AnalyseWarum das Wachstumschancengesetz zu eng geschnürt ist
makronom.de, vom 14. Dezember 2023, FERDINAND FICHTNER, SIMON JUNKER & CLAUS MICHELSEN, Deutschland
Mit dem „Wachstumschancengesetz“ will die Regierung der Wirtschaft bei der Bewältigung diverser Herausforderungen helfen. Und tatsächlich würde es zu höheren Investitionen und damit auch zu einem höheren Produktionspotenzial führen – ohne dabei inflationär zu wirken. Insgesamt ist das Volumen aber zu klein, um die Investitionsbedarfe zu decken.
Pandemie, Energiekrise, Inflation, gestörte Lieferketten – die deutsche Wirtschaft ist seit Jahren im Krisenmodus. Gleichzeitig steht sie vor einem tiefgreifenden Wandel. Demografie, Energiewende, Digitalisierung und die Neuordnung der globalen Arbeitsteilung machen einen Kraftakt beim Umbau der Wirtschaftsstrukturen notwendig. Es ist mittlerweile Konsens, dass der Kapitalstock in Deutschland einen Modernisierungsschub braucht, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts zu sichern. Parallel ist die deutsche Wirtschaft, gerade auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenfinanzierung der in der Energiekrise aufgelegten Sondervermögen (Fichtner, Junker, Michelsen, 2023), mit erheblichen konjunkturellen Risiken konfrontiert.
Um den längerfristigen Herausforderungen zu begegnen, hat die Bundesregierung das sogenannte Wachstumschancengesetz auf den Weg gebracht. Es wurde Mitte November vom Bundestag beschlossen, allerdings vom Bundesrat in den Vermittlungsausschuss überwiesen, weil die Länder die finanziellen Belastungen für zu hoch halten.
Das Gesetz zielt primär auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmensinvestitionen ab. Es bündelt insgesamt 24 Maßnahmen. Gut vier Fünftel des Finanzvolumens konzentrieren sich dabei auf sechs Einzelpositionen, die eine gesamtwirtschaftlich relevante Größenordnung aufweisen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen einzelnen Maßnahmenkategorien:
Einige Maßnahmen dienen der allgemeinen Verbesserung der Liquiditätsposition der Unternehmen. Konkret werden Änderungen bei §10d EstG und §10a GewStG vorgenommen, die es Unternehmen erlauben, Verluste in einem längeren Zeitraum rückwirkend steuerlich geltend zu machen. Dies vergrößert die verfügbaren Finanzmittel von Unternehmen, die damit im In- oder im Ausland investieren, Gewinne entnehmen oder Personal oder Sachaufwendungen finanzieren können.
Die zweite Kategorie zielt auf die Modalitäten der Abschreibung von Wirtschaftsgütern. Eingeführt wird eine degressive Abschreibung für Ausrüstungen und Wohnbauten (§7 Abs. 2 EStG, §7 Abs. 5a EstG). Der Wechsel der Abschreibungsregel wirkt sich positiv auf die Investitionstätigkeit aus, weil sie den – nach Steuern betrachteten – Preis für Investitionen senkt. Investive Ausgaben werden als Kosten von den Erlösen abgezogen und senken damit den steuerpflichtigen Gewinn. Bei einem durchschnittlichen Unternehmenssteuersatz von 30% würde eine sofortige komplette Abschreibung zu einer Reduktion der Steuerlast um 30 Cent je investiertem Euro führen. Allerdings können diese Kosten nur über viele Jahre verteilt geltend gemacht werden. Da gleiche Zahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten einen anderen Gegenwarts- (oder Bar-)wert haben, ist aus unternehmerischer Sicht die mit der Abschreibung verbundene Minderung der Steuerlast umso attraktiver, je näher sie an der Gegenwart liegt. Hier ist die degressive Abschreibung gegenüber einer linearen Abschreibung in der Regel vorteilhafter. Diese Maßnahmen dienen der allgemeinen Ausweitung der Investitionstätigkeit.
Bei der dritten Kategorie handelt es sich um Investitionszulagen beziehungsweise Zuschüsse zu Investitionen (§§ 3 und 4 FZulG, KlimaInvPG). Sowohl die Klimaprämie als auch die Forschungszulage werden als Zuschüsse zu Innovations- bzw. Investitionsvorhaben gewährt. Beide Förderinstrumente sind auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, sollen einen Lenkungseffekt entfalten und klimafreundliche und andere Innovationen anregen. Dabei fördert die Forschungszulage mit Personalkosten und Sachanlagen die Inputs für Forschung und Entwicklung, während die Klimaprämie die Anschaffung klimafreundlicher Sachanlagen unterstützt. Beides senkt aus unternehmerischer Sicht die Preise für entsprechende Anschaffungen.
Eine Modellierung des Gesetzespakets
Die Effekte derartiger Gesetzespakete lassen sich auf Grundlage gesamtwirtschaftlicher Modelle simulieren. Das hier verwendete Modell bildet die Verflechtungen innerhalb der deutschen Wirtschaft ab und stützt sich auf empirische Zusammenhänge (basierend auf Albig et al., 2016). Das Modell enthält dabei gesamtwirtschaftliche Größen, wie die Investitionen in Ausrüstungen, Bauten oder Forschungsaktivitäten, die durch Faktoren wie Zinsen, den Auslastungsgrad und Preise bestimmt werden. Dabei werden neben den direkten Effekten der Gesetzesänderungen auch die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Maßnahmen berücksichtigt.
Betroffene Größen wie die Investitionen in Ausrüstungen oder deren Preise werden anfangs um einen vorgegebenen Wert geändert – man spricht von einem Schock. Das Modell bildet dann die Reaktion aller Größen auf diesen Schock ab. Neben dem Schock, dem direkten Effekt, werden alle Rückwirkungen innerhalb der Wirtschaft erfasst, der indirekte Effekt. Für die Modellierung müssen das Ausmaß des Schocks und die direkt betroffene wirtschaftliche Variable identifiziert werden (Michelsen, Fichtner, Junker, 2023). Dies wird für die wichtigsten Maßnahmen tabellarisch dargestellt:
Gesamtwirtschaftliche Effekte: Überschaubar
Die Simulationsergebnisse legen nahe, dass die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts in den kommenden beiden Jahren mit knapp einem Zehntel Prozentpunkt nur geringfügig angeschoben wird. Dieser Impuls schmilzt im Folgejahr nahezu vollständig ab. Konjunkturelle Impulse sind indes bei einem auf Wachstum ausgerichteten Gesetz weder zu erwarten noch das Ziel. Allerdings fallen auch die Auswirkungen auf die Potenzialwachstumsrate wegen der insgesamt überschaubaren Größenordnung des Impulses sehr gering aus.
Kumuliert wird die Wirtschaftsleistung bis in das Jahr 2028 real um knapp 12 Milliarden Euro angeschoben. Dies führt in der Spitze zu einer höheren Beschäftigung von rund 11.000 Erwerbstätigen. Insgesamt steigt mit dem Gesetz die Produktivität in der Spitze um ein Zehntel Prozent. Für die Inflation stellt das Gesetz kein Risiko dar. Insgesamt werden zusätzliche Steuereinnahmen von voraussichtlich 6,4 Milliarden Euro generiert – diesen stehen Mehrausgaben bis in das Jahr 2028 von etwa 32,4 Milliarden Euro gegenüber. Jeder eingesetzte Euro führt in den ersten fünf Jahren demnach zu 0,4 Euro zusätzlicher Wirtschaftsleistung.
Die Bilanz fällt bei vollständiger Betrachtung der Abschreibungszeiträume vorteilhafter aus. Vor allem bei den beiden Abschreibungsmaßnahmen fällt ins Gewicht, dass in der Betrachtung bis 2028 lediglich ein Ausschnitt der fiskalischen Wirksamkeit abgebildet wird, und mit längerer Betrachtung auch finanzielle Entlastungen entstehen.
Investitionen werden etwas angeschoben
Die größten Effekte für die Investitionstätigkeit entfalten zunächst die degressiven Abschreibungen bei Ausrüstungen und Bauten. In den Folgejahren wächst dann der Einfluss der Forschungszulage. Ebenfalls sichtbar zu Buche schlagen der Verlustvortrag und in der Summe die übrigen Maßnahmen, während die Klimaprämie kaum ins Gewicht fällt.
Insgesamt steigert das Wachstumschancengesetz das Niveau der Investitionstätigkeit in der Spitze um rund 0,4% gegenüber einer Situation ohne das entsprechende Paket. Über einen Zeitraum von fünf Jahren kommt es zu Mehrinvestitionen von insgesamt knapp elf Milliarden Euro.
Die einzelnen Investitionsarten werden jeweils von den für sie speziell aufgelegten Maßnahmen am stärksten angeregt: Die degressive Abschreibung für Ausrüstungen schlägt bei eben diesen voll durch. Auch die Maßnahmen zur Verbesserung der Liquiditätsposition der Unternehmen steigern deren Investitionstätigkeit ebenfalls, allerdings in nur geringem Umfang. Zum Ende des Betrachtungszeitraums entfaltet die Klimaprämie ihre größte Wirkung.
Die Ausrüstungsinvestitionen werden in ihrem Niveau kurzfristig um bis zu 0,8% angehoben. Nach fünf Jahren betragen die kumulierten Mehrinvestitionen in bewegliche Wirtschaftsgüter knapp sechs Milliarden Euro. Dass der Impuls des Wachstumschancengesetzes im späteren Verlauf der Betrachtung geringer wird, ist vor allem der Begrenzung der veränderten Abschreibungsregeln auf zwei Jahre geschuldet.
Im Wohnungsbau ist der Effekt wegen der Laufzeit bis September 2029 dauerhafterer Natur als bei den Ausrüstungsinvestitionen. Die Einführung einer degressiven Abschreibungsregel von 6% schiebt die Wohnungsbauinvestitionen auf ein um 0,3% höheres Niveau. Nach fünf Jahren betragen die kumulierten Mehrinvestitionen im Wohnungsbau rund zweieinhalb Milliarden Euro. Der Finanzbedarf für diese Maßnahme dürfte das von Bundesfinanzministerium kalkulierte Niveau signifikant übersteigen.
Die F&E-Investitionen werden nahezu ausschließlich von der Forschungsförderung angeregt. Im Betrachtungszeitraum steigen die sonstigen Investitionen daher kontinuierlich an und steigern die Investitionstätigkeit in diesem Bereich nach fünf Jahren um 1,1% im Niveau.
Fazit: Das Paket ist zu eng geschnürt
Das Gesetz führt damit seinem Zweck folgend zu höheren Investitionen und damit auch zu einem höheren Produktionspotenzial. Dies zeigt sich auch darin, dass die Produktivität durch das Gesetz gesteigert wird. Dabei wirkt es nicht inflationär. Alles in allem ist das Gesetz in der derzeitigen gesamtwirtschaftlichen Lage vorteilhaft. Insgesamt reicht das Volumen aber nicht, um die Investitionsbedarfe zu decken.
Diesen Erträgen stehen Aufwendungen von rund 33 Milliarden Euro gegenüber. Das Verhältnis aus Erträgen und Aufwendungen wird als sogenannter Multiplikator bezeichnet. Dieser fällt für die ergriffenen Maßnahmen unterschiedlich hoch aus. Auch weil viele Investitionsgüter und Vorleistungen für Bauinvestitionen, ebenso für Konsumgüter importiert werden, ist das Verhältnis zwischen zusätzlicher heimischer Wertschöpfung und den eingesetzten Finanzmitteln deutlich kleiner als eins. Hinzu kommt, dass gerade die unspezifischen Maßnahmen vielfach auch Aktivitäten begünstigen, die ohnehin durchgeführt worden wären.
Das insgesamt günstigste Verhältnis von eingesetzten Mitteln und Ertrag bietet die Forschungszulage. Forschung und Entwicklung ist sehr personalintensiv. Entsprechend hoch ist der Anteil heimischer Wertschöpfung. Dies ist auch der größte Unterschied zur Klimaprämie, die in ihrer Konstruktion der Forschungszulage sehr ähnlich ist: Dort wird die Investition allerdings unabhängig von der Erstellung des Investitionsguts gefördert – es kann also auch aus dem Ausland importiert werden. Bei der Forschungszulage ist quasi die heimische Produktion des Investitionsgutes Gegenstand der Förderung.
Die Klimaprämie und die liquiditätsverbessernden Maßnahmen stehen in einer ähnlichen Relation zu ihrer zusätzlichen Wirtschaftsleistung. Allerdings führt die Klimaprämie zu höheren Investitionen bei nur einem Viertel der Kosten. Die Maßnahme wirkt daher deutlich zielgenauer, wenn es um die Stärkung der Investitionstätigkeit geht. Ebenso dürfte die Investitionsprämie wegen des geringen Impulses für den Konsum weniger inflationär wirken.
Die teuersten Maßnahmen sind die Veränderungen der Abschreibungsregeln. Diese schieben die Investitionstätigkeit allerdings auch am stärksten an – die Kehrseite ist, dass vielfach ohnehin durchgeführte Investitionen mit bezahlt werden müssen. Zumindest temporär entstehen hieraus erhebliche Haushaltsbelastungen.
Was besser gemacht werden kann
Die einzelnen Maßnahmen haben unterschiedlich große gesamtwirtschaftliche Renditen. Es erscheint deshalb sinnvoll, die Forschungszulage oder ähnliche Instrumente weiter zu stärken. Auch würde sich eine Umschichtung der liquiditätssteigernden Maßnahmen (insb. die Verlustverrechnung) zugunsten anderer Maßnahmen anbieten. Bei ähnlichem gesamtwirtschaftlichem Ertrag führt beispielsweise die Klimaprämie zu deutlich höheren Investitionen und damit auch zu einem höheren dauerhaften Wachstumseffekt.
Zweitens ist der Impuls angesichts der Größenordnungen notwendiger Investitionen quantitativ deutlich zu gering. Allein um das Ziel der 3,5% höheren F&E-Aufwendungen zu erreichen, müsste es etwa sechsmal so groß sein und mit höheren öffentlichen Forschungsausgaben einher gehen. Ein deutlich größeres Volumen sollte daher ins Auge gefasst werden.
Drittens adressiert das Gesetz nur einen Ausschnitt der eingangs skizzierten Investitionsbedarfe. Es zielt auf die Unternehmen ab, die aber auch auf öffentliche Investitionen als Vorleistungen angewiesen sind. Neben einem zielgenaueren und größeren Impuls bedarf es also einer komplementären Ausweitung öffentlicher Investitionen in Infrastruktur, Netze, in F&E und in Bildung.
Damit ist das Wachstumschancengesetz ein richtiger, allerdings deutlich zu kleiner Schritt. Ob sich angesichts des jüngstens Urteils des Bundesverfassungsgerichts überhaupt größere Finanzspielräume ergeben, um darüber hinausgehende Wachstumsimpulse zu setzen, steht auf einem anderen Blatt.
Zu den Autoren:
Ferdinand Fichtner lehrt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Auf X: @f_fichtner.
Simon Junker ist Mitarbeiter beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) in Berlin.
Claus Michelsen ist Chefvolkswirt des Verbands forschender Arzneimittelhersteller und war zuvor Konjunkturchef des DIW Berlin. Auf X: @ClausMichelsen
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.