Trumps neue WeltordnungAll hands on deck!
taz.de, 1.03.2025, 20:14 Uhr, Essay von Harald Welzer und Diana Kinnert Eine neue Oligarchie teilt die Welt unter sich auf und bedroht die Demokratie, während Deutschland über Migration diskutiert. Zeit für eine Neuordnung der Prioritäten.
Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist Illustration: Katja Gendikova
1.3.2025 20:14 Uhr
Das Beste am Wahlergebnis vom vergangenen Wochenende ist wohl, dass die Bildung einer neuen, handlungsfähigen Regierung flott gehen kann. Aber auch flott gehen muss, weil Europa jetzt vor der großen Herausforderung steht, sich in kürzester Zeit von den USA unabhängig zu machen. Ansonsten werden der Kontinent und seine Staaten ihre außenpolitische Souveränität einbüßen und sich den Absichten des Triumvirats Trump, Putin, Xi fügen müssen.
Einen guten Monat nach der offiziellen Amtseinführung von Donald Trump muss man feststellen, dass man es beim Handeln seiner Regierung gar nicht mehr mit dem zu tun hat, was man seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Politik verstanden hat. Denn unabhängig davon, welchem Gesellschaftsmodell und welcher Form von Staatlichkeit die internationalen Akteure sich verpflichtet fühlten, konnte man doch weitgehend davon ausgehen, dass Aushandlungen, Abkommen und Verträge die Basis für außenpolitisches Handeln waren.
Dagegen steht jetzt die postpolitische Formulierung von Ansprüchen, die aus einer Position der Machtüberlegenheit an andere gestellt werden. Das ist neu, weil hier die hergebrachten Kategorien von politischer Freundschaft oder Gegnerschaft überhaupt nicht mehr greifen. Was zählt, sind Macht und Opportunität.
It's the money, stupid!
Der scheidende US-Präsident Joe Biden warnte das Land vor seinen Nachfolgern: Die Macht läge nun in den Händen „einiger weniger ultrareicher“ Leute, dieser Tage wandelten sich die USA in eine „Oligarchie“, eine „echte Gefahr für die Vereinigten Staaten.“
It’s the money, stupid! Oligarch Elon Musk allein überwies bekanntlich rund 250 Millionen Dollar für Trumps Wahlkampf. Für die Feierlichkeiten zur Amtseinführung konnte sich der designierte US-Präsident auf mehr als 170 Millionen Dollar Spenden verlassen, die höchste Summe, die ein Komitee für die Amtseinführung eines US-Präsidenten je erhalten hat. Mit Millionenbeträgen beteiligt: Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Sam Altman, der CEO des KI-Unternehmens OpenAI.
Und gleich wird gehandelt: Der Staat verzichtet auf 1,8 Billionen Dollar Steuern und nimmt Steuerbehörden und Finanzaufsicht an die kurze Leine. Die Regulierung künstlicher Intelligenz wird gleich gänzlich sein gelassen. Zuckerberg verzichtet fortan in den USA auf Facebook, Instagram und Threads auf die bisherigen Moderationsregeln – ähnlich wie schon Musk auf X. Die Plattformen, inzwischen eine kommunikative Infrastruktur unserer Demokratie, sind nun hochoffiziell rechtsfreie Räume, die Extremismus, Diskriminierung, Hatespeech und Fake News als unproblematisch ansehen.
Elon Musk zieht als Beauftragter für Regierungseffizienz direkt ins Weiße Haus, lässt irgendwelche Mitarbeiter aus seinen Unternehmen im großen Stil Organisationen schließen und Beschäftigte entlassen. Wie man hört, soll das vorgeblich eingesparte Geld gleich in Form von Schecks an die amerikanischen Bürgerinnen und Bürger verteilt werden, sofern sie nicht „illegale Einwanderer“ sind. Die kategorische Unterscheidung von Zugehörigen und Ausgeschlossenen gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen totalitärer Herrschaft, und man kann sicher sein, dass sie auch hier funktioniert.
Was hier vor unseren Augen geschieht, erinnert an die „Racket-Theorie“ Max Horkheimers aus den 1940er Jahren, nach der „die Herrschaft der Personen die Form des Gesetzes“ annimmt. Diese Theorie kam zu früh und wurde nicht weiterentwickelt, aber nun ist die postpolitische Durchsetzung von Macht- und Wirtschaftsinteressen durch eine Clique von Milliardären und zwielichtigen Gestalten aus einem Familienclan eröffnet, die in den Besitz der größten Volkswirtschaft der Erde gekommen sind. Und der größten Militärmacht der Welt. Einige von ihnen besitzen mehr Geld als Privatmenschen jemals zuvor, und ihnen gehören die größten Medienkonzerne auf dem Globus. Sie kontrollieren sensibelste Infrastruktur im Weltall und bestimmen sämtliche soziale Mechanismen im World Wide Web.
Deutschland beschäftigt sich mit Spaltungsdeatten
Währenddessen machen sich in den verbliebenen demokratischen Staaten autokratische Akteure auf, Regierungen zu stellen – in Italien, in der Slowakei, in Ungarn ebenso; Österreich, Frankreich, die Niederlande, Belgien sind weitere Kandidaten. Trumps „Bros“ machen sich an die Beeinflussung fremdländischer Wahlen. Großbritanniens Rechtspopulisten sprechen von einer Großspende in Höhe von bis zu 100 Millionen Euro. Der AfD-Chefin Alice Weidel spülte Musk unlängst ein Publikum von über 200.000 Menschen im gemeinsamen verstörenden Propaganda-Livestream zu, in dem Adolf Hitler zum Kommunisten erklärt wurde. Zwei Wochen später ließ sich Musk dann beim Parteitag der AfD bejubeln.
Dem deutschen Wahlvolk ist Anerkennung zu zollen, dass sich nur ein Fünftel von diesem ganzen Zauber hat beeindrucken lassen. Und das, obwohl die Machtakkumulation der Feinde der offenen Gesellschaft im Wahlkampf praktisch gar nicht zur Kenntnis genommen wurde. Schon der Bruch der Ampelkoalition in dieser Situation war eine unglaubliche Fahrlässigkeit, genauso wie das Hochjazzen des Migrationsthemas, eines Spaltungstopos par excellence.
Den Parteien, nicht zuletzt aber auch den Medien, ist dringend zu raten, sich jetzt mal die Vernünftigkeit der Bürgerinnen und Bürger zum Vorbild zu nehmen und ihre vordringlichen Probleme tatsächlich mal zu adressieren – als da wären: ein skandalös verengter Wohnungsmarkt, Pflegenotstand und ein Gesundheitssystem vor dem Kollaps, eine komatöse Schlüsselindustrie, ein mehr als marodes Bildungssystem, kaputt gesparte Infrastrukturen, ein immer gefährlicher und teurer werdender Klimawandel und nicht zuletzt ein stetig steigender Vertrauensverlust in System, Politik und Eliten. Und eben die neue Großmachtkonstellation, in deren Wettbewerb seit dem 20. Januar 2025 keine vollständige Demokratie mehr mitspielt.
Sind das keine Sachverhalte, deren Lösung die demokratischen Parteien als ihre Aufgaben betrachten? Ist das alles im Vergleich zu den Themen Migration, Bürokratie und Bürgergeld wirklich unwichtiger? Warum ist die spektakuläre Abkehr von den Menschenrechten, von sozialer und womöglich ökologischer Marktwirtschaft, von der Bewahrung der Schöpfung und dem Streben nach Emanzipation, Gerechtigkeit und Frieden kein Phänomen, das den Leitmedien Titelgeschichten abringt, die sozialwissenschaftlichen Fakultäten an den Unis in Aufruhr versetzt und die Leute auf die Straßen treibt? Der Multilateralismus scheint leise gestorben. Wird die Demokratie ihm sang- und klanglos folgen?
Wo sind die ale?
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch? Dieser Satz des umnachteten Hölderlin war schon immer Kokolores, aber nun sehen wir, staunend, seine Umkehrung: Im neuen Elite-Panel der FAZ, einer Umfrage unter den 500 wichtigsten „Entscheidern“ im Land, verbinden 64 Prozent der Befragten „Chancen“ mit der neuen Präsidentschaft von Trump. Das ist entweder schiere Dummheit oder vorauseilender Opportunismus, was sich allerdings nicht ausschließen muss. Eine arme Demokratie, die solche „Entscheider“ hat.
64 Prozent der deutschen Entscheider verbinden Chancen mit der Präsidentschaft Trumps. Eine arme Demokratie, die solche „Entscheider“ hat
Je evidenter die Gefahr der Zerstörung der offenen Gesellschaft wird, desto weniger sichtbar wird eine entschlossene Gegenwehr, die von den Gewerkschaften, den Kirchen, den gemeinwohlverpflichteten Verbänden und Organisationen und nicht zuletzt von den Stiftungen ausgehen könnte und müsste. Wo sind die alle?
Die Geschichte hat schon mehrere Zivilisationsbrüche gesehen, in denen immer dieselben Ordnungen von Freundschaft/Feindschaft, zugehörig/nichtzugehörig etabliert wurden, die am Ende immer zu denselben Ergebnissen von Krieg und Massenmord führten. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts liefert doch hinreichend Blueprints für totalitäre Herrschaft; man kann wissen, wie das alles geschieht.
Die Vorgeschichte der Machtübernahme durch den Trumpismus und die ersten Wochen seiner Herrschaft liefern uns wertvolle Hinweise darauf, welche Fehler Politik und Zivilgesellschaft nicht machen dürfen, wenn sie erfolgreich die freiheitliche Ordnung verteidigen wollen – etwa Polarisierung befördern, politische Wettbewerber als Gegner stilisieren, lügen, Prioritäten nach Umfragen setzen, Schwächen der anderen suchen anstatt eigene Stärken entwickeln etc. Man bekäme so ein Roadbook zur Verteidigung der Demokratie und am besten zu einem neuen Bündnis zwischen Politik und Zivilgesellschaft, und nichts schiene uns für den Moment wichtiger als das.
Und noch etwas legt uns dieser Moment nahe: Alle diejenigen, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise für diese Gesellschaft engagiert sind, im Ehrenamt, in NGOs, in der Nachbarschaftshilfe, wo auch immer, müssen jetzt ihr zentrales Interesse in den Mittelpunkt stellen, die Gesellschaftsform zu bewahren, die ihnen ihre Engagements überhaupt erst ermöglicht. Es ist in diesem Augenblick egal, ob man sich für Klima- oder Gender- oder Menschenrechtsfragen engagiert, bei Fridays for Future oder Brot für die Welt, bei den Pfadfindern oder den Landfrauen ist – es geht jetzt darum, ein machtvolles, gesamthaftes Bündnis zu schmieden, das die freiheitliche Demokratie verteidigt.
Und was den nächsten Bundeskanzler angeht: Nachdem Friedrich Merz am 23. Februar 2025 den schönsten Tag seines Lebens haben durfte, kann er sich ja jetzt vornehmen, ein großer Europäer zu werden. Mancher wächst doch mit seinen Aufgaben, und diese wäre eine höchst dringliche.
Erich Kästner wusste, wovon er sprach, als er die Einsicht formulierte: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“
Die unglaubliche Dynamik, mit der gerade ein ganzes Zivilisationsmodell umformatiert werden soll, könnte einem eine Idee davon geben, womit man es jetzt zu tun hat. Die Demokratie gerät dabei zusehends in Not. All hands on deck!
Info: https://taz.de/Trumps-neue-Weltordnung/!606998
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
Weiteres:
interview
Nach Eklat bei Selenskyj-Besuch "Die USA haben sich entschieden"
Video https://media.tagesschau.de/video/2025/0301/TV-20250301-1637-2100.webs.h264.mp4 Dauer 9:20 min
tagesschau.de, Stand: 02.03.2025 05:20 Uhr
Player: video"Das Verhältnis zwischen der Trump-Regierung und der Ukraine ist irreparabel", so Thomas Zimmer, Historiker Georgetown-Universität Washington, zum gestrigen Eklat
tagesschau24: Ist der Bruch der Beziehungen zwischen den USA und der Ukraine irreparabel?
Thomas Zimmer: Das Verhältnis zwischen der Trump-Regierung und der Ukraine ist irreparabel. Oder um es ein bisschen präziser zu sagen: Es hat sich zweifellos zu einem antagonistischen Verhältnis gewandelt, in dem die USA nicht mehr auf der Seite der Ukraine stehen. Aber das liegt nicht an dem, was da im Weißen Haus passiert ist.
Das war zweifellos ein groteskes Schauspiel, auch ein beispielloser Moment in der amerikanischen Geschichte. Aber es ist nicht die Ursache einer veränderten Haltung der USA, sondern selbst Ausdruck davon, dass Trump und seine Regierung vollkommen abgerückt sind. Abgerückt ja nicht nur davon, die Ukraine zu unterstützen, sondern viel grundsätzlicher von der liberalen Weltordnung, in der die Trumpisten eine Lüge sehen.
Das ist ja auch die Position, die Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Wochen bezogen hat: eine eindeutige Parteinahme gegen die liberalen Demokratien in Europa. Und das ist die Position, die Trump am Mittwoch bezog, als er die EU als feindliches, antiamerikanisches Projekt beschrieben hat.
Insofern ist das, was wir da erlebt haben, nur ein weiterer Beleg dafür, wie grundsätzlich die USA sich von Demokratie und liberaler Ordnung abgekehrt haben.
Europa müsse sich von dem Missverständnis verabschieden, mit US-Präsident Trump sei eine gemeinsame Politik möglich: Der Historiker Zimmer fordert, die neue Politik der USA als das zu akzeptieren, was sie ist.
Angesichts des Eklats im Weißen Haus sieht der deutsche USA-Experte Thomas Zimmer von der Georgetown University (Washington) keinen Weg mehr zurück zu einem guten transatlantischen Verhältnis mit der Regierung von Präsident Donald Trump. Zimmer sagte im Interview mit tagesschau24, die Konfrontation Trumps und seines Stellvertreters JD Vance mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe verdeutlicht, wohin sich die USA bewegten: Weg von liberalen Demokratien in Europa, hin zu autokratischen Herrschern wie Wladimir Putin in Russland.
tagesschau24: Ist der Bruch der Beziehungen zwischen den USA und der Ukraine irreparabel?
Thomas Zimmer: Das Verhältnis zwischen der Trump-Regierung und der Ukraine ist irreparabel. Oder um es ein bisschen präziser zu sagen: Es hat sich zweifellos zu einem antagonistischen Verhältnis gewandelt, in dem die USA nicht mehr auf der Seite der Ukraine stehen. Aber das liegt nicht an dem, was da im Weißen Haus passiert ist.
Das war zweifellos ein groteskes Schauspiel, auch ein beispielloser Moment in der amerikanischen Geschichte. Aber es ist nicht die Ursache einer veränderten Haltung der USA, sondern selbst Ausdruck davon, dass Trump und seine Regierung vollkommen abgerückt sind. Abgerückt ja nicht nur davon, die Ukraine zu unterstützen, sondern viel grundsätzlicher von der liberalen Weltordnung, in der die Trumpisten eine Lüge sehen.
Das ist ja auch die Position, die Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Wochen bezogen hat: eine eindeutige Parteinahme gegen die liberalen Demokratien in Europa. Und das ist die Position, die Trump am Mittwoch bezog, als er die EU als feindliches, antiamerikanisches Projekt beschrieben hat.
Insofern ist das, was wir da erlebt haben, nur ein weiterer Beleg dafür, wie grundsätzlich die USA sich von Demokratie und liberaler Ordnung abgekehrt haben.
Zur Person
Thomas Zimmer lehrt an der Georgetown University in Washington internationale und US-Geschichte des 20. Jahrhunderts mit einem Fokus auf dem transatlantischen Verhältnis. Vorher war er Assistenzprofessor für Zeitgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg."Gezielter Angriff des amerikanischen Präsidenten"
tagesschau24: US-Präsident Trump hatte in seinem Wahlkampf quasi versprochen, dass der Krieg gegen die Ukraine innerhalb von 24 Stunden durch ihn beendet würde. Das ist offensichtlich nicht erfolgt. Es gibt die Theorie, dass der US-Präsident einfach einen Schuldigen dafür sucht, warum es mit dem Frieden in der Ukraine nicht so schnell geht. Ist diese Theorie stichhaltig?
Zimmer: Wir haben es hier nicht nur mit einer momentanen Entgleisung zu tun, einer Art Ausrutscher. Was da passiert ist, war tatsächlich der Plan. Das war ein gezielter Angriff des amerikanischen Präsidenten und des Vizepräsidenten auf einen nominellen Verbündeten. Ich glaube nicht so sehr wegen der Wahlkampfversprechen.
Sondern das hat zum einen das Ziel gehabt, den ukrainischen Präsidenten vorzuführen. Das ist genau diese neue Art von aggressiver Dominanzpolitik, die zum Charakteristikum der amerikanischen Außenpolitik unter Trump werden wird. Das hatte auch das Ziel, ganz klar nach innen und nach außen zu demonstrieren, dass die USA eben nicht mehr auf der Seite der Ukraine und der Europäer stehen.
Zum anderen hatte es das Ziel, dieses Spektakel als Vorwand zu nutzen, um jetzt die militärische Hilfe für die Ukraine einzustellen. Damit droht jedenfalls die Trump-Regierung, unmittelbar nach diesem Eklat, haben Sie das verlauten lassen. Das ist jetzt ja schon sehr lange und länger das erklärte Ziel von Donald Trump.
"Abwendung von der liberalen Weltordnung"
tagesschau24: Manche Analysten sagen, dass Selenskyj sich bei dem Gespräch taktisch ungeschickt verhalten habe, weil er vor laufenden Kameras eine Grundsatzdebatte über US-amerikanische Sicherheitsgarantien und Kriegshilfe gestartet hat. Wie sehen Sie das?
Zimmer: Das halte ich für völlig verfehlt, weil es auf einem ganz grundsätzlichen Missverständnis aufbaut: Der Vorstellung, dass sich die Position Trumps in dieser Frage durch taktisches Geschick und diplomatische Finesse steuern lasse. Das ist Wunschdenken, das sich weiterhin an die Idee klammert, Trump hätte gar keine konsistente Position. Er sei doch vielleicht nur ein Geschäftsmann, der eben einen guten Deal aushandeln wolle und außerdem jemand, den man durch Schmeichelei irgendwie alles verkaufen könne.
Das lässt aber völlig außer Acht, dass Trump ja nun schon seit vielen Jahren eine sehr klare Haltung in diesem Konflikt und eine sehr klare Neigung zu Russland und autokratischen Herrschern wie Putin hat. Es lässt auch völlig außer Acht, dass die trumpistischen Kräfte, die nun an der Macht sind, in den USA ein klares, ideologisch definiertes Projekt verfolgen. Die meinen das wirklich ernst mit der Abwendung von der liberalen Weltordnung, von Europas liberalen Demokratien. Denen schwebt was ganz anderes vor. Wir müssen uns von der Idee lösen, mit ein bisschen Geschick, mit ein bisschen Fingerspitzengefühl ließe sich das alles irgendwie abwenden.
"Es ist einfach das, wonach es aussieht"
tagesschau24: Gibt es denn Punkte, in denen Trump und Vance inhaltlich recht hatten?
Zimmer: Nein, gibt es nicht. Ich verstehe, dass das vielleicht so klingt, als wäre es zu wenig differenziert. Ich hoffe, dass sich wirklich alle selbst in voller Länge diese Sache anschauen. Ich gebe Ihnen drei konkrete Beispiele, warum die eben nicht recht haben mit dem, was sie sagen.
Vance und Trump sagen, Selenskyj solle doch den Deal annehmen. Aber welchen Deal denn? Es gibt ja gar keinen Deal. Es gibt nur die Forderung, die Ukraine solle gefälligst Russlands Bedingungen erfüllen. Vance und Trump werfen Selenskyj vor, er sei undankbar. Aber bei jedem öffentlichen Termin in den USA, bei jedem politischen Auftritt, hat Selenskyj seine Dankbarkeit, auch überschwänglich mit großer Emotion, ausgedrückt.
Vance wirft Selenskyj vor, er habe im Herbst in Pennsylvania Wahlkampf für die Demokraten gemacht. Selenskyj war in der Tat in Pennsylvania im September unterwegs, aber nicht bei Wahlkampfveranstaltungen, sondern er hat eine Munitionsfabrik besucht und sich da ausgiebig bedankt für die Unterstützung der Arbeiterinnen und Arbeiter in dieser Munitionsfabrik.
Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir aufhören könnten, nach Wegen zu suchen, das was da passiert, irgendwie doch als etwas anderes zu beschreiben, als das, wonach es aussieht. Denn es ist einfach das, wonach es aussieht. Die USA haben sich entschieden, in ein antagonistisches Verhältnis zu der Ukraine und den europäischen Demokratien zu treten.
"Die Ukraine steht ja heute eigentlich besser da"
tagesschau24: Wo hatte denn Selenskyj recht?
Zimmer: Der Moment, in dem das richtig losging, war, als Vizepräsident JD Vance sagte, Selenskyj müsse nun mal eben den diplomatischen Weg versuchen, er solle mal die Diplomatie versuchen. Selenskyj fragte daraufhin: Was das denn heißen soll, Diplomatie? Das ist doch eine berechtigte Frage. Vor allem, wo doch Trump selbst ganz deutlich signalisiert hat, er werde über die Ukraine hinweg und ohne ukrainische Beteiligung die Lösung dieses Konflikts mit Putin finden. Was erwartet man dann eigentlich von dem Präsidenten der Ukraine?
Wenn man jetzt fragt, was Selenskyi richtig gemacht hat in dieser Situation, mit der er konfrontiert war, dann kann man vielleicht sagen: Die Ukraine steht ja heute eigentlich besser da, als vor dem Eklat. Denn zusammengenommen mit dem Auftritt von Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz sollte doch jetzt in Europa wirklich allen klar sein, mit wem man es hier in den USA zu tun hat. Da sollte jetzt letzte Zweifel ausgeräumt worden sein. Aus ukrainischer Sicht wäre das ja wenigstens ein Lichtblick, der jetzt aus dieser Sache herausgekommen sein könnte.
"Europa muss sich auf sich selbst konzentrieren"
tagesschau24: Gibt es denn darüber hinaus noch irgendetwas, was der Ukraine Hoffnung geben könnte bezüglich ihrer Beziehung zu den USA?
Zimmer: Jedenfalls nicht, was die Trump-Regierung angeht. Ich betone es noch mal: Die meinen das ernst mit ihrer Abkehr von der Ukraine, ihrer Hinwendung zu Putin, zu den autokratischen Regimen und mit ihrer Abkehr von der liberalen Weltordnung. Ich glaube nicht, dass da Zweifel bestehen auf Seiten Selenskyjs.
Hoffnung könnte bestehen auf der Ebene unterhalb der amerikanischen Regierung, denn Selenskyj selber ist sehr beliebt in der amerikanischen Bevölkerung, beliebter als Trump, deutlich beliebter als Putin. Es gibt ja jetzt auch ein großes Entsetzen und große Empörung in der amerikanischen Zivilgesellschaft über das, was da passiert ist. Da gibt es Unterstützung für die Ukraine. Inwiefern sich das in tatsächliche materielle Unterstützung für die Ukraine umsetzt, ist eine ganz andere Frage.
Ansonsten muss sich die Ukraine auf Europa konzentrieren und Europa muss sich auf sich selbst konzentrieren. Als Reaktion haben wir ganz breite Solidaritätsbekundungen gesehen von den Staats- und Regierungschefs in Europa. Auch beispielsweise von Friedrich Merz, der sich ja ganz klar positioniert und aufseiten Selenskyjs gestellt hat. Da muss die Hoffnung liegen für die Ukraine.
Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, noch weiter Hoffnungen darin zu hegen, dass mit Trump, mit der trumpistischen Regierung oder mit der Republikanischen Partei noch eine andere Politik zu machen sei als das, was wir nun erlebt haben.
Das Gespräch führte Ralph Baudach für tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht angepasst.
Info: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/interview-zimmer-usa-trump-100.html
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.