aus e-mail von Clemens Ronnefeldt, 12, März 2025, 12:40 Uhr
Liebe Friedensinteressierte,
beiliegend einige Artikel zu den Kriegen in der Ukraine und
in Westasien sowie zur Militarisierung in Deutschland.
Besondern hinweisen möchte ich auf das Interview
mit Prof. August Pradetto (6.)
1. Ukraine-Krieg im Liveticker
2. DLF: USA und Russland - Militärexperte: Befürchtungen um Trump „übertrieben“
3. IPG: Rolf Mützenich: Frage des Überlebens
4. IPG: Muamer Bećirović: Aus der Balance
5. Freitag: Klaus Moegling: „Beendet den Ukrainekrieg!
Warum die Botschaft von Donald Trump und J.D. Vance richtig ist.
6. Freitag: August Pradetto: „Wir brauchen keine Aufrüstung, die russische Armee ist ausgeblutet“
7. ARD: Auslandsjournal: "Israels Vorstoß ins Westjordanland“
8. SWP: Muriel Asseburg: Amnesty International und der Apartheid-Vorwurf gegen Israel
9. DLF: Trumps Nahost-Politik: Deutschland muss völkerrechtlich auf Kurs bleiben
10. RND: Bundesregierung auf Distanz zu Antisemitismusbeauftragtem
11. ND: Syrien: Aktivisten werfen Truppen der Übergangsregierung die Tötung Hunderter Zivilisten vor
12. ND: Interview mit Andreas Zumach: Sackgasse Aufrüstung
13: Appell an die Abgeordneten des Bundestages:
Stoppen Sie die Aufrüstung! Stimmen Sie gegen die geplante Grundgesetzänderung!
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https://www.n-tv.de/politik/10-17-Bericht-US-Satellitenbilder-fuer-Ukrainer-wieder-zugaenglich--article23143824.html
1. Ukraine-Krieg im Liveticker
12.03.2025
Ukraine-Krieg im Liveticker
08:42 Interfax: Putins Geheimdienstchef telefoniert mit CIA-Direktor
Der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes hat einem Bericht
zufolge mit seinem US-Kollegen telefoniert. Sergei Naryshkin und
CIA-Direktor John Ratcliffe hätten über die Zusammenarbeit der
jeweiligen Geheimdienste und das Krisenmanagement gesprochen, meldet
die russische Nachrichtenagentur Interfax.
Bei dem Telefonat am Dienstag sei ein "regelmäßiger Kontakt"
vereinbart worden, um Spannungen zwischen beiden Staaten abzubauen,
schreibt zudem die staatliche Nachrichtenagentur Tass. Der Anruf war
demnach der erste dieser Art seit 2022.
(…)
07:24 Moskau hält sich zu Feuerpause bedeckt: Regierung trifft eigene Entscheidung
Russland lässt seine Antwort auf den Vorschlag für eine befristete
Feuerpause bislang offen. Die russische Regierung werde ihre eigenen
Entscheidungen über den Konflikt in der Ukraine treffen, erklärt die
Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharova, ohne weitere
Einzelheiten zu nennen.
"Die Festlegung der Haltung der Russischen Föderation findet nicht im
Ausland aufgrund einiger Vereinbarungen oder Bemühungen einiger
Parteien statt. Die Festlegung der Haltung der Russischen Föderation
findet innerhalb der Russischen Föderation statt", erklärt Sacharowa.
(…)
05:41 Waffenruhe: Kiew will Europäer mit am Tisch
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha hat laut eigenen Angaben
seine europäischen Amtskollegen über die Zustimmung seiner Regierung
zu einer 30-tägigen Waffenruhe mit Russland informiert. Zudem betont
er die Wichtigkeit der Teilnahme der europäischen Partner an
Friedensverhandlungen.
"Wir halten an der Position fest: Keine Entscheidungen über die
langfristige Sicherheit Europas ohne Europa", schreibt Sybiha in einem
Social-Media-Post nach dem Treffen mit den USA in Saudi-Arabien. Laut
des polnischen Außenministeriums wird Sybiha noch am heutigen Mittwoch
zu Gesprächen mit dem polnischen Außenminster Radoslaw Sikorski in
Warschau erwartet.
(…)
20:28 Trump lädt Selenskyj wieder ins Weiße Haus ein
US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, den ukrainischen
Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wieder ins Weiße Haus einzuladen. Das
erklärt Trump bei einem Termin mit Elon Musk vor dem Weißen Haus. "Wir
hoffen, dass Russland einem Waffenstillstand zustimmen wird. Wir
werden uns heute und morgen mit russischen Vertretern treffen", so der
Republikaner.
(…)
19:43 US-Sicherheitsberater: Ukraine hat konkrete Vorschläge vorgelegt
Dem Nationalen Sicherheitsberater der USA, Mike Waltz, zufolge hat die
Ukraine konkrete Vorschläge vorgelegt. Es sei über handfeste
Einzelheiten gesprochen worden, wie der Krieg zu Ende gebracht werde.
Auch seien Sicherheitsgarantien für die Ukraine Thema gewesen.
Er werde in den kommenden Tagen mit russischen Vertretern sprechen,
sagt Waltz weiter. US-Außenminister Marco Rubio werde seinerseits mit
seinen Kollegen aus den G7-Staaten reden.
19:33 Rubio: Nach ukrainischer Zusage ist nun Russland am Zug
US-Außenminister Marco Rubio zufolge ist nach der ukrainischen Zusage
nun Russland am Zug. Die Ukraine habe einen positiven Schritt
unternommen, sagt er nach dem Abschluss von Gesprächen in
Saudi-Arabien. Zwar gebe es keine Frist für das Angebot. Man hoffe
jedoch, es sobald wie möglich vollziehen zu können.
Die beste Geste des guten Willens vonseiten Russlands wäre nun, wenn
sie Ja sagen würden, sagt Rubio weiter. Eine Stellungnahme der
Regierung in Moskau liegt zunächst nicht vor.
19:20 Ukraine unterstützt US-Vorschlag für 30-tägige Waffenruhe mit Russland
Die Ukraine ist einer gemeinsamen Erklärung mit den USA zufolge zu
einer 30-tägigen Feuerpause bereit. Zudem solle sobald wie möglich
eine umfangreiche Vereinbarung zur Erschließung ukrainischer
Bodenschätze abgeschlossen werden. Die Erklärung wird nach
mehrstündigen Beratungen zwischen Vertretern beider Länder in
Saudi-Arabien veröffentlicht.
——
2. DLF: USA und Russland - Militärexperte: Befürchtungen um Trump „übertrieben“
https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-gespraechen-in-saudi-arabien-interview-mit-oberst-a-d-wolfgang-richter-100.html
USA und Russland
Militärexperte: Befürchtungen um Trump „übertrieben“
Es gebe keine Anzeichen, dass Donald Trump das Bündnis mit den
westlichen Verbündeten beenden wolle, sagt Oberst a.D. Wolfgang
Richter. Der US-Präsident wolle lediglich Europa die Ukraine
überlassen, um sich dem Hauptgegner China widmen zu können.
Heinlein, Stefan
12. März 2025, 08:15 Uhr
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3. IPG: Rolf Mützenich: Frage des Überlebens
https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/frage-des-ueberlebens-8154/?utm_campaign=de_40_20250311&utm_medium=email&utm_source=newsletter
Außen- und Sicherheitspolitik
11.03.2025
Rolf Mützenich <https://www.ipg-journal.de/ipg/autorinnen-und-autoren/autor/rolf-muetzenich/>
Frage des Überlebens
Europa muss Verteidigung und strategische Autonomie stärken –
doch der Fokus sollte nicht auf nuklearer Abschreckung liegen.
(…)
Während die Trump-Administration jetzt über die Köpfe vieler hinweg
Tatsachen schafft, beginnt Europa endlich über eine eigene Initiative
zur Beendigung des Krieges zu diskutieren.
Dabei hätte die umfassende Unterstützung der Ukraine mit
militärischen, wirtschaftlichen und humanitären Mitteln von Beginn an
auch das Nachdenken über Szenarien wie Feuerpausen, demilitarisierte
Zonen und deren Überwachung ohne die Vorwegnahme von
Gebietsabtretungen einbeziehen müssen.
Selbst jetzt ist es jedoch für einen solchen Ansatz nicht zu spät.
Europa verfügt über die notwendige Erfahrung, um einen eigenständigen
Plan zu entwickeln, der einen Waffenstillstand ermöglicht und zugleich
den Fortbestand der Ukraine als souveräne Demokratie sichert.
Im Mittelpunkt muss dabei der Erhalt der Institutionen und Regeln
stehen, die in solchen Konflikten bereits erprobt wurden. Auf die
Vereinten Nationen, die OSZE, eine Kontaktgruppe und ein ratifiziertes
Abkommen zu verzichten und stattdessen einem faulen und unausgegorenen
Deal den Vorzug zu geben, wäre fatal.
Ein europäisches Konzept muss zugleich eine militärische
Rückversicherung als auch Formen der Koexistenz mit den Ländern
umfassen, die nicht unsere politischen Werte teilen. Zudem müssen
Sicherheitsgarantien und Friedenstruppen auch jene Staaten umfassen,
die zukünftig die internationale Ordnung nachhaltig prägen werden.
Das sind bekanntlich auch Länder außerhalb des sogenannten „Westens“.
Dabei gilt es, über den Tellerrand der gegenwärtigen Debattehinauszudenken.
Präsident Trump hat in den vergangenen Wochen nicht nur russische
Narrative übernommen. Er hat im selben Atemzug Abkommen und
Rüstungsbegrenzungen mit Russland und China in Aussicht gestellt,
einschließlich des Abbaus atomarer Kapazitäten.
Aus Sicht Washingtons und Moskaus geht es dabei vor allem um weit
reichende, strategische Potenziale. Das kann nicht das vorrangige
Interesse Europas sein. Dahingegen wäre es klüger, sich auf die
Reduktion der viel gefährlicheren Atomwaffen mit kurzer Reichweite auf
beiden Seiten zu konzentrieren.
Die geplante Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen bis
2026 in Deutschland bietet hierfür einige Ansatzpunkte. Falls Europa
aber weiterhin so agiert wie in den letzten Tagen und Wochen, wird es
noch weiter an den Rand gedrängt werden.
(…)
Sicherheit und Resilienz im 21. Jahrhundert bedeutet auch Schutz der
Umwelt, Wert der Arbeit, Chancengerechtigkeit und die
gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Ländern aus dem sogenannten
Globalen Süden.
Hinzu kommen die Stärkung des demokratischen Rechtsstaats und eine
kulturelle Vielfalt, die Pluralität sowie individuelle und kollektive
Selbstbestimmung sicherstellen. Derzeit sieht es nicht danach aus,
dass wir zu einer solchen Debatte bereit sind.
Dennoch wäre es klug, endlich aus dem Schatten der USA und den
eingeübten und festgefahrenen innenpolitischen Ritualen von Schwarz
und Weiß herauszutreten.
————
4. IPG: Muamer Bećirović: Aus der Balance
https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/aus-der-balance-8141/?utm_campaign=de_40_20250311&utm_medium=email&utm_source=newsletter
Außen- und Sicherheitspolitik 11.03.2025
Muamer Bećirović <https://www.ipg-journal.de/ipg/autorinnen-und-autoren/autor/muamer-becirovic/>
Aus der Balance
Die Abkehr vom Prinzip des Gleichgewichts und der daraus resultierende
Ukraine-Krieg haben die USA geschwächt. Ein Fehler, den Trump nun korrigiert.
(…)
Aus rein geopolitischer Perspektive wäre es für Washington am
vernünftigsten gewesen, Russland vor dem Krieg eine neutrale Ukraine
zu garantieren und sich stattdessen auf Asien zu konzentrieren.
Sicherlich hätte dies den Zorn vieler osteuropäischer Staaten
hervorgerufen, doch dieser wäre geopolitisch verkraftbar gewesen.
Stattdessen geschah das Gegenteil: Trump vollzieht nun eine radikale
Kehrtwende, weil er erkennt, dass dieser Krieg nicht den strategischen
Interessen der USA dient. Er versucht, die Situation zu retten, indem
er Moskau große Zugeständnisse in Aussicht stellt – ohne sicher zu
sein, dass der Kreml tatsächlich zu einem Friedensabkommen bereit ist.
(…)
Am Zug ist nun Wladimir Putin, der eine Vielzahl komplexer Faktoren
berücksichtigen muss. Selbst wenn er einen Frieden mit der Ukraine
schließt, bleiben seine Beziehungen zu Europa tief zerrüttet – und es
ist fraglich, ob sie sich in den kommenden Jahren wieder normalisieren
werden. An dieser Front gibt es für ihn also wenig zu gewinnen.
Putin mag auf Trumps Angebot einer neutralen Ukraine eingehen, doch
stellt sich die Frage, ob ein Friedensschluss für Russland überhaupt
sinnvoll ist, wenn es militärisch bereits auf der Siegerstraße ist.
Was wäre der Preis für die vielen toten russischen Soldaten, die hohe
Inflation, den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zum Westen und den
Verlust des Technologietransfers?
Ein solcher Preis wäre enorm, wenn am Ende lediglich die Neutralität
der Ukraine erreicht würde, während alle anderen Verluste bestehen blieben.
Natürlich bleibt Putin die Option, einem Waffenstillstand zuzustimmen,
sich noch stärker an China zu binden und auf die nächstbeste
Gelegenheit zu warten, um den Krieg in der Ukraine fortzusetzen. Doch
damit würde er sich langfristig eine entscheidende strategische
Möglichkeit nehmen: die USA und China gegeneinander auszuspielen und
eines Tages vielleicht doch wieder eine Annäherung an Europa zu erreichen.
Schon jetzt sorgt Putin für eine beispiellose Aufrüstung in Europa und
auch die Türkei wird einer weiteren Expansion Russlands am Schwarzen
Meer und in Zentralasien nicht tatenlos zusehen. Selten zuvor waren
Russlands Nachbarn so entschlossen, Moskau in Schach zu halten, wie es
heute der Fall ist.
Alles in allem zählt dieser Konflikt zu den strategisch sinnlosesten
Kriegen in der Geschichte der USA. Hätten sie eine europäische
Sicherheitsarchitektur geschaffen, die Russland integriert und intern
ausbalanciert, wäre es womöglich gar nicht erst zu diesem Krieg
gekommen – und Washington hätte sich uneingeschränkt auf die
Herausforderung in Asien konzentrieren können.
Dass es so weit gekommen ist, liegt maßgeblich an der mangelnden
Staatskunst Washingtons und seiner Verbündeten in Europa. Es fehlte
die Weisheit, das Prinzip des Gleichgewichts zu verstehen und
entsprechend den Kräfteverhältnissen zu kalibrieren, um so letztlich
den Frieden zu sichern.
———
5. Freitag: Klaus Moegling: „Beendet den Ukrainekrieg!
Warum die Botschaft von Donald Trump und J.D. Vance richtig ist.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ukrainekrieg-warum-die-botschaft-von-donald-trump-und-j-d-vance-richtig-ist/2d435889-00e6-4788-9308-b3fdf4f6bda4
„Beendet den Ukrainekrieg!
Warum die Botschaft von Donald Trump und J.D. Vance richtig ist.
Drei Jahre hat es keine entscheidende Verschiebung der Fronten mehr in
der Ukraine gegeben. Man kann von dem US-Präsidenten und seinem Vize
halten, was man will: Aber im Hinblick auf den Ukrainekrieg ist jetzt
ein Waffenstillstand möglich.
(…)
Wenn es Russland gelingt, in den anstehenden Verhandlungen die bereits
völkerrechtswidrig besetzten Gebiete (und damit sein Gesicht) zu
behalten, ist durchaus ein Waffenstillstand entlang der Frontlinie
denkbar.
Eine derartige Frontlinie müsste dann durch eine entmilitarisierte
Pufferzone geschützt werden sowie durch Militärpolizei unter einem
UN-Mandat.
Die russisch besetzten Gebiete müssen nicht für immer russisches
Hoheitsgebiet bleiben: Es gibt auch noch eine Nach-Putin-Ära.
Hierfür sind die bereits von verschiedenen Staaten in den Jahren 2023
und 2024 vorgebrachten Friedensvorschläge und -pläne zu
berücksichtigen, beispielsweise der chinesisch-brasilianische
Friedensplan oder der Vorschlag der Afrikanischen Union für eine
Vermittlungsinitiative.
Wenn dann später Schritt für Schritt – im Zuge erreichter Fortschritte
– die Sanktionen gegen Russland wegfallen könnten, der
NATO-Russland-Rat wieder aktiviert und der diplomatische Austausch
restrukturiert würde, dann dürfte die Wahrscheinlichkeit sinken, dass
der nächste Staat Opfer russischer Aggression wird.
Gleichzeitig müsste der NATO-Westen seine Investitionen in den
Wiederaufbau der Ukraine lenken, anstatt diese Milliarden an der Front
in einem aussichtslosen Krieg zu vernichten. Diese Vorgehensweise
würde eine Win-win-Situation für alle beteiligten Staaten und für die
nächsten Generationen bedeuten.
Klaus Moegling ist habilitierter Politikwissenschaftler. Er ist u.a. Autor von Neuordnung.
Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. Lesen Sie das Buch hier <https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/>
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6. Freitag: August Pradetto: „Wir brauchen keine Aufrüstung, die russische Armee ist ausgeblutet“
https://www.freitag.de/autoren/dorian-baganz/die-ukrainer-muessen-donald-trump-dankbar-sein/ad9def0f-8e61-42a0-9625-e25a824a6897
„Wir brauchen keine Aufrüstung, die russische Armee ist ausgeblutet“
Die russischen Streitkräfte seien in der prekärsten Lage seit dem Ende
des Zweiten Weltkriegs, sagt der Außenpolitikexperte August Pradetto.
Massive Aufrüstung in Europa lehnt er ab: Russland sei längst keine
Gefahr mehr für die NATO
Von Dorian Baganz
06.03.2025
Nach der Auseinandersetzung zwischen Donald Trump und Wolodymyr
Selensky im Weißen Haus stellt Europa alle Weichen auf militärische
Aufrüstung, koste es, was es wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen stellte in Brüssel ihren Plan zur „Wiederbewaffnung
Europas“ vor.
Die CDU-Politikerin will nicht weniger als 800 Milliarden Euro in den
nächsten vier Jahren mobilisieren. In Berlin haben sich Union und SPD
in ihren Sondierungen darauf geeinigt, dass jegliche
Verteidigungsausgaben, die mehr als ein Prozent des
Bruttoinlandsprodukts ausmachen, von der Schuldenbremse befreit sein
sollen.
Im Gespräch mit dem Freitag warnt der Außenpolitikexperte August
Pradetto vor einem neuen „Totrüsten“. Russland stelle schon lange
keine Gefahr mehr für die NATO dar. Wie sähe eine vernünftige
europäische Verteidigungspolitik vor diesem Hintergrund aus?
der Freitag: Herr Pradetto, was haben Sie gedacht, als Sie den Eklat
im Weißen Haus im Fernsehen gesehen haben?
August Pradetto: Abgesehen vom extrem schlechten Benehmen, das der
US-Präsident an den Tag legte, sind mir drei Gedanken durch den Kopf
gegangen. Erstens: Jetzt wird es schwer für die Ukraine im Krieg gegen
den Aggressor Russland.
Der zweite Gedanke war: Donald Trump macht jetzt Ernst damit, die
Kriegsgegner an den Verhandlungstisch zu zwingen. Und drittens: Der
Transatlantizismus ist gescheitert – und damit die
Sicherheitskonstruktion, auf der der Westen seit 1945 und insbesondere
seit der Gründung der NATO 1949 beruht hat.
Die bisherige europäische Vorstellung von Sicherheit bricht gerade vor
unseren Augen zusammen. Allerdings darf man dabei nicht vergessen:
Wenn die USA wegfallen, sind da immer noch 31 andere NATO-Mitglieder,
die über ein erhebliches militärisches und strategisches Potenzial
verfügen.
Das Bündnis besteht nicht alleine aus den Vereinigten Staaten. Wenn
die Europäer wollen, können sie ihre Sicherheit in wenigen Jahren sehr
wohl selbst gewährleisten.
Für die Ukraine gilt, dass 40 Prozent der Waffen, die sie jetzt im
Krieg benutzt, aus den USA kommen. Welche Folgen hat es, dass Trump
die Lieferungen eingestellt hat?
Das ist fast die Hälfte, also schon ein erheblicher Teil. Natürlich
wird das die ukrainische Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, stark
beeinträchtigen. Wenn dann auch noch die Kommunikation und
Aufklärungskapazitäten der USA wegfallen, ist das eine dramatische
Situation für das Land.
Der Druck auf Kiew, zu einem Ende des Krieges zu kommen, steigt
dadurch ganz erheblich. Und das hat auch Folgen für die EU: Die
europäische Ukrainestrategie muss sich jetzt verändern. Schließlich
wissen die Europäer, dass sie die amerikanische Unterstützung
kurzfristig nur unzureichend ersetzen können.
Wenn die noch amtierende Außenministerin Annalena Baerbock weiterhin
sagt: Die Ukraine muss so lange von uns militärisch unterstützt
werden, bis sie aus einer Position der Stärke in Verhandlungen
einsteigen kann, dann ist das Gerede von gestern.
Für den Wiederaufbau der Ukraine werden zwischen 500 und 900
Milliarden Dollar veranschlagt. Je länger der Krieg dauert, desto
astronomischer werden die Kosten
Der designierte deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz hat vor wenigen
Tagen noch gesagt: „Die Ukraine muss die Systeme bekommen, die sie zu
ihrer Verteidigung benötigt, auch Marschflugkörper.“
Auch das ist eine Debatte von gestern. Herr Merz hinkt der politischen
Entwicklung hinterher. Nach der Kehrtwende in den USA will der größte
Teil der Politiker in den europäischen Ländern sich umso weniger in
einen Krieg mit Russland verwickeln lassen.
Emmanuel Macron und Keir Starmer sind schon einen Schritt weiter als
Merz: Sie stellen sich und uns auf eine Nachkriegssituation ein und
reden mit der amerikanischen Administration darüber, zu welchen
Bedingungen der Krieg zu einem Ende kommen kann. Ich wage mal die
These: Da wird unser Kanzler in spe auch noch hinkommen.
Ist es eine gute Nachricht, dass Trump den Krieg beenden will?
Definitiv! Er fährt zwar außenpolitisch in vielerlei Hinsicht einen
wahnwitzigen Kurs: von fünf Prozent Rüstungsausgaben, die er von den
Europäern verlangt, über Panama bis Grönland und Gaza. Im Falle der
Ukraine müssen wir Trump aber dankbar sein.
Und zwar alle: die Ukrainer, die Russen, die Europäer. Seit
zweieinhalb Jahren ändert sich praktisch nichts am Frontverlauf, der
Krieg ist in diesem Sinne gelaufen, seit zweieinhalb Jahren steigen
nur die Zahlen der Toten und Verwundeten, wird die Zerstörung
massiver, wachsen die Kosten ins Monströse.
Die Deutschen sollten nicht zuletzt deswegen dankbar sein, weil sie am
meisten für eine lebensfähige Ukraine nach dem Krieg zahlen werden –
und da sind die Kosten, wie gesagt, schon jetzt exorbitant. Für den
Wiederaufbau der Ukraine werden zwischen 500 und 900 Milliarden Dollar
veranschlagt. Je länger der Krieg dauert, desto astronomischer werden
die Kosten. Von daher tut Trump den Europäern auch finanziell einen
Gefallen.
Wann wird der Krieg enden?
Wenn Trump nicht nur Selenskyj, sondern auch Putin unter Druck setzt,
kann er in wenigen Monaten zu Ende sein. Und zwar nicht nur, weil
Trump das will oder weil es vernünftig ist. Sondern, weil der Ukraine
Munition und Soldaten ausgehen.
Und auf der anderen Seite der Frontlinie: Die russische Armee ist
ausgeblutet. Laut BBC sind 220.000 russische Soldaten und 4.595
Befehlshaber in der Ukraine gestorben. Ein großer Teil des Materials,
das Moskau für einen Landkrieg einsetzen konnte, ist vernichtet.
Das heißt, der gesamte Kern der russischen Streitkräfte ist in diesem
Krieg zerschlagen worden. Die Armeen auf beiden Seiten haben seit
längerem nichts Entscheidendes mehr zuzusetzen, sie sind am Limit. So
sehr, dass die russische Armee im Oblast Kursk noch nicht einmal die
von der Ukraine besetzten Gebiete zurückerobern konnte – ein Gebiet,
das gerade einmal doppelt so groß ist wie Hamburg.
Und dann kommt noch ein anderer Faktor hinzu, der strategisch für
Moskau eine wichtige Rolle spielt: Putin will Trump nicht als Gegner
haben.
Wieso nicht?
Aus zwei Gründen. Erstens: Wenn er sich Trump annähert, werden die
Sanktionen gegen sein Land sehr schnell gelockert oder aufgehoben.
Dann gibt es eine Chance, dass sich die russische Wirtschaft auf dem
Weltmarkt wieder einigermaßen normalisiert.
Zweitens: Der internationale Haftbefehl gegen Putin wäre vielleicht
nicht vom Tisch, aber weitgehend bedeutungslos. Schließlich:
Innenpolitisch könnte er sich nicht nur als Sieger im Krieg
darstellen, sondern auch darauf verweisen, dass er den mächtigsten
Mann der Welt zum Freund hat.
Das alles wäre gefährdet, wenn er sich Trump zum Gegner macht. Zumal
der US-Präsident den russischen Forderungen nach Anerkennung der
Eroberungen im Nachbarland faktisch zugestimmt hat. Und darüber hinaus
zustimmt, dass die Ukraine nicht in die NATO kommt.
Zu welchen Bedingungen wird der Krieg enden?
Technisch wird er so enden, wie viele Kriege zwischen Staaten enden,
wenn sich keine Seite militärisch durchsetzen kann: mit einer
Feuerpause, einem Waffenstillstand, einer Demarkationslinie, einer
Pufferzone auf beiden Seiten und mit der Stationierung von
Friedenstruppen.
Weil Trump diesen Part nicht übernehmen will, wird den Europäern in
dieser Situation nichts anderes übrig bleiben, als den Bärenanteil der
Truppen zu stellen. Das werden ihnen weder Chinesen noch irgendwelche
anderen Kräfte abnehmen.
Diesbezüglich ist die eigentliche Herausforderung der nächsten Zeit
für die Europäer, die Modalitäten so zu gestalten, dass eine
größtmögliche Chance für eine dauerhafte Befriedung des Konflikts
besteht und die dort stationierten Truppen nicht in Bedrängnis
geraten. Das ist bei einer Frontlinie, die 1.500 km lang ist, nicht einfach.
Die russischen Streitkräfte sind heute in der prekärsten
sicherheitspolitischen Lage seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs
Ein solches Stationierungsabkommen muss verbunden sein mit einer
möglichst weitgehenden Ausdünnung russischer und ukrainischer Kräfte
auf beiden Seiten der Pufferzone.
Das alles wäre am besten zu bewerkstelligen, wenn ein starkes Mandat
der Vereinten Nationen, das heißt, ein Beschluss des Sicherheitsrats
vorläge, dem alle ständigen Mitglieder – USA, China, Russland,
Frankreich, Großbritannien – zustimmen.
Und wenn zusätzlich Kräfte aus anderen Teilen der Welt mobilisiert und
zur Verfügung gestellt werden, die die Mission auch on the ground zu
einer international abgesicherten Mission machen. In diesem Rahmen
wird auch Deutschland gefordert sein.
Ist das nicht unvorstellbar: Deutsche Truppen stehen in der Ukraine
russischen Soldaten gegenüber?
Das war bisher unvorstellbar. Die Dinge haben sich in vielerlei
Hinsicht verändert. In Litauen stehen schon deutsche Soldaten, und das
ist auch nicht weit von der russischen Grenze. In Bezug auf die
Ukraine ist die Internationalisierung wesentlich, damit an dieser
Linie sich nicht allein NATO-Europa und Russland gegenüberstehen. Das
vermindert das Risiko.
Die künftige Bundesregierung will Militärausgaben, die über einem
Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, von der Schuldenbremse
ausnehmen. Finden Sie das richtig?
Ganz prinzipiell gilt: Deutschland und Europa brauchen eine eigene und
gut aufgestellte Verteidigungsfähigkeit. Jedes Land und die
europäischen Staaten kollektiv müssen in der Lage sein, sich
militärisch zur Wehr zu setzen, wenn eines von ihnen angegriffen wird.
Das muss gewährleistet sein. Das ist nach dem Wegfall der US-Garantien
umso wichtiger. Was fehlt, und das ist entscheidend, ist eine Analyse,
was Landes- und europäische Bündnisverteidigung im Jahr 2025 und in
den nächsten Jahren heißt.
Russland ist ein militärischer Gegner für die Ukraine, aber kein
wirklicher militärischer Gegner mehr für die NATO. Putin hat nicht nur
die Ukraine zerstört, sondern in diesem Krieg auch seine eigenen
Streitkräfte.
Wenn es darauf ankäme, wäre Russland heute nicht einmal in der Lage,
sich selbst zu verteidigen.
Laut Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, wird Russland
in fünf Jahren in der Lage sein, die NATO anzugreifen.
Das halte ich für eine Fehleinschätzung. Die russischen Streitkräfte
sind trotz höchster Anstrengung in den letzten drei Jahren gegen die
vergleichsweise schwache ukrainische Armee nicht weiter als 100
Kilometer vorgedrungen und dort stecken geblieben.
Praktisch alle Truppen mussten aus dem Fernen Osten an der japanischen
und chinesischen Grenze wie an der langen NATO-Grenze zu Finnland
abgezogen und in die Ukraine gebracht werden, um die gigantischen
Verluste zu kompensieren.
Die russischen Streitkräfte sind heute in der prekärsten
sicherheitspolitischen Lage seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Russland wird Jahre brauchen, um auch nur seine eigene
Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen.
Von daher müsste doch erst mal eine Bedrohungsanalyse erfolgen, die
nicht auf irgendwelchen Fantasien russischer Nationalisten über die
Wiederherstellung der Sowjetunion oder die Sammlung russischer Erde
basiert, sondern auf militärischen und ökonomischen Fakten.
Die gegenwärtigen Panikkäufe sind nicht nur eine unglaubliche
Geldverschwendung, sondern militärisch auch noch kontraproduktiv
Was meinen Sie damit?
Die Wirtschaftsleistung Russlands ist die von Italien oder Spanien,
und das ist die Basis für Kriegswaffenproduktion und militärischen
Aufwuchs.
EU- und NATO-Europa steht unvergleichlich besser da. Die Ostflanke der
NATO ist mittlerweile gut gesichert, an die 20 Nationen arbeiten dort
militärisch erfolgreich zusammen und schrecken erfolgreich ab.
Deutschland hat 4.000 Soldaten in Litauen stationiert, die NATO ist
Russland auch im Osten des Kontinents haushoch überlegen. Russland hat
überhaupt keine Kapazitäten, um ein NATO-Land anzugreifen.
Gegen die NATO kann Russland heute im Wesentlich nur mehr hybrid Krieg
führen, nicht konventionell. Was Russland heute sichert, ist nur mehr
die Drohung mit seinen Nuklearwaffen.
Was heißt das für die Verteidigung für Deutschland und Europa heute?
Der gegenwärtige Panikmodus und der Überbietungswettbewerb in Fragen
der Aufrüstung ist völlig verfehlt. Wir können ganz ruhig die
notwendigen Schwerpunkte bei der kollektiven Verteidigung der
europäischen Länder setzen.
Die NATO in Europa ist auch ohne die USA Russland haushoch überlegen.
Was die Europäer brauchen, wenn die USA als Verbündeter ausfallen, ist
ein eigenes Kommunikations- und Aufklärungssystem vor allem über
Satelliten. Und zweitens: militärische Transportkapazitäten, also
Großraumtransporter.
Das Satellitensystem können sie ohne übermäßige Anstrengungen in den
kommenden Jahren aufbauen, europäische Firmen können das
bewerkstelligen. Die Transportflugzeuge können zum Beispiel von den
USA gekauft werden. Außerdem sind die Lehren aus dem Ukrainekrieg zu
ziehen.
Welche?
Neben Patriot-Systemen und ähnlichem sind Drohnen die Abwehrwaffen der
Zukunft, nicht Panzer und Kampfflugzeuge. Der vom
Verteidigungsministerium schon 2022 in die Wege geleitete Kauf von
sündteuren F-35 Kampfflugzeugen von den USA ist ein Fehlkauf, genauso
wie die Massenbestellung von Panzern.
Ein Panzer, der 20 oder 25 Millionen Euro kostet, kann von einer 350
Euro-Drohne außer Gefecht gesetzt werden. Die gegenwärtigen Panikkäufe
sind nicht nur eine unglaubliche Geldverschwendung, sondern
militärisch auch noch kontraproduktiv.
Eine adäquate Ausstattung unserer Streitkräfte muss gewährleistet
sein. Aber um Deutschland und Europa sicher zu machen, muss viel mehr
in Bildung, Innovation, Zukunftstechnologien, Infrastruktur, den Kampf
gegen den Klimawandel und in die Kohäsion Europas investiert und eine
solide Haushaltsführung beachtet werden. Das Dümmste, das wir machen
können, ist, uns selbst totzurüsten.
August Pradetto (geboren 1949) ist ein emeritierter Professor für
Politikwissenschaft, sein Schwerpunkt liegt auf Internationalen
Beziehungen. 1992 wurde er an die
Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg berufen.
Über den Russland-Ukraine-Krieg schrieb er in den Blättern für
deutsche und internationale Politik. Lesen Sie hier <https://www.freitag.de/autoren/dorian-baganz/donald-trump-koennte-den-ukrainekrieg-unter-zwei-bedingungen-beenden> ein
Freitag-Gespräch mit August Pradetto aus dem November 2024.
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7. ARD: Auslandsjournal: "Israels Vorstoß ins Westjordanland“
Das Auslandsjournal brachte am 5.3.2025 Bericht über "Israels Vorstoß ins Westjordanland“
(Min. 29:12 bis 36:45)
https://www.ardmediathek.de/video/auslandsjournal/die-sendung-vom-5-maerz-2025/zdf/Y3JpZDovL3pkZi5kZS9QUk9EMS9TQ01TXzA2OWU2OGNkLTk1N2ItNDNlZS1iMzAyLWNkMDc2Y2YwYjFhMw
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