aus e-mail von Doris Pumphrey, 18. April 2024
(…) Die tiefere Bedeutung der besagten Umfrage liegt darin, dass sie
bloßlegt, wie unverzichtbar China für Deutschland ist – ungeachtet des
Geredes vom "Verringern der Risiken" und von "Entkopplung". In nicht
allzu ferner Zukunft könnte ein Amtsnachfolger von Scholz zu einer
ähnlichen Reise aufbrechen – in Richtung Moskau. Nämlich dann, wenn eine
weitere Realität so überzeugend geworden ist, dass niemand mehr an ihr
vorbeikommt: Auch Russland lässt sich vom Westen nicht einschüchtern.
Und so wie China bleibt auch Russland für Deutschland und ganz Europa
unverzichtbar.
_RT DE 17.4.2024
_*Deutschlands Trumpf im Spiel um China – den Olaf Scholz wohl nie zu
ziehen wagt
*/Von Tarik Cyril Amar/
Der deutsche Bundeskanzler hat gegenüber Peking schlechte Karten auf der
Hand. Er wird es wohl nie wagen, den einzigen Trumpf auszuspielen, der
ihm im großen Spiel um China wirkliches Gewicht verschaffen würde. China
dagegen lässt sich nicht erpressen.
Der Bundeskanzler Olaf Scholz war zu einem dreitägigen Besuch in China.
Er reiste nicht allein, mit in seinem Tross war eine große Delegation
von Vertretern der deutschen Wirtschaft, insbesondere von
Vorzeigeunternehmen wie Mercedes, Siemens und BMW.
Scholz hatte eine anspruchsvolle Agenda: Der Bundeskanzler wollte über
internationalen Handel und Wettbewerb, über Klimapolitik, die Spannungen
um Taiwan und über den Krieg in der Ukraine und Chinas Verhältnis zu
Russland sprechen. Da Iran nach dem illegalen Angriff Israels auf das
iranische Konsulat in Damaskus von seinem Recht auf Selbstverteidigung
Gebrauch gemacht und Vergeltung geübt hatte, fühlte sich Scholz
veranlasst, auch dazu eine Stellungnahme abzugeben.
Zwei Themen überragten alle anderen auf der Tagesordnung: die
deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen und die Beziehungen zwischen
China und Russland. Bezüglich der Handelsbeziehungen ist das
entscheidende Problem, dass der Westen insgesamt – angeführt von den USA
– eine Politik des nicht erklärten Wirtschaftskrieges gegen China
eingeschlagen hat und dabei ständig mit weiterer Eskalation droht.
Das war die Leitlinie der jüngsten Reise von Janet Yellen nach Peking
<https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-04-14/yellen-says-nothing-off-table-in-response-to-china-overcapacity>.
Die US-Finanzministerin kam mit einer Liste von Forderungen angereist,
um das einzudämmen, was die USA als "chinesische Überkapazitäten" und
"Preisdumping" anprangern und reiste wieder ab mit ihrer unverblümten
Drohung, dass hinsichtlich weiterer Angriffe gegen die chinesische
Wirtschaft "nichts ausgeschlossen" sei.
Dann ist da noch die Europäische Union, die der Führung in Washington
wie gewohnt bedingungslos folgt. Unter Hardlinern wie der
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und deren Vizepräsidentin
Margrethe Vestager verstärkt man in Brüssel die antichinesische Rhetorik
und Handlungsweise. Peking wurde dort offiziell zum
"Kooperationspartner, wirtschaftlichen Konkurrenten und systemischen
Rivalen
<" rel="noopener">https://www.eeas.europa.eu/eeas/eu-china-relations-factsheet_en>"
erklärt. Die EU-Kommission sieht die "wirtschaftliche Sicherheit" durch
China gefährdet und geht gegen chinesische Konkurrenten in der
E-Mobilität, bei Windkraftanlagen und bald auch bei medizinischen
Geräten
<https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-04-15/eu-is-set-to-launch-china-probe-on-medical-device-procurement> vor.
Gleichzeitig wissen die deutschen Wirtschaftsmanager jedoch, dass sie
sich einen langwierigen Wirtschaftskonflikt mit China nicht leisten
können. Ein hochrangiger Manager von Siemens ist kürzlich mit der
Warnung an die Öffentlichkeit getreten, dass eine "Abkopplung" der
europäischen Wirtschaft von der chinesischen "Jahrzehnte"
<https://www.ft.com/content/e8634f5c-5a28-4741-a13d-024665456f43> dauern
würde. Das ist natürlich nur eine andere Art zu sagen, dass dieser
Versuch an sich eine sehr schlechte Idee ist.
Oberflächlich betrachtet könnte es so aussehen, als gäbe es für Scholz –
der durch und durch opportunistisch handelt – die Möglichkeit, als
Vermittler aufzutreten oder zumindest geschickt zwischen den
konkurrierenden Forderungen zu balancieren. Die /Global Times/, ein
Medienunternehmen im Besitz des Zentralkomitees der Kommunistischen
Partei Chinas, bereitete den Besuch des Kanzlers mit einem allgemein
freundlichen und begrüßenden Artikel vor.
Im Wesentlichen wurde Scholz als eine Taube unter Falken dargestellt. Es
wurde argumentiert, dass demgegenüber die deutsche Außenministerin
Annalena Baerbock und der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz
Robert Habeck klar für Konfrontation stehen, während der Bundeskanzler
wohl nach einem ausgewogenen Ansatz suche.
Doch selbst wenn Scholz versuchen wollte, klug und flexibel zu sein, ist
er in mehrfacher Hinsicht blockiert. Es wird ihm schwerfallen, ernst
genommen zu werden, weil es sowohl Deutschland insgesamt wie auch dem
Bundeskanzler mittlerweile an internationalem Ansehen und somit
Deutschland in seinen Beziehungen zu China an Gewicht mangelt.
Schauen wir uns zunächst das Verschuldungsdefizit an: In
wirtschaftlicher Hinsicht sind die chinesisch-deutschen Beziehungen
beständig und vielfältig, wobei viele Faktoren wichtig sind. Mehrere
Indikatoren sind relevant, wie zum Beispiel die ausländischen
Direktinvestitionen, die derzeit rückläufig
<https://www.china-briefing.com/news/bilaterale-direktinvestitionen-china-deutschland-trends-und-ausblick/>
sind. Doch das Gesamthandelsvolumen zeigt, dass Deutschland keineswegs
aus einer Position der Stärke oder gar Parität Peking gegenübertreten kann.
Laut Bloomberg ist China gemäß den Exportdaten von 2023 zufolge zwar
immer noch Deutschlands größter Handelspartner
<https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-04-13/scholz-heads-to-china-on-a-mission-to-dial-down-trade-tensions>.
Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt – die größte nach
Kaufkraftparität – ist China aber der wichtigste Handelspartner für
insgesamt 120 Länder
<https://www.wilsoncenter.org/blog-post/china-top-trading-partner-more-120-countries>.
Das ist in der heutigen Welt auch nichts Ungewöhnliches. China ist auch
der größte Außenhandelspartner
<https://www.wilsoncenter.org/blog-post/china-top-trading-partner-more-120-countries>
der gesamten Europäischen Union. Andererseits rangiert Deutschland nur
auf Platz acht
<https://www.worldstopexports.com/chinas-top-import-partners/> der
größten Abnehmer von Exporten aus China hinter den USA, Japan und sogar
hinter Vietnam.
Das alles bedeutet zwar nicht, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit
Deutschland für Peking keine Rolle spielen würden, doch es bedeutet,
dass sie für Berlin umso wichtiger sind. Unter rationalen Akteuren wäre
ein solches Muster der beiderseitigen Abhängigkeit ein Grund für eine
Zusammenarbeit. Das ergibt dagegen keine einseitige Hebelwirkung zu
Gunsten Deutschlands. Wenn hier jemand überhaupt in der Lage ist, die
Peitsche zu schwingen, dann ist es China. Möglicherweise war es ein
Versuch, Berlin diese Tatsache "diplomatisch sanft" zu vermitteln, als
die Gastgeber Scholz bei der Ankunft in der chinesischen Metropole
Chongqing mit einem verblüffend sparsamen (um nicht zu sagen
demütigenden) Empfangskomitee begrüßten.
Grundsätzlich handelt es sich bei Deutschland nach Angaben des
Internationalen Währungsfonds <https://www.imf.org/en/Countries/DEU> um
ein Land mit knapp 84 Millionen Einwohnern, dessen BIP-Wachstum in
diesem Jahr voraussichtlich nur 0,5 Prozent betragen wird. In China
dagegen <https://www.imf.org/en/Countries/CHN> leben allein in Chongqing
über 30 Millionen Einwohner, China insgesamt hat eine Bevölkerung von
mehr als 1,4 Milliarden Menschen und sein BIP wird in diesem Jahr
schätzungsweise um 4,6 Prozent wachsen. Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass Chinas Wirtschaft zwar auch Probleme hat, wie zum Beispiel
im überdehnten Immobiliensektor, die von westlichen Untergangspropheten
oft zwanghaft übertrieben werden. Die deutsche Wirtschaft ist dagegen
nur noch ein großer Problemfall.
Der deutsche Bundeskanzler hält daher nur ein schwaches Blatt in der
Hand. Es gibt nur einen Weg, dieses schlechte Blatt wenigstens gut zu
spielen, und dieser Weg führt über die Politik. Scholz könnte
Deutschland etwas Spielraum verschaffen, wenn er das täte, was Peking in
dem oben erwähnten Artikel in der /Global Times/ signalisierte: etwas
mehr Autonomie zeigen, ein wenig mehr Distanz erkennbar werden lassen
zwischen sich und den Hardlinern, die jetzt sowohl in Washington als
auch in Brüssel dominieren.
Schon die theoretische Möglichkeit, dass der deutsche Bundeskanzler vom
Drehbuch abweichen könnte, ist für die Falken im Westen ein dermaßen
alptraumhaftes Szenario in Bezug auf China, dass eine der beiden
einflussreichsten US-Zeitschriften für internationale Politik zum
Exorzismus griff, um Scholz jegliche abweichenden Ideen vorsorglich
auszutreiben. /Foreign Policy/ widmete
<https://foreignpolicy.com/2024/04/13/scholz-germany-china-trip-europe-derisk-decouple/>
einen ganzen Artikel der Frage, ob Scholz "den Schwanz einziehen" und
sich gegenüber Peking zu versöhnlich zeigen werde. Während die /Global
Times/ in ihrem Artikel zum Besuch von Scholz eine Einladung in der Art
"Ein Angebot, das Sie nicht ablehnen sollten" aussandte, lautete die
Botschaft von /Foreign Policy/: "Wage es ja nicht!"
Aber Scholz sollte es wagen. Es wäre nur rational, weil es tatsächlich
der einzige Trumpf ist, den er in der Hand hat. Wie /Foreign Policy/
sehr wohl erkannt hat, kann die harte Linie der EU gegen China auf Dauer
nicht aufrechterhalten werden, wenn Berlin davon abweicht. Und ohne die
Aufrechterhaltung dieser Linie durch die EU würde auch für Washington
das Spiel deutlich schwieriger werden. Genau das ist der Trumpf, den
Scholz hat, aber nicht spielt: die Macht, beide Seiten auszubalancieren
und gleichzeitig gegeneinander auszuspielen.
Leider stoßen wir hier an die sehr engen Grenzen von Olaf Scholz als
Bundeskanzler. Er ist bei weitem kein Reichskanzler Bismarck.
Stattdessen haben wir es mit einem Menschen zu tun, den man als den
einerseits rücksichtslosesten, andererseits gegenüber den USA als den
rückgratlosesten und unterwürfigsten Bundeskanzler seit 1949 bezeichnen
kann. Scholz stand grinsend daneben, als Biden in seiner Anwesenheit
ankündigte, dass die USA die Ostsee-Pipelines Nord Stream zerstören
werden, wenn ihnen danach ist. Als genau das dann tatsächlich passierte,
geschah – nichts! Der deutsche Staat nahm es wortlos hin, der
Bundeskanzler Scholz grinste weiter vor sich hin.
Unter Scholz ist Deutschland zum perfekten Vasallen der USA geworden.
Dementsprechend sind sich die derzeit regierenden Eliten in Brüssel und
Berlin auch in allem absolut einig, weil Ursula von der Leyen als eine
weitere ultraatlantische Politikerin die Europäische Kommission leiten
darf. Einige Beobachter spekulieren zwar, dass Deutschland durchaus
geschickt noch hier und da ausscheren könnte, doch in der Summe wäre
selbst das für Peking wohl zu wenig.
Mit der Frage der Abhängigkeit sind wir auch beim vorletzten
erheiternden Aspekt des Scholz-Besuchs in China angelangt: Der
Bundeskanzler hatte im Vorfeld durchblicken lassen, dass er China
bezüglich seiner Russlandpolitik und des Krieges in der Ukraine
herausfordern wolle. Im Wesentlichen scheint Scholz zu glauben, dass es
sein Recht oder gar seine Pflicht sei, China zur Lockerung seiner
Beziehungen zu Russland zu drängen und dabei noch die unrealistischen
Vorschläge des Westens zur Beendigung des Krieges in der Ukraine zu
wiederholen, ohne anzuerkennen, dass Russland diesen Krieg wohl gewinnen
wird.
An dieser erstaunlich unsensiblen Haltung sind zwei Dinge falsch:
Erstens sind offensichtlich weder Deutschland noch die Europäische Union
in einer Position, solche Forderungen an China zu richten. Beide haben
weder Argumente noch die Macht, sie durchzusetzen. In solchen Fällen ist
es meist klüger und würdevoller, einfach zu schweigen.
Zweitens gilt, wenn auch weniger offensichtlich: Wer ist denn dieser
Olaf Scholz, der da versucht, sich in die von Rationalität und Respekt
für die jeweiligen nationalen Interessen geprägte Partnerschaft zwischen
Moskau und Peking einzumischen? Solange Deutschland wie bisher ein
Schauspiel an bedingungslosem und irrationalem Gehorsam gegenüber der
US-Regierung in Washington bietet, wird sich niemand für die Ratschläge
von Scholz interessieren.
Das war das vorletzte Bonmot. Und nun die Pointe: Der Besuch von Scholz
ist selbst ein Ausdruck dessen, dass es dem Westen nicht gelungen ist,
China einzuschüchtern. In Deutschland klagen laut einer aktuellen
Umfrage
<https://foreignpolicy.com/2024/04/13/scholz-germany-china-trip-europe-derisk-decouple/> zwei
Drittel der in China tätigen deutschen Unternehmen über angebliche
Ungleichbehandlung im Land der Mitte. Trotzdem sind sie dort und wollen
bleiben. Trotzdem kommt ein deutscher Bundeskanzler samt einem Flugzeug
voller Wirtschaftsmanager zu Besuch.
Die tiefere Bedeutung der besagten Umfrage liegt darin, dass sie
bloßlegt, wie unverzichtbar China für Deutschland ist – ungeachtet des
Geredes vom "Verringern der Risiken" und von "Entkopplung". In nicht
allzu ferner Zukunft könnte ein Amtsnachfolger von Scholz zu einer
ähnlichen Reise aufbrechen – in Richtung Moskau. Nämlich dann, wenn eine
weitere Realität so überzeugend geworden ist, dass niemand mehr an ihr
vorbeikommt: Auch Russland lässt sich vom Westen nicht einschüchtern.
Und so wie China bleibt auch Russland für Deutschland und ganz Europa
unverzichtbar.
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.