aus e-mail von Doris Pumphrey, 17. November 2024
Berliner Zeitung 17.11.2024
<https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/eine-cia-fuer-die-eu-wird-der-fall-nord-stream-endgueltig-zur-verschlusssache-li.2271625>
*Eine CIA für die EU: Wird der Fall Nord Stream endgültig zur
Verschlusssache?
*Simon Zeise
Europa soll sich stärker um die eigene Sicherheit kümmern. Das ist
erklärter Wille von Donald Trump. Die Verteidigungsausgaben und die
Unterstützung der Ukraine sollen in einem Maß hochgeschraubt werden,
dass Deutschland sogar bereit sein könnte, die Schuldenbremse zu
lockern. Doch wird damit einher auch mehr Souveränität kommen, oder wird
Europa, zugespitzt formuliert, nur zum Zahlmeister der USA?
Der Lackmustest für mehr Autonomie von den Vereinigten Staaten sind
Geheimdienstfähigkeiten. Nur wer in der Lage ist, Erkenntnisse über
Bedrohungslagen zu gewinnen, kann sich auch davor schützen. Und an
diesem Punkt ist die EU bislang auf die Amerikaner angewiesen.
*Die CIA ist dem BND immer einen Schritt voraus
*Wer in Europa Herr der Geheimdienste ist, dürfte spätestens seit dem
Abhörskandal des Handys von Angela Merkel klar sein. Die NSA überwachte
in der US-Botschaft in Berlin das Mobiltelefon der damaligen
Bundeskanzlerin. Und auch in Europa liegen die Loyalitäten nicht
unbedingt gegenüber Brüssel. Schließlich hatte der dänische
Militärgeheimdienst FE der NSA geholfen, Merkels Handy anzuzapfen.
„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“, sagte Merkel 2013, als
die Abhöraktion aufflog.
Konsequenzen hatte es keine. Noch immer sind Deutschland und die EU
<https://www.berliner-zeitung.de/topics/eu> auf Erkenntnisse der
amerikanischen Dienste angewiesen. Ob die Warnung vor dem Aufmarsch
massiver russischer Truppenverbände vor der ukrainischen Grenze kurz vor
der Invasion im Februar 2022 oder in der vergangenen Woche der Hinweis
auf einen Terrorverdächtigen in Elmshorn: Die CIA ist dem BND immer
mindestens einen Schritt voraus.
Nach dem Willen der EU-Kommission soll das nicht so bleiben. In einem
Bericht, den der frühere finnische Präsident und heutige
EU-Sonderbeauftragte Sauli Niinistö zusammen mit der
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende Oktober in Brüssel
vorstellte, wird empfohlen, dass die EU ihre Geheimdienststrukturen
schrittweise zu einem „vollen EU-Dienst für die nachrichtliche
Zusammenarbeit“ ausbauen soll.
orgesehen ist nicht die Ersetzung nationaler Dienste durch eine
europäische supranationale Behörde. Aber die bereits bestehenden
EU-Einheiten des EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN) und der
militärische Nachrichtendienst innerhalb des EU-Militärstabs (EUMS)
sollen gestärkt werden. Beide Einheiten unterstehen dem
EU-Außenbeauftragten. Die Position wird derzeit vom Spanier Josep
Borrell bekleidet und soll nach dem Willen von der Leyens an die
ehemalige estnische Premierministerin Kaja Kallas übergehen.
*Sicherheitsexperte hält Nutzen von EU-Geheimdienst „überschaubar“
*Die Reaktionen fielen bescheiden aus. Die EU brauche keine europäische
CIA, lautete der Tenor in mehreren Medienberichten
<https://www.politico.eu/article/europe-spy-service-cia-ursula-von-der-leyen/>.
„Ein EU-Geheimdienst ist eine wohlklingende Idee, aber hat wenig
Realisierungschancen“, sagt der Sicherheitsexperte Joachim Weber vom
Center for Advanced Security, Strategic and Intregration Studies
(CASSIS) an der Universität Bonn. „Die EU-typischen Abstimmungsprozesse
mit einer derart hohen Zahl von Beteiligten widersprechen den
Arbeitsprinzipien von Diensten geradezu diametral“, erklärt Weber auf
Anfrage der Berliner Zeitung. „Das würde eine ziemlich löchrige
Veranstaltung.“ Es funktioniere nur bei einem ähnlichen Mindset der
Beteiligten in einem kleinen Kreis, wie die Five-Eyes-Kooperation seit
langem zeige - die Five Eyes sind ein gemeinsames Spionagenetzwerk der
USA, Australien, Neuseeland, Kanada und Großbritannien. „Denkbar wäre
auf EU-Ebene sicher eine Art Gemeinsames Kompetenzzentrum
‚Intelligence‘ oder ‚Nachrichtenaustausch‘“, sagt Weber. „Aber der
Nutzen bliebe wohl insgesamt überschaubar.“
Obwohl der Niinistö-Bericht nur eine Empfehlung ist, dürfte er die
Ausrichtung der nächsten Kommission erheblich prägen. Die nötige
Bündelung europäischer Geheimdiensttätigkeiten wird aus einer
verstärkten Bedrohungslage aus Russland und China abgeleitet.
Insbesondere der Schutz der europäischen Infrastruktur müsse im Zentrum
stehen. War da nicht was?
Der bislang größte Anschlag auf die europäische Infrastruktur nach dem
Zweiten Weltkrieg war die Sprengung der Ostseepipelines Nord Stream 1
und 2. Das deutsch-russische Energieprojekt war den USA ein Dorn im
Auge. Die amerikanische Regierung machte Druck und verhängte Sanktionen
gegen die Betreibergesellschaft.
Auch die CIA wurde in Deutschland aktiv, um Einfluss gegen die
Fertigstellung von Nord Stream 2 geltend zu machen. Zeugen hätten
ausgesagt, „dass sich Vertreter amerikanischer Geheimdienste bei
Umweltverbänden in Mecklenburg-Vorpommern offensiv für eine Verhinderung
von Nord Stream 2 einsetzten und ihre Unterstützung anboten“
<https://www.spd-fraktion-mv.de/aktuelles/pressemitteilungen/krueger-amerikanische-geheimdienste-versuchten-in-mv-nord-stream-2-zu-verhindern>,
erklärte der Obmann der SPD-Fraktion im Landtag von
Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Krüger, im Juni 2024. Die Erkenntnisse
wurden Krüger im Rahmen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses
Umwelt- und Klimaschutzstiftung mitgeteilt, der die Causa Nord Stream
aufarbeiten soll. Für Krüger ist klar: „Die amerikanische Regierung hat
während der Trump-Administration zur Durchsetzung ihrer Interessen sich
auch direkt in Mecklenburg-Vorpommern mit geheimdienstlichen Mitteln
gegen Nord Stream 2 gestellt.“
*Europa als „Tummelplatz für CIA-Aktivitäten“
*Sollte ein europäischer Geheimdienst nicht dazu beitragen, unabhängiger
von den USA zu werden? „Aus dem Skandal, dass Deutschland ein
Tummelplatz für CIA-Aktivitäten ist, ist nichts erwachsen“, kritisiert
die langjährige Politikerin und Publizistin Petra Erler.
Erler ist Expertin für internationale Beziehungen und Europafragen.
Zusammen mit dem früheren Bundestagsabgeordneten und EU-Kommissar Günter
Verheugen hat sie dieses Jahr das Buch „Der lange Weg zum Krieg:
Russland, die Ukraine und der Westen – Eskalation statt Entspannung“
veröffentlicht.
Die Urheber der Nord-Stream-Sprengung werden von deutscher Seite in der
Ukraine vermutet. Im August erwirkte der Generalbundesanwalt Jens Rommel
Haftbefehl gegen eine Person, weitere seien tatverdächtig. Die These,
dass nur wenige Einzeltäter hinter den Anschlägen stecken, ist für viele
nicht überzeugend. Eine derartige Operation sei nur durch
Geheimdienstoperationen möglich, erklären Experten. Der renommierte
amerikanische Journalist Seymour Hersh vermutet gar die USA selbst als
Drahtzieher. Russland und China fordern eine internationale Untersuchung.
Erler kritisiert, dass bei den zuständigen deutschen Behörden kein
gesteigertes Interesse zur Aufklärung zu erkennen sei. „Deutschland,
Dänemark und Schweden hatten gegenüber dem UN-Sicherheitsrat erklärt,
dass sie die Untersuchung vorantreiben werden und deswegen keine
internationale Untersuchung notwendig sei“, hebt sie im Gespräch
hervor. „Nun, die Ergebnisse lassen auf sich warten.“ Sie hält keine der
bisherigen Erklärungen der Bundesregierung zur Täterschaft für
überzeugend. „Ganz einfach deshalb, weil sie auf
Geheimdienstinformationen beruhen.“
Laut einem Bericht des Wall Street Journals hatten die niederländischen
Geheimdienste die CIA über die ukrainische Urheberschaft informiert.
„Erst über die Amerikaner wurden die Erkenntnisse dann an den BND
weitergegeben“, erklärt Erler. „Das verdeutlicht die Abhängigkeit in
Europa.“
*Nord-Stream-Aufklärung in Deutschland wird erschwert
*Über welche Informationen die Bundesregierung und über welche die CIA
verfügt, bleibt ein Geheimnis. Um Aufklärung bemüht war der
Bundestagsabgeordnete André Hahn (Die Linke). Er war Mitglied im
Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), das dafür zuständig ist, die
Geheimdienste zu „überwachen“.
Die Mitglieder des Gremiums dürfen ihre im Ausschuss erlangten
Erkenntnisse nicht veröffentlichen. „Sie können aber sicher sein, dass
ich diesen offiziell ungeklärten Anschlag und die Frage nach den
Erkenntnissen der deutschen Nachrichtendienste zu den Tätern immer
wieder angesprochen habe“, sagt Hahn im Gespräch mit der Berliner
Zeitung. Über lange Zeit habe sich die Bundesregierung im Ausschuss wie
auch in parlamentarischen Anfragen immer unter Verweis auf die laufenden
Ermittlungen des Generalbundesanwalts um klare Antworten gedrückt.
„Ich persönlich glaube nicht an eine autonome Aktion von fünf oder sechs
Leuten ohne Unterstützung an der Zerstörung der Pipelines interessierter
Regierungen“, sagt Hahn. Er fühle sich auch „dadurch bestätigt, dass die
einzige von Deutschland per Haftbefehl gesuchte Person offenbar vorher
gewarnt wurde und sich wohl in die Ukraine absetzen konnte“.
Hahn ist nicht freiwillig aus dem PKGr ausgeschieden. Er wurde unter
Verweis auf den verlorenen Fraktionsstatus der Partei Die Linke
ausgeschlossen. Dabei wurde er vom Plenum des Bundestags mit der
sogenannten Kanzlermehrheit gewählt, argumentiert er. Gegen die
Entscheidung hat er beim Bundesverfassungsgericht eine Klage
eingereicht, die in der Hauptsache bislang noch nicht entschieden wurde.
*EU-Kommission setzt weiter auf US-Hegemonie
*„Fakt ist, dass aktuell die Opposition nur noch durch CDU-Abgeordnete
im Gremium vertreten ist, wodurch natürlich die demokratische Kontrolle
der Geheimdienste geschwächt worden ist“, sagt Hahn. „Zumal alle drei
Geheimdienstchefs der CDU angehören oder ihr zumindest sehr nahestehen.“
Deutlich sei dies dieser Tage geworden, als der
Verfassungsschutzpräsident Haldenwang erklärte, für die CDU zur nächsten
Bundestagswahl als Kandidat anzutreten. Dies sei „ziemlich bezeichnend“
und mache deutlich, dass die Opposition im Gremium nicht nur durch eine
einzige Fraktion repräsentiert sein sollte, sagt Hahn.
Die EU-Kommission will ihre Geheimdienste nicht in Konkurrenz zu den USA
ausrichten. Niinistö erklärte bei der Präsentation seines Berichts in
Brüssel, die neue EU-Agentur sollte sich darauf konzentrieren, die
bereits verfügbaren Informationen der Amerikaner sinnvoll zu nutzen.
„Wir müssen einander vertrauen“, sagte der Finne.
Erler warnt vor den Konsequenzen einer Informationsasymmetrie: „Die
amerikanischen Geheimdienste haben ein System der Abstufung“, sagt
Erler. „Sie behalten die meisten Informationen für sich. Dann teilen sie
Erkenntnisse innerhalb der Five Eyes. Erst danach kommen die übrigen
Verbündeten der Nato.“
Und die Abhängigkeit von den USA bleibt nicht nur auf den
Informationsaustausch beschränkt. „Im Niinistö-Bericht wird klar
formuliert, dass die US-Hegemonie im Rahmen der regelbasierten Ordnung
beibehalten werden soll“, sagt Erler. „Die Rolle der UNO und anderer
multilateraler Organisationen wird als zunehmend unbedeutend
charakterisiert. China wird als ein immer aggressiverer Gegner und
Russland als Bedrohung für die Nato dargestellt.“
Die Schlussfolgerung des Berichts laute, dass die EU den Ukrainekrieg so
lange führen müsse wie nötig, sagt Erler. Damit liege dem Papier eine
„neokonservative Ideologie“ zugrunde. „Ich bin eine Befürworterin des
Konzepts der strategischen Autonomie der EU.“ Aber dann müsse man sich
in Brüssel darüber im Klaren werden, ob die US-Hegemonie weiter
toleriert werden wolle.
*Bevölkerung an Kriege gewöhnen
*Erler steht mit dieser Analyse nicht alleine da. „Damit die EU die
Empfehlungen des Niinistö-Berichts umsetzen kann, wird eine der
zentralen Herausforderungen darin bestehen, die Denkweise ihrer Bürger
zu ändern“, schreibt der amerikanische Thinktank „Wilson Center
<“" rel="noopener">https://www.wilsoncenter.org/article/niinisto-report-enhancing-european-unions-resilience-future-uncertainties>“.
„Selbst nach mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine scheinen viele
Europäer nicht das Gefühl zu haben, dass ihre Gesellschaften gefährdet
sind, oder die Dringlichkeit der Situation zu begreifen.“
Und die Denkfabrik Atlantic Council fasst zusammen
<https://www.atlanticcouncil.org/blogs/new-atlanticist/why-this-former-finnish-president-wants-a-new-european-spy-agency/>:
„Die Vorbereitung auf einen Krieg ist keine reine
Regierungsangelegenheit, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Derzeit
geben nur 32 Prozent der Europäer an, sie wären bereit, ihr Land zu
verteidigen, wenn es in einen Krieg verwickelt wäre.“ Der
Niinistö-Bericht betone, dass die Europäer auf persönlicher Ebene
informiert, engagiert und vorbereitet sein müssten. „Die Bürger zu
ermutigen, eine aktive Rolle zu übernehmen, vom Erlernen grundlegender
Krisenmanagementmethoden bis hin zur Vorbereitung auf Stromausfälle, ist
Teil eines realistischen Resilienzplans.“
„Mich stört an dem Niinistö-Bericht die Formulierung, dass das Vertrauen
der Bürger in die Behörden gestärkt werden soll“, sagt Erler. „Das mag
zunächst harmlos klingen. Es bedeutet aber doch, dass
Geheimdienstinformationen im Sinne unserer Sicherheit als
vertrauenswürdig eingestuft werden sollen. Und darin sehe ich eine große
Gefahr.“
Viel zu oft würden Geheimdienstinformationen als Tatsachen eingeordnet,
warnt Erler. „Dabei ist es die Aufgabe von Geheimdiensten zu lügen.“ Der
frühere CIA-Chef Mike Pompeo habe es unverblümt zugegeben: „Wir lügten,
wir betrügten, wir haben gestohlen.
<“" rel="noopener">https://x.com/wikileaks/status/1799005189648875625>“
Info: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/eine-cia-fuer-die-eu-wird-der-fall-nord-stream-endgueltig-zur-verschlusssache-li.2271625
unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, awie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.
gast am 16. November 2024 um 13:31
Ich finde das Interview bisher ausgezeichnet.
Antworten… übrigens bleibt der Bürger meines Wissens auch auf seinen Kosten sitzen, wenn es am Ende nur eine Einstellung des Verfahrens gibt. Viel Spaß!