Palästina-Kongress und Versammlungsrecht
aus e-mail von Doris Pumphrey, 14. April 2024, 21:04 Uhr
/Siehe auch Videobericht:
/*Palästina-Kongress abgebrochen: Berliner Polizei ließ die Teilnehmer
nicht zu Wort kommen
https://www.jungewelt.de/artikel/473435.pal%C3%A4stina-kongress-tribunal-gegen-deutschland.html
15.4.2024
*Tribunal gegen Deutschland
*Palästina-Kongress verabschiedet trotz Verbots Resolution wegen
deutscher »Beihilfe zum Völkermord in Gaza«
/Von Jamal Iqrith
/Trotz des autoritären Umgangs mit dem Palästina-Kongress in Berlin und
letztlichen Verbots der Veranstaltung fand diese am Sonntag in Teilen
statt. Zuschauer konnten ein »Tribunal gegen die deutsche Beihilfe zum
Völkermord in Gaza« per Livestream verfolgen. Zwar hatte die Polizei
»jede Ersatzversammlung« verboten, eine solche liegt jedoch erst ab zwei
Personen vor, die am selben Ort ihre Meinung kundtun.
Der erste Teil des »Tribunals« widmete sich der deutschen Unterstützung
für die israelischen Verbrechen sowie der Klage Nicaraguas gegen die
Bundesregierung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag in
diesem Zusammenhang. Auch die IGH-Entscheidung im Verfahren Südafrikas
gegen Israel wegen des Vorwurfs des Völkermords im Gazastreifen vom 26.
Januar war Thema.
Im ersten Vortrag kritisierte die Rechtsanwältin Nadija Samour, die
bereits am Freitag und Sonnabend als Rechtsbeistand der Kongressleitung
in Erscheinung getreten war, dass die in Den Haag von Deutschland zur
Verteidigung vorgetragene Unterscheidung zwischen »Kriegswaffen« und
»sonstigen militärischen Gütern« in internationalen Verträgen wie dem
»Vertrag über den Waffenhandel« nicht vorgesehen sei und daher nicht
trage. Auch das ebenfalls vor dem IGH bemühte Argument, Deutschland
liefere vor allem »Munition zu Trainingszwecken«, erklärte Samour mit
Verweis auf eine Recherche der israelischen Zeitung /Haaretz/ über im
Gazastreifen verwendete »Trainingsmunition« als nichtig. Jetzt sei der
Zeitpunkt, den »Genozid« wahr- und ernst zu nehmen und zu beenden, bevor
es zu spät sei, so die Deutsch-Palästinenserin. Dazu sei die
Bundesregierung verpflichtet.
Auf diesen Aspekt machte auch die zweite Sprecherin, die
palästinensisch-US-amerikanisc
aufmerksam. Sie kontextualisierte die sogenannte Völkermordkonvention
von 1948 und betonte, dass deren Ziel nicht die »Bestrafung für einen
bereits geschehenen Genozid«, sondern die »Verhinderung von zukünftigen«
sei. Die Argumentation, nach der der IGH zuerst feststellen müsste, dass
es sich tatsächlich um einen Völkermord handele, bevor Maßnahmen gegen
Deutschland verhängt werden könnten, trage daher nicht.
Darüber hinaus lenke die Debatte, ob es sich im juristischen Sinne um
einen Völkermord handele, von dem israelischen Krieg gegen die
Zivilbevölkerung im Gazastreifen ab. Zentral sei statt dessen, dass die
Kriegführung angesichts von mehr als 15.000 toten Kindern »inakzeptabel«
sei und »sofort beendet werden« müsse. Erakat bezeichnete es darüber
hinaus als »rassistisch«, dass »30.000 palästinensische Opfer« den
Regierungen im globalen Norden nicht genügt hätten, um Worte der Kritik
gegenüber Israel auszusprechen, sondern diese erst auf den Tod von
sieben Hilfskräften internationaler humanitärer Organisationen hin
vernehmlich protestiert hätten.
Im zweiten Teil des Tribunals berichteten zwei »Augenzeugen des
Völkermords« von ihren Erfahrungen im Gazastreifen seit dem 7. Oktober.
Die deutsch-palästinensische Medizinstudentin Jamila Hamadaqa machte
darauf aufmerksam, dass aktuell nicht der erste Krieg tobe, der gegen
die Zivilbevölkerung des Gazastreifens geführt werde.
In dem dichtbesiedelten Gebiet sind 50 Prozent der Bevölkerung
minderjährig. Während die Bomben und Raketen bereits die Erwachsenen zur
Verzweiflung trieben, sei die Situation für die Kinder im Gazastreifen
»unbeschreiblich«, so Hamadawa. Währenddessen diskutiere man in
Deutschland, »ob es sich um einen Genozid handele« und »ob die
Opferzahlen stimmen« – eine »Ablenkung und Rechtfertigung der
israelischen Verbrechen«.
Der in Darmstadt aufgewachsene und inzwischen in Gaza als Kinderarzt
tätige Abdallah Abdelhadi äußerte, der 7. Oktober habe gezeigt, »wie
wichtig ein freies Palästina« sei. Jeder Akt legitimen palästinensischen
Widerstands gegen die Besatzung werde niedergeschlagen und bestraft,
auch friedliche Formen des Protests.
Den Abschluss des »Tribunals« bildete die Verabschiedung einer
»Resolution«, in der die Bundesrepublik für ihre Unterstützung Israels
angeklagt und ein sofortiger Waffenstillstand verlangt wird. Zu den
Forderungen zählen darüber hinaus »umfangreiche Reparationszahlungen an
das palästinensische Volk«, die »sofortige Einstellung jeglicher
militärischer, diplomatischer und wirtschaftlicher Unterstützung Israels
durch den deutschen Staat« und die Beendigung »des seit über 76 Jahren
andauernden zionistischen Siedlerkolonialismus und ethnischer
›Säuberung‹ des gesamten besetzten Palästinas«.
Deutschland habe »aus seiner Vergangenheit nichts gelernt«, so ein
Sprecher des Kongresses bei der Vorstellung des Papiers. »Nie wieder«
müsse für alle gelten. Die Palästinenser erlitten seit Jahrzehnten einen
Völkermord. In bezug auf die Auflösung des Palästina-Kongresses am
Freitag erklärte er, der Bundesregierung sei es auch mit autoritären
Maßnahmen nicht gelungen, den Protest dagegen zu verhindern.
15.4.2024
*»Das Versammlungsrecht wurde mit Füßen getreten«
*Über das staatliche Verbot des Palästina-Kongresses in Berlin. Ein
Gespräch mit Alexander Gorski
/Von Stefan Huth
/*Am Freitag wurde der Palästina-Kongress in Berlin von der Polizei
aufgelöst, seine Fortsetzung am Wochenende verboten. Kam das
überraschend für Sie?*
Ich kann nicht sagen, dass ich überrascht bin. Es gab in den letzten
Monaten verschiedenste Arten der Repression gegen die
Palästina-Solidaritätsbewegung
die Polizei an diesem Tag vorgegangen ist.
*Wie beurteilen Sie das Agieren aus rechtlicher Perspektive?*
Die Polizei hat sich an diesem Freitag in jeglicher Hinsicht
rechtsstaatswidrig verhalten. Das Versammlungsrecht wurde mit Füßen
getreten. Es war der Polizei klar anzumerken, dass ein Verbot dieses
Kongresses mit allen Mitteln durchgesetzt werden sollte. Ich bin
überzeugt, es wurde politischer Druck ausgeübt. Bekanntlich haben sowohl
die Bundesinnenministerin als auch verschiedene Regierungsvertreter der
Stadt Berlin im Vorfeld öffentlich gefordert, dass mit aller Härte gegen
den Kongress vorgegangen werden soll.
*Haben die Vorwürfe gegen die Veranstalter an irgendeiner Stelle Substanz?*
In den vergangenen Wochen und Monaten hieß es, sie würden einen
»Hassgipfel« organisieren. Der Vorwurf lautete stets, es solle ein
Treffen antisemitischer Gruppen und Einzelpersonen stattfinden. Das
entbehrt jeglicher Grundlage. Es ist zu beachten, dass der Veranstalter
des Kongresses die Vereinigung »Jüdische Stimme für einen gerechten
Frieden in Nahost« war. Eine Vielzahl der geplanten Rednerinnen und
Redner auf diesem Kongress sollte jüdisch sein. Diese Hetzkampagne im
Vorfeld war eben ein Ausdruck der Panik- und Stimmungsmache in den
deutschen Medien und zielte auf die Diffamierung der
Palästina-Solidaritätsbewegung
*Im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsverbot wurde immer wieder der
Vorwurf des Antisemitismus erhoben ...*
Jegliche Kritik am Vorgehen des Staates Israel und jeglicher Einsatz für
einen Waffenstillstand und für eine Ahndung des andauernden Genozids in
Gaza werden als antisemitisch gebrandmarkt. Dahinter steht die blinde
Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus.
*Der Beginn der Veranstaltung wurde durch staatliche Schikanen
verzögert, beendet wurde sie offiziell, als der Videobeitrag des
palästinensischen Autors Salman Abu Sitta gezeigt wurde. Aufgrund
israelfeindlicher Äußerungen, hieß es, dürfe er sich in Deutschland
nicht politisch betätigen. Kann sich das Verbot auch auf solche
Übertragungen beziehen?*
Die Veranstalter des Kongresses und deren rechtliche Vertreter haben von
diesem Betätigungsverbot vorab keine Kenntnis erlangt. Am Morgen des 12.
April besprachen sie auch noch einmal mit der Polizei, ob es Probleme
bezüglich der geplanten Beiträge gäbe. Das wurde verneint. Auch das
besagte Video stand auf dem Programm, der Sprecher wurde dort namentlich
genannt. Aber selbst wenn es so ist, dass ein Betätigungsverbot gegen
diese Person vorliegt, besagt die Rechtsprechung deutscher
Verwaltungsgerichte eindeutig, dass ein Betätigungsverbot eben nicht
dazu führt, dass man ein Video dieser Person in Deutschland nicht
abspielen darf. Das sollte die Polizei wissen. Und dennoch wurde das als
Vorwand genutzt, um die Veranstaltung zu stoppen und den Kongress für
das gesamte Wochenende zu verbieten. Die Veranstaltung war von Anfang an
als Versammlung geplant, sie unterliegt damit auch dem Schutz durch
Artikel 8 des Versammlungsfreiheitsgesetzes Berlins.
*Am Freitag wurden Dutzende Pressevertreter, die sich zuvor nicht
akkreditiert hatten, von der Polizei in den Saal geleitet. Wie
beurteilen Sie das?*
Grundsätzlich ist es so, dass Pressefreiheit herrscht und dass bei
öffentlichen Versammlungen auch die Presse Anwesenheitsrecht hat.
Gleichzeitig haben die Veranstalter bei Versammlungen in geschlossenen
Räumen das Hausrecht. Da die Teilnehmerzahl für den Kongress durch die
Polizei stark limitiert wurde – es waren nur 250 Teilnehmer zugelassen
–, war vereinbart worden, dass man die Medienvertreter geordnet
einlässt. Die Polizei hat sich an diese Absprache nicht gehalten und hat
insbesondere Medienvertreter, die der Veranstaltung offensichtlich sehr
feindlich gegenüberstanden, vorab durch eine Hintertür ohne Absprache
mit den Veranstaltern in den Raum gelassen. Das verstößt insbesondere
gegen das Kooperationsgebot.
*Die Bundesregierung hat Solidarität mit Israel zur Staatsräson erklärt.
Der Kongress sollte sich explizit gegen diesen Kurs wenden, gegen die
Staatspolitik, also auch die deutsche Militärhilfe für die israelische
Regierung. Erleben wir gerade, wie nun auch das Versammlungsrecht
»kriegstüchtig« gemacht wird?*
Absolut. Die Staatsräson ist ein politisches Konzept der Regierung. Es
ist kein juristischer Grundpfeiler oder Grundsatz. Wir sehen hier, dass
die Solidarität mit Israel über die Grundfreiheiten aus dem Grundgesetz,
speziell Artikel 8 GG zur Versammlungsfreiheit, gestellt wird. Das ist
insofern interessant, als der Internationale Gerichtshof, IGH, und viele
andere internationale Institutionen eben schon längst erkannt haben,
dass das Vorgehen Israels im Gazastreifen und insgesamt in Gaza und der
Westbank aus Sicht des Völkerrechts höchst problematisch ist.
Deutschland verweigert sich dieser Einschätzung.
*Die Art des Umgangs mit solchem Protest, mit dieser Gegenöffentlichkeit
scheint ein deutsches Spezifikum zu sein. Gab es internationale
Reaktionen auf die repressiven Maßnahmen?*
Uns vom Legal Team wurde zurückgespiegelt, dass es sehr viel
internationale Anteilnahme und Solidarität gab, aber auch extrem viel
Unverständnis über das Agieren der Staatsmacht. Und dass das Entsetzen
über das Grundrechtsverständnis der deutschen Behörden im Ausland sehr
groß ist.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.