aus e-mail von Doris Pumphrey, 15. März 2024, 20:51 Uhr
t-online Aktualisiert am 15.03.2024 - 18:49 Uhr
<https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/aussenpolitik/id_100365352/t-online-bericht-zu-geheimen-taurus-details-ampelpolitiker-nehmen-stellung.html>
*Strack-Zimmermann fordert Ermittlungen
*Von Johannes Bebermeier, Daniel Mützel
Hängt das Nein von Bundeskanzler Olaf Scholz zu Taurus für die Ukraine
mit einer Technik zusammen, bei deren Überlassung die nationale
Sicherheit litte?
Reaktionen auf einen exklusiven t-online-Report.
FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann fordert nach
neuen Enthüllungen von t-online /[siehe unten] /Ermittlungen.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) werde umgehend informiert, sagte
Strack-Zimmermann der "Süddeutschen Zeitung". "Aus einer geheimen
Sitzung Informationen preiszugeben, ist ein No-Go. Wir hoffen, dass wir
die entsprechende Person ermitteln und diese dann die Konsequenzen zu
spüren bekommt."
Informationen von t-online aus einer geheimen Sitzung des
Verteidigungsausschusses zufolge hatten neue Details zu möglichen
Gründen zutage gefördert, deretwegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei
der Lieferung zögert. Demnach sind, um den Taurus mit all seinen
Vorteilen einzusetzen, offenbar enorme und komplexe Mengen an Daten
notwendig, die nur durch spezifische technische Anlagen verarbeitet
werden können.
Diese technischen Anlagen allerdings gibt es den Informationen zufolge
nur in begrenztem Maße in Deutschland. Würden diese bei einer
Taurus-Lieferung ebenfalls an die Ukraine transferiert, stünden sie der
Bundeswehr nicht mehr zur Verfügung. Eine Fähigkeitslücke entstünde, die
die "Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte" empfindlich
beeinträchtigen würde, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person
t-online. "Wenn wir diese Fähigkeit liefern, dann gibt es sie für uns
nicht mehr."
*Grünen-Politikerin: "Meine Position hat sich nicht geändert"
*Die Grünen bleiben bei ihrer Haltung, dass Deutschland der Ukraine
Taurus-Marschflugkörper liefern könne und sollte. "Meine Position hat
sich nicht geändert", sagte Sara Nanni t-online, die Obfrau der Grünen
im Verteidigungsausschuss und sicherheitspolitische Sprecherin.
Der Grünen-Außenpolitiker und Vorsitzende der deutsch-ukrainischen
Parlamentariergruppe, Robin Wagener, sagte t-online: "Ich werde
selbstverständlich nicht auf geheime Details eingehen. An unserer
Position zur Lieferung von Taurus hat sich aber nichts geändert."
Wagner sagte weiter: "Es ist eine technisch anspruchsvolle und
wirkmächtige Waffe, die die ukrainischen Streitkräfte ohne deutsche
Beteiligung im Verteidigungskampf gegen den russischen Krieg
unterstützen kann. Für die präzise Abstandsbekämpfung bieten sich
direkte Lieferungen des Taurus ebenso an wie mögliche Ringtausche mit
unseren Alliierten."
Die zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen,
Agnieszka Brugger, schrieb beim Kurznachrichtendienst X als Reaktion auf
die Recherchen: "Hier plaudert jemand mit sehr offensichtlichen
Eigeninteressen aus einer Sitzung, die als geheim eingestuft war, und
behauptet Dinge, die freundlich gesagt sehr verzerrt sind. Auch in
Abwägung aller eingestuften Informationen, (so viele neue waren für mich
nicht dabei), finde ich eine Lieferung von Taurus nach wie vor
überfällig und hätte sonst meine Rede dazu gestern so auch nicht gehalten."
Wie t-online ebenfalls berichtete, bleibt die Lieferung eine politische
Entscheidung. Die Hürden ließen sich beseitigen, oder die Politik könnte
sich entscheiden, dass die Vorteile die Risiken überwiegen. Dass etwa
die Zielprogrammierung der Taurus-Waffen kompliziert ist, war
tatsächlich bereits bekannt. Ein entscheidender Faktor dabei ist
offenbar, wie der Taurus eingesetzt werden soll: in seiner
"abgespeckten", datenärmeren Variante oder in seiner komplexeren Form
mit allen Funktionen.
Für die "erweiterte", komplexe Missionsplanung sind offenbar die raren
technischen Anlagen nötig. Mit ihr kann der Taurus zum Beispiel in den
Tiefflug auf bis zu 15 Meter über dem Erdboden gehen, wo er feindliche
Luftverteidigungsstellungen besser um- oder unterfliegen kann.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, hatte in einer
Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am Dienstag erstmals
Bundestagsabgeordnete über diese technischen Voraussetzungen aufgeklärt.
t-online Aktualisiert am 15.03.2024 - 17:23 Uhr
<ttps://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_100364946/taurus-debatte-olaf-scholz-liefert-wirklich-keine-marschflugkoerper.html>
*Als "geheim" eingestuft
Der wahre Grund, warum Scholz keine Taurus liefert
*/Von Daniel Mützel
/In einer wilden Bundestagsdebatte hat Kanzler Scholz sein Nein zu einer
Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine bekräftigt. Nach
t-online-Recherchen könnte das einen besonderen Grund haben, der bisher
nicht öffentlich bekannt ist.
Es war die wohl eindrücklichste Szene in der Taurus-Debatte diese Woche
im Bundestag: Kanzler Olaf Scholz (SPD), sichtlich angefasst, geht
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen persönlich an, nachdem dieser eine
Frage zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine gestellt
hat.
"Was mich aber ärgert, sehr geehrter Abgeordneter, lieber Norbert, dass
du alles weißt, und eine öffentliche Kommunikation betreibst, die darauf
baut, dass dein Wissen kein öffentliches Wissen ist. Ich glaube, das
sollte in der Demokratie nicht der Fall sein", so Scholz zu Röttgen.
Nicht nur die Anwesenden und Zuschauer des Livestreams im Netz fragten
sich hinterher, was der Kanzler gemeint haben könnte. Seit über neun
Monaten diskutiert das Land über die Abgabe deutscher
Präzisionsflugkörper an die Ukraine. Der Kanzler schwieg lange zu dem
Thema, bis er vor Kurzem erstmals öffentlich Gründe vorlegte, warum er
sich entschieden habe, die Taurus nicht zu liefern.
*Welches Geheimwissen meint der Kanzler?
*Im Kern geht es Scholz darum, die Kontrolle über die Zielführung des
Marschflugkörpers zu behalten, der über 500 Kilometer weit fliegen kann,
und damit – theoretisch – bis nach Moskau. Um die Kontrolle zu behalten,
sei wiederum eine Beteiligung deutscher Soldaten nötig, weswegen eine
Lieferung des Taurus ausgeschlossen sei. "Das ist eine Grenze, die ich
als Kanzler nicht überschreiten will", bekräftigte Scholz am Mittwoch
sein Nein.
Scholz handelte sich damit den Vorwurf ein, er würde der Ukraine nicht
vertrauen. Röttgen bestritt zudem tags darauf in einem ARD-Interview,
ein "Sonderwissen" zu haben und warf dem Kanzler vor, er nutze Angst
"als Mittel und Instrument seiner Durchsetzung".
Doch der Verweis auf die Kontrolle durch Deutschland ist offenbar nur
ein Teil der Wahrheit. Nach Informationen von t-online gibt es einen
weiteren wichtigen Faktor, der beim Taurus-Nein des Kanzlers eine Rolle
spielt. Mit seinem Vorwurf an Röttgen, dieser besitze eine Art
Geheimwissen, hat Scholz selbst angedeutet, worum es sich handeln
könnte. Es geht um als geheim eingestufte Informationen, die
ausgewählten Abgeordneten des Bundestags nun erstmals zugänglich gemacht
wurden (zu denen Röttgen allerdings nicht gehörte).
*"Habe zum ersten Mal Zweifel"
*Entscheidendes passierte laut t-online-Informationen in der
Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am Montag. Im ersten Teil
befragten die Ausschussmitglieder zunächst den vorgeladenen
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zur Abhöraffäre der
Luftwaffe. In einem zweiten, geheimen Teil ging es um Taurus, dort
wurden erstmals sensible Details über den Marschflugkörper mit
Abgeordneten eines Fachausschusses des Bundestags geteilt.
Der ebenfalls geladene Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer,
hielt demnach ein 20-minütiges Referat über die wichtigsten Fakten zum
Taurus: Neben Einsatzfähigkeit und Stückzahl (die Luftwaffe verfügt nach
Schätzungen über rund 600 Taurus) soll Breuer auch über besondere
Risiken einer Lieferung für die Sicherheitsinteressen Deutschlands
gesprochen haben.
Eine mit dem Vorgang vertraute Person berichtet t-online, dass manchen
Abgeordneten dabei "die Kinnladen heruntergeklappt" sei. "Nach Breuers
Vortrag war erst mal Stille im Raum. Selbst diejenigen, die sonst laut
Forderungen stellen, hatten keine Fragen mehr." Ein Ausschussmitglied
und Taurus-Befürworter sagte nach der Sitzung zu t-online, dass er "zum
ersten Mal Zweifel bekommen" habe und seine Position zu einer Lieferung
überdenken wolle.
*Zielprogrammierung komplizierter als bekannt
*Auch im Interview, das der verteidigungspolitische Sprecher von
CDU/CSU, Florian Hahn, im Anschluss der Sitzung der ARD gab, ist davon
etwas zu spüren. Hahn, der den Kanzler in der Taurus-Frage gerne mit
markigen Worten antreibt, spricht ruhig, differenziert, fast so, als
müsste er seine Gedanken neu ordnen.
Was hatte Breuer gesagt?
Der Generalinspekteur informierte die Abgeordneten offenbar im Detail
darüber, dass der Einsatz des Taurus komplizierter ist, als bisher von
vielen angenommen wurde. Um den Marschflugkörper sinnvoll einzusetzen,
seien demnach enorme Mengen an Daten notwendig.
Dass die Zielprogrammierung der Taurus-Waffen kompliziert ist, war
bereits bekannt. Die "zentrale Missionsplanung" (ZMP), das technische
und operative Verfahren der Zieleingabe und Routenführung, besteht aus
zahlreichen unterschiedlichen Quelldaten wie Höhenmesspunkten,
Vektordaten, Satellitenbildern und Rasterkarten, um dem Taurus eine
möglichst präzise Flugroute zu ermöglichen. Das ZMP-System wurde von der
deutschen Firma ESG entwickelt, die Ende 2023 in der
Rüstungselektronikfirma Hensoldt aufging.
*"Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte" stehe auf dem Spiel
*Es handle sich nicht um Giga- oder Terabyte, sondern um extrem hohe und
komplexe Datenmengen, die offenbar von speziellen technischen Systemen
aufbereitet werden müssen. Diese technischen Anlagen allerdings gebe es
nur in begrenztem Maße, heißt es. Würden diese bei einer
Taurus-Lieferung ebenfalls an die Ukraine transferiert, stünden sie der
Bundeswehr nicht mehr zur Verfügung. Eine Fähigkeitslücke entstünde, die
die "Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte" empfindlich
beeinträchtigen würde, so eine mit der Angelegenheit vertraute Person.
Um welche Art von Anlagen es sich handeln soll, ist unklar. Weder der
Taurus-Hersteller MBDA noch das Bundesverteidigungsministeriummöchten
sich auf Anfrage dazu äußern. Auch in welcher Stückzahl diese Anlagen
vorhanden sind, wie lange es dauert, diese zu ersetzen, und warum sie so
schwer nachzubeschaffen sind, ist fraglich. Es handle sich um eine
"technische Engstelle", die für eine lange Zeit nicht ersetzt werden
könne, so eine mit der Angelegenheit vertraute Person. "Wenn wir diese
Fähigkeit liefern, dann gibt es sie für uns nicht mehr."
Die Situation sei nicht vergleichbar mit der Abgabe etwa der 18
Leopard-2-Panzer an die Ukraine, auf deren Ersatz das Heer bis 2026
warten muss. "Die Taurus gehören zu unseren wirkmächtigsten Waffen im
Luft-Boden-Bereich, die nahezu an strategische Fähigkeiten
heranreichen." Es gehe um "elementare Fragen der nationalen Sicherheit",
heißt es, so eine mit der Angelegenheit vertraute Person. Den
Abgeordneten sei in Breuers Vortrag ein "Preisschild" für die Sicherheit
der Bundesrepublik mitgegeben worden, das nun allen Beteiligten bewusst
sein müsse.
*Taurus in zwei Varianten
*Ein entscheidender Faktor dabei ist offenbar, wie der Taurus eingesetzt
wird: in seiner "abgespeckten", datenärmeren Variante oder in seiner
vorgesehenen Form mit allen Zusatzfeatures. Spielt der Taurus all seine
Vorteile aus, kann er etwa in den Tiefflug auf bis zu 15 Metern Höhe
heruntergehen, wo er feindliche Luftverteidigungsstellungen besser um-
oder unterfliegen kann.
Für diese präzise Navigation mittels vier verschiedener Systeme und die
Modellierung der Route sowie des exakten Ziels (bis auf wenige Meter
genau) brauche es jedoch besagte Anlagen, heißt es.
So könnte man den Taurus zwar ohne Zusatzfähigkeit an die Ukraine
schicken inklusive einer kürzeren Ausbildungszeit für ukrainische
Soldaten. Doch dann hätte der Taurus eher den Zweck, als Nachschub für
die weniger leistungsfähigen britischen Marschflugkörper Storm Shadow zu
dienen. Beide Varianten seien möglich, mit ihren jeweiligen Vor- und
Nachteilen.
Der Militärexperte Fabian Hoffmann unterscheidet zwischen einer
"simplen" und einer "erweiterten Missionsplanung" bei Taurus. Für
Letztere müsse auch eine entsprechende technische Infrastruktur
vorhanden sein, so Hoffmann. Dies mache eine Ausbildung ukrainischer
Soldaten an dem System weiterhin möglich, verzögere diese aber.
*Hinweise im Luftwaffen-Leak
*Hinweise auf die komplexe Missionsplanung wie auch auf den
unterschiedlichen Einsatz des Taurus lassen sich auch in dem geleakten
Gespräch zwischen hochrangigen Offizieren der Luftwaffe finden. Ein
Oberstleutnant spricht etwa von "Zieldaten, die idealerweise mit
Satellitenbildern kommen", weil damit die höchste Präzision, nämlich
unterhalb von drei Metern, erreicht werden könne. "Die [Zieldaten]
müssen wir verarbeiten im ersten Set in Büchel", wo die Luftwaffe einen
Fliegerhorst unterhält.
An anderer Stelle erklärt der Offizier, dass sich die Berechnungszeit
der Modellierung auf zwölf Stunden verdoppelt, wenn man die präziseren
Satellitendaten einspeist, und dass dies eine Datenleitung erfordert,
"die das leisten kann".
*Steht Deutschland ohne Taurus wehrlos da?
*Die Informationen, die den Abgeordneten in der Ausschusssitzung am
Montag gegeben wurden, hatten auf die darauffolgende Bundestagsdebatte
und die Abstimmung über den Unions-Antrag wenig sichtbare Auswirkung.
Sie können dennoch die Kalkulation des Kanzlers besser beleuchten, warum
er auf seinem Veto besteht. Etwa wenn es um ein Worst-Case-Szenario
geht: Gibt Scholz einen Teil der Taurus samt technischer Anlagen an die
Ukraine ab und verliert diese den Krieg, könnte Russland in der
Westukraine an der Nato-Grenze stehen, während Deutschland eine
militärische Kernfähigkeit abgegeben hat. Eine "lose-lose"-Situation.
Deutschland stünde in der Folge militärisch noch schwächer da als zuvor.
Verantwortlich dafür wäre der Kanzler. Da die Taurus-Systeme, wie
mittlerweile von allen Seiten betont wird, keine Gamechanger sind,
sondern lediglich taktische Vorteile brächten, könnte Scholz sich
denken: Warum eine Waffe liefern, die für die Ukraine nicht
kriegsentscheidend ist, aber für Deutschland eine massive
Beeinträchtigung der eigenen Abschreckungsfähigkeit bedeutet?
*Es bleibt eine Abwägungsfrage
*Letztlich bleibt es eine politische Frage. Die Hürden einer Lieferung
ließen sich beseitigen. Deutschland könnte den Taurus auch in der
"Premiumvariante" an die Ukraine schicken und das Risiko für die eigene
Sicherheit in Kauf nehmen. CDU/CSU, Grüne und FDP, die ebenfalls in
besagter Ausschusssitzung saßen, sind offenbar bereit, dieses Risiko in
Kauf zu nehmen.
Folgt man der Argumentation der stärksten Taurus-Befürworter, ergibt das
auch Sinn: Wenn die These lautet, dass die Ukraine auch Deutschlands
Sicherheit vor den Russen verteidigt, kann die Abgabe einer
militärischen Kernfähigkeit vertretbar sein.
Der Kanzler hat diese Abwägung anders getroffen. Scholz tut das, wie er
stets betont, mit dem Hinweis darauf, dass er als Kanzler den Amtseid
abgelegt hat, um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu
gewährleisten. Dass er das aus bloß innenpolitischen Motiven tut, wie
ihm viele seiner Kritiker vorwerfen, erscheint vor dem Hintergrund der
nun aufgetauchten Informationen als zweifelhaft.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.