02.07.2024

Russischer Politologe meint: «Für Frieden muss die NATO ihre Funktion aufgeben»

transition-news.org, Veröffentlicht am 2. Juli 2024 von Tilo Gräser.

Die NATO-Osterweiterung gehört für den russischen Politikwissenschaftler Fjodor Lukjanow zu den Ursachen des Krieges in der Ukraine. In einem Gastbeitrag in der aktuellen «Weltwoche» erinnert er an an die westliche Siegermentalität nach dem Kalten Krieg als treibendes Element auf dem Weg zum Krieg in der Ukraine.


Das Ausmaß des auf ukrainischem Territorium ausgetragenen Konflikts zwischen dem US-geführten Westen und Russland hat «alle ursprünglichen Erwartungen übertroffen». Um die Konfrontation zu beenden, müssten nach Äußerungen Moskaus die Grundsätze, auf denen die europäische Sicherheit beruht, grundlegend überdacht werden.


Das schreibt der russische Politikwissenschaftler Fjodor Lukjanow in einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe der Schweizer Zeitung Die Weltwoche. Er ist Chefredakteur der russischen Zeitschrift Russia in Global Affairs.

Lukjanow erinnert daran, dass vor 30 Jahren, am historisch bedeutsamen 22. Juni im Jahr 1994, der damalige russische Außenminister Andrej Kosyrew in Brüssel das NATO-Programm «Partnerschaft für den Frieden» unterzeichnete. Damit hätten die offiziellen Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und dem von den USA geführten Block begonnen. Die Geschichte der Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO sei «recht intensiv und interessant» gewesen.

Der russische Politologe schreibt von einer «merkwürdigen Mischung aus guten Absichten, politischer Heuchelei und gegenseitigen Missverständnissen, die manchmal ganz natürlich, manchmal aber auch absichtlich entstanden».

Aus seiner Sicht gab es «nie eine reelle Chance, eine echte Partnerschaft zwischen Russland und der NATO aufzubauen, auch wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt gewisse Illusionen in dieser Hinsicht gab». Russland habe die Idee, Länder über das Programm «Partnerschaft für den Frieden» an die NATO auch mit Blick auf die Erweiterung zu binden, zwar abgelehnt, sei aber nicht konsequent gewesen.

«Kosyrew warnte vor den Folgen der Erweiterung, erklärte jedoch wiederholt, dass die NATO nicht der Feind Russlands sei. Der russische Präsident Boris Jelzin riet den westlichen Staats- und Regierungschefs davon ab, den Block zu erweitern, erklärte aber gleichzeitig dem polnischen Präsidenten Lech Walesa, dass Moskau nicht gegen einen Beitritt Warschaus sei.»

Lukjanow sieht die derzeit in Russland vorherrschende Ansicht als zu einfach an, der US-geführte Westen habe nach der Auflösung der UdSSR einen Kurs der militärischen und politischen Übernahme der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre eingeschlagen – mit der NATO als Hauptinstrument. Der «leichte und unerwartete Erfolg» im Kalten Krieg habe im Westen zu einem «Gefühl eines bedingungslosen Sieges» geführt, politisch, wirtschaftlich, vor allem aber moralisch.

«Der Westen war der Meinung, dass er als Sieger das Recht hatte, die Struktur Europas zu bestimmen, und er wusste genau, wie er es anstellen musste. Dies war nicht nur ein Ausdruck bewusster Arroganz, sondern vielmehr von freudiger Euphorie. Es schien, dass es von nun an immer so sein würde.»

Die NATO in erweiterter Form sei als Garant für die Sicherheit Europas angesehen worden. Der erste Schritt dazu sei gewesen: Die Beteiligten bei den 2+4-Verhandlungen 1990 seien sich darüber einig gewesen, dass das größere Deutschland in der NATO verbleiben würde.

Zu dem oft vorgebrachten Argument, jedes Land habe das Recht, selbst zu entscheiden, ob und welchem Bündnis es beitreten wolle, meint Lukjanow: Dies werde durch das geopolitische Kräfteverhältnis beschränkt. Das habe die Bündnisse gezwungen, die Reaktion von Nichtmitgliedsländern zu berücksichtigen.

Nach 1990 habe der westliche «Triumphalismus» die entsprechende Bereitschaft, Rücksicht zu nehmen, «erheblich verringert». Die NATO habe das Gefühl gehabt, «sie könne alles tun, ohne dass eine Reaktion erfolgen würde».

Die immer wieder diskutierte Möglichkeit einer russischen Mitgliedschaft in der NATO ist aus Sicht des Politologen von Beginn an unmöglich gewesen. Der Grund: Russland sei selbst in seiner schwächsten Phase eine der größten Militärmächte der Welt geblieben und habe über das größte Atomwaffenarsenal verfügt.

Einen so starken potenziellen Partner innerhalb der NATO hätte deren Führungsmacht USA nicht geduldet, da dieser «nicht auf demselben Niveau gehorcht hätte wie andere Verbündete». Stattdessen habe die erfolgte NATO-Erweiterung Russland immer weiter in den Osten gedrängt.

«Moskaus Versuche, diesen Prozess zu regulieren – zunächst durch die Beteiligung an gemeinsamen Institutionen (wie dem NATO-Russland-Rat von 2002, der eine Erweiterung der NATO-Russland-Grundakte von 1997 darstellte) und dann durch zunehmenden Widerstand (beginnend mit Putins Münchner Rede 2007) –, brachten nicht die gewünschten Ergebnisse.»

Der US-geführte Westen habe Moskau das Recht abgesprochen, Bedingungen zu stellen. Es sollte sich dagegen «nur an die von der stärkeren und erfolgreicheren westlichen Gemeinschaft aufgestellten Regeln halten».

Lukjanow meint zum westlichen Argument, die russische Sicht auf die NATO als Bedrohung habe zum Krieg geführt: Der Westen sei darauf vorbereitet gewesen. Dies zeige «die Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der die NATO zu einer starken Konfrontation mit Russland zurückkehrte».

Das russische Memorandum vom Dezember 2021 und die Militäroperation in der Ukraine im Jahr 2022 hätten sich gegen die bis dahin unangefochtene Expansion der NATO gewandt. Für den russischen Experten handelt es sich dabei nicht um einen Territorialkonflikt, sondern um einen Konflikt, «der nur dann beendet werden kann, wenn die NATO ihr Hauptziel und ihre Funktion aufgibt». Bislang sei kein Kompromiss in Sicht:

«Die westliche Seite ist nicht bereit, zu akzeptieren, dass die Ergebnisse des Kalten Krieges überdacht werden müssen, und die russische Seite ist nicht bereit, sich ohne diese Zusicherung zurückzuziehen.»

30 Jahre nach Kosyrews Unterschrift unter der «Partnerschaft für den Frieden» gebe es beides immer noch nicht: Partnerschaft und Frieden zwischen Russland und der NATO. Es fehle auch ein klares Verständnis für die Ursachen dafür.


Info: https://transition-news.org/russischer-politologe-meint-fur-frieden-muss-die-nato-ihre-funktion-aufgeben

unser ommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

02.07.2024

Tucker Carlson über westliche Demokratien: "Das ist Oligarchie"

freedert.online, 2 Juli 2024 17:10 Uhr

Tucker Carlson zeigt sich amüsiert und das australische Publikum lacht mit: US-Demokraten haben sind nach der TV-Debatte Trump vs. Biden schockiert, dass ihr Kandidat offenbar doch dement ist. Wenn es nicht so ernst wäre ...


Quelle RT


Der Journalist und politische Analyst Tucker Carlson hat sich bei einem Auftritt in Sydney zur jüngsten US-Präsidentschaftsdebatte geäußert. Dabei kritisierte er auf humorvolle Weise die Scheinheiligkeit der Mainstream-Medien, die aus machtpolitischem Kalkül bisher bewusst eine allgemein wohlbekannte Tatsache verschwiegen hätten, nämlich den Geisteszustand von US-Präsident Joe Biden.

Dessen schlechte Verfassung im Hinblick auf eine erneute Kandidatur sei nun durch die Debatte unwiderlegbar ans Licht gekommen, und die Demokratische Partei und die von ihr kontrollierten Medien täten so, als seien sie überrascht. Dabei sei die Öffentlichkeit über das Internet längst im Bilde, so Carlson. Bidens Familie habe schon vor seiner Wahl zum Präsidenten von seiner Demenz gewusst.


Mehr zum Thema - Gibt es noch ein positives Szenario für Deutschland und Europa?


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Info: https://freedert.online/kurzclips/video/211067-tucker-carlson-ueber-westliche-demokratien


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02.07.2024

Marine Le Pen: Macron bereitet "administrativen Staatsstreich" vor

freedert.online, 2 Juli 2024 18:43 Uhr

Offenbar plant Emmanuel Macron, noch vor dem am kommenden Sonntag stattfindenden zweiten Wahlgang wichtige Verwaltungsposten mit engen Vertrauten neu zu besetzen. Diese Beschuldigung erhoben Marine Le Pen und mehrere Medien am Dienstag. Statt eines Dementis gab es aus dem Präsidentenpalast Beschwichtigungen.


Quelle: AFP © JEAN-FRANCOIS MONIER / AFP


Frankreichs Premierminister Gabriel Attal (R) posiert mit einem Unterstützer und dem scheidenden stellvertretenden Wohnungsbauminister Guillaume Kasbarian (L) in Châtres am 2. Juli 2024. Macrons Kumpane brauchen dringend neue Posten.


Der französische Präsident Emmanuel Macron bereitet angesichts der Wahlniederlage seiner Partei einen "administrativen Putsch" vor, sagte die Fraktionsvorsitzende der Partei Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, gegenüber dem Radiosender France Inter.

"Es gibt Gerüchte, dass der Präsident der Republik morgen – also vier Tage vor dem zweiten Wahlgang – den Generaldirektor der nationalen Polizei, der eigentlich bis zum Ende der Olympischen Spiele im Amt bleiben sollte, und den Direktor der nationalen Gendarmerie ablösen will", so die Politikerin wörtlich.

Sie erklärte weiter, mit diesen übereilten Ernennungen solle verhindert werden, dass der Vorsitzende des RN, Jordan Bardella, das Land "nach seinem Gutdünken" regieren könne, falls die Partei in der zweiten Runde der Parlamentswahlen eine Mehrheit erhalte und er das Amt des Ministerpräsidenten gewinne.

"Dies ist eine Art administrativer Staatsstreich", betonte Le Pen.

"Wiedergeburt der Hoffnung" – Rassemblement National gewinnt erste Wahlrunde deutlich





"Wiedergeburt der Hoffnung" – Rassemblement National gewinnt erste Wahlrunde deutlich





Das Journal du Dimanche spekuliert, dass Macron diese Beamten ersetzen könnte, indem er seine Kumpane an deren Stelle setzt. Es wird behauptet, dass der Präsident auf diese Weise die Macht eines möglichen Premierministers aus der Opposition einschränken wolle. Laut Medienberichten könnte Macron in aller Eile auch einige Präfekten ersetzen.

Das Lager des Präsidenten versucht seinerseits, die Anschuldigungen von Marine Le Pen herunterzuspielen und den Spieß umzudrehen. Der Abgeordnete Clément Beaune sagte auf BFMTV, dass die Worte und das Verhalten von Marine Le Pen "schwerwiegend" seien.

Das Präsidialamt der Republik erklärte später am Tag:

"Seit 66 Jahren [Beginn der Fünften Republik, Anm. d. Red.] gibt es jede Woche Ernennungen und Bewegungen, insbesondere im Sommer, unabhängig von den politischen Momenten, die unsere Institutionen durchlaufen, und es ist in keiner Weise vorgesehen, dass sich eine dieser Bestimmungen in den nächsten Monaten ändern könnte."

Éric Ciotti, der inzwischen mit dem RN verbündet ist, sprach seinerseits auf Europe 1/CNews von "einer allgemeinen Panik" und prangerte Postengeschiebe und Vetternwirtschaft an. "Das ist ein Zeichen der Niederlage, vielleicht der Klarheit in dieser Sache", stellte er außerdem fest. "Das wurde schon immer so gemacht", schloss er.

In der ersten Runde hatte die Partei von Marine Le Pen zusammen mit ihren Verbündeten 33,15 Prozent der Stimmen erhalten und bislang 37 der 577 Sitze im Parlament sicher. Nach Prognosen von Meinungsforschern könnte sie im Ergebnis des zweiten Wahlgangs bis zu 270 Mandate erhalten. Der linke Block des Noveau Front Populaire (Neue Volksfront) erhielt 27,99 Prozent der Stimmen; die Koalition von Präsident Emmanuel Macron kam mit 20,04 Prozent auf den dritten Platz.

Der zweite Wahlgang wird am 7. Juli stattfinden.


Mehr zum Thema - Frankreich: Wird der "republikanische Damm" Le Pens Wahlsieg noch verhindern?


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Info: https://freedert.online/europa/211071-marine-le-pen-macron-bereitet-staatsstreich-vor


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02.07.2024

Weltwoche berichtet aus Kiew - Viktor Orbán bei Selenskij

aus e-mail von Doris Pumphrey, 2. Juli 2024, 16:43 Uhr


*/Siehe Bericht auf YouTube:/https://www.youtube.com/watch?v=B27v-TQWzR0*


_RT DE 2.7.2024

_*Mutiger Journalismus: Chef der Weltwoche Roger Köppel berichtet aus Kiew *


Der Schweizer Journalist Roger Köppel wagt einen mutigen Schritt: Er

reist nach Kiew und spricht auf den Straßen der Stadt über seine

Einblicke. Auf offener Straße diskutiert er über die Geschichte Kiews,

den Krieg und die Hoffnung auf Frieden.


Der /Weltwoche/-Chefredakteur befindet sich auf geheimer Friedensmission

mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bei Präsident Wladimir Selenskij.


*Ungarischer Ministerpräsident zu Friedensgesprächen in Kiew*


Der Chefredakteur der /Weltwoche/ ist zusammen mit dem ungarischen

Ministerpräsidenten nach Kiew gereist. Es ist der erste Besuch Orbáns in

der Ukraine seit zehn Jahren. Der ungarische Regierungschef traf am

Dienstag in der ukrainischen Hauptstadt ein, wie sein Sprecher Bertalan

Havasi der ungarischen Nachrichtenagentur /MTI/ mitteilte.


In Kiew führt Orbán Gespräche mit Präsident Selenskij, um Möglichkeiten

für einen Frieden mit Russland sowie aktuelle Fragen der

ungarisch-ukrainischen Beziehungen zu erörtern, so der Sprecher.


Am Montag hatte Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres

übernommen. Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Ungarn sind

schwierig. Orbán hat sich wiederholt gegen EU-Hilfen für das Land

gestellt und pflegt weiterhin gute Beziehungen zur Regierung in Moskau

und China.


Im Oktober 2023 nahm Orbán zusammen mit Wladimir Putin am

Seidenstraßen-Forum in Peking teil, was das erste Treffen eines

EU-Staats- und Regierungschefs mit Putin seit Ende Februar 2022 war.


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02.07.2024

Unsichere Hoffnung auf eine gute Zukunft

Karin Leukefeld

nachdenkseiten.de, 02. Juli 2024 um 10:49 Ein Artikel von Karin Leukefeld

Krisen und Kriege im Nahen und Mittleren Osten untergraben das Recht auf Bildung. Aleppo, Juni 2024. Das Schuljahr geht zu Ende. Vor den langen Sommerferien bereiten die Schüler in Syrien sich auf die Prüfungen vor. Für die Älteren geht es um das Abitur, um das Baccalaureat, für die anderen um die Jahresabschlusszeugnisse. Das zentralistische Schulsystem ist ein Relikt aus der Zeit des französischen Mandats (1920-1946), das die Syrer, wie auch die Libanesen, beibehalten haben. In anderen Teilen der arabischen Welt, die vom britischen Mandat oder – nach dem 2. Weltkrieg – von den USA geprägt wurden, herrschen britische oder US-amerikanische Schulsysteme vor. Eine Reportage von Karin Leukefeld aus Aleppo.

In den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens ist eine gute Schulbildung für die Kinder ein „Muss“ für die Familien. Den Kindern mit guter Schul- und Ausbildung den Weg für eine bessere Zukunft zu ebnen, ist Lebensinhalt und Aufgabe der Eltern. Doch anhaltende Krisen, Sanktionen, wirtschaftliche Probleme, Kriege und Kriegsdrohungen berauben die Jugend in den betroffenen Ländern ihres Rechts auf Sicherheit, Gesundheit und des Rechts auf Bildung.


Libanon

Im Libanon mussten Ende Juni die Prüfungen für rund 3.000 Schülerinnen und Schüler aus dem Südlibanon unter dem Schutz der libanesischen Streitkräfte in Schuleinrichtungen im Landesinneren stattfinden. Beteiligte berichteten, dass israelische Kampfjets während der Prüfungen in Tiefflügen die Schallmauer über den Prüfungsorten durchbrachen, um die Menschen einzuschüchtern.

Rund 90.000 Menschen wurden seit Oktober 2023 wegen der anhaltenden gegenseitigen Angriffe von Hisbollah und Israel aus dem Südlibanon evakuiert. Für Kinder und Jugendliche stockte der Schulunterricht. Während die Hisbollah Militärbasen, Abschussrampen und Überwachungsanlagen der israelischen Streitkräfte angreift, attackiert Israel Agrarflächen und Wohnhäuser auch im Landesinneren des Libanon. Die Waffen könnten sofort schweigen, wenn ein Waffenstillstand im Krieg gegen Gaza erreicht werde, so die Hisbollah. Doch der Waffenstillstand kommt nicht voran und Israel hat in den letzten Wochen wiederholt erklärt, nun den Libanon „in die Steinzeit“ zu bomben.


Gazastreifen

Im Gazastreifen sprechen die Vereinten Nationen, Zusammenschlüsse von Universitäten und Akademikern weltweit von einem „Educide“, der systematischen Vernichtung der Bildung für die betroffenen Gesellschaften. Der englische Begriff wird aus „Education“, auf Deutsch Bildung, und „Genocide“, der massenhaften Vernichtung (von Menschen), zusammengesetzt. Die Situation im Gazastreifen seit Beginn des israelischen Krieges vor fast neun Monaten und das Schweigen der westlichen Regierungen, die Israel weiter mit Waffen, Ausrüstung, Munition und militärischer Aufklärung unterstützen, wird mit Entsetzen kommentiert.

In dem englischsprachigen Internetportal University World News, einem „Globalen Fenster auf die Hochschulbildung“, werden die israelischen Angriffe auf die Hochschulen im Gazastreifen und die „komplette Zerstörung des Bildungssystems in Gaza“ scharf kritisiert. 23.000 Lehrer und Professoren hätten bis zum Beginn des Krieges an den sieben Universitäten mehr als 625.000 Studierende unterrichtet (Stand 27. Februar 2024), heißt es. 4.327 Studierende und 231 Lehrer und Professoren sowie Mitarbeiter seien getötet worden. Die massive Zerstörung von Schulen, die teilweise und komplette Zerstörung der Universitäten sei, wenn man der Sprachregelung der Völkermordkonvention folge, eine Form des „Educide“, eine vollständige und teilweise Vernichtung des Bildungssystems im Gazastreifen.

Die UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF wies im April 2024 darauf hin, dass acht von zehn Schulen (76 Prozent) im Gazastreifen ganz oder teilweise zerstört seien. 620.000 Schülerinnen und Schüler könnten keinen Unterricht mehr besuchen. Die Angriffe auf die Bildungseinrichtungen zerstörten nicht nur den Unterricht, sondern „untergraben die Grundlage für nachhaltiges gesellschaftliches Wachstum und Entwicklung“, so Talal al-Hathal, Direktor der Stiftung „Bildung über alles“, in Doha (Katar).


Syrien

Trotz vieler Probleme können die meisten Schülerinnen und Schüler in Syrien ihre Abschlussprüfungen wahrnehmen. Es scheint, als würden für die Zeit der Prüfungen alle Kräfte mobilisiert, um die Kinder zu unterstützen. Eltern sorgen sich darum, dass ihre Sprösslinge gute Lernbedingungen haben, um sich auf die Prüfungen vorzubereiten. Die Prüflinge selber sind angespannt und besuchen die von den Schulen angebotenen Kurse oder, wenn die Eltern es sich leisten können, private Lehrer, um Unsicherheiten im Lehrstoff zu überwinden. Strommangel und die enorme Hitze in diesem Juni stellen alle Beteiligten vor eine große Herausforderung.

Die Prüfungstage beginnen mit einer Art Ausnahmezustand. Landesweit wird am frühen Morgen das Internet für mehrere Stunden abgeschaltet. Begründet wird die drastische Maßnahme damit, dass die Prüfungsaufgaben für alle Prüfungsfächer zentral erstellt werden und an jedem Prüfungstag per Internet an die Prüfungsstellen verschickt werden. Damit niemand sich auf welchem Weg auch immer Informationen über die Prüfungsfragen verschaffen kann, bleibt das Internet für die Allgemeinheit an diesen Tagen von 6:00 Uhr früh bis 10:00 oder auch 11:00 Uhr abgeschaltet.


In Idlib und im Nordosten wird das syrische Schulsystem nicht anerkannt

In Idlib und im Nordosten Syriens können die Prüfungen nicht durchgeführt werden. Sowohl die dogmatischen Islamisten von Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die Idlib kontrollieren, als auch die kurdisch geführte Autonome Verwaltung im Norden und Osten Syriens (AANES), erkennen das Schulsystem Syriens nicht an und verhindern die Durchführung der Prüfungen.


Mustafa Abdul Ghani leitet in Aleppo die Bildungsdirektion (Bild)


In Aleppo organisiert die Bildungsdirektion der Provinzbehörde seit Jahren, dass Schülerinnen und Schüler aus diesen Gebieten nach Aleppo kommen können. Mustafa Abdul Ghani, Leiter der Bildungsdirektion, berichtet von einem Angebot an die Schülerinnen und Schüler, zwei bis drei Wochen in Aleppo zu verbringen, um sich auf die Prüfungen vorzubereiten und diese dann auch in Aleppo abzulegen. „Die Autonomiebehörde im Nordosten – die ja verschiedentlich mit den syrischen Behörden kooperiert – lässt die Schülerinnen und Schüler nach Aleppo oder auch nach Deir Ez-Zor fahren, damit sie an den zentralen Abschlussprüfungen teilnehmen zu können“, sagt Abdul Ghani im Gespräch mit der Autorin in Aleppo. „Doch die Islamisten geben den Schülern und Schülerinnen keine Genehmigung, blockieren die Straßen nach Aleppo und führen Kontrollen durch.“ Die Zeugnisse und Abschlussnoten seien für die Jugendlichen wichtig, weil das syrische Schulsystem international anerkannt sei. Man wisse nicht, welche Abschlüsse die Kinder in den Gebieten außerhalb der Kontrolle der Regierung erhalten würden.

Die Bildungsdirektion in Aleppo biete den Schülerinnen und Schülern Transport, Unterkunft und Verpflegung, Strom, Wasser und psychologische Hilfe an, um sich in Aleppo auf die Prüfungen vorzubereiten, sagt Abdul Ghani. 45 Schulen und andere Einrichtungen seien für die Unterkunft vorbereitet worden, Schulmaterial und Bücher würden zur Verfügung gestellt. Lehrerinnen und Lehrer hätten die Aufsicht und Betreuung übernommen. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF unterstütze, wenn auch nicht mehr so wie in früheren Jahren, sagt er. Die meiste Hilfe komme von syrischen privaten und öffentlichen Hilfsorganisationen.

Um an den Prüfungen teilnehmen zu können, müssten die Kinder „15 Jahre alt sein und sich mit einem Personalausweis und ihren Zeugnissen anmelden“. In diesem Jahr seien 9.500 Schülerinnen und Schüler aus den Gebieten, die nicht von der syrischen Regierung kontrolliert würden, nach Aleppo gekommen. Mehr als 200 Schülerinnen und Schüler seien auf eigene Faust sogar aus Idlib gekommen. „Sie nutzten den Übergang bei Khan Scheikhun, Hilfsorganisationen haben den Transport organisiert und finanziert.“ 7.200 der Schülerinnen und Schüler seien in den öffentlichen Schulen untergebracht, die anderen wohnten in der Zeit der Prüfungen bei Verwandten.


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Teamwork und mehr für den Erfolg. Die Lehrerin Fatima al-Kurdi in der Eingangshalle einer Schule in Masaken Hanano (Bild)


Mustafa Abdul Ghani und Osama Sorour vom Bildungsministerium (Damaskus), der die Prüfungen in Aleppo beaufsichtigt, begleiten die Autorin nach Masaken Hanano am Stadtrand von Aleppo. Dort sind zwei der Schulen, in denen die Prüflinge untergebracht sind. In einer Schule sind Mädchen, in der anderen Jungen. Im Eingangsbereich und auf den Fluren sind viele Zeichnungen, die den Kindern Sinn und Ziel des Schulunterrichts und des Lernens nahebringen sollen. „Konzept, Fähigkeiten, Strategie, Profit, harte Arbeit, Erneuerung, Teamwork“ steht in Kreisen, die um eine Glühbirne angeordnet sind, die den „Erfolg“ symbolisiert.


Eine Mädchengruppe kommt aus Jaraboulus, das an der syrisch-türkischen Grenze liegt und von türkisch unterstützten islamistischen Milizen kontrolliert wird (Bild)


Die Schülerinnen und Schüler wohnen und lernen in den Schulzimmern, die mit Schränken, Matratzen, Stühlen und Tischen ausgestattet sind. Auf jedem Flur gibt es Bäder, die Kinder erhalten Gutscheine, um sich Essen zu kaufen. In den früheren Jahren wurde Essen verteilt, das von privaten Hilfsorganisationen vorbereitet wurde, doch in diesem Jahr fehlt dafür das Geld, erklärt Herr Abdul Ghani. Die Jungen und Mädchen kommen aus Dörfern und kleinen Städten in den ländlichen Gebieten von Idlib, Hama und Aleppo. Die Schülerinnen und Schüler in den beiden Schulen in Masaken Hanano kommen aus dem Nordosten von Aleppo, aus Ain Arab/Kobane, Manbij, Jaraboulus und Al Bab.


Schülerinnen aus Ain Arab/Kobane müssen erst ihr Arabisch auffrischen. Eine Großmutter (Mitte) begleitet ihre Enkelin. (Bild)


An diesem Tag ist prüfungsfrei und die jungen Leute bereiten sich in kleinen Gruppen oder mit Lehrern auf die nächsten Prüfungen vor. Eine Gruppe der Mädchen aus Ain Arab/Kobané musste zunächst die arabische Sprache auffrischen. Die kurdische Autonomiebehörde hat an den Schulen Arabisch abgeschafft und der Unterricht findet nur noch in Kurdisch, zumeist Kurmanci statt. Dennoch gehört die arabische Sprache der Bevölkerung weiterhin zum Alltag. Eine der Schülerinnen wird von ihrer Großmutter begleitet, die mit den Mädchen zusammen in dem Klassenraum wohnt. Sie wollte unbedingt bei ihrer Enkelin bleiben, sagt Lehrerin al-Kurdi. Die meisten der befragten Mädchen wollen Apothekerinnen werden. Der Beruf der Lehrerin steht nicht hoch im Kurs, stellt die Lehrerin Fatima al-Kurdi fest, die die Mädchenunterkunft beaufsichtigt. Doch sie zwinkert mit den Augen, als sie das sagt, und die Mädchen lachen.


Osama Sorour (2. v.links) vom Bildungsministerium beaufsichtigt die Prüfungen. Die drei Jungen bereiten sich auf das Abitur vor


In der Schule, wo die Jungen untergebracht sind, wird mit einem Lehrer gerade Mathematik gepaukt. In einem anderen Klassenraum bereiten sich drei ältere Jungen auf das Abitur vor. Zwei von ihnen kommen aus Manbij und Ain Arab/Kobane. Der dritte Schüler sagt, er komme aus Raqqa. Seine Familie lebe aber in Manbij, weil Raqqa völlig zerstört sei. Er wolle Betriebswirtschaft studieren, um später den Betrieb seines Vaters übernehmen zu können, sagt der Schüler. Er werde Syrien auf keinen Fall verlassen. Seine beiden Mitprüflinge planen nach dem Abitur ein Studium zum IT-Ingenieur und Medizin. Sie denken darüber nach, Syrien zu verlassen, doch wie und wohin, ist unklar.

Viele junge Männer haben in den letzten Jahren Syrien verlassen, weil sie nicht in der syrischen Armee dienen und auch nicht von den verschiedenen bewaffneten Gruppen für den Krieg rekrutiert werden wollten. Die Erklärung des syrischen Verteidigungsministeriums (Ende Juni 2024), Rekruten und Reservisten aus dem Militärdienst bis Ende des Jahres zu entlassen und die Dauer der Wehrpflicht für junge Männer neu zu regeln, sorgt in Syrien und vor allem bei den Familien für Aufatmen.


Daumen hoch: Die Schüler hoffen auf ein gutes Zeugnis für die Zukunft (Bild)


Der Mathematikunterricht ist inzwischen abgeschlossen, die Jungen versammeln sich neugierig im Flur, um die ausländische Journalistin zu befragen. „Nehmen Sie mich mit nach Deutschland“, sagt ein Schüler mit roten Haaren und Sommersprossen. Alle lieben deutschen Fußball und wollen auch wissen, wie es denn mit der Schule in Deutschland sei. Während Mustafa Abdul Ghani sich zu Einzelgesprächen mit einigen Jungen zurückzieht, verfolgt Osama Sorour interessiert den Austausch zwischen den Jungen und der Autorin. Schließlich werden Fotos und Selfis mit der deutschen Journalistin gemacht, bevor die Jungen zur nächsten Unterrichtsstunde zusammengerufen werden.

Die syrische Jugend habe es schwer, sich eine Zukunft in Syrien vorzustellen, sagt Osama Sorour. Die Probleme seien sehr groß, der Krieg habe alles verändert. „Unsere Aufgabe ist, den Kindern die beste Schulbildung mitzugeben. Gute Zeugnisse können ihren Weg in die Zukunft ebnen.“


Bildnachweis: Alle Bilder © Karin Leukefe


Rubriken: Bildungspolitik Länderberichte

Schlagwörter:


Info: https://www.nachdenkseiten.de/?p=117489


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02.07.2024

Wahlen in Frankreich: Raphaël Glucksmann

aus e-mail von Doris Pumphrey, 2. Juli 2024, 16:43 Uhr


Sollte die NFP (Nouveau Front Populaire

<https://www.nouveaufrontpopulaire.fr/> – Neue Volksfront) und die

Macron Partei am kommenden Sonntag die Mehrheit erlangen, dann käme

Raphaël Glucksmann für die NFP in die engere Auswahl für den Posten des

Premierministers. Hier ein Artikel über ihn, der vor den EU-Wahlen

erschienen ist:


https://www.euractiv.de/section/europawahlen/news/raphael-glucksmann-mann-der-ukraine-und-eu-spitzenkandidat-der-sozialisten/

17. Mai 2024


*Raphaël Glucksmann: Mann der Ukraine und EU-Spitzenkandidat der Sozialisten

*Von: Laurent Geslin


*Mit 14 Prozent in den Umfragen macht Raphaël Glucksmann, der

Spitzenkandidat der französischen Sozialistischen Partei (PS), die

Unterstützung der Ukraine zur Priorität seiner Kampagne. Bei anderen

internationalen Krisen, wie dem Krieg in Gaza, bleibt er dagegen

differenzierter.*


„Er ist ein Freiheitskämpfer“, meinte Batu Kutelia und beschrieb, wie

sehr er seinen Freund Raphaël schätze. Batu Kutelia, ehemaliger

georgischer Botschafter in den Vereinigten Staaten von 2011 bis 2013,

lernte Raphaël Glucksmann kennen, als dieser zu Beginn der 2010er Jahre

Berater des georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili war. „Er half

uns, nach dem Krieg mit Russland 2008 Unterstützung aus dem Westen zu

bekommen.“


Als Sohn des französischen Philosophen André Glucksmann wurde Raphaël

Glucksmann in der Nähe von Paris in ein privilegiertes und

kosmopolitisches Umfeld hineingeboren. Er schwankte lange Zeit zwischen

humanitärer Arbeit und Journalismus, bevor er „Revolutionsberater“

wurde, wie er in einem Artikel in /Le Monde/ im Frühjahr 2014 scherzte.

Damals war er in der Ukraine tätig und schrieb Reden für Vitali

Klitschko, den Boxer, der einer der Anführer der Demonstranten auf dem

Maïdan-Platz und später Bürgermeister von Kyjiw wurde.


„Raphaël Glucksmann wurde sich schnell der kriegerischen Absichten

Wladimir Putins und seiner Fähigkeit bewusst, die Republiken der

ehemaligen Sowjetunion zu destabilisieren, die sich von der russischen

Kolonialherrschaft emanzipieren wollten“, merkte der Journalist Régis

Genté, ein Experte für den Kaukasus, an.


*Unterstützung für die Ukraine bis zum Schluss


*Die unerschütterliche Unterstützung für Kyjiw macht Glucksmann zu einem

der zentralen Punkte seiner Kampagne für die Europawahlen. Zu den

vorgeschlagenen Maßnahmen gehören die Beschlagnahmung des eingefrorenen

russischen Staatsvermögens in Höhe von 206 Milliarden Euro zur

Unterstützung des ukrainischen Widerstands und die Einrichtung eines

100-Milliarden-Euro-Fonds „für Investitionen in die europäische

Verteidigungsindustrie.“


Seine Gegner vom linken Spektrum kritisieren seine „kriegstreiberische“

Haltung, von der Waffenhändler profitierten würden. Andere werfen ihm

seine jahrelange Zusammenarbeit mit Micheil Saakaschwili vor, der von

Januar 2004 bis November 2013 Staatspräsident Georgiens war. Dieser gilt

als „atlantischer und neoliberaler“ Präsident und ist seit 2021 in

seinem eigenen Land offiziell wegen „Amtsmissbrauchs“ inhaftiert.


Diese Anschuldigungen werden von der rechten Rassemblement National (RN)

und ihrem Spitzenkandidaten Jordan Bardella aufgegriffen. Dieser

prangert den sozialistischen Kandidaten regelmäßig als „Sprachrohr für

ausländische Interessen im Europäischen Parlament“ an.


Indem er seine Kampagne auf internationale Solidarität und

Menschenrechte ausrichte, „hat [Raphaël Glucksmann] dennoch die Merkmale

beibehalten, die die Identität der Sozialistischen Partei ausmachen“,

bemerkte Pierre-Nicolas Baudot, Doktor der Politikwissenschaft und

Spezialist für die Sozialistische Partei. „Er nutzt die Lücke, die sich

zwischen der Renaissance, die sich in nationalen Themen verfangen hat,

und France Insoumise, deren außenpolitische Optionen die Menschen nur

schwer überzeugen können, aufgetan hat“, so der Forscher weiter.


In einem Interview

<https://www.euractiv.de/section/europawahlen/interview/eu-wahlen-spitzenkandidatin-kritisiert-gespaltene-linke-in-frankreich/

mit Euractiv forderte die Spitzenkandidatin von Macrons La France

Insoumise, Manon Aubry, die Aufnahme von Verhandlungen mit Wladimir

Putin. Des Weiteren empfahl sie die Entsendung von UN-Friedenstruppen

zum Schutz der ukrainischen Atomkraftwerke.

In einem Interview mit /LCI/ am 12. Mai sorgte sie für Kontroversen, als

sie erklärte, dass die russische Armee „nicht auf Kyjiw marschiert“ sei,

während im Frühjahr 2022 in den Vororten der ukrainischen Hauptstadt

Kämpfe tobten.


„Wir haben alle für die Hilfe für die Ukraine gestimmt“, unterstrich der

Europaabgeordnete Emmanuel Maurel, der für die Kommunisten kandidiert.

„Aber es gibt Themen, bei denen wir echte Differenzen mit Raphaël

Glucksmann haben. Wir sind gegen die Erweiterung der Europäischen Union

um die Ukraine und gegen die Aufhebung des Einstimmigkeitserfordernisses

im Europäischen Rat für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

(GASP).“


Während Raphaël Glucksmann sich lautstark für die Ukraine einsetzt, ist

seine Position zum Krieg in Gaza differenzierter. Er ruft regelmäßig zur

Mobilisierung auf, um „das Gemetzel zu verhindern.“ Er weigert sich

hingegen, den Begriff Völkermord zu verwenden, um die andauernden

Massaker zu beschreiben. Damit unterscheidet er sich von anderen linken

Politikern, wie dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei (PC), Fabien

Roussel, oder dem Vorsitzenden von La France Insoumis, Jean-Luc Mélenchon.


Ende April vertrat Raphaël Glucksmann außerdem die Ansicht, dass die

Leitung der Universität Sciences Po Paris „das Recht zur Räumung“ der

pro-palästinensischen Aktivisten habe, die das Gebäude blockierten. Er

stand damit im Widerspruch zum ersten Sekretär der französischen

Sozialistischen Partei (PS), Olivier Faure, der das Eingreifen der

Ordnungskräfte als „katastrophal“ bezeichnete.


Glucksmanns Ansichten zur Ukraine scheinen jedoch bei den Wählern in

einer Europawahl, in der internationale Fragen im Mittelpunkt stehen,

Anklang zu finden. Für Philippe Marlière, Professor für

Politikwissenschaft am University College London, „sind die Wähler, die

für Raphaël Glucksmann stimmen werden, ehemalige PS-Mitglieder, die

während des Debakels von 2017 zu Mélenchon und Macron übergelaufen sind

und nun wieder zurückkommen.“

----------------------------------------

/Zur Erinnerung/

Auszug aus dem/Programm/

</der" rel="noopener">https://assets.nationbuilder.com/nouveaufrontpopulaire/pages/1/attachments/original/1718371078/Programme-nouveaufrontpopulaire.pdf?1718371078>/der 

„Neuen Volksfront“ zu Ukraine/Russland/ /(Übersetzung), dem auch /La

France Insoumise/und PCF zugestimmt haben:/


*"Die Ukraine und den Frieden auf dem europäischen Kontinent verteidigen"

/"/*/Um Wladimir Putins Angriffskrieg scheitern zu lassen und ihn vor

der internationalen Justiz für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu

ziehen, verteidigen wir mit aller Konsequenz die Souveränität und

Freiheit des ukrainischen Volkes, sowie die Unversehrtheit seiner

Grenzen durch die Lieferung der notwendigen Waffen, die Annullierung

seiner Außenschulden, die Pfändung der Vermögen der Oligarchen, die zum

russischen Krieg beitragen, im vom Völkerrecht erlaubten Rahmen, sowie

die Entsendung von Blauhelmen zur Sicherung der Kernkraftwerke. Damit

arbeiten wir im internationalen Kontext der Spannungen und des Krieges

auf dem europäischen Kontinent auf die Rückkehr des Friedens hin."


Info: 


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

02.07.2024

Sawsan Chebli über den Gaza-Krieg: „Ich war eine stolze Deutsche“

taz.de, vom 29. 6. 2024, 09:36 Uhr, Daniel Bax

Die in Berlin aufgewachsene Autorin und SPD-Politikerin Sawsan Chebli ist palästinensischer Herkunft. Der Gaza-Krieg hat etwas in ihr zerbrochen.

Sawsan Chebli

Sawsan Chebli in Berlin Foto: Miriam Klingl










Wir treffen uns in einem Café in der Nähe des Kurfürstendamms im Westen Berlins. Sawsan Chebli ist schon früh da und hat einen Kaffee bestellt. Sie hat eine Tasche dabei, deren schwarz-weißes Muster an eine Kufiya erinnert, das Palästinensertuch. Bei ihren öffentlichen Auftritten wird Chebli seit ihrer Zeit als Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei von Sicherheitskräften des Berliner Landeskriminalamts begleitet. Die Deutsch-Palästinenserin wird viel von Rechten angefeindet.


wochentaz: Frau Chebli, wie geht es Ihnen angesichts des Kriegs in Gaza?

Sawsan Chebli: 

Es fühlt sich wie ein Albtraum an, da geht es mir wie Zehntausenden Palästinensern, Arabern und Muslimen. Wir wachen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern auf und gehen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern ins Bett. Und von der deutschen Öffentlichkeit erfahren wir kaum Empathie und Solidarität, sondern Ausgrenzung, Misstrauen und immer öfter puren Hass. Es tut auch weh zu sehen, dass so viele Menschen, die sonst laut sind, wenn es um Menschenrechte geht und darum, Grundrechte zu verteidigen, zu Gaza schweigen.


Wie verfolgen Sie die Entwicklungen in Gaza? Über soziale Medien?

Vor allem über US-amerikanische und britische Medien. Ich schaue auch, was die arabische Presse berichtet. Die deutschen Medien verfolge ich hauptsächlich, um die Debatte hier mitzubekommen.


Wie empfinden Sie die deutsche Debatte?

Ich denke mir oft: In welcher Parallelwelt leben wir in Deutschland eigentlich? Viele Nachrichten kommen hier schlicht nicht vor, vieles ist einseitig und verzerrt. Und natürlich verfolge ich auch soziale Medien. Viele Palästinenser aus Gaza, aber auch internationale Akteure mit großer Reichweite nutzen soziale Medien, um über die Lage in Gaza und in der Westbank zu berichten.


Haben Sie durch den Krieg Freunde verloren?

Es gibt Menschen, bei denen ich dachte, dass wir uns in der Achtung von universellen Menschenrechten einig sind und darüber, dass kein Leben mehr wert ist als das andere. Ich fürchte, ich habe mich getäuscht. Für jüdische Freunde, die nicht in der Lage waren, Empathie für das Leid der Menschen in Gaza zu empfinden, hatte ich zu Beginn Verständnis. Trotz meines eigenen Schmerzes konnte ich immer auch ihren Schmerz sehen. Bei einigen Leuten offenbart sich aber ein antipalästinensischer Rassismus, der mich wirklich erschüttert.


Liegen die unterschiedlichen Sichtweisen auf diesen Krieg auch daran, dass man in unterschiedlichen me­dialen Welten lebt?

Man muss schon sehr bewusst die Augen vor der Realität verschließen, um nicht zu sehen, dass das, was in Gaza und in der Westbank passiert, Verbrechen sind. Wer sehen will, der sieht das. Wer nicht sehen will, sieht nichts.


Auch die Hamas hat schlimme Verbrechen verübt.

Die habe ich sofort klar verurteilt und deutlich gemacht, dass sie durch nichts zu rechtfertigen sind. Wer aber heute, nach über 35.000 Toten, die meisten davon Kinder und Frauen, und all dem, was wir über die Kriegsführung und die Politiker in der israelischen Regierung wissen, immer noch blind Israel verteidigt und lediglich „aber Hamas“ sagt, mit dem teile ich keine gemeinsamen Werte.


Ihre Eltern kamen als Flüchtlinge aus dem Libanon. Welchen Bezug haben Sie zur Heimat Ihrer Eltern?

Ich habe mich schon immer stark mit der Heimat meiner Eltern verbunden gefühlt, meine palästinensische Identität ist sehr ausgeprägt. Ich habe einst Politikwissenschaften studiert, weil ich hoffte, für eine internationale Organisation in einem unabhängigen Staat Palästina zu arbeiten. Auf der anderen Seite habe ich mich immer sehr deutsch gefühlt und war stolze Deutsche. Ich habe das nie als einen Widerspruch empfunde


Woher stammen Ihre Eltern? Meine Eltern stammen aus Orten, die in Israel liegen und die es heute nicht mehr gibt. Sie sind als Kinder mit ihren Eltern geflüchtet, sie gehören der klassischen Nakba-Generation an. Wie sehr viele Palästinenser, die 1948 aus ihrem Land geflohen sind oder vertrieben wurden, sind sie nie wieder an den Orten gewesen, in denen sie geboren wurden.


Wo war das? Meine Mutter ist in der Nähe von Haifa geboren, mein Vater stammt aus einem Dorf in der Nähe von Safed. Den Eltern meiner Mutter ging es relativ gut. Nach 1948 haben sie alles verloren. Sie hatten immer die Hoffnung, zurückzukehren. Doch dann wurden aus Tagen Wochen, aus Wochen Monate, aus Monaten zwanzig Jahre. Zwanzig Jahre haben sie in Flüchtlingslagern im Libanon gelebt – bis mein Vater beschloss, den Libanon zu verlassen, weil es politisch zu gefährlich wurde und er uns Kindern ein Leben mit Zukunft ermöglichen wollte.


Waren Sie schon mal in Israel?

Ja, oft. Ich war auch an den Geburts­orten meiner Eltern. Das war intensiv, es fühlte sich wie Heimat an. Ich hatte immer den Wunsch, meinen Vater einmal dorthin mitzunehmen, aber er ist leider vorher gestorben. Auch meine Mutter würde gern an ihre Geburtsstätte zurückkehren, aber sie ist leider körperlich zu angeschlagen.


Wie alt waren Ihre Eltern, als sie fliehen mussten?

Das genaue Alter ist unbekannt, sie waren Kinder, aber alt genug, um sich an die Flucht beziehungsweise Vertreibung zu erinnern. Mein Vater redete nie darüber. Auch meine Mutter tut sich bis heute schwer, über ihre Flucht und ihre Kindheit zu sprechen.


Sie sind als Kind von Flüchtlingen in Berlin aufgewachsen. Wie hat Sie das geprägt?

Es hat mein ganzes Leben bestimmt. Meinen Gang in die Politik, mein Interesse für internationale Beziehungen, mein Engagement für Menschen, deren Stimme weniger hörbar ist, mein Lautsein, wenn ich Unrecht sehe. Ich bin als als zwölftes von dreizehn Kindern aufgewachsen. Unsere Familie war fünfzehn Jahre staatenlos, wir wurden nicht als Flüchtlinge anerkannt. Mein Vater wurde zweimal abgeschoben. Ohne all das wäre ich nicht die Sawsan Chebli, die ich heute bin.


Sie mussten sich durchbeißen.

Es hat sich wie ein Dauerkampf angefühlt – ums Überleben, ums Dableiben, um Zugehörigkeit, um Anerkennung. Ohne ein gutes Elternhaus und vernünftige Freunde hätte ich es nicht geschafft. Ich hatte auch das Glück, gute Lehrer zu haben, die an mich glaubten, denn als ich in die erste Klasse gekommen bin, habe ich kaum Deutsch gesprochen. Aber ich weiß, wie wenig selbstverständlich Biografien wie meine in Deutschland sind. Zu viele Kinder haben überhaupt keine Chance, in diesem Land aufzusteigen, wenn ihre Eltern arm sind und über zu wenig akademische Bildung verfügen.


Hat Ihr Ehrgeiz den Ausschlag gegeben?

Hätte ich Lehrer gehabt, die der Meinung gewesen wären, dass Leute wie ich nichts auf dem Gymnasium zu suchen haben, oder Eltern, die mit Bildung nichts anfangen können, hätte ich weder Abitur gemacht noch studiert. Obwohl meine beiden Eltern der deutschen Sprache nicht mächtig waren und weder schreiben noch lesen konnten, hatten sie das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, sich zu bilden, um etwas zu erreichen.


Die Schule allein war es nicht.

Nein. Das politische System ist nicht dafür geschaffen, Menschen mit meiner Biografie den Aufstieg zu erleichtern. Deswegen sage ich immer, ich habe es trotz des Systems geschafft. Ich hatte eine liebevolle und bildungsbewusste Familie, tolle Lehrer, ein gutes soziales Umfeld und Ehrgeiz. Aber davon darf die Zukunft unserer Kinder in Deutschland nicht abhängen.


Deswegen sind Sie Sozialdemokratin geworden?

Ja. Es war das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen, das mich SPD-Mitglied werden ließ.


Wie geht es Ihnen jetzt mit der Partei?

Keine Wahl ist mir bisher so schwergefallen wie die letzte Europawahl, vor allem wegen der Haltung der SPD zu Gaza. Ich kenne so viele Menschen, die sonst immer die SPD gewählt haben, ihr dieses Mal aber die Stimme verweigert haben. Die SPD täte aus moralischen und realpolitischen Gründen gut daran, dies nicht einfach zu ignorieren.


Sie kommentieren relativ viel auf Social Media. Hat der Hass im Netz seit dem 7. Oktober zugenommen?

Mit Sexismus und antimuslimischem Rassismus war ich vorher schon jeden Tag konfrontiert. Seit dem 7. Oktober hat der Hass auf Palästinenser aber eine völlig neue Dimension angenommen. In den Hassmails wird explizit meine palästinensische Identität adressiert. Mir wird Gewalt angedroht – dass man mit mir das Gleiche machen wolle, was das israelische Militär mit den Menschen in Gaza macht, und vieles mehr. Das gab es in dieser Brutalität vorher nicht.


Wie halten Sie diesen Hass aus?

Ich habe gelernt, den Hass nicht allzu sehr an mich heranzulassen. Diese Leute haben ein ganz bestimmtes Ziel: Sie wollen mich zum Schweigen bringen. Heißt das, dass Hass und Drohmails immer an mir abprallen? Nein, es gibt Tage, da trifft es mich mehr als an anderen. Am meisten treffen mich der Hass und die Hetze gegen mich als Palästinenserin.


Warum?

Weil es das Gefühl verstärkt, dass palästinensisches Leben in diesem Land weniger wert zu sein scheint. Dieser Rassismus wird ja auch viel mehr hingenommen und ist akzeptierter.


Sie selbst teilen in den sozialen Medien auch aus: Dieter Nuhr haben Sie mal „dumm und uninformiert“ genannt …

Ich habe gesagt, dass das, was er sagt, dumm und uninformiert ist – das ist ein Unterschied. Und unabhängig davon, ob ich zugespitzt formuliere oder, wie Sie sagen, „austeile“: Für Hass und Hetze gibt es keine Rechtfertigung.


Haben Sie Ihr Verhalten im Netz verändert?

Ich twittere weniger, sondern nutze die sozialen Medien heute eher zur Informationsvermittlung und als Informationsquelle. Ich diskutiere nicht mehr so, wie ich das am Anfang gemacht habe.


Viele greifen Sie aufgrund Ihrer Religion an Ich werde als Frau, als Migrantin, als Flüchtlingskind, als Palästinenserin und als Muslimin angegriffen. Muslimfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus sind in Deutschland weit verbreitet – nicht nur bei Rechten. Jede zweite Person in Deutschland stimmt antimuslimischen Aussagen zu. Antimuslimische Straftaten haben stark zugenommen, Muslime gehören mehreren Studien zufolge zu den am stärksten benachteiligten Gruppen in Deutschland. In diesem Klima überrascht es nicht, dass ich als sichtbare Muslimin angefeindet und bedroht werde. Leider bleibt der Aufschrei meist aus, wenn Muslime angegriffen werden. Medien berichten kaum darüber, und die Politik bleibt oft sprach- und tatenlos.


Sie haben sich als Staatssekretärin des Berliner Senats gegen Antisemitismus eingesetzt. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 haben Sie zu einer Mahnwache aufgerufen, zu der auch Angela Merkel erschien. Trotzdem wird Ihnen Misstrauen entgegengebracht.

Dieses Misstrauen gab es auch schon vorher. Das ändert nichts daran, dass ich mich immer gegen Antisemitismus einsetzen werde, genauso wie gegen Rassismus. Das ist für mich eine Frage der Haltung. Aber ich finde es sehr problematisch, wenn einem das Eintreten gegen Antisemitismus nur dann abgenommen wird, wenn man sich von seiner palästinensischen Identität distanziert und sich mit Kritik am Vorgehen der israelischen Armee in Gaza zurückhält. Ist das so? Wir erleben, dass der Antisemitismusbegriff zunehmend entgrenzt und instrumentalisiert wird, um legitime Kritik zu unterbinden. Das schadet dem Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen dringend zu einer sachlichen Verwendung des Begriffs zurück. Im Moment wird selbst Wissenschaftlern, die zu Antisemitismus forschen und für eine differenzierte Sichtweise plädieren, unterstellt, sie würden Antisemitismus nicht ernst nehmen – nur weil sie darauf dringen, Kritik an staatlichem Handeln nicht mit der Hetze gegen eine verletzliche Minderheit gleichzusetzen.


Als Jugendliche haben Sie selbst Juden mit Israelis gleichgesetzt, Wut auf sie empfunden und sie für das Leid Ihrer Familie verantwortlich gemacht. So haben Sie es vor einem Jahr in einem Interview erzählt.

Ich bin dankbar dafür, dass ich jüdische Menschen kennenlernen durfte, die mir einen anderen Blick auf das Thema gegeben haben. Abertausende Juden gehen gerade weltweit mit Palästinensern, Arabern und Muslimen auf die Straße, um gegen den Krieg und die Besatzung zu demonstrieren. Auch in Israel gehen Juden und Palästinenser gemeinsam auf die Straße. Wir müssen alles tun, um diese Allianzen zu schützen und stärken.


Wären Sie noch stellvertretende Pressesprecherin des Auswärtigen Amts oder Staatssekretärin in Berlin, dann müssten Sie sich mit öffentlichen Äußerungen zu Gaza sicher stärker zurückhalten.

Vor allem als Sprecherin wäre ich heute in einer sehr schwierigen Lage.


War es nicht gut im Auswärtigen Amt?

Die Zeit im Auswärtigen Amt war mit die intensivste Zeit meines Lebens. Ich habe viel gelernt und weltweite Krisen wie die Annexion der Krim, den Brexit, den Wahlsieg von Trump, die Flüchtlingskrise als stellvertretende Sprecherin hautnah miterlebt. Politik so nah zu erleben und mitprägen zu können, und das mit meinem Hintergrund – das war etwas Besonderes.


Sie sind jetzt hauptsächlich als Autorin und Speakerin unterwegs. Wollen Sie in die Politik zurückkehren?

Ich bin mit 21 Jahren in die SPD eingetreten, heute bin ich 45 Jahre. Politik ist Teil meines Lebens, das kann man nicht einfach so wegwischen. Wohin mich das die nächsten Jahre führen wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Politik ist meine Leidenschaft, und das wird immer so sein. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, Politik zu machen, als in einer politischen Partei aktiv zu sein.


Wollen Sie in Deutschland bleiben?

Es gibt in der Tat viele Menschen, die sich diese Frage stellen und mit dem Gedanken spielen, das Land zu verlassen. Auch ich stelle mir diese Frage. Zumindest habe ich noch nie so stark an meinem Deutschsein, an meiner Heimat und an der Frage, ob mich dieses Land will, gezweifelt wie jetzt. Mein Deutschsein hat schon durch Sarrazin, die NSU-Affäre, die Islam-Debatten und den Anschlag von Hanau immer wieder Schrammen bekommen. Inzwischen ist aus einer Schürfwunde eine tiefere Verletzung geworden.


Was hat die deutsche Politik falsch gemacht­?

Es fehlt an aufrichtigem Interesse, an Gesprächen auf Augenhöhe und auch an Achtung von religiöser Vielfalt jenseits von Sonntagsreden. Da ist das kollektive Wegsehen bei antimuslimischem Rassismus und die entmenschlichende Art, wie die Politik über Migration spricht. In der muslimischen und arabischen Community ist viel Vertrauen verloren gegangen. Ich habe mit jungen Leuten geredet, die politisch engagiert waren und die jetzt sagen: Ich will mit dieser Politik nichts mehr zu tun haben. Da wächst eine Generation heran, die sich abwendet, sich nicht gesehen fühlt und verletzt ist. Der Umgang der Politik mit Gaza, die Doppelmoral der deutschen Nahostpolitik und die fehlende Empathie mit dem Leid der Palästinenser haben das Gefühl des Nichtdazugehörens noch einmal um ein Vielfaches verstärkt. Viele sind zudem zutiefst verunsichert und haben Angst.


Auf der Straße sieht man zugleich so viele Palästinensertücher wie nie.

Da, wo Menschen das Gefühl haben, etwas unterdrücken zu müssen, entsteht das Gegenteil – da entsteht Widerstand gegen empfundenes Unrecht. Es hat eine starke Renationalisierung stattgefunden. Ein Vater hat mir gesagt, dass seine Kinder, deren Mutter Deutsche ist, vorher nichts mit Palästina am Hut hatten. Jetzt tragen die Kinder das palästinensische Tuch, hören palästinensische Musik, befassen sich mit palästinensischer Dichtung und wollen mehr über ihre palästinensischen Wurzeln und das Land ihrer Eltern und Großeltern wissen. Ist das bei Ihnen auch so? Nein, weil ich diese Verbindung schon immer hatte. Was leider aber auch stimmt, ist, dass ich mich noch nie so einsam, so verdächtigt und unerwünscht gefühlt habe. Es ist mir noch nie so schwergefallen, mich als Deutsche zu fühlen.


Info: https://taz.de/Sawsan-Chebli-ueber-den-Gaza-Krieg/!6017664


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

02.07.2024

[liste@kopi-online.de] Zur Antisemitismus-Bekämpfung beim Innenministerium

aus e-mail von Ingrid Rumpf, 2. Juli 2024, 9:37 Uhr


*_Wohin soll das noch führen???_* Nicht nur das Landgericht Mannheim

(s.u.), auch der Bayrische Gerichtshof hat inzwischen das

undifferenzierte Verbot der Parole "From the river to the sea, Palestine

will be free"

als rechtswidrig eingestuft!


https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/antisemitismus-216.html 

      (1.7.24)


Berlin Mitte Mai gegen 6 Uhr am Morgen. Ein lautes andauerndes "Bollern"

gegen die Wohnungstür holt Studentin Alina T. aus dem Schlaf. Die junge

Frau weiß im ersten Moment nicht, was los ist. "Der DHL-Mann? - Nein,

kann nicht sein!", sie ist völlig verwirrt.


Als ihr Ehemann die Tür öffnet, "stürmen" mehrere LKA-Beamte, zwei

Mitarbeiter des Bezirksamts und auch das SEK an ihm vorbei in die

Wohnung. Verdutzt schaut er auf den Durchsuchungsbeschluss.


Alina T., derweil noch im Schlafzimmer, versucht die Türe zu schließen,

die junge Frau ist halbnackt. Doch zwei weibliche Beamte halten sie auf

und betreten das Schlafzimmer, setzen Alina T. fest, die vor Angst

zittert. So schildert sie den Moment der Hausdurchsuchung gegenüber dem

/ARD-Hauptstadtstudio/.


*Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole?*


Hintergrund war ein Facebook-Eintrag im Profil der Studentin: "From the

river to the sea, Palestine will be free". Als ihr das mitgeteilt wird,

habe Alina T. zunächst auflachen müssen - vor Erleichterung. Denn nun

sei ja klar, dass es sich nur um ein Missverständnis handeln könne.


"Es ist doch offensichtlich, was der Spruch bedeutet: Vom Fluss bis zum

Meer frei von einer israelischen Besatzung! Ein freies Land halt, neben

Israel. Wie kann man etwas anderes denken?", fragt die junge Frau

ungläubig, die noch nie vorher etwas mit der Polizei zu tun hatte.


Sie ist auch jetzt, Ende Juni, verängstigt - denn das "Missverständnis"

hat sich bislang nicht aufgelöst. Ein Strafverfahren wegen der

Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole läuft. Ihre Identität möchte

sie schützen, ihren Namen haben wir daher geändert.


*Hohe Zahl antisemitischer Delikte*


Alina T. ist ein Fall in der Statistik, die Bundesinnenministerin Nancy

Faeser regelmäßig als Beleg der massiv angestiegenen Zahl

antisemitischer Delikte heranzieht. Für das Jahr 2023 sind im

Verfassungsschutzbericht 5.164 Delikte in dieser Kategorie gelistet. Das

Gros entfällt auf die Unterkategorie "rechts" mit mehr als 3.000

Vorfällen. 531 werden einer "religiösen Ideologie" zugeordnet, 373

Delikte sind unter "Sonstiges" gelistet.


Wie häufig sich die Parole "From the river to the sea - Palestine will

be free" in dieser Statistik niederschlägt, kann das

Bundesinnenministerium auf Anfrage nicht beziffern. Bei einer Abfrage

verschiedener Polizeidienststellen aus dem Herbst des Jahres 2023 durch

das /ARD-Hauptstadtstudio/ ist aber immer wieder dieser Slogan gefallen,

der strafrechtliche Ermittlungen ausgelöst hat und auch als Grund zum

Auflösen von Versammlungen von den Behörden herangezogen wurde.


"Allein dieser Slogan hat in wenigen Monaten zu einer großen Anzahl von

Ermittlungsverfahren geführt. Ich gehe bundesweit von einer hohen

dreistelligen, wenn nicht gar vierstelligen Zahl seit dem 7. Oktober

2023 aus. Wegen ihm werden Wohnungen durchsucht, Demonstrationen

verboten und immer wieder Menschen auf Versammlungen festgenommen", sagt

Rechtsanwalt Benjamin Düsberg, der auch Alina T. vertritt, dem

/ARD-Hauptstadtstudio/.


*Parole per Verfügung verboten?*


Maßgeblich für eine Strafbarkeit ist bei solchen Delikten grundsätzlich

der sogenannte objektive Empfängerhorizont - also wie ein Unbeteiligter

eine solche Äußerung versteht. Als Auslöschung Israels oder Befreiung

Palästinas von der israelischen Besatzung? Angelehnt daran sei der

Ausspruch schlicht nicht eindeutig, sagte Strafrechtsexperte Thomas

Fischer der Legal Tribune Online bereits Mitte Oktober 2023.

<https://www.lto.de/recht/meinung/m/frage-fische-jubel-terror-hamas/> Es

müssten weitere Elemente dazukommen.


Dass der Ausspruch ohne weitere Umstände dennoch zu einer Strafbarkeit

führen soll, liegt an einer Verfügung des Bundesinnenministeriums von

Anfang November. Danach wird der Ausspruch grundsätzlich der Hamas

zugeordnet. Wer ihn verwendet, soll demnach automatisch das Kennzeichen

einer Terrororganisation verwenden.


Dieser Logik widersprach das Landgericht Mannheim Mitte Juni in zweiter

und letzter Instanz. Aus Sicht der Kammer bleibe der Ausspruch

"allgemein gehalten" und habe eine komplexe Geschichte. Es lasse sich

aus ihm nicht entnehmen, auf welche Weise das historische Palästina

befreit werden solle. Zudem "ist eine Zueigenmachung der Parole durch

die Hamas zu verneinen". Wörtlich sei sie kein Bestandteil der Hamas-Charta.


*Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens*


Weiter führt das Gericht aus: "Inwieweit die Hamas den Slogan in Gänze

verwendet und sich zu eigen gemacht haben soll, ist in den Ausführungen

im Bericht Lagebild Antisemitismus des Bundesamts für Verfassungsschutz

nicht dargetan, sondern wird dort lediglich behauptet."


Das Gericht stellt zudem klar, dass das Innenministerium gar nicht

verbindlich definieren kann, ob es sich um ein Kennzeichen der Hamas

handelt. Dass das Ministerium den bloßen Teil der Parole "From the river

to the sea" in seiner Verbotsverfügung vom 3. November als Kennzeichen

der Hamas eingeordnet habe, führe daher nicht zur Strafbarkeit der Parole.


Der Verbotsverfügung komme, so das Gericht, "keine konstitutive Wirkung

zu, wobei zudem wegen der Anknüpfung des Verbots der spezifischen Parole

an eine politische Meinung bereits erhebliche Zweifel erhoben worden

sind, ob das Verbot mit Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar ist und nicht auch

gegen die staatliche Neutralitätspflicht und das Diskriminierungsverbot

verstößt".


*Durchsuchungen und erleichterte Abschiebungen*


Die Entscheidung des Landgerichts Mannheim "sollte alljenigen als eine

Mahnung gereichen, die im politischen Diskurs allzu vorschnell eine

Strafbarkeit bei Verwendung des Slogans annehmen", schreibt Kai Ambos in

der ersten Juli-Ausgabe der JuristenZeitung.


Doch das lehnt das Bundesinnenministerium weiterhin ab. Auf Nachfrage

des /ARD-Hauptstadtstudios/ teilt das Ministerium mit, dass es sich an

die Entscheidung nicht gebunden fühlt. Ambos nennt das "kontrafaktisch"

und "enttäuschend". "Statt sich mit der gut recherchierten Begründung

der Kammer auseinanderzusetzen, bezieht sich das Ministerium auf diffuse

Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden", sagt er.


Durchsuchungen wie bei Alina T. dürften damit nicht als Ausnahme gelten.

Doch auch weitere Konsequenzen könnten sich abzeichnen, die über eine

Hausdurchsuchung noch hinausgehen. Das Ministerium plant, Abschiebungen

zu erleichtern, sollte im Internet "Terror verherrlicht werden"

<https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/faeser-terrorverherrlichung-100.html

- selbst ohne entsprechendes Gerichtsurteil.


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

02.07.2024

Projekt mBRIDGE erklärt: BRICS, Multi-Währungs-Realität über neues Blockchain-Abrechnungssystem

seniora.org, 02. Juli 2024, 30.06.2024 Lena Petrova mit Dr. Warwick Powell im Gespräch - übernommen von - https://lenapetrova.substack.com/

Das Blockchain-basierte Projekt mBRIDGE wird die Grundlage für ein neues, globales alternatives Finanzsystem bilden. mBRIDGE unterstützt keine Abrechnungen in US Dollar.

Lena Petrova mit Dr. Warwick Powell

Transkript und Übersetzung für seniora.org besorgte Dr. Andreas Mylaeus

Heute erörterten Warwick und Lena, wie das Projekt mBRIDGE funktioniert, seine Struktur, die wichtigsten Akteure sowie die Vorteile, die es der globalen Mehrheit bringen wird. Die Diskussion konzentriert sich auf den Prozess der Entdollarisierung, den BRICS+-Block und die Zukunft der Zahlungsabwicklung.


Warwick Powell:

Es besteht kein Zweifel daran, dass eine technologische Architektur wie mBridge die Möglichkeiten eines einzelnen Landes, in die Transaktionen anderer Länder einzugreifen, einschränkt, und das ist eines der wichtigsten attraktiven Merkmale einer Distributed-Ledger-Architektur*. In diesem Sinne besteht für mich kein Zweifel daran, dass die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, Transaktionen auf Dollarbasis als Waffe einzusetzen, indem sie die Operationen von Swift beeinflussen können, in Zukunft eingeschränkt wird.

Lena Petrova:

Hallo zusammen. Heute freue ich mich, Warwick Powell wieder begrüßen zu dürfen. Warwick ist Adjunct Professor an der Queensland University of Technology in Australien und Senior Fellow am [?] Institute in Peking. Warwick ist außerdem ein Experte in Sachen Blockchain und digitale Technologien, die heute im Mittelpunkt unseres Gesprächs stehen.

Warwick, willkommen zurück. Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen.

Warwick Powell:

Ich freue mich, wieder hier bei Ihnen zu sein.

Lena Petrova:

Das CBDC-Projekt mBridge hat in den letzten Monaten für Schlagzeilen gesorgt. Soweit ich weiß, unterstützt die Blockchain-basierte mBridge keine Abrechnungen in US-Dollar, und das könnte bedeuten, dass sie nach ihrer Fertigstellung das System sein wird, das die Entdollarisierung auf der ganzen Welt beschleunigen wird. Das Ziel von mBridge ist es, die Grundlage für ein globales alternatives Finanzsystem zu schaffen, das die Multipolarität unterstützen wird.

Warwick, könnten Sie uns zu Beginn erläutern, was das Projekt mBridge ist, wie es strukturiert ist und wer die wichtigsten Akteure sind?

Warwick Powell:

Sicher. Lassen Sie uns versuchen, es aufzuschlüsseln. Das Projekt mBridge ist ein Gemeinschaftsprojekt, an dem eine Reihe von Zentralbanken zusammen mit einer größeren Gruppe von Zentralbanken und zugehörigen Finanzaufsichtsbehörden aus verschiedenen Ländern der Welt als Beobachter beteiligt sind. Zu den Gründungspartnern des Projekts gehören die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die Währungsbehörde von Hongkong und die Zentralbanken von China, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Thailand. Seit kurzem ist auch die Zentralbank von Saudi-Arabien als Vollmitglied dabei.

Die Funktionsweise dieses Projekts   – bevor wir zum technologischen Teil kommen   – besteht darin, dass es in der Tat als ein auf einem Mehrparteienausschuss basierendes Steuerungssystem organisiert ist, bei dem die Hauptteilnehmer zusammenarbeiten, um gemeinsam eine Technologie zu entwerfen und schrittweise zu testen, zu implementieren und erneut zu testen, um einige seit langem bestehende Probleme bei der grenzüberschreitenden Zahlungsabwicklung anzugehen.

Die Probleme, die sie zu lösen versuchen, betreffen die Kosten und die zeitliche Ineffizienz sowie die Risiken der Zensur, die sich aus der traditionellen Architektur der grenzüberschreitenden Abrechnung ergeben. Die Art und Weise, wie grenzüberschreitende Abrechnungen in der Vergangenheit funktioniert haben, besteht darin, dass die Abrechnung von Transaktionen zwischen Organisationen in verschiedenen Ländern über eine Reihe von Schritten erfolgt, und diese Schritte umfassen Beziehungen zwischen diesen Organisationen und ihrer Geschäftsbank, der Geschäftsbank und ihrer Beziehung zur Zentralbank des betreffenden Landes, der Beziehung dieser Zentralbank zur Zentralbank der Gegenpartei und dann wieder zurück zur Organisation der Gegenpartei. Wenn also traditionell Transaktionen getätigt werden, müssen sie letztlich durch Nachrichtenübermittlung von Zentralbank zu Zentralbank abgewickelt werden, wobei die Hauptbücher in beiden Banken entsprechend angepasst werden, indem der Betrag auf dem Konto des Hauptbuchs in einer Zentralbank addiert und bei dem Hauptbuch in der Bank der Gegenpartei subtrahiert wird. Dieser Prozess ist ziemlich umständlich. Er ist recht langsam und ziemlich teuer.

In jüngster Zeit wurde dieses Verfahren hauptsächlich über die so genannte Swift-Nachrichtenplattform umgesetzt, die es den teilnehmenden Banken ermöglicht, miteinander zu kommunizieren und sichere Nachrichten in einem Standardformat zu versenden, so dass sie die Anweisungen der anderen Seite verstehen können. Dieser Prozess kann viele Tage dauern, bis die Konten angepasst sind, und die dabei anfallenden Gebühren und Kosten sind recht hoch. Wir haben also ein Kosten- und Zeitproblem.

Diese Probleme gab es natürlich schon vor den neueren Problemen, und diese neueren Probleme haben damit zu tun, dass diese von einer speziellen Gruppe von Institutionen zu einer Waffe gemacht worden sind. Mit "zur Waffe gemacht" meine ich, dass sie nun Teil eines Prozesses geworden sind, durch den eine bestimmte Partei   – insbesondere die Vereinigten Staaten   – in der Lage war, die Betreiber von Swift zu veranlassen, die Banken aus bestimmten Ländern oder bestimmte Banken davon auszuschließen, Nachrichten mit anderen auszutauschen, mit anderen Worten: sie aus den Vereinbarungen zum Informationsaustausch auszuschließen, die grenzüberschreitende Zahlungen ermöglichen.

mBridge nimmt sich all dieser Probleme an. Die Art und Weise, wie mBridge dies tut, ist die einer Distributed-Ledger-Architektur* oder einer Blockchain. Die Blockchain-Architektur ist in zwei grundlegende Schichten gegliedert. Auf der ersten Ebene betreiben die teilnehmenden Zentralbanken Knotenpunkte, d.h. ihre eigenen Computer, die eine Kopie des Hauptbuchs führen, und diese Knotenpunkte haben auch die Befugnis, am Konsensmechanismus teilzunehmen, mit dem dieses gemeinsame Hauptbuch aktualisiert wird. Die zweite Ebene dieser Architektur ist die Ebene der teilnehmenden Geschäftsbanken. Diese Geschäftsbanken haben ebenfalls Knoten und diese Knoten haben eine Kopie desselben Hauptbuchs. Der Unterschied besteht darin, dass die Geschäftsbanken nicht befugt sind, sich direkt an der Aktualisierung des Hauptbuchs zu beteiligen. Nur die teilnehmenden Zentralbanken sind befugt, sich an dem Konsensmechanismus zu beteiligen, der schließlich die Aktualisierungen festlegt.

Diese dezentrale Infrastruktur ermöglicht die gleichzeitige Aktualisierung aller Konten, so dass wir das Zeitproblem gelöst haben, da wir nicht mehr warten müssen, bis Nachrichten von einer Partei zur anderen übermittelt und Aktualisierungen vorgenommen werden, sondern diese zur gleichen Zeit vorgenommen werden. Dadurch, dass wir sie gleichzeitig vornehmen können, reduzieren wir auch die Kosten, und vor allem, weil es sich um ein dezentrales Hauptbuch handelt, bei dem alle teilnehmenden Zentralbanken Mitglieder des Konsensmechanismus sind, kann keine einzelne Bank Transaktionen zensieren, blockieren oder ändern. Das ist, wenn Sie so wollen, das Grundkonzept und der bisherige Betrieb von mbridge.

Lena Petrova:

Konzentriert sich das Projekt mBridge ausschließlich auf Großhandels-CBDCs** oder E‑Commerce-Transaktionen oder ist geplant, auch Einzelhandels-CBDCs einzubeziehen?

Warwick Powell:

Zum jetzigen Zeitpunkt konzentriert sich das System auf Transaktionen von Bank zu Bank, und ich denke, in diesem Sinne könnte man sagen, dass es sich um ein Stück Architektur für Großhandelstransaktionen handelt. In jüngster Zeit hat der Eigentümer von WeBank, WeChat in China, eine sehr bedeutende Plattform für den elektronischen Handel und Einzelhandelszahlungen, an einer Reihe von Technologie- und Transaktionsversuchen teilgenommen, die grenzüberschreitende Transaktionen zwischen Unternehmen ermöglichen. Aber am hinteren Ende, wenn Sie so wollen, sind es die Geschäftsbanken, die über die Zentralbanken in diesem kollektiven Hauptbuch die Transaktionen abwickeln. Für die teilnehmenden Unternehmen ändern sich also ihre Konten, sei es, dass Zahlen hinzukommen oder weggenommen werden, aber der Mechanismus findet tatsächlich auf der Ebene der einzelnen Banken statt.

Lena Petrova:

Ich verstehe. Soweit ich weiß, wird das Projekt mBridge vom IWF und der Weltbank unterstützt und wird derzeit von den Zentralbanken Südkoreas, der Türkei und Norwegens beobachtet. Es besteht also durchaus ein gewisses Interesse. Es sieht so aus, als ob diese Länder irgendwann zu Vollmitgliedern werden könnten, so wie Saudi-Arabien gerade zu einem Vollmitglied wurde. Seit einigen Monaten nehmen auch einige große Banken wie HSBC und Goldman teil, so dass sowohl die Zentralbanken als auch der Privatsektor sich engagieren. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Einigkeit zwischen den beiden?

Warwick Powell:

Ich denke, sie alle suchen nach einer Infrastruktur für die Transaktionsabwicklung, die schnell und billig ist und die letztlich zensurresistent ist. Diese drei Hauptziele sind also, wenn Sie so wollen, die gemeinsamen Gründe für alle teilnehmenden Institutionen.

Zusätzlich zu den von Ihnen erwähnten Institutionen, Lena, sind mehr als 20 Zentralbanken aus der ganzen Welt als Beobachter beteiligt, und ich denke, das spricht für das Interesse an dieser speziellen technologischen Lösung für die von mir beschriebenen Probleme und eröffnet auch die Möglichkeit der Skalierung. Vor etwa 18 Monaten führte das Projektteam seinen ersten echten Versuch mit etwa 150 Transaktionen im Wert von etwa 25 Millionen US-Dollar durch, um zu prüfen, wie weit sie bei der Entwicklung ihrer Software gekommen waren. Und das hat alles funktioniert. Sie haben also gewissermaßen den Beweis erbracht, dass die Ziele des Konzepts erreicht werden können.

Dabei entdeckte das Team, dass es einige Verbesserungen am Konsensmechanismus der Blockchain selbst vornehmen musste, die im Laufe des Jahres 2023 durchgeführt wurden und zu einer erheblichen Überarbeitung des Konsensmechanismus führten, der nun viel schnellere und kostengünstigere Abrechnungen ermöglicht. Dies geschah in Vorbereitung auf die Markteinführung eines Minimum Viable Product***. In den letzten sechs Monaten hat es in der Branche eine Menge Aufregung gegeben, und zwar unter einer kleinen Gruppe von Leuten, die sich für diese Dinge interessieren, und die auf die Einführung dieses Minimalprodukts gewartet hatten, und das ist nun geschehen.

Das mBridge-Projekt fordert Organisationen auf, Vorschläge für Anwendungen zu unterbreiten, die mit ihrer Abwicklungsarchitektur interagieren, um spezifische Anwendungslösungen für bestimmte Arten von grenzüberschreitenden Transaktionen und Möglichkeiten zu liefern. So konzentrierte sich der Großteil dieser Architektur natürlich auf die Abwicklung von Geldkonten. Aber wenn es um grenzüberschreitende Transaktionen geht, geht es auch um die Bewegung von Waren. Die Art und Weise, wie diese Geldabwicklungsarchitektur mit Daten im Zusammenhang mit Lieferketten interagiert, wird wahrscheinlich eine der nächsten Aufgaben sein, die nicht nur von mBridge selbst angegangen werden, weil mBridge einen sehr engen Aufgabenbereich hat, sondern von den teilnehmenden Organisationen in der Industrie, in der Technologie und schließlich im Bereich des Handels und der Lieferketten. Ich denke, dass dieses MVP***, das jetzt veröffentlicht wurde, das nächste Kapitel für mBridge aufschlägt, um allgemeiner zu werden und die reale Welt des grenzüberschreitenden Handels zu erreichen   – nicht nur grenzüberschreitende Transaktionen, sondern grenzüberschreitenden Handel.

Lena Petrova:

Als ich vor ein paar Wochen ein Video über den Beitritt Saudi-Arabiens zum Projekt mBridge gedreht habe, war eine der Fragen, die ich erhielt, sehr interessant, und ich würde gerne Ihr Feedback zu dieser Frage erhalten. Das Projekt mBridge wird also von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich verwaltet und vom IWF und der Weltbank unterstützt, wie wir gerade besprochen haben. Was ist Ihre Meinung dazu?

Warwick Powell:

Ich glaube, dass Organisationen auf der ganzen Welt, wenn sie von der Geopolitik einen Schritt zurücktreten, erkennen, dass die vorherrschenden Institutionen und Technologien, die grenzüberschreitende Transaktionen in den letzten 70 Jahren unterstützt haben, wirklich das Ende ihres Verfallsdatums erreicht haben. Und damit meine ich die Erkenntnis, dass diese Systeme und Institutionen teuer sind, mehr Zeit in Anspruch nehmen, als sie eigentlich sollten, und in jüngster Zeit anfällig für Zensur oder für die Benutzung als Waffe geworden sind. All diese Faktoren kommen also zusammen, wenn jemand, der in all dem relativ neutral ist und einfach an einer Technologie und einem Governance-System interessiert ist, das Vertrauen und Vorhersehbarkeit bei grenzüberschreitenden Konto-Anpassungen ermöglicht, nach besseren Möglichkeiten sucht.

Und Distributed-Ledger-Technologien*, die von gut etablierten, ausgereiften Institutionen in den Ländern sowie von grenzüberschreitenden Institutionen wie der BIZ unterstützt werden, haben ein großes Potenzial, diese Ambitionen und Ziele zu erreichen.

Lena Petrova:

Wie wichtig wird das Projekt mBridge für die Entdollarisierung werden? Welche Rolle wird es Ihrer Meinung nach dabei spielen?

Warwick Powell:

Sehen Sie, das Projekt könnte entweder direkt oder indirekt eine sehr wichtige Rolle spielen   – direkt natürlich als ein Teil der Infrastruktur selbst. Es könnte sicherlich Handelsabwicklungen auf der Grundlage nationaler Währungen erleichtern, die nicht den Umtausch von nationalen Währungen in US-Dollar und den anschließenden Rücktausch von US-Dollar in nationale Währungen als Art der Handelsabwicklung beinhalten.

Die andere Art und Weise, in der es meiner Meinung nach eine sehr wichtige Rolle spielen kann, sind die Lehren, die aus der Entwicklung von mBridge als Projekt selbst gezogen wurden   – die Lehren in Bezug auf das technologische Design und auch in Bezug auf die nicht-technologischen Aspekte der Verwaltung eines konsensbasierten Netzwerks von Organisationen. Ich denke, dass diese Erkenntnisse letztlich eine wichtige Rolle bei der Art und Weise spielen werden, wie BRICS ihr eigenes, auf nationaler Währung basierendes Handelsabwicklungssystem entwickeln werden. Es besteht also kein Zweifel daran, dass die Arbeit, die in mBridge geleistet wurde, eine entscheidende Rolle in den Prozessen der Währungsmultipolarität spielen wird, die sich in den nächsten 5 bis 10 Jahren entwickeln wird.

Lena Petrova:

Und das bringt uns zu einem wirklich interessanten Thema, über das unsere Zuschauer sicher gerne etwas hören würden. mBridge ist eine Alternative zu Swift, wie Sie gerade erwähnt haben.

Was bedeutet mBridge für die Außenpolitik der Vereinigten Staaten in Bezug auf ihre Fähigkeit, einen Wirtschaftskrieg zu führen und bündnisfreie Regierungen anzugreifen? Wird das diese Möglichkeit erheblich einschränken, oder glauben Sie, dass es mit der Entwicklung der Zahlungssysteme, der multipolaren Weltordnung und der Transaktionen in mehreren Währungen irgendwann eine Möglichkeit geben wird, dieses spezielle System zu umgehen, die es den Ländern ermöglicht, das Recht, die Verwendung ihrer Währungen einzuschränken, auch innerhalb des Systems effektiv auszuüben?

Warwick Powell:

Es besteht kein Zweifel daran, dass eine technologische Architektur wie mBridge die Möglichkeiten eines einzelnen Landes, in die Transaktionen anderer Länder einzugreifen, einschränkt, und das ist eines der wichtigsten attraktiven Merkmale einer Distributed-Ledger-Architektur*. In diesem Sinne besteht für mich kein Zweifel daran, dass die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, Transaktionen auf Dollarbasis als Waffe einzusetzen, indem sie die Operationen von Swift beeinflussen können, in Zukunft eingeschränkt wird.

Dies ist bereits seit einigen Jahren der Fall, natürlich lange bevor mBridge konzipiert und entwickelt wurde. Länder wie China und Russland haben an unabhängigen, von Swift getrennten Bank-zu-Bank-Nachrichtenübermittlungssystemen gearbeitet, um ihren Instituten die Möglichkeit zu geben, sich gegenseitig auf zuverlässige und sichere Weise Nachrichten zu übermitteln, damit die Konten in diesen Instituten entsprechend angepasst werden können. Diese Interbank-Nachrichtensysteme, die seit 2014/2015 entwickelt wurden, haben in den letzten zwei Jahren bereits eine wichtige Rolle gespielt, da die Welt, insbesondere im grenzüberschreitenden Handel, die Entdollarisierung erforscht und schließlich umgesetzt hat.

Ein klassisches Beispiel ist natürlich die Art und Weise, wie der Handel zwischen China und Russland abgewickelt wird. Heutzutage werden etwa 95 % des russischen Handels in anderen Währungen als dem US-Dollar und dem Euro abgewickelt, und das gilt auch für den Handel mit China. Ein Großteil des Handels mit China wird in Renminbi abgewickelt, wenngleich ein erheblicher Teil davon auch in Rubel abgewickelt wird. Das gilt auch für den Handel Russlands mit Indien und den Handel Indiens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate in nationalen Währungen handeln.

Dieses Netzwerk von Handelsabwicklungen auf der Grundlage nationaler Währungen beginnt also an Dynamik zu gewinnen und fasst durch den Handel zwischen Russland und China mit Sicherheit Fuß, und das zeigt, dass es möglich ist und relativ schnell umgesetzt werden kann. Für viele Menschen war der Gedanke, von einem auf dem US-Dollar basierenden oder dominierenden Handelsabwicklungssystem wegzukommen, noch vor drei Jahren unvorstellbar. Es war ein sehr, sehr langsamer Entwicklungsprozess. Aber wenn ein dringender Bedarf besteht, wie es seit der Zuspitzung des Ukraine-Konflikts Anfang 2022 und der Verhängung der Sanktionen gegen Russland der Fall war, kann der Wandel unglaublich schnell vonstatten gehen.

Die Anpassungsfähigkeit von Organisationen, Unternehmen und Banken, die mit den vorhandenen Technologien neue Systeme für grenzüberschreitende Abrechnungen einführen können, ist also für uns alle sichtbar.

Lena Petrova:

Wir haben gerade erwähnt, dass Saudi-Arabien als jüngstes Land dem Projekt als Vollmitglied beigetreten ist. Wie beurteilen Sie die Bedeutung der Teilnahme der Saudis und welche Auswirkungen wird dies Ihrer Meinung nach auf die Rohölpreise haben?

Warwick Powell:

Das ist eine bedeutende Entwicklung. Einer der Hauptgründe, warum Länder auf der ganzen Welt in der Vergangenheit beträchtliche Dollarreserven hielten, bestand darin, sicherzustellen, dass sie in der Lage sind, ihren Bedarf an Ölkäufen zu bezahlen. Die Tatsache, dass Saudi-Arabien an einer Abwicklungsarchitektur teilnimmt, die Abwicklungen auf Basis nationaler Währungen ermöglicht, ist meiner Meinung nach ein wichtiger Schritt in der Entwicklung globaler Abwicklungssysteme.

Ich glaube, wir sehen, dass die Abwicklungsarchitektur langsam mit den Vorgängen in der Realwirtschaft Schritt hält. In den letzten zehn Jahren haben die Handelsbeziehungen zwischen Saudi-Arabien und China beispielsweise erheblich zugenommen, und es gibt keinen wirklichen Grund, warum die Handelsbeziehungen zwischen Unternehmen in diesen beiden Ländern durch die Währung einer dritten Partei vermittelt werden müssen, so dass wir allmählich die Verwendung nationaler Währungen als Teil der Handelsabwicklung zwischen Unternehmen in Saudi-Arabien und denen in China sehen. Die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Realitäten der Wertströme   – Öl und Energie von Saudi-Arabien nach China und Elektronik und andere Investitionsgüter von China nach Saudi-Arabien   – haben also ein Volumen erreicht, bei dem der direkte Handel zwischen diesen beiden Ländern eine Menge Vorteile in Form von Zeit- und Geldersparnis sowie ein geringeres Risiko in Bezug auf die Volatilität der Wechselkurse mit sich bringt.

Der Wechsel zu mBridge spiegelt meiner Meinung nach diese grundlegende Realität wider und zeigt vielleicht auch, dass die saudi-arabische Zentralbank versteht, wie wichtig es ist, Teil einer Governance-Architektur zu sein, die ein zensurresistentes Abwicklungssystem bietet. Es ist also wichtig, an der Integrität dieses Systems beteiligt zu sein und dazu beizutragen, anstatt einfach nur am Rande zu sitzen und es bei Bedarf zu nutzen.

Lena Petrova:

Angesichts der Tatsache, dass Saudi-Arabien der größte Erdölexporteur und China aufgrund seiner enormen Produktionskapazitäten der größte Erdölimporteur ist, kann man sagen, dass mBridge ein Weg zu einem Petro-Yuan sein könnte?

Warwick Powell:

Sehen Sie, mBridge ist ein Ausgleichsmechanismus, wenn Sie so wollen. Es ist ein Weg, auf dem wir Konten gleichzeitig und kostengünstig anpassen können. Sobald dies möglich ist, wird es einfacher und schneller, den Wert von Waren in verschiedenen Währungen zu denominieren. Wir fangen also an, die Transaktionskosten zu senken, und wenn das gelingt, dann gibt es keinen Grund, warum man nicht weltweit eine Situation erleben könnte, in der der Wert verschiedener Rohstoffe, einschließlich Rohöl, in anderen Währungen als dem US-Dollar angegeben wird. Die Shanghaier Öl- und Gasbörse ist wahrscheinlich eines der am wenigsten geschätzten, aber entscheidenden institutionellen Institutionen in dieser Währungsmultipolarität, und zwar deshalb, weil diese Börse den Kauf und Verkauf von Öl und Gas in RMB ermöglicht. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass Chinas Präsident Xi Jinping bei seinem Besuch in Saudi-Arabien   – das muss fast 20 Monate her sein   – unter anderem ankündigte, dass er sich verpflichten würde, die Menge an Ölprodukten aus Saudi-Arabien schrittweise zu erhöhen, wenn diese an dieser Börse gehandelt werden würden.

Auf institutioneller Ebene sind die Architekturen für den Nachrichtenaustausch bereits vorhanden. Aber es gibt auch neue Technologien wie mBridge, die eine noch reibungslosere, kostengünstigere Transaktionsabwicklung ermöglichen werden. Die Teile des Puzzles, wenn Sie so wollen, sind nun für den Übergang zur Multipolarität der Währungen als Grundlage der internationalen wirtschaftlichen Interaktion bereit.

Lena Petrova:

Wenn wir uns etwas mehr auf den Begriff Währungsmultipolarität konzentrieren könnten   – ich weiß, dass unsere Zuschauer den ziemlich oft hören, vor allem in letzter Zeit, wahrscheinlich in den letzten sechs Monaten, glaube ich, wurde er von mehreren unabhängigen Journalisten und sicherlich von vielen YouTubern genannt. Viele Menschen denken, dass die Multipolarität in Bezug auf die Währung und die Machtverteilung in der Welt ein Weg ist, um sich direkt gegen die westliche Macht oder die Vereinigten Staaten zu stellen   – während es in Wirklichkeit ein Weg für Länder auf der ganzen Welt ist, sich auf ihre eigene Entwicklung zu konzentrieren und eine Ordnung herzustellen, die für sie und zu ihren Gunsten funktioniert.

Könnten Sie uns vielleicht die Währungsmultipolarität erläutern und was sie für die Volkswirtschaften in der ganzen Welt bedeutet, für die Entwicklungs- oder Schwellenländer, sollte ich sagen, und wie sie erwarten, dass sie in zwei bis fünf Jahren davon profitieren werden?

Warwick Powell:

Ja, bei der Konzentration auf nationale Währungen geht es in erster Linie darum, die nationale wirtschaftliche Souveränität zu betonen. In Wirklichkeit sind die meisten Volkswirtschaften der Welt überwiegend binnenwirtschaftlich ausgerichtet, und ihr Handelsengagement macht in unterschiedlichem Maße einen relativ kleinen Teil ihrer gesamten Wirtschaftstätigkeit aus. Die andere Dimension bezieht sich natürlich auf die Frage der Kapitalströme unter dem Gesichtspunkt der Investitionen, und dabei handelt es sich insbesondere für die Entwicklungsländer oft nicht so sehr um Kapitalzuführungen auf der Basis von Eigenkapital, sondern um Kapitalzuführungen auf der Basis von Schulden. Die Entwicklungsländer haben also in der Vergangenheit von Institutionen wie dem IWF Geld geliehen, um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Das ist jedenfalls die Wirtschaftstheorie.

Wenn dies geschehen ist, lauteten die Schulden, die sie machten, auf US-Dollars. Um diese Schulden zu begleichen, brauchen sie also US-Dollar. Es stellt sich also die Frage, wie die Zentralbanken dieser Länder US-Dollar akkumulieren? Eine Möglichkeit besteht darin, Dinge, die sie besitzen, an die Vereinigten Staaten oder andere Parteien zu verkaufen, die auf US-Dollar lauten, um auf diese Weise US-Dollar zu erhalten, mit denen sie schließlich ihre Schulden beim IWF oder zunehmend auch bei privaten Kreditgebern begleichen können, bei privat ausgegebenen Fonds, privaten Anleihen, um all diese Schulden in US-Dollar zu begleichen. Und was bedeutet das? Nun, es bedeutet, dass das, was Sie in Ihrem Land produzieren, und die Menge an US-Dollar, die Sie dafür bekommen können, Kräften unterliegt, die Sie nicht kontrollieren können. Wenn sich also der relative Wert Ihrer Produkte, die auf inländische Währungen lauten, im Verhältnis zum Wert des US-Dollars ändert, könnten Sie in eine Situation geraten, in der Sie viel mehr von dem, was Sie produzieren, gegen viel weniger US-Dollars eintauschen müssen, was Sie in Bezug auf Ihre Fähigkeit, Ihre Kredite zu begleichen, ins Hintertreffen bringt.

Die nächste Herausforderung besteht darin, dass für diese Kredite Zinsen anfallen, und für die Begleichung dieser Zinsen werden ebenfalls US-Dollar benötigt. Die Zinsen, die auf viele dieser Kredite erhoben werden, werden durch die Zinssätze für den US-Dollar beeinflusst, die durch die US-Währungspolitik festgelegt werden. Wenn also die Kosten für Ihre Kredite als Entwicklungsland aufgrund der US-Währungspolitik steigen   – was wiederum etwas ist, worauf Sie keinen Einfluss haben   –, sind Sie der Notwendigkeit ausgesetzt, noch mehr Ihrer physischen Produkte gegen eine bestimmte Menge US-Dollar einzutauschen, damit Sie Ihre Schulden begleichen können. Das Risiko dabei ist, dass es zu einer wirtschaftlichen Spirale kommt, in der das Entwicklungsland niemals genügend US-Dollar anhäufen kann, um seinen Kreditverpflichtungen nachzukommen, und wir sehen, dass dies immer wieder passiert, und zwar schon seit den letzten 50 Jahren.

Die Folge ist, dass sich die Entwicklungsländer über den IWF refinanzieren müssen. Der IWF stellt eine Reihe von Bedingungen, die die Länder oft dazu zwingen, eine Politik zu betreiben, die den Verkauf von Vermögenswerten, nationalen Vermögenswerten, beinhaltet, damit sie US-Dollar für die Rückzahlung der Kredite anhäufen können, und der Bevölkerung Sparmaßnahmen aufzuerlegen, weil der Kreditgeber in der Rangfolge höher steht als alle anderen. Nichts davon trägt tatsächlich zur wirtschaftlichen Entwicklung bei.

Der Übergang zur Währungsmultipolarität ermöglicht es den Nationen hoffentlich, sich von diesem Spiralrisiko zu befreien und sich auf ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung zu konzentrieren, ohne der Volatilität der Wechselkurse und den Launen der amerikanischen Geldpolitik ausgesetzt zu sein. Es handelt sich um mühsame und technische Diskussionen, die jedoch den Kern der Frage treffen, ob ein Land in der Lage ist, seine eigenen Produktionskapazitäten zu entwickeln und sich so aus dem Zustand der Unterentwicklung zu befreien, ohne in einer Reihe von Schuldenverpflichtungen gefangen zu sein, die es einfach nicht bedienen kann.

Lena Petrova:

Eine Sache, die die Entwicklungsländer zu den BRICS und zu alternativen Finanzierungsmöglichkeiten hinzieht, ist die Tatsache, dass die heutigen geopolitischen Spannungen sie wirklich beunruhigen und sie befürchten, dass sie nicht in der Lage sein könnten, auf einer Linie zu bleiben oder eine Position einzunehmen, die für die Vereinigten Staaten akzeptabel ist. Wenn sie also nicht ihre eigenen Interessen verfolgen, wenn sie sich für die eine oder andere Richtung entscheiden, die von dieser Partei, den Vereinigten Staaten, nicht gebilligt wird, dann könnten sie doppelt zahlen. Sie könnten am Ende nicht in der Lage sein, sich wirtschaftlich zu entwickeln. Als Folge davon könnten sie mit wirklich schwerwiegenden Einschränkungen, ja sogar mit innenpolitischer Instabilität konfrontiert werden.

Sie sind also wirklich motiviert, sich von dem als extrem risikoreich angesehenen System abzuwenden und sich dem alternativen System zuzuwenden, das mBridge voraussichtlich unterstützen wird.

Warwick Powell:

Ja, sehen Sie, ich denke, die BRICS haben eine Reihe wirklich interessanter Eigenschaften, wenn Sie so wollen, warum sie für viele Entwicklungsländer attraktiv sind. Westliche Beobachter kritisieren die BRICS oft dafür, dass sie inkohärent sind und dass es ihnen an einer Art Sinn für ein gemeinsames Ziel fehlt. Es wird von der Vielfalt aller Mitgliedsländer gesprochen und davon, dass sie unterschiedliche Meinungen und Differenzen untereinander haben.

Aber genau das macht die Stärke der BRICS aus.

Die BRICS haben keinen besonders, wie ich es nennen würde, sehr moralisierenden Ansatz, wenn es darum geht, wie Länder zusammenkommen. Es gibt keine einzelne Partei, die versucht, bestimmte Bedingungen in Bezug auf innenpolitische Fragen zu diktieren, und sie unterstützt die Fähigkeit der teilnehmenden Mitgliedsländer, als souveräne Nationen miteinander zu interagieren und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu ihren eigenen Bedingungen zu verfolgen. Die BRICS-Bank, die Neue Entwicklungsbank, ist ebenfalls auf dem Weg, die nationale Souveränität durch die Ausgabe von Krediten in nationalen Währungen weiter zu unterstützen. Die BRICS-Bank vergibt derzeit etwa 75 % ihrer Kredite in US-Dollar und 25 % in nationalen Währungen, wobei geplant ist, dass der Anteil der auf nationale Währungen lautenden Finanzierungen in den nächsten drei Jahren auf über 30 % ansteigt. Dies ist ein bedeutender Schritt, wissen Sie. Man denkt sich, na ja, 25 % bis über 30 % hört sich nicht viel an. Aber wenn der Gesamtwert des Kreditbuchs wächst und die Finanzierungsbilanz zunimmt, stellen diese prozentualen Verschiebungen sehr bedeutende Entwicklungen in der Zusammensetzung der Stückelung der betreffenden Finanzinstrumente dar. Wir werden also sehen, dass Unternehmen und Regierungen in verschiedenen Teilen der Welt durch ihre Mitgliedschaft in den BRICS-Staaten in der Lage sein werden, auf Entwicklungsfinanzierungen zuzugreifen, die auf ihre eigenen Landeswährungen lauten, und das löst die Probleme, die ich zuvor beschrieben habe.

Sie werden nicht den Problemen der Währungsvolatilität ausgesetzt sein. Sie werden nicht den Herausforderungen ausgesetzt sein, die Ihnen infolge der US-Geldpolitik auferlegt werden können, und letztlich bedeutet dies auch, dass Sie bei Ihren Interaktionen untereinander, insbesondere bei der Einführung von Institutionen oder Technologien wie mBridge, nicht einer institutionellen und technischen Architektur ausgesetzt sein werden, die es einer Partei ermöglicht, willkürlich zu zensieren oder auf irgendeine andere Weise in Ihre Geschäfte mit anderen einzugreifen.

All dies macht Institutionen wie BRICS unglaublich effektiv und attraktiv für Länder auf der ganzen Welt, und wir sehen das an dem großen Interesse, das Länder in Afrika, Asien, Südamerika usw. an einer Teilnahme an BRICS bekunden.

_______________________

* Eine Distributed-Ledger-Architektur (DLA) ist ein digitales System zur Aufzeichnung von Transaktionen in mehreren dezentralen Computern, auch bekannt als Knoten oder Nodes [„Ledger“ = „Hauptbuch“ oder „Kontobuch“]. Im Gegensatz zu traditionellen zentralisierten Datenbanken, bei denen eine zentrale Instanz alle Transaktionen verwaltet, verteilt eine Distributed-Ledger-Architektur die Aufzeichnungen auf viele Knoten im Netzwerk. Diese Architektur hat mehrere wichtige Merkmale:


  1. Dezentralisierung: Es gibt keinen zentralen Punkt der Kontrolle oder des Versagens. Jede Transaktion wird von mehreren Knoten validiert und gespeichert.
  2. Konsensmechanismen: Um sicherzustellen, dass alle Knoten im Netzwerk über denselben Stand der Daten verfügen, kommen Konsensmechanismen wie Proof of Work (PoW), Proof of Stake (PoS) oder andere Algorithmen zum Einsatz.
  3. Transparenz und Unveränderlichkeit: Einmal in das Ledger eingetragene Transaktionen können in der Regel nicht mehr geändert werden. Dies sorgt für hohe Transparenz und Sicherheit, da Manipulationen sofort erkennbar wären.
  4. Verteilte Datenspeicherung: Daten werden auf mehreren Knoten gespeichert und synchronisiert. Dies erhöht die Ausfallsicherheit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Angriffen oder technischen Ausfällen.
  5. Kryptografie: Starke kryptografische Methoden werden verwendet, um die Integrität und Vertraulichkeit der Daten zu gewährleisten.


Ein bekanntes Beispiel einer Distributed-Ledger-Architektur ist die Blockchain, die unter anderem in Kryptowährungen wie Bitcoin verwendet wird. Es gibt jedoch auch andere Formen von Distributed-Ledgers, wie z.B. Directed Acyclic Graphs (DAGs), die in Systemen wie IOTA zum Einsatz kommen.

** Eine Zentralbank-Digitalwährung (CBDC, Central Bank Digital Currency) ist eine digitale Form einer Landeswährung, die von der Zentralbank ausgegeben und reguliert wird. Im Gegensatz zu Kryptowährungen wie Bitcoin, die dezentralisiert und nicht von einer einzigen Instanz kontrolliert werden, sind CBDCs zentralisiert und werden von der ausgebenden Zentralbank kontrolliert.

*** Minimum Viable Product (MVP) lässt sich auf Deutsch als "Minimal funktionsfähiges Produkt" oder "Minimal überlebensfähiges Produkt" übersetzen. Es handelt sich dabei um eine Entwicklungsstrategie, bei der ein Produkt mit den minimal notwendigen Funktionen erstellt wird, um es auf den Markt zu bringen und Benutzerfeedback zu sammeln. Dieses Feedback wird dann genutzt, um das Produkt iterativ zu verbessern.

Quelle: ▪️Substack - https://lenapetrova.substack.com/

https://www.youtube.com/watch?v=hRwzx7WnT7s
Das Transkript und die Übersetzung besorgte Dr. Andreas Mylaeus


Info: https://seniora.org/index.php?option=com_acymailing&ctrl=url&subid=3998&urlid=5985&mailid=2246


unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

02.07.2024

Brexit à la francaise, Baerbock und die Ukraine – und der doppelte Orban

lostineu.eu, 2. Juli 2024

Die Watchlist EUropa vom 02. Juli 2024 – Heute mit einer europapolitischen Schadenbilanz, einem völlig neu definierten nationalen Interesse und einer verwirrenden Gulasch-Taktik.

Nach dem ersten Durchgang der Parlamentswahl in Frankreich hat es den EU-Politikern in Brüssel die Sprache verschlagen. Ein Sieg der Nationalisten könnte weitreichende Folgen für ganz EUropa haben. Also schweigen sie – und ziehen die Köpfe ein.

Ein Leitartikler in “Le Monde” zieht schon Parallelen zum Brexit – also dem britischen EU-Austritt von 2016. Präsident Macron habe sich ebenso verzockt wie der damalige britische Premier Cameron, schreibt die französische Zeitung. Auch damals wurde die EU kalt erwischt.

Droht also ein “Brexit à la francaise”? Noch ist es nicht so weit, noch gilt es, den zweiten Wahlgang und die Sitzverteilung in der neuen französischen Nationalversammlung abzuwarten. Noch ist Le Pen nicht an der Macht.

Und noch hat sie ihr Programm, zu dem eine Senkung des französischen EU-Beitrags und ein Ausstieg aus der europäischen Energieunion zählen, nicht in die Tat umgesetzt. Einen EU-Austritt predigt sie übrigens auch nicht mehr.

Franzosen wurden übergangen

Allerdings sollte man sich nicht wundern, dass viele Franzosen von der Europapolitik schwer enttäuscht sind und einen Schlußstrich ziehen wollen. Denn sie sind schon allzu oft übergangen und betrogen worden.

Das fing schon mit dem Maastricht-Vertrag an, der in einem Referendum in Frankreich 1992 nur mit einer hauchdünnen Mehrheit durchgekommen war. Viele Franzosen lehnen den neoliberalen Vertrag bis heute ab.

Wenig Jahre später fiel der EU-Verfassungsvertrag in einem weiteren Referendum durch. Doch Frankreich ließ sich von Deutschland überrumpeln; der Text wurde ohne große Änderungen in den Lissabon-Vertrag überführt.

Mit dem Amtsantritt von Macron kam die dritte kalte Dusche: Ex-Kanzlerin Merkel lehnte die weit reichenden Reformvorschläge aus Paris ab. Die historische Chance, die der Brexit bot, wurde nicht genutzt, der Frust stieg weiter.

Auch die Linke fordert einen “Bruch”

Macron machte jedoch weiter, als wenn nichts gewesen wäre, und spielte sich kurz vor der Europawahl gar zum selbst ernannten Führer der EU auf. “EUropa kann sterben“, warnte er – und wurde von den Franzosen abgestraft.

Statt endlich einzulenken und seinen Kurs zu ändern, setzte Macron die nun laufenden Parlamentswahlen an. Das Ergebnis: EUropa kann tatsächlich sterben – daran, dass die Franzosen nicht gehört und “mitgenommen” wurden…

Denn die Macronisten haben den ersten Wahlgang verloren. Und die Linke, die auf Platz zwei kam, fordert ebenfalls einen “Bruch”. Was wir jetzt sehen, ist nur der Schlusspunkt einer lange währenden und tief sitzenden Entfremdung.

Siehe auch “Neuwahl in Frankreich: Macron wird zur Gefahr”

News & Updates

  • Baerbock, die Ukraine und das nationale Interesse. Außenministerin Baerbock hat zu einer noch stärkeren Unterstützung der Ukraine aufgerufen. Die Hilfe “sei ein Investment in unsere eigene nationale Sicherheit”, sagte sie in Berlin und fügte hinzu: “Ein größeres nationales Interesse kann es doch eigentlich gar nicht geben.”Baerbock versucht offenbar, die nationalen Interessen der Deutschen unter jene der Ukraine zu subsumieren. Diese sind aber essentiell verschieden – vor allem, wenn es um den künftigen Bundeshaushalt geht, also ums Geld…
  • Kaufkraft-Verlust geht weiter. Die Reallöhne in der EU sind im vergangenen Jahr im Schnitt um 0,6 Prozent zurückgegangen. 2022 waren sie sogar um 4,2 Prozent eingebrochen. Für Deutschland gehen die Forscher von einem Reallohnverlust von 0,3 Prozent für das vergangene Jahr aus. 2022 waren es 4,4 Prozent. – Warum das den Rechten nutzt, steht hier (Blog)
  • EUMilliarden für Ägypten. Die EU und Ägypten haben ein gemeinsames Investitionsabkommen in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro unterzeichnet. Das Europaparlament wurde übergangen. Es gebe auch keine Mechanismen, um Menschenrechts-Verstöße zu ahnden, kritisiert die EU-Bürgerbeauftragte. Das scheint in der “Werteunion” aber nicht weiter zu stören...

Das Letzte

Der doppelte Orban Ungarns Regierungschef Viktor Orban gibt’s neuerdings in zweifacher Ausführung. Am Sonntag präsentierte er sich in Wien als Führer einer neuen, patriotischen Sammlungsbewegung. Die Gruppierung “Patrioten für Europa” umfasst neben der ungarischen Regierungspartei Fidesz die rechte österreichische FPÖ und die liberal-populistische tschechische ANO. Einen Tag später übernahm Orban dann die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft. Plötzlich war er der uneigennützige Sachwalter der Interessen aller 27 EU-Staaten, der EUropa wieder “great” machen will (so der offizielle Slogan). Das passt nicht zusammen, in Berlin nimmt man ihm das auch nicht ab. Dort will man sogar das so genannte Artikel-7-Verfahren weiterführen, das zum Verlust der ungarischen Stimmrechte führen könnte…

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2 Comments

  1. Monika
    2. Juli 2024 @ 12:48

    …das zum Verlust der ungarischen Stimmrechte führen könnte…
    ist das ein “Synonym” für Rausschmiss? Wie könnte ein Land “Mitglied” bleiben ohne Stimmrechte??
    Die EU ist in ihrer jetzigen Pervers ähh Position nicht mehr haltbar. Die Bürger versuchen gerade mittels rechter Parteien die EU zu sprengen, um sie föderalististischer wieder aufstellen zu können. Die Bürger wollen einen Staatenbund, keinen Bundesstaat. Das Konstrukt muss dringend umgebaut werden in eine Art von 3-Zonen-Gemeinschaft: Kernzone A, mit Teilnahme an der Währungs- der Wirtschafts- und der europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Zone B entspricht der Zone A ohne Währungsgemeinschaft, also mit eigener Währung und damit Abwertungsmöglichkeit gegenüber dem Euro. Und Zone C, wirtschaftlich assoziiert mit freundschaftlichen Hilfsprogrammen der EU zum möglichen Aufstieg in Zone B.
    Die Teilnehmer am europäischen Projekt müssen allesamt raus aus der NATO, da diese keine Verteidigungsgemeinschaft darstellt, sondern imperiales Instrument einer Großmacht mit nicht europäischen Interessen ist.

Reply

  • Michael
    2. Juli 2024 @ 08:12

    Inzwischen habe ich gelernt dass ich richtig liege wenn ich das Gegenteil dessen denke, sage und tue was die äußerst dümmliche Baerbock die Öffentlichkeit glauben machen will!

    Reply


  • Info: https://lostineu.eu/brexit-a-la-francaise-baerbock-und-die-ukraine-und-der-doppelte-orban


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.




    Weiteres:




    Plötzlich wird die Slowakei umworben


    lostineu.eu, vom 1. Juli 2024

    Bisher galt die Slowakei als Problemfall – weil Premier Fico nicht auf Ukraine-Kurs ist. Doch nun wird sie umworben. Ob es wohl um die Wiederwahl einer deutschen Politikerin geht?

    Die EU-Kommission hat mitgeteilt, dass die Slowakei bald mit der Auszahlung von 799 Mill. Euro aus dem Corona-Aufbaufonds rechnen darf. Die erste Einschätzung einer slowakischen Reformplans sei positiv, heißt es in Brüssel.

    Im Europaparlament scheint es derweil zu einer Wiederannäherung zwischen den Sozialdemokraten und Ficos SMER-Partei zu kommen. Die SMER war gleich nach Ficos Wahl ohne große Debatte aus der Fraktion geworfen worden.

    Doch obwohl Fico seine Ukraine-Politik nicht geändert hat und auch sonst kein Kurswechsel erfolgt ist, scheint sich vor allem die SPD um die slowakischen Genossen zu bemühen. Die SPD ist ja neuerdings auch für Von der Leyen II.

    Ob es da irgendwie einen Zusammenhang gibt? VDL soll am 18. Juli im Europaparlament im Amt bestätigt werden. Bisher fehlen ihr noch 50 Stimmen, die SMER hat fünf Abgeordnete – vielleicht machen die ja den Unterschied?

    Nach der Wahl kann man dann ja wieder getrennte Wege gehen – z.B. wegen der Ukraine…

    Siehe auch Macht von der Leyen schon wieder undurchsichtige Deals?

    3 Comments

    1. Arthur Dent
      2. Juli 2024 @ 12:47

      Nachtigall, ick hör dir trappsen…
      Scholz ist mit einem ganzen Tross von Ministern nach Polen gereist. Es geht um Versöhnung.
      (Reparationsforderungen der PiS-Partei hatte man im Januar letzten Jahres noch brüsk abgelehnt).

    Reply

  • Skyjumper
    2. Juli 2024 @ 12:44

    “……..aus dem Corona-Aufbaufonds rechnen darf….”

    Man (vielleicht auch nur ich) fragt sich ja unwillkürlich, was denn eigentlich durch Corona zerstört wurde und nun wieder aufgebaut werden muss. Und tatsächlich heißt das “Kind” ja auch eigentlich ganz anders. Die Slowakei erhält die 799 Mio. € nämlich aus dem “Aufbau- und Resilienzfazilitäts-Fond”, welcher wiederum Bestandteil des “NextGenerationEU” Paketes ist.

    Knapp 810 Mrd. € ist dieses Programm schwer. Next Generation – Zukunft Ahoi. Man sieht es genau (Ironie) wenn man sich das Gesamtpaket ansieht:

    12 Mrd. € gehen sind für “Binnenmarkt, Innovation und Digitales” vorgesehen. Dem Titel kann man mit Innovation und Digitales eine gewisse Zukunftsorientierung nicht absprechen. Das sind immerhin 1 komma 5 %.

    19 Mrd. € sind für “Natürliche Ressourcen und Umwelt” vorgesehen. Ohne Umwelt und Ressourcen keine Zukunft. Also ja, durchaus Zukunftsorientierung. Sagenhafte 2 % vom Gesamtpaket.

    “Armseelige” 777 Mrd. € sind dann noch für “Zusammenhalt, Resilienz und Werte” vorgesehen. Da sieht man doch deutlich wo die EU die Zukunft verortet. In “Werten” und “Zusammenhalt” (Resilienz würde ich ja noch gelten lassen).

    Ein Schelm wer jetzt meint, dass sich unter dieser Überschrift ja allerhand unterbringen lässt was man gut brauchen kann um einen Mitgliedsstaat bei Bedarf mal die saftige Möhre vors Maul zu halten.

    Übrigens: Fast genau so schlimm sieht es mit dem regulären. mehrjährigen Finanzrahmen der EU aus. Auch da sind ein gutes Drittel aller Etatzuwendungen für “Zusammenhalt, Resilienz und Werte” vorgesehen. Nochmal 430 Mrd. €. Scheinen verdammt knappe Güter zu sein wenn man dafür so viel auf den Tisch legen muss.

    Reply

  • european
    2. Juli 2024 @ 10:32

    Es ist doch toll, wenn man mit anderer Leute hart erarbeitetes Geld nur so um sich werfen kann, um den eigenen Allerwertesten zu retten. Wenn dieser dann gerettet ist, verschleudert man den Rest des erarbeiteten Geldes in Bereichen, wo diejenigen, die es erarbeitet haben, nicht profitieren.

    Ich hoffe, die Slowakei bleibt standhaft.


  • Info: https://lostineu.eu/ploetzlich-wird-die-slowakei-umworben


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.




    Weiteres:




    Wasser auf die rechten Mühlen: Kaufkraft-Verlust geht weiter


    lostineu.eu, vom 1. Juli 2024

    Wer sich fragt, warum die Rechten in der EU zulegen, muß sich nur die neueste Lohn-Statistik ansehen.

    Wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung mitteilte, sind die Reallöhne im Schnitt um 0,6 Prozent zurückgegangen. 2022 waren sie sogar um 4,2 Prozent eingebrochen.

    Für Deutschland gehen die Forscher von einem Reallohnverlust von 0,3 Prozent für das vergangene Jahr aus. 2022 waren es 4,4 Prozent.

    Starke Reallohnverluste gab es 2023 in Tschechien mit 4,4 Prozent sowie in Malta (minus 3,8 Prozent) und Italien (minus 3,3 Prozent).

    Reale Lohnzuwächse gab es beispielsweise in Rumänien und Belgien. In Belgien gibt es einen automatischen Lohnausgleich (Indexierung). Allerdings nicht für Free-Lancer wie mich ????

    Und warum nützt das jetzt den Rechten? Weil sie die hohen Lebenshaltungskosten und die sinkende Kaufkraft aggressiv ansprechen – “la vie chère” war in Frankreich ein “Wahlkampf-Schlager”.

    Demgegenüber traut sich die Linke nicht mehr, die EU und die Europäische Zentralbank zu kritisieren – aus Angst vor den Rechten. Die Sozis haben sogar der Austeritäts-Politik zugestimmt, die jetzt wieder kommt…

    Siehe auch EU-Parlament macht Weg für Austerität 2.0 frei

    6 Comments

    1. Arthur Dent
      2. Juli 2024 @ 12:06

      “Wir werden alle ärmer werden, das ist ja klar…” hatte Herr Habeck gesagt im Zuge des Ukraine-Kriegs und Energiewende.
      Der EU-Raum ist viel zu groß und zu heterogen, um überall für annähernd gleiche Lebensverhältnisse zu sorgen. Klappt schon in Deutschland nicht. War wohl auch nie beabsichtigt. Dagegen spricht schon der Hang zur Wettbewerbsfähigkeit – da gibt’s wenige Gewinner und viele Verlierer. Erfolg wir nur wenigen zu Teil, hält aber alle am Laufen.
      Wie gut, dass es den Populismus gibt. Populismus ist ein Phänomen, das aus modernen Demokratien nicht mehr wegzudenken ist. Der politische Raum wird zweigeteilt: Auf der einen Seite steht das einfache, ehrliche Volk – auf der anderen die korrupte Elite. Der Populist beansprucht dann, für das ganze Volk zu sprechen…
      Die Kritiker des Populismus machen jetzt dasselbe in grün: Wir, die guten Demokraten müssen jetzt alle zusammenstehen gegen die bösen Populisten… ad Infinitum.
      Hat jemand eine Idee, wie man wieder zu einer sachlichen Politik kommt?
      Die Exportweltmeisterschaft Deutschlands dürfte sich für eine lange Zeit erledigt haben – und wenn der Euro aufgewertet würde und die Löhne auch noch steigen, da ist dann aber “zappenduster bei der europäischen Lokomotive”. ????

    Reply

    • Skyjumper
      2. Juli 2024 @ 13:06

      Nicht nur Habeck hat das gesagt. Eigentlich kann zumindest in DE niemand sagen er hätte es nicht gewußt.
      Lange vor Habeck konnte man das bereits von Ulrike Herrmann hören und lesen. Und auch aus dem WEF konnte man gleichartiges hören. Das berühmt-berüchtigte “you will own nothing, and you’ll be happy”.

      Es scheint mir in gewisser Hinsicht vergleichbar mit der Endphase der Weimarer Republik. 1925 wurde Band 1 von “Mein Kampf” veröffentlicht. 1926 Band 2. Da steht im Grundsatz bereits sehr vieles drinnen was dann ab 1933 von der NSDAP Stück für Stück umgesetzt wurde.

      Damals wie heute will man offenbar nicht glauben was doch deutlich angesagt wurde/wird. Ja. Der Kaufkraftverlust geht weiter. Mit Ansage! und von der Mehrheit mittels Wahl abgesegnet. Die Verschlechterung der Infrastruktur geht weiter. Mit Ansage! und von der Mehrheit mittels Wahl abgesegnet. Nicht nur in DE, sondern auch in der EU. Denn die Ränder mögen ja erstarkt sein – aber noch immer hat die Mehrheit “etabliert” gewählt – die Ansage für (verharmlosend) Wohlstandsverlust.

      Für einige resultiert daraus kein Wohlstandsverlust, sondern bereits Existenzsorge. Aber irgendwas ist ja immer. Alles Nazis und Kommunisten die das nicht wollen.

      Reply

  • european
    2. Juli 2024 @ 10:54

    Volle Zustimmung zum Artikel. Das Problem kann gar nicht oft genug benannt werden.

    Reply

    • ebo
      2. Juli 2024 @ 11:03

      Die Reallöhne liegen fast überall noch unter dem Vorkrisen-Niveau, viele Preise (sogar für Lebensmittel, aber auch für Urlaubsreisen) sind unerschwinglich geworden. Derweil explodieren die Profite.
      Damit werden sowohl das Wohlstands- als auch das Gerechtigkeits-Versprechen gebrochen. Doch die EU merkt nichts mehr – seit der Eurokrise ist sie auf dem Auge blind.

      Reply

      • european
        2. Juli 2024 @ 11:14

        Aber man wundert sich ueber den Aufstieg von Rechts. Diese Zusammenhaenge sind schon lange bekannt und bei den Aussichten auf weitere Austeritaet werden sich diese Spannungen verstaerken.

        Man wird darueber diskutieren muessen, was die eigentliche Agenda der herrschenden Klasse ist. Wer regiert uns eigentlich? Wer regiert die USA? Joe Biden jedenfalls nicht. Wem folgen wir da so bedingungslos und warum? Wem dient all das? Den Buergern Europas jedenfalls nicht.

        Es sind sehr viele Fragen zu beantworten, die auch endlich mal jemand stellen muss. Unsere Medien sind diesbezueglich leider ein Totalausfall. Aber auch das vielleicht mit Absicht?

  • Michael
    1. Juli 2024 @ 16:13

    Stimme zu! In Deutschland sind es insbesondere Habeck & Co. die qua Kriegswirtschaft und hysterischem US Sanktionismus die Misere zu verantworten haben! Und, Habeck & Co. sissen das auch ganz genau weshalb sie auch eisern verschweigen was etwa der US Sanktionismus Deutschland als Sanktionier gegenüber Russland kostet. Dass die Sanktionen in Russland hingegen ihren beabsichtigten Effekt – glücklicherweise – verfehlt haben und in den USA die Profite sprudeln ist wohl hinlänglich bekannt!


  • Info: https://lostineu.eu/kaufkraft-verlust-geht-weiter


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    02.07.2024

    Kohleausstieg Eine Arbeitsmarktpolitik für das postfossile Zeitalter

    makronom.de, vom 1. Juli 2024, Deutschland, NICOLAS KOCH & MARCUS JANSER

    Ängste vor dem Verlust von Arbeitsplätzen dominieren oft klimapolitische Diskussionen, so auch beim Kohleausstieg. Dabei will die Politik unter anderem mit Frühverrentungen soziale Härten abfedern. Eine andere Maßnahme wäre jedoch wesentlich sinnvoller.


    Bild: Pixabay


    Bedenken über den Verlust von Arbeitsplätzen stehen häufig im Mittelpunkt klimapolitischer Diskussionen. Dies gilt ganz besonders für die traditionsreiche Kohleindustrie, die einst viele hochbezahlte Arbeitsplätze bot. In Deutschland soll spätestens 2038 Schluss mit dem Kohlebergbau und der Kohleverstromung sein, laut Ampel-Koalitionsvertrag möglichst schon 2030.

    Um Perspektiven für die Belegschaften zu bieten, stellt der deutsche Staat neben umfänglichen regionalen Fördermitteln 5 Milliarden Euro für ein „Anpassungsgeld“ für Beschäftigte bereit: Sie können dadurch mit 58 abschlagsfrei in Rente. In einem aktuellen Forschungspapier haben wir geprüft, wie hoch die Arbeitsmarktkosten des deutschen Kohleausstiegs sind und welche arbeitsmarktpolitische Maßnahme wirklich Abhilfe schafft. Das Fazit lautet: Der soziale Ausgleich wäre viel effizienter, wenn man statt der Frühverrentung den Jobwechsel förderte.


    Arbeitslosigkeit ist nicht das Problem

    Zunächst seziert die Studie, warum der Kohleausstieg für Beschäftigte ein Problem ist. Im Fokus stehen die rund 10.000 Beschäftigten im Braunkohletagebau, vor allem in der Lausitz und im Rheinland, inklusive angehängter Dienstleister.

    Um die Kosten des Ausstiegs für diese Beschäftigten empirisch fundiert abzuschätzen, stützt sich die Studie auf umfassende, anonymisierte Sozialversicherungsdaten zu den Arbeitsmarktbiografien sämtlicher Personen, die zwischen 1975 und 2017 in der Braunkohlebranche gearbeitet haben.

    Die statistische Auswertung dieser flächendeckenden Erwerbsbiografien zeigt deutlich, dass der Haupttreiber der Arbeitsmarktkosten nicht die Arbeitslosigkeit ist, sondern vielmehr der Wechsel von höher bezahlten, relativ sicheren Jobs im Kohlebergbau zu weniger gut bezahlten und weniger sicheren Jobs in anderen Industrien. Neue Jobs außerhalb der Kohleindustrie bedeuten im Schnitt rund ein Viertel weniger Lohn.


    Beschäftigte mittleren Alters verlieren am meisten

    Dies erklärt auch, warum weder die Jüngeren noch die Älteren am meisten verlieren, sondern Beschäftigte mittleren Alters: Sie haben sich schon auf einen hohen Lohn hochgearbeitet, den sie ohne Kohleausstieg auch noch über viele Jahre erhalten würden.

    Je früher der Kohleausstieg kommt, also zum Beispiel bereits 2030 statt 2038, desto mehr 30- bis 50-jährige Beschäftigte werden vom Beschäftigungsabbau und den damit einhergehenden schlechteren Job-Optionen und Verdienstmöglichkeiten betroffen sein.


    Ausstiegszeitpunkt hat einen starken Einfluss auf Kosten

    Die Studie beziffert ein Drittel höhere Wohlfahrtskosten für einen früheren Kohleausstieg ohne begleitende Maßnahmen in 2030 – insgesamt etwa 2,2 Milliarden Euro. Treiber dieser Zusatzkosten ist die Alterszusammensetzung der Beschäftigten.

    Die Daten zeigen klar, dass die Arbeitskräfte der Braunkohlebranche immer älter werden. So stieg das Durchschnittsalter von 38 Jahren im Jahr 1992 auf 46 Jahre im Jahr 2017 an. Ein Arbeitsplatzabbau vollzieht sich seit eh und je über die Verrentung. Der Studie zufolge würden auch in den kommenden Jahren viele Beschäftigte aus dem Erwerbsleben ausscheiden: zwischen 2030 und 2038 rund 1.500 Beschäftigte. Sie wären von einem früheren Kohleausstieg in 2030 besonders betroffen.

    Screenshot_2024_07_02_at_12_47_32_Kohleausstieg_Eine_Arbeitsmarktpolitik_f_r_das_postfossile_Zeitalter

    Quelle: Haywood/Koch/Janser (2024)


    Anpassungsgeld ist teuer und nicht zielgenau


    Die mit dem Anpassungsgeld eingeführte staatlich subventionierte Frühverrentung scheint daher ein natürlicher Ansatz zum sozialverträglichen Beschäftigungsabbau. Das Anpassungsgeld hat aber maßgebliche Nachteile.

    Erstens ersetzt es größtenteils bestehende Betriebsrenten. Großzügige betriebliche Vorruhestandsregelungen waren seit Langem gängige Praxis in der Braunkohleindustrie.

    • In der Lausitz gingen bereits in der Vergangenheit mehr als die Hälfte der Braunkohlebeschäftigten vor Erreichen des Alters von 58 Jahren in Rente.
    • Im Alter von 60 waren bereits über drei Viertel der ehemaligen Beschäftigten von Braunkohletagebauen in Rente.

    Seit 2020 ersetzt das Anpassungsgeld nun die Betriebsrenten der Firmen und das ist für den Staat teuer.

    Zweitens steht das Anpassungsgeld nur Beschäftigten über 58 Jahre zur Verfügung, obwohl gerade Beschäftigte mittleren Alters die größten Kosten tragen. Da das Anpassungsgeld zudem nur Beschäftigte betrifft, deren Stellen abgebaut werden, ermöglicht es den Leuten nicht, selbst auf vielversprechende Angebote auf dem Arbeitsmarkt zu reagieren. Angesichts des allgemeinen Fachkräftemangels braucht es aber Anreize, beruflich aktiv zu bleiben.


    Statt Vorruhestand alternative Beschäftigungsmöglichkeiten fördern

    80%der ehemaligen Braunkohle-Bergleute wechseln den Daten nach in Berufe, die ebenfalls zu den zehn häufigsten Berufen innerhalb des Braunkohlebergbaus gehören.

    Die beiden häufigste Berufe – das sind Maschinen- und Fahrzeugmechaniker sowie Lkw-Fahrer – fanden wir nach dem Ausscheiden aus dem Braunkohlebergbau bei einem Drittel aller ausgeübten Berufe wieder. Diese beiden Berufe scheinen sehr robust gegenüber makroökonomischen Krisen zu sein und sind nicht auf bestimmte Branchen oder Unternehmen konzentriert. Das zeigt, dass viele der Braunkohle-Beschäftigten auch außerhalb ihrer bisherigen Branche Arbeitsoptionen haben.

    Anstatt durch staatliche Zuschüsse die gängige Praxis des Vorruhestands zu fördern, könnte der Staat die Steuergelder besser dafür verwenden, es Beschäftigten zu erleichtern, mit ihrem Beruf in eine andere Branche umzusteigen.


    Entgeltsicherung würde Kosten auf nahe null drücken

    In unserer Studie schlagen wir hierfür eine „Entgeltsicherung“ vor: Der Staat könnte allen, die auf eine schlechter bezahlte Stelle außerhalb der Kohle wechseln, für einen begrenzten Zeitraum – zum Beispiel fünf Jahre – den Gehaltsunterschied erstatten, damit sie ihr Lohnniveau halten.

    Die Inanspruchnahme der Entgeltsicherung wäre freiwillig und würde den Braunkohle-Beschäftigten die Möglichkeit geben, selbst die Initiative zu ergreifen, einen anderen Job zu suchen, ohne auf Gehalt zu verzichten. Eine ähnliche Aufstockungslösung gab es in Deutschland bereits für ältere Langzeitarbeitslose – was zeigt, dass eine Umsetzung machbar ist.

    Die Analyse belegt, dass die Entgeltsicherung gerade für die heute 30- bis 50-Jährigen attraktiv sein würde, denen bislang keine Unterstützung geboten wird. Mit dem befristeten Lohnausgleich blieben sie länger in Lohn und Brot. Das kostet den Staat laut der Studie zwar 600 Millionen Euro, doch die Arbeitsmarktkosten des Kohleausstiegs würden sich maßgeblich verringern – um über 90 Prozent bei einem Ausstieg in 2030, also fast auf null.

    Anreize, um Fachkräfte im Arbeitsmarkt zu halten, sind also das A und O, um die sozialen Kosten des Kohleausstiegs zu minimieren. Dass die Erkenntnisse auch auf andere Länder und Branchen übertragbar sind, etwa Kohle in den USA oder Öl und Gas in Norwegen und den Niederlanden, kann auch in der freiverfügbaren Version der Studie nachgelesen werden.

     

    Zu den Autoren:


    Nicolas Koch leitet das Policy Evaluation Lab am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

    Markus Janser ist Senior Researcher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und koordiniert dort den IAB-Teil der RWI/IAB-Nachwuchsgruppe „Ökologische Transformation, Arbeitsmarkt, Aus- und Weiterbildung (ÖkTAAWe)“.


    Hinweis:

    Dieser Beitrag ist in einer früheren Version auf dem Blog Transforming Economies erschienen. Die vollständige Studie, auf der dieser Beitrag beruht, finden Sie hier.


    Info: https://makronom.de/kohleausstieg-eine-arbeitsmarktpolitik-fuer-das-postfossile-zeitalter-46939?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=kohleausstieg-eine-arbeitsmarktpolitik-fuer-das-postfossile-zeitalter


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    02.07.2024

    Nachrichten von Pressenza: Klimakrise und Hitze­belastungen: Ein­blicke in die Arbeits­realitäten von Frauen

    aus e-mail von  <newsletter@pressenza.com>, 2. Juli 2024, 7:30 Uhr


    Nachrichten von Pressenza - 02.07.2024


    Klimakrise und Hitze­belastungen: Ein­blicke in die Arbeits­realitäten von Frauen


    Die Auswirkungen des vom Menschen gemachten Klimawandels sind auch hierzulande immer deutlicher zu spüren – Österreich hat sich seit 1980 um 1,41 Grad erhitzt. Das klingt vielleicht nach einer kleinen Veränderung, hat aber dramatische Auswirkungen auf die Natur und den&hellip;

    https://www.pressenza.net/?l=de&track=2024/07/klimakrise-und-hitzebelastungen-einblicke-in-die-arbeitsrealitaeten-von-frauen/


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    Verleumdungskampagne gegen Pinar Selek vereitelt – Gericht verschiebt Entscheidung


    Wieder einmal hat sich unsere Mobilisierung ausgezahlt: Die Solidaritätskollektive und die große Delegation in Istanbul haben den Versuch des türkischen Innenministeriums vereitelt, eine akademische Konferenz, die in Frankreich unter der Verantwortung der Universität Côte d&#8217;Azur, der Universität Paris Cité, des&hellip;

    https://www.pressenza.net/?l=de&track=2024/07/verleumdungskampagne-gegen-pinar-selek-vereitelt-gericht-verschiebt-entscheidung/


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    Die vorausschauenden Warnungen von Chomsky und der UN erneut aufgreifen


    Ich habe kürzlich an einer Familienfeier in Upstate NY teilgenommen und mir wurde erklärt, dass Artikel über den Klimawandel, wie dieser hier, zu negativ sind, was dazu führt, dass nahestehende Verwandte sich verschließen und so weit gehen, diese Art von&hellip;

    https://www.pressenza.net/?l=de&track=2024/07/die-vorausschauenden-warnungen-von-chomsky-und-der-un-erneut-aufgreifen/


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    Pressenza - ist eine internationale Presseagentur, die sich auf Nachrichten zu den Themen Frieden und Gewaltfreiheit spezialisiert hat, mit Vertretungen in Athen, Barcelona, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Buenos Aires, Florenz, Lima, London, Madrid, Mailand, Manila, Mar del Plata, Montreal, München, New York, Paris, Porto, Quito, Rom, Santiago, Sao Paulo, Turin, Valencia und Wien.


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    02.07.2024

    Berliner Landesverfassungsgericht: Ende einer Hängepartie

    taz.de, 2. 7. 2024, 15:32 Uhr

    Mit jahrelanger Verspätung haben sich die Fraktionen auf neue Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen geeinigt. Mit dabei ist ein Enteignungs-Befürworter.


    Das Kammergericht in Berlin-Schöneberg ist auch der Sitz des Landesverfassungsgerichts Foto: Jochen Eckel/imago


    BERLIN taz | Mit drei Jahren Verspätung steht fest, ­welche Rich­te­r*in­nen neu ans Berliner Verfassungsgericht gewählt werden ­sollen. Die Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und Linken im Abgeordne­tenhaus haben sich auf sechs Kandi­dat*innen verständigt, die sich am Donnerstag in der letzten Plenar­sitzung vor der ­Sommerpause zur Wahl stellen ­werden.

    Die Position am Verfassungsgericht ist ein Ehrenamt, die Amtszeit beträgt sieben Jahre. Die Rich­te­r*in­nen benötigen eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus, weswegen die Fraktionen – unter Ausschluss der AfD – ein Personaltableau ausgehandelt haben.

    Neuer Vizepräsident wird demnach Björn Retzlaff. Der Vorsitzende Richter am Kammergericht ist dort vor allem für Baurecht zuständig.

    Die Anwältin Lucy Chebout ist im Familienrecht spezialisiert und Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Sie hat neben Jura auch Islamwissenschaften studiert.

    Florian Rödl ist Juraprofessor an der Freien Universität Berlin. Er gilt als Befürworter des Enteignungs-Volksentscheids und saß auch in der zuständigen Kommission. 2020 vertrat er das Land Berlin im Verfahren um den Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht.

    Juliane Pätzold ist Richterin am Berliner Verwaltungsgericht und dort für Visums- und Asylrecht zuständig.

    Florian Schärdel ist Richter am Amtsgericht Schöneberg und war dort zuletzt vor allem mit Mietrecht befasst.

    Rosanna Sieveking ist seit 2018 als Richterin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vor allem für Straßen- und Wegerecht zuständig.

    Mit der Einigung dürfte das jahrelange Personalproblem am Landesverfassungsgericht behoben werden. Derzeit sind nur sieben der planmäßig neun Rich­te­r*in­nen im Amt. Und von ihnen warten vier bereits seit 2021 darauf, abgelöst zu werden. Das wurde zunächst wegen der anstehenden Abgeordnetenhauswahl verschoben. Anschließend wurde die Richterwahl erneut ausgesetzt, damit das Gericht über die Wiederholung der Chaoswahl urteilen konnte.

    Das dann im Februar 2023 neu gewählte Abgeordnetenhaus konnte sich lange nicht auf gemeinsame Vorschläge einigen. Zuletzt sorgte die Personalie von Seda Başay-Yıldız für Streit. Die Grünen hatten die NSU-Nebenklageanwältin für das Ehrenamt vorgeschlagen, die CDU blockierte. Die Grünen sind dann von ihr abgerückt, wie nun die Vorschlagsliste zeigt.


    mehr von



    Info: https://taz.de/Berliner-Landesverfassungsgericht/!6018027


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    02.07.2024

    Streit um Afghanistan (II)  Berlin diskutiert über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Afghanistan – im Einflusskampf gegen Russland und China. Afghanischer Warlord bittet den Westen um Hilfe für seinen Guerillakrieg gegen die Taliban.

    german-foreign-policy.com, 2. Juli 2024

    BERLIN/KABUL (Eigener Bericht) – In Berlin werden Forderungen nach einem Kurswechsel in der Afghanistan-Politik und der erneuten Entsendung von Diplomaten nach Kabul laut. Hintergrund ist, dass immer mehr Staaten beginnen, in gewissem Umfang mit den dort herrschenden Taliban zusammenzuarbeiten. Russland und China tun dies bereits seit geraumer Zeit; Moskau hat Taliban-Vertreter mehrfach zum St. Petersburg International Economic Forum eingeladen, während Beijing umfangreiche Rohstoffprojekte in Afghanistan plant und zu Jahresbeginn einen Taliban-Botschafter akkreditiert hat. Inzwischen lässt auch Indien ein gewisses Interesse an einer Zusammenarbeit erkennen; Saudi-Arabien plant eine Botschaft in Kabul zu eröffnen. Hintergrund sind neben Sicherheits- auch geostrategische Interessen. Berlin fürchtet nun, zu spät zu kommen. Gleichzeitig bieten sich altbekannte afghanische Warlords dem Westen für einen Guerillakrieg gegen die Taliban an. So äußerte am Wochenende der Milizenführer Ahmad Massoud, dessen National Resistance Front (NRF) einen Guerillakrieg gegen die Taliban führt, seinen Kämpfern fehle es an „Ressourcen und Unterstützung“, wie sie die Ukraine erhalte. Die Taliban seien besiegbar.


    Zitat: Transportkorridor nach Südasien

    Russland hat – anders als die westlichen Staaten – seine Beziehungen zu Afghanistan nach dem überstürzten Rückzug der NATO vom Hindukusch im Sommer 2021 nicht abgebrochen, sondern sie, wenngleich auf kleiner Flamme, aufrechterhalten. 2022 und 2024 lud Moskau eine Delegation der Taliban zum St. Petersburg International Economic Forum ein; zuletzt ist zuweilen davon die Rede gewesen, Russland könne die Taliban von seiner Liste verbotener Terrororganisation streichen, eventuell als Vorbereitung zur diplomatischen Anerkennung.[1] Hintergrund ist zum einen das Bestreben, entschieden gegen den Islamic State Khorasan Province (ISKP) vorzugehen, dem Terrorakte gegen Ziele in Russland zugeschrieben werden; so wurde der ISKP für Anschläge in Moskau (Crocus City Hall) oder jüngst in Dagestan verantwortlich gemacht. Hinzu kommen Überlegungen, sich die geostrategisch wichtige Lage Afghanistans zunutze zu machen und nicht zuletzt Verkehrskorridore in Richtung Pakistan und Indien auszubauen.[2] Als attraktive Option gilt unter anderem der Plan, Indien zukünftig über eine Pipeline mit Erdgas zu beliefern, die über Zentralasien, Afghanistan und Pakistan verläuft. Dies könnte langfristig den russischen Erdgasexport diversifizieren.


    Die USA heraushalten

    Auch China hat seine Beziehungen zu Afghanistan nie abgebrochen und sie inzwischen sogar zu intensivieren begonnen: Es hat im September 2023 einen Botschafter nach Kabul entsandt [3] und im Januar einen Botschafter Afghanistans in Beijing akkreditiert [4]. Auch dafür existieren mehrere Gründe. Zum einen hat Beijing Sorge, uigurische Terroristen könnten sich erneut am Hindukusch sammeln und von dort aus nach Xinjiang hineinoperieren; dies ist in der Vergangenheit immer wieder geschehen. Zum zweiten haben chinesische Firmen gewisse Wirtschaftsinteressen in Afghanistan; so schlossen eine Reihe von Unternehmen aus der Volksrepublik im vergangenen Jahr voluminöse Vereinbarungen über den Abbau von Kupfer, Lithium, Erdöl und weiteren Rohstoffen in dem Land.[5] Eines der prominentesten Projekte ist die Förderung von Kupfer in der Mine Aynak südöstlich von Kabul, einer der größten der Welt. Ursprünglich war die Konzession für den Abbau des Rohstoffs bereits im Jahr 2008 an eine chinesische Firma vergeben worden; konkrete Tätigkeiten wurden jedoch nie entfaltet – nicht zuletzt wegen des Kriegsgeschehens.[6] Jetzt soll dies nachgeholt werden. Neben Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen verfolgt Beijing in Afghanistan außerdem das Ziel, die USA aus Zentralasien herauszuhalten.


    „Diplomaten nach Afghanistan“

    Auch jenseits der Kooperation mit Russland und China bauen die Taliban die internationale Zusammenarbeit weiter aus. Ihr Sprecher Zabihullah Mujahid äußerte, er habe am Rand des Treffens zwischen UN-Vertretern, Diplomaten aus mehr als 20 Staaten – darunter die USA – und den Taliban am Sonntag und am Montag in Qatars Hauptstadt Doha [7] nicht zuletzt Gespräche mit Repräsentanten nicht nur Russlands, sondern auch Indiens sowie Usbekistans geführt.[8] Bereits zuvor hatte er mitgeteilt, Saudi-Arabien beabsichtige seine Botschaft in Kabul neu zu eröffnen.[9] Die Entwicklung scheint das Potenzial zu haben, eine gewisse Dynamik zu entfalten, bei der Berlin den Anschluss nicht vollständig verlieren will. So hat am Wochenende der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, geäußert, man müsse sich „die Frage stellen“, wie man „mit diesem Land künftig umgehen“ wolle. Es sei „nicht davon auszugehen“, dass die Taliban „in absehbarer Zeit ihre Macht wieder abgeben werden“. Andererseits gebe es bei ihnen neben den „ideologisch verbohrten Hardlinern“ auch „Kräfte, die erkannt haben, dass die Probleme des Landes nur im Dialog und in Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft gelöst werden können“. Berlin müsse überlegen, „wieder Diplomaten nach Afghanistan zu entsenden“.[10]


    Der Vienna Process

    Während Bestrebungen sich abzeichnen, in eine Phase der Kooperation mit den Taliban überzugehen, bieten sich altbekannte afghanische Warlords dem Westen für einen erneuten Krieg am Hindukusch an. Anlass war das vierte Treffen des sogenannten Vienna Process, das vergangene Woche in Wien stattfand. Der Vienna Process, der im September 2022 mit einer ersten Konferenz in der österreichischen Hauptstadt initiiert und im April sowie im Dezember 2023 mit zwei weiteren Zusammenkünften fortgesetzt wurde, bringt verschiedene Spektren der afghanischen Exilopposition zusammen, die von Frauenrechtlerinnen bis zu einst mächtigen Warlords reichen und auf den Sturz der Taliban hin arbeiten. Tragende Kräfte sind etwa ein einstiger Botschafter Afghanistans in Österreich und ein ehemaliger stellvertretender Außenminister des Landes. Da dem Vienna Process auch Personen angehören, die in Afghanistan militärische Operationen gegen die Taliban anleiten, wird der Vienna Process, wie eines seiner Team-Mitglieder berichtet, aktuell nicht von Regierungen unterstützt, sondern von privaten Stiftungen finanziert. Eine Aktivistin wurde schon im vergangenen Jahr mit der Äußerung zitiert, man könne die Taliban keinesfalls „ohne militärischen Druck“ entmachten.[11]


    „Wie die Ukraine“

    Im Anschluss an die soeben zu Ende gegangene vierte Vienna Process-Konferenz bat einer der Teilnehmer, Ahmad Massoud, öffentlich um stärkere Unterstützung aus dem Westen. Massoud, Sohn des bekannten Warlords Ahmad Shah Massoud, ist in der Zeit der westlichen Besatzung Afghanistans an der britischen Militärakademie Sandhurst ausgebildet worden. Er führt vom Exil in Tadschikistan aus die bewaffnet gegen die Taliban kämpfende National Resistance Front (NRF), von der er berichtet, sie habe 2022 „mehr als 500 Leute“ verloren – bis sie zu einer klassischen Guerilla-Kriegführung übergegangen sei. Dies sei erfolgreich, behauptet Massoud: „Was uns fehlt“, das seien lediglich „Ressourcen und Unterstützung“; „die Welt“ solle der NRF „mehr geben“. Schließlich könne auch „die Ukraine“ ihren Kampf nicht ohne westliche Unterstützung führen.[12] Massoud weist darauf hin, dass auch weitere Milizen gegen die Taliban kämpfen, darunter eine Truppe um General Yasin Zia, die unter anderem Mordanschläge durchführt.


    Zum dritten Mal

    Auf der Konferenz des Vienna Process waren weitere Warlords präsent, darunter Hazrat Ali sowie ein Vertreter des berüchtigten usbekischen Generals Rashid Dostum. Human Rights Watch warf Hazrat Ali in den 2000er Jahren sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Raub, Plünderung, die Inhaftierung von Kritikern und zahlreiche weitere Verbrechen vor.[13] Von Dostum wiederum ist bekannt, dass er nicht nur seine Herrschaft im Alltag mit brutalen Methoden durchgesetzt hat; er hat im Herbst 2001 bis zu 1.500 Kriegsgegner, wohl Taliban, in Container gesperrt, die Container abgestellt sowie die Eingesperrten verdursten lassen.[14] Die Brutalität der in der Bevölkerung hoch verhassten afghanischen Warlords erleichterte bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre den Taliban den Weg an die Macht. Sie bewirkte später, dass unter der NATO-Besatzungsherrschaft, unter der Warlords regionale Machthaber waren, die Taliban erneut Zulauf bekamen – als Alternative zu den Warlords.[15] Massoud, Hazrat Ali, Dostum und andere bieten sich nun für eine dritte Wiederholung an.

     

    Mehr zum Thema: Streit um Afghanistan.

     

    [1] Mikhail Bushuev: Russia rebuilding ties with the Taliban. dw.com 06.06.2024.

    [2] Soumya Awasthi: Russia’s strategic shift: Embracing the Taliban in Afghanistan. hindustantimes.com 05.06.2024.

    [3] Taliban hail China’s new ambassador with fanfare, say it’s a sign for others to establish relations. apnews.com 13.09.2023.

    [4] Ruchi Kumar: Why has China recognised Taliban’s envoy to Beijing? aljazeera.com 14.02.2024.

    [5] Ahmed S. Cheema: China’s Gamble in Afghanistan. thediplomat.com 19.05.2023.

    [6] Thomas Ruttig: Chinese investments in Afghanistan: Strategic economic move or incentive for the Emirate? Afghanistan Analysts Network, September 2023.

    [7] S. dazu Streit um Afghanistan.

    [8] Taliban sends its first delegation to a UN-led meeting in Qatar on Afghanistan. france24.com 30.06.2024.

    [9] A Taliban delegation attends a UN-led meeting in Qatar on Afghanistan; women excluded. abcnews.go.com 30.06.2024.

    [10] SPD-Sprecher fordert diplomatische Beziehungen mit Taliban. n-tv.de 29.06.2024.

    [11] David Loyn: The scattered forces opposing the Taliban need support now. chathamhouse.org 28.07.2023.

    [12] Christina Lamb: Exiled leader trained at Sandhurst tells West: I can help topple Taliban. thetimes.com 30.06.2024.

    [13] Killing You is a Very Easy Thing For Us. Human Rights Abuses in Southeast Afghanistan. hrw.org 28.07.2003.

    [14] S. dazu Totalschaden.

    [15] S. dazu Option Bürgerkrieg, Die Warlords als Oligarchen und Vom Westen befreit (III).


    Info: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9603


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.

    01.07.2024

    Vogelgrippe-Alarm: "Potenziell noch katastrophaler als Corona"

    freedert.online, 1 Juli 2024 21:10 Uhr

    Wissenschaftler warnen immer lauter vor einer Übertragung des Vogelgrippe-Virus auf den Menschen. Inzwischen bereiten sich unterschiedliche Organisationen und Pharmakonzerne auf eine Impfstoffproduktion vor. Christian Drosten befürchtet den Anlauf einer neuen Pandemie.


    Quelle: www.globallookpress.com © Aditya Singh / imageBROKER.com


    Afrikanischer Büffel mit sogenannten Madenhackern auf dem Rücken, Lake Nakuru National Park, Kenia, 19. Mai 2016


    Wissenschaftler, die die Ausbreitung der Vogelgrippe erforschen, zeigen sich zunehmend besorgt. Durch Lücken in der Überwachung, so die Angst, könnte man einer neuen Pandemie mehrere Schritte hinterherhinken. Das berichtete Reuters nach Interviews mit mutmaßlich führenden Seuchenexperten. Seit 2020 beobachteten Wissenschaftler die Vogelgrippe H5N1 bei Zugvögeln.


    EU schließt Impfstoffvertrag über bis zu 40 Millionen Dosen gegen Vogelgrippe-Virus





    EU schließt Impfstoffvertrag über bis zu 40 Millionen Dosen gegen Vogelgrippe-Virus






    Mit der Ausbreitung des Virus in 129 Milchviehherden in zwölf US-Bundesstaaten werde ein völlig neues Kapitel aufgeschlagen. Es bestehe eine erhöhte Gefahr der Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch. Bei anderen Säugetieren, von Alpakas bis zu Hauskatzen, habe man ebenfalls bereits Infektionen festgestellt.

    Scott Hensley, Professor für Mikrobiologie an der Universität von Pennsylvania, kritisierte einen leichtfertigen Umgang mit den Infektionen: "Im Moment ist die Bedrohung ziemlich gering … aber das kann sich im Handumdrehen ändern." Je früher vor einem Übergreifen auf den Menschen gewarnt werde, desto eher können die Gesundheitsbehörden weltweit Maßnahmen zum Schutz der Menschen ergreifen, indem sie die Entwicklung von Impfstoffen, großangelegte Tests und Eindämmungsmaßnahmen einleiten. Mehrere Experten erklärten, dass die unterschiedlichen Ansätze der Behörden für die Gesundheit von Tieren und Menschen eine schnelle Reaktion behindern könnten.

    Gigi Gronvall, eine Expertin für Biosicherheit am Johns Hopkins Center for Health Security befürwortete eine zentrale Behörde, die für alles zuständig wäre: "Wenn man das System von Grund auf neu entwerfen würde, gäbe es nur eine Behörde." Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sei das Risiko von H5N1 für den Menschen zwar zurzeit gering; falls sich dies ändern sollte, habe man aber gewisse Mengen des H5N1-Impfstoffs und antivirale Medikamente wie Tamiflu auf Vorrat.


    "Hundertmal schlimmer als COVID" – US-Forscher warnen vor neuer Pandemie





    "Hundertmal schlimmer als COVID" – US-Forscher warnen vor neuer Pandemie






    Die Leiterin der UNO-Grippeabteilung, Wenqing Zhang, erklärte zudem, bei Bedarf könnten Tests, Medikamente und Impfstoffe in größerem Maßstab produziert werden. Einigen Experten zufolge gebe es hinreichend Anlass zur Sorge, um sich auf eine mögliche Ausbreitung beim Menschen vorzubereiten.

    Der Geschäftsführer der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Koalition für Innovationen zur Epidemievorbeugung, CEPI) wies darauf hin, dass die Auslöser für entsprechende Maßnahmen ganz unterschiedlich sein könnten. Die CEPI hatte schon früh die Entwicklung des COVID-Impfstoffs finanziert und führt nun entsprechende Gespräche mit Forschungspartnern über H5N1. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, ein ganzes Reservoir von Prototyp-Impfstoffen für Krankheitserreger mit Pandemiepotenzial zu erstellen. Damit könnten Pharmaunternehmen Impfungen bei Bedarf innerhalb von 100 Tagen in den Vertrieb bringen.

    Laut einem Bericht der Berliner Zeitung vom Montag hat sich auch der Berliner Virologe Christian Drosten zur Gefahr einer neuen globalen Pandemie geäußert. Demnach sei das Virus H5N1 ein potenzieller Kandidat für ein solch weltumspannendes Ereignis. Grund seien auch ihm zufolge die Fälle bei Milchvieh in den USA, in deren Folge sich auch Menschen mit H5N1 infiziert hätten. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Drosten:

    "So etwas hat es vorher noch nicht gegeben, solche extrem großen Ausbrüche bei Kühen – alle Fachleute sind besorgt."

    Noch könne man die Lage nicht beurteilen. Die Ausbreitung unter Säugetieren könne "glimpflich ablaufen, das Virus braucht mehrere Schritte zur Anpassung, und vielleicht ist es vorher schon unter Kontrolle". Deshalb warnte Drosten:

    "Aber es kann auch schon der Anlauf zu einer nächsten Pandemie sein, den wir hier live mitverfolgen."

    Entsprechend hätten sich einige europäische Länder schon im vergangenen Monat mit Impfstoff versorgt. Man konzentriere sich auf die Impfstoffe, welche die Übertragung der Vogelgrippe von Tieren auf Menschen verhindern sollen. Über einen derartigen Impfstoff habe die EU-Kommission mit der britischen Firma Seqirus einen Vertrag über 665.000 Impfdosen abgeschlossen. Damit sicherte sie sich den Zugriff auf das Präparat "Zoonotic Influenza Vaccine Seqirus".

    Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO habe mittlerweile mit 15 Impfstoffherstellern Verträge geschlossen, um sich für eine Influenza-Pandemie zu wappnen. Erst kürzlich habe ein Expertenbericht davor gewarnt, für drohende Pandemien sei die Welt nicht ausreichend gerüstet. Laut der früheren neuseeländischen Premierministerin und Studien-Co-Autorin Helen Clark könnte eine Vogelgrippe-Pandemie "potenziell noch katastrophaler sein als Corona". Auch sie warnte:

    "Sollte sich H5N1 von Mensch zu Mensch übertragen, wäre die Welt sehr wahrscheinlich erneut überfordert."

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    Video   Dauer 8:32 min


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    Info: https://freedert.online/gesellschaft/210961-vogelgrippe-alarm-potenziell-noch-katastrophaler


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    01.07.2024

    Der Westen hat zweifellos Russland verloren und ist dabei, auch Eurasien zu verlieren

    freedert.online, 01. Juli 2024, Von Alastair Crooke 01.07.2024 - übernommen von strategic-culture.su

    Ist der Zweck des Besuchs von Präsident Putin in Nordkorea und Vietnam im Zusammenhang mit dem Projekt der eurasischen Sicherheitsarchitektur jetzt nicht klar?

    Lawrow.png© Photo: Public domain











    Vielleicht wurde man in Washington diese Woche kurz aus dem Dornröschenschlaf geweckt, als man den Bericht über die Demarche von Sergej Lawrow an den US-Botschafter in Moskau las: Russland sagte den USA: "Wir sind nicht mehr länger im Frieden!"

    Russland machte die USA nicht nur für den "Streubombenangriff" auf einen Strand der Krim am vergangenen Pfingstsonntag verantwortlich, bei dem mehrere Menschen (darunter auch Kinder) getötet und viele weitere verletzt wurden. Die USA seien dadurch in den Stellvertreterkrieg in der Ukraine "hineingezogen" worden (es handelte sich um eine von den USA gelieferte ATACM, die von amerikanischen Fachleuten programmiert wurde und auf amerikanische Ziel- und Flugdaten zurückgriff), hieß es in der Erklärung Russlands; "Vergeltungsmaßnahmen werden sicherlich folgen".

    Offensichtlich leuchtete irgendwo ein gelbes Licht in rosa und roten Tönen auf. Das Pentagon begriff, dass etwas passiert war: "Es führt kein Weg daran vorbei; das könnte schlimm eskalieren." Der US-Verteidigungsminister griff (nach einer Pause seit März 2023) zum Telefon, um seinen russischen Amtskollegen anzurufen: "Die USA bedauern den Tod von Zivilisten; die Ukrainer hatten vollen Ermessensspielraum beim Zielen."

    Die russische Öffentlichkeit hingegen ist schlichtweg wütend.

    Die diplomatische Floskel, dass "es jetzt einen Zustand des Dazwischenseins gibt, nicht Krieg und nicht Frieden", ist nur die "halbe Wahrheit".

    Der Westen hat Russland viel tiefer "verloren", als es verstanden wird.

    Präsident Putin hat in seiner Erklärung vor dem Vorstand des Außenministeriums im Anschluss an das G7-Säbelrasseln genau dargelegt, wie wir an diesen entscheidenden Punkt (der unvermeidlichen Eskalation) gelangt sind. Putin wies darauf hin, dass der Ernst der Lage ein Angebot an den Westen als "letzte Chance" erfordere, das, so Putin, "keine vorübergehende Waffenruhe für Kiew zur Vorbereitung einer neuen Offensive und auch kein Einfrieren des Konflikts, sondern vielmehr die endgültige Beendigung des Krieges" sein solle.

    Es wurde weithin angenommen, dass der einzige glaubwürdige Weg zur Beendigung des Ukraine-Krieges ein "Friedensabkommen" wäre, das auf dem Verhandlungsweg zwischen Russland und den USA zustande käme.

    Dies beruht jedoch auf einer bekannten US-zentrierten Sichtweise   – "Warten auf Washington ...".

    Lawrow sagte sinngemäß, dass jeder, der glaubt, dass wir "auf Godot warten" und "davonlaufen werden", sich irrt.

    Moskau hat etwas viel Radikaleres im Sinn   – etwas, was den Westen schockieren wird.

    Moskau (und China) warten nicht einfach auf die Launen des Westens, sondern planen, das Paradigma der Sicherheitsarchitektur komplett umzukehren: Sie wollen eine "Alternative"-Architektur für den "riesigen Raum" Eurasien schaffen, nicht weniger.

    Es ist beabsichtigt, die bestehende Block-Nullsummen-Konfrontation zu beenden. Eine neue Konfrontation ist nicht vorgesehen, aber die neue Architektur soll "externe Akteure" dazu zwingen, ihre Hegemonie auf dem Kontinent zu beschneiden.

    In seiner Rede im Außenministerium blickte Putin ausdrücklich auf den Zusammenbruch des euro-atlantischen Sicherheitssystems und die Entstehung einer neuen Architektur voraus: "Die Welt wird nie wieder dieselbe sein", sagte er.

    Was hat er damit gemeint?

    Juri Uschakow, Putins wichtigster außenpolitischer Berater (auf dem Primakow-Lesungsforum), stellte Putins "spärliche" Anspielung klar:

    Uschakow sagte Berichten zufolge, dass Russland zunehmend zu der Auffassung gelangt sei, dass es keine langfristige Umgestaltung des bestehenden Sicherheitssystems in Europa geben werde. Und ohne eine umfassende Neugestaltung werde es keine "endgültige Lösung" (Putins Worte) des Konflikts in der Ukraine geben.

    Uschakow erklärte, dass dieses einheitliche und unteilbare Sicherheitssystem in Eurasien die euroatlantischen und eurozentrischen Modelle ersetzen muss, die nun in Vergessenheit geraten.

    "Ich würde sagen, dass diese Rede [Putins im russischen Außenministerium] die Richtung für die weiteren Aktivitäten unseres Landes auf der internationalen Bühne vorgibt, einschließlich des Aufbaus eines einheitlichen und unteilbaren Sicherheitssystems in Eurasien", sagte Uschakow.

    Die Gefahren exzessiver Propaganda wurden in einer früheren Episode deutlich, in der ein großer Staat in die Falle seiner eigenen Dämonisierung seiner Gegner geriet: Südafrikas Sicherheitsarchitektur für Angola und Südwestafrika (heute Namibia) war 1980 ebenfalls zusammengebrochen (ich war zu dieser Zeit dort). Die südafrikanischen Streitkräfte verfügten im Norden Südafrikas immer noch über einen Restbestand an immensen Zerstörungskapazitäten, aber der Einsatz dieser Kräfte führte nicht zu einer politischen Lösung oder Verbesserung der Lage. Vielmehr führte sie Südafrika in die Vergessenheit (so wie Uschakow heute das euro-atlantische Modell beschreibt). Pretoria wollte einen Wandel; es war (im Prinzip) bereit, ein Abkommen mit der SWAPO zu schließen, aber der Versuch, einen Waffenstillstand zu erreichen, scheiterte Anfang 1981.

    Das größere Problem war, dass die südafrikanische Apartheid-Regierung mit ihrer Propaganda und Dämonisierung der SWAPO als "marxistisch UND terroristisch" so erfolgreich war, dass die Öffentlichkeit vor jedem Abkommen zurückschreckte, und es sollte noch ein weiteres Jahrzehnt dauern (und eine geostrategische Revolution erfordern), bis endlich eine Einigung möglich wurde.

    Heute sind die Sicherheits-"Elite" der USA und der EU mit ihrer ebenso übertriebenen antirussischen Propaganda so "erfolgreich", dass auch sie darin gefangen sind. Selbst wenn sie es wollten (was nicht der Fall ist), könnte sich eine neue Sicherheitsarchitektur auf Jahre hinaus einfach als "unverhandelbar" erweisen.

    Wie Lawrow betont hat, sind die eurasischen Länder zu der Einsicht gelangt, dass die Sicherheit auf dem Kontinent von innen heraus aufgebaut werden muss   – frei und weit weg vom amerikanischen Einfluss. In diesem Konzept kann und sollte das Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit   – eine Eigenschaft, die im euro-atlantischen Projekt nicht verwirklicht ist   – zum Schlüsselbegriff werden, um den herum die eurasische Struktur aufgebaut werden kann, präzisierte Lawrow.

    In dieser "Unteilbarkeit" liege die reale und nicht die nur nominelle Umsetzung der Bestimmungen der UN-Charta, einschließlich des Grundsatzes der souveränen Gleichheit.

    Die eurasischen Länder bündeln ihre Anstrengungen, um gemeinsam den globalen Hegemonieansprüchen der USA und der Einmischung des Westens in die Angelegenheiten anderer Staaten entgegenzutreten, sagte Lawrow am Mittwoch auf dem Primakow-Lesungsforum.

    Die USA und andere westliche Länder "versuchen, sich in die Angelegenheiten" Eurasiens "einzumischen"; sie verlegen die Infrastruktur der NATO nach Asien, halten gemeinsame Übungen ab und schließen neue Pakte. Lawrow prophezeite:

    "Dies ist ein geopolitischer Kampf. Das war schon immer so und wird vielleicht noch lange andauern   – und vielleicht werden wir kein Ende dieses Prozesses erleben. Aber es ist eine Tatsache, dass dem Kurs, alles, was überall geschieht, vom Ozean aus zu kontrollieren, nun der Kurs entgegengesetzt wird, die Bemühungen der eurasischen Länder zu vereinen."

    Der Beginn der Konsultationen über eine neue Sicherheitsstruktur deutet noch nicht auf die Schaffung eines militärisch-politischen Bündnisses nach dem Vorbild der NATO hin; "Zunächst könnte es durchaus in Form eines Forums oder eines Konsultationsmechanismus interessierter Länder bestehen, der nicht mit übermäßigen organisatorischen und institutionellen Verpflichtungen belastet ist", schreibt Ivan Timofeev.

    Allerdings, die "Parameter" zu diesem System, erklärte Maria Zakharova,

    "... werden nicht nur einen dauerhaften Frieden gewährleisten, sondern auch größere geopolitische Umwälzungen aufgrund der Krise der Globalisierung, die nach westlichen Mustern aufgebaut ist, vermeiden. Sie wird verlässliche militärisch-politische Garantien für den Schutz sowohl der Russischen Föderation als auch anderer Länder der Makroregion vor äußeren Bedrohungen schaffen, einen konfliktfreien und entwicklungsfreundlichen Raum schaffen   – indem sie den destabilisierenden Einfluss außerregionaler Akteure auf eurasische Prozesse beseitigt. In Zukunft wird dies bedeuten, die militärische Präsenz externer Mächte in Eurasien zu verringern."

    Der Ehrenvorsitzende des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, Sergej Karaganow, fügt jedoch (in einem aktuellen Interview) seine nüchterne Analyse hinzu:

    "Leider steuern wir auf einen echten Weltkrieg zu, einen ausgewachsenen Krieg.Das Fundament des alten Weltsystems bekommt Risse, und es werden Konflikte ausbrechen.Es ist notwendig, den Weg zu einem solchen Krieg zu blockieren ... Konflikte brauen sich bereits zusammen und finden in allen Bereichen statt.

    Die UNO ist eine aussterbende Rasse, die dem westlichen Apparat verhaftet und daher unreformierbar ist.Nun, sie soll bleiben.Aber wir müssen parallele Strukturen aufbauen ... Ich denke, wir sollten parallele Systeme aufbauen, indem wir die BRICS und die SCO ausbauen, ihre Interaktion mit der ASEAN, der Liga der Arabischen Staaten, der Organisation für Afrikanische Einheit, dem lateinamerikanischen Mercosur usw. entwickeln.

    Generell sind wir daran interessiert, ein multilaterales System der nuklearen Abschreckung in der Welt aufzubauen. Daher bin ich persönlich nicht besorgt über das Entstehen neuer und das Erstarken alter Atommächte, weil es nicht funktioniert, sich auf die Vernunft der Menschen zu verlassen. Es muss Angst herrschen. Man muss sich stärker auf eine "nukleare Abschreckung   – Angst, Inspiration   – Ernüchterung" verlassen."

    Der Aspekt der Nuklearpolitik ist heute in Russland ein komplexes und umstrittenes Thema. Einige sind der Meinung, dass eine zu restriktive russische Nukleardoktrin gefährlich sein kann, wenn sie bei den Gegnern eine zu große Gleichgültigkeit hervorruft, d.h. wenn die Gegner unbeeindruckt oder gleichgültig gegenüber dem Abschreckungseffekt werden, so dass sie dessen Realität ignorieren.

    Andere bevorzugen eine Haltung des allerletzten Mittels. Alle stimmen jedoch darin überein, dass eine eurasische Sicherheitsarchitektur neben dem nuklearen Einsatz noch viele andere Eskalationsstufen zur Verfügung hat.

    Die Fähigkeit zu einer kontinentweiten nuklearen "Sicherheitsschleuse" gegenüber einer nuklear ausgerüsteten NATO ist jedoch offensichtlich: Russland, China, Indien, Pakistan   – und jetzt auch Nordkorea   – sind allesamt Atomwaffenstaaten, so dass ein gewisses Abschreckungspotenzial bereits eingebaut ist.

    Andere "Eskalationsstufen" werden zweifellos im Mittelpunkt der Diskussionen auf dem BRICS-Gipfel in Chasan im Oktober stehen. Denn eine Sicherheitsarchitektur ist konzeptionell nicht nur "militärisch". Auf der Tagesordnung stehen auch Handels-, Finanz- und Sanktionsfragen.

    Die einfache Logik der Umkehrung des militärischen NATO-Paradigmas, um ein "altes" eurasisches Sicherheitssystem zu schaffen, würde allein aus der Kraft der Logik heraus darauf hindeuten, dass, wenn das Sicherheitsparadigma umgedreht werden soll, auch die westliche Finanz- und Handelshegemonie umgedreht werden muss.

    Die Entdollarisierung steht natürlich bereits auf der Tagesordnung, und konkrete Mechanismen sollen im Oktober vorgestellt werden. Aber wenn der Westen sich jetzt frei fühlt, Eurasien nach Belieben zu sanktionieren, besteht auch die Möglichkeit, dass Eurasien im Gegenzug die USA oder Europa   – oder beide   – sanktioniert.

    Ja. Wir haben Russland "verloren" (nicht für immer). Und wir könnten noch viel mehr verlieren. Ist der Zweck des Besuchs von Präsident Putin in Nordkorea und Vietnam im Zusammenhang mit dem Projekt der eurasischen Sicherheitsarchitektur nicht klar? Sie sind ein Teil davon.


    Und um das berühmte Gedicht von CP Cavafy zu paraphrasieren:

    Warum diese plötzliche Fassungslosigkeit, diese Verwirrung? (Wie ernst die Gesichter der Menschen geworden sind.)

    Weil die Nacht hereingebrochen ist, und die [Russen] nicht gekommen sind.

    Und einige von unseren Männern, die gerade von der Grenze kommen, sagen

    es sind keine [Russen] mehr da...

    "Was wird nun aus uns ohne [die Russen]?"

    "Sie waren eine Art Lösung."

    Quelle: https://strategic-culture.su/news/2024/07/01/the-west-indubitably-has-lost-russia-and-is-losing-eurasia-too/
    Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus
    Hervorhebungen seniora.org


    Info: https://seniora.org/index.php?option=com_acymailing&ctrl=url&subid=3998&urlid=5981&mailid=2245


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    01.07.2024

    Keinen Meter zurück: Baerbock erklärt Ukraine-Unterstützung zum "größten nationalen Interesse"

      freedert.online, 1 Juli 2024 21:47 Uhr, Von Wladislaw Sankin

      Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock machte im Rahmen einer Sicherheitskonferenz einige bemerkenswerte Aussagen. Bemerkenswert sind sie nicht nur angesichts der Diskussion um die Schuldenbremse. Offenbar geht auch die diplomatisch geführte Debatte um die Beendigung des Ukraine-Krieges völlig an der Außenministerin vorbei.


      Keinen Meter zurück: Baerbock erklärt Ukraine-Unterstützung zum "größten nationalen Interesse"

      Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin am 1. Juli 2024



      Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) machte am Montag bei einer Veranstaltung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin eine Reihe bemerkenswerter Aussagen. Die Konferenz fand zum Jahrestag der Verabschiedung der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung statt. Baerbock rief zur Verteidigung der europäischen Friedensordnung und zu einer noch stärkeren Unterstützung der Ukraine und des deutschen militärischen Engagements in den baltischen Staaten auf: 

      "Wir werden unser Europa – und zwar jeden Quadratzentimeter unseres Europas – und unserer Freiheit verteidigen."

      Die Veranstaltung fand vor dem Hintergrund der laufenden schwierigen Verhandlungen der Ampel-Regierung über den Haushalt 2025 unter dem Druck erheblicher Einsparungen statt. Unter Verweis auf Finanzminister Christian Lindner, der auf die Einhaltung der sogenannten Schuldenbremse pocht, polemisierte Baerbock, dass die Ukraine-Unterstützung keine Charity-Geste sei. Über solche Diskussionen sei sie irritiert. Vielmehr sei diese ein Investment in die eigene nationale Sicherheit und in die Verteidigung von Frieden und Freiheit. Baerbock betonte:

      "Ein größeres nationales Interesse kann es doch eigentlich gar nicht geben."

      Zwischen Wahn und Hybris – die "Nationale Sicherheitsstrategie"




      Meinung

      Zwischen Wahn und Hybris – die "Nationale Sicherheitsstrategie"






      Mit Blick auf den "brutalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine" forderte sie, "unsere Abschreckung" müsse "klar und deutlich" sein. Den in der vor einem Jahr beschlossenen Nationalen Sicherheitsstrategie fest verankerten Grundsatz, dass das heutige Russland auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit im euroatlantischen Raum sei, bekräftigte Baerbock aufs Neue. 

      Dafür griff sie gleich zu Anfang der Rede (vollständiger Wortlaut hier) zu einer ihrer Lieblingslügen zurück, wonach Russland das größte Atomkraftwerk Europas Saporoschje mit Drohnen angreife. Putins Russland sei "auf dem Weg in den Totalitarismus" und sein Imperialismus höre bei der Ukraine nicht auf, betonte sie. Um ihr Bedrohungsszenario zu bekräftigen, warf Baerbock Russland auch seine geografische Lage vor – Putin stehe im Baltikum direkt vor unserer Haustür!

      Der Auftritt der Außenministerin hörte sich angesichts der Debatte um die Bedingungen für Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg besonders bizarr an. Der russische Präsident formulierte vor wenigen Wochen die Bedingungen, unter denen eine dauerhafte Lösung des Ukraine-Konflikts möglich sei. Deutschland, das Baltikum, der Ostseeraum oder Finnland wurden mit keinem Wort erwähnt – mit seiner Rede skizzierte Putin eine Sicherheitsarchitektur für ganz Eurasien.


      Sicherheitsarchitektur für Eurasien: Putins Friedensvorschlag  – und Scholz' Ablehnung





      Analyse

      Sicherheitsarchitektur für Eurasien: Putins Friedensvorschlag – und Scholz' Ablehnung





      Auch Selenskijs Büro hält nun überraschend – offenbar auf Druck aus Washington – Friedensgespräche (zunächst über Vermittler) für möglich. Selenskij deutete in einem Interview an, dass die Ukraine dafür territoriale Verluste hinnehmen könnte. 

      Doch diese Initiativen gehen an der obersten Diplomatin der Republik gänzlich vorbei. In ihrer militaristischen Raserei nimmt die grüne Rüstungslobbyistin offenbar kaum wahr, was in der Welt derzeit geschieht. Unbeeindruckt von den Friedensvorschlägen der Konfliktparteien zählte sie stattdessen mit Begeisterung auf, was die NATO etwa durch den Beitritt Finnlands an militärischer Stärke hinzugewonnen habe: 

      "Allein mit dem Beitritt Finnlands wird die NATO 60 hochmoderne F-35-Kampfjets dazubekommen, 19.000 Soldatinnen und Soldaten, 238.000 Reservisten."

      Die gar nicht mehr so kalte Kriegerin triumphiert: "Putin wollte die NATO schwächen und hat sie stattdessen gestärkt." Und immer wieder ist von "uns", von "Europäerinnen und Europäern", oder einem wehrhaften Deutschland, dem "stärksten Land in Europa", die Rede. Mitunter hört sich ihr stets wiederkehrendes Eigenlob geradezu wie ein nationalistischer Schlachtruf an:

      "Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren seit dem brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine deutlich gemacht, als Europäerinnen und Europäer: Man sollte uns nicht unterschätzen."

      Erinnern wir uns: Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine. Insgesamt hat die Bundesrepublik bisher vor allem Gelder für die militärische Unterstützung Kiews bereitgestellt. Insgesamt hat Deutschland mehr als 33,9 Mrd. Euro für bilaterale Unterstützungsleistungen für die Ukraine zur Verfügung gestellt. Doch das ist für Baerbock, wie sie am Montag in Berlin deutlich machte, noch immer zu wenig. Das alles, die umfassenden Initiativen des Bundesverteidigungsministers zur "Erhöhung der Kriegstüchtigkeit" Deutschlands eingeschlossen, sei nur ein "erster Schritt".


      Deutschland will es mit Russland noch einmal wissen! – Bilanz nach einem Selenskij-Besuch




      Meinung

      Deutschland will es mit Russland noch einmal wissen! – Bilanz nach einem Selenskij-Besuch





      Und die Russen? Sind sie 83 Jahren nach dem Beginn einer beispiellosen deutschen Aggression von diesem militärischen Eifer des "stärksten Landes in Europa" beeindruckt oder etwa aufgeschreckt, wie die Außenministerin es sich vorstellt?  

      Danach sieht es nicht aus. Die Lieferung von Waffen an die Ukraine werde die Entschlossenheit Russlands nicht verringern und den Verlauf der speziellen Militäroperation nicht ändern, betonen die russischen Behörden immer wieder. Für Russland steht bei diesem Konflikt viel mehr auf dem Spiel und es besteht kein Zweifel, dass es alles daran setzen wird, ihn zu gewinnen und die Gefahr, die vom Boden der Ukraine für den russischen Vielvölkerstaat ausgeht, zu bannen.

      Doch wenn Deutschland meint, Ansprüche auf die Ukraine und das Baltikum geltend machen zu müssen, wird der von der Bundesregierung und den deutschen Generälen ("Wir müssen uns im Schwerpunkt auf einen Landkrieg vorbereiten") so energisch herbeigeredete Krieg gegen Russland in nur wenigen Jahren Realität werden. Denn wenn der Kampf gegen Russland derart kompromisslos zum obersten Staatsziel erklärt wird, wird ein tatsächlicher Zusammenstoß mit dem "Feind" immer wahrscheinlicher.


      Mehr zum ThemaIn "bester" Tradition: Die Rückkehr der deutschen Kommissköpfe


      RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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      Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
      Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
      Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.

    Info: https://freedert.online/meinung/210945-keinen-meter-zurueck-baerbock-erklaert


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    01.07.2024

    Dystopie nach Art des WEF: Pläne zur Kontrolle über Zugang zu Wasser und Sauerstoff

    freedert.online, 1 Juli 2024 18:41 Uhr

    Beim Sommer-Davos planten die Finanzeliten neue Geschäftsmodelle mit Atemluft und Wasser. Mit dem Verbrauch könnte man ähnliche Geschäfte machen, wie mit dem CO₂-Zertifikatehandel. Noch denke die Öffentlichkeit, sie habe einen Anspruch auf natürliche, überlebenswichtige Ressourcen.


    Quelle: www.globallookpress.com © Hindustan Times / IMAGO


    Wasserversorgung in Neu Dehli, Indien am 25. Juni 2024


    Vom 25. bis 27. Juni tagte das Weltwirtschaftsforum in der chinesischen Küstenstadt Dalian. Bei dem  sogenannte "Sommer-Davos" schmiedeten die WEF-Mitglieder Pläne, wie sie überlebenswichtige Naturgüter wie Nahrungsmittel, Wasser und die Atemluft noch besser unter ihre Kontrolle bekommen können.


    Wider die Natur und wider die Gesundheit  – WEF fordert mehr industrielle Nahrungsmittelproduktion




    Analyse

    Wider die Natur und wider die Gesundheit – WEF fordert mehr industrielle Nahrungsmittelproduktion





    Weil natürliche Ressourcen endlich seien, gehörten sie unter die private Kontrolle von Konzernen, so die Logik der Globalisten. Darüber berichtete das Nachrichtenportal Slaynews am Freitag. Demnach habe die Sprecherin des Weltwirtschaftsforums, Lindsy Hooper, der Öffentlichkeit bei einer Podiumsdiskussion in Dalian vorgeworfen, sie erwarte, dass Wasser und Sauerstoff "unbegrenzt" und "kostenlos" seien."

    Ihr zufolge handele es sich bei den Gütern Nahrungsmittel, Wasser und Sauerstoff um "Formen von natürlichem Kapital". Dieses Kapital müssten die globalen Eliten "in die Bilanz" aufnehmen. Dafür warb Hooper, die den Posten der Geschäftsführerin des University of Cambridge Institute for Sustainability Leadership innehat, während der Podiumsveranstaltung "Understanding Nature's Ledger" (Das Rechnungswesen der Natur verstehen). Schon alleine um die Natur zu "schützen" müsse man ihre Ressourcen bewerten und in die Privatwirtschaft integrieren. Hooper erklärte:

    Wir müssen "die Natur in die Art und Weise einbeziehen, wie Entscheidungen in der Wirtschaft getroffen werden, um ihr einen Wert zuzuweisen – sie in die Buchhaltungs- und Finanzmechanismen aufnehmen."

    Schon beim Eröffnungsvortrag in China hatte WEF-Gründer Klaus Schwab dazu aufgerufen, dass man aufgrund von "Grenzen des Wirtschaftswachstums" die globalistische Agenda durchsetzen müsse. Dabei müsse die Menschheit zu einer "Zusammenarbeit" mit dem WEF gezwungen werden. Weiteres "wirtschaftliches Wachstum" und eine "friedlichere" Zukunft könnten nurmehr mit einer Reduzierung der Bevölkerungszahl und der Förderung von künstlicher Intelligenz (KI) realisiert werden. Mit der grünen Agenda treibe man den politischen Wandel voran, argumentierte Schwab.

    Während des WEF-Podiums zum "Rechnungswesen" beklagte Hooper: "Die Natur wird in der Wirtschaft so behandelt, als sei sie unbegrenzt und vor allem als sei sie kostenlos." Das müsse sich in Zukunft ändern. Die Globalisten müssten die Kontrolle über alle lebensnotwendigen Naturressourcen erringen. Hooper präzisierte:

    Die Kontrolle über "die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, den Boden, die Ozeane, die wir für die Lebensmittel brauchen, die wir konsumieren, die Mineralien, die wir als Inputs für die Technologie und die Infrastruktur benötigen."

    Dem schloss sich die WEF-Geschäftsführerin für Natur und Klima, Gim Huay Neo, an. Die "Integration des Naturkapitals in unseren Rechnungslegungsrahmen" sollte bald erfolgen. Wer natürliche Ressourcen verbrauche wie Sauerstoff oder Wasser, müsse dafür bald ebenso besteuert werden, wie man beim Verbrauch von CO₂  Emissionssteuer bezahlen müsse. Mittlerweile decke der Handel mit CO₂-Emissionszertifikaten 25 Prozent der weltweiten Emissionen ab.

    "Wir sollten uns überlegen, ob wir dies nicht auf 100 Prozent der Kohlenstoffemissionen ausdehnen sollten.

    Und abgesehen von Kohlenstoff sollten wir auch über andere Aspekte der Natur nachdenken, die leichter zu quantifizieren sind.

    Wir werden wahrscheinlich nicht alles vom ersten Tag an quantifizieren können, aber was ist mit Wasser?"

    Der G20-Ko-Vorsitzende Michael Sheren erläutere die Vorteile für die Wirtschaft und die Finanzdienstleister. Durch den Zertifikatehandel habe  sich Kohlenstoff "sehr schnell in ein System bewegt, das einer Währung nahe kommt". Sheren sagte: "Wir haben bereits herausgefunden, dass sich Kohlenstoff sehr schnell auf ein System zubewegt, das einer Währung sehr nahe kommt, da wir in der Lage sind, eine Tonne absorbierten oder gebundenen Kohlenstoffs zu nehmen und eine Terminkurskurve mit Finanzdienstleistungsarchitektur und Dokumentation zu erstellen." Obendrein käme Kohlenstoff fast einer Währung gleich, deswegen "wird es Derivate geben", kündigte der G20-Ko-Vorsitzende an. Und dementsprechend müsse die finanzielle Bewertung von allem, was in der Natur vorkomme, auf die Tagesordnung gesetzt werden.

    "Wenn wir darüber nachdenken, Preise für Wasser, Bäume und biologische Vielfalt festzulegen, werden wir herausfinden, wo diese Preise liegen", so Sheren.

    Bereits während der diesjährigen WEF-Jahrestagung im Januar in Davos, habe man eine Diskussionsrunde zur Bepreisung der Natur durchgeführt: mit dem Titel "Putting a Price on Nature". Dabei habe ein Anführer der Amazonas-Gemeinschaft, Uyunkar Domingo Peas Nampichkai, den Plänen widersprochen. Es sei unmöglich, einen Preis für ein heiliges, lebendiges Ökosystem festzulegen. Peas Nampichkai erläuterte seine Haltung:

    "Wenn wir über Mutter Erde und unser Ökosystem sprechen, wenn größere Unternehmen über seinen Wert sprechen, ist dieses Ökosystem für uns ein heiliges Ökosystem; es hat keinen Preis, es ist von unschätzbarem Wert."

    Doch der WEF wolle mit Kontrolle und "Krisen" von Naturgütern, wie zum Beispiel einer Wasserkrise, die Ziele erreichen, bei denen man mit COVID und Klimawandel bislang versagt habe, zitierte Slay News die WEF-Sprecherin Professor Mariana Mazzucato. Bei einer Wasserkrise sei der Vorteil, dass die Menschen Wasser brauchten. Während einer Podiumsdiskussion bei der Globalisten-Versammlung stellte Mazzucato fest: "Sie brauchen Wasser."


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    01.07.2024

    In "bester" Tradition: Die Rückkehr der deutschen Kommissköpfe

    freedert.online, 1 Juli 2024 17:56 Uhr, Von Dagmar Henn

    Seine Behauptungen, wie bedrohlich Russland sei, machen gerade die Runde durch die deutsche Presse. Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart ist allerdings jemand, den man genauer ansehen sollte, ehe man seine Aussagen für wahr nimmt.


    Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMO


    Jürgen-Joachim von Sandrart, 19.04.2024


    Manchmal lohnt es sich, ein wenig in der Familiengeschichte der Gestalten zu bohren, die einen auf der Bühne des von der NATO angestrebten Kriegs begegnen. Jürgen-Joachim von Sandrart ist so ein Fall, der Bundeswehrgeneral, der gerade getönt hat, die NATO müsse sich auf einen Landkrieg vorbereiten.

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    Auch wenn diese Familiengeschichte wenig Abwechslung bietet – eine Jahrhunderte alte Zuchtlinie von Kommissköpfen, deren einziger sichtbarer Ausreißer, ein Kupferstecher, schon bald vierhundert Jahre zurückliegt. Auffällig ist dabei, dass die Ehefrauen immer Töchter anderer Militärs sind. Vielleicht versteckt sich irgendwo ein Ausreißer, der als Klempner oder Buchdrucker einem ehrlichen Beruf nachging, aber auf die Schnelle ist außer besagtem Kupferstecher nichts zu finden. Eine Sorte Mensch, die sich seit Ludwig Renns eindringlicher Beschreibung aus dem Jahr 1944, "Adel im Untergang", nicht geändert zu haben scheint.

    Der Großvater des Generals, der heute die vorbereitete Nordostflanke der NATO in Szczecin kommandiert, das im Bericht der Welt konsequent Stettin genannt wird, ist nach dem Ersten Weltkrieg nach Argentinien ausgewandert und – Überraschung – 1937 nach Deutschland zurückgekehrt. Was schon einmal Sympathien für die Nazis nahelegt. Dann wurde er 1944, als Oberst, zum Verbindungsoffizier der Luftwaffe in Tokio ernannt, was auf einen sehr linientreuen Nazi hindeutet. 1945 war er mit dem U-Boot 234 auf dem Weg nach Tokio, als dieses von der US-Marine aufgebracht und nach Portsmouth gebracht wurde. Dieses U-Boot hatte einen ganz besonderen Auftrag, an dem zuvor bereits zwei japanische U-Boote gescheitert waren – es sollte Uran nach Japan liefern, für das japanische Kernwaffenprogramm. Wer immer auf dieser Fahrt dabei war, dürfte mehr als linientreu gewesen sein. So viel zu Karl Georg Fritz von Sandrart.

    Der Sohn, Hans-Henning von Sandrart, wurde dann 1956 einer der ersten Offiziersschüler der Bundeswehr. Jürgen-Joachim erwähnt ihn als "seinen alten Herrn, der auch Soldat war und am Ende des Kalten Krieges in den Ruhestand gegangen ist". Bis dahin hatte dieser es bis zum Heeresinspekteur und danach noch einer Position im NATO-Kommando gebracht. Und hat schon die ersten Vorarbeiten für das europäische Elend der Gegenwart geleistet – nach seiner Pensionierung soll er sieben Jahre lang im Auftrag des Verteidigungsministeriums eine Arbeitsgruppe ukrainischer Generäle geleitet haben. Die mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits das Ziel verfolgte, die gerade erst entstandene Ukraine in die NATO zu locken. Auch wenn das, was momentan geschieht, das Spiel der US-Amerikaner ist ‒ angefangen und auf die Förderung des ukrainischen Nationalismus hin orientiert wurde es von den Deutschen. Natürlich hat auch Hans-Henning, treu der Familientradition, die Tochter eines Generals geehelicht.


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    Das wirkt wie ein Überrest des 19. Jahrhunderts mitten in der Gegenwart. Nun gab es auch unter derartigen Familien Abtrünnige, die sich beispielsweise irgendwann gegen die Nazis wandten. Die Sandrarts blieben immer gehorsam. Mehr noch – bei einem der größten Skandale der Bundeswehr, als 1983 der General Günter Kießling wegen des Gerüchts, er sei schwul, in den Ruhestand versetzt wurde, war Hans-Henning von Sandrart einer jener, die besonders eifrig gegen Kießling agierten. Dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass Kießling nur der Sohn eines Werkmeisters war, also ein Fremdkörper zwischen all den Abkömmlingen alter Militärfamilien, die übergangslos von der Wehrmacht in die Bundeswehr gezogen waren.

    Aber nun zu Jürgen-Joachim von Sandrart. Es steht zu fürchten, der Mann ist ein Gläubiger. Oder schlicht jemand, aus dem die Fähigkeit zu jeglicher Kritik herausgezüchtet worden ist. Es gibt in seinem Interview mit der Welt einen klitzekleinen Punkt, an dem er abweicht – es scheint für ihn festzustehen, dass der Krieg in der Ukraine verloren ist. Diese Aussage ist recht gut verborgen und verklausuliert, als die "Zeit, wenn sich Russland von dem unrechtmäßigen Krieg gegen die Ukraine rekonstituiert hat".

    Rekonstituiert, das soll heißen, erholt, von jenem Krieg, der mit dem Ziel angezettelt wurde, Russland zu schwächen. Dass das nicht so ganz funktioniert, gesteht er ebenfalls ein:

    "Russland hat gezeigt, dass es bereits parallel zum Krieg gegen die Ukraine in eine Rekonstituierungsphase getreten ist. Und es sind längst nicht alle Kräfte Russlands in der Ukraine gebunden."

    Nun, klar spricht er für seinen Herrn. Und gibt so treulich die Geschichte von der Bedrohung für Polen und das Baltikum wieder, dass man den Eindruck gewinnt, er glaubt das. "Wir hier an der Ostflanke müssen schon heute verteidigungsbereit sein mit dem, was wir haben."


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    Was er dann zu seinem Gebiet sagt, folgt auch ganz simplen Interessen.

    "In Zentral- und Osteuropa müssen wir uns im Schwerpunkt auf einen Landkrieg vorbereiten. […] Im hohen Norden ist das völlig anders, da geht es primär um Maritimes und Luft. Deutschland als zentraleuropäische Landmacht aber muss seinen Schwerpunkt klar auf Landstreitkräfte legen."

    Die Sätze, die am liebsten zitiert werden, übrigens. Das ist eigentlich seine Kritik an den Ausgaben, die Verteidigungsminister Boris Pistorius tätigt. Wenn man es ausbuchstabiert, lautet das, mehr Geld für Panzer. Das ist im Kern gar keine politische Aussage oder eine militärische Prognose; sobald man weiß, dass dieser Herr wie sein Vater zu den Panzertruppen gehört, schrumpft das zu ganz gewöhnlicher Budgetkonkurrenz zwischen den Truppengattungen.

    Dazwischen ist dann plumpeste Propaganda:

    "1.000 russische Soldaten werden in kürzester Zeit ausgerüstet und nach zwei Wochen an die Front geschickt. Moskau akzeptiert, dass zwei Drittel davon fallen und ein Drittel gefechtsgehärtet überlebt."

    Er müsste wissen, dass er hier Unfug redet. Ebenso, wie in den darauffolgenden Sätzen: "Das ist nicht unser Modell, so etwas erlauben wir uns glücklicherweise nicht, Menschenleben haben einen unantastbaren Wert."

    Nichts an der ukrainischen Kriegsführung deutet auch nur im Ansatz darauf hin, und zwar, sowohl das Leben von Zivilisten als auch das der eigenen Truppen betreffend. Und all die Planungen, wie die "Offensive" des vergangenen Sommers, werden von NATO-Generälen, nach NATO-Maßgaben erstellt.


    Bericht: Streitkräften der NATO-Länder in Europa fehlen Soldaten





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    Eine Tatsache, der er aus dem Weg geht. Wie auch im folgenden Satz: "Also müssen wir die Zeit ohne offenen Konflikt jetzt nutzen, um kriegstauglich zu werden – was am Ende den Krieg verhindern kann." Vermutlich hat er zuletzt keine Zeitung gelesen, und daher weder Macrons Sätze über Bodentruppen mitbekommen, noch diesen Angriff auf die Krim mit ATACMS, und das Eingeständnis, dass zur Bedienung dieser Waffen bereits NATO-Personal anwesend und damit beteiligt ist.

    So jemand, das ist die fleischgewordene NATO. Dass er seinen Auftrag erfüllt, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen; aber an keiner, wirklich keiner einzigen Stelle eines doch recht langen Interviews kommt auch nur ein Verweis darauf, dass es so etwas wie Diplomatie überhaupt gibt. Eine Haltung, die es früher durchaus gab, auch unter bundesdeutschen Militärs – die eigene Aufgabe erfüllen, aber dennoch immer klar sagen, dass sie hoffentlich vergebens ist, weil die Politik eine andere Lösung findet. Man hat den Eindruck, bei ihm ist nicht der Krieg, im Sinne von Clausewitz, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern etwas, das die Stelle der Politik einnimmt.

    Es scheint ihm auch nicht im Mindesten bewusst, dass er eigentlich gegen das Interesse seines Landes handelt. Auch das würde sich finden lassen; nicht auf den ersten Blick erkennbar, vielleicht, wenn einem seine Karriere lieb ist, aber er schafft es ja auch, das absehbare Ergebnis in der Ukraine unauffällig zu verpacken. Wäre ihm auch nur ansatzweise klar, wie weit das deutsche und das US-Interesse auseinander liegen, fände sich irgendwo in diesem Interview oder in dem Artikel, den er im April für die Rotarier schrieb, ein Hauch von Widerspruch. Im Gegenteil, er wünscht sich eine militarisierte Gesellschaft: "Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen, einen gesamtpolitischen Ansatz". In seinem Artikel ging er noch einen Schritt weiter: "Wir alle sind Teil der NATO."

    Für ihn ist das, ganz im Gegensatz zur gewöhnlichen Bevölkerung, ein glücklicher Zustand. Frieden ist ihm tatsächlich zuwider, wenn man hört, wie er die vergangenen Jahrzehnte seit dem Ende des Kalten Krieges zusammenfasst:


    Deutschlands Drang nach Osten: "In Litauen die Amerikaner sein"





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    "Die sogenannte Friedensdividende entpuppt sich heute als Fata Morgana, die fast schlimmere Auswirkungen auf den Zustand der Streitkräfte und unsere Sicherheit hatte als ein bewaffneter Konflikt."

    Da spricht ein überzeugter Friedensfeind. Dem nur an einer einzigen Stelle Sorgen oder Bedenken anzumerken sind, als er im Rückblick, mit einem Zitat seines Vaters, zu erkennen gibt, sich doch irgendwann Gedanken über den Sinn seiner Berufswahl gemacht zu haben. "Joachim, sei ganz beruhigt, Streitkräfte waren noch nie fertig." Was sollten die Sprösslinge dieser Familie auch sonst tun.


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    01.07.2024

    "Das ist teilweise Verrat" – Journalist Prinz Eduard von Anhalt im Gespräch

    freedert.online, 1 Juli 2024 12:04 Uhr

    Russland-Sanktionen, Informationskrieg und der schleichende Verlust der Meinungsfreiheit: All die Errungenschaften, die der Westen sich auf die Fahne geschrieben hat, stehen unter Beschuss. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand es so schlecht um die demokratische Verfasstheit der westlichen Staaten, insbesondere Deutschlands.


    So zumindest sieht es der Journalist und Fernsehmoderator Prinz Eduard von Anhalt, der diese Ansichten detailliert im Kamingespräch mit Alexander von Bismarck ausführt.

    Dabei beschreibt er unseren verheerenden Umgang mit Russland, der sich mit einer für ihn unverständlichen Geschichtsvergessenheit kombiniert. Außerdem geht er auf die historischen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland ein, wobei er auch seine persönlichen und familiären Beziehungen zu dem Land erläutert und beschreibt, wie es zu den aktuellen Spannungen und Spaltungen kommen konnte.

    Zuletzt beleuchtet er auch seine Sicht auf die aktuelle Regierungspolitik. Dabei kritisiert er vor allem den wirtschaftspolitischen Kurs der Ampel-Regierung und die ideenlose und von den USA gelenkte Außenpolitik.


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