu dem Slogan geäußert. In seiner Entscheidung vom 23. August dieses Jahres habe das Verwaltungsgericht Berlin zur Parole "From the River to the Sea …" festgestellt:
"Der Slogan müsse in erster Linie als Ruf nach Freiheit und Gleichberechtigung verstanden werden und nicht als Ausruf zu Gewalt und Zerstörung, sofern nicht zwingende zusätzliche Anhaltspunkte das Gegenteil nahe legen würden."
Die Schlagzeilen vieler Leitmedien vermittelten den Eindruck, so der Jurist im Interview, das Rufen dieses Slogans wäre nach der Ankündigung der Staatsanwaltschaft aus Bayern automatisch strafbar. Dem sei mitnichten so. In Deutschland entschieden "gottlob" immer noch die Strafgerichte, ob die "kontextlose Verwendung" des Slogans nach § 86a StGB strafbar ist, und nicht die Staatsanwaltschaften. Sattelmaier wundere sich, dass diese Parole jetzt auf einmal als strafbar angesehen werde: "Vor dem 7. Oktober gab es diesen Slogan auch schon – diesbezüglich ist mir kein einziger Fall einer Verurteilung bekannt."
Sattelmaier: Es geht darum, die Menschen einzuschüchtern – Juristische Laien wissen nicht mehr, was sie sagen dürfen
Auf seinem Telegram-Kanal hatte der Kölner Strafverteidiger deutlich gemacht, dass es bei dem angedrohten Verbot des propalästinensischen Slogans um etwas Grundsätzliches gehe: nämlich um die Gefahr einer weiteren Einschränkung der Meinungsfreiheit insgesamt. In den letzten dreieinhalb Jahren seien zunehmend unliebsame Meinungsäußerungen strafrechtlich verfolgt worden. Das sei das eigentlich Bedenkliche bei der Ankündigung der bayrischen Staatsanwaltschaft: Die Menschen würden beim Rufen dieses mutmaßlich verbotenen Slogans nun auch hier damit rechnen müssen, strafrechtlich verfolgt zu werden und ein Gerichtsverfahren "an der Backe" zu haben.
Man könne das mit dem Anstieg von Gerichtsverfahren im Bereich von Volksverhetzungsdelikten in den letzten dreieinhalb Jahren vergleichen. Der Tatbestand der Volksverhetzung werde inzwischen viel weiter ausgelegt, stellte der Strafverteidiger fest:
"Scheinbar jegliche Bezugnahme auf die NS-Zeit birgt schon die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung nach § 130 StGB – hier vor allem in der Variante des Verharmlosens im Absatz 3."
Angesichts dieser Entwicklung würden die Meinungsäußerungsdelikte für den Normalbürger immer komplizierter und unübersichtlicher. Dabei sei die Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes ein "extrem hohes Rechtsgut".
"Wenn aber der Bürger eine Strafverfolgung befürchten muss, führt das zur Verunsicherung und damit auch zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit. Diese wird dann häufig nur noch in inhaltsleeren 'Sonntagsreden' als 'hohes Gut' bezeichnet."
Als Jurist sei ihm die inhaltliche Qualität der Meinung – ob sie also richtig oder falsch ist oder ob sie gut oder verwerflich ist – herzlich egal. Er habe auch Mandanten, deren Meinung er nicht teile, erklärte Sattelmaier. Für ihn als Jurist zähle einzig und allein, ob die Meinungsäußerung strafbar sei. "Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Meinungsäußerungsdelikte von der Justiz – hier vor allem von den Strafverfolgungsbehörden – stark überdehnt werden." Das führe für ihn zu der Frage nach einem politischen Motiv:
"Hier kann und sollte sich jeder die Frage stellen, ob politisch unliebsame Ansichten unterdrückt werden sollen."
An dieser Stelle räumte der Rechtsanwalt jedoch ein, dass er das nicht belegen könne. Die Entwicklung der letzten dreieinhalb Jahre zeige aber, dass sich offenbar niemand seiner aktuellen Meinung "sicher" fühlen könne. Wer gestern noch über Verbote von Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen "gejubelt" habe, könne heute schon wegen seiner Meinung zum Konflikt im Nahen Osten oder zur Ukraine strafrechtlich verfolgt werden, wenn diese von der Staatsraison abweiche. Die Justiz als Korrektiv müsse aufpassen, sich nicht politisch instrumentalisieren zu lassen.
Vor dieser Entwicklung habe Sattelmaier stets gewarnt. Deshalb habe er auch versucht, derartige Angriffe auf die Meinungsfreiheit juristisch abzuwehren – unabhängig von der Qualität der Meinung.
Der Kölner Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier berichtet auf seinem Telegram-Kanal und auf Youtube in der Videoreihe "Neues aus dem Gerichtssaal" regelmäßig von besonderen Gerichtsverfahren und von Fällen, die er als Strafverteidiger vertritt.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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Normen:
§ 5 Abs 4 AufenthG, § 53 Abs 1 AufenthG, § 53 Abs 3a AufenthG, § 54 Abs 1 Nr 2 AufenthG, Art 24 Abs 2 Richtlinie 2011/95/EU ... mehr
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Tenor
Der Bescheid des Landesamtes für Einwanderung vom 20. Dezember 2022 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags vollstreckbar.
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung, die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die gegen ihn gerichtete Abschiebungsandrohung sowie die gegen ihn verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbote nebst Befristungsentscheidungen.
Der Kläger, ein staatenloser Palästinenser, wurde fc 1994 in Aleppo, Syrien, geboren. Er reiste am 6. Juli 2015 in das Bundesgebiet ein und wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 29. November 2016 als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt. Dieser Bescheid wurde mit Bescheid vom 21. November 2022 unter Feststellung eines Abschiebungsverbots für Syrien zurückgenommen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (Q...). Nach seinen eigenen Angaben studierte der Kläger seit dem Wintersemester 2019 zunächst Physik an der TU Berlin und besuchte dann als Gasthörer Kurse an der Beuth Hochschule für Technik Berlin. Nach erfolglosem Abbruch des Studiums bemühte er sich um Weiterbildungen im Bereich IT und hatte ab Januar 2023 eine Weiterbildung als IT-Fachkraft in Aussicht, deren Finanzierung durch das Jobcenter jedoch nach Rücknahme seines Schutzstatus‘ scheiterte. Zudem ging der Kläger zwischen 2019 und 2022 zur Finanzierung seines Studiums einer Erwerbstätigkeit nach. Die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wurde zuletzt bis zum 4. Juli 2023 verlängert. Im Dezember 2022 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausbildung nach Kapitel 2 Abschnitt 3 des Aufenthaltsgesetzes bzw. nach jeder anderen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage.
Im Juli 2021 wies die Abteilung Verfassungsschutz der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport (Verfassungsschutz) die Ausländerbehörde mit einer als vertraulich eingestuften Nachricht erstmals darauf hin, dass der Kläger die Gruppierung Samidoun Palestinian Prisoner Solidarity Network (Samidoun) unterstütze, die der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) zugehörig sei, welche wiederum als terroristische Organisation eingestuft sei.
In einer weiteren Mitteilung vom 12. Januar 2022 teilte der Verfassungsschutz der Ausländerbehörde mit, dass der Kläger regelmäßig an Versammlungen von Samidoun teilnehme und über soziale Netzwerke auch Symbole von Terrororganisationen wie der PFLP und der HAMAS veröffentliche. Der Kläger sei unter anderem auf Instagram aktiv und habe dort etwa 49.000 Follower x... Der Bericht enthält einen Screenshot des Instagram-Accounts sowie des Facebook-Accounts des Klägers vom 15. November 2021, auf dem insgesamt drei Bilder zu sehen sind. Nach den Erläuterungen des Verfassungsschutzes sind auf dem linken und mittigen Bild Kämpfer der Kassam-Brigaden, einer militärischen Unterorganisation der HAMAS, zu sehen. Auf dem Bild rechts sollen die Logos von palästinensischen Terrororganisationen sowie in der Mitte eine Landkarte Palästinas ohne Israel zu sehen sein. Bei den Terrororganisationen, deren Logos dargestellt seien, handele es sich erstens um das Popular Resistance Committee (PRC), das Kämpfer von Fatah, HAMAS, Islamischem Djihad und Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden vereine, zweitens um die Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden (bewaffneter Arm der Fatah), drittens um die radikal-islamische HAMAS, viertens um die islamische Terrororganisation Islamischer Jihad (PIJ) und fünftens um die PFLP. Außerdem habe der Kläger im Jahr 2016 an einer Zoom-Konferenz von Samidoun teilgenommen und in einem Statement gefordert, Ahmad Sa’adat und alle politischen Gefangenen freizulassen sowie Palästina „vom Fluss bis zum Meer“ zu befreien. Schließlich enthält der Bericht drei Bilder von Versammlungen, an denen der Kläger teilgenommen haben soll, und zwar am 10. Januar 2021 mit Samidoun an einer Luxemburg-Liebknecht-Demonstration, am 18. März 2021 an einer Veranstaltung am Rathaus Neukölln, die aus dem Umfeld von Samidoun angemeldet worden sei, sowie am 9. Mai 2021 beim Zusammentreffen zweier Demonstrationen, die aus dem Umfeld von PFLP/HAMAS angemeldet worden seien. Zudem habe der Kläger am 12. Mai 2021 an einer Kundgebung zum Thema „Save Sheikh Jarrah Free Gaza“ teilgenommen. Der Verfassungsschutz teilte weiter mit, dass gegen den Kläger Strafanträge gestellt worden seien.
Ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen Verstoß gegen das Versammlungsverbot (7...) wurde gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt, weil der Kläger mit einer anderen Person verwechselt worden war. Ein weiteres Strafverfahren gegen den Kläger wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (7...) wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Mit Bescheid des Landesamtes für Einwanderung (LEA) vom 20. Dezember 2022 wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1), lehnte dessen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 2), drohte ihm die Abschiebung in einen Staat mit Ausnahme von Syrien an (Ziffer 3), ordnete auf Grund der Ausweisung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen ihn an (Ziffer 4), das auf 20 Jahre befristet wurde (Ziffer 5), ordnete für den Fall einer Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an (Ziffer 6) und befristete dieses Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zwei Jahre (Ziffer 7). Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, mit seinem vom Verfassungsschutz berichteten Verhalten habe der Kläger die freiheitlich-demokratische Grundordnung bzw. die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, indem er die Gruppierung Samidoun und damit eine terroristische Vereinigung unterstützt habe. Die Gruppe Samidoun gehöre zum Netzwerk der PFLP. Es gebe insbesondere in Berlin personelle Überschneidungen zwischen Samidoun und der PFLP. Die PFLP wiederum sei unstreitig eine terroristische Vereinigung. Sie werde von der Europäischen Union (EU) als Terrororganisation gelistet und propagiere den bewaffneten Kampf gegen Israel und die Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen des historischen Palästinas in einem Territorium „vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer“ mit Jerusalem als Hauptstadt. Das israelische Verteidigungsministerium habe Samidoun 2021 als direkten Ableger der PFLP und als terroristische Vereinigung eingestuft und ein Verbot ausgesprochen. Internetveröffentlichungen von Samidoun würden verdeutlichen, dass deren Unterstützer Bestrebungen verfolgten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet seien. Insbesondere negiere Samidoun mit dem Slogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“ das Existenzrecht Israels. Samidoun sei zwar weder verboten noch als terroristische Organisation eingestuft, falle aber ebenso wie die PFLP unter die Terrorismusdefinition des Bundesverwaltungsgerichts. Die Ausweisung des Klägers sei aus spezial- und generalpräventiven Gründen notwendig. Vom Kläger gehe nämlich weiterhin eine konkrete Wiederholungsgefahr aus, insbesondere habe er von seinem sicherheitsgefährdenden Verhalten bislang nicht erkennbar und glaubhaft Abstand genommen. In der Gesamtwürdigung überwögen die öffentlichen Ausweisungsinteressen die Bleibeinteressen des Klägers.
Hiergegen hat der Kläger am 23. Januar 2023 Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (Q...). Zur Begründung bringt der Kläger im Wesentlichen vor: Anders als vom Beklagten angenommen, könne er sich sehr wohl auf den besonderen Ausweisungsschutz als subsidiär Schutzberechtigter berufen. Zudem gehe der Vorwurf, er unterstütze eine terroristische Vereinigung, fehl. Er habe die PFLP zu keinem Zeitpunkt unterstützt. Hierfür habe auch der Verfassungsschutz letztlich keine konkreten Anhaltspunkte vorlegen können. Es handele sich lediglich um eine Vermutung, weil er an Veranstaltungen teilgenommen habe, auf denen auch die Gruppe Samidoun präsent gewesen sei. Samidoun selbst sei – entgegen der Behauptung des Verfassungsschutzes und der Ausländerbehörde – jedoch keine terroristische Organisation. Selbst wenn man eine Verbindung zwischen Samidoun und der PFLP annehmen würde, so habe er davon nichts gewusst und es sei auch für ihn nicht erkennbar gewesen. Er sei im Übrigen auch nie Teil der Gruppe Samidoun gewesen. Er habe lediglich an Demonstrationen teilgenommen, bei denen er als Palästinenser für die Rechte seines Volkes habe eintreten wollen, ohne sich dabei für eine bestimmte politische Gruppierung auszusprechen. Seine Teilnahme an den Veranstaltungen sei vom Recht auf Meinungsäußerung aus Art. 5 Grundgesetz (GG) gedeckt. Mit den Posts in den sozialen Netzwerken habe er nur allgemein seine Unterstützung für die Palästinenser zum Ausdruck bringen wollen. Er distanziere sich ganz klar von jeglichen terroristischen Vereinigungen oder Aktionen und lehne jegliche Form von physischer Gewalt ab. Für seinen angeblichen Auftritt bei einem Zoom-Call im Jahr 2016 sei keine nachprüfbare Quelle angegeben worden. Selbst wenn er den Ausruf „From the River to the Sea, Palestine will be free“ getätigt haben sollte, lasse sich hieraus nichts ableiten, da dieser Slogan für sich genommen nicht antisemitisch sei und auch keinen Bezug zum Völkermord aufweise. Der Slogan müsse in erster Linie als Ruf nach Freiheit und Gleichberechtigung verstanden werden und nicht als Ausruf zu Gewalt und Zerstörung, sofern nicht zwingende zusätzliche Anhaltspunkte das Gegenteil nahelegen würden. Im Ergebnis liege schon keine ausreichend gewichtige Unterstützungshandlung vor, um eine Ausweisung – trotz subsidiärem Schutz – zu rechtfertigen. Selbst wenn man dies annähme, habe er sich spätestens im Rahmen der Anhörung vor Erlass des Ausweisungsbescheids glaubhaft von Gewaltanwendung und terroristischen Aktivitäten distanziert.
den Bescheid des Landesamts für Einwanderung vom 20. Dezember 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung – bedingte – Beweisanträge gestellt. Zudem hat das Gericht den Kläger informatorisch befragt. Für beides wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Streitakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
Sie ist – soweit die Aufhebung des Bescheids vom 20. Dezember 2022 begehrt wird – als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Soweit der Kläger darüber hinaus auch die Erteilung bzw. Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis begehrt, ist die Klage als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Zwar beantragte der Kläger zunächst ausdrücklich nur die Aufhebung des Bescheids und nicht die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Das Gericht geht jedoch gemäß § 88 VwGO davon aus, dass der Kläger von Anfang an auch die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrte. Dies ergibt sich aus der Auslegung des Antrags im Zusammenhang mit der Klagebegründung. Der Kläger wandte sich mit seiner Klage ohne Einschränkung gegen den gesamten Bescheid vom 20. Dezember 2022, in dessen Ziffer 2 der Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hat. Soweit der Kläger in der Klagebegründung auch Ausführungen dazu machte, weshalb die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis sich als rechtswidrig erweise, diente dies erkennbar zur Begründung eines Anspruchs auf deren Erteilung. Der Kläger hat sein so verstandenes Begehren im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigt und den Antrag dementsprechend umformuliert.
Der Bescheid des LEA vom 20. Dezember 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 – 1 C 28/16 – juris, Rn. 16).
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Für die Abwägung hat der Gesetzgeber vorgegeben, unter welchen Voraussetzungen das öffentliche Ausweisungsinteresse (§ 54 AufenthG) und unter welchen Voraussetzungen das Bleibeinteresse des Ausländers (§ 55 AufenthG) schwer bzw. besonders schwer zu gewichten ist,
Zwar gefährdet der Aufenthalt des Klägers zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG. Der Maßstab des § 53 Abs. 1 wird hier jedoch durch den Maßstab des § 53 Abs. 3a AufenthG modifiziert, wonach ein Ausländer der als Asylberechtigter anerkannt wurde oder Flüchtlingsschutz bzw. den subsidiären Schutz besitzt, nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden darf. Der Kläger verwirklicht hier zwar ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, das auch nicht durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verbraucht ist (I.), zwingende Gründe der nationalen Sicherheit liegen aber nicht vor (II.).
I. Der Kläger verwirklicht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein. Darüber hinaus sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 – C-373/13 – juris, Rn. 83; BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 3/16 – juris, Rn. 30). Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 – 1 C 13/10 – juris, Rn. 19 sowie BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017, a.a.O. – beide m.w.N.).
Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus in diesem Sinne, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011, a.a.O., Rn. 20 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zum Terrorismusbekämpfungsgesetz; so auch BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 – 1 C 9/12 – juris, Rn. 13). Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein. Die Unterstützungsbegriffe im Ausweisungsrecht – und zwar sowohl der hier in Rede stehende Begriff der Unterstützung des Terrorismus durch die Vereinigung als auch der hiervon zu unterscheidende Begriff der individuellen Unterstützung dieser Vereinigung durch den betroffenen Ausländer – sind nicht deckungsgleich mit dem strafrechtlichen Begriff des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung in § 129a Abs. 5 Strafgesetzbuch (StGB). Sie umfassen auch das Werben für die Ideologie und die Ziele des Terrorismus. Die der präventiven Gefahrenabwehr dienende Ausweisungsnorm des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG soll alle Verhaltensweisen – und damit auch die Sympathiewerbung – erfassen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten des Terrorismus auswirken (vgl. zu alldem: BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011, a.a.O., Rn. 20-21).
a) Gemessen an den oben dargelegten Maßstäben handelt es sich bei der Gruppierung Samidoun, mit welcher der Kläger durch die Teilnahme an Versammlungen und Kundgebungen in Berührung gekommen ist, nicht um eine Vereinigung, die den Terrorismus im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unterstützt.
Die Einschätzung, ob eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, unterliegt gemäß § 108 Abs. 1 VwGO der freien Beweiswürdigung des Gerichts. Dabei gilt auch im Rahmen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die Pflicht zur gerichtlichen Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO, auch wenn in tatsächlicher Hinsicht die gerichtlichen Möglichkeiten zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts in Fällen, in denen die Ausweisung im Wesentlichen auf Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden gestützt ist, begrenzt sein mögen (BVerwG; Urteil vom 25. Oktober 2011, a.a.O., Rn. 25). Die Kammer hat unter Berücksichtigung aller ihr vorliegenden und zugänglichen Erkenntnisse nicht die Überzeugung gewonnen, dass die Gruppierung Samidoun den Terrorismus unterstützt, indem sie selber Terrortaten begeht oder die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Dabei hat die Kammer abgesehen von der Mitteilung des Verfassungsschutzes vom 12. Januar 2022 über die Aktivitäten des Klägers, die Anlass für die Ausweisung war, insbesondere die Berichte des Verfassungsschutzes Berlin aus den Jahren 2021 und 2022 und den aktuellen Bericht des Verfassungsschutzes des Bundes aus dem Jahr 2022 als Erkenntnismittel herangezogen. Darüber hinaus hat die Kammer im Rahmen einer Internetrecherche Verlautbarungen, Aufrufe und Informationen über Veranstaltungen von Samidoun ausgewertet.
aa) Eigene terroristische Handlungen in Form von Terroranschlägen und sonstigen gewalttätigen Akten werden Samidoun – soweit ersichtlich – von niemandem zugeschrieben. Samidoun hat sich auch selber nicht zu derartigen Terrorakten bekannt.
bb) Zudem ist Samidoun – in Deutschland – weder verboten noch von der EU oder den USA als terroristische Organisation gelistet. Zwar lässt allein die Tatsache, dass Samidoun nicht als terroristische Organisation gelistet ist, nicht automatisch den Schluss zu, dass es sich um keine terroristische Vereinigung handelt (Neidhardt, HTK-AuslR / § 54 AufenthG / zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 03.02.2022, Rn. 81). Der fehlenden Listung kommt aber sehr wohl eine Indizwirkung zu. Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des EuGH ist die Aufnahme in die EU-Terrorliste ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass eine Organisation als terroristische Vereinigung anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015, a.a.O., Rn. 83). Steht eine Organisation hingegen nicht auf der Terrorliste der EU, so ist dies im Umkehrschluss jedenfalls ein erstes (und durchaus gewichtiges) Indiz dafür, dass ernsthafte und schlüssige Beweise, die eine Einstufung als Terrororganisation rechtfertigen würden, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) fehlen (Bayerischer VGH, Urteil vom 22. Februar 2010 – 19 B 09.929 – juris, Rn. 60).
cc) Auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung und der politischen Aktivitäten von Samidoun kommt die Kammer nicht zu der Überzeugung, dass die Zwecke von Samidoun auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind. Samidoun, das 2011 gegründet wurde und seinen Sitz in Nordamerika hat, ist seinem Namen und seiner Selbstdarstellung nach ein Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene. Nach den Ausführungen des Verfassungsschutzes Berlin in seinem Vermerk vom 12. Januar 2022 ist es das offizielle Ziel von Samidoun, palästinensische Gefangene in ihrem Kampf um Freilassung aus zumeist israelischen Gefängnissen zu unterstützen. Dementsprechend startet Samidoun auf seiner Webseite regelmäßig Solidaritätsaufrufe für prominente Gefangene, ruft zu Spendenaktionen auf, veranstaltet Demonstrationen und Kundgebungen und nimmt damit an dem insbesondere in Berlin sehr kontrovers ausgetragenen politischen Meinungskampf zum Nahost-Konflikt teil. Zwar mag es zutreffen, dass viele der Häftlinge, für die sich Samidoun einsetzt, einen Bezug zur PFLP haben und teils hochrangige PFLP-Aktivisten sind. Allein die Tatsache, dass sich eine Organisation für Häftlinge einsetzt, die einer terroristischen Organisation angehören, lässt aber noch nicht automatisch den Schluss zu, dass diese Organisation ebenfalls terroristische Ziele unterstützt. Es ist denklogisch möglich, sich für die Rechte von Häftlingen einzusetzen, ohne sich zugleich mit deren kriminellen oder terroristischen Taten gemein zu machen. Dies entspricht auch der Praxis. Auch andere Nichtregierungsorganisationen wie zum Beispiel Amnesty International kritisieren die Haftbedingungen von (palästinensischen) Häftlingen. Mit der Formulierung „offizielles Ziel“ scheint der Berliner Verfassungsschutz in seinem Bericht vom 12. Januar 2022 zwar darauf anzuspielen, dass sich hinter dem offiziellen Ziel (der Unterstützung von Häftlingen) ein inoffizielles verwerflicheres Ziel (der Förderung von Terrortaten) verbergen könnte. Der Verfassungsschutz schweigt sich jedoch dazu aus, was das „inoffizielle“ Ziel von Samidoun sein sollte. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass Samidoun die Befreiung Palästinas mit terroristischen Mitteln unter Einsatz von Gewalt propagiert, führt der Verfassungsschutz nicht auf und sie sind auch für das Gericht nicht ersichtlich. Den Verlautbarungen von Samidoun im Internet lassen sich jedenfalls keine direkten Aufrufe zur Gewaltanwendung entnehmen.
dd) Soweit der Verfassungsschutz und die Ausländerbehörde den Vorwurf, Samidoun unterstütze terroristische Organisationen, auf die häufige Verwendung des Slogans „From the River to the Sea, Palestine will be free“ [Vom Fluss bis ans Meer, Palästina wird frei sein] stützen (vgl. hierzu auch: Verfassungsschutz Berlin. Bericht 2022: https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen/ verfassungsschutzberichte/), überzeugt dies nicht.
Der Slogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“ enthält als solches weder einen Aufruf zu Gewalt und Terror noch negiert der Slogan für sich genommen das Existenzrecht Israels. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der genannte Slogan, der in der Palästinenserbewegung weltweit seit den 1960er Jahren in Gebrauch ist, in der jüngeren Vergangenheit zum Teil auch auf Versammlungen in Berlin auftauchte, bei denen es aus der Menge der Demonstrationsteilnehmer zu strafbaren und volksverhetzenden Äußerungen wie „Bombardiert Tel Aviv“, „Tod, Tod Israel“ oder „Mit Seele und Blut erlösen wir dich, Aqsa“ kam (vgl. hierzu jüngst VG Berlin, Beschluss vom 19. Mai 2023 – VG 1 L 217/23 – EA S. 5). Anders als die zuletzt aufgeführten volksverhetzenden und gewaltverherrlichenden Äußerungen enthält der Slogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“ jedoch keinen ausdrücklichen Aufruf zu gewaltsamen Handlungen (gegen Israel).
Zwar drückt der Slogan den Wunsch nach einem freien Palästina vom (Jordan)Fluss bis zum Mittelmeer aus, das heißt in einem Gebiet, in dem Israel in seinen heutigen Grenzen liegt. Der Slogan sagt aber als solches nichts darüber aus, wie dieses – politisch hoch umstrittene – Ziel erreicht werden soll. Grundsätzlich sind politisch verschiedene Mittel und Wege denkbar, dieses abstrakte Ziel zu erreichen, beispielsweise durch völkerrechtliche Verträge, eine Zwei-Staaten-Lösung, einen einheitlichen Staat mit gleichen Bürgerrechten für Israelis und Palästinenser oder aber mittels des bewaffneten Kampfes. Ob die aufgezeigten alternativen Wege politisch realistisch sind, ist dabei unerheblich. Einen zwingenden Aufruf zum bewaffneten Kampf gegen Israel beinhaltet der Slogan als solcher jedenfalls nicht. Dementsprechend plädieren auch namhafte Antisemitismusforscher dafür, den Slogan in erster Linie als Ruf nach Freiheit und Gleichberechtigung für das Gebiet zwischen dem Jordanfluss und dem Mittelmeer zu verstehen und – wenn nicht zwingende zusätzliche Beweise das Gegenteil nahelegen – eben nicht als Aufruf zu Gewalt und Zerstörung (vgl. hierzu das ins Verfahren eingeführte Gutachten von Alon Confino und Amos Goldberg zur Frage: „Ist der Slogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“ antisemitisch?“). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Verwendung des Slogans durch Samidoun zwingend als Aufruf zu Gewalt und Terror gegen Israel zu verstehen ist, hat der Beklagte nicht vorgetragen und sie sind auch für das Gericht nicht ersichtlich. Aus der Ziel- und Zwecksetzung der Organisation, die sich in erster Linie als Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Häftlinge versteht, folgt dies ebenfalls nicht (siehe oben). Auch aus dem Aktionsradius der Organisation ergibt sich dies nicht. Samidoun sammelt auf seiner Internetseite Spenden für palästinensische Häftlinge, organisiert im Netz Solidaritätskampagnen und tritt ansonsten als Organisatorin von politischen Veranstaltungen und Versammlungen auf. Dass Samidoun bzw. Vertreter von Samidoun an gewalttätigen bzw. terroristischen Handlungen beteiligt wären bzw. – abgesehen von der bloßen Verwendung des Slogans „From the River to the Sea, Palestine will be free“ – direkt zu solchen Handlungen aufrufen würden, trägt der Beklagte nicht vor und es ist auch für das Gericht nicht ersichtlich.
ee) Die Kammer verkennt auch nicht eine gewisse Nähe von Samidoun zur PFLP, welche zweifellos als terroristische Vereinigung anzusehen ist (vgl. zur Einstufung der PFLP als terroristische Vereinigung bereits VG Berlin, Urteil vom 11. März 2022 – VG 10 K 266.19 – juris, Rn. 40 ff; siehe zur PFLP ergänzend die unten stehenden Ausführungen). So gibt bzw. gab es in Berlin personelle Überschneidungen zwischen der PFLP und Samidoun, namentlich in der Person des Gründers von Samidoun in Deutschland P..., der als Aktivist der PFLP gilt und der nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Berlin die Ziele der PFLP unterstützt und offen für die PFLP geworben hat (VG Berlin, Urteil vom 11. März 2022, a.a.O., S. 43 ff.).
Es griffe aber dennoch zu kurz, Samidoun mit der terroristischen PFLP gleichzusetzen. Auch der Verfassungsschutz tut dies letztlich nicht. Im Verfassungsschutzbericht des Bundes kommt Samidoun – anders als die PFLP – bis dato nicht vor (Bundesministerium des Innern und für Heimat, Verfassungsschutzbericht 2022 - https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungsschutzberichte/2023-06-20-verfassungsschutzbericht-2022.html). Bis zum Jahr 2021 fand Samidoun auch im jährlichen Bericht des Berliner Verfassungsschutzes keine Erwähnung, während der PFLP im Kapitel 6 „Auslandsbezogener Extremismus“ stets ein eigener Steckbrief gewidmet war (Verfassungsschutz Berlin. Bericht 2021: https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen/verfassungsschutzberichte/). Erst im Verfassungsschutzbericht des Landes Berlin von 2022 wird Samidoun erstmalig im Zusammenhang mit der PFLP erwähnt (Verfassungsschutz Berlin, Bericht 2022, a.a.O.).
Die Ausführungen zu Samidoun im Berliner Verfassungsschutzbericht bleiben jedoch insgesamt vage und es fehlt weitgehend an Belegen für die dort aufgestellten Behauptungen. In der Einleitung des Kapitel 6 „Auslandsbezogener Extremismus“ heißt es, die Anhänger der PFLP und ihres Unterstützungsnetzwerkes Samidoun [Hervorhebung durch das Gericht] seien im Jahr 2022 weiter aktiv gewesen und hätten in Berlin Demonstrationen durchgeführt, bei denen antisemitische und israelfeindliche Parolen skandiert worden seien (S. 61). Zunächst fällt auf, dass der Verfassungsschutz in Bezug auf Samidoun durchaus zurückhaltend formuliert. Samidoun ist – anders als der PFLP – im Bericht des Verfassungsschutzes kein eigener Steckbrief gewidmet. Zudem bezeichnet der Verfassungsschutz Samidoun – anders als die PFLP – weder als terroristische Organisation, noch als direkten Ableger oder gar Tarnorganisation der PFLP in Deutschland, sondern rechnet die Gruppierung lediglich zum „Unterstützungsnetzwerk“ der PFLP. Dies ist insoweit nachvollziehbar, da Samidoun sich für palästinensische Häftlinge und eben auch für prominente PFLP-Häftlinge einsetzt. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass Samidoun auch die gewaltsamen terroristischen Aktivitäten der PFLP unterstützt und gutheißt, nennt aber auch der Verfassungsschutz nicht.
Die weiteren Ausführungen zu den behaupteten „Verbindungen“ zwischen PFLP und Samidoun bleiben vielmehr vage und unkonkret. In dem der PFLP gewidmeten Abschnitt in Kapitel 6 des Verfassungsschutzberichts (S. 65) heißt es hierzu, die Aktivitäten der PFLP in Deutschland und in Berlin bestünden vor allem aus politischen Kampagnen zum Nahost-Konflikt, bei denen die gewaltsame Abschaffung Israels zugunsten eines sozialistischen palästinensischen Staates propagiert werde. Als maßgebliche und soweit ersichtlich einzige Quelle für seine Erkenntnisse verweist der Verfassungsschutz in diesem Zusammenhang auf das bereits in Bezug genommene Urteil des VG Berlin vom 11. März 2022. Mit diesem Urteil habe das Verwaltungsgericht Berlin laut Verfassungsschutz die Rechtmäßigkeit von politischen Betätigungsverboten für einen kanadischen PFLP-Aktivisten bestätigt, sofern seine Reden einen Bezug zur PFLP aufweisen würden. Der Verfassungsschutz führt weiter aus, im zitierten VG-Urteil seien auch die Verbindungen des Aktivisten zum PFLP-Unterstützungsnetzwerk Samidoun thematisiert worden. Diese Formulierung suggeriert, das Verwaltungsgericht Berlin habe sich in dem Urteil aus März 2022 in der Sache mit Samidoun als Organisation befasst. Dies trifft jedoch nicht zu. Tatsächlich verhält sich das Verwaltungsgericht in der vom Verfassungsschutz zitierten Entscheidung in keiner Weise inhaltlich zur Organisation Samidoun und zu der – hier relevanten – Frage, ob Samidoun selber den Terrorismus unterstützt (VG Berlin, Urteil vom 11. März 2022, a.a.O., Rn. 40 ff.). Es befasst sich auch in der Sache nicht mit etwaigen Verbindungen zwischen PFLP und Samidoun und trifft dementsprechend auch keine Aussage dazu, ob Samidoun dem Unterstützungsnetzwerk der PFLP zuzurechnen ist oder nicht. Weitere Erkenntnisquellen, aus denen sich eine organisatorische Verbindung zwischen Samidoun und der PFLP herleiten ließe, benennt der Verfassungsschutz nicht. Soweit der Verfassungsschutz in seinem Bericht weiter darauf hinweist, dass Samidoun die Freilassung von PFLP-Aktivisten aus der Haft fordere und in seinen Publikationen häufig den Slogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“ verwende, genügt dies für sich genommen nicht zur Einstufung als terroristische Vereinigung (siehe oben).
b) Anders als bei Samidoun handelt es sich bei der PFLP, deren Logo auf einem Facebook-Post des Klägers abgebildet ist, nach Überzeugung der Kammer sehr wohl um eine terroristische Organisation. Die Kammer teilt insoweit die Einschätzung der 10. Kammer (VG Berlin, Urteil vom 11. März 2022, a.a.O., Rn. 42).
Die PFLP steht auf der jährlich aktualisierten Liste der Terrororganisationen unter Nr. 2 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP (vgl. Beschluss (GASP) 2022/152 des Rates vom 3. Februar 2022). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein. Von den Tatsachengerichten sind darüber hinaus ergänzende Feststellungen darüber zu treffen, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen hat (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015, a.a.O., Rn. 83; BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2022, a.a.O., Rn. 30; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Januar 2016 – 11 S 889/15 – juris, Rn. 74; VG Berlin, Urteil vom 11. März 2022, a.a.O., Rn. 39).
Nach den Ausführungen des Verfassungsschutzes des Bundes zählt die marxistisch-leninistische PFLP zum Spektrum der terroristischen palästinensischen Organisationen. Ihr erklärtes Ziel ist die Befreiung ganz Palästinas im bewaffneten Kampf und die Errichtung eines demokratischen und sozialistischen palästinensischen Staates (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2022, a.a.O., S. 275; VG Berlin, Urteil vom 11. März 2022, a.a.O., Rn. 40). Zu den terroristischen Aktivitäten der PFLP in der Vergangenheit zählen unter anderem die Entführung des Flugzeugs „Landshut“ im Jahr 1977 sowie, in jüngerer Zeit, ein Angriff von zwei PFLP-Aktivisten auf eine Jerusalemer Synagoge im Jahr 2014, bei dem vier Rabbiner und ein Polizist ermordet wurden (vgl. hierzu ausführlich und mit Nachweisen: VG Berlin, Urteil vom 11. März 2022, a.a.O., Rn. 41). Auch in jüngster Zeit werden der PFLP weiter Terrorakte zugeschrieben. Nach unbestätigten Medienberichten verletzten im Jahr 2017 zwei palästinensische PFLP-Mitglieder und ein HAMAS-Mitglied in Jerusalem eine Polizistin tödlich (vgl. der Artikel „Israelische Polizistin bei Messerattacke getötet“, Zeit Online am 17. Juni 2017 – abgerufen am 18.09.2023; vgl. zu diesem Attentat zudem die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage „Erkenntnisse der Bundesregierung zur Volksfront für die Befreiung Palästinas“, BT-Drucksache 19/32616, S. 3). Auch ein Bombenattentat am 23. August 2019 an einem beliebten Ausflugsziel nahe einer israelischen Siedlung im Westjordanland, bei dem eine Person getötet und zwei Personen verletzt wurden, wird von israelischen Behörden der PFLP zugerechnet (BT-Drucksache 19/32616, a.a.O.).
c) Auch bei der HAMAS, deren Logo ebenfalls auf dem besagten Facebook-Post des Klägers abgebildet ist, handelt es sich nach Einschätzung der Kammer um eine terroristische Organisation.
Die HAMAS steht ebenso wie die PFLP auf der jährlich aktualisierten EU-Terrorliste, was wie oben dargelegt ein gewichtiger Anhaltspunkt dafür ist, dass es sich um eine terroristische Vereinigung handelt.
Nach den Ausführungen des Verfassungsschutzes des Bundes ist es das Ziel der Ende 1987 aus dem palästinensischen Zweig der „Muslimbrüderschaft“ gegründeten HAMAS, die ihren Sitz im Gazastreifen hat, auf dem gesamten Gebiet „Palästinas“ einen islamistischen Staat zu errichten – und zwar ausdrücklich auch durch den bewaffneten Kampf. Unter „Palästina“ versteht die HAMAS das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, was auch das Territorium des Staates Israel einschließt. Die „Izz-al-Din-al-Qassam-Brigaden“ (im Folgenden: Kassam-Brigaden) werden als militärischer Flügel der HAMAS seit 2001 als Terrororganisation auf der EU-Terrorliste geführt, seit dem Jahr 2003 die HAMAS insgesamt (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2022, a.a.O., S. 221-222). Zu den terroristischen Aktivitäten der HAMAS in der jüngeren Vergangenheit (seit 2014), zu denen sich die HAMAS offiziell bekannt hat, zählen zum Beispiel Raketenangriffe auf die israelischen Städte Ashod, Ofakim, Aschkelon und Netiwot im Sommer 2014, die Entführung und der Mord an drei israelischen Jugendlichen im Juni 2014, der Angriff auf eine Gruppe von Fußgängern in Jerusalem mit einem als Rammbock benutzten Auto im November 2014 und ein Bombenanschlag gegen einen Bus in Jerusalem im April 2016, bei dem 18 Personen verletzt wurden (vgl. EuG, Urteil vom 4. September 2019 – T-308/18 – juris, Rn. 144).
d) Auch bei den zwei weiteren Organisationen, deren Logos der Kläger auf Facebook gepostet hat, dürfte es sich um terroristische Vereinigungen handeln. Sowohl die „Al-Aksa-Märtyrerbrigade“ wie auch die Organisation „Palästinensischer Islamischer Dschihad“ (PIJ) sind auf der EU-Terrorliste in ihrer aktuellen Fassung als terroristische Vereinigungen gelistet. Dementsprechend spricht Einiges dafür, dass auch die Dachorganisation „Popular Resistance Committee“ (PRC), in der Kämpfer von Fatah, HAMAS, Islamischem Djihad und Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden vereint sind, als terroristische Organisation anzusehen ist. Auf weitergehende Feststellungen zu den terroristischen Aktivitäten dieser Gruppierungen konnte die Kammer jedoch verzichten, da es für die Unterstützungshandlung des Klägers jedenfalls ausreichend ist, an zwei terroristischen Vereinigungen – hier PFLP und HAMAS – anzuknüpfen.
2. Die Veröffentlichung der im Vermerk des Verfassungsschutzes vom 12. Januar 2022 abgebildeten und beschriebenen Bilder und eines Videos, die der Kläger auf seinem Instagram- und Facebook-Account postete bzw. vorübergehend als Profilbild nutzte, rechtfertigt zudem die Schlussfolgerung, dass dieser eine terroristische Vereinigung unterstützt und damit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet hat.
a) Der Begriff der „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ im Sinne dieser Vorschrift ist enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinen Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BeckOK Ausl/Fleuß, 36. Ed. 01.01.2023, AufenthG § 54 Rn. 62 m.w.N.).
Amtsunfähiger Biden: Wer kontrolliert den Roten Knopf?
freedert.online, 18 Nov. 2023 12:40 Uhr, Von Dagmar Henn
Ist es wirklich Joe Biden, der die Vereinigten Staaten regiert, der Mann, der immer wieder geistig abwesend ist, über Treppen stolpert und mehr und mehr den Eindruck eines verfallenden Greises hinterlässt? Eigenartig, dass im Westen niemand danach fragt.
Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Joe Biden im November 2023 in Washington
Die ganze Welt sah den neuesten Ausbruch von US-Präsident Joe Biden, als dieser, noch während der chinesische Präsident Xi Jinping auf dem Weg zum Flughafen war, seine Aussage wiederholte, dieser sei ein Diktator. Und man konnte auch das schmerzverzerrte Gesicht von US-Außenminister Antony Blinken sehen, der sein Bestes gab, in diesem Moment nicht im Boden zu versinken. In russischen Kanälen wurde gespottet, sein Gesicht sei die passende Illustration für die russische Redewendung, jemand könne mit seinem Schließmuskel Stahl zerquetschen.
Jeder dürfte auch inzwischen einige der Aufnahmen kennen, auf denen ein völlig desorientierter US-Präsident von der Bühne geht, den falschen Leuten die Hand drückt oder ans Rednerpult geführt werden muss. Oder ihm mitten in der Rede die Aufmerksamkeit entgleitet. Man kann ihn hören, wie er schwach artikuliert seine Sätze in Mikrofone murmelt, und alle Anwesenden hoffen, dass Anfang und Ende des jeweiligen Satzes noch zusammenfinden. Ob man das nun belustigend oder schmerzlich findet, es ist jedenfalls ein ernstes Problem, über das gesprochen werden müsste – auch in allen Ländern, die sich eng an die Vereinigten Staaten gebunden haben.
Nicht nur, weil man eigentlich doch irgendwie wissen müsste, wer Leuten wie Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, was sie tun sollen. Dass sie nicht für deutsche Interessen stehen, ist unübersehbar. Dass da eine Leine in die Vereinigten Staaten führt, auch. Aber wohin? Biden ist, das ist ziemlich eindeutig, nur noch begrenzt Herr seiner Sinne. Vizepräsidentin Kamala Harris ist eine derartige Leuchte, dass sie es im Grunde auch nicht sein kann. Wer ist es also, der Scholz anruft und ihm seine Tagesbefehle erteilt? Sicherheitsberater Jake Sullivan? Außenminister Blinken? Oder jemand noch weiter im Hintergrund, wie Lebkuchenhexe Victoria Nuland?
Es ist ausgesprochen eigenartig, wenn nicht einmal mehr zum Schein eine direkte politische Verantwortlichkeit besteht, aber aus Deutschland oder Europa gesehen ist das Problem tatsächlich nur halb so schlimm. Warum? Weil es da ohnehin nicht um reguläre Befehlsketten geht.
Im letzten Podcast des US-Journalisten Garland Nixon unterhielt sich dieser länger mit Scott Ritter über diese Frage. Das ist deshalb spannend, weil Nixon selbst lange Polizist war und Ritter bei den US-Marines, beide also rigide Kommandostrukturen kennen. Und beide sehen in Bidens Zustand ein ernstes Problem.
Warum? Weil das Militär auf Befehle handelt, Befehle aber nur unter sehr klar definierten Umständen legal sind. Die letztendlich verantwortliche Person ist der US-Präsident; von dort arbeitet sich die Befehlsgewalt gewissermaßen herunter bis zum einzelnen Soldaten. Dabei ist die Kette klar definiert, und die einzelnen Positionen sind nicht beliebig ersetzbar. Sprich, die gesamte Linie muss nachvollziehbar sein (und in der Regel auch dokumentiert werden), bis hinauf zu jenem Ausgangspunkt, die durch Wahlen legitimierte Exekutive.
Dabei geht es nicht um die Frage, ob und inwieweit die letzte US-Wahl korrekt war. Vielmehr geht es darum, dass nicht einfach irgendjemand einspringen und erklären kann, er oder sie erteile jetzt Befehle anstelle des US-Präsidenten. Abgesehen von der Frage, ob Harris für irgendetwas überhaupt eine Lösung sein könnte: Die Bedingungen, wann ein Vizepräsident an die Stelle des Präsidenten treten kann, sind durch die Verfassung sehr klar festgelegt. Die Rechte des Präsidenten gehen an den Vizepräsidenten über, wenn der Präsident des Amtes enthoben, verstorben, zurückgetreten oder außerstande ist, die Rechte und Pflichten dieses Amtes zu erfüllen. Dabei gibt es keine Teilzeitoption oder vorübergehende Unfähigkeit. Es handelt sich um eine Ja-Nein-Entscheidung.
Biden für amtsunfähig zu erklären, kann sich diese Regierung nicht leisten. Das würde das Problem Harris aktivieren, die noch weniger Vertrauen genießt als der mittlerweile weithin "Sleepy Joe", der schläfrige Joe, genannte Präsident. Also bleibt Biden die sichtbare Galionsfigur. Für die Medien ist das kein Problem.
Aber die Befehlskette hat damit ihren Ausgangspunkt verloren. Nur wenn sie gewahrt ist, ist ein erteilter Befehl legal, und die Befolgung illegaler Befehle bringt in Teufels Küche. Wie ist es zum Beispiel mit den US-Flugzeugträgern, die gerade im Mittelmeer dümpeln? Wer trifft die Entscheidung, welche Flugzeuge in Syrien oder im Irak bombardieren? Letztlich muss ein solcher Befehl vom Präsidenten ausgehen und kann nicht mal eben von Verteidigungsminister Lloyd Austin oder von den versammelten Stabschefs erteilt werden. Die Soldaten, die solche Befehle ausführen, werden gerade ziemlich im Regen stehen gelassen. Denn wenn sie handeln, ohne einen rechtlich einwandfreien Befehl zu befolgen, wird plötzlich alles zu ihrer persönlichen Verantwortung und nicht mehr zu der des Befehlshabenden.
Das ist aber noch nicht der Gipfel. In den Vereinigten Staaten liegt auch die Befehlsgewalt über den Einsatz des Atomwaffenarsenals in den Händen einer einzigen Person – richtig, denen des US-Präsidenten. Nicht nur, dass sich im Grunde eine solche Entscheidungsgewalt für unverkennbar kognitiv eingeschränkte Personen verbieten müsste; sie lässt sich nicht übertragen. Jedenfalls nicht legal. Nachdem aber weder eine formelle Reaktion auf den Zustand des Präsidenten erfolgt noch das Weiße Haus seine Tätigkeit eingestellt hat, muss man davon ausgehen, dass die zentralen Entscheidungen des "Leuchtturms der Demokratie" derzeit auf anderen als den legalen Wegen gefällt werden. Und sich nicht nur die Frage stellt, wer derzeit über die US-Politik und das Militär entscheidet, sondern auch, wer sich tatsächlich im Besitz des berühmten Roten Knopfes befindet.
Bisher ist noch nicht einmal gesichert, dass der schläfrige Joe nicht noch einmal zur Wahl antritt. Aber alle Regierungschefs des Westens verhalten sich, als wäre alles in Ordnung und als ginge sie das alles nichts an, auch wenn sie im Schlepptau einer Politik einhertrotten, die nicht länger als demokratisch legitimiert betrachtet werden kann. Denn die gesamte US-Regierung weist genau ein Mitglied auf, das durch Wahlen legitimiert ist, und das ist der amtierende Präsident; alle anderen Regierungsmitglieder leiten ihre Autorität nur von ihm ab.
Es ist keine Banalität, dass im Kern dieser ganzen transatlantischen Meute zumindest zeitweise ein intellektuelles Vakuum herrscht. Es müsste irgendjemanden beunruhigen. Aber alle tun so, als wäre da nichts, tun so, als könnten sie ungehemmt Krieg spielen und neue Kriege anzetteln, drohen und bombardieren, wie sie lustig sind, und das Ganze auch noch mit Demokratie begründen, obwohl niemand weiß oder niemand sagt, wer in den Vereinigten Staaten wirklich das Zepter in der Hand hält.
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unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Die Gefahr der Eschatologie und das Scheitern der israelischen Al Shifa Propaganda
seniora.org, 17. November 2023, 17. November 2023 Larry Johnson - übernommen von sonar21.com
Wenn Sie kein Moslem sind, tun Sie einen Moment lang so, als ob Sie einer wären. Hören Sie sich die folgende Predigt eines ultrakonservativen Pastors in Tennessee an und lassen Sie mich wissen, wie dies Ihren Umgang mit Christen beeinflussen könnte.
In einer Predigt im vergangenen Monat rief der Pastor dazu auf, den Felsendom in Jerusalem "mit einer Rakete in die Luft zu sprengen, damit der Dritte Tempel wieder aufgebaut werden kann" und "damit die Wiederkunft Jesu eingeläutet wird". (translate with deepl.)
Sind Sie neugierig geworden? Dies ist die extreme Version der eschatologischen Theologie, die von vielen evangelikalen Christen vertreten wird. Es gibt keine Gnade, es gibt keine Barmherzigkeit. Es gibt nur den Zorn Gottes. Ich befürchte, dass die meisten säkularen Amerikaner, die diese Art von religiöser Inbrunst noch nie erlebt haben, nicht begreifen, dass diese Vision von dem, was aus deren Sicht in Israel geschehen sollte, eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der politischen Ansichten der USA über den Nahen Osten spielt.
Die Verurteilung des Islam durch den Pastor ist die Kehrseite der radikalen Predigten, die die Amerikaner in Ausschnitten von radikalen Moslems im Iran gehört haben, die "Tod für Amerika" und "Tod für die Juden" skandieren. Hier ist ein Beispiel von einem muslimischen Geistlichen in Australien, Herrn Abu Ousayd:
Frieden ist schlecht für den Juden (sie sagen) 'es gibt kein Geschäft für uns'," sagte er.
Das war's mit unseren Medien, das war's mit unseren Hollywood-Blockbuster-Filmen.
Sie brauchen die Kämpfe und die internen Auseinandersetzungen der Muslime, um zu gedeihen, um zu wachsen.
Er sagte, es gebe keinen Unterschied zwischen Juden, die Israel nicht unterstützen, und "Zionisten", die es tun.
Sogar diese ultra-orthodoxen Juden, die Sie heute sehen, die gegen Israel sind und die Zionisten hassen, werden, wenn der Messias kommt, immer noch gegen die Muslime kämpfen", sagte er.
Machen Sie sich nicht vor, dass diese Leute immer noch Ihre Freunde sind.
Gegen Ende der Zeiten, wenn die Muslime gegen die Juden kämpfen, werden die Bäume sprechen, die Steine werden sprechen und sie werden sagen: 'Oh Muslim, oh Gläubiger, hinter mir ist ein Jahud (Jude), komm und töte ihn.'
Von diesen beiden Herren geht nicht viel Liebe oder Wohltätigkeit aus. Beide haben eines gemeinsam – den Glauben an das Ende der Zeiten und das Kommen eines Messias. Ich werde Sie nicht in die verschiedenen Tiefen des eschatologischen Glaubens im Christentum, Islam oder Judentum führen. Glauben Sie mir. Die Ultra-Orthodoxen in jeder dieser Gemeinschaften glauben fest daran, dass die Sünder der Welt bestraft werden, dass Gott für Gerechtigkeit sorgen wird und dass ein Messias kommen wird, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Hier ist, was die drei Religionen über den Messias denken:
In der jüdischen Eschatologie bezieht sich der Begriff "Maschiach" oder "Messias" speziell auf einen zukünftigen jüdischen König aus der davidischen Linie, von dem erwartet wird, dass er die jüdische Nation rettet, mit heiligem Salböl gesalbt wird und das jüdische Volk im messianischen Zeitalter regiert.
Christen glauben, dass Christus (der Messias) des Volkes ist und dass er derjenige ist, der das Judentum wieder auf den richtigen Weg bringen wird. Dieser Messias wurde von den Juden als (Jesus Christus) oder als Sohn Gottes bezeichnet.
Muslime erwarten das Kommen von zwei Personen zur gleichen Zeit: Der Messias, Jesus, der Sohn Marias, und der vorhergesagte Mahdi. Nach Ibn al-Qayyim warten die Muslime auf den Messias, Jesus, den Sohn Marias, der vom Himmel herabsteigt, und auf den Mahdi, der Gerechtigkeit auf die Erde bringen wird (Ibn Qayyim, 1999)
Muslims expect the coming of two people at the same time: The Messiah, Jesus son of Mary, and the predicted Mahdi. Muslims, according to Ibn al-Qayyim, are waiting for the Messiah, Jesus, son of Mary, to come down from heaven and the Mahdi, who would bring justice to the earth (Ibn Qayyim, 1999, p
Wie Sie sehen können, glauben diese drei großen Religionen alle an einen Messias. In jeder dieser theologischen Gemeinschaften gibt es Anhänger, die glauben, dass sie das Kommen des Messias durch ihr Handeln beschleunigen können. Und genau hier wird es gefährlich.
Säkulare Menschen (ich schließe Agnostiker und Atheisten in diese Gruppe ein) mögen diese Art von Glauben für lächerlich oder sogar verrückt halten. Aber machen Sie nicht den Fehler, ihn als sinnlosen Unsinn abzutun. Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, dieser Glaube an das "Ende der Zeiten" ist eine wichtige Variable, die die Art und Weise beeinflusst, wie die drei verschiedenen Glaubensrichtungen die aktuellen Ereignisse interpretieren und welche Art von Politik sie befürworten, wozu auch die Sehnsucht nach oder die Akzeptanz der Notwendigkeit eines letzten Krieges gehört.
DAS SCHEITERN DER ISRAELISCHEN AL SHIFA PROPAGANDA
Nun zu einem erfreulicheren Thema. Israel hat sich ein wenig in die Nesseln gesetzt, als es versucht hat, aus seiner "Entdeckung" der Hamas-Kommandozentrale in den Eingeweiden des Al Shifa-Medizin-Komplexes politisches Heu zu machen. Anstatt eine Fundgrube von Waffen und Dokumenten sowie unbestreitbare Beweise dafür zu finden, dass die Hamas den Krieg vom Al Shifa-Keller aus geführt hat, hat Israel auf ungeschickte Weise angebliche Beweismittel untergeschoben und versucht, sie als unwiderlegbare Beweise für die Richtigkeit seiner Behauptungen über die Nutzung von Tunneln durch die Hamas auszugeben.
Was ist geschehen? Die IDF tauchte mit Kisten auf, auf denen "Medizinische Hilfsgüter" stand. Israels Sprache ist Hebräisch, richtig? Warum, zum Teufel, hat Israel das Bedürfnis, die Kisten in englischer Sprache zu beschriften? Könnte es sein, dass dies als Show für ein westliches, englischsprachiges Publikum gedacht war?
Sehen Sie sich die beiden folgenden Bilder genau an. Das zweite Bild unten zeigt deutlich eine der Kisten mit "medizinischem Material" im Hintergrund. Es scheint, dass die IDF-Leute ihre eigenen "Beweise" mitgebracht haben, um zu beweisen, dass dies ein Hamas-Treffpunkt war. Es gibt keine gute Erklärung für die Mitnahme dieser angeblichen medizinischen Vorräte in den angeblichen Hamas-Bunker, weil sich die Patienten, die die angeblichen Vorräte benötigen, in den oberen Stockwerken befinden.
Hier ist der große Wurf. Sehen Sie sich die ganze Ausrüstung an. Erbärmlich. Oben links auf dem Tisch ist jedoch ein schickes Paar Handschellen zu sehen. Sehen Sie es von der positiven Seite. Wenigstens haben sich die Israelis für ein herkömmliches
Paar entschieden und nicht für die pelzgefütterten, die man im nächsten Buchladen für Erwachsene kaufen kann.
Das für diese Informationsaktion verantwortliche IDF-Personal sollte vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Das ist schlichtweg inkompetent. Wenn man schon einen Tatort fabriziert, dann sollte man wenigstens den gesunden Menschenverstand haben, die Kisten zu entfernen, mit denen man die Beweise eingeschmuggelt hat.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Interview mit Rashid Khalidi: „Alles menschliche Leben ist wertvoll. Das humanitäre Recht gilt für alle.”
nachdenkseiten.de, 18. November 2023 um 11:45
Ein Artikel von Michael Holmes
Ein Interview mit Rashid Khalidi, palästinensisch-amerikanischer Historiker für den Nahen Osten an der Columbia University in New York City. In den 1990er-Jahren arbeitete er als Berater der palästinensischen Verhandlungsführer in Madrid und Washington. Er hat zahlreiche Bücher über den Nahen Osten geschrieben, darunter „Hundert Jahre Krieg um Palästina”, das eine faktenreiche Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts von 1917 bis 2017 bietet. Das fesselnde Buch ist eine scharfe Kritik an Israels zahlreichen Kriegen gegen das palästinensische Volk und der fortdauernden Kolonisierung Palästinas. Dennoch bietet es eine ausgewogene, nuancierte Sicht des Konflikts. Khalidi hat faszinierende persönliche Geschichten von mehreren Generationen der Familie Khalidi in die Erzählung eingeflochten. Er appelliert an alle Araber, die große Bedeutung des Holocausts und des Staates Israel für das jüdische Volk anzuerkennen. In diesem Interview erklärt er die jüngste Eskalation des Konflikts, seine tiefen historischen Wurzeln, die Rolle des Westens und Israels Propagandamythen. Das Gespräch führte Michael Holmes.
Herr Khalidi, wie geht es Ihnen in diesen Tagen?
Ich fühle mich sehr bedrückt. Ich habe Familie in Gaza und anderen Teilen Palästinas. Ich habe viele Studenten und Freunde in Palästina und Israel. Ich bin sehr verzweifelt, vor allem angesichts der enormen Verluste an zivilen Opfern in Gaza.
Was sind Ihre ersten Gedanken zum jetzigen Zeitpunkt? Was ist aus Ihrer Sicht am wichtigsten zu verstehen?
Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass nach dem humanitären Völkerrecht und nach allen moralischen Maßstäben ziviles Leben so weit wie möglich geschützt werden sollte. Das gilt nicht nur für die israelische Zivilbevölkerung – es sei denn, man legt einen perversen moralischen Maßstab an –, sondern für die gesamte Bevölkerung. Während ich glaube, dass die meisten Menschen in der Welt dies verstehen, denke ich, dass es in Teilen des Westes nicht so gut verstanden wird, wie es sein sollte. Ich denke, es gibt Annahmen über Israels Recht auf Selbstverteidigung und Fragen wie Verhältnismäßigkeit und Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegssituationen, die nicht vollständig verstanden werden.
Es ist ganz klar, dass israelische Zivilisten getötet werden, wie es vor allem am 7. Oktober geschah. Dabei handelt es sich um Nichtkombattanten. Irgendwie ruft die Tötung von derzeit etwa über 10.000 Palästinensern nicht dieselbe Art von Besorgnis hervor, und das finde ich sehr beunruhigend. Das gilt aber nicht für alle. Ich denke, dass ein Großteil der öffentlichen Meinung im Westen diesen Standpunkt, dass alles menschliche Leben wertvoll ist und das humanitäre Völkerrecht für alle gilt, durchaus teilt. Aber für die meisten unserer Politiker, für einen Großteil unserer Medien und leider auch für viele Institutionen in unserer Gesellschaft ist das einfach nicht der Fall. Einige Menschenleben werden für wichtiger gehalten, einige Zivilisten, und das ist für mich sehr beunruhigend.
Ich bin ziemlich schockiert über das Ausmaß der Propaganda, sogar in Deutschland. Ich bin das bei diesem Konflikt gewohnt, aber im Moment ist es ziemlich extrem, weil es so offensichtlich ist, dass jeden Tag Kriegsverbrechen begangen werden. Sie sagen uns die ganze Zeit, dass die Hamasmenschliche Schutzschilde einsetzt und so weiter. Was ist Ihre Reaktion darauf? Warum gibt es keine Rechtfertigung für das, was passiert?
Jede irreguläre militärische Kraft versteckt sich unter den Menschen, wie Fische im Meer schwimmen. Außerdem kann man sich in Gaza nirgendwo verstecken. Es ist ein winziger Raum. Armeeeinrichtungen befinden sich auch in und um israelische Gemeinden. Niemand behauptet, dass sich Israel hinter menschlichen Schutzschilden versteckt, aber sie könnten deutlicher voneinander getrennt sein. Wenn man sich die Karte der Gebiete um den Gazastreifen genau ansieht, findet man Militärstützpunkte inmitten der zivilen Gemeinden. Ich denke, das ist ein brillantes Argument, aber es entbindet keine bewaffnete Kraft von der Verantwortung, das humanitäre Völkerrecht zu beachten. Ob sich unter der Zivilbevölkerung Kämpfer befinden oder ob sie sich im Feld aufhalten und sich offen zum Töten anbieten, sollte im Hinblick auf das humanitäre Völkerrecht keinen Unterschied machen. Die Zivilbevölkerung sollte so weit wie möglich geschützt werden.
Die israelische Führung hat unmittelbar nach dem Libanon-Krieg 2006 die sogenannte Dahiya-Doktrin verabschiedet. Ein israelischer General, der sich derzeit in diesem Krieg befindet, Gadi Eizenkot, war damals Generalmajor, und er verkündete die Doktrin, die besagt: „Wir werden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachten”, der das zentrale Prinzip des humanitären Völkerrechts ist, wenn es um Nichtkombattanten geht. Er sagte: ‚Wir werden zivile Ziele zerstören.‘ Er sagte das über Dörfer und städtische Gebiete. Er sprach über den Vorort Dahiya in Südbeirut, den die Luftwaffe 2006 dem Erdboden gleichmachte und dabei viele Hunderte von Zivilisten tötete.
Wir haben es also mit einem Wiederholungstäter des humanitären Völkerrechts zu tun, der dies nicht nur heimlich tut, sondern ankündigt, dass er beabsichtigt, das Völkerrecht zu verletzen. Dennoch stellt niemand irgendwelche Fragen. Jedes israelische Argument wird von unseren Politikern und unseren Medien wiederholt und wiederholt. Gadi Eizenkot hat gesagt, dass er Kriegsverbrechen begehen wird. Ich habe in den letzten Jahren mit vielen Medien zu tun gehabt und in den letzten drei, vier Wochen noch mehr. Ich habe nicht eine Person gehört, die diese Doktrin in irgendeinem Medium erwähnt hätte.
Es scheint fast so, als wären sich hochrangige Politiker und Armeeführer in Israel einig. Sie sagen, dass sie gegen Zivilisten in Gaza vorgehen. Es scheint fast so, als würden sie den westlichen Propagandisten widersprechen, die nach Entschuldigungen für Israel suchen. Sie würden mit uns übereinstimmen und sagen: ‚Nein, wir tun es.’ Ich muss die große Frage stellen, die zu umfangreich für ein Interview ist. Die Leser sollten dafür wirklich Ihr Buch lesen. Was können Sie uns über die Ursachen des Konflikts sagen?
Es ist ein junger Konflikt. Er ist ein Produkt der Entwicklung des modernen Nationalismus. Er ist ein Produkt des westlichen Imperialismus. Bevor es den modernen Nationalismus gab, gab es keine Israelis und keine Palästinenser. Es gab ein jüdisches Volk in Palästina. Sie hatten ethnische, sprachliche, historische und religiöse Wurzeln unterschiedlicher Art. Aber der Konflikt ist eine Funktion des Aufstiegs des modernen politischen Zionismus und des Aufstiegs des Nationalismus unter den Palästinensern. Er ist eine Folge der Entscheidung des britischen Imperiums, mit der Balfour-Erklärung und dem Mandat für Palästina eine Siedlerkolonie in Palästina zu errichten. Ohne diese Faktoren, den Nationalismus und den britischen Imperialismus, gäbe es den Konflikt nicht, den wir heute haben.
Vielleicht hätte es eine Form des Zionismus gegeben. Aber heute haben wir einen Konflikt mit einer nationalen Bewegung, die auch eine koloniale Siedlerbewegung ist, die sich seit ihren Anfängen immer als Teil Europas gesehen hat, die stets ein Anrecht auf Palästina beanspruchte, aber auch eine separatistische Kolonialbewegung war. Sie hatten etwas, das sich Jewish Colonization Agency nannte, das ist nicht mein Name dafür; das ist keine antisemitische Verleumdung des Zionismus. So nannten die Zionisten ihre Agentur für Landerwerb, und sie sprachen von Siedlungen und Kolonialismus. Leute wie Jabotinsky, zumindest die ehrlichen unter ihnen, haben erkannt, dass es sich um einen kolonialen Konflikt handelt.
Es gab die Entwicklung einer Nation und ein nationales Bewusstsein auf beiden Seiten etwa zur gleichen Zeit, innerhalb einer Generation. Aber es handelt sich nicht um einen gleichberechtigten Konflikt. Es geht nicht um Frankreich und Deutschland. Es handelt sich um eine koloniale Bewegung, die in jeder Phase ihres Bestehens von den stärksten Supermächten der Weltgeschichte unterstützt wurde. Es geht nicht um die armen kleinen Zionisten in Palästina, die ganz allein gegen ein Meer von feindlichen Arabern antreten. Der Zionismus wurde vom britischen Empire unterstützt, dem größten Imperium seiner Zeit, gegen die Palästinenser, die von arabischen Völkern unterstützt wurden, von denen die meisten während der Mandatszeit bis 1948 unter kolonialer Kontrolle standen.
Der Zionismus hat sich immer auf die extrem mächtigen europäischen imperialistischen Kräfte und später auf die amerikanische Macht verlassen, um sich in Palästina durchzusetzen. Was Sie heute im Westjordanland sehen, nämlich die Vertreibung der Palästinenser durch randalierende Siedler, ist Teil eines Prozesses, der auf das Jahr 1948 zurückgeht und seine Wurzeln in diesem früheren Siedlerkolonialprozess hat. Die Bemühungen, die Palästinenser aus Palästina oder in immer kleinere Teile Palästinas zu vertreiben, sind seit 1948 im Gange. Selbst nach der Nakba, als 750.000 Menschen aus dem Gebiet, das zu Israel wurde, vertrieben wurden, erschoss Israel jeden, der zurückkehren wollte. Israel drängte die verbliebene arabische Bevölkerung in immer kleinere Gebiete, nahm ihr Land für die ausschließliche Nutzung durch jüdische Siedler und arbeitet seither nach denselben Prinzipien, ob im Westjordanland, in Jerusalem oder auf den besetzten Golanhöhen. Einige Merkmale dieses Prozesses haben sich im Laufe der Zeit nicht verändert, viele natürlich schon.
In Ihrem Buch legen Sie überzeugend dar, dass es nie ein Angebot für einen palästinensischen Staat gab, das eine Zweistaatenlösung ermöglicht hätte. Rabin und später Barak waren vielleicht in mancher Hinsicht nahe dran, aber sie haben es nicht ganz geschafft. Um Ihr Buch zusammenzufassen: Seit 1967 hat es von israelischer Seite kein ernsthaftes Lösungsangebot für den Konflikt gegeben, das für die Palästinenser akzeptabel gewesen wäre. Ist das richtig?
Das ist absolut richtig. Keine Lösung, die angeboten wurde, erfüllte die Minimalforderung der Palästinenser nach gleichen Rechten auf Souveränität, gleichen Rechten auf Bewegungsfreiheit, gleichen Rechten auf Sicherheit. Mehrere israelische Führer waren bereit zu verhandeln. Netanjahu ist es nicht. Mehrere israelische Führer waren bereit, die israelischen Positionen zu ändern. Ich würde sie nicht als Zugeständnisse bezeichnen, denn unser Land und unsere Rechte haben sie uns nicht zuzugestehen. Drei israelische Führer, Rabin, Barak und Olmert, waren jedoch auf unterschiedliche Weise und zu unterschiedlichen Zeitpunkten zumindest bereit zu verhandeln. Rabin erklärte, dass die Palästinenser ein Volk sind. Kein israelischer Führer hatte das jemals gesagt. Golda Meir hatte nur wenige Jahre zuvor gesagt, die Palästinenser existierten gar nicht. Dies ist auch heute noch die Position vieler israelischer Führer. Rabin akzeptierte, dass die Palästinenser von der PLO vertreten wurden. Er unternahm also wichtige Schritte in Bezug auf Israels bisherige Positionen. Er akzeptierte jedoch zu keinem Zeitpunkt die Idee einer völlig unabhängigen souveränen Staatlichkeit für die Palästinenser. In seiner letzten Rede vor der Knesset sagte er: ‚Wir werden den Palästinensern weniger als einen Staat anbieten.’ ‚Wir werden das Jordantal kontrollieren.’ Was soll das bedeuten? Fortgesetzte Besatzung! Selbst Rabin, der bis zu seinem Tod diese wichtigen Veränderungen in der Position Israels vornahm, war also nicht bereit, den Palästinensern einen souveränen, unabhängigen Staat zu geben und sie von der Kontrolle durch eine andere Macht zu befreien. Das Gleiche gilt für Barak und Olmert.
Seitdem wurde jede israelische Regierung tendenziell immer rechter. Scharon, dann Netanjahu, und jetzt hat er extreme Siedlerparteien in die Regierung geholt. So wurde die Situation in Gaza und im Westjordanland immer unhaltbarer.
Aber lassen Sie mich den Advocatus Diaboli spielen. Viele Menschen im Westen verstehen, dass die Palästinenser leiden und dass sie Opfer von Ungerechtigkeit sind. Aber die meisten von ihnen fühlen sich Israel etwas näher, glaube ich. Sie glauben, dass vor allem die Hamas, aber auch die anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen wild entschlossen sind, Israel zu vernichten. Es sei ihr Ziel, alle Juden zu töten und einen zweiten Holocaust zu begehen. Und deshalb sei es unsere Verantwortung – auch wenn Israel nicht perfekt ist, wenn es um Menschenrechte geht –, dessen grundlegendes Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen. Wenn ich ein friedensbereiter Israeli in Tel Aviv wäre, der versteht, dass die Palästinenser einen eigenen Staat und Menschenwürde verdienen, dann könnte meine Reaktion auf diesen Hamas-Anschlag sehr wohl sein: ‚Vielleicht wollen sie uns wirklich alle töten!’ Wenn ich jetzt ein Israeli wäre, hätte ich sicherlich Angst vor der Hamas. Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen sagen würde: ‚Ich weiß, dass wir uns nie sehr bemüht haben, Frieden zu schließen, aber jetzt haben wir keine andere Wahl, als die Hamas zu vernichten, und das ist hässlich, aber was sollen wir tun?’
Sie haben so viele zentrale Elemente des israelischen Narrativs zusammengefasst. Zunächst einmal geht man nicht nur in Deutschland, sondern auch im Westen von einem wohlverdienten Schuldgefühl aus, aufgrund dessen, was das christliche Europa den Juden über ein Jahrtausend lang angetan hat. Ich spreche nicht nur über den Holocaust. Das ist leider die Ursache für viele dieser Gefühle, die von den Israelis ausgenutzt werden. Der Holocaust und die mögliche Ausrottung der gesamten israelischen Juden wecken diese schrecklichen Erinnerungen und lösen Schuldgefühle aus, wohlverdiente Schuldgefühle.
Als die PLO 1988 der Gewalt abschwor, als wir nach Madrid und Washington reisten, um eine friedliche Lösung zu unterstützen, gab es eine überwältigende Unterstützung unter den Palästinensern. Als Arafat 1993 auf dem Rasen des Weißen Hauses das Abkommen von Oslo unterzeichnete, war die Unterstützung für den Frieden unter den Palästinensern und für eine Zweistaatenlösung überwältigend. Die Opposition war eine kleine Minderheit, und das blieb auch in den meisten Jahren der 1990er der Fall. Warum also hat sich das geändert? Warum wurde aus einer kleinen Minderheit eine viel größere Minderheit? Warum haben sie in den 1990er-Jahren und später Selbstmordattentate verübt? Es ist ja nicht so, dass sie plötzlich von einer Droge beeinflusst wurden! Das israelische Verhalten, die israelischen Aktionen haben sie beeinflusst. Noch während sie verhandelten, verdoppelte und verdreifachte sich die Zahl der Siedlungen. Die Besatzung wurde 1993 noch restriktiver. Die Inhaftierung der Palästinenser in Bantustans im Westjordanland und die Inhaftierung des Gazastreifens begannen mit Oslo. Israel schuf eine Situation, in der Gewalt die einzige Option zu sein schien. Israel hat durch seine Weigerung, einen souveränen palästinensischen Staat zu akzeptieren, indirekt die Hamas geschaffen. Rabin, Peres, Netanjahu, Barak, Olmert, Sharon – jede einzelne israelische Regierung hat die Einschließung und die Beschränkungen für Palästinenser erhöht und den Siedlungsprozess ausgeweitet. Inzwischen gibt es 700.000 bis 800.000 israelische Siedler im Westjordanland und in Ostjerusalem. Die Palästinenser sollen gewaltfrei sein. Was ist mit der Gewalt Israels? Die Besiedlung ist mit Gewalt verbunden; man stiehlt Land, man muss die Bewohner rausschmeißen. Die Abriegelung des Westjordanlandes ist mit Gewalt verbunden. Die Polizeiarbeit im Westjordanland und in Ostjerusalem ist mit Gewalt verbunden. Inhaftierung is t Gewalt.
Waren die Palästinenser in ihrer überwältigenden Mehrheit von irgendwann in den 1980er-Jahren bis Ende der 1990er-Jahre bereit, einen friedlichen Weg einzuschlagen? Ja. Wie hat Israel das erwidert? Kein palästinensischer Staat, keine Hoffnung, keine Friedensregelung, eine viel, viel intensivere, energischere, restriktivere und härtere Besatzung. Nun, es kam zu Gewalt, zwangsläufig, notwendigerweise. Grobe Fehleinschätzungen, systematische Fehlinformationen und Schuldgefühle erzeugen diese giftige Mischung aus Lügen und Halbwahrheiten, die der von Ihnen vertretene Standpunkt darstellt. Nichts, aber auch gar nichts davon ist wahr. Gibt es Palästinenser, die Israel vernichten wollen? Ja. Wollen sie alle umbringen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Gibt es heute Australier, die Australien vernichten wollen? Ja. Gibt es Palästinenser, die Gewalt unterstützen? Ja. Aber warum hat sich die Friedensbereitschaft geändert?
Man muss auch fragen, ob es Möglichkeiten gab, sogar mit Gruppen, die einst Gewalt befürworteten oder ausübten, zu verhandeln. Gab es Chancen, die ignoriert oder verpasst wurden?
Anfang der 2000er-Jahre, nach der Wahl von Abbas im Jahr 2005 und nachdem die Hamas bei den Wahlen zum Legislativrat 2006 eine Mehrheit errungen hatte, wurden Einheitsregierungen zwischen Fatah und Hamas gebildet, die anboten, mit Israel zu verhandeln. Der Westen und Israel lehnten dies ab, sie sagten Nein. Israel sagte: ‚Die Hamas muss der Gewalt, die als Terrorismus bezeichnet wird, abschwören und die Existenz Israels als Vorbedingung für Verhandlungen akzeptieren. Aber wir setzen unsere systematische und unaufhörliche Gewalt der Besatzung und Kolonisierung fort. Ihr hört auf, Widerstand zu leisten, und bevor wir reden, akzeptiert ihr unsere Existenz, so wie wir sie definieren, und dann werden wir uns bereit erklären, mit euch zu reden.’
Netanjahu hat sich nicht zu Gesprächen bereit erklärt, und die nächste Regierung hat es nicht getan. War dies also eine Gelegenheit? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es gibt keine Garantie, dass eine Koalitionsregierung in der Lage gewesen wäre, ein Abkommen mit Israel zu erreichen, aber die Vereinigten Staaten weigerten sich, Europa weigerte sich. Diese Erzählung von ‚sie wollten uns schon immer töten, immer, alles, was sie wollten, war, uns zu töten, sie sind Mörder, sie sind nicht anders als die Nazis‘ ist eine völlig falsche Erzählung. 1982 verglich Begin Arafat im belagerten West-Beirut mit Hitler in Berlin am Ende des Zweiten Weltkriegs, er benutzte ständig diese Metaphern, und das ist seither ein wichtiges Thema der israelischen Propaganda. Sie konzentrierten sich auf den Mufti, der während des Zweiten Weltkriegs tatsächlich mit den Nazis kollaboriert hat. Nun, es gab viele andere palästinensische Führer, die das nicht taten. Es gab viele Palästinenser, die in der britischen Armee gegen Deutschland kämpften.
Ich denke, ein Argument, das auf der propalästinensischen Seite zu oft fehlt, ist, dass die USA und Europa die Israelis dazu zwingen sollten, zu tun, was für ihre eigene Sicherheit am besten ist. Für mich ist es offensichtlich, dass ihre Politik in Palästina die größte Bedrohung für die israelische Sicherheit darstellt. Sollte man das nicht stärker betonen?
Ich denke schon. Wenn westlichen Politikern die wahren Interessen der Israelis am Herzen lägen, ebenso wie ihre eigenen und das Interesse an Frieden und Stabilität in der Region, würden sie nicht die Politik verfolgen, blind und unhinterfragt jedem Kurs zu folgen, den Israel wählt. Ist die Tötung von 9.000 Menschen ein guter Weg, um die Sicherheit Israels im nächsten Jahrzehnt zu gewährleisten? Ich kann Ihnen garantieren, dass dies nicht der Fall ist. Ich kann Ihnen garantieren, dass die Angehörigen der Getöteten und der bisher 20.000 Verletzten Israel nicht wohlwollend betrachten werden. Die Menschen, die sie jetzt bekämpfen, sind in vielen Fällen die Kinder von Menschen, die sie getötet haben. Können sich Menschen, die sich gegenseitig bekämpfen, irgendwann zusammensetzen und verhandeln? Ja, das können sie. Jeder Konflikt, der in Südafrika und anderswo beigelegt wurde, zeigt, dass dies der Fall ist. Yitzhak Rabin war für die Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 verantwortlich. Ich sage nicht, dass Gewalt die Lösung unmöglich macht, aber sie macht sie nicht einfacher. Auch die Tötung von israelischen Zivilisten macht eine Lösung nicht leichter. Was am 7. Oktober geschah, macht keine Lösung leichter.
Ich bin ziemlich schockiert über die Reaktion der USA, Großbritanniens, Deutschlands und der Europäischen Union. Ich habe immer versucht, den Menschen zu sagen, dass der Westen durchaus in der Lage ist, schreckliche Dinge zu tun, wie man etwa im Jemen, in Syrien, Libyen, Afghanistan und im Irak gesehen hat. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass sie in dieser Hinsicht fanatisch sind. Sie sind emotional sehr stark mit Israel verbunden. Die Führer der westlichen Länder üben großen Druck auf alle aus, die Israel kritisieren. Sie versuchen, Kritiker zu diskreditieren, indem sie den Eindruck erwecken, dass sie mit den schrecklichen Massakern der Hamas sympathisieren. Ich finde das ziemlich beunruhigend. Wenn ich versuche, mir vorzustellen, wie das aus palästinensischer Sicht aussieht, muss es noch beunruhigender sein. Es scheint, als ob die wichtigsten Mächte der Welt ganz auf der Seite des Feindes stehen. Das muss sehr entmutigend sein.
Wir dürfen nicht vergessen, dass 66 Prozent der Amerikaner in der letzten Umfrage einen Waffenstillstand befürworten, was bedeutet, dass sie die israelische Sichtweise nicht akzeptieren. Sie akzeptieren die Position ihrer Regierung nicht. Unsere Regierung, die beiden politischen Parteien, die Medien, die großen Unternehmen und die Mächte in dieser Gesellschaft, die Universitäten, sie alle verbreiten das Narrativ, das Sie gerade beschrieben haben. Ihr seid Babymörder, ihr seid Terroristen, wenn ihr die Rechte der Palästinenser unterstützt, ihr seid Antisemiten. Das ist die Linie, die verfolgt wird. Sie wird zu Gesetzen, Vorschriften und Einschränkungen der Meinungsfreiheit in diesem Land führen. Die Mächtigen, das ist nicht die öffentliche Meinung. Ein großer Teil der Öffentlichkeit hat das Kool-Aid der israelischen Propaganda nicht getrunken, die besagt, dass alles, was wir tun, gerechtfertigt ist, und wir werden es so lange tun, wie wir wollen, und wir werden nicht aufhören, egal was ihr sagt. Und ihr müsst uns unterstützen. Und jeder, der nicht einverstanden ist, ist ein Terrorist, ein Babykiller, ein Nazi und schlimmer als ISIS.
Ich wiederhole nicht einmal, was Israelis sagen; ich wiederhole, was der US-Präsident wiederholt gesagt hat. Es ist also entmutigend. Gleichzeitig ist es ermutigend zu erkennen, dass die wenigen westeuropäischen Länder und die wenigen weißen Siedlerkolonien, einschließlich der Vereinigten Staaten und Kanada, nicht die Welt sind. Sie mögen das Geld haben, sie mögen die Flugzeugträger haben, aber die großen Länder – Indonesien, Bangladesch, Indien, Pakistan, Nigeria, China, Brasilien – die Menschen, mit Ausnahme einiger weniger Menschen in Westeuropa und diesen weißen Siedlerkolonien, akzeptieren nichts von alledem. Erfreulich ist, dass der Rest der Welt die Rechte der Palästinenser unterstützt, auch wenn sie den palästinensischen Mitteln kritisch gegenüberstehen.
Was die Hamas in Israel getan hat, hat auch fast alle schockiert. Die Mehrheit der Menschheit hat eine sehr differenzierte Sichtweise, aber sie sympathisiert im Moment sehr mit den Palästinensern.
Ja, einem israelischen Kind, einer israelischen Frau oder einem israelischen Zivilisten sollte kein Leid zugefügt werden. Aber das gilt auch für ein palästinensisches Kind, eine palästinensische Frau oder einen palästinensischen Zivilisten. Die meisten Menschen sehen alle Menschen auf der gleichen Stufe der Menschlichkeit und bevorzugen nicht den einen gegenüber dem anderen. Im humanitären Völkerrecht gibt es kein solches Privileg. Für einige Menschen sind sie jedoch eindeutig nicht gleichwertig. Für manche Menschen hat der Tod von 900 oder 1.100 unbewaffneten israelischen Zivilisten mehr Gewicht und moralischen Wert als der Tod von bisher 9.000 Palästinensern oder wie vielen auch immer – ich weiß noch nicht einmal, wie hoch die Zahl ist, und sie wird noch viel höher sein, wenn das Interview veröffentlicht wird.
Wie sehr fürchten Sie eine regionale Eskalation? Wird dieser Krieg auf den Libanon übergreifen, vielleicht sogar auf den Iran oder Syrien?
Ich denke, das ist zu befürchten. Es sollte uns alle sehr beunruhigen, weil es keine Grenzen geben könnte. Es könnte – Gott bewahre – nicht nur in einem regionalen Krieg enden, sondern in einem Atomkrieg oder einem Weltkrieg. Wenn die Vereinigten Staaten und Russland mit hineingezogen werden, könnte das passieren. Ich hoffe und denke, dass es gute Gründe gibt, ihn abzuwenden. Ich denke, dass der Iran, die Hisbollah, Israel und die Vereinigten Staaten wahrscheinlich keinen größeren Krieg wollen – jeder aus seinen eigenen Gründen. Alle diese vier Hauptakteure scheinen keinen größeren Krieg zu wollen. Heißt das nun, dass sie die Situation unter Kontrolle haben? Nein. Bedeutet das, dass etwas Unerwartetes keinen Krieg auslösen könnte? Niemand wollte den Ersten Weltkrieg. Das eine führte zum anderen. Es könnte zu einer ungeplanten, unkontrollierten Eskalation kommen. Ich denke, das ist zu befürchten. Aber es gibt gute Gründe für die Annahme, dass sich zumindest die vier Hauptakteure zurückhalten werden.
Ich danke Ihnen vielmals. Alles Gute für Ihre Familie und Freunde.
Ich danke Ihnen.
Der Interviewer: Michael Holmes ist freiberuflicher Journalist und Gründer von Global Apartheid, einem Projekt, das die größten Massenmorde der modernen Geschichte dokumentiert.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Zeitgeschehen-im-Fokus Forschen - Nachdenken - Schlüsse ziehen Nr 16/17 (I von III)
Schweizer Zeitung für soziale Verbundenheit, Frieden und direkte Demokratie
Ich möchte Ihnen mitteilen, was ich in den letzten Tagen von Palästinensern und Israelis gesehen und gehört habe.
Ich habe gerade mit einem Kollegen von uns in Rafah telefoniert, der mit seiner im siebten Monat schwangeren Frau, seinen beiden kleinen Kindern und anderen Familienmitgliedern aus Gaza-Stadt fliehen musste, als die Gebäude um ihn herum durch israelische Bombardements zerstört wurden. Seine Kinder, neun und sieben Jahre alt, stellen ihm Fragen, auf die er keine Antwort weiss: «Warum geschieht das mit uns? Was haben wir getan?»
Eine andere palästinensische Uno-Kollegin in Gaza erzählte mir, wie sie mit ihren Kindern um 1 Uhr nachts fliehen musste, um weit weg von zu Hause Schutz zu finden, aber dass sie ihre Taschen immer in der Nähe hat, da sie vielleicht kurzfristig wieder fliehen müssen. Ihre Schwägerin wurde gestern getötet, enge Freunde am Tag zuvor. Das Wasser ist knapp, und die Angst ist allgegenwärtig. Mehrere andere Kollegen erzählten mir, dass sie im letzten Monat die Ermordung von Dutzenden ihrer Angehörigen zu beklagen hatten. Das zog sich wie ein beklagenswerter roter Faden durch die letzten Tage.
Bei einem kurzen Besuch im El Arish-Krankenhaus im ägyptischen Rafah habe ich viele Kinder gesehen, die im Gazastreifen verletzt wurden – einen dreijährigen Jungen mit zwei gebrochenen Beinen, einen fünfjährigen Jungen und ein fünfjähriges Mädchen mit schweren Verbrennungen, ein achtjähriges Mädchen mit Wirbelsäulenverletzungen und andere. Das waren die «glücklichen» Kinder, die schrecklich gelitten haben, aber noch leben und medizinisch angemessen versorgt werden.
Wie Sie wissen, sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen im vergangenen Monat rund 4400 weitere Kinder getötet worden. Viele andere sind möglicherweise unter den Trümmern der bombardierten Gebäude begraben. Mehr als 26 000 wurden verletzt – und können entweder aufgrund des zusammenbrechenden Gesundheitssystems in Gaza nicht medizinisch versorgt oder müssen ohne Betäubung operiert werden.
Ich habe auch von Menschen mit Behinderungen gehört, die ihre Betreuer und ihren Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten verloren haben. Die Menschen standen vor der unmöglichen Entscheidung, entweder ein behindertes Familienmitglied zurückzulassen und zu riskieren, unterwegs getroffen zu werden, oder bei ihm zu bleiben und zu riskieren, zu Hause getroffen zu werden.
Und ich hörte von israelischen Menschenrechtsaktivisten, die zutiefst erschüttert und empört über die Notlage der Zivilisten in Gaza sind. Sie waren auch beunruhigt darüber, was dies für Israel bedeutet. Sie sagten zu mir – ich zitiere: «Es ist uns nicht erlaubt, für den Frieden zu protestieren – wir werden aus diesem Krieg mit viel weniger Freiheit zurückkehren. Wir wissen nicht, welche Art von Gesellschaft am Ende dieses Krieges entstehen wird.» Und ich hörte von palästinensischen Menschenrechtsaktivisten, dass sie über die Doppelmoral besorgt sind. Sie betonten, dass die internationale Gemeinschaft es versäumt hat, ihrer Verpflichtung zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts nachzukommen und ihren Einfluss geltend zu machen, um das unzumutbare Leiden der Zivilbevölkerung inmitten dieses Wahnsinns zu beenden.
Die grausamen Angriffe der Hamas gegen Israel am 7. Oktober sollten jeden von uns empören. Den Opfern dieser grausamen Verbrechen muss Gerechtigkeit widerfahren und es muss ihnen geholfen werden, die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden, die Geiseln müssen freigelassen werden, und der wahllose Raketenbeschuss auf Israel muss aufhören.
Es ist jedoch klar, dass dauerhafter Frieden und Sicherheit nicht von Wut geleitet und durch Zufügen von Schmerz gegen Menschen erreicht werden können, die keine Verantwortung für die begangenen Verbrechen tragen – einschliesslich der 99 getöteten UNRWA-Mitarbeiter. Dies ist beispiellos, ungeheuerlich und herzzerreissend.
Die umfangreichen israelischen Bombardierungen des Gazastreifens, einschliesslich des Einsatzes von hochwirksamen Explosivwaffen in dicht besiedelten Gebieten, die Zehntausende von Gebäuden dem Erdboden gleichmachen, haben eindeutig verheerende Auswirkungen auf die humanitäre Lage und die Menschenrechte. Nach vier Wochen Bombardierung und Beschuss durch die israelischen Streitkräfte in Gaza sind die unterschiedslosen Auswirkungen solcher Waffen in einem dicht besiedelten Gebiet offensichtlich. Israel muss den Einsatz solcher Methoden und Mittel der Kriegsführung sofort beenden, und die Angriffe müssen untersucht werden. Wir beobachten weiterhin Angriffe und eine Reihe von Vorfällen mit einer hohen Zahl von Todesopfern im gesamten Gazastreifen, darunter Angriffe auf Wohngebiete in Jabalia, Gaza-Stadt, Al Bureij, Al Nuseirat, Al Meghazi und Khan Yunis.
Angesichts der vorhersehbaren hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung und des grossen Ausmasses der Zerstörung von zivilen Objekten haben wir ernsthafte Bedenken, dass es sich um unverhältnismässige Angriffe handelt, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen.
Die Angriffe auf Krankenhäuser und auf die Umgebung von Krankenhäusern in Gaza-Stadt waren besonders heftig, vor allem auf die beiden grössten Krankenhäuser in der Region – das indonesische Krankenhaus in Beit Lahiya und das Al Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt. Inzwischen erschweren die Angriffe auf die umliegenden Gebiete den Zugang zu den Krankenhäusern – unter anderem durch die Zerstörung von Strassen.
Einige Krankenhäuser, darunter das Al-Quds-Krankenhaus und das Al-Shifa-Krankenhaus, haben zusätzlich zu den allgemeinen Evakuierungsanweisungen für alle Bewohner des nördlichen Gazastreifens spezielle Evakuierungsanweisungen erhalten. Eine solche Evakuierung ist jedoch, wie die Weltgesundheitsorganisation gewarnt hat, ein «Todesurteil» in einem Kontext, in dem das gesamte medizinische System zusammenbricht und die Krankenhäuser im südlichen Gazastreifen keine Kapazitäten haben, um weitere Patienten aufzunehmen.
Das humanitäre Völkerrecht ist eindeutig: Es gewährt medizinischen Einheiten besonderen Schutz und verlangt, dass sie jederzeit geschützt und respektiert werden. Wenn bewaffnete palästinensische Gruppen Zivilisten und zivile Objekte nutzen, um sich vor Angriffen zu schützen, verstösst dies gegen das Kriegsrecht. Ein solches Verhalten palästinensischer bewaffneter Gruppen entbindet Israel jedoch nicht von seiner Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass Zivilisten geschont werden und dass die Grundsätze der Unterscheidung, der Vorsicht bei Angriffen und der Verhältnismässigkeit eingehalten werden. Die Nichteinhaltung dieser Grundsätze stellt ebenfalls einen Verstoss gegen das Kriegsrecht dar mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung.
Während die Bombardierungen des Gazastreifens aus der Luft, zu Lande und zur See andauern, macht die seit über einem Monat andauernde vollständige Belagerung den Bewohnern des Gazastreifens die Beschaffung von lebensnotwendigen Gütern und das Überleben zur Qual. Alle Formen der kollektiven Bestrafung müssen ein Ende haben.
Die Forderung, die Zivilbevölkerung in eine von den israelischen Streitkräften ausgewiesene «sichere Zone» umzusiedeln, ist ebenfalls sehr bedenklich. Eine so genannte «sichere Zone» kann, wenn sie einseitig eingerichtet wird, die Risiken für die Zivilbevölkerung erhöhen und wirft die Frage auf, ob die Sicherheit in der Praxis gewährleistet werden kann. Gegenwärtig ist der Gazastreifen nirgendwo sicher, da aus allen Teilen des Streifens Bombardierungen gemeldet werden. Es muss auch absolut klar sein, dass Zivilisten nach dem Völkerrecht geschützt sind, egal wo sie sich befinden.
Es ist dringend erforderlich –und ich habe dies mehrfach gesagt, auch am Grenzübergang Rafah in Ägypten –, dass die Parteien einem Waffenstillstand auf der Grundlage entscheidender menschenrechtlicher Erfordernisse zustimmen, um Lebensmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter an die Menschen zu liefern, die sie dringend brauchen, und zwar dort, wo sie sie brauchen, nämlich im gesamten Gazastreifen, dass alle Geiseln freigelassen werden und dass ein Weg zu einem nachhaltigen Ausweg aus dieser albtraumhaften Situation im Gazastreifen geöffnet wird.
Ich appelliere auch dringend an die israelischen Behörden, unverzüglich Massnahmen zu ergreifen, um den Schutz der Palästinenser im Westjordanland zu gewährleisten, die tagtäglich der Gewalt der israelischen Streitkräfte und Siedler, Misshandlungen, Verhaftungen, Vertreibungen, Einschüchterungen und Demütigungen ausgesetzt sind.
Dieses Jahr war für die Palästinenser im Westjordanland bereits das tödlichste seit Beginn der Aufzeichnungen, mit etwa 200 Toten noch vor dem 7. Oktober, und wir haben diese Warnungen bereits während des letzten Jahres ausgesprochen. Seit Anfang Oktober sind mindestens 176 weitere Palästinenser, darunter 43 Kinder und eine Frau, getötet worden – die meisten von israelischen Sicherheitskräften und mindestens acht von Siedlern. Mehr als 2000 Palästinenser wurden in gewaltsamen Übergriffen im gesamten Westjordanland festgenommen und inhaftiert, und wir haben beunruhigende Fälle von Misshandlungen der Verhafteten und ihrer Familien dokumentiert.
In diesem Jahr haben die israelischen Streitkräfte bei Strafverfolgungsmassnahmen zunehmend militärische Taktiken und Waffen eingesetzt. Allein gestern wurden mindestens 14 Palästinenser von israelischen Streitkräften im Flüchtlingslager Jenin getötet. Darüber hinaus gab es gestern im gesamten Westjordanland vier weitere Tote. Strafverfolgungsmassnahmen im besetzten Westjordanland müssen in strikter Übereinstimmung mit den internationalen Menschenrechtsnormen durchgeführt werden.
Auch die Gewalt der Siedler und die Landnahme haben im gesamten Westjordanland stark zugenommen. Seit dem 7. Oktober wurden fast 1000 Palästinenser aus mindestens 15 Beduinengemeinschaften aus ihren Häusern vertrieben. Angesichts der Zwangsbedingungen, unter denen sie leben, kann die Vertreibung dieser Gemeinschaften einer gewaltsamen Umsiedlung gleichkommen, was einen schweren Verstoss gegen die Vierte Genfer Konvention darstellt.
Ich fordere die israelischen Behörden auf, ihren Verpflichtungen als Besatzungsmacht zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung nachzukommen, den Sicherheitskräften klare und unmissverständliche Anweisungen zu erteilen, um den Schutz der palästinensischen Bevölkerung vor der Gewalt der Siedler zu gewährleisten, und diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich nicht an diese Anweisungen halten. Israel hat die Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle gewalttätigen Vorfälle unverzüglich und wirksam untersucht werden und dass die Opfer wirksame Rechtsmittel in Anspruch nehmen können.
Weiterhin weit verbreitete Straffreiheit für solche Verstösse ist inakzeptabel, gefährlich und ein klarer Verstoss gegen die Verpflichtungen Israels gemäss den internationalen Menschenrechtsgesetzen. Und ich hoffe, dass unter diesen Umständen endlich Rechenschaft abgelegt wird.
In den letzten Monaten haben wir mehrere Vorfälle dokumentiert, bei denen Siedler sich formiert haben, um palästinensische Landwirte an der Olivenernte zu hindern – eine der Haupteinnahmequellen im Westjordanland –, indem sie sie unter anderem mit Schusswaffen angriffen und sie zwangen, ihr Land zu verlassen, die Ernte stahlen und Olivenbäume vergifteten oder zerstörten. Menschenrechtsaktivisten werden zunehmend mit Gewalt bedroht, wenn sie Verstösse dokumentieren. Das habe ich gestern direkt von ihnen erfahren.
Diese Menschenrechtsaktivisten – und mein Büro – schlagen seit vielen Jahren wegen der zunehmenden Menschenrechtsverletzungen und der anhaltenden Straflosigkeit Alarm und warnen davor, dass die Situation ausser Kontrolle geraten könnte, wenn keine Schritte zur individuellen strafrechtlichen Verantwortung und zur Achtung der Rechtsstaatlichkeit unternommen werden.
Anstatt Menschenrechtsaktivisten – und die Uno – zu diskreditieren und zu bestrafen, weil sie Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, müssen die Behörden die die Verantwortlichkeiten sicherstellen, was ein wesentlicher Schritt zur Deeskalation der Spannungen in dieser brisanten Zeit ist.
Wir haben im Laufe der Geschichte immer wieder gelernt, dass Extremismus nur weiteren Extremismus hervorbringt. Es müssen wirklich Schritte unternommen werden, um diesen Kreislauf aus Rache, Tod, Trauer und Wut zu durchbrechen.
Ich verurteile auch aufs Schärfste die Verwendung von entmenschlichenden Ausdrücken, insbesondere durch politische und militärische Führer in Israel und durch die Hamas. Der einzige Sieger in einem solchen Kontext ist der Extremismus, der zu immer mehr Gewalt führt. Die israelische Regierung muss alle Massnahmen ergreifen, um Vorfälle von Hassreden und Aufwiegelung gegen Palästinenser zu beenden. Einige der Äusserungen hochrangiger Beamter sind nicht nur verabscheuungswürdig, sondern können auch zu Hass und Gewalt aufstacheln – und in einigen Fällen könnten sie als Beweis für die Absicht dienen, Feindseligkeiten in einer Weise auszutragen, die gegen das Kriegsrecht verstossen.
Ich fordere die Entscheidungsträger auf, die Empfehlungen unserer zahlreichen Menschenrechtsberichte über das besetzte palästinensische Gebiet zu prüfen und umzusetzen und den Abgrund, in den der zunehmende Extremismus und die Gewalt geführt haben, zu überwinden.
Es bedarf aussagekräftiger Untersuchungen und einer Rechenschaftspflicht, um diesen Kreislauf von Gewalt und Rache gegen ganze Gemeinschaften zu beenden. Wenn die nationalen Behörden nicht willens oder in der Lage sind, solche Untersuchungen durchzuführen, und wenn es widersprüchliche Darstellungen zu besonders schwerwiegenden Vorfällen gibt, muss es unabhängige, internationale Untersuchungen geben.
Es ist klar, dass der Status quo unhaltbar ist und dass wir alles in unserer Macht Stehende tun müssen, um das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern. Die einflussreichen Mitgliedstaaten müssen sich mehr denn je dafür einsetzen, dass die Parteien ohne weitere Verzögerung einen Waffenstillstand schliessen.
Beenden Sie die Gewalt. Garantieren Sie die Sicherheit der humanitären Helfer. Gewährleistung eines sicheren Zugangs, damit die humanitäre Hilfe alle Bedürftigen erreicht. Sorgen Sie dafür, dass die Menschen genug zu essen, sauberes Wasser zu trinken, medizinische Versorgung und Unterkünfte haben. Lassen Sie die Geiseln frei. Verurteilen Sie – im Einklang mit den Menschenrechtsgesetzen – diejenigen, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben.
Die Lösung für diese Situation ist die Beendigung der Besatzung und die uneingeschränkte Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser. Wie ich immer wieder gesagt habe, muss die Besatzung beendet werden, um die Gewalt zu beenden. Die Mitgliedstaaten müssen alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen, um einen dauerhaften Frieden für alle Palästinenser und Israelis zu erreichen.
Eine Besatzungsmacht hat kein Recht auf Selbstverteidigung gegen die Besetzten Interview mit Jacques Baud*
Jacques Baud (Bild thk)
Das Vorgehen Israels verstösst gegen das Kriegsrecht
Zeitgeschehen im FokusHat der Mossad den Überfall vom 7. Oktober nicht vorhersehen können?
Jacques Baud Zunächst einmal ist nicht der Mossad dafür zuständig. Wir verwenden den Begriff «Mossad», um die israelischen Geheimdienste zu bezeichnen. Das ist nicht richtig. Es gibt mehrere Geheimdienste in Israel, und der Mossad ist nicht an vorderster Front für die Gazafrage zuständig. Die Aufgaben des Mossad sind mit denen der CIA in den USA vergleichbar: verdeckte Operationen und Auslandsaufklärung. Geheimdienstlich gesehen fällt Gaza in den Zuständigkeitsbereich des militärischen Geheimdienstes. Dazu gehören vor allem AMAN und die Geheimdiensteinheiten, die dem Militärkommando Süd-Israels (DAROM) unterstehen sowie die der Gaza Division, einer Formation, die für die Überwachung der Lage in Gaza verantwortlich ist.
Zu diesem Dispositiv gehören auch die elektronischen Aufklärungselemente (SIGINT) des Stützpunkts Urim, der 17 km von der Grenze zu Gaza entfernt liegt. Es handelt sich um eine der grössten Stationen für elektronische Aufklärung der Welt. Sie wird von der AMAN-Einheit 8200 betrieben. Sie setzt unter anderem Spionageballons ein, um Gaza zu überwachen. Diese Ballons haben nichts mit den chinesischen Wetterballons zu tun, die die NZZ auf recht kindische Weise mit Spionageballons verwechselte.¹
Mit einem solchen Aufklärungsapparat scheint es unglaublich, dass die Israelis die Operation vom 7. Oktober nicht vorhersehen konnten.
Wahrscheinlich muss man diese Operation in ihrem Kontext betrachten. Unsere Medien berichten nie über die Spannungen, die in Palästina herrschen. Seit Anfang des Jahres gab es jedoch sehr viele und heftige Spannungen in Palästina. Das Welternährungsprogramm der Uno sowie Katar haben ihre Finanzierung für den Gazastreifen gekürzt, was zu sozialen Spannungen geführt hat. Im Westjordanland haben sich die Siedlungen auf sehr gewalttätige Weise vermehrt, und obwohl sie illegal sind, hat die internationale Gemeinschaft absolut nichts dagegen unternommen. In Jerusalem fördert der geplante Bau des dritten Tempels Salomons die Unruhen von ultraorthodoxen und ultrarechten Aktivisten auf der Moscheen-Esplanade. Ägypten und der israelische Geheimdienst wussten, dass die Situation explosiv war.
All das reicht nicht aus, um eine Operation wie die Al-Aqsa-Flut zu antizipieren. Es kann zwar Notmassnahmen auf Führungsebene bewirken, aber es ermöglicht keine operationellen Massnahmen. Ausserdem ist es möglich, dass bei den vielen Brennpunkten überall die Signale, die auf eine solche Operation hindeuteten, in der Gesamtheit der Informationen, die die Dienste erreichten, «untergingen».
Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass die Warnungen absichtlich ignoriert wurden, um eine Krise entstehen zu lassen, die es Netanjahu ermöglicht, die Situation nach monatelangen Protesten der Bevölkerung gegen seine Justizreform wieder unter Kontrolle zu bringen. Dies ist eine Möglichkeit, die jedoch zum jetzigen Zeitpunkt spekulativ bleibt.
Warum gelang es Israel nicht, die Raketen der Hamas mit dem Iron Dome abzufangen?
Was im Oktober geschah, war, dass die Palästinenser mehr Raketen abfeuerten, als Israel abschiessen konnte. Technisch ausgedrückt: Sie haben das israelische System gesättigt. Es kam also zu Abfangaktionen, aber ein Grossteil der palästinensischen Raketen konnte ungehindert passieren.
Die palästinensischen Raketen haben relativ bescheidene Sprengladungen, und die Zahlen zeigen, dass ihre Letalität sehr gering ist. Tatsächlich werden sie eher eingesetzt sie sie ein, um den Widerstandswillen zu demonstrieren.
Kann Israel einen Selbstverteidigungskrieg gegen ein von ihm besetztes Gebiet führen?
Zunächst einmal muss daran erinnert werden, dass Israel offiziell eine Besatzungsmacht ist und seine Präsenz in den palästinensischen Gebieten gemäss der Resolution 242 (1967) des Uno-Sicherheitsrats illegal ist. Folglich ist der Widerstand gegen diese Besatzung legal. Die Resolution 45/130 (1990) der Generalversammlung gibt den Palästinensern das Recht auf Widerstand «mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, einschliesslich dem bewaffneten Kampf».²
Genau aus diesem Grund erkannte Russland vor seiner Intervention in der Ukraine am 21. Februar die Unabhängigkeit der Donbas-Republiken an. Dies ermöglichte es diesen beiden Republiken, Russland um Hilfe zu bitten, um einen Verteidigungskrieg gemäss Artikel 51 der Charta gegen die beginnende ukrainische Offensive zu führen. Ich hatte diesen Mechanismus in meinen Büchern über den Ukraine-Konflikt und in Ihrer Zeitung beschrieben.
Würde – ironischerweise – Israel die Existenz eines palästinensischen Staates anerkennen, könnte es einen Verteidigungskrieg gegen ihn führen. Israels international anerkannter Status ist jedoch der einer Besatzungsmacht, und als solche ist es seine Verantwortung, die palästinensische Bevölkerung zu schützen, nicht sie zu zerstören.
Ist das Timing des Überfalls auf eine gewollte Störung der vorsichtigen Annäherung zwischen Israel und den arabischen Staaten zurückzuführen?
Nein, das glaube ich nicht. Es ist vielmehr die Konsequenz einer Situation, die Israel auf seinem eigenen Territorium nicht mehr unter Kontrolle hat.
Man spricht von 10 000 toten Zivilisten in Gaza, davon ungefähr die Hälfte Kinder. Ist die Zahl realistisch?
Die Zahlen stammen vom Gesundheitsministerium in Gaza. Sie sind daher nicht mehr oder weniger zuverlässig als die von Israel angegebenen Zahlen. Im Gegensatz zu Israel, das noch nicht alle Namen seiner Opfer deklassifiziert hat, haben die palästinensischen Opfer jedoch einen Namen und eine feststehende Identität. Dies lässt vermuten, dass die palästinensischen Zahlen glaubwürdig sind.
Es ist bemerkenswert, dass Israel in einem Monat³ mehr Zivilisten getötet hat als die Russen und Ukrainer zusammen in mehr als 20 Monaten (nach der letzten Zählung der Uno)⁴.
Dies zeigt die Brutalität der israelischen Reaktion. Ich erinnere daran, dass nach dem humanitären Völkerrecht der Einsatz von Waffen im Kampf drei Prinzipien unterliegen muss:
- Die Differenzierung zwischen Zivilisten und Militärs (man muss das militärische Ziel wählen können, sonst schiesst man nicht);
- Verhältnismässigkeit (man muss eine verhältnismässige Reaktion auf den Angriff anwenden. Zum Beispiel ist die Eliminierung eines Hamas-Führers mit einer Fliegerbombe oder einer Rakete nicht verhältnismässig); a fortiori, der von einem israelischen Minister vorgeschlagene Einsatz der Atombombe gegen den Gazastreifen verstösst gegen dieses Prinzip.⁵
- Das Vorsichtsprinzip (wenn man Gefahr läuft, Unschuldige zu töten, schiesst man nicht).
Israel wendet diese Grundsätze nicht an. So forderte die Eliminierung von Salah Shahada am 23. Juli 2002 mit einer 1000 kg schweren Bombe, die von einem F-16-Flugzeug abgeworfen wurde, 14 Tote (darunter mehrere Kinder) und 150 Verletzte, während die Eliminierung von Scheich Ahmed Yassin am 22. März 2004 durch eine Salve von Hellfire-Raketen den Tod von einem Dutzend unschuldiger Zivilisten zur Folge hatte. Kein westliches Land protestierte gegen diese Unverhältnismässigkeit, von der man wusste, dass sie zu erheblichen Kollateralschäden führen würde.
Beachten Sie, dass es keinerlei internationale Proteste gab. Im Juli 2014 hatte Präsident François Hollande Benjamin Netanjahu sogar ermutigt, «alle Massnahmen zu ergreifen, um seine Bevölkerung zu schützen», als die Operation Protective Edge begann, bei der mehr als 2200 Palästinenser getötet wurden, darunter mehr als 500 Kinder.⁶ Wir werden von fanatischen Dummköpfen regiert, denn die israelische Regierung hat zwar das Recht – und die Pflicht –, ihre Bevölkerung zu schützen, aber die Methoden und Massnahmen dazu sind nicht unbegrenzt und müssen dem humanitären Völkerrecht oder Kriegsrecht entsprechen.
Für die laufende Operation in Gaza haben die Israelis, wie die britische Zeitung The Telegraph berichtete, erklärt, dass sie nicht Präzisions-, sondern Vernichtungsfeuer durchführen.⁷ Die Situation ist also eindeutig: In einem Kampf in einem dicht besiedelten Gebiet verstösst das israelische Vorgehen gegen das Kriegsrecht.
Die Israelis haben die Palästinenser immer als ein minderwertiges Volk betrachtet. Wie der israelische Verteidigungsminister es ausdrückt, sind sie «menschliche Tiere»!⁸
Im Jahr 2014 gingen die Einwohner von Sderot übrigens hin, um den israelischen Beschuss des Gazastreifens zu beobachten, und sie applaudierten den Schlägen.9 Diejenigen, die sich über das Unglück anderer freuen, verdienen keine Beachtung.
Ist eine Zwei-Staaten-Lösung von Israel noch gewollt?
Israel hat nie eine Zwei-Staaten-Lösung gewünscht. Aus diesem Grund hält es sich nicht an die Resolutionen der Uno, insbesondere nicht an die Resolution 181 vom November 1947, die die Gründung eines jüdischen und eines arabischen Staates vorsah. Sie werden feststellen, dass Israel und seine westlichen Verbündeten in den letzten 75 Jahren alles getan haben, damit diese Resolution nicht umgesetzt wird. Tatsächlich wurde sie nicht einmal an einem einzigen Tag umgesetzt. Am Tag vor der Abstimmung in der Generalversammlung der Uno hatte die CIA dem amerikanischen Präsidenten Truman einen geheimen Bericht übergeben. Darin hiess es:
«Auf lange Sicht wird kein Zionist in Palästina mit den territorialen Vereinbarungen des Teilungsplans zufrieden sein. Selbst die konservativsten Zionisten werden den gesamten Negev, den westlichen Teil Galiläas, die Stadt Jerusalem und schliesslich ganz Palästina erhalten wollen. Die Extremisten werden nicht nur ganz Palästina fordern, sondern auch Transjordanien haben wollen […].
In dem Chaos, das auf die Umsetzung der Teilung folgt, werden mit Sicherheit Gräueltaten von fanatischen Arabern begangen werden; diese Aktionen werden eine breite Öffentlichkeit erhalten und von der jüdischen Propaganda sogar übertrieben werden. Die Araber werden ungeachtet der tatsächlichen Umstände als Angreifer beschuldigt.»10
Zwanzig Jahre später, im November 1967, erklärte General de Gaulle in einer Pressekonferenz:
«Israel griff an und eroberte in einem sechstägigen Kampf die Ziele, die es erreichen wollte. Nun organisiert es in den eroberten Gebieten die Besetzung, die nicht ohne Unterdrückung, Repression und Vertreibung auskommt, und wenn es Widerstand dagegen gibt, bezeichnet es diesen als Terrorismus.»11
Wir hatten in den 1960er Jahren eine objektivere Wahrnehmung der Situation als heute. Aber wir stellen auch fest, dass es damals viel weniger antisemitische Handlungen gab. Das zeigt, was ich bereits vor zwanzig Jahren in meinem Buch über asymmetrische Kriegsführung erklärt hatte: Antisemitismus wird weniger durch Israels Handlungen ausgelöst als durch die Tatsache, dass es diese ungestraft durchführt. Wenn wir den Antisemitismus eindämmen wollen, müssen wir Israel wie ein anderes Land behandeln und dürfen ihm nicht das Recht zugestehen, das Völkerrecht zu missachten.12
Wo sehen Sie eine Lösung des Konflikts?
Ich glaube, dass es keine militärische Lösung für diesen Konflikt geben wird, da der «globale Süden» heute das Diktat der westlichen Länder nicht mehr akzeptiert. Ausserdem zeigt die Straflosigkeit Israels für seine Missachtung des internationalen Rechts katastrophale Folgen und dass eine Lösung gefunden werden muss. Darüber hinaus erinnere ich daran, dass das Projekt des dritten Tempels Salomons, das die Zerstörung der dritten heiligen Stätte des Islam auf dem Haram al-Scharif bedeuten würde, einen echten Krieg auslösen könnte, der die gesamte muslimische Welt mobilisieren würde und bei dem es nicht sicher ist, ob Israel intakt bleiben würde.
Wir müssen uns daher einer politischen Lösung zuwenden, die auf der Einhaltung der Uno-Resolutionen seit 1967 beruht. Dies wurde am 11. November 2023 von den in Riad versammelten arabischen Ländern vorgeschlagen. Die Vermittlung und die Lösungen sollten nicht mehr in den Händen der Amerikaner liegen, sondern in denen der internationalen Gemeinschaft und der Uno. Aber man muss realistisch bleiben. Von da an beginnen die Schwierigkeiten, denn das würde Israel dazu zwingen, insbesondere den Rückzug der Siedlungen in den besetzten Gebieten und alle seine Verstösse gegen das Völkerrecht rückgängig zu machen …
Kurzfristig sollen sich Agenten des israelischen Mossad und der Hamas in Kairo getroffen haben, um die Modalitäten für einen Waffenstillstand zu besprechen. Es ist schwer zu bestätigen, aber nicht sehr überraschend, denn in diesem Konflikt haben die Geheimdienste im Gegensatz zu dem, was unsere Medien berichten, ziemlich viel dazu beigetragen, Friedensversuche zu diskutieren, die dann von den Politikern abgelehnt wurden …
Meine Befürchtung ist, dass angesichts der erhitzten Stimmung, die Wahrscheinlichkeit, dass Israel zerstört wird, grösser ist als die Wahrscheinlichkeit, dass es in den besetzten Gebieten einen Rückzieher macht …
Herr Baud, vielen Dank für das Gespräch.
Interview Thomas Kaiser
¹ www.nzz.ch/international/pentagon-entdeckt-einen-spionage-ballon-ueber-den-usa-und-verdaechtigt-chinan-ueber-den-usa-und-verdaechtigt-china-ld.1724403?reduced=true ² www.un.org/unispal/document/auto-insert-184801/ ³ www.ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-reported-impact-day-35 ⁴ ukraine.un.org/en/248799-ukraine-civilian-casualties-8-october-2023 ⁵ www.timesofisrael.com/liveblog_entry/far-right-minister-nuking-gaza-is-an-option-population-should-go-to-ireland-or-deserts/ ⁶ www.btselem.org/press_releases/20160720_fatalities_in_gaza_conflict_2014 ⁷ www.telegraph.co.uk/world-news/2023/10/11/israel-abandon-precision-bombing-eliminate-hamas-officials/ ⁸ www.timesofisrael.com/liveblog_entry/defense-minister-announces-complete-siege-of-gaza-no-power-food-or-fuel/ ⁹ www.theguardian.com/world/2014/jul/20/israelis-cheer-gaza-bombing 10www.cia.gov/readingroom/document/0000256628 11fresques.ina.fr/de-gaulle/fiche-media/Gaulle00139/conference-de-presse-du-27-novembre-1967.html 12 Jacques Baud: La guerre asymétrique ou la défaite du vainqueur. Editions du Rocher, Monaco 2003
veröffentlicht 16. November 2023
*Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit am Hochschulinstitut für internationale Beziehungen in Genf absolviert und war Oberst der Schweizer Armee. Er arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war Berater für die Sicherheit der Flüchtlingslager in Ost-Zaire während des Ruanda-Krieges, arbeitete unter anderem für die Nato in der Ukraine und ist Autor mehrerer Bücher über Nachrichtendienste, asymmetrische Kriegsführung, Terrorismus und Desinformation.
«Ich stimme nicht mit dem überein, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod dafür kämpfen, dass Sie das Recht haben, es zu sagen» Gedanken zum Buch «Putin – Herr des Geschehens»1
von Thomas Kaiser
Medien beeinflussen uns weitgehend und lenken unsere Aufmerksamkeit auf dieses oder jenes Ereignis. Wir werden dort hingeführt, wo gerade etwas «Aussergewöhnliches» geschieht. Medien kanalisieren die Informationen und bestimmen damit in vielen Fällen, was wir zu denken haben. Um so wichtiger ist es, dass eine Vielfalt an Meinungen zur Verfügung steht, die eine breite Auseinandersetzung ermöglichen. Da diese Vielfalt seit Jahrzehnten durch die Bildung von grossen Medienkonzernen praktisch verschwunden ist, sind Bücher wie das von Jacques Baud mit dem Titel «Putin – Herr des Geschehens», das hier näher beleuchtet werden soll, eine lesenswerte Ausnahme. Der Autor, ein ehemaliger Oberst der Schweizer Armee und längjähriger Mitarbeiter des militärischen Nachrichtendienstes der Schweiz, der in verschiedenen interationalen Organisation wie Uno oder Nato als Spezialist gearbeitet hat, gehört zu der kleinen Spezies von unabhängigen Experten, die diese heute völlig erodierte Auszeichnung verdienen.
Das Buch lehnt sich an die französischsprachige Fassung an, die im März 2022 veröffentlicht wurde. Damals hatte der Krieg gerade begonnen und konnte so nicht mehr Gegenstand der Analyse sein. Vieles, was danach geschah, hat Jacques Baud in der deutschsprachigen Version aktualisiert und den Ukrainekrieg miteinbezogen.
Er emotionalisiert nicht, wie wir es sowohl im Ukraine-Krieg als auch aktuell im Gaza-Krieg erleben.
Faktentreue
Die Motivation Jacques Bauds, dieses Buch zu schreiben, erklärt er im Vorwort: «Am 17. Oktober 2021 vermittelte uns eine Spezialausgabe der Sendung [«C dans l'air» auf dem Kanal France 5] unter dem Titel ‹Putin, Herr des Geschehens›, moderiert von Caroline Roux, einen Eindruck der Politik, die vom ‹Herrn des Kremls›, Wladimir Putin, betrieben wird. Ursprünglich war dieses Buch als Antwort auf diese Sendung gedacht. Die Experten, die dort zu Wort kamen, waren so ignorant, so völlig empathielos und so arrogant, dass sie eine Denkweise symbolisierten, die 1945 ausgestorben zu sein schien. Seitdem haben sich die Spannungen zwischen Russland, der Ukraine und dem Westen verschärft und zu einem bewaffneten Konflikt geführt. Das Ziel dieses Buches ist es nicht, zu einer bestimmten Politik oder einem bestimmten Land Stellung zu beziehen, sondern zu zeigen, dass wir unsere Politik nicht auf Vorurteilen, sondern auf Fakten gründen sollten.» (S. 13)
Seit dem 24. Februar 2022 hat der Krieg in der Ukraine die mediale Berichterstattung dominiert. Auch wenn der Krieg noch nicht zu Ende ist, legen die Medien den Fokus seit dem 7. Oktober auf die Ereignisse im Nahen Osten. Wie im Ukraine-Krieg sind die Meinungen darüber, was am 7. Oktober geschehen sei, schnell gemacht. Vernünftige Stimmen werden ins Abseits gedrängt oder als «Hamas-Versteher» diffamiert. Eine international unabhängige Kommission unter der Führung der Uno müsste die Vorfälle untersuchen, die Israel als Berechtigung nimmt, bei seiner Vergeltung ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen Tausende in den sicheren Tod zu bomben. Bis die unabhängige Untersuchung abgeschlossen ist, bräuchte es Stimmen der Mässigung und der Vernunft. Aber anstatt konsequent zur Zurückhaltung und Vorsicht zu mahnen und zur Beendigung des Krieges aufzurufen, heizen manche Medien den Konflikt analog zum Ukraine-Krieg ständig an. Sprechen von Selbstverteidigungsrecht Israels und legitimieren damit alles. Diese Haltung ist nicht neu. Wir finden immer dasselbe Strickmuster.
Ignorieren der Vorgeschichte
Was in der Analyse und Berichterstattung, sowohl im neuesten Krieg zwischen der Hamas und Israel als auch im Ukraine-Krieg nahezu identisch ist: Die Vorgeschichte wird weitestgehend ausgeblendet. Aber ohne deren Kenntnis ist kein Konflikt zu verstehen, ganz unabhängig davon, ob Terrorakte gegen die Zivilbevölkerung verübt oder ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg geführt wurden. Das heisst nicht, dass man das jeweilige Vorgehen unterstützt oder legitimiert, sondern es geht darum, die Hintergründe zu verstehen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Der Krieg in der Ukraine war kein spontaner Einfall Putins am Morgen des 24. Februar, sondern dazu gibt es eine Vorgeschichte, die man bei der Beurteilung und insbesondere bei Friedensverhandlungen nicht ausser Acht lassen darf, und die von entscheidender Bedeutung ist. Jacques Baud macht darauf aufmerksam, indem er folgerichtig die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen darlegt. Es hat sich eingebürgert, diejenigen, die auf den historischen Zusammenhang aufmerksam machen, als «Putinversteher» oder «Trolle Putins» zu entwerten. Geschichtliches Denken wird damit diffamiert.
Wertfreies Forschen gefragt
Unsere Medien beurteilen in der Regel Krisen aus dem Hier und Jetzt, um ihre vorgefasste Meinung bestätigt zu finden. Man beschäftigt sich nur mit dem aktuellen Geschehen und beurteilt die Dinge aus dieser Warte, aber nicht unter der Berücksichtigung der historischen Ursachen.
Hier ist es umso wichtiger, dass sich unabhängige seriöse Analysten und Historiker zu Wort melden und diese Arbeit leisten. Die von den grossen Medien häufig als «Experten» bezeichneten Pesonen heulen in der Regel mit den Wölfen und unterstützen die «political correctness». Die wird man im Buch von Jacques Baud nicht finden. Seine Sprachkenntnisse bis hin zum Russischen erlauben es ihm, ein breites Spektrum an Quellen zu konsultieren, deren wertfreie Zusammenstellung in den meisten Fällen ein völlig konträres Bild zu dem der offiziellen Medien zeichnen, die, wie Baud es formuliert, häufig bewusst lögen, Dinge wegliessen oder Halbwahrheiten erzählten. In seinem Buch benennt er unzählige solcher «Vergehen». Regierungen und Medien verbreiten Unwahrheiten, um eine Stimmung in ihrem Sinne zu erzeugen: «Als Chef der Nato-Einheit, die damals für den Kampf gegen die Weiterverbreitung von leichten Waffen zuständig ist, überwache ich das Auftauchen von neuen Waffen bei den Aufständischen, um festzustellen, ob Russland sie mit Waffen versorgt. Und in der Tat haben die Aufständischen gewisse Waffen, die nie zur Ausstattung der ukrainischen Armee gehörten. Das genügt bereits, um den Vorwurf einer russischen Intervention zu schüren… Wäre da nicht die Tatsache, dass die fraglichen Waffen sehr wohl zur Ausstattung des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes (SBU) gehören, dessen Agenten zu den Aufständischen übergelaufen sind.» (S. 142) Diese Behauptung bis hin zu den «grünen Männchen» geistert immer wieder durch unsere Medien – Behauptungen, die fern der Realität sind, sich aber in den unseren Köpfen festsetzen.
ISBN 9783864894268
Rückfall in den Absolutismus
Das Buch bietet unglaublich viele Facetten, die zu folgender Erkenntnis führen: Seit bald zwei Jahrzehnten fahren unsere westlichen Medien einen Kurs, der zur Dämonisierung Putins führen soll. Die emotionale Reaktion der Medien, der Politik und der Bevölkerung auf diesen Krieg ist der traurige Höhepunkt dieser Kampagne.
Im Vorwort seines Buches wird auf eine Geisteshaltung verwiesen, die Journalisten oder Wissenschaftler als aufgeklärte Menschen des 21. Jahrunderts verinnerlicht haben sollten: «Ich stimme nicht mit dem überein, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod dafür kämpfen, dass Sie das Recht haben, es zu sagen.» (S. 9)
Der Satz wurde von Voltaire, einem der aufgeklärten Philosophen des 18. Jahrhunderts, formuliert, wohl gemerkt vor der Französischen Revolution, also während der Zeit des Absolutismus. Wenn man sieht, wie heute Diskussionen im öffentlichen Raum, in Talkshows oder in Nachrichtensendungen ablaufen, müssen wir konstatieren: Wir sind in die Zeit vor der Aufklärung zurückgefallen: Es darf nur noch eine Meinung vertreten werden. Louis XIV hat es im 17. Jahrhunderts so ausgedrückt: «L'Etat, c'est moi!». Was so viel heisst wie: Ich bestimme alles, auch die öffentliche Meinung.
Verlust an Realität
Bei vielen Themen, die öffentlich diskutiert werden, erleben wir genau diese autoritäre Einstellung. Es ist klar, wie und was man zu denken hat und was die «Experten» dazu zu sagen haben; wissenschaftliche Auseinandersetzungen werden nur noch rudimentär geführt. Widerspruch wird nicht geduldet, unliebsame Kritiker als Querulanten, Verschwörungstheoretiker usw. abgetan. «Wir verbieten unbequeme Medien, und Menschen, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine eine andere Meinung haben, werden automatisch als ‹Putin-Agenten› verurteilt.» (S. 9ff) Jacques Baud hat die Courage, sich in den Wind zu stellen, der einem heftig entgegenbläst. Kaum hatte der Einmarsch in die Ukraine begonnen, wurden uns die Erklärungen serviert: Putin will «die alte Sowjetunion wieder herstellen». Nach der Ukraine «folgen das Baltikum, Polen etc.» Für andere steht er in der Tradition Katharinas der Grossen und möchte «das Zarenreich zu neuer Blüte» führen. Sein Militär, angeblich zu schwach, um die Ukraine zu besiegen, marschiert aber bis Mitteleuropa und erobert am Schluss noch unser Land. «Auf France 5 behauptet Jean-Dominique Giuliani, Präsident der Robert-Schumann-Stiftung: ‹Russland möchte einen Einflussbereich in den baltischen Ländern und Polen besitzen.› Das ist falsch. Russland hat niemals, weder offen noch heimlich, einen solchen ‹Einflussbereich› beansprucht. Weder das strategische Konzept der Nationalen Sicherheit 2000 noch die Strategie der Nationalen Sicherheit Russlands 2021 nennen auch nur ein einziges Mal diesen Begriff.» (S. 19) Wer es nicht glauben will, kann die Quellen konsultieren, die darüber Auskunft geben oder eben nicht. Solch unbegründeten Anschuldigungen spuken in den Köpfen der Menschen herum und führen zu einer völligen Fehleinschätzung aufgrund mangelnden Interesses an den realen Verhältnissen. Man hört es auch nicht nur auf einem Kanal, sondern bekommt es zigfach serviert. Irgendwann hat sich der Gedanke verselbstständigt. Wilde Spekulationen als Wahrheiten zu erklären, wird von Jacques Baud treffend beurteilt: «Wir leben in einer Gesellschaft, die urteilt, bevor sie weiss.» (S. 10)
Kalter Krieg lässt grüssen
In den ersten Kapiteln rollt Baud die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge des aktuellen Konflikts auf und beginnt damit in den frühen Neunzigern des 20. Jahrhunderts. Er geht systematisch-wissenschaftlich vor, indem er die Situation nach dem Kalten Krieg sowie die einseitige Einordnung durch westliche Medien und Politiker beleuchtet. Man kann irgendeine Seite im Buch aufschlagen und stösst auf Fehlinformationen grosser Medien, die die Politik und unsere Einstellungen beeinflussen (wollen). Die immer wieder angezweifelte Aussage, dass die Nato der damaligen Sowjetunion das Versprechen gegeben habe, sich nicht nach Osten auszudehen, wird nicht ausgelassen. Baud überlässt anderen das Wort und zitiert mehrere Aussagen massgeblicher Personen, die genau dieses Versprechen gaben. (S. 28ff)
Im Verlauf seiner Abhandlung räumt er mit weiteren Vorurteilen und Unwahrheiten auf: von der «Skripal-Affäre» bis zum Einsatz Russlands in Syrien, von den Ohrenschäden des US-amerikanischen Botschaftspersonals in Kuba bis zur Zwangsumleitung der Ryan-Air Maschine über Weissrussland. Kein Eisen ist ihm zu heiss, um es nicht auf seine Festigkeit zu prüfen. Und jedesmal ergibt sich ein ähnliches Bild. Es werden Behauptungen in die Welt gesetzt, kolportiert und als Realitäten in die Köpfe der Menschen gehämmert.
War während des Kalten Kriegs die Sowjetunion an allem schuld, selbst am kalten Wetter, ist Putin derjenige, der das kalte Wetter ausnützt, die Energiepreise in die Höhe treibt und die Menschen im Westen frieren lässt. Heute sind wir kaum weiter als damals bzw. in die Zeit des Kalten Kriegs zurückgefallen. Tragisch, aber die westliche Politik scheint Sündenböcke und Konflikte zu brauchen: Die Waffenlobby freut’s. Erst waren es die kommunistischen Staaten, dann die islamischen, und heute sind es die Diktaturen. Der Westen muss stets das Böse bekämpfen und sich für das Gute «aufopfern». – Die wirklichen (menschlichen) Opfer kommen nicht aus dem Oval Office.
Russen schonen ihre Soldaten
Im Kapitel «Die russische Bedrohung und die Ukraine-Krise» (S. 105ff) zeichnet Baud auch die direkte Vorgeschichte vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine nach.
Jacques Baud ist kein Hellseher und auch kein Wahrsager. Was er nahezu allen Analysten voraus hat, ist sein wissenschaftliches Vorgehen und sein konsequentes Abstützen auf Quellen – und zwar nicht geheimdienstlicher Provenienz, was einen bei seiner beruflichen Vergangenheit nicht wundern würde, sondern er greift auf öffentlich zugängliche Quellen zurück – sowie seine Fähigkeit, das Denken der Kriegsparteien zu erfassen und logische Schlüsse daraus zu ziehen. Jacques Bauds Erkenntnisse stützen sich «ausschliesslich auf westliche Quellen (…) meistens amerikanische oder französische, häufig Traditionsmedien, offizielle Quellen oder solche, die auf einem Gebiet massgebend sind.» (S. 15) Er hat schon zu Beginn des Krieges Dinge erklärt, wie zum Beispiel die Militärstratgie der Russen. Während andere den Abzug russischer Truppen aus verschiedenen ukrainischen Städten als Sieg der Ukraine feierten, erklärte er, warum die Russen diese Schritte getan hatten. Nicht aus Schwäche, sondern um die eigenen Truppen zu schonen. Doch von den grossen Medien wollte das keiner hören. Je länger die Auseinandersetzung andauert, um so mehr bestätigen sich Bauds Einschätzungen, weil er wertfrei und ohne vorgefasste Meinung an die Dinge herangeht. Selbst unsere Mainstream-Medien müssen eingestehen, was Jacques Baud schon lange vorher sagte: Die Ukraine wird am Ende keine Soldaten mehr haben. – Menschliches Leben für einen westlichen Wahn geopfert.
Russland in den Krieg treiben
Die Aufarbeitung der Zeit vor der «militärischen Sonderoperation» zeigt, wie der Westen, insbesondere die USA, ein Interesse hatte, Russland in einen Krieg gegen die Ukraine zu treiben. Die Ukraine war dabei nur das Mittel zum Zweck und keinesfalls der «Freund», dem man im Kampf gegen den «bösen Feind» beistand und alle erdenklichen militärischen Mittel zur Verfügung stellt. «Im Grunde scheint nur der Westen – mit den Amerikanern an der Spitze – ein Interesse daran zu haben, die Lage zu verschlechtern, um Deutschland dazu zu bringen, sich den Sanktionen gegen Nord-Stream 2 und Russland anzuschliessen. Die Ukrainer befürworten solche Sanktionen, wollen sich aber auf keinen Konflikt einlassen.» (S. 176) Die von Biden an der Pressekonferenz mit Kanzler Scholz angekündigte Zerstörung der Pipline in der Ostsee bedeutet den endgültigen Vollzug lang gehegter US-amerikanischer Pläne.
Jacques Baud hat am Anfang des Krieges bereits formuliert, dass Putin kein Interesse habe, die ganze Ukraine einzunehmen, sondern dass es ihm um eine Neutralisierung des ukrainischen Militärs gehe und die Ukraine als neutrales Land keiner Seite angehören solle: «Wladimir Putin hat nie – auch nicht im Jahr 2022 – versucht, die Ukraine ‹wiederzugewinnen›. Sein Bestreben war immer, dass sie frei von jedem Einfluss bleiben sollte.» (S. 154)
Durchsetzung der Minsker Abkommen
Damit verfolgte Putin, wie es nach der Lektüre des Kapitels offensichtlich wird, vor allem das Ziel, die Minsker Abkommen durchzusetzen. Da dies auf diplomatischem Wege nicht möglich war, – heute wissen wir, warum – weil die Garantiestaaten (Frankreich und Deutschland) kein Interesse dran hatten – wollte er mit militärischen Mitteln die Umsetzung erzwingen: «In gewisser Weise hat Russland beschlossen, die Minsker Vereinbarung gewaltsam umzusetzen. Die Europäer betrauerten daraufhin den Tod der Abkommen, deren Umsetzung sie acht Jahre lang verhindert hatten.» (S. 188)
Auch der ständig wiederholten Aussage, dass Putin nicht verhandeln wolle, setzt Baud die Realität entgegen: «Russland erklärt sich zu Gesprächen bereit, und eine erste Runde von Gesprächen wird in Gomel, nahe der weissrussischen Grenze, eingeleitet. Die Europäische Union ist jedoch anderer Meinung und kommt am 27. Februar mit einem Waffenpaket im Wert von 450 Millionen Euro, um die Ukraine zum Kampf anzuspornen.» (S. 183) Der Westen hatte, wie Jacques Baud es formuliert, nicht den Plan, die Ukraine zum Sieg zu führen. Ziel war es, Russland so zu schwächen, dass es in der Weltgeschichte keine Rolle mehr spielen würde.
Das aktuelle Schweigen über den Krieg in der Ukraine hängt nicht nur mit dem Krieg im Gaza-Streifen zusammen. Es ist offensichtlich, dass der Westen seine Kriegsziele trotz medialer Propaganda und militärischer Unterstützung nicht erreicht hat und auch nicht erreichen wird. Opfer bleiben die getöteten und verwundeten Menschen. Doch wen hat das je interessiert?
Zum Schluss noch etwas Spekulation oder vielleicht auch nicht: Wer der Überzeugung ist, dass unsere Medien Recht haben und man ihnen vertrauen kann, wird, wenn er das Buch liest, möglicherweise staunen, welche Betrachtungsweisen es auch noch geben kann. Wer gewisse Zweifel hegt, ob das alles so stimmt, was wir vorgesetzt bekommen, wird zum Nachdenken angeregt. Wer grosse Zweifel hegt, wird Fakten an die Hand bekommen, die ihm Gewissheit über die Richtigkeit seiner Zweifel geben. Wer sich bewusst ist, dass vieles nicht stimmt, was berichtet wird, fühlt sich durch den Inhalt des Buches bestätigt. Man kann es also nur allen zur empfehlen, auch denjenigen, die an der offiziellen Berichterstattung nicht zweifeln, aber es mit Voltaire halten wollen: «Ich stimme nicht mit dem überein, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod dafür kämpfen, dass Sie das Recht haben, es zu sagen.»
Ein ausgezeichnetes Buch, das zuoberst auf der Spiegel-Bestsellerliste steht.
¹ Jacques Baud: Putin – Herr des Geschehens? Frankfurt a.M. 2023. ISBN 9783864894268
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Zeitgeschehen-im-FokusForschen - Nachdenken - Schlüsse ziehen Nr 16/17 (II von III)
Deutschland: Die LINKE lehnt sich an die etablierten Parteien an Zehn Bundestagsabgeordnete planen eine neue, links-konservative Partei
Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko
Andrej Hunko, MdB, Die LINKE (Bild thk)
Zeitgeschehen im FokusWas ist bei der Linken in Deutschland los?
Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko Am 23. Oktober sind zehn Bundestagsabgeordnete aus der Partei DIE LINKE ausgetreten. Es gab eine öffentliche Pressekonferenz mit der Ankündigung, zusammen mit Sahra Wagenknecht eine neue Partei zu gründen. Das hat natürlich grossen Wirbel ausgelöst. Konkret haben wir einen Verein gegründet mit dem Namen: «Bündnis Sahra Wagenknecht für Vernunft und Gerechtigkeit», der die Gründung einer neuen Partei vorbereiten und unterstützen soll. Es ist geplant, um die Person von Sahra Wagenknecht herum für nächstes Jahr eine neue Partei ins Leben zu rufen, in der die Begriffe Vernunft und Gerechtigkeit vermutlich eine Rolle spielen.
Was hat den Ausschlag zu dieser Abspaltung gegeben?
Wir haben eine gemeinsame Austrittserklärung geschrieben, in der wir unsere Gründe darlegen. Es ist im Wesentlichen ein längerer Entfremdungsprozess gegenüber der Partei, den die meisten von uns schon durchlaufen haben. Als ich 2009 das erste Mal in den Bundestag gewählt wurde, hatte die Partei einen Wähleranteil von 11,9 Prozent. Damals war Oskar Lafontaine ein Spitzenkandidat, der danach leider schwer erkrankte. Als Sahra Wagenknecht 2017 eine der beiden Spitzenkandidaten war, hatten wir noch 9,2 Prozent, danach ging es eigentlich nur noch abwärts. Bei der Europawahl 2019 waren es noch etwas mehr als 5 Prozent. Es gab eigentlich eine Wahlniederlage nach der anderen. Bei der Bundestagswahl 2021 lag der Wähleranteil bei 4,9 Prozent. Eigentlich wären wir aus dem Parlament geflogen, konnten aber aufgrund dreier Direktmandate im Bundestag bleiben.
Was hat man für Schlüsse daraus gezogen?
Ich war 7 Jahre im Parteivorstand, und es gab aus der Basis heraus Druck und Forderungen, die Gründe der schlechten Wahlergebnisse zu analysieren, was jedoch immer abgeblockt wurde. Es gab keine kritische Aufarbeitung. Es hiess immer: weiter so. Die Partei hat sich aus unserer Sicht immer mehr an ein junges, urbanes, aktivistisches Milieu gewandt, was aber nicht mehr die Vertretung weiter gesellschaftlicher Kreise darstellte.
Was brachte das Fass zum Überlaufen?
Für mich war der Höhepunkt, als die Partei entschied, die grosse Friedenskundgebung für Verhandlungen im Ukraine-Krieg am 25. Februar 2023 mit Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in Berlin nicht zu unterstützen. Man hat sich in den Chor der Diffamierungen dieser seit Jahrzehnten wirkungsvollsten Anti-Kriegsaktion in Deutschland und der Petition, die bereits über 800 000 Menschen unterschrieben haben, eingereiht. Die Kundgebung und die Petition waren sensationell, aber die Partei hatte nichts Besseres zu tun, als sich in den Chor der Verunglimpfer einzureihen und darauf zu fokussieren, dass am Rande der Kundgebung AfD-Wähler dabei sein könnten und damit diese Demonstration nicht sauber sei. Sie haben die Unterstützung verweigert. Das war für mich der endgültige Bruch. Bruchlinien gibt es schon länger, aber das war der Punkt, bei dem ich dann in der Fraktion und auch dem Bundesgeschäftsführer sagte: «Ja, das war’s. Das hättet ihr nicht tun dürfen.» Es brauchte eine gewisse Zeit, aber jetzt ist es vollzogen.
Wo liegen thematisch die grossen Unterschiede zwischen den Ausgetretenen und der etablierten Partei?
In der Friedensfrage gibt es grosse Unterschiede. Wir beobachten eine Anpassung der alten Partei an die herrschenden Narrative, deren soziales oder friedlicheres Feigenblatt man sein will. Das ist im Ukraine-Krieg so, aber auch bei anderen Themen wie zum Beispiel bei Corona. Das kritische Potential ist aus meiner Sicht in dieser Partei schon lange verlorengegangen. Es gibt also sehr viele Gründe, die mich bewogen haben, diesen Schritt zu vollziehen.
Lassen Sie mich auf einen Punkt zurückkommen: Warum hat die Parteileitung die Aufarbeitung der Wahlniederlagen verweigert? Das wäre doch eine Chance für die Partei gewesen.
Das war immer Gegenstand innerparteilicher Kontroversen. Man hatte Angst, dass andere Teile der Partei vom Ergebnis der Evaluierung profitieren, und hat es deshalb abgeblockt. Das war vor allem unter den damaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger auf der einen Seite und Sahra Wagenknecht auf der anderen Seite so. Man wollte verhindern, dass Sahra Wagenknecht und ihr Nahestehende Oberwasser bekommen. Deshalb hat man die Politik weiterhin in diese Richtung laufen lassen. Das wird alles nicht richtig realisiert. Es gibt Jubelnde innerhalb der Partei, die jetzt froh sind, dass wir «Störenfriede» endlich weg sind. Ich habe den Eindruck, dass sich hier viele etwas vormachen. Man hat kein Verständnis für die Tiefe der Gesellschaft. Man lebt in einer Blase von Aktivisten mit einem sehr gesinnungsethisch geprägten Verständnis von politischen Vorgängen. Es fehlt die Weite des Blicks und die kritische Distanz zum Geschehen.
Warum hat man die Friedenskundgebung nicht unterstützt, was dann letztlich zum Bruch geführt hat? Die Friedenspolitik ist doch ein wesentlicher Bestandteil linker Politik?
Das war im deutschen Kontext lange so, vor allem, weil die historische Linke in Deutschland eine zentrale Rolle bei der Opposition gegen die beiden Weltkriege gespielt hat. Diese lange bestehende Selbstverständlichkeit hierzulande bröckelt allerdings schon länger. Die ungefähr 80 Erstunterzeichner des 25. Februars bildeten ein breites politisches Spektrum ab. Politisch reichte das von links bis konservativ, aber sicher nicht rechtsextrem. Die Parteiführung beschwerte sich daraufhin, nicht gefragt worden zu sein.
Warum nicht? Hat man der Parteiführung dadurch nicht in die Hand gespielt?
Wenn man das gemacht hätte, wäre die Initiative zerredet und letztlich verhindert worden. Die Parteiführung hätte bei vielen Personen, die das öffentlich unterstützt haben, etwas einzuwenden gehabt. Es hat allerdings bezogen auf den Ukrainekrieg nirgends eine wirkmächtigere Antikriegsdemonstration in Deutschland gegeben, wenn nicht sogar in ganz Europa, die diese Durchschlagskraft in Kombination mit der Petition im Februar 2023 hatte. Da jeder unterschreiben kann, hat neben den 800 000 auch der AfD-Vorsitzende seine Unterschrift gegeben. Das wurde dann als Vorwand genommen, um die Kundgebung zu delegitimieren. Das entspricht schon seit Jahren einer Strategie, dass die Linken vor den politischen Themen immer weiter zurückweichen. Es braucht nur ein Rechter zu kommen, der sagt: «Ich unterstütze das auch», und die Linken machen sich aus dem Staub. Das Thema ist dann vergiftet, man will die Finger davon lassen. Ob das jetzt im Ukrainekrieg war oder bei der Sprengung von Nord-Stream 2, ob das die Frage von Sanktionen oder die Kritik an den Corona-Massnahmen, an dem Regime, das dort aufgezogen wurde, ob es die Forderung nach einer Untersuchung der Corona-Zeit ist und so weiter. Es braucht nur eine Unterstützung durch die AfD kommen, dann darf die Linke das nicht mehr vorantreiben. So geht man immer weiter von den Oppositionsthemen weg. Man lehnt sich immer mehr an die sogenannte Fortschrittsregierung an, an die Etablierten, und wird dadurch immer bedeutungsloser. Am Ende ist die Partei obsolet. Hinter dem Ganzen stehen natürlich auch strategische Fragen, wie man an eine Sache herangeht. Die damit zusammenhängenden Differenzen schwelen schon seit vielen Jahren.
Damit geht doch eine wichtige Auseinandersetzung um die Sache verloren, und der andere bestimmt dann, womit ich mich beschäftigen darf.
Ja, mit dieser Strategie überlassen wir den Rechten die politische Hoheit. Das geht, bildlich gesprochen, so weit, dass die Rechten sagen: «Der Himmel ist blau.» Dann sagt die Linke: «Nein, der Himmel ist grün.» Die Menschen schauen nach oben und sagen: «Das stimmt doch gar nicht, der Himmel ist doch blau.» Das Ganze ist so abstrus, und diese Haltung wird dann noch als Antifaschismus verkauft. Das hat mit dem historischen Antifaschismus nichts mehr zu tun. Das ist jedoch für viele jüngere Linke identitär, sie meinen, es sei Antifaschismus, wenn man das Gegenteil von dem tut, was die Rechten sagen.
In der Schweiz haben wir ein ähnliches Phänomen, zum Beispiel in der Frage der Neutralität. Es gibt im linken Spektrum Befürworter der Neutralität und im rechten. Die Schweizer Volkspartei (SVP) sieht nicht zu Unrecht die Neutralität schon längere Zeit in Gefahr…
Wenn ich als deutscher Parlamentarier etwas dazu sagen darf: Bitte behaltet eure Neutralität, gebt sie auf keinen Fall auf, verteidigt sie!
Damit wird die Neutralität ein rechtes Thema, und die Linke tut sich schwer, das zu unterstützen, auch wenn wahrscheinlich viele im Kern das ähnlich sehen.
Das ist exakt das Problem. Genau das Gleiche haben wir auch in Deutschland. Mit dieser Haltung lassen sich keine Probleme mehr lösen, und man überlässt der anderen Seite die Hoheit, zu bestimmen, was politisch unternommen werden kann.
Was es in einer Demokratie immer wieder braucht, ist auch eine gewisse Kompromissfähigkeit. Man muss doch versuchen, immer ein breites Spektrum der Bevölkerung zu berücksichtigten, sonst steht man am Schluss auf verlorenem Posten.
Ja, natürlich. Deswegen habe ich gerade den Begriff der Gesinnungsethik verwendet. Max Weber unterscheidet zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Eine Handlung ist dann gesinnungsethisch gut, wenn die Handlungsabsicht meinem eigenen moralischen Kompass entspricht. Verantwortungsethisch ist eine Handlung dann gut, wenn sie in ihrer Auswirkung ethisch gut ist. Es geht doch nicht um meine eigene Befindlichkeit. Sanktionen gegen Afghanistan etwa, weil die Taliban Mädchenschulen verboten haben, sind gesinnungsethisch nachvollziehbar. Es ist ein Unrecht, dass die Mädchen nicht zur Schule gehen dürfen. Die Sanktionen führen jedoch dazu, dass 20 Millionen Menschen hungern, darunter auch Mädchen, die nicht zur Schule gehen dürfen. Insgesamt werden die Wirtschaftssanktionen dazu führen, dass sich die Hardliner politisch durchsetzen werden. Verantwortungsethisch muss ich die Sanktionen aufheben. Das kann man übertragen auf die Innenpolitik. Gesinnungsethisch lehne ich den Rassismus der AfD ab und kann nicht mit ihr zusammenarbeiten, das kann man nachvollziehen, verantwortungsethisch kommen wir in die Sackgasse, wenn wir alles ablehnen, was die AfD sagt. Am Schluss gibt es nur noch Einheitsbrei. Man hat kein Profil, keine eigenständige Position, keine Oppositionsfähigkeit. Die Linke übernimmt dann die herrschenden Narrative, wer Feind, wer Freund, wer gut, wer böse ist, und sagt dann nur noch dazu, es sollte ein bisschen friedlicher und ein bisschen sozialer sein. Das ist entschieden zu wenig für eine Oppositionspartei.
Wie wird in den deutschen Medien diese Entwicklung aufgenommen?
Es gab eine unheimlich starke Medienresonanz auf die Pläne, eine neue Partei zu gründen. Es ist seit Wochen und Monaten ein Dauerthema, durchaus kontrovers. Die These ist, dass wir in Deutschland eine Repräsentationslücke haben von Menschen, die die Politik der Ampel ablehnen. Die Regierung hat äusserst niedrige Zustimmungswerte. Die Leute haben die «Schnauze voll». Die ganze Unzufriedenheit wendet sich zur Zeit in Richtung AfD. Es braucht eine seriöse Opposition für die Themen wie soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Vernunft, Frieden und gegen einen immer stärker eingeschränkten Meinungsdiskurs. Das sind die vier Kernpunkte. Darüber wird jetzt durchaus in den deutschen Medien diskutiert.
Wie reagiert die AfD?
Ganz negativ, sie ist offensichtlich nervös. Solange das Projekt nicht öffentlich war, gab es keine negativen Töne, man versuchte, Sahra Wagenknecht zu umarmen. Jetzt, wo es bekannt ist, wird Sahra Wagenknecht von der AfD als radikale Kommunistin hingestellt. Linke wiederum sagen, wir seien jetzt Rechte geworden. Es gibt einen breiten Diskus um dieses Parteienprojekt. Das ist grundsätzlich gut. Es gibt Diffamierungen, aber ebenfalls eine positive Resonanz. Umfragen von verschiedenen Instituten sagen, dass das Wählerpotential bei 27 bis 29 Prozent liege. Das basiert auf der Frage: Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen, die neue Partei zu wählen?» Die Sonntagsfrage dagegen heisst: Wen würden Sie konkret wählen, wenn morgen gewählt würde. Hier läge der Wähleranteil bei 12 bis 14 Prozent. Das ist natürlich hervorragend, und wir würden uns glücklich preisen, wenn wir das umsetzen könnten. Bei der so gestellten Frage hat man natürlich eine Aufmerksamkeit auf die Partei, das gibt bekanntermassen eine Verzerrung. Deshalb muss man die Zahlen mit grosser Vorsicht geniessen. Es gibt das Potential, und es ist die grosse Aufgabe, vor der wir jetzt stehen, diese Stimmung in die Realität umzusetzen. Das braucht noch sehr viel Kleinarbeit.
Wie sieht der zeitliche Fahrplan aus?
Im Januar ist die Parteigründung geplant. Der erste Testfall wird die Wahl zum EU-Parlament sein. Bis dahin muss man gewisse Strukturen aufbauen. Letztlich muss es eine Partei sein, die überall vertreten ist. Eine Partei ist ein sehr grosser Organismus.
Wie erklären Sie sich den Medienhype?
Es ist für die Medien etwas Interessantes, aber auch für Politikwissenschaftler, denn in der Form hat es noch keine Parteigründung gegeben. Der Austritt aus einer Partei, die Gründung eines Vereins in Vorbereitung auf eine Parteigründung, die Spaltung der Fraktion. Das sind so viele Vorgänge, die in der deutschen Geschichte präzedenzlos sind.
Die Parteien, die die Bedürfnisse breiter Bevölkerungskreise nicht mehr abbilden, werden über einen komplizierten Mechanismus handzahm gemacht. Dadurch entsteht auch in anderen europäischen Ländern ein Raum, in dem man mit glaubwürdigen populären Personen hineinstossen kann. Das liess sich bei Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Grossbritannien, bei Jean-Luc Mélenchon in Frankreich erkennen, der für ein von links kommendes neues Projekt relativ erfolgreich kandidiert hat. Wir sehen gegenwärtig in den Niederlanden etwas Ähnliches, wo, aus dem christdemokratischen Spektrum herauskommend, Pieter Omtzigt um seine Person ein neues Parteiprojekt mit Namen «Nieuw Sociaal Contract», also neuer Gesellschaftsvertrag, im August gegründet hat und jetzt aus dem Nichts heraus die Umfragen vor den Wahlen im November anführt. Das ist ein Phänomen, was mit der Repräsentationskrise der alten Parteien zu tun hat, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse so nicht mehr abbilden. Das verstehen klügere Journalisten und Politikwissenschaftler. Für die ist das spannend.
Wieso haben wir eigentlich diese grosse Repräsentationskrise? Hängt das damit zusammen, dass unsere Parteien sich immer mehr an die USA anlehnen ober schweben die Politiker in einem Raumschiff hoch über der Gesellschaft und haben den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern verloren?
Die Politiker werden nach meiner Beobachtung mehr von den grossen Medien gesteuert, als von den Bürgerinnen und Bürgern. Bei den Medien ist der starke transatlantische Einfluss klar nachweisbar. Das «Raumschiff» ist also eher die Medienblase, von der dann wiederum die Abgeordneten abhängen. Hinzu kommt, dass auch die politischen Begrifflichkeiten so oft missbraucht wurden, dass sie gar nicht mehr das abbilden, was sie eigentlich abbilden sollten: Begriffe wie links, rechts, Solidarität und so weiter. Erinnern wir uns der Corona-Zeit. Wer hier die leiseste Kritik geäussert hatte, galt als unsolidarisch oder Ähnliches. Das wiederholt sich im Ukraine-Krieg: Waffenlieferungen werden zum Akt der Humanität. Einen Krieg verlängern, der zu mehr Toten und zu einer schlechteren Verhandlungsposition der ukrainischen Seite führt, wird als Akt der Solidarität verkauft. Alle politischen Begriffe sind inhaltlich entwertet worden, so wie die Parteien, die mit entleerten Begriffen arbeiten. Viele der hierfür zugrunde liegenden Kampagnen sind in der Tat der US-amerikanischen Politik entlehnt.
Das ist doch nichts anderes als orwell’scher Neusprech …
Ja, Krieg ist Frieden und Frieden ist Krieg. Unwissenheit ist Stärke, links ist rechts. Das ist die orwell’sche Entwicklung der politischen Begriffe. Das ist ein wichtiger Aspekt in dieser Repräsentationskrise. Das können glaubwürdige Personen ein Stück weit aufbrechen. Sie stehen als Person für etwas. Bei Sahra Wagenknecht ist es so, dass sie sich solchen Narrativen nicht beugt, die einer Gesellschaft aufgezwungen werden. Und zum anderen ist sie sehr klug und in der Lage, einen Shitstorm, der über sie ergeht, lächelnd zu kontern. Es gibt nicht so viele Menschen, die das können. Pieter Omzigt erlebt Ähnliches, und es ist wichtig, eine Sprache zu entwickeln, die mit anderen Worten beschreibt, was einmal ihr Inhalt war. Nicht mit der gleichen Terminologie, aber mit der gleichen Substanz in einer anderen Sprache. Das ist auch ein Ansatz, den Sahra Wagenknecht verfolgt. Daher der Begriff linkskonservativ, den sie auch verwendet. Ich denke, die Zeit ist reif für ein Projekt, wie es hier geplant ist. Es geht darum, mit einer glaubwürdigen Politik, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.
Die etablierte Politik bewegt sich in der Regel in einem links-rechts Schema. Wenn sich die neue Partei als linkskonservativ bezeichnet, dann wird doch das Schema aufgebrochen. Wäre das nicht die Zukunft einer konstruktiven Politik?
Die Begriffe links und rechts sind im Grunde genommen ihres Gehalts entwertet worden. Historisch kommen diese Begriffe aus der Französischen Revolution und der Sitzordnung im französischen Parlament. Rechts sassen der Adel und der Klerus, denen es um die Bewahrung ihrer Privilegien ging. Links sass das aufstrebende Bürgertum, später die Arbeiter. Die rechten haben jeweils ihren Standpunkt vertreten wie ererbte Privilegien, ihr Vermögen, ihren Reichtum und so weiter. Bei den Linken musste alles der Vernunft unterworfen werden. Später nahm die Arbeiterbewegung das auf. Für mich sind zwei Standbeine für eine im klassischen Sinne linke Partei entscheidend: die soziale Frage bzw. soziale Gerechtigkeit und die Friedensfrage. Dann gibt es viele andere Themen, die auf diesen beiden Beinen ruhen und aktuell sehr wichtig sind. Diese Vorstellung von den zwei Standbeinen wurden in meiner ehemaligen Partei in einem Mosaikpluralismus aufgelöst. Historisch ist gerade die Linke in Deutschland einerseits stark aus der Arbeiterbewegung kommend, der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, entstanden sowie aus er Ablehnung von Krieg. Das spielt in Deutschland eine besondere Rolle. Damals, im Ersten Weltkrieg, stand die Frage der Kriegskredite im Raum. Die Rolle von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als die entschiedenen Stimmen gegen den Ersten Weltkrieg. Deshalb ist in Deutschland für eine linke Partei die soziale Frage und die Friedensfrage immer elementar gewesen. Dass man heute hingeht und Friedensdemonstrationen als rechts diffamiert, ist historisch völlig verdreht. Der Hitlerismus ist ja entstanden aus dem Ersten Weltkrieg heraus durch Offiziere, die nach dem verlorenen Krieg vom «Dolchstoss» geredet haben. Das ist das Milieu, in dem der Hitlerfaschismus entstanden ist. Heute wird alles komplett auf den Kopf gestellt. Man ist ein Faschist, wenn man für den Frieden ist. Die Begriffe sind ihrer Substanz entleert oder ins Gegenteil verkehrt worden. Ein Stück weit ist das unvermeidlich, weil Herrschaftssysteme die Begriffe nutzen und in ihrem Sinne umdrehen. Die Begriffe des Sozialismus und Kommunismus sind von Stalin und anderen Leuten missbraucht worden, das Christentum von der Inquisition. Das ist ein fundamentales Problem, das man nicht einfach gelöst bekommt. Darüber muss man einen offenen Dialog führen: Was ist für die jetzige Zeit die richtige Wortwahl, um die Substanz zum Ausdruck zu bringen, die man ausdrücken möchte? Wenn man diese den Menschen vor Augen führt, kann das freie Denken neu beginnen.
Herr Bundestagsabgeordneter Hunko, vielen Dank für das Gespräch.
«Komm‘ mal bitte in mein Büro» Zensur von aussen und von innen – über den schwierigen Alltag des Journalisten
von Dr. phil. Helmut Scheben*
Als kleiner Bub lernte ich den Ausdruck «Ein Mann, ein Wort». Ein moralischer Imperativ, der gleichbedeutend ist mit dem 8. Gebot der Bibel: Du sollst kein falsches Zeugnis geben. Wenn es eine Branche gibt, wo dieses «ein Mann – ein Wort, eine Frau – ein Wort» wenig Geltung hat, dann sind es die Informations-Medien. Der News-Journalismus funktioniert nach dem Prinzip: Ein anderer hat etwas gesagt. Nicht ICH, der Journalist, habe es gesagt, sondern ein ANDERER hat es gesagt.
Als in einem Vorort von Damaskus im August 2013 Giftgas eingesetzt wurde, schrieben die Journalisten, Aussenminister John Kerry habe gesagt: «Wir wissen, dass es Assad war.»
Kerry hat dasselbe bei etwa dreissig Gelegenheiten gesagt. Die grossen Presseagenturen haben jeweils in Sekundenschnelle rund um die Welt gejagt, was Kerry gesagt hatte. Von diesem Moment an wurde der syrische Präsident in den Kommentarspalten unserer Zeitungen zuverlässig als «Giftgasmörder» bezeichnet.
Ob Erzählungen wirksam werden oder nicht, ist eine Frage von Macht und Schnelligkeit. Wer die Macht hat, sich bei den Medien Gehör zu verschaffen, wird sein Narrativ durchsetzen, und dieses Narrativ wird in der öffentlichen Meinung flugs zur Wahrheit gerinnen. Wer keine Macht hat, ist Prediger in der Wüste.
Ein solcher ist Ray MacGovern, lange Zeit einer der herausragenden Analysten der amerikanischen CIA. Ray sagte mir 2016 in Berlin: «Die Regierung in Washington hat über den Krieg in Syrien genauso gelogen wie über den Krieg im Irak.» Er bezog sich auf seine Kontakte in den Geheimdiensten und namhafte amerikanische Waffenexperten, die zu dem Schluss kamen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit die sogenannten «Rebellen» waren, die mit dem Giftgas-Anschlag einen Kriegseintritt der USA erreichen wollten.
James Harff, ehemaliger Chef der Werbeagentur Ruder Finn, gestand in Bezug auf die Propaganda-Erzählungen, die seine Agentur im Balkankrieg verbreitete: «Die Schnelligkeit ist entscheidend. Denn wir wissen genau, dass die erste Nachricht von Bedeutung ist. Ein Dementi hat keine Wirkung mehr.»
Am 29. Oktober publizierte die NZZ am Sonntag einen Artikel mit dem Titel «Kinderfänger Putin». Dort wurden die Berichte über Kinderdeportationen wiederholt, die von Menschenrechts-Aktivisten der Regierung in Kiew seit Monaten verbreitet werden.
Demzufolge entführt die russische Armee hunderttausende Kinder, unterzieht sie einer Gehirnwäsche und schickt sie dann als Soldaten an die Front. Im Bericht der NZZ wird suggeriert, der Uno-Sicherheitsrat habe diese Anschuldigungen als Fakten bestätigt. Das erweist sich bei genauerem Hinsehen als Manipulation.¹ Im Sitzungsbericht der Uno wird explizit darauf hingewiesen, dass der Sicherheitsrat keine Möglichkeit hatte, die Vorwürfe zu überprüfen.
Der NZZ-Bericht ist ein Beispiel für das perfekte Funktionieren von Manipulation nach der Methode «Ein anderer hat es gesagt»: Die Uno hat es gesagt. Nein. Sie hat es nicht gesagt. Aber niemand hat Zeit nachzuprüfen. Und ein Dementi wird, wie der oben zitierte PR-Profi wusste, keine Wirkung mehr haben.
«Komm‘ mal bitte in mein Büro»
Im Januar 2012 war ich 64 Jahre alt und absolvierte mein letztes Arbeitsjahr in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, an einen Telefonanruf des damaligen Chefs der Tagesschau: «Komm' mal bitte in mein Büro.»
Was war der Anlass? Kurz vorher war ein aufsehenerregender Video-Clip publik geworden. Da sah man, wie einige amerikanische Soldaten auf Leichen urinierten. Unter grossem Gelächter und mit grossem Vergnügen. Es wurde allgemein angenommen, dass die Leichen gefallene Taliban-Kombattanten waren.
Es hätten aber auch unbewaffnete Zivilisten sein können, denn bei dieser Art von Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency) unterscheidet die kriegführende Armee oft nicht zwischen bewaffneten Kombattanten und ihren Unterstützern in der Bevölkerung. Das Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen mag als Beispiel genügen.
Die Bilder von den urinierenden Soldaten verursachten eine gewisse Empörung in den USA. Die amerikanische Aussenministerin Hillary Clinton sagte, dieses Verhalten entspreche nicht den amerikanischen Werten. Verteidigungsminister Leon Panetta sagte dasselbe und ordnete eine Untersuchung an.
Ich habe damals unter dem Titel «Pinkeln in Afghanistan» einen Kommentar publiziert, in dem ich die Frage stellte, wo denn diese amerikanischen Werte zum Ausdruck gekommen seien. Im Einsatz des Entlaubungsmittels Agent Orange, durch das hunderttausende vietnamesische Kinder als Krüppel zur Welt kamen? In der entsetzlichen Folterpraxis im afghanischen Baghram? In Abu Ghraib? In Guantánamo? In den systematischen Drohnen-Angriffen, denen zwanzigmal mehr unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fallen als mutmassliche Terroristen?
Der Chef erklärte mir, ich täte besser daran, mich derartiger Kommentare zu enthalten. Denn damit würde ich gegen meinen Arbeitsvertrag verstossen. In diesem stünde nämlich, die öffentliche Äusserung von «extremen politischen Positionen» seien nicht erlaubt.
«Du willst doch sicher keine Probleme am Arbeitsplatz»
Auf meine Frage, woran denn die extreme politische Position in meinem Artikel festzumachen sei, schliesslich hätte ich im Tenor die gleiche Kritik geäussert, die auch in der «Washington Post» oder der «New York Times» zu lesen war, kam die Antwort:
«Ich habe es noch nicht richtig gelesen, aber es hat sich jemand beschwert.»
«Wer hat sich denn beschwert?»
«Das kann ich dir nicht sagen.»
Es kommt mir heute vor wie eine Nummer aus der ZDF-Satire-Sendung «Die Anstalt». Aber damals konnte ich nicht darüber lachen. Ich habe nie in Erfahrung bringen können, wer der ominöse «Jemand» war. Er kam mit Sicherheit von einem Ort, wo Macht konzentriert war. Es ist wahrscheinlich, dass die Einschüchterung aus dem Dunstkreis derselben Leute kam, die mich seit Jahren anonym diffamieren.
Das Gespräch in der Tagesschau-Redaktion endete mit dem erstaunlichen Satz: «Du willst ja in deiner letzten Zeit, die du hier in der Redaktion verbringst, sicher keine Probleme haben.»
Wohl eher eine versteckte Drohung als ein gutgemeinter Ratschlag. Ich musste damals gute Miene zum bösen Spiel machen. Meine Pensionskasse war nicht üppig gefüllt, und mit 64 ist es nicht leicht, eine andere Arbeitsstelle zu finden.
Man darf sich keine Illusionen machen: Wenn ich heute in der Tagesschau arbeiten und auf meiner Kritik der Nato-Politik beharren würde, würde ich meinen Job verlieren. Der amerikanische Sprachwissenschafter und Medienkritiker, Noam Chomsky, wurde einmal in einem Fernsehinterview von einem Journalisten gefragt: «Wollen Sie etwa behaupten, dass ich lüge?» Chomsky entgegnete: «Ich sage nicht, dass Sie lügen. Ich sage nur: Sie sässen nicht da, wo Sie sitzen, wenn Sie nicht das schreiben würden, was Sie schreiben.»
Andere sitzen folgerichtig nicht mehr da, wo sie sassen. Der deutsche Journalist Birk Meinhardt hat 2012 das Handtuch geworfen. Der Mann war mit dem Egon Erwin Kisch-Preis ausgezeichnet worden und hatte zehn Jahre für die Süddeutsche geschrieben. Weil seine Texte nicht hinreichend politisch korrekt waren, wurden sie am Ende immer weniger gedruckt. Man verlangte, dass er sie umschrieb oder korrigierte.
Er hat diese ganze Geschichte, die Gängelung, die Ausflüchte und Erpressungen, ausführlich in seinem Buch «Wie ich meine Zeitung verlor» beschrieben. Dort hat er auch einige der Texte publiziert, die für seine Chefs zu unbequem waren. Brillante Reportagen. Aber wenn einer zum Beispiel über die US-Airbase in Ramstein schreibt, muss er schwer aufpassen, dass da kein falsches Wort drinsteht, das den grossen Freund Deutschlands auf der anderen Seite des Atlantiks verärgern könnte.
Zürcher Tages-Anzeiger: «Es gibt Bedenken im Haus»
Ray MacGovern war zehn Jahre lang für das Daily Briefing verantwortlich, das den jeweiligen Präsidenten der USA über die Sicherheitslage aufklärt. Aus Protest gegen den Irak-Krieg gab Ray all seine Verdienstorden an die CIA zurück. Als ich ihn in Berlin traf, hatte er die russische Prawda dabei. Er sagte, er wolle nicht nur wissen, was in der Washington Post steht, sondern auch was in Moskau, Peking, Kapstadt oder Mexiko die Meinung sei.
Ich habe 19 Jahre lang im Fernsehen gearbeitet und selten erlebt, dass News-Leute für die tägliche Arbeit irgendeine andere Quelle benutzen als die grossen westlichen Presseagenturen wie AP, Reuters oder Agence France Presse. Zu mehr reicht die Zeit nicht in diesem Job, der Zeitdruck ist meist enorm. Eine kurze Recherche im Netz liegt wohl drin, aber die Regel ist: Die Texte der Tagesschauen beruhen auf Agenturmeldungen, und auf diesen beruhen auch die sogenannten «Dope sheets», welche die rund um die Uhr einlaufenden Bildsequenzen erläutern.
2016 hatte ich ein langes Interview mit Ray MacGovern dem Zürcher Tages-Anzeiger angeboten, und man sagte mir am Telefon, das sei hochinteressant, da könnte man sicher eine Doppelseite machen. 24 Stunden später erhalte ich einen Anruf, wo mir unter spürbaren Kontorsionen erklärt wird, es gebe «Bedenken im Haus». Kein Wunder, dass mir in dem Moment ein bekannter Satz in den Sinn kommt: «Es hat sich jemand beschwert.»
Der Tages-Anzeiger hatte bei MacGovern ein «Glaubwürdigkeitsproblem» erkannt. Habe dieser Mann doch sage und schreibe «auf einem russischen Sender schon mal ein Interview gegeben». Russia Today hiess damals der Sender, der heute in der Europäischen Union offiziell verboten ist, weil man im Brüsseler Europa nicht wissen darf, was in Moskau gesagt und gedacht wird.
Google hat erklärt, man werde auf YouTube alles löschen, was russische Propaganda sein könnte. Millionen von Einträgen verschwinden täglich vom Netz. Ich habe in meinem Syrien-Archiv Links, die ich öffne, und es erscheint eine schwarze Fläche mit dem Hinweis: Video not available.
Ich hätte mir noch vor ein paar Jahren nicht vorstellen können, dass eine umfassende Zensur, das heisst die Liquidation von unbequemen Meinungen mit einer solchen Offenheit und Selbstverständlichkeit betrieben würde, wie es heute der Fall ist
«Deine widerlichen Artikel schaden unserem Image»
2018 war ich in Syrien. Es kam mir vor, wie wenn es zwei verschiedene Länder gäbe. Das eine war das Land der europäischen und US-amerikanischen Medienbilder, das andere Land das real existierende Syrien, das sich mir präsentierte. Ich war in Homs, in Hama, in Latakia, in Damaskus und konnte mit vielen Leuten sprechen. Viele können ein wenig englisch oder französisch. Man wurde angesprochen auf der Strasse. Ohne Aggressivität, aber mit sichtlichem Erstaunen.
Es war überall das Gleiche: Auf dem Bazar, im Restaurant, in der Primarschule, in der Moschee. Die Leute sagten: Was ist los mit euch in Europa und USA? Was haben wir euch getan? Warum bezahlt und bewaffnet ihr mit Milliarden Dollar aufständische Milizen, die unseren Präsidenten stürzen sollen? Warum nennt ihr fundamentalistische Gotteskrieger «Rebellen»? Wann und wo hat unsere Regierung euch bedroht? Was hat Bashir al-Assad Frau Merkel angetan? Oder Herrn Sarkozy? Oder Herrn Obama?
Italienische Nonnen sagten mir: «Ohne den Schutz der syrischen Armee wären wir nicht mehr am Leben». Ich sah uralte Klöster, wo diejenigen, die in unseren Medien als «Freiheitskämpfer» figurierten, der Gottesmutter Maria auf den Mosaiken mit dem Hammer das Gesicht herausgeschlagen hatten.
Als ich zurückkam und meine Eindrücke publizierte, wurde ich als «Putin-Troll» beschimpft. Ein ehemaliger Chefredaktor des Sonntagsblicks und des Tages-Anzeigers schrieb auf dem Portal watson.ch: «Der Verdacht liegt nahe, dass Scheben Teil der russischen Propaganda-Maschine ist.» Eine Internetzeitung, für die ich lange geschrieben hatte, teilte mir mit, ich sei für sie nicht länger tragbar: «Mit deinen widerlichen Artikeln schadest du unserem Image.»
Das tönt wie ein Satz aus einer leicht hysterischen Telenovela. Es ist aber die platte und lapidare Wirklichkeit im Jahre 2023 in der Eidgenossenschaft. So einfach geht die Durchsetzung der Medien-Einfalt. Und so wenig Rückgrat haben manche Leute auf ihrem Chefsessel im Medien-Betrieb. Sie knicken ein, «wenn sich jemand beschwert».
Nichts schreiben, was der «guten Sache» schaden könnte
In der ersten Hälfte der achtziger Jahre habe ich im Pressebüro einer salvadorianischen Aufstandsbewegung in Mexiko-Stadt gearbeitet. Eine Guerrilla-Bewegung, die sich FMLN nannte, Frente Farabundo Martí de Liberación Nacional. Das Pressebüro hiess Salpress (Salvador-Press). Dort wurden nicht nur Fakten berichtet, sondern auch massiv Propaganda-Erzählungen entwickelt.
Zum Beispiel die Darstellung, dass die Soldaten der salvadorianischen Armee in den Dörfern überall Frauen vergewaltigten. Ich war mehrmals in den umkämpften Gebieten in El Salvador und habe herausgefunden, dass das in den Fällen, die ich überprüfen konnte, nicht die Wahrheit war. Ein Einzelfall wurde schnell einmal extrapoliert auf allgemeine Zustände.
Ich habe damals auch erfahren müssen, dass linke Guerrilla-Kämpfer nicht immer die Guten sind, und dass ihre Feinde, die in den USA ausgebildeten Armeesoldaten, nicht nur die Bösen sind. Es gab Guerrilla-Kommandanten, die sich als kleine Che Guevaras aufspielten, aber charakterlich grosse Schweinhunde waren.
Ich habe damals diese Dinge für mich behalten und kein Wort darüber geschrieben. In den linken Zeitungen, für die ich als Korrespondent arbeitete, wäre das auch gar nicht erst gedruckt worden. Darunter war zum Beispiel die Berliner Tageszeitung (taz), die eine Spendenaktion betrieb unter dem Titel: «Waffen für El Salvador». Die sammelten Geld, um Waffen für die FMLN-Guerrilla zu kaufen. Ich wäre nicht erstaunt, wenn sie heute «Waffen für Selenskyj» fordern würden.
Man war als braver linker Kalaschnikow-Revolutionär auf Seiten der Aufständischen, und man hütete sich, Dinge zu publizieren, die der «gerechten Sache» hätten schaden können. Ab 1983 arbeitete ich in der Presseagentur Agencia Periodística de Información Alternativa (apia) in Nicaragua. Wir Journalisten, da bin ich keine Ausnahme, waren nicht in der Lage oder nicht willens, zu erkennen, dass die Hälfte der Bevölkerung nicht wirklich hinter der Revolution in Nicaragua stand. 1990 verloren folglich die Sandinisten die Wahlen und die Macht. Wir hatten es nicht kommen sehen, oder wir hatten es nicht sehen wollen.
Seit damals bin ich skeptisch gegenüber den grossen Wahrheiten. Gegenüber den grossen Gewissheiten der Ideologen. Es ist wichtig, dass wir uns klar werden: Wir Journalisten sind nicht immer nur Opfer eines ideologischen Machtapparates, der unmittelbar Druck auf uns ausübt («Komm' mal bitte in mein Büro»), sondern wir sind auch in gewissem Mass Überzeugungstäter, somit «Opfer» unserer eigenen Sozialisation.
Wir gehen durchs Leben mit der Weltanschauung, die uns mitgegeben wurde, und mit der Ideologie der Gruppe, der wir uns zugehörig fühlen. Ich weiss nicht, wie weit wir uns diesem «Über-Ich» entziehen können. Ich habe auch keine Ahnung von Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie, aber ich bin mir sicher, dass jener Kameramann recht hatte, der – wie mir Karin Leukefeld kürzlich sagte – der Ansicht ist: Du siehst nur, was du weisst. Was ausserhalb unseres Denkgebäudes liegt, können wir kaum wahrnehmen.
«Dazugehören ist wichtiger als Wahrheit»
Ein befreundeter Psychologe hat mir kürzlich geschrieben: «Dazugehören ist wichtiger als Wahrheit. Da liegt das Problem.»
Es geht um die Frage, warum Journalisten (oder Menschen allgemein) oft nicht schreiben und sagen wollen, was sie als Tatsache erkannt haben. Oder warum sie es in vielen Fällen lieber nicht so genau wissen wollen. Oder als feindliche Propaganda abtun. Oder leichtfertig behaupten, es handle sich sowieso um Verschwörungstheorien.
Verschwörungstheoretiker, schrieb einmal sarkastisch die Journalistin Eva C. Schweizer in New York, litten unter dem Wahn, dass es Menschen gebe, die sich zusammentun, um etwas Böses zu planen. In Wirklichkeit gebe es natürlich solche Menschen nicht. Ausser in Russland oder China.
Wenn wir immer die Wahrheit sagen würden, hätten wir Liebesentzug oder Bestrafung zu fürchten. Wir lernen lügen von klein auf. Wenn Papi und Mami unaufhörlich Streit haben, und Tante Emma kommt unverhofft zu Besuch, dann weiss der kleine Max sehr genau, dass er der Tante nicht sagen darf, dass Papi und Mami Streit haben. Dass die Wahrheit immer mal wieder verschwiegen werden muss, ist eine wichtige Lektion unserer Sozialisation. Denn wir wollen ja akzeptiert werden von unserem sozialen Umfeld.
Wer diese Haltung nicht einnimmt, das heisst, wer glaubt, er könne gegen den Strom schwimmen, der wird schnell einmal ausgegrenzt, gemieden, verliert seine Freunde. Die soziale Isolation kann so hart werden, dass Menschen psychisch daran zerbrechen.
Also halten viele mit ihrer Meinung hinter dem Berg, gehören schnell einmal zu einer Minderheit, die nicht mehr genug Courage hat, zu sagen, was sie denkt. Ein sozial-psychologischer Prozess, den Elisabeth Noelle-Neumann in ihrem Klassiker «Die Schweigespirale» schon in den siebziger Jahren beschrieben hat.
«Assange ist vor uns in dieses Gefängnis gegangen»
Der oben zitierte Birk Meinhardt will trotzdem nicht kleinbeigeben. Er wendet sich ab von Nachrichten-Medien und Zeitungen. Er zitiert den Rat eines Freundes: «Desillusion ist Fortschritt. Begib dich in die Desillusionierung. Nur so kommst du weiter. Ausharren im Nicht-dazugehören-wollen.»
Leichter gesagt als getan. Ein kleiner Mann oder eine kleine Frau kann sich ein wenig innere Emigration leisten. Wer sich aber im Widerstad profiliert, für den kann es gefährlich werden. Ein Edward Snowden wird von den USA gejagt wie ein Verbrecher, und ein Julian Assange wird in einem Hochsicherheitsgefängnis in London physisch und psychisch kaputt gemacht.
Der Publizist Milosz Matuschek hatte eine sehr erfolgreiche Kolumne in der Neuen Zürcher Zeitung und wurde dort rausgeworfen, weil er die Corona-Massnahmen zu heftig kritisierte und weil er seine Texte auch Plattformen zur Verfügung stellte, denen die «Kontaktschuld» vorgeworfen wurde, sie beherbergten Querdenker und Verschwörungs-Phantasierer. Er hatte auch zu stark Partei ergriffen für Leute wie Julian Assange. Matuschek schreibt heute:
«Assange ist als Beispiel physisch in das Gefängnis gegangen, in dem wir alle zumindest geistig ebenfalls schon sitzen.»
Aus meiner Zeit in Nicaragua ist mir der Amerikaner Gary Webb in Erinnerung. Der Journalist wies nach, dass die Regierung Reagan in den achtziger Jahren Kokain von Medellín in die Staaten fliegen liess und mit dem Erlös Waffen für die Contra-Truppen kaufte, die die Sandinisten-Regierung in Nicaragua stürzen sollten. Webb wurde durch eine Kampagne der US-Geheimdienste und ihrer zugewandten Medien in den finanziellen Ruin und schliesslich in den Suizid getrieben. Allerdings ein seltsamer Suizid mit dem forensischen Befund: zwei Kopfschüsse. Der Chefpilot jener ominösen Kokain-Flüge wurde übrigens auf offener Strasse in Louisiana erschossen,² bevor er 1986 vor einer Grand Jury aussagen konnte.
Wie geht es weiter mit unserer Branche?
Für diejenigen, die darauf beharren, mit eigenem Kopf zu denken, wird es kurzfristig kein Pardon geben. Sie werden auch künftig ausgegrenzt und diffamiert werden, und sie werden lernen müssen, dass sie Selbstbestimmung und Mündigkeit mit ein wenig Einsamkeit bezahlen müssen.
Aber man soll die Kirche im Dorf lassen. Die Schweiz ist immer noch ein ruhiges Pflaster und bietet keine Bühne für grosse Opferrollen. Vom Matterhorn bis zum Bodensee, vom Fendant bis zum suure Moscht, ist das Leben hierzulande für einen Journalisten oder eine Journalistin kein Kreuzweg. Für «en tüüfe gsunde Schlaf» brauche ich gemäss Schweizer Matratzenwerbung kein Schlafmittel. Die Altersrente wird man mir nicht abnehmen können, und ich brauche keinen Tranquilizer, nur weil manche behaupten, ich sei von Putin bezahlt.
Bislang habe ich keine entsprechenden Eingänge auf meinem Konto festgestellt. Mein einziges Guthaben unter Bestechungsverdacht ist ein Gegenstand mit der Aufschrift Rossijskaja Federazija: Russische Föderation. Es handelt sich nicht um eine Rolex, sondern um einen Kugelschreiber aus Moskau.
Der vorliegende Text wurde als Vortrag an der Tagung «Das Zeitgeschehen im Fokus – Vernunft und Menschlichkeit eine Stimme geben» am 4. November in Zürich gehalten.
* Helmut Scheben (*1947 in Koblenz, Deutschland) studierte Romanistik in Mainz, Bonn, Salamanca und Lima. 1980 promovierte er zum Doktor phil. an der Universität Bonn. Von 1980 bis 1985 war er als Presseagentur-Reporter und Korrespondent für Printmedien in Mexiko und Zentralamerika tätig. Ab 1986 war er Redaktor der Wochenzeitung (WoZ) in Zürich, von 1993 bis 2012 Redaktor und Reporter im Schweizer Fernsehen SRF, davon 16 Jahre in der Tagesschau.
Es ist verhältnismässig ruhig um die bäuerliche Nahrungsmittelproduktion geworden. Zwar erheben sich immer wieder Stimmen, die einen gerechten Preis für die Produkte aus Feld und Stall reklamieren. Handfeste Aktionen werden wohl durch die geballte Marktdominanz seitens der Nachfrage schon im Keim erstickt. In der Schweiz nehmen die Grossverteiler Migros und Coop in diesem Segment eine marktbeherrschende Position ein und lassen sich kaum beeindrucken. Doch ist es im Ausland besser als in unserem Land?
Konzerne beherrschen die Agrarwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion
«Heute bestimmen einige wenige globale Konzerne die grossen Trends in der Landwirtschaft und beim Nahrungsmittelkonsum. Die Player sind bemerkenswert langlebig. Viele der heute führenden Unternehmen gehörten schon zu den Begründern des modernen Systems: Cargill, Deere, Unilever, Nestlé, McDonald’s, Coca-Cola. Erst die Verlagerung hin zum Finanzkapital und die Auswirkungen der Biotechnologien haben seit den 1980er-Jahren zu Fusionen und Übernahmen geführt, die den Sektor seither schnell und tiefgreifend verändern.» Es ist eine unheilige Allianz, die die Kontrolle über die Agrarwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion übernommen hat. Sie setzt sich nicht nur über nationale und ethische Grundrechte hinweg, sondern schafft einseitige Abhängigkeiten sowohl auf Produzenten- wie auf Konsumentenseite. Eine ausreichende Versorgung mit qualitativ einwandfreien Nahrungsmitteln ist lebensnotwendig. Wer diesen Markt beherrscht, kann diese Herrschaft sowohl zum Wohle als auch zum Nachteil der gesamten Menschheit nutzen.
Globale Konzerne zerstören die Ernährungssouveränität
Die globalen Agrarkonzerne orientieren sich am Prinzip industrieller Produktion. Monokulturen auf grossflächig ausgelegten Böden, Massentierhaltung sind für die industrielle Produktion Grundvoraussetzung. Chemie, genmanipuliertes Saatgut und die digitale Steuerung von Pflanzen, Tier und Natur werden genutzt, um die Gewinne zu maximieren. Da bleibt kein Platz mehr für Menschen, Tierwohl und Schutz der natürlichen Ressourcen. Der bäuerliche Familienbetrieb und die regionale Selbstversorgung werden dem Moloch Globalisierung geopfert. Strukturen, wie wir sie noch teilweise in der Schweiz und weiteren ländlichen Regionen vorfinden, können dem Druck seitens der Konzernwirtschaft kaum standhalten. Es sei denn, die Konsumenten streiken und kehren der Monopolwirtschaft den Rücken.
Ob es jedoch genügend aufgeklärte Konsumenten gibt, ist eine offene Frage. Solange Lebensmittel nichts kosten dürfen, sind Mittel- und Kleinbetriebe in preislicher Hinsicht wenig konkurrenzfähig. Es bräuchte ein Umdenken – übrigens nicht allein in Bezug auf die Nahrungsmittelwirtschaft – indem die Qualität und nicht der Preis allein die Nachfrage bestimmt. Wer Ernährungssouveränität fordert, muss in erster Linie seine eigene Souveränität über sein Einkaufsverhalten und seine Gewohnheiten zurückholen. Ebenso unbeantwortet bleibt die Frage inwieweit die nationalen Eliten und Regierungen sich für die mittelständische Agrarwirtschaft und Lebensmittelproduktion einsetzen und den Schutz der Selbstversorgung fördern. In der Eidgenössischen Bundesverfassung wird im Landwirtschaftsartikel dem Bund zwar die Förderung und der Schutz der Selbstversorgung vorgegeben, doch wenn wir die laufenden Revisionen der Gesetzgebung für die Landwirtschaft verfolgen, dann beobachten wir eine fortschreitende Dezimierung der natürlichen Grundlagen zur Förderung der Selbstversorgung in unserem Land. Ökologisierung und Administration im Agrarbereich schränken die Produktionsmöglichkeiten immer mehr ein und fördern auch in unserem Land die Tendenz zur industriellen Landwirtschaft.
Die Entfremdung von der Natur und von kleinräumigen Versorgungsstrukturen
In den letzten Jahrzehnten wird die natürliche Nahrungsmittel- produktion immer mehr durch moderne Technologien ersetzt (zum Beispiel genetisch veränderte Organismen). In Labors entwickeltes Saat- und Zuchtgut verdrängt immer mehr die natürlichen Aufzucht- und Anbaumethoden. Die Agrarforschung und die Lebensmitteltechnologie arbeiten mit Hochdruck an neuen Produktionsmethoden, die ausserhalb der Natur eingesetzt werden können. Hors-Sol Anlagen im Gemüseanbau, Milch- und Fleischprodukte aus dem Reagenzglas ersetzen die Natur, löschen natürliche Begrenzungen aus und fördern damit die Entwicklung der industriellen Produktion mit globalen Dimensionen. Ein Prozess, der dank diffuser Klimahysterie und dem anhaltenden Druck auf die herkömmlichen Ernährungsgewohnheiten erheblichen Auftrieb bekommen hat.
Konzernherrschaft über unsere Essgewohnheiten?
Es liegt ganz im Interesse der Konzernwirtschaft, dass kleinräumige Produktions- und Versorgungsstrukturen verschwinden. Aber ist das auch im Interesse der souveränen Staaten und deren Bevölkerung?
Die globale Herrschaft über die gesamte Wertschöpfungskette vom Acker/Stall/Weide bis zum Teller auf dem Familientisch erstreckt sich weit über den Tellerrand hinaus. Sie beeinflusst unser gesamtes Denken und Handeln, greift unser Recht auf Selbstbestimmung an und treibt die Menschen in ungemütliche Abhängigkeiten, was wiederum Raum für Erpressung und Bevormundung schafft.
Die Agro-Multis kennen keine Grenzen. Wenn Labor und Digitalisierung nicht ausreichen, dann gibt es immer noch die Aneignung von fruchtbarem Kulturland. (Land-Grabbing). Vor allem in Afrika werden die Bauern von ihrem Grund und Boden verdrängt. Deutlicher kann man den absoluten Herrschaftsanspruch über die globale Lebensmittelversorgung nicht unterstreichen. Spätestens jetzt sollten wir die Gefahren der Konzernherrschaft über unsere Ernährung erkennen. Die Agrar-Multis setzen rücksichtslose Methoden ein, um die Grundvoraussetzungen für eine lokal-regionale Selbstversorgung durch bäuerliche Familienbetriebe ausser Kraft zu setzen. Eine zerstörerische Strategie, deren Folgen schwerwiegender sind, als wir erwarten. Mit dem Verlust der Selbstversorgung handeln wir uns Abhängigkeiten ein, die unseren Anspruch auf Selbstbestimmung und Eigenständigkeit zunichte machen.
Warum reagieren die souveränen Staaten nicht auf diesen Angriff?
Eigentlich kaum nachvollziehbar, dass sich die «freie Welt» beinahe widerstandslos der Unterdrückung durch die Konzerne unterwirft. Offensichtlich haben viele das Bewusstsein über die Bedeutung der Selbstbestimmung für unsere Freiheit und Unabhängigkeit verloren. Verschiedene «Schocks» hinterliessen zudem eine verheerende Wirkung. Finanz- und Wirtschaftskrise, eine Pandemie, deren Ursprung immer nebulöser wird, haben uns die Überzeugung genommen, dass wir durch Eigenverantwortung und -initiative Probleme und Herausforderungen angehen können. Viele Regierungen sind Gefangene des globalen Systems, welches dem Diktat der Finanzwirtschaft respektive der Finanzaristokratie folgt.
Die Souveränität zurückholen
Im ersten Moment sehen die Perspektiven eher düster aus. Es geht um die Befreiung vom Joch der globalen Diktatur durch eine Minderheit. Es gibt aber auch eine grosse Mehrheit von Menschen, die ihre Selbstverantwortung und -bestimmung verteidigen wollen. Wir müssen bereit sein, den Ansprüchen einer kleinen Elite entgegenzutreten. Es braucht unseren Widerstand, denn es geht nicht nur um Nahrungsmittel. Die nationale Identität wird in vielen anderen Bereichen unterwandert. Wirtschaft, Gesundheits- und Bildungswesen, die Grundversorgung im Allgemeinen sind im Visier der Kreise, die den grossen «Reset» vollziehen wollen. Wenn unsere Regierungen den Mut nicht aufbringen können, dann liegt es an uns, unsere Souveränität zurückzuholen.
Gedanken zum Uno-Welternährungstag «Kleinbäuerliche, auf Vielfalt ausgerichtete Familienbetriebe sind die Garanten einer nachhaltigen Landwirtschaft»
von Susanne Lienhard
Am 16. Oktober fand wie jedes Jahr der Uno-Welternährungstag statt. Noch nie hat die Menschheit mehr Lebensmittel pro Kopf produziert als heute und dennoch hungert mehr als jeder zehnte Mensch auf dem Globus. Die Ursachen sind vielschichtig: Krieg, Korruption, Klimawandel, Landraub, ungerechter Welthandel und anderes mehr. Grund genug, an den vor rund 15 Jahren erarbeiteten Weltagrarbericht zu erinnern.
Rund 400 Expertinnen und Experten aller Kontinente und Fachrichtungen haben vier Jahre lang intensiv gearbeitet, um gemeinsam folgende Frage zu beantworten: «Wie können wir durch die Schaffung, Verbreitung und Nutzung von landwirtschaftlichem Wissen, Forschung und Technologie Hunger und Armut verringern, ländliche Existenzen verbessern und gerechte, ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Entwicklung fördern?»¹ Der 2007 veröffentlichte Bericht zeigt gangbare Wege auf, wie dem Hunger und der Mangelernährung weltweit begegnet und eine gerechtere, ressourcenschonende Nahrungsmittelproduktion und -verteilung realisiert werden kann.
Der Bericht räumt mit dem Mythos der Überlegenheit industrieller Landwirtschaft aus volkswirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Sicht gründlich und ehrlich auf. Als neues Paradigma der Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts formuliert er: «Kleinbäuerliche, arbeitsintensivere und auf Vielfalt ausgerichtete Strukturen sind die Garanten einer sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Lebensmittelversorgung durch widerstandsfähige Anbau- und Verteilsysteme.»² Die Experten stellten das bis anhin geltende Credo «Wachse oder weiche» in Frage und kamen zum Schluss, dass die kleinräumige bäuerliche Landwirtschaft ein gewaltiges Produktions- und Nachhaltigkeitspotenzial hat, sich viel besser und flexibler den Erfordernissen und Veränderungen ihrer Standorte anpassen und mehr Existenzen auf dem Land sichern kann. Voraussetzungen sind unter anderem Kenntnisse über verbesserte Anbaumethoden, Zugang zu Boden und geeignetem Saatgut, ein Mindestmass an Rechtssicherheit, auskömmliche Einkünfte und den Bedürfnissen entsprechende Infrastrukturen.
Uno-Dekade der Familienlandwirtschaft (2019 – 2028)
Die Uno trugen dem Bericht Rechnung und riefen 2014 das «Jahr der Familienlandwirtschaft» und auf Grund des Erfolgs 2019 die «Uno-Dekade der Familienlandwirtschaft (2019 – 2028)» aus, um die Mitgliedsländer weltweit dazu aufzufordern, Initiativen zur Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft zu ergreifen. Mehr als 90 Prozent der 570 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe auf der Welt werden von Kleinbauern betrieben und sie produzieren mehr als 80 Prozent der weltweit konsumierten Nahrungsmittel. Laut dem FAO-Generaldirektor José Graziano da Silva ist die Familienlandwirtschaft eine wesentliche Alliierte in der Entwicklungsstrategie, sowohl in ihrem Potenzial zur Überwindung von Armut, Hunger und allen Formen von Fehlernährung, als auch in der Erhaltung der natürlichen Ressourcen und der Biodiversität.³ Der zentrale Aspekt, der gleichzeitig die grösste Herausforderung darstellt, ist die engagierte Verpflichtung, die die Regierungen übernehmen müssen, um Ressourcen für diese Bevölkerungsgruppen bereitzustellen und öffentliche Politiken zu entwickeln, die die Food and Agriculture Organization of the United Nations» (FAO) als «differenziert, effektiv und intersektoral» definiert, wie auch einen sozialen Dialog mit allen Beteiligten zu führen, die einen Impuls für eine erfolgreiche Strategie geben.
Was unternimmt die Schweiz zur Stärkung der Familienlandwirtschaft?
Wie man einem Factsheet der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) von 2014 entnehmen kann, orientiert sich die Schweiz im Bereich der Entwicklungszuammenarbeit durchaus am Weltagrarbericht und den Initiativen der Uno: «Im Kampf gegen Armut und Hunger hat sich die DEZA schon immer auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft konzentriert.»⁴ Sie setzt jährlich 240 Millionen Franken für die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit ein. Sie unterstützt Bauernfamilien in Entwicklungsländern bei der Produktion und Vermarktung ihrer Produkte und bei der nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen. Doch inwiefern werden die Empfehlungen des Weltagrarberichts und die Initiativen der Uno auch in der inländischen Landwirtschaftspolitik ernstgenommen und umgesetzt?
Schweizer Landwirtschaftspolitik folgt noch immer dem Credo «wachse oder weiche»
Was für den globalen Süden gilt, scheint für die Schweizer Landwirtschaft nicht zu gelten. Jedes Jahr müssen bäuerliche Familienbetriebe aufgeben, da sie von ihren Erzeugnissen nicht leben können. Die Landwirtschaftspolitik des Bundes fördert den sogenannten Strukturwandel, sprich das «Bauernsterben» oder das «wachse oder weiche». Die Ansiedlung von Grossraubtieren macht den Bauern das Leben zusätzlich schwer und führt zu hohen Investitionskosten für den Schutz ihrer Nutztiere, so dass viele Landwirte die Alpwirtschaft aufgeben müssen. Dem nicht genug: Die neue vom Bund veröffentlichte «Klimastrategie für Landwirtschaft und Ernährung»⁵ fordert nun explizit eine massive Reduktion der Nutztierbestände, um das CO₂-Netto-Null-Ziel 2050 zu erreichen! Die Schweizer Bauern leben aber von der Fleisch- und Milchproduktion. Über die Hälfte des landwirtschaftlichen Produktionswertes stammt aus der Tierhaltung. Franz Hagenbuch, Präsident von Swiss Beef, sagt in der Neuen Zürcher Zeitung vom 9. Oktober: «Viele Bauern können nicht auf pflanzliche Produktion umstellen und davon leben. Für Bergbauern ist das keine Option und auch in den weiten Voralpengebieten können viele Bauern nur Grasland nutzen, also Milch- und Viehwirtschaft betreiben.» Die Massnahme ist ausserdem auch ökologisch unsinnig, da das Grünland (Weide- und Grasland) nachweislich am meisten CO₂ speichert. Grünland gibt es aber nur, wenn es auch Grasfresser gibt!⁶
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Zeitgeschehen-im-Fokus Forschen - Nachdenken - Schlüsse ziehen Nr 16/17 (III von III)
Die unabhängige Bäuerinnen- und Bauernorganisation «Uniterre» stellt fest, dass zwischen 1990 und 2021 in der Schweiz von insgesamt 93 000 Landwirtschaftsbetrieben noch 48 864 aktiv sind, von 254 000 in der Landwirtschaft Beschäftigten nur noch 148 000 verbleiben und dass die Produzentenpreise im selben Zeitraum um mehr als 30 Prozent gesunken sind. Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung, betont Bundesrat Parmelin in seiner Antwort auf die Petition «Jeder Hof zählt»: «Allgemein verläuft der Strukturwandel in der Schweizer Landwirtschaft aus Sicht des Bundesrates in sozialverträglichen Bahnen.»⁷ Welch ein Hohn!
Laut dem Bundesamt für Statistik wächst die Bevölkerung schneller als die inländische Nahrungsmittelproduktion (kein Wunder, wenn jährlich rund 1000 Höfe verschwinden, obwohl unzählige Jungbauern auf Hofsuche sind!), was zur Folge hat, dass der Selbstversorgungsgrad der Schweiz kontinuierlich sinkt. Lag er 1990 noch bei über 60 Prozent, belief er sich 2020 nur noch auf 56 Prozent. Der Netto-Selbstversorgungsgrad, der ausschliesslich die mit einheimischen Futtermitteln produzierten Nahrungsmittel berücksichtigt, betrug sogar nur noch 49 Prozent.⁸ Die Landwirtschaft hat aber laut Verfassung einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Versorgung der Bevölkerung zu leisten. Die Krisen der letzten Jahre haben deutlich gezeigt, wie wichtig ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad für die Unabhängigkeit des Landes ist.
Schweizer Verfassung und Uno-Mitgliedschaft verpflichten
Warum misst der Bund mit zweierlei Ellen, wenn es um die Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft im In- und Ausland geht? Warum werden die Erkenntnisse des Weltagrarberichts in der Entwicklungszusammenarbeit angewandt und in der Schweizer Landwirtschaftspolitik ignoriert? Der Bund setzt zunehmend auf Nahrungsmittelimporte und unterläuft damit das Ziel der Uno, die lokale kleinräumige Familienlandwirtschaft zu stärken. Die Schweiz verliert dadurch nicht nur ihre eigene Ernährungssouveränität, sondern schwächt auch diejenige der Erzeugerländer, da diese ihre Produkte auf dem lukrativeren Weltmarkt absetzen, anstatt sie im eigenen Land für einen erschwinglichen Preis der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.
Der Bundesrat hat die verfassungsmässige Pflicht (BV Art. 104 und 104a61), die landeseigene landwirtschaftliche Produktion zu stärken. Die Schweizer Mitgliedschaft bei der Uno verpflichtet ihn zudem auch im Inland, die Erkenntnisse des Weltagrarberichtes umzusetzen und die lokale, kleinräumige bäuerliche Landwirtschaft zu fördern.
¹ Wege aus der Hungerkrise: Die Erkenntnisse und Folgen des Weltagrarberichts: Vorschläge für eine Landwirtschaft von morgen. ISBN 978-3-00-044819-5 ² www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/baeuerliche-und-industrielle-landwirtschaft/baeuerliche-und-industrielle-landwirtschaft-volltext.html ³ amerika21.de/analyse/224204/dekade-baeuerliche-familienlandwirtschaft ⁴ www.eda.admin.ch/dam/deza/de/documents/themen/landwirtschaft-ernaehrungssicherheit/228261-baeuerliche-familienbetriebe-ernaehrungssicherheit_DE.pdf ⁵ www.blw.admin.ch/blw/de/home/nachhaltige-produktion/umwelt/klima0.html ⁶ www.deutschlandfunk.de/bodenregeneration-humusrevolution-fuer-welternaehrung-und-100.html ⁷ www.kleinbauern.ch/wp-content/uploads/2022/12/20221212_PetitionJHZ_AntwortParmelin.pdf ⁸ www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/monitoring-legislaturplanung/alle-indikatoren/leitline-3-sicherheit/selbstversorgungsgrad.html
Schlüsselbotschaften zur Uno-Dekade der Familienlandwirtschaft (2019 – 2028)
Die bäuerliche Landwirtschaft bewahrt traditionelle Lebensmittel und trägt gleichzeitig zu einer ausgewogenen Ernährung, zum Schutz der weltweiten Agrobiodiversität und zur nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen bei. […]
Die bäuerliche Familienwirtschaft unterstützt diversifizierte Lebensmittelsysteme, die eine nachhaltige Integration zwischen städtischen und ländlichen Gebieten fördern. Mit innovativen Marktlösungen können Stadtbewohner gesunde, nährstoffreiche und sichere Lebensmittel geniessen.
Die Jugend ist die Zukunft der bäuerlichen Familienbetriebe. Die Aufrechterhaltung des Interesses an der Landwirtschaft als Beruf ist für die künftige Ernährungssicherheit und die Entwicklung der Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Junge Landwirte sind die Brücke zwischen traditionellem, lokalem Wissen und innovativen Ideen.
Bäuerliche Familienbetriebe können die Lebensmittelsysteme nachhaltiger machen. Die Politik sollte sie dabei unterstützen, Lebensmittelverluste zu verringern und die natürlichen Ressourcen nachhaltig und effizient zu bewirtschaften. […]
Durch die Verbindung von traditionellem Wissen mit angemessenem technischem Know-how fördert die Familienlandwirtschaft Nahrungsmittelsysteme, die dem Klimawandel besser standhalten.
Die bäuerliche Familienlandwirtschaft bietet eine einmalige Gelegenheit, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten, den Lebensunterhalt zu verbessern, die natürlichen Ressourcen besser zu verwalten, die Umwelt zu schützen und eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, insbesondere in ländlichen Gebieten.
Bundesrat will mit der EU verhandeln von Reinhard Koradi
Der Bundesrat soll veranlasst haben, Vorbereitungsgespräche mit der EU für ein neues Abkommen zwischen der Schweiz und der EU hinter verschlossenen Türen zu führen. Dagegen gibt es zwei ernsthafte Einwände. Erstens ist die Geheimdiplomatie für ein demokratisches Land absolut verwerflich. Zweitens sind Verhandlungen mit der EU zum heutigen Zeitpunkt nicht zweckmässig.
Offensichtlich weiss der Bundesrat genau, dass die Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten keine Annäherung an die EU wünscht und daher entsprechende Verhandlungen strikt ablehnt. Diese Ablehnung will der Bundesrat mittels Verhandlungen hinter verschlossenen Türen austricksen.
Geheimdiplomatie – der Schweiz unwürdig
Wer das Tageslicht, also die Transparenz fürchtet, hat etwas zu verbergen. Nur Verrat, kriminelle Handlungen und geheime Agenden werden unter Verschluss gehalten. Wo und wie man die Geheimdiplomatie der Schweiz einordnet, überlasse ich dem Leser oder der Leserin dieses Beitrags. Trotz Geheimhaltung ist bereits durchgesickert, dass die Schweiz gegenüber der EU sowohl bei der Personenfreizügigkeit als auch bei der EU-Bürgerschaft und der automatischen Übernahme von EU-Recht Zugeständnisse gemacht haben soll. Das wären dann schon Annäherungsschritte, die der Bundesrat nur allzu gern vertuschen möchte.
Tatsache bleibt, dass Geheimdiplomatie gegen das Prinzip, dass in der direkten Demokratie das Volk oberstes Organ ist, verstösst.
Zum heutigen Zeitpunkt ist es falsch, mit der EU zu verhandeln
Die EU ist zurzeit kein verlässlicher Verhandlungspartner. Vielleicht war sie das nie, doch seit einigen Jahren ist die EU in extremer Schieflage. Aufgrund einer enormen Verschuldung ihrer Mitgliedsländer hat die Europäische Zentralbank Massnahmen ergriffen, die die Stabilität und Zukunftsperspektiven im Euro-Raum sehr gefährden. Der Euro hat in den letzten Monaten massiv an Kaufkraft verloren. Die Menschen werden unter der Last, die der Zentralismus aus Brüssel bewirkt, noch mehr leiden. Zusätzlich erhöht sich diese Belastung, weil sich die EU aufgrund ihrer USA-Hörigkeit bedingungslos den durch die USA ausgerufenen Sanktionen anschliesst, obschon diese Sanktionen den USA Vorteile bringen und die EU-Wirtschaft schwächen. Die Beteiligung am Konflikt in der Ukraine ist ein weiterer Faktor, der die EU nahe an den Abgrund führt.
Die EU ist massiv unter Druck und hat derzeit keine Vorteile anzubieten, die der Schweiz dienlich sein könnten. Aus der Wirtschaftsgeschichte haben wir gelernt, dass Fusionen zwischen einem schwachen und einem starken Unternehmen beide in die Insolvenz führen werden. Eine weitere Erfahrung ist, dass die Unternehmenskulturen der fusionswilligen Unternehmen nicht zu unterschiedlich sein dürfen, ansonsten zerbricht die Zusammenarbeit. Diese Grundregeln können wir sehr wohl auch auf Länder übertragen. Sollte sich die Schweiz wirklich der instabilen EU annähern, dann laufen wir Gefahr, selbst geschwächt und in unvorhersehbare Konflikte eingebunden zu werden, die unsere Freiheit, Souveränität und Sicherheit bedrohen oder gar schmälern. Polarisierend sind auch die sehr grossen Unterschiede der politischen Kulturen. In Brüssel herrscht Zentralismus mit annähernd diktatorischen Tendenzen, und in der Schweiz kennen wir die direkte Demokratie. Diese sehr differierenden politischen Kulturen werden eine zukunftsfähige Zusammenarbeit verhindern, es sei denn, die Schweiz gibt ihre eigene politische Kultur zu Gunsten einer EU-Annäherung auf – ein Preis, der viel zu hoch ist und von den Stimmberechtigten in unserem Land nicht goutiert wird.
Die Schweiz muss ihren eigenen Weg finden, der gewährleistet, dass Souveränität, direkte Demokratie und die bewaffnete Neutralität unantastbar bleiben. Zusammen mit der EU ist dieser Weg nicht gangbar!
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Alastair Crooke: Israels "Nakba-Doktrin"
seniora.org, vom 17. November 2023, 17. November 2023 Alastair Crooke - übernommen von english.almayadeen.net
In dem Maße, wie sich "Israel" auf ein biblisches "Groß-Israel" zubewegt, wird die islamische Welt immer kompromissloser.
Während die "Nakba-Doktrin" greift, schwinden die günstigen Bedingungen für die Freilassung der Geiseln (die die Hamas von einem langen Waffenstillstand und humanitären Lieferungen abhängig macht) dahin. (Al Mayadeen Englisch; Illustriert von Arwa Makki)
"Wir sind dabei, die Nakba des Gazastreifens zu verwirklichen", sagt Avi Dichter, "Israels" Landwirtschaftsminister und ehemaliger Leiter des Shin Bet. Das israelische Kabinett wurde darüber informiert, dass bis zu 1.700.000 Bewohner des Gazastreifens (von einer Gesamtbevölkerung von 2,2 Millionen) nicht mehr in der Lage sind, in ihren eigenen Häusern zu leben, entweder weil sie "vertrieben" wurden oder weil ihre Häuser zerstört/beschädigt wurden.
Um das Bild zu vermitteln, dass das israelische Militär mit seiner Operation zur Ausrottung der Hamas "vorankommt", sehen wir viele Videos von Panzern und gepanzerten Mannschaftstransportern in Gaza-Stadt. Im Gegensatz dazu sehen wir auffallend wenige Bilder von IOF-Soldaten, die zu Fuß patrouillieren – entweder um die Panzer zu schützen, die unter Beschuss von Scharfschützen oder Panzerfäusten stehen, oder (wie viele Kommentatoren vermuten) aus Angst vor israelischen Opfern.
Offensichtlich hält "Israel" an seinen gepanzerten Fahrzeugen fest, obwohl es regelmäßig Verluste durch "Blitz"-Minikommandos von Hamas-Kämpfern hinnehmen muss, die plötzlich aus verborgenen Tunneln auftauchen, um die Fahrzeuge zu zerstören – bevor sie wieder im Untergrund verschwinden.
Die IOF ist in Gaza-Stadt eingedrungen, ist im Laufe des Monats einige Kilometer vorgedrungen, hat aber bisher weder ernsthafte Anzeichen dafür, dass sie auf die Hamas-Kräfte gestoßen ist, noch dass sie eine nennenswerte Anzahl von ihnen ausgeschaltet hat. Und warum?
Einfach ausgedrückt, die Israelis führen einen konventionellen Krieg (eine gepanzerte "Faust", die mit massiver Luftunterstützung vorrückt). Der Widerspruch zu diesem Modell ist jedoch offenkundig: Der so genannte "Feind" am Boden sind einfach Zivilisten, die in erschreckender Zahl sterben, während die Hamas-Kräfte intakt bleiben, tief im Untergrund. Dort befindet sich auch die Infrastruktur der Hamas.
Die diesem Ansatz innewohnenden Widersprüche liegen in der jahrzehntelangen Entwicklung der IOF zu einer quasi kolonialen Polizeitruppe begründet, die es gewohnt ist, die Besatzung mit Hilfe von massiver Gewalt und absolutem Schutz zu überwachen. Es ist kein Geheimnis, dass die IOF Angst davor hat, sich auf ein Feuergefecht im Nahkampf mit Hamas-Einheiten im Tunnelkomplex einzulassen (worauf ihre Soldaten nicht vorbereitet sind). Stattdessen werden an der Oberfläche gepanzerte Fahrzeuge vorgeführt, und die IOF behauptet, der Hamas Schaden zugefügt zu haben, was jedoch nicht belegt werden kann.
Der offensichtlichste Widerspruch ist die Behauptung des israelischen Kabinetts, dass der nahezu nicht vorhandene militärische Druck auf die Hamas an sich die Voraussetzungen für die Freilassung der Geiseln schaffe, während der tatsächliche Druck – die unaufhörlichen Luftangriffe –, die die Zivilbevölkerung und ihre Infrastruktur (Krankenhäuser, Schulen, Bäckereien und Flüchtlingslager) zerstören, eine zweite Nakba ermöglichen – mehr als irgend eine Geiselbefreiung.
Vielleicht wird die Hamas weitere Geiseln freilassen (im Hinblick auf ihre strategischen Ziele berechnet). Wenn dies der Fall ist, wird dies wahrscheinlich – fälschlicherweise – als Schwäche der Hamas interpretiert. Daraus könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Teppichbombardierung "funktioniert". Wie Zvi Bar'el in der liberalen israelischen Tageszeitung Haaretz darlegt:
"Nach Israels Auffassung ist die humanitäre Krise Teil eines Arsenals, das ihm zur Verfügung steht und das nicht nur als Druckmittel bei Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln eingesetzt werden kann. Sie soll den Palästinensern die apokalyptische Strafe ins Bewusstsein rufen, die jedem droht, der es von nun an wagt, Israel herauszufordern.
Dies ist eine Fortsetzung des tief verwurzelten strategischen Konzepts, wonach humanitäres Leid zu sicherheitsrelevanten Gewinnen führen kann ...
Noch wichtiger ist, dass die humanitäre Krise in Gaza Israel jetzt ein diplomatisches Druckmittel in die Hand gibt, um Zugeständnisse zu erreichen ... Vor allem aber wird dadurch die amerikanische Eile, eine Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen, gebremst."
Die unausweichliche Logik dieser Analyse besteht also darin, den Status quo beizubehalten: Wenn es nicht funktioniert, Geiseln zu befreien oder die Hamas zu schächen, kann man der israelischen Öffentlichkeit vorgaukeln, dass es "funktioniert", wenn man die Zivilbevölkerung zwingt, aus ihren zerstörten Gemeinden zu fliehen (was Dichter die "Gaza-Nakba" nennt).
Während die "Nakba-Doktrin" greift, schwinden die günstigen Bedingungen für die Freilassung der Geiseln (die die Hamas von einem langen Waffenstillstand und humanitären Lieferungen abhängig macht) dahin. Die IOF kann entweder das eine oder das andere haben: Entweder kontinuierliche Zerstörung oder Bedingungen für die Freilassung von Geiseln. (Wie es scheint, hat sich das Kabinett für Ersteres entschieden.)
Das andere (tiefgreifendere) Dilemma besteht darin, dass der internationale Druck für einen Waffenstillstand (und die Freilassung der Geiseln) immer größer wird. Die Zeit ist knapp, und die Militäroperation muss möglicherweise eingestellt werden. Für das Kabinett Netanjahu stellt sich die Frage, ob die Massaker an der Zivilbevölkerung und der Druck der Nakba im Gazastreifen wieder aufgenommen werden können, sobald sie einmal eingestellt wurden.
In diesem Zusammenhang bewegt sich die Stimmung in der israelischen Bevölkerung – selbst unter den ehemaligen Liberalen – in Richtung einer "Großen Nakba". Gaza steht unter Nakba-Druck. Das gilt auch für das Westjordanland, wo die Gewalt der Siedler gegen die Palästinenser zunimmt. Selbst ein "Liberaler" wie der frühere Oppositionsführer Lapid ist nun der Meinung, dass die "Siedler" im besetzten Westjordanland gar keine "Siedler" seien, da es sich bei dem Land lediglich um das "biblische Land Israel" handelt.
Die Nakba-"Ambitionen" weiten sich auch auf den Südlibanon (bis zum Litani-Fluss) aus. Die radikalen Mitglieder der Netanjahu-Regierung sagen, dass die Israelis niemals in den an den Libanon angrenzenden Kibbuz zurückkehren werden, wenn die Hisbollah nicht aus dem Grenzgebiet entfernt wird.
So wird der Ruf laut, "Israel" solle den Libanon bis zum Litani (einer wichtigen Wasserquelle) "einnehmen" – und "zufälligerweise" hat die israelische Luftwaffe begonnen, bis zu 40 km innerhalb des Libanon zu operieren. Kabinettsmitglieder sprechen jetzt offen davon, dass die IOF ihre Aufmerksamkeit auf die Hisbollah richten muss, sobald die Hamas "ausgelöscht" ist.
An der Nordgrenze wird es unweigerlich heißer. Die Hisbollah setzt ihre immer ausgefeilteren und tödlicheren Waffen gegen IOF-Stellungen im Norden "Israels" ein, während die "Einsatzregeln" ständig verschwimmen. Und "Israel" antwortet mit Angriffen, die sich immer tiefer in den Südlibanon verlagern (angeblich, um die rückwärtige Infrastruktur der Hisbollah zu treffen).
Gestern Abend stimmte das israelische Kriegskabinett dafür, der Hisbollah einen schweren Schlag zu versetzen – Netanjahu lehnte jedoch ab. Berichten zufolge vermuten die USA, dass "Israel" die Hisbollah provoziert, in der Hoffnung, die USA zu einem Krieg gegen den Libanon zu verleiten.
Das Weiße Haus ist offensichtlich bemüht, das Abgleiten in einen umfassenden regionalen Krieg zu vermeiden, da sich sowohl die libanesische als auch die irakische Front aufheizt: Am Sonntag feuerten irakische Bewegungen erneut Raketen auf den amerikanischen Stützpunkt in Shaddadi.
"Israel" empfindet die gegenwärtige Krise als existenzielles Risiko, aber auch als "Chance" – eine Chance, "Israel" auf lange Sicht in "seinen biblischen Gebieten" zu etablieren. Es gibt keinen Zweifel – dies ist die Richtung, in die sich die israelische Volksstimmung bewegt, sowohl vom linken als auch vom rechten Flügel, hin zu einer blutigen Eschatologie.
So schrieb ein prominenter israelischer Kommentator, nachdem er den (unsubstantiierten) 47-minütigen IOF-Film über die Ereignisse vom 7. Oktober gesehen hatte:
"Nachdem ich den Film gesehen habe, habe ich kein Mitleid mit irgendeinem Menschen in Gaza, nicht mit einer Frau, nicht mit einem Kind und schon gar nicht mit einem Mann. Jeder hat einen schmerzhaften Tod verdient, ihr seid alle mitschuldig an diesem Massaker. Ich hoffe, dass in Gaza niemand mehr am Leben ist, Punkt! ... Ich bin mir sicher, dass euer Gott euch verachtet, sich für euch schämt und euch in der Hölle verbrennen würde, so wie es die IDF jetzt mit euch tut."
Der "Stamm der Amalekiter" wird heute häufig zitiert. (König Saul befiehlt Samuel im ersten Buch Samuel, alle Amalekiter zu töten: "Verschone sie nicht; töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.")
Mit dem biblischen Stimmungsumschwung der Israelis steigt auch der Zorn der weltweiten Mehrheit. Und so sehen die Muslime die Krise als einen kompromisslosen Zivilisationskrieg – der Westen gegen "uns".
Die beiden parallel stattfindenden Konferenzen der Arabischen Liga und der OIC (die gleichzeitig in Riad stattfanden) unterstrichen den völligen Zusammenbruch des Images "Israels" in der islamischen Welt. Die Wut und Leidenschaft, die sich dabei entlud, war deutlich spürbar und verändert die neue Weltpolitik.
Im Westen zersplittert die Wut die politischen Strukturen des Mainstreams und verursacht eine breite Erschütterung. Die weltweiten Proteste sind massiv.
In dem Maße, wie sich "Israel" auf ein biblisches "Großisrael" zubewegt, wird die islamische Welt immer kompromissloser. Obwohl sich die Konferenzen nicht auf einen Aktionsplan einigen konnten, war das Bild von Präsident Raisi, der neben MbS saß, und die Tatsache, dass die Präsidenten Erdogan und Assad sich auf der Konferenz unter die Teilnehmer mischten, sehr beeindruckend.
Die strategischen Implikationen sind eindeutig: Israelis lehnen die Risiken eines Zusammenlebens mit Muslimen ab, und die Palästinenser erwidern diese Haltung gegenüber dem hebräischen Eiferer voll und ganz. Das alte Paradigma für eine politische Lösung ist obsolet geworden.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Die Ratingagentur Moody’s will die Bonität Italiens neu bewerten. Wenn sie den Daumen senkt und die Kreditwürdigkeit auf Ramsch-Niveau herabsetzt, könnte dies eine neue Eurokrise auslösen.
Die EU hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht und die überkommenen Schuldenregeln immer noch nicht reformiert. Gleichzeitig hat die EZB die Zinsen so weit erhöht, dass nun sowohl der schuldenfinanzierte EU-Aufbaufonds als auch mehrere Mitgliedsstaaten Probleme mit dem Schuldendienst bekommen.
Das Ergebnis könnte nun Italien zu spüren bekommen. Noch am Freitag will Moody’s die Bonität des Landes neu bewerten. Die Lage für die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone ist heikel, da die US-Experten das Land schon bisher nur ganz knapp über dem Ramsch-Status ansiedeln.
Eine Herabstufung hätte für Italien, andere Länder und auch die Währung der Euro-Zone voraussichtlich gravierende Folgen: Die Renditen italienischer Anleihen würden steigen und damit die Refinanzierungskosten des hoch verschuldeten Staates erhöhen, heißt es bei „Reuters“.
Auch andere Südstaaten der Euro-Zone könnten dann in den Abwärtsstrudel geraten. Als Folge einer solchen Kaskade dürfte auch der Euro unter Druck geraten…
@KK „Das kommt davon, wenn man Faschisten wählt!“ – Der „Faschist“ Marcon lässt seine Untertanen übrigens länger arbeiten – das ist ein Zugeständnis an „die Märkte“, damit die Zinsen für die Staatskredite nicht zu hoch werden.
Im übrigen ist die EU nicht für die 500 Mio. Bürger da, sondern für die Millionäre unter den EU-Bürgern. Bevor die „Umverteilungsmaschine EU“ zerfällt, friert eher die Hölle zu.
Siehe auch meinen vorigen Kommentar zum Thema Geld ( https://lostineu.eu/lost-in-ukraine-streit-ueber-russland-sanktionen-und-hoffen-auf-waterloo/#comment-56673 ): Die EU hat so viele Zombies in schlecht gesicherten Kellerverliesen versteckt, dass die großsprecherische Attitüde „Ey – guckt mal alle her: Wir strotzen nur so vor Kraft, dass wir den Green Deal, EU-Erweiterung, Hyper-Rüstung, etc. mit links schultern“ eher ein Pfeifen im Wald als das Ergebnis einer ehrlichen Analyse ist.
Warum kann die EU solche ausländischen Organisationen nicht auf ihre Terrorliste setzen?
Heute schlägt das Imperium zurück, nachdem gestern das Europäische Honoratiorengremium European Council on Foreign Relations (ECFR) verkündete: Mehrheiten in der ganzen Welt halten es für denkbar, „dass die EU innerhalb der nächsten 20 Jahre zerfallen und die USA womöglich nicht mehr als Demokratie fortbestehen“ könnte. Das Imperium meint, dass der Vasall solche Wahrheiten nicht verkünden darf.
„…dass … USA womöglich nicht mehr als Demokratie fortbestehen“
Das mit den USA wird schon nach der kommenden Wahl eintreten, falls Trump erneut als Kandidat aufgestellt wird; der ist schon dabei, in seinen Reden eine faschistische Ideologie vorzubereiten, falls er gewinnt, und im Falle einer Niederlage seine Anhänger zu einem Bürgerkrieg aufzustacheln.
Heute gab es in Italien ja wohl auch Proteste des öffentlichen Dienstes, weil die Regierung im neuen Haushalt wegen fehlender Mittel aufgrund von Steuersenkungen den öffentlichen Sektor massiv zusammenzustreichen beabsichtigt.
Interessant, dass gerade jetzt auch noch die US Ratingagenturen in die ohnehin schon großen Probleme hineingrätschen. Dürfen wieder Wetten auf den Untergang eurpäischer Länder angenommen werden?
„Meanwhile, only a fifth of Italy’s debt costs actually leave the country to foreign creditors, he said. That’s because half of its borrowings are held by domestic investors, with the remainder bought up by the European Central Bank. Payments on those latter bonds then return to the Italian Treasury, according to Nielsen.“
Nur ein Fünftel der Bonds verlässt überhaupt das Land. Vier Fünftel werden von den Italienern selbst, italienischen Banken, Pensionsfonds etc. getragen. Italien’s Zinslasten sind auch nicht überdurchschnittlich hoch, sondern liegen sogar leicht unter dem Niveau der UK.
Wenn die EZB weiterhin ihre völlig falsche Zinspolitik betreibt, wird es noch mehr Ärger in der Eurozone geben. Gleichzeitig ist die Politik gefragt, endlich die Nutznießer heranzuziehen und die willkürlich gewählten Gewinne an der Quelle abzuschöpfen. Deutschland stolpert sich derweil über das hausgemachte Schuldenbremsenproblem in die Bewegungslosigkeit. Diesmal ist nicht Putin schuld, sondern das Bundesverfassungsgericht. Habeck „warnt“ vor Abwanderung der deutschen Industrie.
Ich finde bei allem immer lustig, wenn Leute vor den Auswirkungen ihrer selbstgeschaffenen Probleme warnen
Wieso das Verfassungsgericht? Das MUSS nach Gesetzeslage urteilen, nicht nach Verstand. Der allerdings hat denjenigen gefehlt, die die Schuldenbremse in das Grundgesetz und die Länderverfassungen gehoben haben. Mit 2/3 Mehrheit kann das mit Verstand auch wieder raus. Ich bezweifle nur, dass unsere Politiker noch genügend Sachverstand aufbringen können. Aber ganz sicher ist an DEM Dilemma auch „der Putin“ schuld…
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Polnische Lkw-Fahrer protestieren gegen Dumping aus der Ukraine und blockieren mehrere Grenzübergänge. Die Regierung in Kiew will das nicht hinnehmen und hat die EU-Kommission eingeschaltet. Diese gibt nun der Ukraine Recht: Eine Wiedereinführung von Genehmigungen oder Quoten für den Lkw-Transport sei „rechtlich nicht möglich“, heißt es in Brüssel. Mit anderen Worten: Nicht nur die polnischen Bauern, auch die Lkw-Fahrer sind „lost in Ukraine“ – einmal gewährte Ausnahmen lassen sich kaum noch zurücknehmen…
Erstaunlich übrigens, dass es noch ukrainische LKW-Fahrer gibt, die denjenigen aus der EU Konkurrenz noch machen können; müssten die nicht alle an der Front sein und ihr Vaterland – und natürlich ganz besonders unsere Freiheit und Demokratie – verteidigen?
Oder sind da jetzt alles nur noch Frauen mit LKW-Fahrerlaubnis (oder sagt man in Banderistan weiterhin „Führerschein“?) auf dem Bock?
Zumindest in Deutschland braucht man als Spediteur eine Lizenz nach Güterkraftverkehrsgesetz und Berufszugangsvoraussetzungen. Diese wird von den jeweiligen Gemeinden vergeben. Man kann nicht einfach einen LKW kaufen und gewerbliche Transporte durchführen.
„Rechtlich nicht möglich“ ist eine bizarre Begründung. Welches Recht wäre das denn? Gelten für Beitrittskandidaten auch schon die vier Grundfreiheiten (davon hätte ich noch nie gehört)? Oder was für ein rechtliches Hindernis gäbe es da? Komisch, die ganze Angelegenheit.
@ Alexander was rechtlich möglich oder bizarr oder gar völkerrechtswidrig ist… dont worry „be happy!“ , denn das wird, jeweils aus dem Stand der Dinge und aktuell angesagten Interessen heraus, völlig unkompliziert, sozusagen ad hoc aus dem Stand „on demand“ produziert. Tja, auch die Halbwertszeit von Gesetz und Recht hat sich stark verkürzt… Da gilt nichts mehr mit einem Gesetz gesetzt! Gesetze sind da, um für den Moment den Interessen ein eindruckschindendes „Prüfsiegel rechtlich einwandfrei“ zu verpassen. Wir sind in die Phase „fluiden Rechts“ eingetreten. Die nächste ist dann hyperfluides, sprich: überflüssiges Recht. Erschreckend, wie genau mein Sarkasmus schon den Ist-Zustand widerspiegelt.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Kommt es zum Eklat um Israel und die Hamas? Vor dem Besuch von Sultan Erdogan bei Kanzler Scholz herrscht Hochspannung in Berlin. Doch der Terrorismus ist längst nicht das einzige brisante Thema – und niemand hat die Moral gefressen.
Erdogan hatte die Ermordung vieler hundert israelischer Zivilisten beim Terrorangriff am 7. Oktober zwar verurteilt, die Hamas aber später als „Befreiungsorganisation“ bezeichnet. Israel bezeichnete er dagegen als „Terrorstaat“ und stellte sogar dessen Existenzrecht infrage.
Das sorgt für Empörung in Berlin, wo man genau andersherum denkt. Allerdings wendet die Bundesregierung doppelte Standards an, wenn sie russische Kriegsverbrechen in der Ukraine brandmarkt und sanktioniert, Israels Kriegsverbrechen in Gaza hingegen ignoriert.
Genauso zynisch handelt Erdogan, wenn er sich als Beschützer der Palästinenser und Gegner der israelischen Offensive präsentiert. Denn die türkische Armee geht ähnlich brutal vor – gegen Kämpfer der PKK in Syrien. Auch bei diesem „Krieg gegen den Terror“ gibt es viele zivile Opfer.
Scholz wiederum drückt beide Augen zu, wenn es um den türkischen Einmarsch in Syrien geht – denn er möchte mit Erdogan einen neuen Flüchtlingsdeal abschließen. Mitten im Nahost-Krieg mit seinen vielen Fronten wird „Realpolitik“ auf Kosten der Menschen gemacht.
Und da haben wir noch gar nicht über die Nato und die türkische Blockade des Schweden-Beitritts, mehr oder weniger geheime Waffendeals und deutsche Wirtschaftsinteressen in der Türkei geredet. Diese wilde Gemengelage fördert doppelte Standards auf beiden Seiten…
P.S. Die Türkei drängt auf ein deutsches Ja zum Kauf von Eurofighter-Jets. Ankaras Interesse an 40 Kampfflugzeugen sei der Regierung bekannt, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Der türkische Verteidigungsminister Yasar Güler hatte zuvor gesagt, man beabsichtige 40 der Kampfflugzeuge zu kaufen…
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Nachrichten von Pressenza: EU-Kommisson will Glyphosat-Zulassungsverlängerung
EU-Kommisson will Glyphosat-Zulassungsverlängerung
Auch im EU-Berufungsausschuss fand sich heute unter den Mitgliedsländern keine qualifizierte Mehrheit für eine Glyphosat-Zulassungsverlängerung. Trotzdem kündigte die EU-Kommission an, das umstrittene BAYER-Herbizid für zehn weitere Jahre genehmigen zu wollen und demnächst einen entsprechenden Beschluss vorzulegen. Damit würden sich von…
Offener Brief eines Ukrainers, der im Gefängnis sitzt, weil er für den Frieden spricht
Grüße aus Kiew. Gestern wurde meine Stadt wieder durch Luftschutzsirenen gestört, so dass ich aus der wissenschaftlichen Bibliothek von Vernadsky rannte, um mich im nächstgelegenen Schutzraum, einer U-Bahn-Station, zu verstecken. Die rücksichtslose russische Aggression gegen die Ukraine geht weiter, ebenso…
Berlin will Mittel für Waffenlieferungen an die Ukraine verdoppeln. Laut Experten muss Kiew entscheiden, ob es verhandelt oder 2024 neue Offensiven plant. Dafür wäre massive High-Tech-Aufrüstung nötig. Die Bundesregierung will Berichten zufolge die Mittel für Waffenlieferungen an die Ukraine im…
Mehr Zeit für Patienten: In Kärntner Pflegeheimen erledigt Künstliche Intelligenz die Schreibarbeit
Pflegekräfte brauchen viel Zeit für Schreibarbeit. Nach der Visite sitzen sie oft stundenlang vorm Computer. Zeit, die ihnen für ihre Patienten fehlt. In Kärntner Pflegeheimen erledigt bald Künstliche Intelligenz die Arbeit. Pflegekräfte sprechen ihre Dokumentation ein – die KI macht…
Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.
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18.11.2023
Aktualisierte Einladung zum FORUM am 29.11.2023
Liebe Palästina- und Israel-Interessierte,
mit der Referentin, Tamar Amar-Dahl, sind wir uns einig, dass Vortrag,
Titel und Inhalt auf die Aktualität abgestimmt werden müssen.
Dementsprechend verschicken wir die aktualisierte Einladung zu unserem
nächsten FORUM im November:
*Mittwoch, 29. November 2023 - 19:00 Uhr **
**Referentin: Dr. Tamar Amar-Dahl**
**Thema:**Neozionismus, Besatzung und Krieg in Israel/Palästina
**Ort: Stadtteilzentrum Vahrenwald, Vahrenwalder Str. 92, Stadtbahn
Dragonerstr.*
Der Angriff der Hamas auf israelische Ortschaften nahe Gaza entfachte
einen neuen Gaza-Krieg. Israels offizielles Kriegsziel, die
militärischen Kapazitäten der Hamas zu vernichten und ihr Regime in Gaza
zu stürzen, wurde in Israel unangefochten hingenommen. Angesichts des
Ausmaßes der Attacke wird der gegenwärtige Krieg sogleich als
klassischer Verteidigungs-Krieg wahrgenommen. Zweifel über die
Machbarkeit solcher Zielsetzungen bleiben dabei außen vor, auch die
Frage des verheerenden Preises an Menschenleben und der Zerstörungen
eines solchen „Vernichtungskrieges“. Die Kontext-Frage findet erst recht
kaum Platz im israelischen Diskurs. Dabei war der 7. Oktober als
Höhepunkt im anlaufenden Jahr gedacht. Netanjahu löste seit Januar 1923
mit der „Justizreform“ seiner sechsten Regierung zur Schwächung der
Demokratie in Israel beispiellose, da dauerhafte Massen-demonstrationen
über neun Monate aus: Das ganze Land war so gespalten, dass sogar ein
innerjüdischer Bürgerkrieg befürchtet wurde. Wer sind die Kontrahenten
dieses innerjüdischen Kampfes und wie hängt dieser mit dem
israelisch-palästinensischen Konflikt zusammen? Die Antwort der
israelisch-deutschen Historikerin Amar-Dahl liegt im hierzulande wenig
bekannten Begriff des „Neozionismus“. In ihrem neuen Buch arbeitet sie
die Politischen Verhältnisse Israels in den letzten drei Jahrzehnten
heraus. Ihr Fazit: Die Jahrtausendwende markierte eine Zäsur: Israels
Entscheidung, den bewaffneten Volksaufstand der Palästinenser 2000 als
Terrorismus einzustufen und niederzuschlagen, diente als Legitimation
des Besatzungssystems und schwächte die linkszionistischen Kreise mit
ihrer Friedensideologie. In der tiefsten Sinnkrise des Landes verschoben
sich die politischen Verhältnisse, so dass rechtsradikale Kräfte
zunächst salonfähig und dann immer stärker wurden. Die Wiederwahl von
Netanjahu 2009 und 2022 markiert den Siegeszug des Neozionismus
Die folgenden Fragen stehen im Fokus des Vortrags:
- Wie entsteht in Israel der Konsens für den Krieg?
- Welche Rolle spielt dabei die 56jährige Besatzung der Gebiete Palästinas?
- Wie verhält sich die Okkupation zum Zivilmilitarismus, also zum
gesellschaftlichen Konsens für Israels Kriegspolitik?
- Inwieweit erleben wir mit der seit Jahren andauernden Regierungskrise
eine Art Implosion des politischen Systems?
- Welche Rolle spielt dabei der umstrittene Premierminister Benjamin
Netanjahu?
- Der 7.10.2023: Der Anfang vom Ende des zionistischen Israel?
Dr. Tamar Amar-Dahl: in Berlin ansässige, unabhängige
israelisch-deutsche Historikerin befasst sich mit Israels Geschichte,
Politik und politischer Kultur. Studium der Philosophie und Geschichte
in Tel Aviv, Hamburg und München. An der Ludwig-Maximilian-Universität
München hat sie mit einer intellektuellen Biografie über den
israelischen Politiker Shimon Peres promoviert. Unterrichtet hat sie an
der Freien Universität und an der Humboldt Universität Berlin.
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mit der Referentin, Tamar Amar-Dahl, sind wir uns einig, dass Vortrag,
Titel und Inhalt auf die Aktualität abgestimmt werden müssen.
Dementsprechend verschicken wir die aktualisierte Einladung zu unserem
nächsten FORUM im November:
*Mittwoch, 29. November 2023 - 19:00 Uhr **
**Referentin: Dr. Tamar Amar-Dahl**
**Thema:**Neozionismus, Besatzung und Krieg in Israel/Palästina
**Ort: Stadtteilzentrum Vahrenwald, Vahrenwalder Str. 92, Stadtbahn
Dragonerstr.*
Der Angriff der Hamas auf israelische Ortschaften nahe Gaza entfachte
einen neuen Gaza-Krieg. Israels offizielles Kriegsziel, die
militärischen Kapazitäten der Hamas zu vernichten und ihr Regime in Gaza
zu stürzen, wurde in Israel unangefochten hingenommen. Angesichts des
Ausmaßes der Attacke wird der gegenwärtige Krieg sogleich als
klassischer Verteidigungs-Krieg wahrgenommen. Zweifel über die
Machbarkeit solcher Zielsetzungen bleiben dabei außen vor, auch die
Frage des verheerenden Preises an Menschenleben und der Zerstörungen
eines solchen „Vernichtungskrieges“. Die Kontext-Frage findet erst recht
kaum Platz im israelischen Diskurs. Dabei war der 7. Oktober als
Höhepunkt im anlaufenden Jahr gedacht. Netanjahu löste seit Januar 1923
mit der „Justizreform“ seiner sechsten Regierung zur Schwächung der
Demokratie in Israel beispiellose, da dauerhafte Massen-demonstrationen
über neun Monate aus: Das ganze Land war so gespalten, dass sogar ein
innerjüdischer Bürgerkrieg befürchtet wurde. Wer sind die Kontrahenten
dieses innerjüdischen Kampfes und wie hängt dieser mit dem
israelisch-palästinensischen Konflikt zusammen? Die Antwort der
israelisch-deutschen Historikerin Amar-Dahl liegt im hierzulande wenig
bekannten Begriff des „Neozionismus“. In ihrem neuen Buch arbeitet sie
die Politischen Verhältnisse Israels in den letzten drei Jahrzehnten
heraus. Ihr Fazit: Die Jahrtausendwende markierte eine Zäsur: Israels
Entscheidung, den bewaffneten Volksaufstand der Palästinenser 2000 als
Terrorismus einzustufen und niederzuschlagen, diente als Legitimation
des Besatzungssystems und schwächte die linkszionistischen Kreise mit
ihrer Friedensideologie. In der tiefsten Sinnkrise des Landes verschoben
sich die politischen Verhältnisse, so dass rechtsradikale Kräfte
zunächst salonfähig und dann immer stärker wurden. Die Wiederwahl von
Netanjahu 2009 und 2022 markiert den Siegeszug des Neozionismus
Die folgenden Fragen stehen im Fokus des Vortrags:
- Wie entsteht in Israel der Konsens für den Krieg?
- Welche Rolle spielt dabei die 56jährige Besatzung der Gebiete Palästinas?
- Wie verhält sich die Okkupation zum Zivilmilitarismus, also zum
gesellschaftlichen Konsens für Israels Kriegspolitik?
- Inwieweit erleben wir mit der seit Jahren andauernden Regierungskrise
eine Art Implosion des politischen Systems?
- Welche Rolle spielt dabei der umstrittene Premierminister Benjamin
Netanjahu?
- Der 7.10.2023: Der Anfang vom Ende des zionistischen Israel?
Dr. Tamar Amar-Dahl: in Berlin ansässige, unabhängige
israelisch-deutsche Historikerin befasst sich mit Israels Geschichte,
Politik und politischer Kultur. Studium der Philosophie und Geschichte
in Tel Aviv, Hamburg und München. An der Ludwig-Maximilian-Universität
München hat sie mit einer intellektuellen Biografie über den
israelischen Politiker Shimon Peres promoviert. Unterrichtet hat sie an
der Freien Universität und an der Humboldt Universität Berlin.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
[bundesausschuss_friedensratschlag] Rundbrief Nummer 3 zur Demonstration am 25.11.2023
Rundbrief Nummer 3 zur Vorbereitung der Demonstration Die Vorbereitung der Demonstration nimmt Fahrt auf. Die Mobilisierung nimmt deutlich zu, mehr und mehr Busse werden bestellt, Mitfahrgelegenheiten organisiert. In Berlin werden noch 5000 Plakate geklebt. Die Zahl der Aufrufe und der unterstützenden Erklärungen steigt stündlich. Die Friedensbewegung orientiert in Vielfalt auf Berlin. Leider ist es noch nicht gelungen, die fast 100% Medienblockade zu durchbrechen. Und es könnte auch noch viel getan werden, um
die Vorbereitung breiter gesellschaftlich zu verankern.
Die zugesagten Rednerinnen und Redner bringen die Breite unseres Protestes zum Ausdruck.
Wir freuen uns auf die Rednerinnen und Redner (in alphabetischer Reihenfolge)
• Petra Erler (ehem. Kabinettchefin der Europäischen Kommission für „Unternehmen und Industrie“ • Ates Gürpinar (stellvertr. Vorsitzender DIE LINKE), • Iris Hefets (Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost), • Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz (Autorin, Publizistin), • Michael Müller (ehem. Staatsekretär im Umweltministerium, MdB a.D., Vorsitzender der NaturFreunde), • Dr. Michael von der Schulenburg (Diplomat, Assistant General Secretary des UN Generalsekretärs), • Dr. Sahra Wagenknecht (MdB, BSW).
Begrüßung im Namen der Initiator:innen: Reiner Braun
Moderation: Wiebke Diehl und Jutta Kausch-Henken Werbt für Berlin! Kommt selbst! Bringt viele mit! Die Friedensdemonstration soll groß werden!
Verhelft ihr zum Erfolg!!!
Alle aktuellen Informationen zur Demonstration findet ihr auf der Webseite:
www.nie-wieder-krieg.org
Unter https://nie-wieder-krieg.org/presse-und-oeffentlichkeit/ findet ihr auch die aktuellen
Pressemitteilungen sowie Mobilisierungsvideos zur Unterstützung
Ordnerinnen und Ordner
werden nach wie vor gesucht. Bitte meldet euch, wenn Ihr euch dort einsetzen wollt.
Finanzen Eine dringende Bitte! Wir sparen, wo wir können und machen fast alles ehrenamtlich. Aber: Selbst bei sparsamstem Wirtschaften und ausschließlich ehrenamtlicher Tätigkeit kostet die Demonstration Geld. Die Veranstaltung muss durch Spenden finanziert werden: Wir bitten daher, auf das Konto der Friedens- und Zukunftswerkstatt bei der Frankfurter Sparkasse, IBAN DE20 5005 0201 0200 0813 90, großzügig zu spenden. Da die Friedens- und Zukunftswerkstatt als gemeinnützig anerkannt ist, können Spenden steuerlich geltend gemacht
werden.
Anreise per Bus oder Bahn: Einen aktuellen Überblick über Busse und Gruppen-Bahnreisen, findet ihr auf der Webseite. Wenn ihr weitere Informationen besitzt, lasst uns diese bitte zukommen. Der Bushalteplatz, an der die Demoteilnerhmer:innen aussteigen können, sowie die Parkplätze der Busse während der Demo, werden gesondert bekannt gegeben.
Alle Informationen unter: https://nie-wieder-krieg.org/busse-und-mitfahrgelegenheiten/
Infostände Infostände sind möglich. Sie können aufgebaut werden auf dem Platz rechts neben der Straße des 17. Juni vor dem Tiergartenpark mit Blick auf das BT (Westeite)
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Brennende Leoparden reichen nicht: Erneute Debatte um "Taurus"-Marschflugkörper für Kiew
freedert.online, 17 Nov. 2023 11:01 Uhr, Von Dagmar Henn
Irgendwie kriegen sie den Hals nicht voll. Oder sie lernen einfach nicht. Die Briten haben zumindest gelernt, den Panzern, die sie in die Ukraine geschickt haben, Frontausflüge zu verbieten. Aber die brennenden Leopard-Panzer reichen nicht. Jetzt wird schon wieder über "Taurus" debattiert.
Kriegsfans bei Kundgebung von Scholz in München, 18.08.2023
Und da sind sie wieder, die "Taurus"-Marschflugkörper. Jetzt stellt die CDU einen Antrag im Bundestag … man solle sich doch nicht so haben, das sei schon keine Kriegsbeteiligung, und damit könne man auch die Brücke von Kertsch kaputt machen.
Eigentlich ist es nur noch bizarr, zu einem Zeitpunkt unbedingt nachlegen zu wollen, zu dem selbst in den USA gerade die Hauptfrage ist, wie man denn Selenskij am besten loswerden könnte, gegen wen man ihn tauschen soll (Pentagon und CIA scheinen da etwas uneins zu sein) und überhaupt das ganze Thema Ukraine zu den Akten legen könnte, ehe allzu deutlich wird, dass das Patt kein Patt ist, sondern eine Niederlage.
Allzu tief stecken die Abgeordneten der CDU/CSU ihre Nase ohnehin nicht in die militärischen Berichte. Sonst wäre ihnen aufgefallen, dass in den letzten Wochen die Zahl abgeschossener ukrainischer Flugzeuge massiv gestiegen ist; das soll an einer Kombination aus einem verbesserten AWACS mit neuen Luft-Luft-Raketen liegen. Wie auch immer, wenn mehr Flugzeuge abgeschossen werden, dann hat das auch Folgen für alles, was von diesen Flugzeugen aus abgeschossen wird, und die Taurus ist nun einmal eine Luft-Boden-Rakete.
Die Tagesschau, neutral informierend wie immer, hält Bundeskanzler Olaf Scholz gleich Defätismus vor:
"Hinter der Debatte um "Taurus" steht zunehmend die strategische Frage, was will der Kanzler mit der Ukraine-Unterstützung erreichen? Will er die aktuelle Pattsituation auf dem Schlachtfeld halten oder will er, dass die Ukraine den Krieg vielleicht doch gewinnt?"
Das ist schon kühn. Die Ukraine soll gewinnen? Auf welchem Planeten war der Tagesschau-Kommentator während der großen ukrainischen Offensive? Nein, es wird die nächste Wunderwaffe aufgebaut, eine V2 im Endlosrotator, statt endlich einmal wenigstens wahrzunehmen, was mit dem Land, das man vorgeblich unterstützen will, tatsächlich geschieht.
Der CDU-Kriegspolitiker Roderich Kiesewetter meint gleich, das Ziel müsse sein, "die Krim Russland zu entreißen, und ein Mittel dazu ist Taurus." Vielleicht mag ihm jemand die russische Nukleardoktrin als Bettlektüre aufs Nachtkästchen legen – wenn seine Fantasie je Wirklichkeit werden könnte (was sie glücklicherweise nicht kann), wäre das ein Fall, in dem sie aktiviert werden könnte.
Auch aus der FDP gibt es Stimmen, die unbedingt noch diese Marschflugkörper in der Ukraine unterbringen wollen. Der Bundestagsabgeordnete Alexander Müller meinte, man dürfe nicht abermals den Fehler zu zögerlicher Debatten machen. Tatsächlich wurden die eigentlich entscheidenden Punkte in den Debatten zumindest im Bundestag nie behandelt; schließlich ist die Feindstaatenklausel in der UN-Charta nie außer Kraft gesetzt worden, und es liegt nach wie vor völlig in russischer Hand, wann etwas als Kriegsbeteiligung gesehen wird und wann nicht.
Irgendwie teilt man zwanghaft den Kiewer Traum, die Brücke von Kertsch zu zerstören. Das könnte auch Ausfluss eines Minderwertigkeitskomplexes sein, in dem Land, das inzwischen deutliche Probleme hat, so etwas wie Flughäfen, Bahnlinien und Brücken überhaupt noch gebaut zu bekommen. Es ist schon eine Zumutung, ständig von neuen U-Bahn-Linien in Moskau lesen zu müssen, oder eben von dieser in Rekordzeit gebauten Brücke, oder von der in einem Jahr gebauten Million Wohnungen in Russland zu lesen, und selbst in Berlin zu sitzen, wo der Umbau einer einzelnen Straße gern mal in Jahren geplant wird. Ich bin mir fast sicher, dass die Berichte von der Straßenreinigung in San Francisco anlässlich des Besuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Berlin bei vielen den Wunsch hervorriefen, er möge doch auch die Bundeshauptstadt besuchen; nur leider ist Berlin längst nicht mehr wichtig genug dafür.
Geradezu niedlich ist folgende Aussage der Union im Antrag: "Es gibt keinen Grund, an den ukrainischen Zusagen zu zweifeln." Das nur wenige Tage, nachdem beim Versuch, die Ukraine, oder insbesondere Saluschnyj, für die Sprengung von Nord Stream verantwortlich zu machen, noch einmal nachgelegt wurde. Wäre diese Zuschreibung wirklich ernst gemeint, wäre es durchaus gerechtfertigt, der Ukraine diese Raketen zu schicken – aber von deutschen Flugzeugen gestartet, auf ukrainische Ziele. (Dass jetzt mit dieser Geschichte auf Saluschnyj gezielt wurde, ist übrigens das Indiz für die Uneinigkeit zwischen Pentagon und CIA).
In Wirklichkeit dürfte es darum gehen, der Rüstungsindustrie ein Stück von dem Markt zu sichern, den die britischen Storm Shadows durch ihre doch eher schwächere Performance verloren haben. Eine Illusion, wie sie auch die Lieferung deutscher Leopard-Panzer getrieben haben dürfte, bis die ersten davon auf frischen Videos in Flammen aufgingen. Eine realistische Sicht auf diese Waren und ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit bestand noch nie. Und die Zeit, diese Dinger noch an die Ukraine liefern zu können, läuft ab; schließlich muss es dazu noch eine Ukraine geben.
An sich könnte man diese Aufforderung, nun auch noch das letzte ungenutzte Stück Rüstungsmaterial nach Kiew zu liefern, getrost zu den Akten legen – wenn nicht schon seit Wochen von möglichen Koalitionswechseln geraunt würde und die Ampel-Regierung gerade dank des Verfassungsgerichtsurteils mit der Nase vor der Wand stünde. Da könnte die Taurus-Fantasie der Union noch zum Teil eines Verhandlungspakets werden, und man weiß ja, wie viel Standhaftigkeit von Olaf Scholz erwartet werden kann. Oder wie viel Weitsicht.
Jetzt sollen ausgerechnet aus Deutschland ausgerechnet die Waffen geliefert werden, die am tiefsten in russisches Territorium reichen, und die die Ukrainer, so wie wir sie kennen, mit absoluter Sicherheit nicht nur gegen die Brücke von Kertsch, sondern mindestens ebenso gern auf zivile Ziele hinter der russischen Grenze richten würden. Ausgerechnet jetzt, während in Washington hinter vorgehaltener Hand bereits debattiert wird, wie viel Ukraine am Ende wohl übrig bleiben könnte, wenn überhaupt. Diese Vorgehensweise als Eselei zu bezeichnen, würde den Nagel nur ansatzweise auf den Kopf treffen.
Es ist ja gut und schön, jede Zeile der Konzernpresse und jede Sendeminute der Fernsehnachrichten mit Propaganda zu füllen. Die gegenwärtige Generation in Berlin erzeugt so etwas aber nicht nur, sie glauben selbst daran. So Kiesewetter:
"Wollen wir, dass die Ukraine gewinnt? Oder soll die Ukraine in einen Diktatfrieden gedrängt werden, der mit Putin verhandelt wird?"
Dabei sind die Spielregeln doch ganz einfach. Wenn man meint, auf Diplomatie verzichten zu können – und eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ist ein ganz manifester, physischer Verzicht auf Diplomatie – muss man sich damit abfinden, dass der Frieden vom Sieger entschieden wird. Und man muss nur an die Einberufung von Frauen und Behinderten durch Kiew denken, um zu erkennen, dass der Sieger nicht Ukraine heißen wird.
Obwohl – letztlich wäre ein Ende der Kiewer Macht, ein Ende der Bandera-Ideologie ein Sieg für die Ukraine. Denn diese naziverherrlichende, fremdgesteuerte Truppe, die dort derzeit herrscht, ruiniert vor allem ihr eigenes Land. Aber dieser Gedanke ist drei Ebenen zu komplex für das Berliner Personal, das es noch nicht einmal schafft, den ungeheuren Blutzoll wahrzunehmen, den diese "Verteidigung der Freiheit" (also der US-Hegemonie) den Ukrainern abverlangt.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Russisch-Ukrainischer Krieg: Die Abrechnung Die Ukraine am Limit - Eine militärische Analyse von Big Serge
seniora.org, vom 16. November 2023, Von Big Serge 15. November 2023 - übernommen von bigserge.substack.com
Das letzte Argument von Königen
Der russisch-ukrainische Krieg war aus verschiedenen Gründen eine neuartige historische Erfahrung, und zwar nicht nur wegen der Feinheiten und technischen Einzelheiten des militärischen Unternehmens selbst. Dies war der erste konventionelle militärische Konflikt im Zeitalter der sozialen Medien und der planetarischen Kinematographie (d.h. der allgegenwärtigen Präsenz von Kameras). Damit erhielt der Krieg, der sich seit Jahrtausenden nur durch die Vermittlungskräfte von Kabelnachrichten, gedruckten Zeitungen und Siegesstelen offenbart hatte, einen Anstrich (wenn auch nur einen Anstrich) von Immanenz.
Für den ewigen Optimisten hatte die Vorstellung, dass ein Krieg mit hoher Intensität in Tausenden von Videos aus der ersten Person dokumentiert werden würde, auch Vorteile. Rein aus intellektueller Neugier (und kriegerischer Vorsicht) heraus bietet die Flut von Filmmaterial aus der Ukraine Einblicke in neue Waffensysteme und -methoden und ermöglicht ein bemerkenswertes Maß an Daten auf taktischer Ebene. Anstatt jahrelang auf die quälende Analyse von Einsatzberichten zu warten, um Gefechte zu rekonstruieren, können wir taktische Bewegungen nahezu in Echtzeit verfolgen.
Leider traten auch alle offensichtlichen Nachteile der Live-Übertragung eines Krieges in den sozialen Medien auf. Der Krieg wurde sofort sensationslüstern und mit gefälschten, erfundenen oder falsch beschrifteten Videos überschwemmt, die mit Informationen vollgestopft waren, die die meisten Menschen einfach nicht durchschauen können (aus offensichtlichen Gründen hat der Durchschnittsbürger keine umfassende Erfahrung mit der Unterscheidung zwischen zwei postsowjetischen Armeen, die ähnliche Ausrüstung verwenden und ähnliche oder sogar dieselbe Sprache sprechen), und mit Pseudo-Expertise.
Abstrakter ausgedrückt, wurde der Krieg in der Ukraine in ein amerikanisches Unterhaltungsprodukt verwandelt, komplett mit prominenten Wunderwaffen (wie dem Saint Javelin und dem HIMARS), Anspielungen auf die amerikanische Popkultur zum Stöhnen, Besuchen amerikanischer Berühmtheiten und Voiceover von Luke Skywalker. All dies passte ganz natürlich zum amerikanischen Empfinden, denn die Amerikaner lieben angeblich Außenseiter und insbesondere mutige Außenseiter, die durch Ausdauer und Kampfgeist extreme Widrigkeiten überwinden.
Das Problem bei dieser bevorzugten Erzählstruktur ist, dass die Außenseiter selten Kriege gewinnen. Die meisten größeren Konflikte unter Gleichgewichtigen haben nicht die herkömmliche Hollywood-Handlungsstruktur mit einem dramatischen Wendepunkt und einer Schicksalswende. Meistens gewinnt der mächtigere Staat den Krieg, d.h. der Staat, der in der Lage ist, über einen längeren Zeitraum mehr Kampfkraft zu mobilisieren und effektiv einzusetzen. Dies war in der amerikanischen Geschichte zweifellos der Fall – so sehr sich die Amerikaner auch danach sehnen mögen, sich als historischer Außenseiter darzustellen, so hat Amerika doch historisch gesehen seine Kriege gewonnen, weil es ein außergewöhnlich mächtiger Staat mit unwiderstehlichen und inhärenten Vorteilen gegenüber seinen Feinden war. Das ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Wie General George Patton bekanntlich sagte: Amerikaner lieben Gewinner.
So kam es zu einer verwickelten Situation, in der es trotz der vielen offensichtlichen Vorteile Russlands (die letztlich auf eine überlegene einheimische Fähigkeit zur Mobilisierung von Menschen, Industrieproduktion und Technologie zurückzuführen sind) zur "Propaganda" wurde, zu argumentieren, dass Russland in der Ukraine eine Art Sieg erringen würde – dass die Ukraine den Krieg beenden würde, nachdem es ihr nicht gelungen war, ihre Grenzen von 1991 wieder zu erreichen (Zelenskys erklärte Siegesbedingung) und das Land sich in einem Zustand demografischer Aushöhlung und materieller Zerstörung befand.
Endlich scheinen wir eine Phase der Auflösung erreicht zu haben, in der diese Ansicht – angeblich ein Artefakt des Kreml-Einflusses, in Wirklichkeit aber die einfachste und offensichtlichste Schlussfolgerung – unausweichlich wird. Russland ist ein größerer Kämpfer mit einem viel größeren Knüppel.
Die Vorstellung von einem Sieg der Ukraine beruhte fast ausschließlich auf einem erhofften dramatischen Erfolg einer Gegenoffensive im Sommer, die sich durch die russischen Stellungen in der Oblast Saporischschja bis zum Asowschen Meer durchschlagen, Russlands Landbrücke zur Krim unterbrechen und die gesamte strategische Lage Russlands gefährden sollte. Eine ganze Reihe von Annahmen über den Krieg sollten auf die Probe gestellt werden: die Überlegenheit westlicher Ausrüstung, Russlands geringe Reserven, die Überlegenheit westlich-ukrainischer taktischer Methoden, die Unflexibilität und Inkompetenz russischer Kommandeure in der Verteidigung.
Ganz allgemein – und vor allem – sollte damit der Beweis erbracht werden, dass die Ukraine erfolgreich gegen stark gehaltene russische Stellungen angreifen und vorrücken kann. Dies war natürlich eine Voraussetzung für einen strategischen Sieg der Ukraine. Wenn die ukrainischen Streitkräfte nicht vorrücken können, dann kann die Ukraine ihre Grenzen von 1991 nicht wiederherstellen, und der Krieg hat sich von einem Kampf um den Sieg in einen Kampf um eine abgewendete oder abgemilderte Niederlage verwandelt. Die Frage ist dann nicht mehr, ob die Ukraine verlieren wird, sondern nur noch, wie sehr.
Es ist sehr wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Ukrainer und ihre Gönner wirklich glaubten, die Asowsche Küste erreichen und Russland in eine operative Krise stürzen zu können, denn nur im Zusammenhang mit diesen Zielen lässt sich die Enttäuschung über den Angriff voll und ganz verstehen. Wir befinden uns jetzt (während ich diesen Satz schreibe) bei D+150 nach dem ersten massiven ukrainischen Angriff in der Nacht vom 7. zum 8. Juni, und die Gewinne sind gelinde gesagt mickrig. Die AFU sitzt in einer konkaven Vorwärtsposition fest, eingekeilt zwischen den kleinen, von den Russen gehaltenen Dörfern Verbove, Novoprokopivka und Kopani, unfähig, weiter vorzurücken, und erleidet ständig Verluste, während sie versucht, mit halbherzigen Angriffen kleiner Einheiten die russischen Panzerabwehrgräben zu überwinden, die die Ränder der Felder säumen.
Derzeit liegt der maximale Vorstoß der Gegenoffensive nur zehn Meilen vor der Stadt Orikhiv (im ukrainischen Bereitstellungsraum). Die Ukraine hat nicht nur ihre Endziele nicht erreicht, sondern auch ihre Zwischenziele (wie Tokmak) nicht einmal bedroht. Tatsächlich wurde nicht einmal eine vorübergehende Bresche in die russische Verteidigung geschlagen. Stattdessen warf die AFU den Großteil des neu gebildeten und westlich ausgerüsteten 9. und 10. Korps gegen feste Stellungen der russischen 58., 35. und 36. kombinierten Armeen, wurde in der äußeren Abschirmungslinie festgehalten, und der Angriff brach nach schweren Verlusten zusammen.
Meines Erachtens geht das alles an der Sache vorbei – oder besser gesagt, alle diese Faktoren haben mit der Sache nur wenig zu tun. Die verschiedenen ukrainischen und westlichen Persönlichkeiten, die mit dem Finger aufeinander zeigen, sind eher wie die sprichwörtlichen Blinden, die einen Elefanten beschreiben. All diese Klagen – unzureichende Ausbildung, langsame Lieferfristen, Mangel an Luft- und Angriffsmitteln – spiegeln lediglich das größere Problem wider, das darin besteht, in einem Land mit schwindenden demografischen und industriellen Ressourcen auf improvisierter Basis eine völlig neue Armee mit einem Sammelsurium nicht aufeinander abgestimmter ausländischer Systeme zusammenzustellen.
Abgesehen davon verdecken die internen Streitigkeiten im ukrainischen Lager die Bedeutung taktischer Faktoren und ignorieren die äußerst aktive Rolle, die die russischen Streitkräfte bei der Vereitelung des großen Angriffs der Ukraine gespielt haben. Auch wenn die Sezierung der Schlacht wahrscheinlich noch viele Jahre dauern wird, lassen sich die taktischen Gründe für die ukrainische Niederlage bereits jetzt wie folgt aufzählen:
Das Versagen der AFU, eine strategische Überraschung zu erreichen. Trotz ostentativer OPSEC-Bemühungen und versuchter Scheinoperationen an der Grenze zu Belgorod, um Bakhmut, Staromaiorske und anderswo war allen Beteiligten klar, dass der Schwerpunkt der ukrainischen Bemühungen auf der Asowschen Küste und insbesondere auf der Achse Orichiw-Tokmak liegen würde. Die Ukraine griff genau dort an, wo man es von ihr erwartete.
Die Gefahr des Aufmarsches und der Annäherung im 21. Jahrhundert. Die AFU musste ihre Kräfte unter dem Einfluss russischer ISR- und Angriffsmittel sammeln, wodurch ukrainische rückwärtige Gebiete (wie Orichiw, wo Munitionslager und Reserven wiederholt getroffen wurden) wiederholt unter russischen Beschuss gerieten und die Russen routinemäßig verlegende ukrainische Kampfgruppen unter Feuer nehmen konnten, während sie sich noch in ihren Marschkolonnen befanden.
Unfähigkeit (oder mangelnde Bereitschaft), eine ausreichende Masse einzusetzen, um eine Entscheidung zu erzwingen. Die Dichte des russischen ISR-Feuer-Netzes verleitete die AFU dazu, ihre Kräfte zu zerstreuen. Dies konnte zwar die Verluste verringern, bedeutete aber auch, dass die ukrainische Kampfkraft in einem stückweisen Rinnsal eingeführt wurde, dem einfach die Masse fehlte, um die russische Position jemals ernsthaft zu bedrohen. Die Operation lief weitgehend auf Angriffe auf Kompanieebene hinaus, die für die Aufgabe eindeutig unzureichend waren.
Unzulänglichkeiten bei der ukrainischen Beschuss- und Unterdrückungstechnik. Eine ziemlich offensichtliche und allumfassende Fähigkeitslücke, wobei die AFU mit einem Mangel an Kanonenrohren und Artilleriegranaten konfrontiert war (was HIMARS in eine taktische Rolle als Artillerieersatz zwang) und es an ausreichender Luftverteidigung und elektronischer Kriegsführung mangelte, um sich gegen die Vielzahl russischer Luftfahrtsysteme, einschließlich Drohnen aller Art, Angriffshubschrauber und UMPK-Bomben, zu verteidigen. Das Ergebnis war, dass eine Reihe von unterversorgten ukrainischen Manöverkolonnen in einen Feuersturm gerieten.
Unzureichende Kampftechnik, die die AFU verwundbar gegenüber einem Netz russischer Minenfelder machte, die offensichtlich viel robuster waren als erwartet.
Alles in allem haben wir es hier mit einem ziemlich einfachen taktischen Rätsel zu tun. Die Ukrainer versuchten einen Frontalangriff auf eine feste Verteidigungslinie ohne Überraschungsmoment und ohne paritätisches Feuer auf Distanz. Da die russische Verteidigung in voller Alarmbereitschaft war und die ukrainischen Bereitstellungsräume und Zufahrtswege unter starkem russischen Beschuss standen, verteilte die AFU ihre Kräfte, um die Verluste zu verringern, was praktisch sicherstellte, dass die Ukrainer nie über die notwendige Masse für einen Durchbruch verfügen würden. Alles zusammengenommen ergibt den Sommer 2023 – eine Reihe frustrierender und erfolgloser Angriffe auf genau denselben Verteidigungssektor, die sowohl das Jahr als auch die beste und letzte Hoffnung der Ukraine langsam verpuffen ließen.
Das Scheitern der ukrainischen Offensive hat seismische Auswirkungen auf die künftige Kriegsführung. Kampfhandlungen finden immer im Zusammenhang mit den politischen Zielen der Ukraine statt, die – um es ganz offen zu sagen – ehrgeizig sind. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Kiewer Regime von Anfang an behauptet hat, dass es sich mit nichts weniger als dem territorialen Maximum der Ukraine von 1991 zufrieden geben würde – was nicht nur die Rückgewinnung des von Russland nach dem Februar 2022 besetzten Gebiets, sondern auch die Unterwerfung der separatistischen Gebiete in Donezk und Lugansk und die Eroberung der russischen Krim bedeutet.
Die Kriegsziele der Ukraine wurden im Westen immer als vernünftig verteidigt, und zwar aus Gründen, die mit den vermeintlichen juristischen Feinheiten des Krieges, der westlichen Illusion, dass Grenzen unveränderlich sind, und der scheinbar transzendenten Göttlichkeit der administrativen Grenzen aus der Sowjetzeit (die schließlich die Quelle der Grenzen von 1991 waren) zusammenhängen. Unabhängig von all diesen Aspekten bedeuteten die Kriegsziele der Ukraine in der Praxis, dass die Ukraine de facto russisches Vorkriegsgebiet erobern musste, einschließlich vier großer Städte (Donezk, Lugansk, Sewastopol und Simferopol). Das bedeutete, dass die russische Schwarzmeerflotte irgendwie aus ihrem Hafen vertrieben werden musste. Dies war eine außerordentlich schwierige Aufgabe – weitaus komplizierter und umfangreicher, als man zugeben wollte.
Das offensichtliche Problem ist natürlich, dass angesichts der überlegenen industriellen Ressourcen und des demografischen Reservoirs Russlands die einzigen gangbaren Wege zum Sieg für die Ukraine entweder ein politischer Zusammenbruch Russlands, die mangelnde Bereitschaft Russlands, sich voll auf den Konflikt einzulassen, oder eine erstaunliche asymmetrische Niederlage der russischen Armee auf dem Schlachtfeld waren. Ersteres scheint nun eindeutig ein Hirngespinst zu sein, da die russische Wirtschaft die Sanktionen des Westens ignoriert und der politische Zusammenhalt des Staates (selbst durch den Wagner-Putsch) nicht beeinträchtigt ist, und die zweite Hoffnung hat sich in dem Moment zerschlagen, als Putin die Mobilisierung im Herbst 2022 ankündigte. Damit bleibt nur noch das Schlachtfeld.
Daher ist die Situation sehr einfach. Wenn die Ukraine nicht in der Lage ist, erfolgreich auf stark gehaltene russische Stellungen vorzustoßen, kann sie den Krieg nicht nach ihren eigenen Bedingungen gewinnen. In Anbetracht des Scheiterns der ukrainischen Sommeroffensive (und unzähliger anderer Beispiele, wie z.B. die Art und Weise, wie ein begleitender ukrainischer Angriff monatelang sinnlos auf Bakhmut einschlug) stellt sich also eine ganz einfache Frage.
Wird die Ukraine jemals eine bessere Gelegenheit erhalten, eine strategische Offensive zu starten? Wenn die Antwort nein lautet, dann folgt daraus zwangsläufig, dass der Krieg mit einem ukrainischen Gebietsverlust enden wird.
Dass 2023 die beste Gelegenheit für einen Angriff auf die Ukraine war, scheint fast eine Nebensächlichkeit zu sein. Die NATO musste Himmel und Erde in Bewegung setzen, um das Angriffspaket zusammenzukratzen. Ein besseres wird die Ukraine nicht bekommen. Nicht nur, dass viele NATO-Mitglieder einfach nichts mehr im Stall haben, sondern die Aufstellung einer größeren mechanisierten Truppe würde bedeuten, dass der Westen seine (vergeblichen) Versuche verdoppeln müsste. In der Zwischenzeit verliert die Ukraine aufgrund einer Kombination aus hohen Verlusten, einer Flut von Emigranten, die vor einem zerfallenden Staat fliehen, und endemischer Korruption, die die Effizienz des Mobilisierungsapparats lähmt, immer mehr brauchbare Einsatzkräfte. Wenn man all das zusammenzählt, ergibt sich ein zunehmender Engpass an Militärpersonal und ein drohender Mangel an Munition und Ausrüstung. So sieht es aus, wenn eine Armee aufgerieben wird.
Das Bild ist nicht übermäßig kompliziert. Die ukrainische Kampfkraft befindet sich in einem Niedergang, der kaum aufzuhalten ist, insbesondere jetzt, da die Ereignisse im Nahen Osten bedeuten, dass die Ukraine keinen unbestrittenen Anspruch mehr auf westliche Bestände hat. Der Westen kann zwar noch einiges tun, um die ukrainischen Fähigkeiten zu stärken (dazu später mehr), aber in der Zwischenzeit ist die russische Kampfkraft stabil und nimmt in vielen Waffengattungen sogar zu (man beachte z.B. die stetige Zunahme der russischen UMPK-Abwürfe und FPV-Drohnenangriffe sowie die zunehmende Verfügbarkeit des T90-Panzers).
Die Ukraine wird ihre Grenzen von 1991 nicht zurückerobern, und es ist unwahrscheinlich, dass sie in Zukunft nennenswerte Gebiete zurückerobern wird. So hat sich die Sprache von der Rückeroberung verlorener Gebiete hin zum bloßen Einfrieren der Front verschoben. Kein Geringerer als Oberbefehlshaber Zaluzhny hat zugegeben, dass der Krieg zum Stillstand gekommen ist (eine optimistische sprachliche Konstruktion), während einige westliche Offizielle begonnen haben, die Idee zu äußern, dass eine Verhandlungslösung (die notwendigerweise die Anerkennung des Verlustes der von Russland gehaltenen Gebiete beinhalten würde) der beste Ausweg für die Ukraine sein könnte.
Es gibt nur einen Weg, einen Krieg einseitig zu beenden, und zwar durch einen Sieg. Es kann sehr gut sein, dass das Zeitfenster für Verhandlungen vorbei ist und dass Russland seine Ausgaben erhöht und seine Boden- und Luftstreitkräfte ausbaut, weil es damit einen entscheidenden Sieg auf dem Schlachtfeld anstrebt.
Wir werden in den kommenden Monaten wahrscheinlich eine immer heftigere Debatte darüber erleben, ob Kiew verhandeln sollte oder nicht. Aber die Prämisse dieser Debatte könnte durchaus in Gänze falsch sein. Vielleicht haben weder Kiew noch Washington das Sagen.
Awdijiwka: Kanarienvogel im Kohlebergwerk
Das Nachlassen der ukrainischen Sommeroffensive entspricht einer Phasenverschiebung im Krieg, bei der die Ukraine zu einer strategischen Vollverteidigung übergehen wird. Fast wie aufs Stichwort leitete die russische Armee die nächste Phase ein, indem sie eine Operation gegen die wichtige und stark gehaltene ukrainische Festung Awdijiwka in den Vororten von Donezk begann.
Awdijiwka befand sich bereits in einer Art Vorposten, da die russischen Streitkräfte zuvor die nördlich der Stadt gelegene Stadt Krasnogoriwka eingenommen hatten. Im Laufe des Oktobers starteten die russischen Streitkräfte von diesen Stellungen aus einen Großangriff und eroberten erfolgreich eines der wichtigsten Geländemerkmale in dem Gebiet – einen hohen Hügel aus Bergbau-Nebenprodukten (eine Abraumhalde), der direkt auf die Haupteisenbahnstrecke nach Avdiivka blickt und an die Kokerei von Avdiivka angrenzt. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts sieht die Situation wie folgt aus:
Das Kampfgebiet Avdiivka
Die Operation in Awdijiwka löste fast sofort den bekannten Zyklus von Untergangsstimmung und theatralischem Getue aus, wobei sich viele darauf vorbereiteten, den Angriff mit dem gescheiterten russischen Angriff auf Ugledar im letzten Winter zu vergleichen. Trotz der erfolgreichen russischen Einnahme der Halde (und der Stellungen entlang der Eisenbahnlinie) zeigte sich die ukrainische Seite zufrieden und behauptete, die Russen hätten bei ihrem Angriff auf Avdiivka katastrophale Verluste erlitten. Meines Erachtens ist dies jedoch aus mehreren Gründen nicht stichhaltig.
Zunächst einmal scheint die Behauptung selbst nicht wahr zu sein. Dieser Krieg wird eifrig in Echtzeit dokumentiert, was bedeutet, dass wir in den tabellarischen Daten tatsächlich einen starken Anstieg der russischen Verluste feststellen können. Zu diesem Zweck ziehe ich es vor, War Spotting UA und ihr Projekt zur Verfolgung russischer Ausrüstungsverluste zu konsultieren. Sie sind zwar offenkundig pro-ukrainisch ausgerichtet (sie verfolgen nur russische und nicht ukrainische Verluste), aber ich halte sie für zuverlässiger und vernünftiger als Oryx, und ihre Tracking-Methode ist sicherlich transparenter.
Eine kurze Anmerkung zu deren Daten ist wichtig. Erstens ist es falsch, sich zu sehr auf die genauen Daten zu konzentrieren, die sie den Verlusten zuschreiben – das liegt daran, dass die aufgezeichneten Daten dem Datum entsprechen, an dem die Verluste zum ersten Mal fotografiert werden, was derselbe Tag sein kann oder auch nicht, an dem das Fahrzeug zerstört wird. Wenn sie ein Datum für ein zerstörtes Fahrzeug festhalten, halten sie nur das Datum fest, an dem das Foto gemacht wurde. Es ist daher vernünftig, bei der Datierung von Schäden einen Fehler von ein paar Tagen einzukalkulieren. Das lässt sich einfach nicht ändern. Außerdem können sie – wie jeder andere auch – Fahrzeuge, die aus verschiedenen Blickwinkeln gefilmt wurden, falsch identifizieren oder versehentlich doppelt zählen.
Das bedeutet, dass es nicht sinnvoll ist, sich zu sehr mit spezifischen Verlusten und Fotos zu befassen, aber ein Blick auf die Trends in der Verlustverfolgung ist sehr nützlich. Wenn Russland in einem einmonatigen Angriff wirklich eine übermäßige Menge an Ausrüstung verlieren würde, würden wir eine Spitze oder zumindest einen bescheidenen Anstieg der Verluste erwarten.
Das geht aus den Verlustdaten nicht hervor. Russlands Verlustrate vom Sommer 2022 bis heute beläuft sich auf etwa 8,4 Kampffahrzeuge pro Tag. Die Verluste im Herbst 2023 (einschließlich des Angriffs auf Avdiivka) sind mit 7,3 pro Tag jedoch etwas geringer. Es gibt zwar einige Verlustposten, die den Folgen von Angriffen entsprechen, aber diese sind nicht ungewöhnlich groß – eine Tatsache, die sich leicht überprüfen lässt, wenn man die Zeitreihe der Verluste betrachtet. Die Daten zeigen einen bescheidenen Anstieg vom Sommer dieses Jahres (6,8 pro Tag) bis zum Herbst (7,3), was einer Verschiebung von einer defensiven zu einer offensiven Haltung entspricht, aber es gibt einfach nichts in den Daten, was auf eine anormale Erhöhung der russischen Verlustraten hinweist. Insgesamt deuten die Verlustdaten auf eine hohe Angriffsintensität hin, aber die Verluste sind insgesamt niedriger als in anderen Perioden, in denen Russland in der Offensive war.
Wir können denselben grundlegenden Analyserahmen auch auf Verluste von Soldaten anwenden. Mediazona – ein antiputinistisches russisches Dissidenten-Medienportal – hat pflichtbewusst russische Verluste über Nachrufe, Traueranzeigen und Beiträge in sozialen Medien verfolgt. Und siehe da, sie haben – wie Warspotting UA – bis jetzt keinen übermäßigen Anstieg der russischen Verluste im Herbst festgestellt.
Nun wäre es dumm zu leugnen, dass Russland gepanzerte Fahrzeuge verloren hat oder dass ein Angriff keine Kosten verursacht. Es findet eine Schlacht statt, und in Schlachten werden Fahrzeuge zerstört. Das ist hier nicht die Frage. Die Frage ist, ob der Angriff auf Awdijiwka zu einem unhaltbaren oder ungewöhnlichen Anstieg der russischen Verluste geführt hat, und es gibt ganz einfach nichts in den überprüften Verlustdaten, was darauf hindeuten würde. Das Argument, dass die russischen Streitkräfte in Awdijiwka ausgeweidet werden, scheint daher durch die verfügbaren Informationen nicht gestützt zu werden, und bisher sind die täglichen Verluste im Herbst einfach niedriger als der Durchschnitt des Vorjahres.
Darüber hinaus kann die Fixierung auf die russischen Verluste dazu führen, dass man vergisst, dass die ukrainischen Streitkräfte schwer aufgerieben werden, und es gibt sogar Videos von der ukrainischen 110th Brigade (der Hauptformation, die die Verteidigung von Avdiivka verankert), die sich darüber beklagt, dass sie unhaltbare Verluste erlitten hat. All das war zu erwarten, wenn eine Schlacht von hoher Intensität im Gange ist. Die Russen griffen mit aller Macht an und erlitten entsprechende Verluste – aber war es das wert?
Wir müssen diesen ersten russischen Angriff im Zusammenhang mit dem Schlachtfeld von Avdiivka betrachten. Awdijiwka ist insofern etwas Besonderes, als die gesamte Stadt und die zu ihr führende Eisenbahnlinie auf einem erhöhten Bergrücken liegen. Da die Stadt nun von drei Seiten umzingelt ist, verlaufen die verbleibenden ukrainischen Logistiklinien entlang des Bodens eines Sumpfbeckens im Westen der Stadt – der einzige Korridor, der noch offen ist. Russland hat jetzt eine Position auf den dominierenden Höhen, die das Becken direkt überblicken, und ist dabei, seine Position entlang des Bergrückens auszubauen. Entgegen der Behauptung, der russische Angriff sei unter schweren Verlusten zusammengebrochen, dehnen die Russen ihre Kontrollzone westlich der Eisenbahnlinie weiter aus, sind bereits in die Außenbezirke von Stepove vorgedrungen und stoßen in das befestigte Grabennetz im Südosten von Avdiivka vor [Anmerkung Übersetzer: Diese Ziele sind heute, 16.11.2023 bereits erreicht: https://www.youtube.com/watch?v=cpO4MLLRUsA ].
Avdiivka Höhenkarte
Jetzt ist es wahrscheinlich vernünftig, die Situation mit Bakhmut zu vergleichen, aber die AFU-Kräfte in Awdijiwka befinden sich tatsächlich in einer viel gefährlicheren Lage. Während des Kampfes um Bakhmut wurde viel von der so genannten "Feuerkontrolle" gesprochen, und einige meinten, Russland könne die Stadt isolieren, indem es einfach die Nachschubwege mit Artillerie beschießt. Das hat sich natürlich nicht bewahrheitet. Die Ukraine verlor viele Fahrzeuge auf der Straße nach und aus Bakhmut, aber der Korridor blieb bis zum Schluss offen – wenn auch gefährlich. In Awdijiwka hingegen hat Russland eine direkte ATGM-Sichtlinie [ATGM für anti-tank guided missile, Panzerabwehrlenkwaffe manchmal auch Panzerabwehrlenkrakete] (und keine punktuelle Artillerieüberwachung) über den Nachschubkorridor auf dem Boden des Beckens. Dies ist eine viel gefährlichere Situation für die AFU, sowohl weil Avdiivka das ungewöhnliche Merkmal eines einzigen dominierenden Bergrückens auf dem Rückgrat des Schlachtfeldes hat, als auch weil die Dimensionen kleiner sind – der gesamte ukrainische Versorgungskorridor verläuft hier entlang einer Handvoll Straßen in einem 4 Kilometer breiten Streifen.
Die Kontrolle über die Halde und die Eisenbahnlinie ist von größter Bedeutung, so dass die russische Armee eine bedeutende Angriffstruppe eingesetzt hat, um die Eroberung ihrer wichtigsten Ziele sicherzustellen. Der Angriff auf die Halde erforderte außerdem, dass die russischen Angriffskolonnen senkrechten ukrainischen Schüssen ausgesetzt waren und über gut überwachtes Gelände angriffen. Kurzum, dies brachte viele der taktischen Probleme mit sich, die die Ukrainer im Sommer geplagt hatten. Moderne ISR-Feuerverbindungen machen es sehr schwierig, Truppen erfolgreich und ohne Verluste zu positionieren und einzusetzen.
Im Gegensatz zu den Ukrainern setzten die Russen jedoch genügend Masse ein, um beim Angriff auf die Kommandohöhen einen unumkehrbaren Schneeball zu erzeugen, und das ukrainische Feuer reichte nicht aus, um den Angriff zu unterbinden. Nun, da sie dieses Ziel erreicht haben, werden die Russen ihre Verluste wieder wettmachen, während die Ukrainer versuchen, einen Gegenangriff zu starten – in der Tat hat dies bereits begonnen, denn UA Warspotting verzeichnete in den letzten drei Wochen einen starken Rückgang der russischen Verluste an Ausrüstung. Daraus ergibt sich das Muster der Operation – ein frühzeitiger Massenangriff zur Eroberung von Schlüsselpositionen, die den Russen die Kontrolle über das Kampfgebiet verschaffen. Die Russen haben von Anfang an erfolgreich eine Entscheidung erzwungen, indem sie ihren Angriff mit einem Maß an Gewalt und Kraftentfaltung durchführten, das der AFU den ganzen Sommer über gefehlt hat. Der Einsatz hat sich also für die Russen ausgezahlt.
Außerdem wissen die Ukrainer ganz genau, dass sie in Schwierigkeiten stecken. Sie haben bereits damit begonnen, ihre wichtigsten Kräfte in das Gebiet zu verlegen, um einen Gegenangriff auf die russische Stellung auf dem Kamm zu starten, und es brennen bereits Bradleys und Leopards in der Umgebung von Avdiivka und in den ukrainischen Bereitstellungsräumen im Hintergrund. Es besteht nun dasselbe Grundproblem, das sich im Sommer als unüberwindbar erwiesen hat: Die angreifenden ukrainischen Streitkräfte (die sich über zehn Kilometer hinter Ocheretyne aufhalten) haben lange und gut überwachte Anmarschwege, die sie dem russischen Sperrfeuer aussetzen – die ukrainische 47. mechanisierte Brigade hat nun bereits gepanzerte Fahrzeuge sowohl in ihren Bereitstellungsräumen als auch bei fehlgeschlagenen Gegenangriffen auf russische Stellungen um Stepove verloren.
In den kommenden Wochen werden die russischen Streitkräfte ihren Schwung mit Angriffen auf die Achsen durch Stepove und Sjeverne im Westen der Stadt fortsetzen und die AFU an eine lange und prekäre logistische Kette auf dem Boden des Beckens binden. Eine der längsten und am stärksten gehaltenen Festungen der Ukraine droht nun zu einer Operationsfalle zu werden. Ich erwarte nicht, dass Awdijiwka innerhalb weniger Wochen fallen wird (es sei denn, es kommt zu einem unvorhergesehenen und unwahrscheinlichen Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigung), aber es ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit, und die Wintermonate werden wahrscheinlich zu einer stetigen Schwächung der ukrainischen Position in diesem Gebiet führen.
Die Aufrechterhaltung der AFU-Kampfkraft in der Stadt wird besonders schwierig sein, da die ukrainische "Moskito-Logistik" (die sich auf ihre Angewohnheit bezieht, Nachschubtransporte mit Kleintransportern, Lieferwagen und anderen kleinen zivilen Fahrzeugen durchzuführen) unter dem wachsamen Auge russischer FPV-Drohnen und direktem Feuer in dem Boden eines schlammigen Beckens kämpfen muss. Die AFU wird gezwungen sein, zu versuchen, eine Verteidigung auf Brigadeebene aufrechtzuerhalten, indem sie mit kleinen Fahrzeugen durch eine umkämpfte Zone fährt. Wenn es den Russen gelingt, die Kokerei einzunehmen, wird das Spiel viel früher enden, aber die Ukrainer wissen das und werden der Verteidigung der Kokerei höchste Priorität einräumen – aber selbst dann ist es nur eine Frage der Zeit, und wenn Avdiivka erst einmal gefallen ist, haben die Ukrainer keinen soliden Ort, an dem sie ihre Verteidigung verankern können, bis sie den ganzen Weg zurück zum Fluss Vocha fallen. Dies ist ein Prozess, der sich über den Winter hinziehen dürfte.
Voraussichtliche zukünftige Entwicklungen um Avdiivka
Und das wirft die Frage auf: Wenn die Ukraine Bakhmut nicht halten konnte, und die Zeit beweist, dass sie Avdiivka nicht halten kann, wo kann sie dann halten? Und wenn die Ukraine nicht erfolgreich angreifen kann, wofür kämpft sie dann?
Eine gescheiterte Verteidigung zählt nur dann als Aufschub, wenn man etwas hat, worauf man sich freuen kann.
Strategische Erschöpfung
Der Krieg in der Ukraine geht nun in seine dritte Phase über. Die erste Phase, vom Beginn der Feindseligkeiten im Februar 2022 bis zum Herbst desselben Jahres, war durch die Erschöpfung der einheimischen ukrainischen Kapazitäten durch die Operationen der anfänglich begrenzten russischen Streitkräfte gekennzeichnet. Zwar gelang es den russischen Streitkräften, viele Aspekte der ukrainischen Kriegsmaschinerie aus der Vorkriegszeit – wie z.B. die Kommunikation, die Abfangjäger der Luftverteidigung und den Artilleriepark – zu beeinträchtigen oder zu erschöpfen, doch die anfängliche russische Strategie beruhte auf kritischen Fehleinschätzungen, was sowohl die Bereitschaft der Ukraine zu einem langen Krieg als auch die Bereitschaft der NATO zur Unterstützung des ukrainischen Materials und zur Bereitstellung wichtiger ISR- und Führungsfähigkeiten betraf.
Da die Russen mit einem viel größeren Krieg konfrontiert waren, als sie erwartet hatten, und mit einer für diese Aufgabe völlig unzureichenden Truppenstärke, nahm der Krieg in der zweiten Phase den Charakter einer industriellen Zermürbung an. Diese Phase war gekennzeichnet durch russische Versuche, die Frontlinie zu verkürzen und zu korrigieren, dichte Befestigungen zu errichten und Kräfte in zermürbenden Stellungskämpfen zu binden. Ganz allgemein ging es in dieser Phase darum, dass die Ukrainer versuchten, eine Periode ukrainischer strategischer Initiative auszunutzen –die Russen aber durchhielten –, während Russland zu einer expansiveren Kriegsführung überging, die Rüstungsproduktion ausbaute und die Truppenstärke durch Mobilisierung erhöhte.
Im Grunde genommen befand sich die Ukraine von dem Moment an, als Präsident Putin die Mobilisierung der Reserven im September 2022 ankündigte, in einem schweren strategischen Dilemma. Die russische Entscheidung zur Mobilisierung war ein De-facto-Signal, dass sie die neue strategische Logik eines längeren industriellen Zermürbungskrieges akzeptierte – eines Krieges, in dem Russland zahlreiche Vorteile genießen würde, darunter ein viel größeres Reservoir an Arbeitskräften, eine weit überlegene Industriekapazität, eine eigene Produktion von Distanzwaffen, gepanzerten Fahrzeugen und Granaten, eine Industrieanlage außerhalb der Reichweite systematischer ukrainischer Angriffe und strategische Autonomie. Dies alles sind jedoch systembedingte und langfristige Vorteile. Kurzfristig hatte die Ukraine jedoch ein kurzes Zeitfenster, in dem sie vor Ort die Initiative ergreifen konnte. Dieses Zeitfenster wurde jedoch mit dem verpfuschten Sommerangriff auf die russischen Verteidigungsanlagen im Süden vertan, und die zweite Phase des Krieges endet mit dem versuchten Vorstoß der AFU an die Asowsche Küste.
Und so kommen wir zur dritten Phase, die durch drei wichtige Bedingungen gekennzeichnet ist:
Stetig steigende russische Kampfkraft als Ergebnis der Investitionen des vergangenen Jahres.
Erschöpfung der ukrainischen Initiative vor Ort und zunehmende Selbstkannibalisierung der AFU-Aktiva.
Strategische Erschöpfung der NATO.
Der erste Punkt ist relativ trivial und wurde von westlichen und ukrainischen Behörden offen zugegeben. Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass die Sanktionen der russischen Rüstungsproduktion keinen nennenswerten Abbruch getan haben, und dass die Verfügbarkeit kritischer Systeme infolge strategischer Investitionen in neue und erweiterte Produktionslinien rasch zunimmt. Wir können jedoch einige Beispiele dafür aufzählen.
In der Zwischenzeit werden sich die ukrainischen Streitkräfte wahrscheinlich zunehmend selbst zersetzen. Dies geschieht auf mehreren Ebenen und ist das Ergebnis einer strategisch erschöpften Truppe. Auf der strategischen Ebene kommt es zur Selbstkannibalisierung, wenn strategische Ressourcen im Namen kurzfristiger Erfordernisse verbrannt werden; auf der taktischen Ebene findet ein ähnlicher Abbauprozess statt, wenn Truppenteile zu lange im Kampf verbleiben und beginnen, sich zu zermürben, während sie versuchen, Kampfaufgaben zu erfüllen, für die sie nicht mehr geeignet sind.
Wahrscheinlich werden Sie bei diesem Absatz mit den Augen rollen, und das ist auch verständlich. Er ist stark jargonisiert, und ich entschuldige mich dafür. Wir können jedoch ein konkretes Beispiel dafür sehen, wie beide Formen der Selbstkannibalisierung (strategisch und taktisch) aussehen, und zwar bei ein und derselben Einheit: der 47. mechanisierten Brigade.
Die 47. sollte schon vor langer Zeit eine der wichtigsten Einheiten in der Gegenoffensive der Ukraine werden. Sie wurde (so gut es die Zeit erlaubte) nach NATO-Standards ausgebildet und hatte privilegierten Zugang zu westlicher Spitzenausrüstung wie dem Leopard 2A6-Panzer und dem Bradley-Schützenpanzer. Diese Brigade wurde sowohl sorgfältig vorbereitet als auch als tödliche Speerspitze für die Ukraine angepriesen. Ein Sommer voller frustrierender und fehlgeschlagener Angriffe auf die russische Saporischja-Linie hinterließ bei der Brigade jedoch schwere Verluste, eine schwache Kampfkraft und Streitigkeiten unter den Offizieren.
Was dann folgte, sollte die Alarmglocken schrillen lassen. Erstens wurde Anfang Oktober berichtet, dass die 47. einen neuen Kommandeur hatte, wobei der Wechsel durch die Forderung von oben ausgelöst wurde, dass die Brigade ihre Angriffsbemühungen fortsetzen sollte. Das Problem bestand darin, dass die 47. ihr Angriffspotenzial allmählich erschöpft hatte, und die vom neuen Kommandeur eingeführte Lösung bestand darin, die rückwärtigen Bereiche und technischen Mannschaften der Brigade nach Ersatzkräften zu durchforsten. In dem Bericht von MilitaryLand heißt es dazu:
"Wie Soldaten der Panzerabwehrraketen-Einheit von Magura in einem inzwischen entfernten Appellvideo behaupten, weigert sich das Kommando der Brigade zuzugeben, dass die Brigade ihr Offensivpotenzial verloren hat. Stattdessen schickt das Kommando Mörserbesatzungen, Scharfschützen, Artilleriebesatzungen, im Grunde alles, was es zur Verfügung hat, als Sturmtruppen an die Front."
Dies ist ein klassisches Beispiel für die taktische Selbstkannibalisierung, bei der sich der Verlust an Kampfkraft zu beschleunigen droht, da Hilfs- und technische Elemente der Einheit verbrannt werden, um die Verluste auszugleichen. Die 47. wurde jedoch auch auf strategischer Ebene kannibalisiert. Als der russische Angriff um Avdiivka begann, zog die Ukraine die 47. aus der Front in Saporischschja ab und verlegte sie zum Gegenangriff nach Avdiivka. Zu diesem Zeitpunkt hängt die ukrainische Verteidigung dort von der 110. Brigade ab, die seit fast einem Jahr ohne Ablösung in Awdijiwka steht, und von der 47., die durch die monatelangen Offensivoperationen im Süden bereits geschwächt war.
Es handelt sich um eine strategische Kannibalisierung: Man nimmt eine der besten Einheiten des Stalls und stürzt sie ohne jegliche Ruhepause oder Umrüstung direkt in den Kampf als defensive Notwendigkeit. So wird die 47. Brigade auf interner Ebene ausgeschlachtet (sie verbrennt sich selbst, während sie versucht, Kampfaufgaben zu erfüllen, für die sie nicht mehr angemessen ausgerüstet ist) und auf strategischer Ebene, indem die AFU sie in einer Stellungsverteidigung um Avdiivka zermalmt, anstatt sie zur Erholung und Umrüstung für künftige Offensivoperationen auszurüsten. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht, in dem Mitarbeiter der 47. Brigade befragt wurden, zeichnete ein düsteres Bild: Die Brigade hat im Laufe des Sommers über 30 % ihres Personals verloren, und ihre Haubitzen sind auf lediglich 15 Granaten pro Tag rationiert. Die russischen Mörser, so heißt es, seien acht zu eins im Vorteil.
Das ikonische Bild des modernen Krieges: Berge von weggeworfenen Patronenhülsen
Die Situation ist vergleichbar mit einer Person in einer Krise, die sich durch Schlafmangel und Stress biologisch und emotional abnutzt und gleichzeitig ihr Kräfte verbrennt, indem sie ihr Auto und andere wichtige Besitztümer verkauft, um das Nötigste wie Lebensmittel und Medikamente zu bezahlen. Dies ist eine unhaltbare Lebensweise, die eine Katastrophe nicht auf Dauer abwenden kann.
Die Russen tun alles in ihrer Macht Stehende, um diesen Prozess zu fördern, und reaktivieren methodisch zermürbende Angriffsoperationen auf der ganzen Breite der Front, darunter nicht nur in Awdijiwka, sondern auch in Bakhmut und Kupjansk, im Rahmen eines gezielten Programms, das darauf abzielt, die ukrainischen Kräfte im Kampf zu halten, nachdem sie im Sommer erschöpft waren. Die 47. ist ein Beispiel dafür – sie griff den ganzen Sommer über an, um dann sofort zur Verteidigung im Donbas eingesetzt zu werden. Wie ein Kollege von mir sagte, ist es das Letzte, was man nach einem Marathonlauf tun möchte, einen Sprint zu beginnen, und genau das ist die Situation, in der sich die Ukrainer befinden, nachdem sie im Oktober die strategische Initiative verloren haben.
Doch nicht nur die Ukraine ist von strategischer Erschöpfung bedroht. Die Vereinigten Staaten und der NATO-Block befinden sich in einer ähnlichen Situation.
Die gesamte amerikanische Strategie in der Ukraine hat sich in eine Sackgasse manövriert. Die Logik des Stellvertreterkriegs beruhte auf der Annahme eines Kostengefälles – dass die Vereinigten Staaten Russland für ein paar Cent pro Dollar ruhigstellen könnten, indem sie die Ukraine aus ihren überschüssigen Vorräten versorgen, während sie die russische Wirtschaft mit Sanktionen strangulieren.
Nicht nur haben die Sanktionen Russland nicht lahmgelegt, sondern auch das amerikanische Vorgehen vor Ort ist gescheitert. Die ukrainische Gegenoffensive ist spektakulär gescheitert, und die dezimierten ukrainischen Bodentruppen müssen nun eine strategische Gesamtverteidigung gegen die wachsende russische Streitkräftegeneration entwickeln.
Die grundlegende strategische Frage für den Westen ist also, wie er aus einer strategischen Sackgasse herauskommen kann. Die NATO hat die Grenzen dessen erreicht, was sie der Ukraine aus den Überschüssen geben kann. Was zum Beispiel die Artilleriegranaten (das wichtigste Element in diesem Krieg) betrifft, so haben die NATO-Verbündeten offen zugegeben, dass ihnen die Granaten mehr oder weniger ausgegangen sind, während die Vereinigten Staaten gezwungen waren, Granatenlieferungen von der Ukraine nach Israel umzuleiten – ein stillschweigendes Eingeständnis, dass nicht genug für beide zur Verfügung stehen. In der Zwischenzeit ist die Neuproduktion von Granaten sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa in Verzug geraten.
Angesichts der massiven russischen Investitionen in die Rüstungsproduktion und der damit verbundenen enormen Steigerung der russischen Fähigkeiten ist nicht klar, wie die Vereinigten Staaten vorgehen können. Eine Möglichkeit ist die "All-in"-Option, die eine industrielle Umstrukturierung und eine faktische wirtschaftliche Mobilisierung erfordern würde, aber es ist nicht klar, wie dies angesichts des desolaten Zustands sowohl der westlichen industriellen Basis als auch ihrer Finanzen erreicht werden könnte.
Eine zweite Option ist das "Einfrieren" des Konflikts, indem die Ukraine zu Verhandlungen gedrängt wird. Dies wurde bereits von amerikanischen und europäischen Beamten öffentlich angesprochen und wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Im Großen und Ganzen scheint dies eher unwahrscheinlich zu sein. Gelegenheiten, über ein Ende des Konflikts zu verhandeln, wurden mehrfach abgelehnt. Aus russischer Sicht hat sich der Westen bewusst für eine Eskalation des Konflikts entschieden und will sich nun zurückziehen, nachdem Russland mit seiner Mobilisierung geantwortet hat. Es ist also nicht klar, warum Putin geneigt sein sollte, die Ukraine vom Haken zu lassen, jetzt, da die russischen Militärausgaben beginnen, Früchte zu tragen, und die russische Armee die reale Möglichkeit hat, mit dem Donbas und mehr davonzukommen. Noch beunruhigender ist jedoch die ukrainische Unnachgiebigkeit, die weitere tapfere Männer zu opfern scheint, die versuchen, Kiews Griff auf Gebiete zu verlängern, die nicht unbegrenzt gehalten werden können.
Im Wesentlichen haben die Vereinigten Staaten (und ihre europäischen Satelliten) vier Optionen, von denen keine gut ist:
Sich zu einer wirtschaftlichen Mobilisierung verpflichten, um die Materiallieferungen an die Ukraine erheblich zu steigern;
die bisherige Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen und zuzusehen, wie sie eine allmähliche und langsame Niederlage erleidet;
die Unterstützung für die Ukraine zu beenden und zuzusehen, wie sie eine noch schnellere und totalere Niederlage erleidet;
Versuch, den Konflikt durch Verhandlungen einzufrieren.
Dies ist ein klassisches Rezept für strategische Lähmung, und das wahrscheinlichste Ergebnis ist, dass die Vereinigten Staaten zu ihrem derzeitigen Kurs zurückkehren und die Ukraine auf einem Niveau unterstützen werden, das den bestehenden finanziellen und industriellen Grenzen entspricht, so dass die AFU zwar vor Ort bleiben, aber letztlich in unzähligen Dimensionen von den wachsenden russischen Fähigkeiten überholt werden wird.
Und damit sind wir letztlich wieder am Ausgangspunkt angelangt. Es gibt keine Wunderwaffe, keinen coolen Trick, keinen operativen Einfall, der die Ukraine retten könnte. Es gibt keinen Notausgang am Todesstern. Es gibt nur das kalte Kalkül des Massenfeuers über Zeit und Raum. Selbst die vereinzelten Erfolge der Ukraine verdeutlichen nur das enorme Gefälle in den Fähigkeiten. Wenn die AFU zum Beispiel mit westlichen Raketen russische Schiffe im Trockendock angreift, ist das nur möglich, weil Russland eine Marine hat. Die Russen hingegen verfügen über ein umfangreiches Arsenal an Schiffsabwehrraketen, die sie nicht einsetzen, weil die Ukraine keine Marine hat. Das Spektakel eines erfolgreichen Treffers auf ein russisches Schiff ist zwar ein schönes PR-Ereignis, macht aber nur die Asymmetrie der Mittel deutlich und trägt nicht zur Lösung des grundlegenden Problems der Ukraine bei, nämlich der stetigen Zermürbung und Zerstörung ihrer Bodentruppen im Donbas.
Wenn das Jahr 2024 eine stetige Erosion der ukrainischen Position im Donbass mit sich bringt – Isolierung und Liquidierung von Festungen in der Peripherie wie Adviwka, ein zweigleisig
18.11.2023
Der UN-Sicherheitsrat fordert „humanitäre Unterbrechungen“ des Krieges in Gaza. Israel lehnt ab.
nachdenkseiten.de, vom 17. November 2023 um 9:00
Ein Artikel von Karin Leukefeld
Nach vier vergeblichen Anläufen hat der UN-Sicherheitsrat in New York am Mittwoch (15.11.2023, New York Ortszeit) eine Resolution angenommen, die „dringende und ausgedehnte humanitäre Unterbrechungen“ des Krieges in Gaza fordert. „Für eine angemessene Anzahl von Tagen“ müssen „humanitäre Korridore im ganzen Gazastreifen“ eingerichtet werden, um Hilfsgüter zu verteilen und kranke und verletzte Personen evakuieren zu können.
Die Resolution 2712 (2023) fordert vollständigen, schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang für UN-Agenturen und Partner in den Gazastreifen. Neben Hilfsgütern aller Art wird explizit auch die Lieferung von Benzin gefordert. Hamas und andere Gruppen müssen alle gefangen gehaltenen Entführten, besonders die Kinder, „sofort und bedingungslos freilassen“, zudem müsse sofort humanitärer Zugang zu den entführten Personen gewährleistet werden. Entsprechend dem humanitären internationalen Recht dürfe keine Seite der Zivilbevölkerung in Gaza den Zugang zur Grundversorgung und Hilfe versagen, die für das Überleben gebraucht würden. Der UN-Generalsekretär wird aufgefordert, bei der nächsten Gelegenheit – dem monatlichen Treffen zur Lage im Mittleren Osten – einen Bericht über die Umsetzung der Resolution vorzulegen.
In dem Text wird nicht der Angriff der Al-Qassam-Brigaden am 7. Oktober auf Israel erwähnt, bei dem nach israelischen Angaben 1.200 Personen getötet und mehr als 200 Personen entführt worden sein sollen. Auch der folgende Angriff Israels auf Gaza wird nicht erwähnt, bei dem große Teile der zivilen Infrastruktur in dem palästinensischen Küstenstreifen zerstört und mehr als 11.400 Menschen getötet wurden, zwei Drittel Kinder und Frauen. Es wird auch kein Waffenstillstand gefordert.
Der von Malta vorgelegte Resolutionsentwurf wurde mit 12 Stimmen angenommen. Es gab keine Gegenstimme. Die Veto-Mächte Russland, die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien enthielten sich. Die Veto-Mächte China und Frankreich stimmten dafür. Nach internationalem Recht ist die Resolution für alle 193 UN-Mitgliedsstaaten bindend.
Im Sicherheitsrat
Die Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 15. November 2023 (New York Ortszeit) fand unter dem Vorsitz der Volksrepublik China statt, die im November die Sitzungen des obersten UN-Gremiums leitet. Die Sitzung begann mit einer Schweigeminute. Alle Anwesenden erhoben sich, um der Menschen zu gedenken, die in Israel am 7. Oktober und die seitdem in Gaza getötet wurden.
Vor der Abstimmung hatte Vassily A. Nebenzia, UN-Botschafter der Russischen Föderation, eine mündliche Änderung vorgeschlagen, die sich an dem Text der Resolution der UN-Vollversammlung (26.10.2023) orientierte, die von einer großen Mehrheit angenommen worden war.
Hinzugefügt werden solle die Forderung nach „einem sofortigen, dauerhaften und nachhaltigen humanitären Waffenstillstand, der zu einer Einstellung der Feindseligkeiten führt“. Das müsse der „kleinste gemeinsame Nenner sein, hinter den der Sicherheitsrat nicht zurückfallen dürfe“, sagte Nebenzia. Der Änderungsvorschlag wurde mit einer Nein-Stimme (USA) bei fünf Stimmen dafür und 9 Enthaltungen abgelehnt. Für die Änderung stimmten Brasilien, China, Mozambique, die Russische Föderation und die Vereinigten Arabischen Emirate. Es enthielten sich Albanien, Gabun, Ghana, Ecuador, Frankreich, Japan, Malta, Schweiz und Großbritannien.
Nach der Abstimmung erklärte Vanessa Frazier, UN-Botschafterin von Malta und Initiatorin der Resolution, die Abstimmung werde „Auswirkungen auf Menschenleben haben“. Frazier hatte – mit Unterstützung von Lana Zaki Nusseibeh, der UN-Botschafterin der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) – intensiv unter den UN-Diplomaten für die Annahme der Resolution geworben. Malta hat den Vorsitz der Arbeitsgruppe „Kinder und bewaffnete Konflikte“ im UN-Sicherheitsrat. Fokus des Resolutionsentwurfs war die humanitäre Situation und der Schutz für Kinder.
UN-Botschafterin Nusseibeh (VAE) würdigte die schwierigen Verhandlungen um die Resolution, die nun angenommen worden sei. Alle Seiten hätten Kompromisse gemacht. Sie betonte, dass das, was aus den Ruinen des Gazastreifens hervorgehen werde, die letzte Chance der Ratsmitglieder sein könnte, Gaza zu retten. Alle müssten zusammenarbeiten.
Der chinesische UN-Botschafter Zhang Jun erklärte, China unterstütze jede Initiative, die Zivilisten schütze und humanitäres Leid verringere. Allerdings sei China sehr besorgt über die Belagerung des Al-Shifa-Krankenhauses. Israel müsse seine militärischen Operationen gegen zivile Einrichtungen einstellen. Der Sicherheitsrat müsse sich auf die Seite der Gerechtigkeit stellen.
Antwort der palästinensischen Autonomiebehörde
Riyad Mansour, Ständiger Beobachter für den Staat Palästina (den es nicht gibt), merkte an, dass der Sicherheitsrat schon längst einen Waffenstillstand hätte fordern müssen. „Gaza blutet. Überall gibt es Tod, Verwüstung, Zerstörung. Niemand wurde geschont.” Die Resolution stelle die Kinder in den Mittelpunkt, von den mehr als 11.000 Palästinensern, die von Israel getötet worden seien, seien 5.000 Kinder. Wahllos greife Israel Krankenhäuser und Schulen an, töte Mitarbeiter der Vereinten Nationen, Journalisten und Ärzte. Hinzu komme die rassistische israelische Propaganda. Alle Parteien müssten sich an das internationale Recht halten, das sei gut. Aber seit Jahrzehnten werde Israel aufgefordert, das Recht einzuhalten, und seit Jahrzehnten habe Israel das Recht ignoriert und sei nie dafür zur Verantwortung gezogen worden, sagte Mansour. „Wird Israel zur Rechenschaft gezogen werden, wenn es diese Resolution, die gerade angenommen wurde, zurückweist?“, fragte er. „Der Wahnsinn muss aufhören.“
Antwort aus Israel
Für Israel äußerte sich der stellvertretende UN-Botschafter Brett Jonathan Miller. Er empfahl dem Sicherheitsrat, die sofortige Freilassung der 239 Geiseln zu fordern. Fast zehn Mal habe sich der Sicherheitsrat getroffen und habe sich nicht durchringen können, das Massaker der Hamas am 7. Oktober zu verurteilen. In der verabschiedeten Resolution gehe es nur um die humanitäre Situation in Gaza, nichts werde darüber gesagt, was dazu geführt habe. Hamas benutze die Bewohner in Gaza als „menschliche Schutzschilde“ und habe „geschworen, Israel auszulöschen“, so der Botschafter. Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung. Für Israel habe die Freilassung der Geiseln „oberste Priorität“. Israel habe Neugeborenen Inkubatoren und medizinische Hilfsgüter in das Al-Shifa-Krankenhaus gebracht und mehr als 300 Liter Benzin geliefert. Hamas habe verhindert, dass die Klinik es angenommen habe.
In einer zusätzlichen Erklärung über X, vormals Twitter, äußerte sich auch Gilad Erdan, der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen. Israel weise die Resolution zurück und werde sich nicht daran halten, wurde Erdan von der Nachrichtenagentur Reuters wiedergegeben. Die Resolution habe „nichts mit der Realität zu tun“ und sei „bedeutungslos“. Israel werde sich weiter an das internationale Recht halten, betonte er. „Die Hamas-Terroristen werden die Resolution gar nicht lesen, geschweige denn, sich daran halten.“
Kinder in bewaffneten Konflikten
Die UN-Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Kinder in bewaffneten Konflikten, Virginia Gamba, begrüßte die Annahme der Resolution durch den UN-Sicherheitsrat. Alle Akteure des Krieges in Gaza, sowohl Israel als auch Hamas als auch der Palästinensische Islamische Jihad, seien dem humanitären internationalen Recht verpflichtet, besonders wenn es um den Schutz der Kinder gehe, sagte Gamba. Man wisse, dass „Kinder unverhältnismäßig durch Krieg betroffen“ seien, so die UN-Diplomatin. „Besonders in so dicht bewohnten Gebieten wie Gaza, wo fast die Hälfte der Bevölkerung jünger als 18 Jahre ist.“ Schutz von Kindern müsse jeder gewährleisten. In den vergangenen sechs Wochen aber seien Kinder täglich entführt, getötet und verstümmelt worden. Krankenhäuser und Schulen „wurden angegriffen und nutzlos für das, wofür sie gebaut wurden“. Die Resolution gebe Hoffnung, dass der Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten wieder ernster genommen werde. „Die internationale Gemeinschaft muss lernen, Frieden mehr zu schätzen als Konflikte.“ Es müsse mehr Energie aufgebracht werden, um Konflikte friedlich zu lösen.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Baerbock: Die „Queen Of Kitsch“ und ihre Freunde in den Medien
nachdenkseiten.de, vom 17. November 2023 um 10:00
Ein Kommentar von: Tobias Riegel
Hinter Tränen und anderen emotionalen Inszenierungen wird eine eiskalte Politik weichgezeichnet – von Waffenlieferungen über Wirtschaftssanktionen bis zur Kriegsverlängerung. Diese Taktik der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kann nur mit der Hilfe wohlgesonnener Journalisten funktionieren. Aktuelle Berichte in einigen großen Medien verdeutlichen aber trotzdem – möglicherweise unfreiwillig – die Tragik, die die Amtsführung Baerbocks für die Bürger bedeutet.
Außenministerin Annalena Baerbock leitet einen permanenten PR-Zirkus in eigener Sache. Bei der Nutzung von politischen Krisen als Bühne für eine emotionale Inszenierung der eigenen Person kennen die grüne Politikerin und ihre Berater kaum noch Grenzen. Um diesen Zirkus zu befriedigen und um sich durch hypermoralische Posen ins rechte Licht zu rücken, werden von der Außenministerin gravierende Folgen für die Bürger hierzulande mutmaßlich billigend in Kauf genommen.
Das ist eine der Botschaften, die hängenbleiben, wenn man die aktuelle ZDF-Produktion „Mensch Baerbock“ gesehen hat. In dieser insofern interessanten „Zwischenbilanz“ fragt Falko Korth: „Kann sie das? Diese Frage begleitet Annalena Baerbock im Dezember 2021 ins Amt der Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland.“
Die Wahrnehmung der Doku kommt auf die Zielgruppe an: Anhänger Baerbocks werden sie als Beweis für das unermüdliche Engagement ihreas Idols ins Feld führen und der Beitrag trägt zumindest einige Züge von Hofberichterstattung. Mir dagegen erscheint der ZDF-Beitrag wie ein ziemlich unvorteilhaftes Porträt einer einerseits unfähigen, aber andererseits extrem ehrgeizigen Spitzenpolitikerin, die dem Ansehen ihres Landes schwer schadet.
„Nicht nur so diplomatisch rumschwurbeln“
Die Grüne Claudia Roth sagt in dem Beitrag, dass Baerbock „nicht nur so diplomatisch rumschwurbeln“ würde. Sie meint das als Kompliment und anscheinend als Beschreibung der vorherigen Praxis. Diese Praxis des Auswärtigen Amtes hat sich unter Baerbock allerdings gehörig geändert – aber nicht zum Besseren, eher entwickelt sich das Auswärtige Amt in Richtung einer undiplomatischen und moralisch anmaßenden Krawallbude. Eine bedenkliche Leichtfertigkeit in der Kommunikation bricht sich Bahn, bei der Russland mal eben der Krieg und Chinas Staatschef zum Diktator erklärt wird – als gäbe es kein Morgen und als bräuchte Deutschland nur noch das Wohlwollen der USA in der Welt.
Screenshot ZDF
Selbstverständlich ist ein indirektes Fazit des Films, dass sie „es kann“ – dafür müssen allerdings all die schweren Irritationen, die Baerbock in der Welt hinterlässt, hinter dem „Menschen Baerbock“ verschwinden. Die Autoren des Films geben insofern der geschickten Kitsch-Propaganda des Auswärtigen Amtes unter Baerbock streckenweise auch eine Bühne.
In dem Beitrag kommen aber durchaus Kritiker der Außenministerin zu Wort, etwa Sahra Wagenknecht. Auch wird die exzessive Praxis des Baerbock-Trosses thematisiert, gefühlvolle Symbolik zu inszenieren und für die Darstellung der eigenen Person zu nutzen. Unterm Strich wird die Politikerin in der ZDF-Produktion aber allein dadurch weichgezeichnet, dass die von Baerbock mitzuverantwortenden politischen Entwicklungen (etwa zum Ukrainekrieg) im Film vernebelt werden.
Wie an vielen anderen Stellen werden auch beim ZDF zwar begangene „Fehler“ Baerbocks und nebensächliche Anekdoten thematisiert, sie bilden aber nur einen pseudokritischen Vorhang, hinter dem der harte Charakter und die Motivation der grünen Außenpolitik verschwindet. Denn die zielgerichtete Politik hinter den gefühlvollen Inszenierungen und hinter den von Baerbock auf dem Weg zur Spitze begangenen „Fehlern“ ist als hochproblematisch zu bezeichnen: Zumindest ein Teil der irrational erscheinenden Entscheidungen der Ampel erklärt sich durch die Unterwerfung unter wirtschafts- und geopolitische US-Interessen zulasten der Bürger hierzulande. Der Ausdruck „Fehler“ führt teilweise in die Irre, denn einige Ergebnisse der Anti-Diplomatie Baerbocks (etwa eine fortgesetzte Feindschaft gegenüber Russland) sind mutmaßlich gewollt.
Gefühle und Waffenlieferungen
Die Praxis, die Politik der Ampelregierung mithilfe einer emotionalen Atemlosigkeit von ihren Folgen für die Bürger zu trennen und diese Folgen stattdessen „multiplen Krisen“ zuzuschreiben, die anscheinend einfach so vom Himmel fallen, wurde vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erst kürzlich in der aufwendigen Hofberichterstattung „Ernstfall – Regieren am Limit“ in neue Höhen getrieben.
Auch wenn die aktuelle Zuspitzung in Nahost und Baerbocks zeitweise harte Haltung gegen eine Waffenruhe in Gaza nicht in dieses Muster passt – es ist ein wiederkehrendes Phänomen der Bundesregierung: Durch Verweigerung von Diplomatie und einen selber vorangetriebenen Wirtschaftskrieg entstandene Krisen werden als höhere Gewalten ausgegeben, denen man sich heldenhaft entgegenstellt. Dass viele Journalisten diesen Mythos immer noch stützen, ist unseriös. Im Falle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verstößt diese Art von Abschirmung meiner Meinung nach gegen das Neutralitätsgebot.
Screenshot ZDF
Die „Königin des Kitsches“
Baerbock ist als die „Queen of Kitsch“ zu bezeichnen: Kein anderer Politiker drückt so skrupellos öffentlich auf die Tränendrüse. Kein anderer Politiker betont so penetrant die eigene Leistung, Kinder auf die Welt gebracht zu haben. Überhaupt die Baerbock-Kinder: Kürzlich berichtete die Bild von einem Baerbock-Besuch in Israel:
„Baerbock, die selbst zwei Kinder hat, versucht, das Grauen in Worte zu fassen, ihre Stimme stockt: „Wenn man die Bilder sieht und sich vorstellt, es wären die eigenen Töchter – ich weiß nicht, wie Sie die Kraft finden, hier überhaupt sitzen zu können.“
Baerbocks Tränen kamen auch bei einem Auftritt bei Anne Will zum Einsatz:
„Dabei kämpfte die Außenministerin sichtlich mit den Tränen: ‚Wenn man das hört und spürt, dann hat man immer wieder dieses Gefühl: ‚Mein Gott, das könnten wir alle sein‘, sagte sie, während ihre Stimme brach.“
Zu erwähnen wäre auch dieser aktuelle Kommentar im Deutschlandfunk, der ebenfalls eine Pseudo-Atemlosigkeit erzeugt, hinter der konkrete Politik verschwimmt – auch hier nimmt Baerbock Bezug auf ihre eigene Rolle als Mutter. Baerbocks Praxis des öffentlichen Weinens geht zurück bis (mindestens) 2019, wie Medien berichten, auch hier wurden schon die eigenen Kinder thematisiert:
Screenshot WELT
Dass Baerbock auf der anderen (realen) Seite eine zum Teil eiskalte Politik vorantreibt, wird wie gesagt erfolgreich hinter dem tränenreichen Polit-Theater versteckt – und viele Journalisten helfen der Außenministerin dabei. Denn wie passt die kriegsverlängernde Politik Baerbocks bezüglich der Ukraine und die Einstellung gegen Waffenruhen in Gaza zum Bild der weinenden Mutter und ihrer „feministischen Außenpolitik“?
Die Politiker, die Tränen und die selektiven Inszenierungen
Die Emotionalisierung der Außenpolitik hat nicht nur den hier beschriebenen ablenkenden Charakter: Die Tränen werden ja außerdem sehr selektiv vergossen, die Auftritte sind darum immer mit einer fragwürdigen Überbetonung eines bestimmten (oft individuellen) Leids verbunden – diese Aufmerksamkeit wird etwa Opfern der US-Außenpolitik nicht so oft zuteil. Zu guter Letzt unterstelle ich Baerbock (ohne dafür Beweise zu haben), dass einige der emotionalen Auftritte mindestens teilweise gespielt sind. Weil die Außenministerin in dieser Inszenierung der eigenen Gefühle aber momentan unerreicht ist, kann man sie durchaus zur aktuellen Königin des Kitsches in der deutschen Politik adeln.
Es ist tragisch: Die Welt ist im Wandel, mit all den Chancen und Gefahren – und Deutschlands Repräsentantin ist Annalena Baerbock:
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
18.11.2023
Präsident Herzog: Israel plant Stationierung "sehr starker Kräfte" im Gazastreifen
freedert.online, vom 16 Nov. 2023 15:35 Uhr
Um ein Wiedererstarken der Hamas zu verhindern, plant Israel eine starke Militärpräsenz im Gazastreifen, erklärt Staatspräsident Isaac Herzog gegenüber der Financial Times. Er erwartet, dass die USA und Israels Nachbarn in Gaza nach dem Krieg eine Rolle spielen werden.
Am Donnerstag hat Israels Staatspräsident Isaac Herzog im Interview mit der Zeitung Financial Times erklärt, sein Land könne kein Vakuum im Gazastreifen hinterlassen. In naher Zukunft müsse eine "sehr starke Truppe" in der Küstenenklave aufrechterhalten werden, damit die Hamas nicht wieder hervortrete. Herzog, der zwar über keine Exekutivbefugnisse verfügt, jedoch über die Kriegsentwicklungen unterrichtet wird, betonte wie folgt:
"Um zu verhindern, dass der Terror wieder auftaucht, müssen wir eine sehr starke Truppe haben, um sicherzustellen, dass sie engagiert genug ist und dass ein solcher Anschlag nicht wieder passiert."
Herzog zufolge diskutiert die Regierung verschiedene Varianten, wie der Gazastreifen nach dem Ende des Konflikts verwaltet werden soll. Der Präsident geht davon aus, dass die USA und die Nachbarn in der Region eine gewisse Beteiligung an der Nachkriegsordnung spielen werden. Welcher Mechanismus auch gewählt werde, niemand wolle, dass sich Gaza erneut in eine Terrorbasis verwandele.
In erster Linie wolle Israel Herzog zufolge die Freilassung der rund 240 Geiseln erreichen, die die Hamas bei ihrem Angriff auf Südisrael am 7. Oktober gefangen genommen hatte. Die internationale Gemeinschaft verstehe das und unterstütze Israels Recht, sich zu verteidigen. Bisher habe die Hamas keine Informationen über die Geiseln herausgegeben und scheine nicht zu einer Kooperation bereit zu sein. Daher müsse Israel kämpfen und die Menschen zurückholen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte zuvor erklärt, Israel werde auf unbestimmte Zeit die allgemeine Sicherheitsverantwortung im Gazastreifen behalten. Die US-Regierung räumte ein, dass eine Übergangsperiode notwendig sein könnte. Washington warnte aber Israel davor, den Gazastreifen wieder zu besetzen oder das Territoriums der Enklave durch neue Sicherheitsbarrieren oder Pufferzonen zu verringern.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
@ Edmund Kisicki Aber, aber! Allein nur das Deutsche Volk kann Völkermord in Vollendung begehen, das wissen wir doch alle aus den Geschichtsbüchern…und außerdem:
Immer hübsch das Rechtfertigen, das Relativieren, das Billigen etc. vermeiden, sonst kommt eine Hundertschaft BRD-Polizei zum morgendlichen Tür-eintreten vorbei und der teure Lab-Top ist dann auch weg, nebst allen Speichermedien und den Handy´s …und im Zweifelsfalle wird der Haus-Köter erschossen, weil dieser als Gefahr wahrgenommen wird. Also: Immer hübsch ruhig bleiben und auf die politische Etikette achten!
Die USA reagieren ziemlich sauer auf die Alleingänge Netanjahus und der IDF. (Israeli Defence Forces) Wie ich schon an anderer Stelle schrieb: Die USA regieren die Welt und Israel regiert die USA. Biden murrt zwar, aber schlußendlich ist er wie der Schoßhund Israels. Wenn ihm ein Happen hingeworfen wird, dann springt er danach. Wenn ihm gesagt wird, was er liefern soll, dann tut er das pflichtschuldigst. 10.000 Sturmgewehre? Kein Problem für Uncle Sam. Israel muß sich ja selbst verteidigen, darum heißt es auch «Israelische Verteidigungskräfte.» Ironie off.
Es ist ein unterschied. 9Jahre führten die Banderisten (Ukrainer) Krieg gegen die Russischen Bürger der Ukraine. Besuchen Sie bitte die Allee der Engel. Bei Banderas haben Russen, Pollen, Juden, Sinti und Roma kein recht zu leben, nur Ukrainer. https://de.everybodywiki.com/Allee_der_Engel Danke. Selenski sagte: Die Ukrainer haben vor 80Jahren die Juden vor den Nazis geretet. Sagen Sie das auch? Wo doch in Kiew in der Babi Yar Schlucht am 29. und 30. September 1941 33000 (Dreiunddreißigtausend) sowjetische Bürger jüdischen Glaubens und Blutes von deutschen Nationalsozialisten und ihren Ukrainischen Nazi Helfern ermordet wurden,
Haben die arabisch-stämmigen Palästinenser auch noch ein Recht auf einen eigenen Staat, oder ist das jetzt endgültig vom Tisch? Vielleicht dürfen aber nur auserwählte Völker eigene Staaten beanspruchen, die bekommen ihre Landraubanweisungen direkt von Gott, glauben sie. Aber Gott der Herr hat mit solchen Selbstauserwählten nichts zu tun, das kann jeder in der Bibel nachlesen.
«Um zu verhindern, dass der Terror wieder auftaucht, …» muss Israel fest auf die von der UNO festgelegte Grenze reduziert werden. Landraub darf nicht legitimiert werden .
Das Land gehört mir“ (Lev 25,23). Deshalb darf Ackerland nie „für immer“ verkauft werden, sondern soll im Jobeljahr, jedem 50. Jahr, an die ursprünglichen Eigentümer zurückfallen. Lesen Sie bitte Jesajas: Wehe denen, die Haus an Haus reihen, Feld an Feld rücken, bis kein Raum mehr ist und ihr allein ansässig seid mitten im Land! Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Hören, ja, hören sollt ihr und nicht verstehen! Sehen, ja, sehen sollt ihr und nicht erkennen. Mache das Herz dieses Volkes fett, mache seine Ohren schwerhörig, und verklebe seine Augen damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört und sein Herz nicht einsichtig wird und es nicht umkehrt und Heilung für sich findet. Da sagte Jesaja: Wie lange, Herr? Und er sprach: Bis die Städte verwüstet sind, ohne Bewohner, und die Häuser ohne Menschen und das Land zur Öde verwüstet. Der HERR wird die Menschen weit fortschicken, und die Verlassenheit mitten im Land wird groß sein. Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, über Juda und Jerusalem geschaut hat: Und es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses des HERRN feststehen als Haupt der Berge und erhaben sein über die Hügel; und alle Nationen werden zu ihm strömen. Und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, laßt uns hinaufziehen zum Berg des HERRN, zum Haus des Gottes Jakobs, daß er uns aufgrund seiner Wege belehre und wir auf seinen Pfaden gehen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und das Wort des HERRN von Jerusalem. Und er wird richten zwischen den Nationen und für viele Völker Recht sprechen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Nicht mehr wird Nation gegen Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen. Ich Theiler bin mir sicher alle Nationen der Welt finden den Weg zum Berg. Ob die Juden den Weg finden zweifle ich an, diese werden am Ende nicht benannt.
Wenn einzig Terror eine Rolle spielt, wer besetzt dann eigentlich Israel? Und dann könnte ja jedes Land einen Terroranschlag erfinden, um fremde Länder zu besetzen, so nicht!
Bei der ganzen Geschichte geht es auch um große Erdöl- und Gasvorkommen vor der Küste des Gaza Streifens. Es geht immer um Rohstoffe und Geld. Der Rest ist Show.
Der Staat Israel wird in den Geschichtsbüchern der Völker als tragischer Versuch der USA, ihre Agonie abzuwenden, sicher Erwähnung finden. Und das Ha’avara-Abkommen war sicher keine gesunde Basis für eine Zukunft der jüdischen Lebensart.
Der große streng gläubige Prof. Yeshayahu Leibowitz sagte über Israel: „Ein Staat, der eine unfreundlich gesinnte, eineinhalb bis zwei Millionen fremde Menschen zählende Bevölkerung beherrscht, wird zwangsläufig zu einem Staat, der von einer Geheimpolizei beherrscht wird – mit all seinen Implikationen für die Bildung, die Redefreiheit und die Demokratie. Die korrumpierenden Kräfte jedes Kolonialregimes werden sich auch im israelischen Staat zeigen. Die Verwaltung wird mit der einen Hand den arabischen Aufstand unterdrücken, und mit der anderen sich arabischer Quislinge annehmen. Es bestehen auch gute Gründe für die Befürchtung, dass die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte, die bis jetzt eine Volksarmee waren, als Resultat dieser Entwicklung sich in eine Besatzungsarmee verwandeln, degenerieren, ihre Offiziere zu militärischen Verwaltern mutieren und sodann ihren Kollegen in anderen Nationen ähneln.“ Ich Theiler frage: Wo sind die Juden? Man hat die Straße, die in Kiew zu Babi Yar Schlucht führt in der am 29. und 30. September 1941 33000 (Dreiunddreißigtausend) sowjetische Bürger jüdischen Glaubens und Blutes von deutschen Nationalsozialisten und ihren Ukrainischen Helfern ermordet wurden, umbenannt. Ja, diese Straße wurden am 9. August 2016 umbenannt in die Nazi „Stepan Bandery Avenue“. Ich meine unser aller Herzen müssten zum Schlagen aufhören. Doch Habeck fuhr 2021 über diese Straße nach Babi Yar ohne die Namensgebung zu Tadeln. Das Blut der von den Nazis Ermordeten möge über Habeck kommen. Wer es nicht glauben will: Stadtkarte von Kyiv (Kiew) https://www.google.de/maps/@50.4850538,30.484... Ach ja, Israel liefert Waffen an die Ukraine.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Weiteres:
Gaza: in Kürze....
aus e-mail von Doris Pumphrey, vom 17. November 2023, 8:14 Uhr
*UN-Sonderberichterstatterin: Israel kann sich nicht auf "Recht auf
Selbstverteidigung" berufen
*16.11.2023
In einer Rede vor dem National Press Club in der australischen
Hauptstadt Canberra hat die UN-Sonderberichterstatterin Francesca
Albanese am Dienstag das Argument Israels entkräftet, dass der Krieg
gegen den Gazastreifen ein Akt der Selbstverteidigung wäre. Israel könne
sich schon deshalb nicht auf Artikel 51 der UN-Charta zur Rechtfertigung
seines militärischen Vorgehens berufen, weil es sich beim Gazastreifen