aus e-mail von Clemensn Ronnefeldt, vom 21. September 2024,
Liebe Friedensinteressierte,
wegen des Krieges in Westasien
zwischen Israel und Libanon sende ich
einige Informationen - sowie eine Presse-
Meldung zur Militarisierung in Deutschland.
1. FAZ: Liveblog zum Krieg in Nahost : Israels Armee meldet weitere Angriffe auf Ziele im Libanon
2. Die Zeit: Israel hat die roten Linien überschritten
3. IPG: Angriff auf die libanesische Gesellschaft als Ganze
4. Quantara: Die EU muss ihrer moralischen Verantwortung wieder gerecht werden
5. Reuters: Deutschland hat die Genehmigung von Kriegswaffenexporten nach Israel eingestellt, so eine Quelle
5. IPG: Angriff auf die libanesische Gesellschaft als Ganze
6. OHCHR: Kommentar des UN-Hochkommissars für Menschenrechte Volker Türk zu den Explosionen im Libanon und in Syrien
7. Der Spiegel: Ein Israeli und ein Palästinenser auf Friedensmission
»Es ist eine Lüge, dass wir nicht zusammenleben können«
8. Kampagne Aufschrei: Nein zur Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie!
——
1. FAZ: Liveblog zum Krieg in Nahost : Israels Armee meldet weitere Angriffe auf Ziele im Libanon
https://www.faz.net/aktuell/politik/krieg-in-nahost/liveticker-zum-krieg-in-nahost-israels-armee-meldet-weitere-angriffe-faz-19972506.html
Liveblog zum Krieg in Nahost :
Israels Armee meldet weitere Angriffe auf Ziele im Libanon
(…)
21.09.2024. 16:42 Uhr
Franca Wittenbrink
Die Bundesregierung hat ihre Sorge über die jüngste Eskalation des
Nahostkonflikts im Libanon zum Ausdruck gebracht. „Die Menschen im
Libanon leben in Angst und Schrecken wegen einer Auseinandersetzung,
mit der weite Teile der Bevölkerung nichts zu tun haben.
Diesen unbeteiligten Zivilisten gilt unser Mitgefühl“, erklärte
Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Samstag in Berlin.
Die Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah dürfe nicht
zu einem regionalen Flächenbrand werden, fügte der Sprecher hinzu:
„Dieser hätte furchtbare und langfristige Konsequenzen für die
Menschen in der gesamten Region. Die Zerstörungen aus einer solchen
Konfrontation wären katastrophal.“
Die Bundesregierung sei überzeugt, dass eine weitere Eskalation nicht
unausweichlich sei:
„Eine diplomatische Lösung für den Konflikt muss möglich sein. Alle
tragen Verantwortung, alles zu tun, diese diplomatische Lösung zu finden.“
Die VN-Resolution 1701 müsse jetzt umgesetzt werden, die Hisbollah
müsse sich aus dem Grenzgebiet zu Israel zurückziehen, damit die
Menschen im Norden Israels in ihre Heimatorte zurückkehren können.
In der Resolution 1701 hatte der UN-Sicherheitsrat bereits 2006 ein
Ende der Feindseligkeiten gefordert.
————
siehe auch:
https://www.berliner-zeitung.de/news/newsblog-eskalation-in-nahost-nach-toedlichen-pager-explosionen-im-libanon-li.2254894
Nahost-News: Israel greift Libanon mit „Dutzenden“ Kampflugzeugen an
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siehe auch:
https://www.aljazeera.com/program/newsfeed/2024/9/20/israel-strikes-beirut-suburb-in-latest-attack-in-lebanon
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2. Die Zeit: Israel hat die roten Linien überschritten
https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-09/nahostkonflikt-israel-libanon-gazastreifen-humanitaere-linien/komplettansicht
Israel hat die roten Linien überschritten
Israel droht den Krieg nicht nur juristisch und moralisch, sondern auch strategisch zu verlieren.
Es wäre Aufgabe seiner Verbündeten, Benjamin Netanjahu zu stoppen.
Ein Kommentar von Martin Klingst
19. September 2024, 8:45 Uhr
Selbstverständlich hat Israel ein Recht auf Selbstverteidigung gegen
die Hamas und die Hisbollah. (…)
Doch Israels Selbstverteidigungskampf hat die roten Linien, die ihm
das humanitäre Völkerrecht setzt, längst überschritten und begeht
seinerseits Kriegsverbrechen.
Erst im Gazastreifen, wo Israel unterschiedslos Krankenhäuser und
Schulen bombardiert und mit dem Stopp von Hilfstransporten weite Teile
der palästinensischen Zivilbevölkerung der Gefahr eines Hungertods
aussetzt. Und nun offenbar auch im Libanon.
Einiges jedenfalls spricht dafür, dass Israel die roten Linien nun
auch im Kampf gegen die Hisbollah verletzt.
Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche explodierten Hunderte, wenn
nicht Tausende von Pagern, Walkie-Talkies und Radioempfängern in den
Händen, Hosentaschen und Rucksäcken ungezählter Menschen.
Nach Angaben der Regierung in Beirut starben dabei mindestens 32
Menschen, Tausende wurden verletzt. Auch wenn Israel offiziell zu
seiner Urheberschaft schweigt, platzierte mutmaßlich sein Geheimdienst
die Sprengsätze in den Funkgeräten.
"Eine Einladung zum Krieg"
In Israel heißt es nun, die Opfer seien allesamt Mitglieder der
Hisbollah gewesen, denn an sie hätte die Terrororganisation die
manipulierten Geräte verteilt. Doch waren sie wirklich allesamt Terroristen?
Unter den Toten sind mindestens drei Kinder, die Pager und
Walkie-Talkies explodierten auf Märkten, auf der Straße, vor
Krankenhäusern, auf einer Beerdigung.
Unterschiedslos nahm Israel zivile Opfer in Kauf und riskiert mit
diesen Anschlägen außerdem die Gefahr eines großen Krieges im
Mittleren Osten.
"1.000 Explosionen mit 3.000 Verletzungen sind eine Einladung zum
Krieg", schreibt der israelische Kolumnist Gideon Levy in der
Tageszeitung Ha'aretz. "Und er wird kommen."
Doch niemand gebietet Israels Premierminister Benjamin Netanjahu
Einhalt. Die Macht dazu hätten vor allem die Vereinigten Staaten von
Amerika, Israels Schutzmacht und größter Waffenlieferant. Doch sie
stecken mitten im Wahlkampf und begnügen sich – wie auch die meisten
Europäer – mit einem zahnlosen Aufruf zur Mäßigung.
(…)
Hat der plattgebombte Gazastreifen Israel sicherer gemacht?
Die Mahnung der internationalen Gerichte, sich an Recht und Gesetz, an
das humanitäre Völkerrecht und die allgemeinen Menschenrechte zu
halten, hat die Regierung Netanjahu längst ignoriert. Inzwischen droht
Israel den Krieg gegen seine Feinde nicht nur juristisch und
moralisch, sondern auch strategisch zu verlieren.
Die Fragen, die sich Israel nach fast einem Jahr Krieg jetzt stellen
müsste, liegen auf der Hand: Haben der plattgebombte Gazastreifen,
haben zwei Millionen vertriebene Palästinenserinnen und Palästinenser,
über 40.000 Tote und 100.000 Verletzte (so die nicht überprüfbaren
Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza)
den Staat Israel und seine Bevölkerung sicherer gemacht?
Hat der Gazakrieg das Schicksal der israelischen Geiseln in
irgendeiner Weise erleichtert? Ist die iranische Bedrohung geringer
geworden? Und können sich die Israelis nach der jüngsten Pager-Attacke
gegen die Hisbollah auch nur um ein Jota geschützter fühlen?
Und auf der Hand liegt auch die Antwort. Sie lautet jedes Mal: Nein.
Gewiss, die Hamas ist geschwächt, doch hat sie weiterhin die Macht im
Gazastreifen. Wie einflussreich sie nach wie vor ist, zeigt schon die
Tatsache, dass mit ihr über einen Waffenstillstand und die Freilassung
der Geiseln verhandelt wird.
Netanjahu versprach einst den "totalen Sieg" über die Hamas, was sein
Verteidigungsminister Joaw Galant allerdings kurz darauf als völligen
"Unsinn" bezeichnete.
Auch an Israels zweiter Front sieht es nicht besser aus. Die
Taschenbomben der vergangenen Tage haben die Hisbollah-Kämpfer an der
Grenze zu Israel nicht unschädlich gemacht. Und nach wie vor sind dort
Tausende von Raketen auf Israel gerichtet.
Der Krieg wird auch außenpolitisch zur Gefahr
Erledigt hat sich zudem die Hoffnung auf Volksaufstände. Weder hat
sich die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen gegen die
islamistische Hamas erhoben noch revoltieren die Libanesen gegen die
Hisbollah. Im Gegenteil, der Krieg scheint den Terroristen Zulauf zu bescheren.
Auch außenpolitisch wird der Krieg zunehmend zur Gefahr. Nach dem
Anschlag vom 7. Oktober übten Israels Freunde und Partner den
Schulterschluss. Solidarität war verständlicherweise das Gebot der Stunde.
Doch mittlerweile reagieren die Verbündeten zunehmend verstört und
entsetzt auf die Art, wie Israel seinen Selbstverteidigungskampf
führt, was ebenso nachvollziehbar ist. Einige gehen bereits auf
Abstand, Großbritannien erwägt sogar ein Waffenembargo.
Und selbst in den Vereinigten Staaten ist die seit Jahrzehnten
geltende parteiübergreifende uneingeschränkte Solidarität mit Israel
keine Selbstverständlichkeit mehr. Vor allem durch die Demokratische
Partei geht ein tiefer Riss.
Fassungslos macht außerdem Israels völkerrechtswidrige Landnahme im
Westjordanland. Im Schatten des Krieges vertreiben jüdische Siedler
Palästinenser aus ihren angestammten Gebieten und bauen, angestachelt
durch rechtsextreme Minister, Siedlung um Siedlung. Israels Armee
schaut meist tatenlos zu, selbst wenn dabei gebrandschatzt und
gemordet wird.
Derweil hofft Benjamin Netanjahu inständig auf einen Wahlsieg des
Republikaners Donald Trump im November. Wenn sich Israels
Regierungschef da nicht gewaltig verrechnet. Zwar hätte ein Präsident
Trump keine Einwände gegen Israels Siedlungspolitik, aber einen großen
Krieg im Mittleren Osten will auch er um keinen Preis.
Rühmt sich Trump doch damit, in seiner Amtszeit zwischen Januar 2017
und Januar 2021 weder einen Krieg begonnen zu haben noch einem
beigetreten zu sein. Das hat er Netanjahu, als der ihm kürzlich in
Florida seine Aufwartung machte, ziemlich deutlich gemacht.
——————
3. IPG: Angriff auf die libanesische Gesellschaft als Ganze
https://www.ipg-journal.de/regionen/naher-osten/artikel/angriff-auf-die-libanesische-gesellschaft-als-ganzes-7789/?utm_campaign=de_40_20240920&utm_medium=email&utm_source=newsletter
Naher Osten/Nordafrika
20.09.2024
Merin Abbass
Merin Abbass leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung im Libanon.
Zuvor war er Leiter des FES-Büros in Libyen. Er hat Politikwissenschaften
und Internationale Beziehungen in Deutschland und England studiert.
Angriff auf die libanesische Gesellschaft als Ganze
Die explodierenden Pager und Funkgeräte trafen nicht nur die Hisbollah.
Die Menschen im Libanon sind bis ins Mark erschüttert.
(…)
Am Dienstagnachmittag brachten hunderte Krankenwagen Verletzte und
Tote zu den überfüllten Krankenhäusern im ganzen Land. Das Militär
versuchte vergeblich, die Straßen von Beirut und anderen Städten
leerzuräumen, damit die Krankenwagen durch die engen, überfüllten
Straßen kommen.
Dem bereits kurz vor dem Kollaps stehenden Gesundheitssystem droht nun
die völlige Überlastung. Der Libanon ist im Kriegszustand. Elf Monate
war der Krieg auf den Süden des Landes beschränkt, aber nun erreichte
er – sichtbar für alle – die Straßen von Beirut und Saida.
Die internationale Gemeinschaft stellt die Frage nach der
Rechtmäßigkeit dieser Angriffe. Selbst wenn Israel beabsichtigte,
Hisbollah-Mitglieder ins Visier zu nehmen, konnte es nicht wissen, wer
bei den Tausenden von Explosionen verletzt oder getötet werden würde.
Schließlich konnte sie die Weitergabe der mit Sprengstoff
manipulierten Pager nicht mehr kontrollieren. In der Tat wurden bei
den Angriffen viele Zivilistinnen und Zivilisten getötet oder
verletzt. Israel hat hiermit die bisher zwischen den Konfliktparteien
informell respektierten Kampfregeln massiv verletzt – mit unabsehbaren
Konsequenzen.
Das landesweite Ausmaß der Anschläge bedeutet auch, dass die Libanesen
überall besorgt sind, dass ähnliche Anschläge stattfinden könnten. Sie
fragen sich, ob möglicherweise ihre Telefone, Laptops und andere
technische Geräte betroffen sein könnten.
Dies stellt eine weitere Episode psychologischen Schadens dar und
verstärkt die Traumata, die viele Menschen im Libanon haben.
Schließlich wurden die Schrecken der vielen Kriege der Vergangenheit
bisher nicht aufgearbeitet und die dramatischen Szenen der
Hafenexplosion sind vielen Libanesinnen und Libanesen noch gegenwärtig.
Die Anschläge lösen auch große Angst bei den Zivilistinnen und
Zivilisten aus, weil hier zu Rechtangenommen wird, dass sie einen
Vorlauf für eine umfassende Invasion oder eine Ausweitung der Kämpfe
mit Israel darstellen könnten. Vor allem die Aussagen von israelischer
Seite schüren zusätzliche Angst.
Doch bei allen negativen und nicht zu unterschätzenden Folgen dieser
furchtbaren Angriffe lässt sich auch ein Gefühl der Einigung der
libanesischen Bevölkerung beobachten. Aus humanitärer Sicht wurde
durch die zahlreichen – religionsübergreifenden – Blutspenden
Solidarität gezeigt.
Krankenhäuser haben im ganzen Land Verletzte aufgenommen, auch
diejenigen in den christlich dominierten Vierteln und Regionen des
Landes. Die Solidarität darf aber nicht falsch verstanden werden: Es
ist eine Solidarität mit den Menschen, den Verwundeten – und nicht mit
der Hisbollah.
Es ist dezidiert keine politische Solidarität. Dennoch werden die
Anschläge der letzten Tage als Angriff auf die libanesische
Gesellschaft als Ganze empfunden und nicht nur auf die Hisbollah
innerhalb der fragmentierten Gesellschaft. In Zeiten des Krieges haben
die Menschen immer zusammengestanden.
Dieses Phänomen ist nicht neu, schließlich erlebt die zusätzlich unter
der Wirtschaftskrise leidende libanesische Gesellschaft nun den
siebten Krieg mit dem südlichen Nachbarn.
In politischer und strategischer Hinsicht dagegen sind viele
Libanesinnen und Libanesen nicht mehr von der Vorgehensweise der
Hisbollah in diesem Krieg überzeugt. In den Straßen Beiruts wird schon
darüber diskutiert, welche Initiativen notwendig wären, um den
sinnlosen Krieg zu beenden.
Viele sind davon überzeugt, dass es trotz ihrer Ablehnung des
Vorgehens der Hisbollah wichtig ist, dass die internationale
Gemeinschaft Kommunikationswege mit der Hisbollah aufrechterhält oder
neu sucht.
Gleichzeitig muss der Druck auf Israel erhöht werden, keine neue Front
zu eröffnen und bei ihren Angriffen auf den Libanon dem Schutz der
Zivilisten absoluten Vorrang einzuräumen.
Zentral für die Beruhigung ist ein Waffenstillstand im Gazastreifen,
dies hat Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah nochmals unterstrichen.
Ohne ein Ende der Kampfhandlungen in Gaza wird es auf absehbare Zeit
nicht zu einer Beruhigung im Libanon kommen.
Die gepeinigte Gesellschaft des Libanon wünscht sich nichts mehr als dies.
———
4. Quantara: Die EU muss ihrer moralischen Verantwortung wieder gerecht werden
https://qantara.de/artikel/europa-und-gaza-die-eu-muss-ihrer-moralischen-verantwortung-wieder-gerecht-werden
Europa und Gaza
18.09.2024
Die EU muss ihrer moralischen Verantwortung wieder gerecht werden
Menschenrechte sind in die DNA der Europäischen Union eingeschrieben.
Doch in Gaza macht sich die EU an eklatanten Menschenrechtsverstößen
mitschuldig. Kann sie zu ihren moralischen Prinzipien zurückfinden und
ihre Mitgliedsstaaten und Israel davon abhalten, das Völkerrecht mit
Füßen zu treten?
Kommentar von Michelle Pace
Als Akademikerin, die seit dreißig Jahren zu den Beziehungen zwischen
der EU und der MENA-Region forscht und unterrichtet, die sich mit
EU-Demokratieförderprogrammen in den Ländern der südlichen
Nachbarschaft und den EU-Beziehungen zu Israel und Palästina
beschäftigt, ist es unglaublich frustrierend zu sehen, wie die EU
angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen untätig bleibt.
(…)
Die „Unabhängige Internationale Untersuchungskommission zu den
besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalem,
und Israel“ des UN-Menschenrechtsrats erklärte im Juni 2024 in einem
Bericht, dass sowohl der israelische Staat als auch bewaffnete
palästinensische Gruppen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit zu verantworten haben.
Zuvor, im Mai, hatte der Chefankläger des Internationalen
Strafgerichtshofs (IStGH) bekanntgegeben, dass er wegen Verbrechen
beim Hamas-Angriff vom 7. Oktober und dem anschließenden Krieg gegen
den Gazastreifen Haftbefehl gegen die militärischen und politischen
Führungspersonen auf beiden Seiten beantragt habe.
Darüber hinaus haben eine Reihe von UN-Expert*innen und angesehenen
internationalen Akademiker*innen vor einem „Scholastizid“ (der
systematischen Zerstörung eines Bildungssystems und seiner
Institutionen) in Gaza gewarnt.
Laut palästinensischem Bildungsministerium sind 90 Prozent der Schulen
und alle zwölf Universitäten entweder beschädigt oder zerstört. Tausende
Schüler*innen und Lehrende wurden getötet.
Laut dem Committe to Protect Journalists wurden zudem mindestens 116
Journalist*innen und Medienschaffende seit Kriegsbeginn getötet. Es
handelt sich damit um den tödlichsten Zeitraum für Medienschaffende,
seit die Organisation 1992 mit der Datenerhebung begann.
Ein Bericht des UN-Satellitenbeobachtungsprogramms UNOSAT vom Juli
2024 hält fest, dass Israel 46.223 Gebäude in Gaza zerstört, 18.478
schwer beschädigt, 55.954 Gebäude mittelschwer beschädigt und 35.754
Gebäude möglicherweise beschädigt hat, was einer Gesamtzahl von
156.409 Gebäuden entspricht.
Das entspricht etwa 63 Prozent der Strukturen im Gazastreifen, wozu
Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser, kulturelle und religiöse Stätten
sowie die Infrastruktur für Wasser, Strom und Verkehr gehören.
Das bedeutet: Israel begeht auch „Urbizid”, ein Begriff, der erstmals
während des Bosnienkriegs (1992 bis 1995) zur Beschreibung
großflächiger und vorsätzlicher Zerstörung von städtischen Gebieten
verwendet wurde.
Dass geschätzte 215.137 Wohneinheiten zerstört wurden, heißt zudem,
dass Israel auch „Domizid“ begeht, eine „absichtliche und
systematische Zerstörung von Wohnräumen“, die „auf intime
Aufenthaltsorte abzielt, so dass jede Form von Stabilität, physisch
oder emotional, durch ein Gefühl des ständigen Wandels ersetzt wird“.
Internationale Menschenrechtsorganisationen haben auch Beweise für
einen vorsätzlichen Einsatz von Hunger als Kriegswaffe im Gazastreifen
vorgelegt, wo der Zivilbevölkerung der Zugang zu Nahrungsmitteln und
sauberem Wasser verwehrt wird.
Im Mai 2024 erklärte FewsNet, ein US-Netzwerk zur Frühwarnung vor
Hungersnot, es sei „möglich, wenn nicht wahrscheinlich“, dass im Norden
des Gazastreifens seit April eine Hungersnot herrsche.
Zwei Monate später erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO),
dass an sechs Standorten im Gazastreifen Polio im Abwassersystem
nachgewiesen worden sei. Einige Wochen später rief sie alle Parteien
des „Konflikts” auf, humanitäre Feuerpausen einzuhalten und Impfungen
zu ermöglichen.
Die anhaltende katastrophale Hungersnot in weiten Teilen des
Gazastreifens wurde seit Oktober 2023 durch die systematische
Zerstörung von Obstplantagen und Gewächshäusern durch die israelischen
Streitkräfte noch verschlimmert. Laut Forensic Architecture kommt dies
einem „Ökozid“ gleich – der vorsätzlichen Zerstörung der Umwelt.
In den letzten zehn Jahren (wenn nicht mehr) seien palästinensische
Landwirte und Landwirtinnen entlang der Grenze des Gazastreifens Zeuge
davon geworden, „wie ihre Ernte mit Unkrautvernichtungsmitteln aus der
Luft besprüht und regelmäßig mit Bulldozern plattgemacht wurde”. Auch
seien sie selbst „dem Beschuss durch Scharfschützen der israelischen
Besatzungstruppen ausgesetzt“ worden.
Einen Staat Palästina verhindern
All diese schweren Menschenrechtsverletzungen können mit dem Begriff
„Politizid” zusammengefasst werden: Israels vorsätzliche Politik im
Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem zielt darauf ab,
die Voraussetzungen für die Existenz eines palästinensischen Staates
zu zerstören.
Die seit Oktober 2023 zusammengetragenen Beweise machen in den Worten
der UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese deutlich, dass „die
Schwelle, die auf das Ausüben des Verbrechens Genozid hinweist, (...)
erreicht ist”.
Wie Amnesty International eindeutig festgestellt hat,
haben die israelischen Behörden dennoch die vom Internationalen
Gerichtshof (IGH) im Januar 2024 angeordneten vorläufigen Maßnahmen
zur Verhinderung eines Genozids in Gaza nicht durchgeführt und setzen
sich weiterhin darüber hinweg.
Am 19. Juli 2024 hielt der IGH in einem Gutachten fest, dass die
palästinensischen Gebiete eine politische Gesamtheit bildeten und die
israelische Besatzung seit 1967 sowie die anschließende Errichtung
israelischer Siedlungen und die Nutzung natürlicher Ressourcen nach
internationalem Recht illegal seien.
Amnesty International bezeichnete die Stellungnahme des Gerichts als
„historische Verteidigung der Rechte der Palästinenser, die
jahrzehntelang unter Grausamkeiten und systematischen
Menschenrechtsverletzungen durch die rechtswidrige israelische
Besetzung gelitten haben“.
Die vorläufigen Maßnahmen des IGH vom Januar und die Stellungnahme vom
Juli haben zusammengenommen erhebliche Auswirkungen auf die EU und
ihre Mitgliedstaaten. Ihre jahrzehntelange Unterstützung Israels macht
sie mitschuldig am Genozid.
Trotz der Urteile und trotz Warnungen von UN-Expert*innen exportieren
die EU und ihre Mitgliedstaaten weiter Waffen nach Israel und
finanzieren verschiedene israelische Einrichtungen.
Die UN-Expert*innen warnen: „Ein Waffenembargo gegen Israel und
entschlossenes Handeln von Investoren sind dringender denn je,
insbesondere in Hinblick auf die Verpflichtungen der Staaten und die
Verantwortung der Unternehmen im Rahmen der Genfer Konventionen, der
Völkermordkonvention, der internationalen Menschenrechtsverträge und
der UN-Richtlinien für Wirtschaft und Menschenrechte.“
Die Rolle der EU nach dem Krieg
Kann die EU in Anbetracht all dessen ernsthaft und bedeutsam zu ihren
moralischen Prinzipien zurückkehren und Israel sowie ihre
Mitgliedstaaten davon abhalten, das Völkerrecht mit Füßen zu treten?
Seit Oktober 2023 haben Irland, Spanien, Slowenien und Norwegen einen
symbolischen Schritt in diese Richtung gemacht, indem sie den
palästinensischen Staat formal anerkannten. Die Zahl der Staaten
weltweit, die dies tun, beträgt somit 146. Solch symbolische Maßnahmen
reichen aber nicht aus, vor allem weil die EU schon beim schlichten
Akt der Anerkennung um eine einheitliche Linie ringt.
Kann die EU positive Impulse für eine Nachkriegsordnung geben, wenn
die Bomben endlich nicht mehr auf Gaza fallen? Wie könnten diese
Impulse umgesetzt werden?
Als die Hamas 2006 an die Macht kam – durch Wahlen, die eine
EU-Beobachtungsmission als frei, fair und transparent bezeichnete und
als „Beispiel für die weitere arabische Region” darstellte – gab die
EU dem Druck aus den USA und Israel nach und entschied sich, die
Hamas-geführte Regierung nicht anzuerkennen.
Statt über diplomatische Kanäle dafür zu sorgen, die Hamas an den
Verhandlungstisch zu bekommen, wandte die EU den Palästinensern den
Rücken zu. Hätte sie anders reagiert und der Hamas eine Chance zum
Regieren gegeben, hätte sie bestimmte Kommunikationskanäle
aufrechterhalten und nicht alle Mittel für Hamas-bezogene Projekte
gestrichen und zugunsten der Fatah umgeschichtet, wäre die Geschichte
möglicherweise anders verlaufen.
Falls die EU aus dieser Entscheidung im Jahr 2006 eine Lehre ziehen
kann, dann die, dass die Hamas nicht ignoriert werden darf. Wenn den
Stimmen der Palästinenser Gehör verschafft werden soll, muss die EU
als wichtige Vermittlerin fungieren.
Sie sollte eine Technokraten-Regierung unterstützen, die sowohl im
Gazastreifen als auch im Westjordanland mit Unterstützung aller
palästinensischer Gruppierungen, einschließlich der Hamas, regiert, um
so den Weg zur politischen Einheit der Palästinenser sowie zu Wahlen
zu ebnen.
Die EU sollte angesichts der langjährigen israelischen
Menschenrechtsverletzungen gegen die US-amerikanische und israelische
Lenkung der palästinensischen Politik protestieren. Statt sie zu
akzeptieren, muss die EU sicherstellen, dass über die Zukunft des
Gazastreifens, des Westjordanlands und Ostjerusalems die
palästinensische Bevölkerung selbst und souverän entscheidet.
Damit die EU ihren moralischen Verpflichtungen wieder gerecht wird und
sich tatsächlich für universelle Menschenrechte einsetzen kann, muss
sie Israels grobe und systematische Verstöße gegen die Rechte der
Palästinenser im Rahmen der illegalen Besatzung des Westjordanlands,
einschließlich Ost-Jerusalems, und des Gazastreifens anprangern.
Die EU muss außerdem ihr Schweigen zu Israels zunehmender
Unterdrückung von Dissens im Inland brechen, ermutigt dies doch andere
regionale Regierungen, ihre eigenen Bürger zu unterdrücken.
Spanien und Irland haben bereits angedeutet, dass eine Überarbeitung
des Assoziationsabkommen zwischen der EU und Israel, das seit 2000 die
rechtliche Grundlage der Beziehungen darstellt, ein guter Anfang wäre.
Dies geschah im Kontext der IGH-Entscheidung, dass Israels Taten unter
die Völkermordkonvention „fallen könnten”.
Um weiteren unumkehrbaren Schaden für die Menschen in Palästina und
Israel zu verhindern, ist ein sofortiger humanitärer Waffenstillstand
dringend notwendig.
Das allein wird jedoch nicht ausreichen, um die Straflosigkeit Israels
zu beenden. Solange der israelische Staat bereits geschehene und
anhaltende Verletzungen des humanitären Völkerrechts nicht ernst
nimmt, steht die EU nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch in der Pflicht:
Sie muss alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um diese
Straflosigkeit zu bekämpfen und internationale Gerechtigkeit
anzustreben – auf Grundlage der von ihren Mitgliedstaaten und ihr
selbst eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen.
Kann die EU Israel mit Sanktionen belegen?
Mitte August stürmten maskierte israelische Siedler das Dorf Dschit im
besetzten Westjordanland, schossen auf sie und warfen Tränengas. Dabei
töteten sie einen 23-jährigen Palästinenser und verletzten einen
weiteren schwer. Daraufhin drohte Borrell mit EU-Sanktionen gegen
„Unterstützer der gewalttätigen Siedler, einschließlich einiger
israelischer Regierungsmitglieder“.
Wenn die EU erneut einen echten Friedensprozess anstoßen will, muss
sie sich dringend mit der raschen Radikalisierung der israelischen
Gesellschaft auseinandersetzen. Veränderung wird – sowohl in Israel
als auch in Palästina – nur durch hohe Kosten möglich sein, die die
israelische Regierung und die Hamas zwingen, sich der Realität zu
stellen. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die
von beiden Seiten begangen werden, müssen bestraft werden.
Um die Ursachen dieses „Konflikts“ zu bekämpfen, muss die EU auch
ernsthafte Sanktionen gegen die langjährige Besatzungsmacht in den
palästinensischen Gebiete verhängen – angefangen mit gezielten
Maßnahmen gegen Personen, die beschuldigt werden, zum Hass gegen
Palästinenser aufzustacheln, insbesondere gegen rechtsextreme
israelische Minister wie den Minister für Nationale Sicherheit, Itamar
Ben-Gvir, und den Finanzminister, Bezalel Smotrich.
Darüber hinaus sollte die EU sektorspezifische Maßnahmen in Erwägung
ziehen, etwa wirtschaftliche und finanzielle Beschränkungen, Einfuhr-
und Ausfuhrbeschränkungen, Beschränkungen von Bankdienstleistungen und
Waffenembargos.
Alle EU-Mitgliedsstaaten sollten sofort jegliche Waffenverkäufe an
Israel einstellen. Damit einhergehend sollten sie israelische
Universitäten boykottieren, die mit dem militärisch-industriellen
Komplex in Verbindung stehen.
Außerdem sollten europäische Supermärkte keine israelischen Güter mehr
anbieten wie Früchte, die auf beschlagnahmtem palästinensischem Boden
im Jordantal angebaut werden. Nach geltendem EU-Recht müssen Produkte
von israelischen Siedlern klar als solche gekennzeichnet werden. Sie
unterliegen zudem strengeren Zollvorschriften. Diese Regeln werden
jedoch nicht strikt umgesetzt, was sich ändern muss.
Schließlich muss das EU-Assoziationsabkommen mit Israel ausgesetzt
werden. Die Achtung der Menschenrechte ist ein essenzieller
Bestandteil der EU-Abkommen mit allen Partnerländern.
Artikel 2 des Abkommens mit Israel hält fest, dass „die Beziehungen
zwischen den Vertragsparteien sowie alle Bestimmungen des Abkommens
auf der Achtung der Menschenrechte und der Grundsätze der Demokratie
beruhen, von denen sich die Vertragsparteien in ihrer Innen- und
Außenpolitik leiten lassen und die ein wesentliches Element dieses
Abkommens sind.”
Eine Verletzung dieses „wesentlichen Elements” erlaubt es der EU nach
Artikel 60 des „Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge”,
das Abkommen auszusetzen oder aufzulösen, in Teilen oder als Ganzes.
Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird Druck auf Israel ausüben, das
internationale Recht ernst zu nehmen und sich daran zu halten. Ein
solches Vorgehen würde die Aufmerksamkeit auf die Kurzsichtigkeit der
israelischen Strategie lenken sowie auf den Kreislauf der Gewalt, der
in den letzten Jahrzehnten weder den Israelis noch den Palästinensern
Sicherheit gebracht hat. Beide leben weiter in einer Dystopie.
——
Zu Quantara als Herausgeber:
https://qantara.de/seite/%C3%BCber-uns
Das arabische Wort "qantara" bedeutet Brücke. Das Dialogportal
Qantara.de wurde unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11.
September 2001 gegründet und fördert seit über 20 Jahren durch
fundierte Beiträge die Verständigung zwischen den europäischen und
islamisch geprägten Gesellschaften.
Das Projekt wird vom ifa – Institut für Auslandsbeziehungen umgesetzt
und vom Auswärtigen Amt gefördert. (…) Das ifa wird gefördert vom
Auswärtigen Amt, dem Land Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt
Stuttgart.
———
5. Reuters: Deutschland hat die Genehmigung von Kriegswaffenexporten nach Israel eingestellt, so eine Quelle
https://www.reuters.com/world/germany-has-stopped-approving-war-weapons-exports-israel-source-says-2024-09-18/
In deutscher Übersetzung:
Reuters
Welt / Israel und Hamas im Krieg / Menschenrechte
Deutschland hat die Genehmigung von Kriegswaffenexporten nach Israel eingestellt, so eine Quelle
Von Riham Alkousaa
18. September 2024
Zusammenfassung
Deutsche Waffenexporte nach Israel gehen 2024 stark zurück
Juristische Anfechtungen argumentieren, dass deutsche Waffenexporte gegen humanitäres Recht verstoßen
Berlin behauptet, es gäbe keinen Waffenboykott gegen Israel
Auch andere europäische Länder stoppen Waffenexporte nach Israel
BERLIN, 18. Sept. (Reuters)
Deutschland hat neue Exporte von Kriegswaffen nach Israel gestoppt,
während es sich mit rechtlichen Problemen befasst, wie eine
Reuters-Analyse von Daten und eine dem Wirtschaftsministerium
nahestehende Quelle berichtet.
Eine dem Ministerium nahestehende Quelle zitierte einen hochrangigen
Regierungsbeamten mit der Aussage, es habe die Arbeit an der
Genehmigung von Waffenexporten nach Israel aufgrund des rechtlichen
und politischen Drucks durch Gerichtsverfahren gestoppt, in denen
argumentiert wird, dass solche Exporte aus Deutschland gegen das
humanitäre Recht verstoßen.
Das Wirtschaftsministerium hat auf Bitten um Stellungnahme nicht
geantwortet. Die deutsche Regierung hat jedoch nach der
Veröffentlichung des Reuters-Berichts eine Erklärung abgegeben.
„Es gibt keinen deutschen Rüstungsexportboykott gegen Israel“, sagte
Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Im vergangenen Jahr genehmigte Deutschland Waffenexporte nach Israel
im Wert von 326,5 Millionen Euro (363,5 Millionen Dollar),
einschließlich militärischer Ausrüstung und Kriegswaffen. Dies
entspricht einer Verzehnfachung gegenüber 2022, wie aus den Daten des
Wirtschaftsministeriums hervorgeht, das die Ausfuhrgenehmigungen erteilt.
Allerdings sind die Genehmigungen in diesem Jahr zurückgegangen: Von
Januar bis zum 21. August wurden nur noch Genehmigungen im Wert von
14,5 Millionen Euro erteilt, wie aus einer Antwort des
Wirtschaftsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage hervorgeht.
Davon entfielen auf die Kategorie Kriegswaffen lediglich 32.449 Euro.
Zu ihrer Verteidigung in zwei Verfahren, eines vor dem Internationalen
Gerichtshof und eines in Berlin, das vom Europäischen Zentrum für
Verfassungs- und Menschenrechte angestrengt wurde, hat die Regierung
erklärt, dass seit den Hamas-Angriffen auf Israel am 7. Oktober keine
Kriegswaffen auf der Grundlage von Genehmigungen exportiert worden
seien, abgesehen von Ersatzteilen für langfristige Verträge, so die
Quelle weiter.
Israels Angriff auf den Gazastreifen hat nach Angaben des örtlichen,
von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums seit dem 7.
Oktober mehr als 41.000 Palästinenser getötet. Der Angriff hat
außerdem den größten Teil der 2,3 Millionen Einwohner vertrieben, eine
Hungerkrise verursacht und zu Völkermordvorwürfen vor dem
Weltgerichtshof geführt, die Israel jedoch bestreitet.
Bisher war noch kein Verfahren gegen deutsche Waffenexporte nach
Israel erfolgreich, auch nicht eine Klage Nicaraguas vor dem IGH.
UNEINIGKEIT ÜBER WAFFENEXPORTE IN DER DEUTSCHEN REGIERUNG
Das Thema hat jedoch zu Reibereien innerhalb der Regierung geführt, da
das Kanzleramt an seiner Unterstützung für Israel festhält, während
das von den Grünen geführte Wirtschafts- und Außenministerium, das auf
Kritik von Parteimitgliedern empfindlich reagiert, die Regierung
Netanjahu zunehmend kritisiert. (Herv. M. Breidert)
Rechtliche Bedenken in ganz Europa haben auch andere Verbündete
Israels dazu veranlasst, Waffenexporte zu stoppen oder auszusetzen.
Großbritannien hat in diesem Monat 30 von 350 Genehmigungen für
Waffenexporte nach Israel ausgesetzt, weil es befürchtet, dass Israel
gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen könnte.
Im Februar ordnete ein niederländisches Gericht an, dass die
Niederlande alle Exporte von Teilen des Kampfjets F-35 nach Israel
stoppen müssen, weil sie Bedenken wegen deren Einsatz bei Angriffen
auf zivile Ziele im Gazastreifen haben.
Die Regierung von Präsident Joe Biden stoppte in diesem Jahr die
Lieferung einiger Bomben an Israel, nahm sie dann aber wieder auf,
nachdem die USA Bedenken wegen ihres Einsatzes im dicht besiedelten
Gazastreifen hatten.
Die Genehmigungen und Lieferungen anderer Waffentypen in präziseren
Systemen wurden fortgesetzt, da US-Beamte die Auffassung vertraten,
dass Israel die Kapazitäten zur Selbstverteidigung benötige.
Alexander Schwarz, ein Anwalt des Europäischen Zentrums für
Verfassungs- und Menschenrechte, das fünf Klagen gegen Berlin
eingereicht hat, meinte, der deutliche Rückgang der Genehmigungen für
2024 deute auf eine echte, wenn auch möglicherweise vorübergehende
Zurückhaltung bei der Lieferung von Waffen an Israel hin.
„Ich würde dies jedoch nicht als bewusste Änderung der Politik
interpretieren“, fügte Schwarz hinzu.
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